Mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernehmen wir aus der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" (Januar 1956) den folgenden Artikel von John C. Campbell:
Das Genfer Treffen der Regierungschefs hat ei neue Periode der internationalen Beziehungen eingeleitet. Nur die Zeit kann uns lehren, ob wir uns an der Schwelle der „Ära einer ruhig verlaufenden friedlichen Wandlung" befinden, wie Außenminister Dulles in seiner Ansprache an die Generalversammlung der Vereinten Nationen als hoffnungsvolle Möglichkeit angedeutet hat. Die Sackgasse, in die die kürzliche Konferenz der Außenminister geführt hat, sollte jeden unangebrachten Optimismus hinsichtlich einer baldigen Regelung der großen Probleme Europas dämpfen. Selbst angesichts dieser Tatsache werden vermutlich mancher Standpunkt über und manche Richtlinien für den Kalten Krieg, die bis jetzt das Leben unserer Diplomaten und Nachrichtenexperten vereinfacht haben, aufgegeben werden müssen. Es wird wohl zu einer Periode stärkerer Fluktuität in der Weltpolitik und periodischer, wenn nicht sogar ununterbrochener Verhandlungen mit der Sowjetunion kommen, trotz Molotows kürzlich demonstrierter Unnachgiebigkeit.
Die Spannungen des Kalten Krieges haben besonders bei den Völkern Europas eine große Sehnsucht nach ihrem Ende entstehen lassen. Die neuen sowjetischen Führer, geschmeidiger in ihrer Taktik als der alternde Stalin, haben verstanden, Vorteile aus dieser Sehnsucht zu schlagen und die Uneinigkeit und Schwäche des Westens auszunutzen. Sie treiben eine Politik, zu der auch unerwartete Konzessionen, wie zum Beispiel die Wendung in der Angelegenheit des österreichischen Vertrages gehören, eine Politik, die die Vereinigten Staaten im Grunde genommen dazu zwingt, die alten starren Positionen ihrer eigenen Politik aufzugeben und ernsthaft zu verhandeln, um die eigene Position in Europa zu behaupten und die westliche Allianz zusammenzuhalten. Ein anderer Faktor von außerordentlicher Bedeutung ist das Anwachsen der Atomkraft auf beiden Seiten bis zu einem Ausmaß, wo ein allgemeiner Krieg von Regierungen und Völkern als „undenkbar“ angesehen werden muß. Diese Entwicklung verstärkt nicht nur den Druck auf beiden Seiten, zu einem echten Abrüstungsabkommen zu gelangen, sondern verschiebt den Kampf auf eine andere Ebene, so daß ohne Lösung der schwebenden Probleme die Ursachen des Konfliktes beseitigt oder die Gefahren militärischer Aktionen, abgesehen von einem allgemeinen Krieg, verringert werden.
Die Vereinigten Staaten werden daher einer vielschichtigen Bedrohung entgegentreten müssen. Hierbei können sich auch unerwartete Chancen ergeben, da sowohl der kommunistische Block wie die freie Welt neuen Einflüssen und neuem Druck ausgesetzt sein werden. Es würde daher unklug sein, irgendein Problem oder Treffen als die Feuerprobe zu bezeichnen. Wenn es zu keiner Abmachung kommt, sind die Probleme noch vorhanden, und wir werden über sie verhandeln müssen. Diese Aussicht rechtfertigt die Suche nach Erfahrungsgrundsätzen aus früherer Zeit, vor 10 oder 12 Jahren, als auch alles im Fluß war und sich viele Möglichkeiten boten (die meisten sind vertan worden) und wiederholt Verhandlungen stattfanden: die letzten Jahre des zweiten Weltkrieges und die ersten „Friedens" monate. Die heutige Lage ist sehr verschieden von der Lage des Jahres 1944 oder 1945. Aber das Hauptproblem ist das gleiche: Wie können die Beziehungen mit der Sowjetunion auf eine Grundlage gestellt werden, die der Welt einen wirklichen Frieden zu versprechen scheint und zugleich unsere eigene Sicherheit garantiert?
Daß es in dieser früheren Periode mißlang, eine angemessene und stabile Regelung der europäischen Verhältnisse zu erreichen, war eine Tragödie, die um so schmerzlicher war, weil Amerikaner und andere Völker nach den großen Opfern des Krieges große Hoffnungen hegten. Als Folge tauschten hundert Millionen Europäer das Nazi-Joch gegen das sowjetische Joch, während die freien Länder Westeuropas zu verzweifelten Maßnahmen greifen mußten, um ihre eigene Unabhängigkeit zu schützen und zu verhindern, daß das Gleichgewicht der Kräfte sich noch mehr zu ihren Ungunsten verschob. An der Tragödie sind vor allem zwei Entwicklungen schuld: 1. Die Anwesenheit der sowjetischen Armeen in Osteuropa und in einem großen Teil Deutschlands, und 2. die Entscheidung der sowjetischen Führung, Macht und Kontrolle so weit vorzuschieben wie es die Umstände zuließen.
