Mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Zeitgeschichte, München, veröffentlichen wir im Folgenden den Artikel von Anton Hoch „Der Luftangriff auf Freiburg am 10. Mai 1940", erschienen in VIERTELJAHRS-HEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE, April 1956.
Vorbemerkung des Instituts für Zeitgeschichte, München:
Am 24. Oktober 1954 war das Institut für Zeitgeschichte vom Staatsministerium Baden-Württemberg beauftragt worden, die Verantwortlichkeit für den vielerörterten Luftangriff auf Freiburg i. Br. zu klären. Das Ergebnis der Untersuchung, das in der April-Nummer 1956 der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ veröffentlicht wurde, hat in Kommentaren der Tagespresse, in Leserzuschriften an diese wie an das Institut selbst, ein lebhaftes Echo gefunden. Nur in einzelnen Fällen sind Zweifel an der Richtigkeit des Untersuchungsergebnisses geäußert worden. Aus den betreffenden Zuschriften geht indes hervor, daß ihren Einsendern in der Regel nur die das Ergebnis kurz zusammenfassende Meldung der Presse, nicht aber der Untersuchungsbericht selbst zur Verfügung gestanden hat. Erst die Kenntnis des Gesamt-berichts erlaubt jedoch eine ausreichende Meinungsbildung. Wir begrüßen daher die hier gebotene Gelegenheit, den Bericht in seinem vollen Umfang weiteren Kreisen der Öffentlichkeit vorzulegen.
Den erwähnten Zweifeln haben namentlich Zitate aus dem Buch „Bowbing vindicated“ Vorschub geleistet, das der Principal Assistent Secretary im britischen Luftfahrtministerium, J. M. Spaight im Jahre 1944 veröffentlicht hat. Das Original dieses Buches ist in Deutschland nur den allerwenigsten zugänglich gewesen. Die Zitate in der Presse und in Zuschriften von Lesern, die sich auf einen britishen Kronzeugen für die angebliche britishe Verantwortlichkeit für den Angriff auf Freiburg stützen zu können glauben, sind vielmehr dem Buh des britishen Militärschriftstellers Generalmajor J. F. C. Fuller „Der Zweite Weltkrieg 1939— 1945“ entnommen, das 1950 in deutsher Übersetzung ershien. Bei Fuller heißt es auf Seite 261 in der Tat: „Am 11. (!) Mai (1940) wurde Freiburg in Baden bombardiert. Dr. J. M. Spaight shreibt darüber folgendes. . ." Es sei jedoh auh an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß Spaight selbst — wie eine Prüfung des Originals ergibt — den Angriff auf Freiburg in seinem Buhe nirgends erwähnt. Damit entfallen alle Folgerungen, die aus der irrigen Angabe Fullers gezogen worden sind.
Das Institut für Zeitgeshihte hatte den Auftrag erhalten, die Verantwortlichkeit für den Luftangriff auf Freiburg zu untersuhen. Das ist geshehen. Mit dem Ergebnis der Untersuchung ist der Fall Freiburg für die Frage der Entstehung des unbeschränkten Luftkrieges belanglos geworden. Diese Frage stellt sih vielmehr unabhängig von dem Freiburger Vorgang, um dessen Aufklärung es hier allein ging.
Der erste größere Luftangriff des zweiten Weltkrieges
Der Luftangriff auf Freiburg am 10. Mai 1940 — der erste größere Luftangriff des zweiten Weltkrieges — ist bereits zweimal Gegenstand einer offiziellen deutshen Berihterstattung gewesen. Das erste Mal — unmittelbar nah dem Ereignis — wurde er als eine Tat feindliher Flieger bezeihnet
Am 4. Oktober 1954 wurde dem Institut für Zeitgeshihte Münhen vom Staatsministerium Baden-Württemberg die Untersuchung des Vorfalls aufgetragen. Bereits ein flüchtiges Studium der Akte ließ erkennen, daß der von der Badischen Staatskanzlei verlautbarte Sachverhalt keineswegs bereits als erwiesen gelten konnte, sondern in verschiedenen Zuschriften und Zeitungsartikeln entschieden bestritten wurde. Im Verlauf der Arbeit zeigte sich bald eine Vielfalt von Möglichkeiten, die die sachlichen und quellenmäßigen Schwierigkeiten deutlich machte, mit denen gerechnet werden mußte. Weder in der Originalakte des Bürgermeisteramtes Freiburg i. Br.
schutzleiters 1939— 1945
machtberichts. Erst nach Abschluß unserer Untersuchungen gelang es, von privater Seite einige wenige, aber wichtige Originaldokumente zu beschaffen, die den ermittelten Sachverhalt vollends klarstellen dürften.
Solange also die Originaldokumente — die primären Quellen des Historikers — versagten, mußte versucht werden, auf möglichst breiter Basis einen Kreis von Zeugen anzusprechen, die in der Lage, aber auch bereit sein würden, aus direkter oder indirekter Zeugenschaft zur Sache aus-zusagen. Das nachfolgende Verzeichnis vermag einen Eindruck zu vermitteln von dem Umfang der Untersuchungen, die allein in unserem Falle, bei dem es sich doch um ein zeitlich und örtlich eng begrenztes Ereignis handelt, notwendig waren. Folgende Zeugen aus den in Frage kommenden Dienststellen und Einheiten wurden angeschrieben:
Führerhauptquartier:
Die Adjutanten des Heeres, der Luftwaffe, der Kriegsmarine und der Verbindungsoffizier der Waffen-SS.
OKW, Amt Ausland/Abwehr:
Leiter der Abt. I und III und zwei weitere höhere Offiziere aus der Umgebung von Admiral Canaris.