Es lag außerhalb des Möglichkeitsbereichs der amerikanischen Politik und Diplomatie, die beiden Entwicklungen zu ändern, ausgenommen in einem peripheren Sinne. Der Standort der sowjetischen Armeen im Endstadium des Krieges wurde durch die Geographie, die militärischen Entscheidungen und die Größe ihrer Siege bestimmt. Die Auffassung, die sie von ihren nationalen Interessen und der Marxistischen Lehre hatten, bestimmte den von den sowjetischen Führern eingeschlrgenen Kurs. Jetzt übertriebene Forderungen zu stellen, was die Vereinigten Staaten hätten tun sollen, ist ebenso wenig gerechtfertigt wie zu behaupten, daß ihre Vergangenheit über jede Kritik erhaben ist. Außerdem mußte es das Hauptziel der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion sein, die russische Kampfkraft so schlagkräftig wie möglich zu halten, bis Hitlers Niederlage gesichert war. Ein derartiges Ziel schloß das unvermeidliche Risiko ein, daß die Nachkriegs-Sowjetunion zur Bedrohung der Sicherheit der Welt werden konnte. Was wir uns fragen müssen, ist nicht, warum wir „den Frieden verloren haben“, nachdem wir den Krieg gewonnen hatten, sondern wie weit es die amerikanische Staatsführung durch Nachlässigkeit verschuldet hat, daß sie die Bedeutung dessen, was vorging, nicht begriff und daß sie nicht alle Möglichkeiten bei den Verhandlungen mit den Russen ausnutzte, um den Verlauf dieser Entwicklungen zu beeinflussen und die nachteiligen Wirkungen zu mildern.
Nur ein junger Bernhardiner
Unsere Unterlassungsund Instruktionsfehler in dieser Zeit lassen sich in drei allgemeine Kategorien einteilen: 1. Unfähigkeit, die sowjetische Politik richtig zu beurteilen; 2. Unvermögen, unsere eigenen Ziele klar zu definieren und sie beharrlich zu verfolgen und 3. Unvermögen, Militärmacht und militärische Entscheidungen mit politischen Zielen zu koordinieren. An der Fehleinschätzung der sowjetischen Ziele waren zum Teil die naiven Hoffnungen des Präsidenten und einiger seiner engsten Ratgeber schuld. Aber in vieler Hinsicht waren sie eigentümlicherweise das Produkt der psychologischen Atmosphäre der Zeit. Das amerikanische Volk hatte einen Weltkrieg gekämpft. Und in den Augen des Volkes und seiner Führer mußte dieser Krieg das Versprechen auf einen gerechten und dauernden Frieden enthalten, der auf den Sieg zu folgen hatte. Um diesen Frieden zu erreichen, war offensichtlich die Zusammenarbeit der großen alliierten Mächte erforderlich. Der Schritt von der Überzeugung, daß die russische Mitarbeit von ausschlaggebender Wichtigkeit war, zu der Annahme, sie würden mitarbeiten, war leicht getan. Schließlich hatte Präsident Roosevelt einige Kenntnisse der sowjetischen Geschichte, und es war ungefähr erst ein Jahr her, daß der sowjetische Pakt mit Hitler und der Angriff auf Finnland ihn selbst aufgebracht und erzürnt hatten. Aber sein „großer Friedensentwurf“ konnte nur in Zusammenarbeit mit den Sowjets verwirklicht werden, und er gab ihn nicht auf, ohne nicht einen wirklichen Versuch gemacht zu haben.
Anlaß zur Kritik ist nicht der Versuch — er mußte gewagt werden — sondern daß er so lange währte, und daß unberechtigte, wenn auch verständliche Hoffnungen die Ansichten der Regierungsvertreter über das, was die sowjetischen Führer sagten und was sie taten, beeinflußt haben. Zum Beispiel wurden Stalins sanfte Töne in Bezug auf den Kommunismus und seine Appelle an den russischen Nationalismus und an die Religion mehr im Sinne einer grundsätzlichen Änderung der Natur des sowjetischen Systems gedeutet, nicht nur als vorübergehende Konzession und Taktik zur Erlangung einer breiten Unterstützung für den Krieg. Viele in Washington haben bestimmt geglaubt, daß die sowjetische Regierung in ihrem eigenen Interesse alle verfügbare Energie auf den inneren Wiederaufbau nach dem Kriege verwenden und sie hierzu zufriedene Nachbarn und die Hilfe des Westens brauchen würde. Dieser Meinung fehlte es nicht an Logik, aber sie entsprach nicht Stalins Ansichten über die sowjetischen Interessen. Es war eine beliebte Theorie, daß die Teilnahme an den Kriegsanstrengungen einer Weltkoalitio. die Sowjetunion irgendwie „zivilisieren" würde, so daß sie sich nunmehr den allgemeinen Spielregeln der internationalen Gesellschaft anpassen würde. Der Präsident soll die Sowjetunion für einen großen und ungehemmten jungen Bernhardiner gehalten haben, der zur rechten Zeit erzogen und häuslich werden würde. Unglücklicherweise unterschätzte er die dem jungen Hunde angeborene Gleichgültigkeit gegen die Regeln des Hauses ebenso sehr wie seine eigene Fähigkeiten als Erzieher.
Einige der heutigen Analysen ähneln in fataler Weise denen aus der Zeit des Krieges. So wird behauptet, daß grundlegende Änderungen des Sowjetregimes im Gange sind, die die Aussichten auf echte Zusammenarbeit mit dem Westen erhöhen; daß das Sowjetregime einen wirtschaftlichen Zusammenbruch erleiden könnte und aus Furcht vor einem Atomkrieg und vor den internationalen Problemen, den Rückzug an der internationalen Front antreten müßte. Es könnte katastrophale Folgen haben, wenn die Politik ohne weitere Beweise auf solchen Theorien aufgebaut würde. Andererseits würde es ebenso katastrophal sein anzunehmen, daß keine Veränderungen stattgefunden haben oder stattfinden werden; daß über nichts verhandelt werden kann und der Konflikt unausweichlich ist.
Der neue „weiche Stil“ kann ein vorübergehendes taktisches Manöver sein, um den Westen zu verwirren und zu entzweien. Vielleicht ist es ein Versuch, die Situation in Europa zu stabilisieren, um sich auf Asien konzentrieren zu können.