Oberkommando der LW und Reichsluftfahrtministerium:
Chef Ic im HQu. d. Ob. d. L. und drei weitere Offiziere dieser Abteilung, Chef des Stabes b. Generalluftzeugmeister, Chef des Ministeramtes, Chef des Stabsamtes und Adjutant des Reichs-marschalls, Chef des Nachrichtenverbindungswesens und dessen Gruppenleiter der Flugmeldegruppe, Abt. Chef im Technischen Amt des Reichsluftfahrtministeriums, Gruppenleiter der Luftinspektion 13 (Luftschutz).
Heeresgruppe C:
Chef des Stabes.
Luftflotte 3:
Chefrichter, Adjutant des Höh. Nachrichtenführers, Ila, Kommandant des HQu., I a-Schreiber.
AOK 7:
OQu., IIa.
Luftgau VII:
Chef des Stabes, I a, Quartiermeister, Lageoffizier beim I c, I a op 2 (Flak), la op 3 (Luftschutz).
XXXIII. A. K.:
Chef des Stabes.
Kampfgeschwader 51:
Kommodore, Kommandeur III. Gruppe und 20 weitere Offiziere des Geschwaders.
Flak:
Kommandeur und la der Flakgruppe Schwarzwald, Kommandeur und Abt. -Arzt der schw. Flak 1/491 (mot.).
Flugmelde-und Luftwarndienst:
Kommandeur des Flugmeldedienstes im Luftgau VII und zwei wei-* tere Offz.der Abt., die Kommandeure des Fluko in Donaueschingen und Stuttgart, Führer des Flugwachzuges in Freiburg, Führer und Beobachter der Fluwa Lorettoberg b. Freiburg, Führer, Stellvertreter und zwei Gruppenführer und Auswerter der Luftschutzwarnzentrale Freiburg i. Br.
Luftmunitionsanstalten (= Luftmuna):
Leiter der Luftmuna Haid.
Verschiedene andere militärische Stäbe und Einheiten:
Bodenst. Artl. Offz. Freiburg i. Br. -Nord und dessen Adjutant, Bodenst. Artl. Offz. Freiburg-Süd, Wehrbezirkskommandeur in Freiburg, Adjutant des Festungspionierstabes, Zensuroffizier des Stellv. Gen. Kdo V. AK beim Propagandaamt Baden.
Zivile Dienststellen:
Badischer Landeskommissär, Bürgermeister, zwei Beigeordnete und ein Ratsherr der Stadt Freiburg, Polizeipräsident und Luftschutzoffizier im Polizeipräsidium Freiburg.
Außerdem standen uns noch die Aussagen von 21 Personen zur Verfügung, die entweder selbst Augenzeugen des Vorfalls waren oder von Dritten Nachrichten erhalten hatten. Sie gelangten zum Teil durch Vermittlung des „Freiburger Wochenberichts" oder der „Badischen Zeitung" an das Institut, zum Teil wurden sie uns direkt übersandt.
Unsere Bemühungen gingen nun dahin, den Vorfall in den Perspektiven aller nur irgendwie beteiligten Zeugen kennenzulernen. Erst wenn die Berichte von da und dort übereinstimmend über die einzelnen Vorgänge aussagten, konnte mit einem einwandfreien Ergebnis gerechnet werden. Ein Moment spielte bei unseren Untersuchungen eine besondere Rolle. Es war die Annahme der Möglichkeit, daß damals Maßnahmen ergriffen wurden, um den wirklichen Sachverhalt aus irgendwelchen Gründen zu verdunkeln. Es zeigte sich daher, daß in einem Fall wie dem vorliegenden eine „mittlere" Zeugenschicht von besonderer Bedeutung ist. Wir meinen jene Zeugen, die nicht Träger der Verantwortung und nicht eigentlich Handelnde waren, von denen aber angenommen werden konnte, daß sie kraft ihrer damaligen Stellung genauere Kenntnis von diesem oder jenem Vorgang haben mußten.
In sachlicher Hinsicht waren dabei folgende Möglichkeiten zu überprüfen: 1. Handelt es sich um einen Angriff deutscher Flugzeuge auf Befehl Hitlers, der für einen uneingeschränkten Luftkrieg die Hände frei haben wollte?
2. Haben sich deutsche Flugzeuge vielleicht verflogen und die Bomben irrtümlich auf Freiburg geworfen? Oder ist es ein Notwurf deutscher Flugzeuge gewesen?
3. Haben feindliche Flugzeuge ein planmäßiges Bombardement gegen die Zivilbevölkerung oder gegen militärische Objekte durchgeführt, und zwar in einem offenen oder einem getarnten Angriff, der vielleicht im optischen Schutz der deutschen Flugzeuge erfolgt ist?
4. Haben feindliche Flieger in deutschen Flugzeugen gesessen oder von feindlichen Flugzeugen aus deutsche Bomben abgeworfen?
5. Besteht nicht auch die Möglichkeit eines Fehlabwurfs durch feindliche Flugzeuge?
Das Ergebnis unserer Untersuchungen legen wir hiermit vor. Wenn wir dies in aller Ausführlichkeit tun, so deswegen, weil wir darin die beste Möglichkeit sehen, die in der Öffentlichkeit geführten Auseinandersetzungen zu einem Abschluß zu bringen. Wir werden uns bei unserer Darstellung zunächst der Luftlage im Freiburger Raum am 10. Mai zuwenden, dann den Feststellungen nachgehen, die damals über die Herkunft der abgeworfenen Bomben getroffen wurden, und in einem weiteren Abschnitt prüfen, ob und was gegebenenfalls von den fliegenden Verbänden zur Klärung des Vorfalls beigetragen werden kann. In einem abschließenden Kapitel werden wir darauf eingehen, wie die oberste Führung des Reiches und auf ihre Weisung die deutsche Propaganda den Vorfall behandelt hat, woraus eine weitere Bestätigung für das Ergebnis unserer Untersuchung zu entnehmen ist.