Es kann sich auch um etwas Grundsätzlicheres handeln, um den Wunsch, von der Last und Gefahr des Kalten Krieges auf lange Zeit befreit zu sein, vielleicht sogar um den Wunsch nach einem wirklichen Abrüstungsabkommen. Diese Theorien müssen erst durch Fakten geprüft werden, bevor wir etwa eine von ihnen unseren Forderungen oder Konzessionen zugrunde legen und auf einem Wege fortschreiten, der sich als falsch erweisen könnte.
Beispiele der Selbsttäuschung
Während des Krieges ist den allgemeinen sowjetischen Erklärungen, wie zum Beispiel der Unterstützung „eines freien und unabhängigen Polen", oder eines „demokratischen Deutschland“ zu viel Glauben geschenkt worden, selbst nachdem es klar war, daß der Kreml genau das Gegenteil beabsichtigte. Der Bruch mit der polnischen Exilregierung, die Liquidierung der polnischen Armee in Rußland und die Bildung der „Union der polnischen Patrioten“ waren alles Anzeichen — frühe Anzeichen — eines Planes, ganz Polen einzustecken. Die sowjetische Haltung zum Warschauer Aufstand Mitte 1944 hätte keinen Zweifel an ihr lassen sollen. Auch der Zweck der Bildung des „Komitees Freies Deutschland“, in dem Deutsche, langjährige Kommunisten und sowjetische Agenten die führenden Posten innehatten, hätte völlig klar sein sollen. Die Bedeutung, die man den Dimitrows, Rakosis und Paukers als „bekannten Führern“
der osteuropäischen Völker gab, hätte sofort durchschaut werden können. Die sowjetische Politik war zu diesem Zeitpunkt vermutlich weder festgelegt noch geplant. Die sowjetischen Berechnungen mußten damals wie heute unbekannte Größen, u. a. auch die Bewegungen und Reaktionen des Westens in Rechnung stellen.
Aber die sowjetische Führung schlug einen Kurs ein, an dem sie so lange festhielt, wie es eben ging-Die falsche Auslegung des sowjetischen Stand-punktes über die Sicherheitsfrage ist ein anderes Beispiel für die Selbsttäuschung. Die sowjetische Regierung brachte ihre Forderungen auf Gebiete, Reparationen und auf „friedliche“ Nachbarn weitgehend im Namen der Sicherheit vor. Die westliche Meinung war bereit, die Legitimität der sowjetischen Sorge über eine eventuelle zukünftige Aggression anzuerkennen. Aber das offizielle Washington täuschte sich, wenn es glaubte, die sowjetischen Sicherheitsbedürfnisse, so wie Moskau sie sah, seien mit der amerikanischen Vorstellung von einer gerechten territorialen Regelung und von der Unabhängigkeit der osteuropäischen Nationen zu vereinen. Für Stalin war die Ausdehnung der sowjetischen Macht die einzige Sicherheitsgarantie.
Außerdem wird von der Befriedigung der „legitimen“ Sorge der UdSSR um ihre Sicherheit im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands geredet. Das ist das Grundprinzip des von den Westmächten ausgearbeiteten Vertragsvorschlages, den sie auf der Eröffnung der letzten Genfer Konferenz vorgelegt haben. Aber Moskaus Sicherheitsbedürfnisse werden, wie schon vor zehn Jahren ersichtlich gewesen ist, nicht durch Versprechen seitens Bundeskanzlers Adenauers oder der Westmächte befriedigt, sondern durch die Aufrechterhaltung und Ausdehnung seiner Herrschaft und die Aufbrechung jeder „feindlichen, ihm im Wege stehenden Blockbildung“, wie zum Beispiel der NATO. Die Vereinigten Staaten können auch weiterhin ihre Bereitwilligkeit erklären, einen allgemeinen europäischen Sicherheitsvertrag abzuschließen, als dem einzigen Mittel, den sowjetischen Vorschlägen zu begegnen und die deutsche und europäische Meinung zufriedenzustellen, daß alles Erdenkliche für die deutsche Einheit und für den Frieden getan worden ist. Aber sie sollte dann im vollen Bewußtsein der Tatsache handeln, daß die Sicherheit Europas auch weiterhin von den abschreckenden Wirkungen unserer Macht, von der Aufrechterhaltung der NATO und der Bereitwilligkeit der Sowjetunion selbst abhängt, Deutschlands Wiedervereinigung zu erlauben und Westeuropa vom Drucke zu befreien.
Während des ganzen Krieges wurde die amerikanische Einstellung zum sowjetischen Problem fast ausschließlich von militärischen Erwägungen und einem Mangel an Zusammenarbeit zwischen den damit befaßten Ministerien bestimmt. Während Uneinigkeit zwischen den höchsten Stellen die Arbeit des Außenministeriums behinderte, das weder besondere Hellsichtigkeit noch positive politische Empfehlungen für sich beanspruchen kann, muß doch festgehalten werden, daß ein großer Teil seiner Ansichten und seiner Arbeit über das sowjetische Problem, die bei den entscheidenden Verhandlungen hätten nützlich sein können, niemals bis zur „obersten Führung“
durchgedrungen ist. Heute verstehen wir es besser, Nachrichten und Politik innerhalb der Regierung miteinander zu koordinieren, besonders durch den Nationalen Sicherheitsrat. Präsident Eisenhower glaubt an den Wert der Zusammenarbeit eines ausgewählten Gremiums. Nichtsdestoweniger ist es gut, noch einmal auf das Risiko einer übertriebenen „persönlichen Diplomatie“ hinzuweisen. Jeder Präsident oder jeder Außenminister wird sich natürlich auf seine eigene Person und sein eigenes „Fingerspitzengefühl“ verlassen. Auf ihm ruht die Verantwortung, und in jeder besonderen Entscheidung kann er recht und seine „sachverständigen“ Ratgeber unrecht haben. Nichtsdestoweniger sind die Ent-Scheidungen über die sowjetische Politik, die zur Voraussetzung unserer eigenen Politik geworden ist, so wichtig, daß sie die besten „Beurteilungen" sein müssen, für die alle der Regierung verfügbaren Kenntnisse nutzbar gemacht werden sollten.