Die Luftlage am Nachmittag des 10. Mai 1940
Welche Originaldokumente stehen heute noch zur Verfügung, die zur Luftlage am Nachmittag des 10. Mai 1940 etwas aussagen? Im Kriegstagebuch des ört
Welche Originaldokumente stehen heute noch zur Verfügung, die zur Luftlage am Nachmittag des 10. Mai 1940 etwas aussagen? Im Kriegstagebuch des örtlichen Luftschutzleiters Freiburg i. Br. heißt es (S. 4): „Die feindlichen Flieger näherten sich der Stadt aus westlicher Richtung im Schutze einer ausgedehnten Gewitterwolke, aus der sie im Augenblick des Bombenabwurfs überraschend hervorstießen. Die Anzahl und Nationalität der Flugzeuge war nicht zu erkennen. Offenbar handelte es sich um französische Flugzeuge." Und der von der Stadt mit der Führung der „Tagebuchmäßigen Aufzeichnungen des Kriegsgeschehens" 7) betraute Schriftsteller K. W. Straub schreibt, die Meinungen darüber, aus welcher Richtung der Angriff erfolgte und wieviele Flugzeuge es waren, seien geteilt gewesen. In seinem Schreiben vom 5. Juni 1955 8) weist er darauf hin, daß sich in diesen Tagen kein Mensch in Freiburg über die Urheberschaft Gedanken gemacht habe, denn jeder sei davon überzeugt gewesen, daß es sich nur um feindliche Flugzeuge handeln . könne. Er habe daher auch keine Veranlassung gesehen, sich bei militärischen Dienststellen über den Sachverhalt zu erkundigen.
Welcher Aussagewert kann den beiden Tagebüchern zugesprochen werden? Hatten ihre Verfasser Kenntnis von den bei den militärischen Stellen eingegangenen Meldungen und bekamen sie Nachricht über das Ergebnis der eingeleiteten Untersuchungen? Nach Mitteilungen des Bürgermeisters 9) und des städtischen Verwaltungsdirektors 10) von Freiburg wurde die Stadt weder an den Untersuchungen beteiligt noch erhielt sie Kenntnis von deren Ergebnis. Der Luftschutzoffizier im Polizeipräsidium hatte vielmehr den Eindruck, daß die Wehrmacht auf die Wahrung ihrer alleinigen Zuständigkeit sehr bedacht sei. Sein Vorgesetzter, der Polizei-präsident von Freiburg, habe ihn mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß er sich um die Sache nicht kümmern solle, sie sei nicht die Aufgabe seines Ressorts
Darin liegen auch die Grenzen des Aussagewertes der beiden Quellen. Es bleibt daher zu prüfen, ob Berichte von Augenzeugen vielleicht mehr auszusagen vermögen. Die einen — meist handelt es sich um ehemalige Angehörige der in oder um Freiburg eingesetzten Flugmelde-, Luftwarnstellen und Flakeinheiten — stimmen darin überein, daßzur Zeit des Angriffs keine feindlichen Flugzeuge über dem Luftraum gesichtet wurden. Die anderen aber behaupten, feindliche Flugzeuge gesehen zu haben
Zu einem Teil gehen die Widersprüche in den Berichten sicherlich auf die seinerzeitigen Wetterverhältnisse zurück, die allerdings ebenfalls in den Aussagen umstritten sind. Glücklicherweise sind jedoch die Originalmeldungen der Wetterstation erhalten geblieben, so daß über diesen Punkt Klarheit besteht. Wir zitieren sie in Transskription, die uns vom Deutschen Wetterdienst zur Verfügung gestellt wurde
Danach meldeten am 10. Mai 1940:
Die Klimastation Freiburg i. Br. (Botanischer Garten):
1430: Temperatur 19, 8° C, Dampfdruck 9, 6 mm, Relative Feuchtigkeit 56 °/e, Nordwestwindstärke 4, 5/10 der Himmelsfläche mit Wolken bedeckt, Sonnenschein, kein Niederschlag seit 730.
Die Wetterwarte Flughafen Freiburg:
14’°: Dunstig, Sichtweite 10— 20 km, NW Wind Stärke 2, 4/10— 6/10 der Himmelsfläche mit Cumulonimbus bedeckt, Wolkenuntergrenze 1500— 2000 m über dem Meeresgrund.
1500 wie um 1430.
1530 wie um 14’°.
1600: Dunstig, Sichtweite 10— 20 km, Ostwindstärke 1, 7/10— 8/10 der Himmelsfläche mit Cumulus, Stratocumulus, Altocumulus bedeckt, Wolkenuntergrenze 1500— 2000 m über Grund.
Wenn nun der Himmel zu 7/10— 8/10 mit Wolken bedeckt war und die Wolkenuntergrenze bei 1500— 2000 m über Grund lag, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die anfliegenden Flugzeuge, die sich nach Ansicht der Mehrzahl der Zeugen in einer Höhe von ungefähr 2000 m oder mehr befanden
Mehr Gewicht dagegen haben zweifellos die Aussagen der Zeugen, deren besondere Aufgabe es war, auf Grund ihrer Ausbildung den Luftraum auf feindliche Flugzeuge hin zu beobachten und über die jeweilige Luftlage Meldungen durchzugeben oder aufzunehmen. Dies um so mehr, wenn sie Gelegenheit hatten, die Reaktionen und Maßnahmen kennenzulernen, die der Vorfall bei der Führung auslöste. Zu berücksichtigen sind vor allem die ehemaligen Angehörigen der Flugwache (Fluwa) auf dem Lorettoberg bei Freiburg und der in der Stadt befindlichen Luft-warnzentrale, die miteinander durch eine direkte Fernsprechleitung verbunden waren, wie auch des Flugwachkommandos (Fluko) in Donau-eschingen, bei dem auch Meldungen von anderen Flugwachen eingingen
Jedenfalls sagten die von uns befragten Zeugen einheitlich aus, daß sich zur Zeit des Angriffs keine feindlichen Flugzeuge über Freiburg befanden. Der diensttuende Flugmeldeposten auf dem Lorettoberg berichtet im einzelnen folgendermaßen
Vom seinerzeitigen stellvertretenden Kommandoführer der Luftwarnzentrale Freiburg wird — bereits in einer Erklärung vom 11. November 1947 — bestätigt, daß die Fluwa Lorettoberg, auch auf Nachfrage, deutsche und keine feindlichen Flugzeuge meldete
Einen Beweis dafür, daß die bei den Flugmeldestellen und in der Luftwarnzentrale damals vorliegenden schriftlichen Meldungen nur von deutschen und nicht von feindlichen Flugzeugen sprachen, liefert uns die Flak. Ihr hatte die Bevölkerung vor allem den Vorwurf gemacht, daß sie ihre Pflichten gröblichst verletzt habe. Wenn audt in der Flakgruppe Schwarzwald bereits unmittelbar nach dem Angriff Meldungen eingingen, nach denen die Bomben aus deutschen Flugzeugen abgeworfen wurden, so hielt es ihr Kommandeur wie auch der ihm unterstellte Kommandeur der schw. Flak Abt. 491 doch für richtig, die Sachlage im einzelnen zu überprüfen. Die Durchsicht ergab, daß nur eigener Flugverkehr festgestellt worden war
Es bleibt daher nur die Frage, ob vielleicht die von der Fluwa Lorettoberg durchgegebenen Meldungen unzutreffend waren und ob vielleicht beim Flugwachkommando in Donaueschingen auch andere Nachrichten vorlagen. Warum wurde von hier aus bei der Fluwa zurückgefragt, ob ihre Meldung richtig sei, da „man von deutschen Flugzeugen nichts wisse"
„Die Flugzeuge (Zahl konnte nicht genau ausgemacht werden)
wurden von der Flugwache (Freiburg?) ein paar Minuten vor dem Angriff in den Wolken über den Tunibergen kreisend beobachtet. Da ihre Nationalität und die genaue Zahl infolge häufigen Verschwindens hinter den Wolken nicht ausgemacht werden konnten, wurden sie als feindlich und mehrere (2— 3 nach Angabe des Flugmelders)
gemeldet. (Dies entspricht dem Reglement.
Über den Verbleib des oder der anderen Flugzeuge über den Tunibergen wurde nichts Weiteres festgestellt . . .
Deutsdte Flugzeuge waren zur Zeit des Angriffs im engeren Raum Freiburg nicht in der Luft. .
Obwohl dieser Bericht den Aussagen sehr gewichtiger Zeugen widerspricht, war es notwendig, seine Angaben zu prüfen, da der Verfasser für den taktischen Einsatz der Flugmeldeeinheiten im Luftgau VII verantwortlich war. Hat er vielleicht Nachrichten erhalten, die sonst unbekannt geblieben sind, und von welchen Stellen gegebenenfalls wurden ihm diese übermittelt
Bei unseren Überlegungen konnte die in Freiburg auf dem Lorettoberg stationierte Flugwache von vorherein ausscheiden, denn die von ihr vorliegenden Berichte sprechen gegen eine solche Möglichkeit. Vom Fluko Donaueschingen, bei dem auch von anderen Fluwas Meldungen eingingen, liegt eine Aussage vor, nach der die Meldung des Flukos „deutsche Flugzeuge kreisen über Freiburg“, und feindliche Flugzeuge seien nicht festgestellt worden, höheren Orts nicht gerügt wurde
An dieser Stelle dürfte es angezeigt sein, auch die Berichte wiederzugeben, welche von französischer und englischer Seite eingeholt werden konnten. Nah der Auskunft des Ministere de la Defense Nationale et des Forces Armees „Guerre", Etat-Major de l’Armee, 2eme Bureau vom 8. August 195 5 hätten französische Bombenflugzeuge vor der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1940 deutsches Gebiet nicht angegriffen und Marineflugzeuge nicht vor der Naht vom 13. zum 14. Mai. Beob-ahtungsflugzeuge waren den erhaltenen Mitteilungen zufolge an diesem Tag zwar eingesetzt, sie haben jedoh niht die Gegend des Ober-rheins überflogen. Der südlichste Punkt ihres Einsatzraumes war danah Weißenburg im nördlihen Elsaß