Die Tragödie von Jalta
Der zweite große Fehlschlag der Kriegsperiode war die Unfähigkeit der Vereinigten Staaten, eine klare Ansicht über die Ausdehnung ihrer eigenen Interessen in Europa zu entwickeln und diese Interessen mit Zielbewußtsein und Beharrlichkeit zu verfolgen. Die in der Atlantik-Charta und in späteren Erklärungen festgelegten „Friedensziele“ Amerikas sahen eine gerechte und stabile Regelung der territorialen Fragen, des wirtschaftlichen Aufbaus und eines in der Zukunft unbehinderten Handels und einer neuen . Weltsicherheitsorganisation vor, um den Frieden zu bewahren. Diese allgemeinen Ziele stellten keine adäquate Grundlage für konkrete Entscheidungen im Zusammenhang mit dem sich verlagernden Gleichgewicht der Kräfte in Europa dar. Obgleich die Umrisse dieses Problems klar vorauszusehen waren, verschlossen die amerikanischen führenden Politiker bewußt die Augen vor ihm. Außenminister Hull war nach seinen eigenen Worten im System der Einflußsphären und des Gleichgewichts der Mächte „mit allen seinen bedrohlichen Folgen tief verwurzelt". Unglücklicherweise bedeutete der sowjetische Entschluß, sich an einer Weltsicherheitsorganisation zu beteiligen, auf die der Präsident und er so überaus großen Wert legten, keineswegs den Anbruch der Herrschaft des Gesetzes und das Ende der Machtbeziehungen zwischen den Nationen. Zu Beginn des Krieges faßten der Präsident und Hull den Entschluß, alle territorialen Probleme und Einzelheiten der Nachkriegsregelung einem Friedensvertrag vorzubehalten. Sie hatten mehrere gute Gründe für diesen Entschluß, von denen nicht der geringste die Gefahr war, die den gemeinsamen Kriegsanstrengungen aus einem Streit über die Beute eines Krieges erwachsen konnte, der noch nicht gewonnen war. Wie Sumner Welles
Auf jeden Fall war es klar, daß die Entscheidungen nicht auf irgendeine hypothetische Friedenskonferenz vertagt werden konnten, als die sowjetischen Armeen erst einmal auf dem Marsche nach Westen waren. Die Russen würden die Entscheidung durch vollendete Tatsachen fällen. Doch als die Zeit kam, mit dem Kreml zu sprechen und zu verhandeln, hatten wir überhaupt keinen Standpunkt. Als auf der Moskauer Konferenz von 1943 die Sprache auf Polen und Jugoslawien kam, rief Außenminister Hull den Eindrude hervor, als seien die Vereinigten Staaten an Osteuropa nicht wirklich interessiert. Präsident Roosevelt überließ in Teheran Churchill die Last der Diskussion über diese Frage.
Die für die amerikanische Delegation in Jalta vorbereiteten Unterlagen haben bis in alle Einzelheiten die Bedrohung unserer Grundsätze und unserer Machtposition bewiesen, falls die Entwicklung in Osteuropa so weiter ging
Das in der Jalta-Erklärung über das befreite Europa proklamierte Ziel, den befreiten Staaten und den ehemaligen Feindstaaten bei der Errichtung provisorischer Regierungen auf breiter Basis und dann bei der Durchführung freier und ungehinderter Wahlen behilflich zu sein, war bewundernswert. Wie Professor Sontag in diesem Heft ausführte, hat es Amerika nicht nötig, sich für die Verteidigung solcher Grundsätze zu entschuldigen
Präsident Roosevelt machte in Jalta nicht den Eindruck auf Stalin, daß er genau Bescheid wußte über das, was die Russen auf dem Balkan schon angerichtet hatten. Obgleich das amerikanische Außenministerium über die Massenerschießungen von „Faschisten", die Deportationen und Verfolgungen nichtkommunistischer Gruppen und die vorsätzliche Demütigung offizieller Vertreter des Westens gut informiert war, die für das sowjetische und kommunistische Verhalten in jenen Ländern bezeichnend war, verzichtete es freiwillig darauf, diese Vorkommen dem amerikanischen Volk zu erzählen, um nicht „das Boot zu erschüttern“. Moskau konnte daraus seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen. Doch die amerikanische Regierung betrachtete die Erklärung und die Abkommen über Polen und Jugoslawien offensichtlich als eine ernst zu nehmende Grundlage, auf der eine sowjetisch-westliche Zusammenarbeit und die Freiheit der europäischen Nationen aufgebaut werden konnten, und nicht nur etwa als ein Instrument, um die Öffentlichkeit zu betrügen und einen westlichen Rüdezug zu decken, oder als ein Mittel, um die bösen Absichten der Sowjets zu enthüllen. Der Präsident war der Ansicht, daß Jalta alle während des Krieges zwischen England und Rußland zur Verteilung der Verantwortlichkeit getroffenen Absprachen ersetzen und nicht etwa bekräftigen würde. Infolgedessen war er tief bestürzt über Wyschinskys Diktat in Bukarest, Moskaus einseitige Auslegung des Abkommens über Polen und über die gleichzeitig eintreffenden beleidigenden Botschaften Stalins über die Verhandlungen zur Übergabe der deutschen Streitkräfte in Italien. Aber es waren die letzten Wochen seines Lebens, und es war verständlich, daß es ihm widerstrebte, öffentlich den augenscheinlichen Zusammenbruch aller seiner Hoffnungen zuzugeben.