Richards’ Ausführungen widerlegen aber vor allem die These vom ruhlosen englishen Angriff, indem er auf Grund seiner eingehenden Forshungen feststellt, daß für den 10. Mai keine Operation gegen Freiburg i. Br. befohlen war und daß kein RAF-Flugzeug bemerkt wurde, das aus Versehen die Stadt bombardiert haben könnte. Die vorgeshobenen Kampfverbände der RAF, die ihren Standort in der Gegend von Reims hatten, griffen viermal während des Nahmittags Truppenkolonnen an, die über Ehternah nah Luxemburg vordrangen. Von englishen Flughäfen aus erfolgten Angriffe gegen die von deutshen Truppen besetzten Flugplätze Waalhaven und Ypenburg in Holland. Erst in der Naht vom 10. auf dem 11. Mai operierten neun RAF-Bomber von England aus gegen Verbindungslinien entlang der deutshen Grenze im Umkreis der Städte Geldern, Kleve und Wesel
Die Herkunft der Bomben
Unsere Ausführungen über die Luftlage haben gezeigt, wie weit auf dieser Basis ein Nahweis der Urheberschaft des Angriffs zu führen ist. Können uns vielleicht die in Freiburg aufgefundenen Blindgänger und Bombensplitter weiterhelfen? Shon 1940 wurden entsprehende Untersuchungen durchgeführt. So erhielt der Führer des Flugwahzuges in Freiburg vom Luftgaukommando den Befehl, im Benehmen mit dem Fliegerhorst die Bomben und Bombensplitter auf ihre Herkunft zu überprüfen. Die gemeinsam mit einem tehnishen Inspektor des Fliegerhorstes durhgeführte Untersuchung ergab, daß es sih um deutsche Bomben handelte. Nah telefonischer Durhgabe dieses Ergebnisses wurde von dem ausnehmenden Offizier befohlen, sämtlihe Angehörigen der Fluwa auf strengste Geheimhaltung dieses Sachverhalts zu verpflihten
Als die Sahe für den Luftgau eigentlih bereits erledigt shien, kam dann von Göring der Befehl, die Angelegenheit eingehend zu unter-suchen
Dieser Bericht ist aus zweierlei Gründen von Interesse. Vom Chef der Abteilung „Bomben“ im Technischen Amt des Reichsluftfahrsmini-steriums wissen wir nämlich, daß durch die eingeprägten Liefernummern an Bomben und Zünder die deutsche Herkunft sehr wohl festzustellen war
Es geht aus Zeugenaussagen hervor, daß die technische Untersuchung in den Händen des Generalluftzeugmeisters Udet lag. Er war es, der mit Göring über den Vorfall konferierte. Es ist weiter bekannt, daß die am späten Nachmittag des 10. Mai eingehende Meldung von dem Angriff auf Freiburg bei Göring zunächst heftige Erregung hervorgerufen hat. So soll er gesagt haben: „Dieser Feldzug fängt ja gut an. Die Luftwaffe und ich haben sich schwer blamiert — wie kann man dies vor dem deutschen Volke verantworten?“ Unverzüglich ordnete er daher eine kriegsgerichtliche Untersuchung bei den Kampfverbänden im Bereich des V. Fliegerkorps und eine eingehende technische Untersuchung zur Feststellung der Herkunft der Bomben an. Am Abend aber war die Stimmung vollkommen verändert. Der Chef Ic vermerkte das mit Verwunderung, denn er wußte, daß Göring derartige Pannen sonst sehr lange mit sich herumtrug. Als der Rundfunk am späten Abend in seinen Nachrichten von einem Angriff feindlicher Flugzeuge sprach, rieb sich der damalige Generalfeldmarschall hocherfreut die Hände. Im übrigen — so berichtet der ehemalige Chef Ic weiter — war den Tischgesprächen zu entnehmen, daß „die Tatsache fehlenden Nachweises von Bomben-und Zündersplittern auf die Herkunft der in Freiburg geworfenen Bomben die Sprachregelung bzw. Zweckmeldung eines französischen Luftangriffs auf Freiburg zuließ"
Jedenfalls wurde die Sache auch in den höchsten Führungsstellen sehr geheim behandelt. Es kam hinzu, daß die sich überstürzenden Ereignisse des Westfeldzuges genügend andere und seinerzeit als wichtiger betrach-. tete Fragen mit sich brachten. Selbst in dem kleinen Kreise um Göring wurde nicht offen darüber gesprochen
Den gleichen Eindruck gewann unser Zeuge nebenbei auch von dem Ergebnis der Untersuchung bei den fliegenden Verbänden. Ihnen und den Vorgängen, die sich im Zusammenhang mit dem Freiburger Luft-angriff dort abgespielt haben, wollen wir uns nun zuwenden. Zunächst sah es allerdings so aus, als ob unsere Nachforschungen hier zu keinem Erfolg führen würden. Sicher war nur, daß Freiburg im Angriffsstreifen des Kampfgeschwaders 51 lag. Dessen ehemaliger Kommodore hatte aber bereits in seiner Zuschrift an die „Marburger Presse“ vom 6. Dezember 1947 erklärt, daß bei den kriegsgerichtlichen Untersuchungen alle Besatzungen ausgesagt hätten, ihre Bomben über den befohlenen Angriffs-oder Ausweichzielen und nicht über Freiburg abgeworfen zu haben. Auch in einer mündlichen Unterhaltung mit ihm am 8. Dezember 1954 war darüber hinaus nichts in Erfahrung zu bringen
Die Befragung der fliegenden Verbände
Nun war aber Ende November 1954 in einer Reihe von südwest-deutschen Zeitungen
Weiter machte es eine Mitteilung der „Deutschen Dienststelle für Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ wahrscheinlich, daß jener in der Reportage erwähnte S., der angeblich für den Angriff verantwortliche Ketten-führer, am 10. Mai 1940 nicht zur III., sondern zur I. Gruppe gehörte
Inzwischen hatten allerdings mehrere wichtige Zeugen ausgesagt, daß es sich sicher oder wahrscheinlich um einen Fehlabwurf handle. So zitierte z. B.der Chef Ic im HQu des Ob. d. L. aus seinen tagebuch-artigen Aufzeichnungen: „Leider erfolgte während des Frankreichfeldzuges insofern ein Unglücksfall, als eine verirrte eigene Bombergruppe Freiburg mit einem französischen Ort bei schlechtem Wetter verwechselte und auf den dortigen Bahnhof Bomben warf.“ Außerdem wußte er zu berichten, daß auch Generalfeldmarschall von Greim — zu Beginn des Westfeldzuges Kommandierender General des V. Fliegerkorps — deutsche Flugzeuge als die Urheber des Angriffes bezeichnet hat