Als dann ein neuer Präsident und später ein neuer Außenminister kamen, war eine Periode der Ungewißheit unvermeidlich. Da alle Anstrengungen darauf zielten, den Erfolg von San Franzisco sicherzustellen, wozu die sowjetische Mitarbeit notwendig war, verfiel die amerikanische Diplomatie in der Frage der osteuropäischen Regelung einer Art Lähmung, bis nach dem Siege über Deutschland unsere Abhängigkeit von der Roten Armee (ausgenommen im Osten nach unserer Ansicht) aufgehört hatte, wir aber noch eigene starke Streitkräfte in Europa besaßen und Truman „hart“ mit Molotow redete, Stalin aber änderte seine Politik nicht mehr. Potsdam, vermutlich die letzte Gelegenheit, änderte an den Verhältnissen in Osteuropa nichts, obgleich sich die Amerikaner für freie Wahlen stark machten. Wie in Jalta war der Druck zugunsten eines Abkommens, das die Fiktion der alliierten Einheit aufrecht erhielt, zu stark, um ihm widerstehen zu können. Als nach Potsdam die amerikanischen Streitkräfte in Europa dahinschmolzen, begann für die westliche Politik eine Periode der Kompromisse mit früheren Kompromissen, eines dauernden und nicht immer angenehmen Rüdezuges.
Die Vereinigten Staaten hatten in einem Zustand verschwommener Ungewißheit zwischen dem starken Beharren auf dem Prinzip der Selbstbestimmung und freien Wahlen in Osteuropa einerseits und einem „Realismus“ andererseits geschwankt, der anerkannte, daß dieses Gebiet von den Zentren amerikanischer Macht weit entfernt lag und die Angelegenheit in erster Linie zwischen England und Rußland geregelt werden mußte. Nadi dieser Theorie trafen hier die Lebensinteressen Englands und Rußlands aufeinander, und wir wären somit in der Lage, eine Art Vermittlerrolle zu spielen. Kein Kurs wurde beständig und konsequent verfolgt. Die Grundsätze blieben allgemein und waren in den sowjetisch besetzten Gebieten nicht durchführbar. Gleichzeitig bewirkten sie eine negative oder bestenfalls eine mißtrauische Haltung Amerikas gegenüber Churchills fast verzweifelten Versuchen, 1944 noch etwas aus dem Zusammenbruch durch direkte und besondere Verhandlungen mit Stalin und durch militärische Aktionen in Griechenland zu retten. Die Idee, eine vermittelnde Rolle zu spielen, ärgerte die Engländer nur. Stalin betrachtete seine beiden Verbündeten niemals als etwas anderes als die „angelsächsische Front“, obgleich die Amerikaner geflissentlich den Anschein zu vermeiden suchten, als hätten sie sich mit den Engländern gegen die Russen verschworen und sprächen alle Vorschläge schon vorher mit ihnen ab.
Bei einer Überprüfung dieser Periode müssen billigerweise die Zeitumstände und die Grenzen der amerikanischen Politik berücksichtigt werden. Die Vereinigten Staaten hatten ihre Isolationspolitik erst dann aufgegeben, als der Krieg sie dazu zwang. Die Regierung befaßte sich vorsichtig mit der Frage der Nachkriegsverpflichtungen, indem sie den Kongreß und die Öffentlichkeit auf die Teilnahme an einer neuen Welt-organisation vorbereitete, die den Völkerbund ersetzen sollte. Weder eventuelle amerikanische Garantien für die westeuropäischen Nationen noch weniger aber für die Völker Osteuropas, die unbedeutender und weniger lebenswichtig für die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu sein schienen als sie tatsächlich waren, wurden ins Auge gefaßt. Die Grundsätze der freien Wahlen und der nationalen Unabhängigkeit stimmten mit unseren Traditionen überein. Sie wären auch eine kluge Formel für eine Politik des cordon sanitaire gewesen, aber um sie durchzusetzen, mußten wir riskieren, mit Rußland zu brechen. Es war sinnlos, zu erwarten, derartige Grundsätze in Zusammenarbeit mit Stalin und seinem guten Willen verwirklichen zu können.
Die Deutschlandpolitik
Wenn Osteuropa in amerikanischen Augen vielleicht unbedeutend erschien, so war es Deutschland nicht: Deutschland war Hauptfeind und Schlüssel zur Regelung in Europa, umso auffallender das Unvermögen der Regierung der Vereinigten Staaten, zur rechten Zeit eine Politik für Deutschland auszuarbeiten und sie konsequent in Verhandlungen mit den anderen großen Alliierten durchzusetzen. Verwirrend war das fortgesetzte Festhalten des Präsidenten an der Idee der Teilung trotz der gegenteiligen Ansicht des Außenministers Hull und der meisten Ratgeber sowie der maßgeblichen Mitarbeiter des Außenministeriums. Die dauernde Teilung Deutschlands wurde erst auf der Jaltakonferenz durch die Regierungsführer grundsätzlich angenommen. Ihre Durchführung wurde einem Sonderausschuß in London anvertraut, der sich bis zu der Zeit der deutschen Kapitulation damit befaßte, als Stalin öffentlich die Idee der Aufteilung verwarf. Mittlerweile brachten ,, Morgenthau-Plan“ -Verwirrung und die von ihm hervorgerufenen interministeriellen Streitigkeiten die amerikanische Politik vom Thema ab und ließen die amerikanischen Unterhändler über die amerikanischen Ziele im Nachkriegsdeutschland in der entscheidenden Periode des dem Ende zugehenden Krieges ohne Anweisungen.
Man darf nicht vergessen, wie stark der Wunsch war, die Nation, die die Welt wieder mit dem Schrecken des Krieges überzogen hatte, zu bestrafen und eine Wiederholung für immer unmöglich zu machen. Doch war die „bedingungslose Übergabe" und Zerstörung der deutschen Macht keine Politik auf lange Sicht für Deutschland und für Europa. Tatsache bleibt, daß die Vereinigten Staaten keine Politik in Bezug auf das deutsche Gebiet und die zukünftige Rolle der deutschen Nation hatten, noch fanden sie in den Abmachungen über die Besatzungszeit einen Weg, diese Fragen einer zukünftigen Regelung vorzubehalten, indem sie sicherstellten, daß die Besatzungsmächte Deutschland als ein Ganzes behandeln würden. Das Potsdamer Abkommen sah eine „einheitliche Behandlung der deutschen Bevölkerung in ganz Deutschland, so weit durchführbar“ und die Behandlung Deutschlands als „einer einzigen wirtschaftlichen Einheit“ vor. Aber diese Abmachungen sind von den sowjetischen Behörden in ihrer Zone nicht beachtet worden. Das gleiche Abkommen gab Rußland freie Hand für die Forderung nach Reparationen von Ostdeutschland, erkannte die polnische Kontrolle bis zur Oder-Neiße und die Überführung von Millionen Deutschen ins restliche Deutschland an. Diese Abmachungen sind von den Sowjets nicht übergangen, sondern im Gegenteil „frei“ interpretiert worden.
Wenn es vorher zu festen Abmachungen über Deutschland gekommen wäre, wäre das Ergebnis in dem Augenblick, als die sowjetischen Streitkräfte die Herrschaft über Ostdeutschland antraten, vielleicht das gleiche gewesen wie heute. Wenn das zutrifft, dann gab es vermutlich zwei Wege, um zu vermeiden was geschehen ist: 1. Jedes Abkommen über die Besatzungszonen zu vermeiden und es dem Zufall zu überlassen, wo die verschiedenen alliierten Streitkräfte bei Kriegsende stehen und ob es über eine Auseinandersetzung wegen der Gebiete zu einem eventuellen Zusammenstoß mit den Russen kommen würde. 2. Nach einem Abkommen über eine gemeinsame Seite-an-Seite-Besatzung aller Besatzungsmächte in ganz Deutschland zu streben. Bei der ersten Alternative hätte man riskiert, die Russen am Rhein zu haben, was Anfang 1944, als man sich über die sowjetische Zone geeinigt hatte, wahrscheinlicher schien, als daß die Amerikaner und Engländer an der Oder sein würden. Die zweite Alternative, die eher einer Prüfung wert ist, ist tatsächlich vom Außenministerium 1944 ernsthaft erwogen worden, aber sie hätte wahrscheinlich für die Militärkommandeure unüberwindliche praktische Schwierigkeiten mit sich gebracht, und die Aufgabe, den Deutschen zu befehlen und sie zu überwachen, unerträglich verwirrt. Wenn auch der Westen damit einen Halt in Ostdeutschland gewonnen hätte, so würden andererseits sowjetische Soldaten an Rhein und Ruhr gekommen sein. Angesichts der negativen Haltung des Kriegsministeriums und in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit, daß die Sowjets niemals zustimmen würden, hat das Außenministerium auf diesem Vorschlag nicht bestanden.
Die Vereinigten Staaten hätten jedoch sehr wohl auf einer günstigeren Teilungslinie Deutschlands bestehen können. Die gegenwärtige Teilungslinie, die die sowjetische Zone von den westlichen Zonen trennt, ist von den Engländern vorgeschlagen und ohne Verhandlungen von Moskau angenommen worden. Wir hätten eine durch Berlin laufende Teilungslinie fordern können, um die Russen weiter nach Osten zu drängen und die Isolierung Berlins innerhalb der sowjetischen Zone zu vermeiden. Selbst ein schmaler westlicher Korridor würde die Blockade unmöglich gemacht haben, aber er ist nicht einmal vorgeschlagen worden.
Die an den Verhandlungen über die Zonen-einteilung teilnehmenden amerikanischen Diplomaten waren sich klar darüber, daß sie zur Grundlage der de-facto-Teilung Deutschlands werden konnte. Bis der Versuch gemacht worden war, eine gemeinsame Politik der drei Alliierten auszuarbeiten, konnten sie jedoch nur unter der Voraussetzung vorgehen, daß Deutschland als eine politische und wirtschaftliche Einheit behandelt werden würde. Wie wir gesehen haben, ist nicht einmal eine Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Ämtern der amerikanischen Regierung selbst erzielt worden. Und amerikanische Unterhändler sind kaum dafür zu tadeln, daß sie Deutschland vor der Möglichkeit einer de facto-Teilung nicht, koste es was es wolle, zu einer Zeit bewahrt haben, als vom Präsidenten der Vereinigten Staaten bekannt war, daß er eine dauernde Teilung Deutschlands in mehrere Staaten begünstigte.
Nach Potsdam wurde die Politik der Westmächte in Deutschland bestimmter und setzte weiteren sowjetischen Gewinnen ein Ende, eine durch die dauernde Anwesenheit der westlichen Streitkräfte in Westdeutschland ermöglichte Änderung der Lage. Werden Verhandlungen 'rute oder morgen die Möglichkeit eröffnen, nach zehn Jahren Sowjetisierung in den östlichen Ländern die Verhältnisse neu zu beginnen oder um-zuwandeln? Wir sollten die Möglichkeit nicht verneinen. Aber sie erfordert vor allen Dingen eine klare Konzeption über die Ziele und eine Strategie zu ihrer Durchsetzung.
Ein Versuch, diese Ziele genau zu definieren, die sich sowohl im Rahmen unserer gegenwärtigen als auch unserer zukünftigen Gesamtsituation halten müssen, überschreitet den Rahmen des Artikels. Die Ziele in Europa sind in großen Zügen vermutlich eine starke NATO, ein freies, vereintes, mit dem Westen verbündetes Deutschland und ein von der sowjetischen Herrschaft befreites Ostdeutschland. Jede Planung zu ihrer Erreichung muß den politischen Gegebenheiten Rechnung tragen. Sir Edward Grey’s geflügeltes Wort, daß Ereignisse Diplomatie machen anstatt Diplomatie Ereignisse, ist zwar unrichtig, birgt aber eine wichtige Lehre.