Wiederholt hatten wir bei unseren Unternehmungen den Eindruck, als bewegten wir uns im Kreise. Immer kam man wieder an einen Punkt, an dem man schon einmal war und an dem ein großes Fragezeichen stand. Erst nach einer mehr als halbjährigen Korrespondenz gelang es, aus diesem Kreis herauszukommen und Berichte einzuholen, die durch ihre konkreten Angaben sehr wesentlich zur endlichen Klärung des Vorfalls beitrugen. So erhielten wir Verbindung mit dem ehemaligen Kommandeur der III. Gruppe, der u. a. folgendes aussagte: „Bei der Vernehmung einer der jüngeren Besatzungen, deren Flugzeugkonunandant Leutnant S. (int späteren Feldzug gefallen) war, ergab sich sinngemäß das Folgender Ltn. S.: , Nach dem Start in Landsberg mußte ich verschiedentlich blind fliegen. Ich bin dabei offensidrtlich vom Kurs abgekommen. Als ich nach Flugzeitberechnung in der Nähe von Dijon sein mußte, hatte ich zwar streckenweise Bodensidtt, fand aber die Orientierung nicht wieder. Ich habe dann versdtiedentlich KursWedtsel gemadtt, um durch Wolkenlödier die Bodenorientierung wiederzufinden. Plötzlich tauchte vor mir eine größere Stadt mit einem Flugplatz auf, ich erkannte Dijon und habe um X Uhr meine Bomben auf den Flugplatz abgeworfen. Wirkungsbeobachtung war wegen Sichtbehinderung nidtt möglich. Nach Abwurf habe ich Kurs auf Landsberg genommen, zuerst teils wieder im Blindflug, dann unter den Wolken mit Boden-sicht.“ Die sich aus der Abwurfzeit X und der Landezeit Y ergebende Zeitspanne war so bemessen, daß sie unmöglich zu der direkten Flug-strecke Dijon-Landsberg reidtte, wohl aber paßte diese Zeitspanne gut zum Zurücklegen der Strecke Freiburg-Landsberg. Ein Vergleidt von Luftbildern der Flughäfen Dijon und Freiburg ergab zwar eine gewisse grobe Ähnlichkeit, Ltn. S. gab jedodt zu, daß der von ihm angegriffene Flugplatz auch der von Freiburg gewesen sein konnte. Jedenfalls konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, daß es Freiburg nicht gewesen war. Insbesondere aber die Zeitberedmung der Rüdiflugstrecke vom Bombenwurf an ließen Ltn. S. und mich zu der ersdtütternden Überzeugung kommen, daß Ltn. S. nach längerem Herumirren und Suchen die plötzlich vor ihm auftauchende Stadt Freiburg fälschlicherweise als die Stadt Dijon angesprochen hatte. Ltn. S. war fassungslos, als ihm diese Tatsache zur Gewißheit wurde
Der hier genannte Leutnant S.
Fassen wir diese drei Berichte zusammen, so ergibt sich, daß die Kette des Leutnants S. infolge schlechter Wetterlage den Anschluß an den übrigen Verband verloren und den Angriff am Nachmittag des 10. Mai allein geflogen hat
Dieses Untersuchungsergebnis, das sich in seinen entscheidenden Teilen ausschließlich auf Befragungen stützt, kann nun aber auch durch zwei Originaldokumente belegt werden, die in unserer Beweisführung die vielen, von Zeugen wiederholt geäußerten Zweifel, ob es überhaupt möglich sein werde, den Vorfall einwandfrei aufzuklären, beseitigen können. Wegen ihrer besonderen Bedeutung bringen wir sie im Wortlaut:
Geheime Kommandosadie!
Luftzeuggruppe 7 Mündten, den 16. Mai 1940 Az.: 74 b/Gr. IV/B Rechteckiger Stempel:
Nr. 480/40 g. Kdos. Luftgaukommando VII Zu.: Lgkdo. VII Nr. 17071 Eing.: 16. Mai 1940 geh. v. 13. 5. 40 Abtlg.
und 1c geh. V. 12. 5. 40. Nr. 2847 gkdos. [Itandschr. ] Betr.: Blindgänger in Freiburg. Anlagen An den Herrn Chef des Stabes im Luftgaukommando VII (m. 2 N. A.) München.
Die im Abdruck anliegende Meldung
Greiner durdtgegeben.
Von chffausgegrabenen Bombe befindet sich der Bombenkörper mit Zünder nodt in der Eindringungsstelle, während das zugehörige Leitwerk über Flugabwehrkommando Schwarzwald an die Luftzeuggruppe durch Ic Luftgau eingesandt wurde und sidi zurzeit bei Gruppe IV befindet.
Die zwisdienzeitlichen Feststellungen ergeben folgendes: Es handelt sidt bei der ausgegrabenen Bombe zweifellos um eine deutsche S C 50, die aus der L. Muna Schwabstadl stammt und auf den Fliegerhorsten Landsberg, Memmingen und Ledifeld ausgegeben wurde.
Nähere Angaben wie folgt:
1. Bombenkörper:
Mittelstück von zylindrisdier Form, von etwa 200 mm •; am vorderen Teil ist deutlidt sichtbar und fühlbar der Wulst vorhanden.
Die Länge von der Kopfspitze bis Bodenstüdt beträgt ca. 680 mm.
Das Mittelstück trägt auf der Mittellinie, Zündermitte und Aufhängeöse etwa 18 cm vom Boden entfernt das Zeidten der Füll-Firma, Monat und Jahr der Füllung (Km. 10. 38) und etwa 15 cm vom Boden entfernt den Abnahmestempel Wa. A. 636. Zwisdien Zünder und Aufhängeöse ist die Zahl 14 = eingegossenes Füllpulver 02 eingeschlagen.
Der Zünder ist ein El. A. Z. C. 50 (15) mit folgender Bezeichnung:
RH. S. 1938. 59. c. Diese Zeidten bedeuten: Der Zünder ist — 2 -— 2-
1938 bei der Firma Rheinmetall in Sömmerda angefertigt und gehört zur Rate c der 59. Lieferung.