Wir hab: n 1944 festgestellt, daß unsere Versuche, die Dinge auf diplomatischem Wege zu lösen, hinter den Ereignissen hinkten, daß die volle Kontrolle der Sowjets über den Ablauf der Ereignisse ein bestimmender Faktor für die Art der Verhandlungen und die Form der Abkommen gewesen ist, und daß die Vereinigten Staaten zu einer Diplomatie der Kompromisse und Rüdezüge gezwungen worden sind, um „realistisch" zu sein. Unsere Versuche, Abmachungen am Konferenztisch zu treffen, sollten daher von gleichen Bemühungen an Ort und Stelle begleitet sein. Wir können zum Beispiel nicht erfolgreich über die deutsche Einheit verhandeln, wenn die politische und wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik nicht stark und fest bleibt und wir nicht von den Deutschen selbst unterstützt werden. Wenn nicht, bauen wir auf Sand. Wenn die sowjetische Herrschaft in Ostdeutschland und den Satellitenländern Schwierigkeiten begegnet und wachsendem Druck ausgesetzt ist, dann dürfte die sowjetische Verhandlungsposition schwächer werden.
Außerdem sollten wir nicht in die Falle gehen und Verhandlungen über allgemeine Feststellungen führen. Wir sollten der Welt unsere eigenen Grundsätze verkünden, aber uns zu ihrer Erfüllung nicht darauf verlassen, daß die Sowjets an neuen „Jalta-Erklärungen“ festhalten. Es würde dann keine Entschuldigung für uns geben, über einen Vorschlag zur deutschen Einheit enttäuscht zu sein, wie ihn Molotow in Genf vorgebracht hat und der dem Jaltahandel über Polen ähnelte. Jede sinnvolle Regelung muß genau formuliert sein, und darf nicht reelle Vorteile gegen Versprechen eintauschen und muß im Falle einer sowjetischen Verletzung eine entsprechende Wiedergutmachung versprechen. Hier liegen die Vorzüge eines Planes, der die deutsche Einheit und ein europäisches Sicherheitssystem schrittweise vollziehen soll. Ein europäischer Sicherheitsvertrag allein, egal ob in der Art wie ihn die Sowjetunion vorgeschlagen hat oder in irgendeiner anderen allgemeinen Formulierung, wäre bedeutungslos und möglicherweise sogar gefährlich, weil er die europäischen Völker täuschen, die Bande der NATO schwächen und den Sowjets freie Hand geben könnte, sich an anderer Stelle einzumischen.
Das Lächeln der Cheshire Katze
Hätten wir während des Krieges bei vielen Gelegenheiten eine klarere Vorstellung von unseren politischen Zielen und von der Rolle gehabt, die die militärische Macht zu ihrer Durchsetzung zu spielen hatte, dann hätte der Westen vermutlich eine viel bessere Position erreicht als am Ende der letzten Kriegskonferenz in Potsdam. Diese Schlußfolgerung stützt sich natürlich nur auf Spekulation. Außerdem handelte es sich in den meisten Fällen um Entscheidungen, in denen zwangsläufig auf die Militärstrategie oder vorangegangene Verpflichtungen großes Gewicht gelegt werden mußte ohne Rücksicht auf die politischen Faktoren. Aber es lohnt sich darüber nachzudenken, was gewesen wäre, „wenn".
Die Entscheidung gegen einen Feldzug über Triest nach Wien oder Budapest, die 1944 auf Grund nicht überzeugender militärischer Beweggründe und aus Loyalität gegenüber der mit Stalin in Teheran verabredeten großen Strategie gefällt worden ist, hat die einzige Hoffnung vernichtet, der Besetzung des mittleren Donau-gebietes durch die Sowjets zuvorzukommen. Der Präsident schlug tatsächlich vor, die Meinungsverschiedenheiten, die er und Churchill über den Punkt miteinander hatten, Stalin zur Entscheidung zu unterbreiten. Als es mißlang, 1944 einen Waffenstillstand mit Bulgarien, das sich nicht im Kriege mit der Sowjetunion befand, vor Ankunft der sowjetischen Truppen an der Grenze zu schließen, wurde das Land den Sowjets überliefert und den Westmächten die Möglichkeit genommen, die Linie an der Donau anstatt an der nördlichen Grenze Griechenlands zu ziehen.
Der Entschluß, 1945 durchzustoßen und Prag zu befreien, anstatt absichtlich den Russen diese Ehren zu überlassen, würde ungeheuren symbolischen und politischen Wert gehabt haben, selbst wenn sich das Schicksal der Tschechoslowakei dadurch nicht geändert hätte. Die Entscheidung, die amerikanischen Streitkräfte zurückzuziehen, die am Kriegsende einen beträchtlichen Teil der sowjetischen Zone Deutschlands besetzt hatten, brachte den Westen um sein bestes Handels-objekt, die Russen zu zwingen, ihren Verpflichtungen gegenüber Deutschland und Osteuropa nachzukommen. Obgleich man sich über die Zoneneinteilung schon verständigt hatte, war es grotesk, so eilfertig gegen unsere Interessen das alte Abkommen zu einem Zeitpunkt zu erfüllen, als die Russen das kürzlich abgeschlossene Jalta-abkommen schon zerrissen hatten und vollen Nutzen aus ihren eigenen militärischen Vorteilen zogen. Außerdem schädigte die Auslieferung von Personen, die sich unter unserem Schutz glaubten, an die sowjetische Regierung sowie die zwangsweise Repatriierung von Sowjetbürgern in nicht wieder gut zu machender Weise das Prestige und den guten Namen Amerikas. Dann kam die katastrophale Demobilisierung amerikanischer Streitkräfte in Europa. Als wir erst damit angefangen hatten, wurden unsere papier-nen Proteste auch nur noch als Papier gewertet.
Die Lehre von den engen Zusammenhängen zwischen Politik, Diplomatie und Macht scheint begriffen worden zu sein, obgleich sie sowohl vom Kongreß als auch von der Öffentlichkeit und der Regierung verstanden werden muß. Die Machtverhältnisse sind nicht mehr die gleichen wie 1944 bis 1945, als sich die Armeen auf dem Vormarsch befanden und das Vakuum füllten, das die besiegten Achsenmächte hinter sich gelassen hatten. Sie sind fester und starrer, weil beide Parteien in schweigender Anerkennung des Eisernen Vorhanges als militärischer Grenze rechts und links von ihm bewaffnete Kräfte aufgebaut haben. Aber sie sind nicht statisch oder durch nationale oder internationale Politik unbeeinflußbai. Die Vereinigten Staaten müssen ihre Macht aufrechterhalten, und zwar überall und in Europa, um die Feinde davon abzuhalten. Gewalt anzuwenden und um ihre Diplomatie zu unterstützen. Gleichzeitig muß ihre Diplomatie sorgfältig die Wirkungen der verschiedenen Vorschläge — wie z. B. Verringerung oder Abzug der sowjetischen und westlichen Streitkräfte aus Deutschland oder Rüstungsbeschränkungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges — mit ihrer Machtposition abstimmen. Vielleicht können wir auf einen Handel eingehen, der für beide Seiten ungefähr die gleichen Auswirkungen hat, vorausgesetzt, daß die politischen Folgen annehmbar sind.
Offensichtlich wird die reine Massierung von Militärmacht der amerikanischen Diplomatie nicht den Erfolg sichern. Der Besitz vernichtender Zerstörungsmittel durch die Vereinigten Staaten wird weder Deutschland einigen noch Osteuropa die Befreiung bringen. Abgesehen von einem mit dem wahrscheinlich nicht zu rechnen ist, ist jedoch militärische Macht notwendig, um die Sicherheit der freien Welt zu gewährleisten. Ohne militärische Macht gibt es keine Hoffnung auf erfolgreiche politische und diplomatische Schachzüge, um das gegenwärtige Gleichgewicht der Kräfte zum Vorteil der freien Welt zu verändern.
Eine weitere nützliche Lehre gibt die Art und den Zeitpunkt der Positionen an, die wir in Verhandlungen einnehmen sollen. Die Gefahr, zu einem schlechten Abkommen gedrängt zu werden, nur weil wir uns nicht der Reaktion der Öffentlichkeit über ein nicht mehr zustande-gekommenes Abkommen aussetzen wollen, ist ohne weiteres ersichtlich. Da wir außerdem gesehen haben, wie töricht es ist, solange keine feste Position zu beziehen, bis sie hoffnungslos verloren ist, sollten wir uns bewußt sein, wie gefährlich es ist, in der Defensive zu bleiben und zuzulassen, daß die Verhandlungen auf Gebiete beschränkt werden, wo die Verwundbarkeit des Westens ausgenutzt werden kann. Deshalb sollten wir bei Verhandlungen über Europa über ganz Europa reden, über Rußlands Satelliten ebenso gut wie über Deutschland und die NATO. Glatte Forderungen nach freien Wahlen in Osteuropa, die nur in eine unproduktive Sackgasse führen können, sind jedoch nicht der beste Weg. Besser ist es, andere Gelegenheiten auszunutzen wie die stärkeren Ost-West-Kontakte, die Vorschläge über einen beiderseitigen Rückzug der Streitkräfte und über regionale Rüstungsbeschränkungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges, wodurch die Tür zu weitreichenden Entwicklungen aufgestoßen werden kann.
Schließlich sind auch gewisse Imponderabilien wie die öffentliche Einstellung und die „Atmosphäre" zu beachten. Es ist nicht gut, daß die sowjetischen Sprecher fortgesetzt dasEnde des kalten Krieges verkünden, obgleich sie in Genf nichts zugestanden und den Krieg auf neue Gebiete ausgedehnt haben. Wir können mit periodischen Veränderungen des sowjetischen Kurses rechnen je nachdem, ob die Sowjets Vorteile auf diese oder jene Weise zu gewinnen trachten. Die amerikanische öffentliche Meinung neigt dazu, sich durch Phänomene wie das Lächeln und die Kameradschaft des „Gipfel" -Treffens, die laut verkündeten Verringerungen der bewaffneten Streitkräfte und die freundlichen Landwirtschaftssachverständigen beeinflussen zu lassen, die sich ihren Weg durch die von den Kirchen in Iowa veranstalteten Essen hindurch bahnten, gerade so, wie sie von der steinernen Hartnäckigkeit Molotows beeindruckt ist. Die in solchen Reaktionen liegenden Risiken können nur durch eine bessere Informierung der Öffentlichkeit und eine Politik ausgeschaltet werden, die nicht durch jedes sowjetische Manöver ins Schwanken gerät. Im vergangenen Jahr hat die amerikanische Regierung und das Volk Amerikas eine unvernünftig hoffnungsvolle Haltung eingenommen, die durch die Rückwirkung auf die damaligen Verhandlungen schließlich mehr den sowjetischen als den amerikanischen Interessen gedient hat. Regierung und Volk sollten den lächelnden Genfer Geist nicht nur oberflächlich betrachten; denn er könne verschwinden wie die Cheshire Katze, um als grinsendes Gespenst von Jalta wieder aufzutauchen