Die Bezeichnungen des Bombenkörpers und des Zünders sind zeidtnungsgemäß angebracht (Foto unterwegs)
2. Leitwerk:
Das Leitwerk besteht aus Flußstahl mit 1 mm starken Leitwerksflächen.
Der Abnahmestempel (2 Adler mit den Nummern Wa. A.
597 und der Fertigungsfirma 4 K u. Co. 376 1938) ist nach der Zeidtnung richtig eingeschlagen.
Das Pfeifgerät
Anstalten nadigeforscht, wo an ein-und derselben Bombe das Pfeifgerät mit Nieten und Schrauben angebracht wurde. Daraufhin meldete nur die L. Muna Schwabstadl, daß auf den Fliegerhorsten Landsberg, Memmingen und L e c h f e l d Pfeifen, die ursprünglich alle mit Aluminiumnieten befestigt waren, durch unsachgemäße Behandlungsweise abgedrückt wurden.
Diese Pfeifen wurden dann von den vorangeführten Horsten nadtträglidi mit Schrauben befestigt.
3. Gründe für das Blindgehen:
a) entweder wurde das Zündschaltgerät nicht eingeschaltet (Bedienungsfehler);
es konnte deshalb der Zünder nicht aufgeladen werden, oder b) die Spannung der Batterie war zu nieder; sie genügte deshalb nicht mehr, die Zündvorrichtung des Zünders aufzuladen, oder c) beim Verladen der Maschine wurde der Ladestecker schräg auf den Zünder aufgesetzt, so daß der Ladestedter beim Fallenlassen der Bombe die Abwärtsbewegung (22mm) entweder nidit mitmachte und daher der Zünder nicht aufgeladen wurde, oder der Ladestecker, noch bevor der Strom in den Ladestedter kommt, abriß. In diesem Falle würde es sich um einen Bedienungsfehler beim Aufhängen der Bombe handeln. Wäre dies die Ursadte des Blindgehens, so müßte dies an der Maschine festzustellen sein (fehlender, verbogener oder beschädigter Ladestedzer), oder d) die Stromzuführungsleitung war durch Beschuß oder sonstige Beschädigung unterbrochen (Materialfehler). Dies müßte von der — 3 — -3 -der tedmisdien Leitung festgestellt worden sein. Es dürfte sonach notwendig sein festzustellen, welche Maschine Möglicherweise die fraglichen Bomben abgeworfen hat. 4. Maßnahmen der Luftzeuggruppe: Die in Freiburg noch vorhanden gemeldeten Bomben — insgesamt 10— 11 Stück, davon 3 am Funkturm— werden am Sonnabend, den 18 . 5. 40, 1600 Uhr ordnungsgemäß untersucht, ausgegraben und nach Muna Haid zur Aufbewahrung verbracht, so daß jederzeit eine genauere Untersuchung noch an Ort und Stelle möglich bleibt. 1 Anlage
In dem ersten Dokument finden wir alle für eine Identifizierung der Bomben notwendigen Angaben, die der Offizier, der die Untersuchung in der Luftmuna Haid zu führen hatte, vermißte
Wie uns der Chef des\ Stabes im V. Fliegerkorps versicherte
Wir haben am Anfang dieses Abschnitts gesehen, daß über das Unter-suchungsergebnis beim Kampfgeschwader 51 auch Aussagen vorliegen, die dem soeben geschilderten Sachverhalt widersprechen. Außer dem Kommodore des KG 51 berichtete auch der ehemalige Chef des Stabes vom V. Fliegerkorps, daß die Besatzungen bei den Vernehmungen einen Abwurf auf Freiburg in Abrede stellten
Für die Beantwortung der Frage, wie man sich diese Widersprüche in den Aussagen der einzelnen Zeugen zu erklären hat, wird es zweckmäßig sein, sich einmal die Situation zu vergegenwärtigen, die durch den Luftangriff auf Freiburg geschaffen wurde. Zweifellos konnte ein erwiesener Fehlabwurf einiger Flugzeuge, durch den 57 Menschen zu Tode kamen
Nach diesen Ausführungen kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß es sich bei dem Luftangriff auf Freiburg um einen Fehlabwurf deutscher Flugzeuge handelt und daß der wirkliche Sachverhalt damals absichtlich verschleiert wurde. Würde es noch eines weiteren Beweises bedürfen, so könnte er in dem folgenden gefunden werden. Wir wissen von der Aufregung, die der Vorfall bei Göring und seiner LImgebung hervorgerufen hat. Auch Hitler, der die erste Meldung, durch einen seiner persönlichen Adjutanten, vom Gauleiter Wagner erhalten hatte, war offensichtlich sehr aufgebracht und machte Göring „wegen der anscheinend nachlässig gehandhabten Luftwarnung“ heftige Vorwürfe
Die deutsche Propaganda
Tatsächlich hat aber die deutsche Propaganda den unglückseligen Irrtum eigener Flieger zu einem beabsichtigten Verbrechen des Gegners gestempelt. So sprach man in der DNB-Meldung von der „offenen Stadt Freiburg i. Br., die völlig außerhalb der eigenen Operationen liegt und keine militärischen Anlagen aufweist“, von den getöteten Zivilpersonen und davon, daß die Bomben auf die innere Stadt abgeworfen wurden. Und drohend setzte man hinzu: „Zur Vergeltung dieses völkerrechtswidrigen Vorgehens wird die deutsche Luftwaffe in derselben Weise antworten. Von jetzt ab wird jeder weitere planmäßige feindliche Bombenangriff auf die deutsche Bevölkerung durch die fünffache Anzahl von deutschen Flugzeugen auf eine englische oder französische Stadt erwidert werden
Es liegt auf der Hand, daß von dieser Einstellung nur noch ein kleines Stück Weges ist zu der aufgezeigten Behandlung des Falles Freiburg. Als Parallele bietet sich der Fall des englischen Passagierdampfers „Athema“ an, der am 3. September 1939 irrtümlicherweise von einem deutschen U-Boot versenkt wurde. 120 Menschen fanden dabei den Tod. Nach Aussage des Großadmirals Raeder im Nürnberger Hauptprozeß
Leider befinden wir uns im Falle Freiburg nicht in der gleichen Lage wie im Fall „Athenia", da uns der Zeuge, der — wie Raeder — mit Hitler über die Sache gesprochen hat, fehlt. Statt einer solchen Primär-aussage liegen uns nur zwei Sekundäraussagen vor, die verschiedene Deutungen zulassen. Nach der einen Aussage erfuhr Hitler erst von dem Sachverhalt, als die Version von einem feindlichen Angriff bereits veröffentlicht war
Es ist bezeugt, daß am späten Nachmittag des 10. Mai 1940 bereits eine sehr eindeutige Ic-Meldung vom Luftgau an den Chef Ic im HQ. d. ObdL. abging und durch diesen Göring vorgelegt wurde, der sie in großer Erregung aufnahm und eingehende Untersuchungen anordnete
Ic Mündten, den 10. 5. 40 Sonderineldung an Ob. d. L. Luftwaffeniibungsstab Ic Luftflottenkommando 3 Ic.
Betr.: Bombenabwurf Freiburg.
Sadiverkalt ist nodt nidtt geklärt.
Angeriditeter Schaden:
Polizeipräsident Freiburg teilt mit:
25 Tote in der Zivilbevölkerung, darunter 7 Kinder. Außerdem 24 Personen verletzt. Sadisdtaden nodt nidtt genau feststellbar. Einige Kraftwagen ausgebrannt, mehrere Pferde verletzt.
" Warnzentrale Freiburg meldet:
Gallwitz-Kaserne 4 Tote, 10 Schwerverletzte, mehrere Leichtverletzte. 3 Gebäude dieser Kaserne beschädigt, ebenso 3 Lkw.
Bismarkstraße Bahnüberführung getroffen, Breisacher Straße mehrere Tote in der Zivilbevölkerung. Bomben fielen längs Bahnlinie Freiburg-Breisach. Ferner 2 Einschläge in Siedlung Mooswald.
Es handelt sich vermutlich um eine Potez 63, die bei Lahr um 16. 00 Uhr über den Rhein zurückflog.
Bemerkung: Zeitlidt unmöglich.
Flughafen Freiburg meldet:
8— 10 kleine Lödter im Rollfeld, ohne Bedeutung, kein Sachschaden. Flugwache 14 Freiburg meldet:
15. 40 Uhr drei Eindecker, zweimotorig, hoch, 4— 8, He 111, 3000 bis 4000 m hoch, einwandfrei als He 111 P erkannt. Mit dem Fernglas war Balkenkreuz deutlich erkennbar.
15. 59 Uhr Flugplatz Freiburg bombardiert. Sofort nach Rauchentwicklung am Boden 2 Flugzeuge gesichtet im Reihenflug mit deutschen Hoheitsabzeichen. Balkenkreuz gut sichtbar mit'Fernglas. Während Sichtung der Flugzeuge sind Bomben explodiert. Versdtwinden Richtung 11— 1 in den Wolken. Auf einem Bombensplitter soll ein deutsches Abzeichen erkennbar gewesen sein.
Luftgaukommando VII Ic [handschr.: ] m.
[handschr. gez.: ] v. Donat Oberstleutnant. Nicht zu übermitteln
Verteiler:
Befehlshaber Chef la Qu Nafü Ic Entwurf.
Diese Meldung ließ wirklich keinen Zweifel zu und bot keine Möglichkeit mehr, in gutem Glauben von einem feindlichen Angriff zu sprechen. Wenn es eingangs heißt, daß der Sachverhalt noch nicht geklärt sei, kann dies nach den weiteren Angaben nur bedeuten, daß man sich einer verbindlichen Stellungnahme einstweilen enthalten wollte. Die einzige Meldung, die von einem französischen Flugzeug berichtet, wird von dem Ic ausdrücklich als „zeitlich unmöglich“ bezeichnet. Bei den deutschen Flugzeugen dagegen heißt es: „einwandfrei erkannt“, „deutlich erkennbar“ und „gut sichtbar". Die Aufregung Görings bei der Entgegennahme der Meldung ist daher nur zu verständlich.
Sicher ist ferner, daß am Abend desselben Tages beim Luftgau auch über die in Freiburg aufgefundenen Bomben Klarheit bestand. Wir besitzen zwar keine Bestätigung dafür, wann diese Meldung beim Luftwaffenführungsstab eingegangen ist, wir wissen aber, daß alle Mei-düngen jeweils umgehend nach oben weitergegeben wurden. Außerdem liegt eine Aussage vor, die über diese Frage hinaus von Interesse ist. Sie stammt von dem bereits mehrmals erwähnten Lageoffizier in der Ic-Abteilung des Luftgaukommandos, der Zeuge eines Ferngesprächs war, das sein Chef, Oberstleutnant von Donat, an jenem Abend mit dem Reichspropagandaministerium führte. Aus den Antworten Donats sei _ wie er betont — einwandfrei zu entnehmen gewesen, daß von seinem Gesprächspartnern der Versuch gemacht wurde, ihn „dahin zu beeinflussen, daß [die] Möglichkeit der Bombardierung durch französische Flugzeuge offen bliebe"
Der Sachverhalt ist damit " einwandfrei geklärt: die Bomben auf Freiburg wurden nicht von feindlichen Flugzeugen, wie die nationalsozialistische Propaganda behauptete