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Wo steht England heute? | APuZ 18/1956 | bpb.de

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APuZ 18/1956 Wo steht England heute? Das öffentliche Informationswesen der Sowjetzone Deutschlands

Wo steht England heute?

G. F. HUDSON

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernehmen wir aus der englischen Zeitschrift „THE TWENTIETH CENTURY" (April 1956) den folgenden Artikel von G. F. Hudson:

Bei den letzten Parlamentswahlen stimmten viele Wähler in England für die konservative Partei eigentlich in erster Linie im Vertrauen auf Sir Anthony Eden's außenpolitische Fähigkeiten. Man hatte irgendwie das Gefühl, daß England in der schwierigen und gefährlichen internationalen Lage, der es sich gegenübersah, nicht nur einen fähigen Außenminister, sondern auch einen Ministerpräsidenten brauchte, der durch seine Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten dazu befähigt sein würde, die Regierungsgeschäfte sowohl der Innen-wie der Außenpolitik kraftvoll und erfolgreich zu leiten. Weder Mr. Attlee noch irgendein anderer präsumptiver Nachfolger im Führungsamt der Labourparty schien im Sinne des eben Gesagten so qualifiziert für die bevorstehenden Aufgaben zu sein wie Sir Anthony Eden.

Dennoch ist bis heute die Amtsperiode von Ministerpräsident Eden durch eine ernste Verschlechterung der internationalen Stellung Großbritanniens und durch eine Reihe von Demütigungen ohne Beispiel gekennzeichnet. Teilweise lassen sich die negativen Entwicklungs-Trends vielleicht auf Umstände und Maßnahmen anderer Länder zurückführen, die auch der weiseste unter den Staatsmännern Englands nicht hätte verhindern können. Auf der anderen Seite ist die Entwicklung zum Negativen in einem solchen Ausmaß ganz deutlich das Resultat der von der britischen Regierung befolgten Politik, daß die ernstesten Zweifel in die Fähigkeit Edens wachgerufen werden müssen, die Außenpolitik unseres Landes in einer Zeit zunehmender, lebensbedrohender Gefahren zu lenken. Es ist somit an der Zeit, die Bilanz der Lage zu ziehen und den Versuch zu machen, die Fehler der britischen Außenpolitik in den letzten Monaten zu analysieren. Daß sehr ernste Fehler gemacht worden sind — darüber kann man heute kaum noch länger im Zweifel sein.

Die Probleme, die die Politik der britischen Regierung in den letzten acht Monaten zu bewältigen hatte, ergaben sich in erster Linie aus den Schachzügen der Sowjetunion auf dem Gebiet der internationalen Politik seit der „Gipfelkonferenz" der Regierungschefs im vorigen Sommer.

Angesichts der Tatsache, daß sich durch vorhergehende diplomatische Fühlungnahmen keine Fortschritte in Richtung auf irgendwelche klaren Übereinkünfte erzielen ließen, war man damals auf westlicher Seite an die Planungen für diese Gipfelkonferenz in der ganz bewußten Absicht herangegangen, daß es sich um ein allgemeines Abtasten der Lage, und nicht um einen Abschluß formeller Verträge handeln sollte.

Man wollte, daß sich die „Großen Vier" auf Direktiven einigten, die dann an die Außenminister weitergcleitet und von diesen in die Form detaillierter Abkommen umgewandelt werden könnten. Auf diese Weise hoffte man eine Situation zu vermeiden, in der die Gipfelkonferenz entweder erfolglos abgebrochen, oder aber im Stile von Jalta und Potsdam in übereilte und schlecht vorbereitete Entscheidungen hinein-manövriert werden würde. Wie sich die Dinge dann tatsächlich entwickelten, war die Konferenz in dem Sinne ein Erfolg, daß die versammelten Staatsmänner und Beamte, ohne feste Vereinbarungen abschließen zu müssen, freundschaftliche persönliche Beziehungen pflegen konnten, die genügend Publizität erhielten, um ein allgemeines Gefühl der Entspannung zu schaffen. Triumphierend gab der britische Außenminister nach seiner Rückkehr von der Konferenz bekannt, daß es „keinen Krieg geben würde“. Überall in England, aber auch in Amerika, herrschte das Gefühl vor, daß man einen gewaltigen Schritt nach vorne in Richtung auf eine Beilegung der großen Konflikte zwischen den Westmächten und Rußland getan hatte. Es wurde sogar zur Mode, von dem Kalten Krieg nur noch im Imperfekt zu sprechen.

Alles hing jedoch davon ab, ob sich der scheinbar an den Tag gelegte „gute Wille“ der Gipfelkonferenz auf der Zusammenkunft der Außenminister im Oktober in eindeutige Abmachungen, insbesondere über die Frage der deutschen Wiedervereinigung, umsetzen lassen würde. Darüber hinaus hing alles davon ab, ob Rußland nunmehr aufhören würde, die internationalen Spannungen weiter durch strategische und diplomatische Schachzüge außerhalb der beiderseits abgegrenzten Interessenssphären zu verschärfen. Die letzten Monate des Jahres 1955 gaben eine Antwort auf die Frage, wie ernst es die sowjetische Regierung mit ihrem vorgegebenen Wunsch nach einer Verringerung der internationalen Spannungen meinte. Während und nach der Oktoberkonferenz der Außenminister hielten die Russen nicht nur im krassen Gegensatz zu dem Geist der „Gipfel-Direktive“ ihre frühere Unnachgiebigkeit in der Frage der deut-sehen Wiedervereinigung aufrecht, sondern legten sich noch mehr auf das ostzo ial Regime in Deutschland fest. Gleichzeitig — genauer genom-men etwas früher — brachten sie das prekäre, von den Westmächten im Nahen Osten herbeigeführte arabisch-israelische Gleichgewicht durch Waffenlieferungen durcheinander, und zwar an ein Land, (Ägypten) das erklärte, sich im Kriegszustand mit Israel zu befinden. Um schließlich ihre Politik der böswilligen Brunnenvergiftung am deutlichsten zu demonstrieren, unternahmen dann Chruschtschow und „sein“ Bulganin eine Reise durch drei asiatische Länder, in deren Verlauf Chruschtschow nicht nur Groß-Britannien in einer für solche diplomatischen Besuche noch niemals dagewesenen, verleumdenden Weise angriff, sondern auch örtliche Konflikte durch ein Aufhetzen Indiens und Afghanistans gegen Pakistan verschärfte.

Rußland, Advokat der arabischen Sache

Inhalt dieser Beilage

Diese Entwicklung stellte die britische Regierung vor die Notwendigkeit wichtige Entscheidungen über die Richtlinien ihrer gesamten Politik zu fällen. Wie sollte man dieherausfordernden Schachzüge der Sowjetunion beantworten? Wie sollte man insbesondere der neuen Gefahr eines von Rußland geschürten, arabisch-israelischen Krieges begegnen, und wie sollte man sich in der Frage des im Frühjahr 1956 fälligen Besuches von Chruschtschow und Bulganin verhalten, zu dem die britische Regierung auf der Gipfelkonferenz eingeladen hatte, als ein neues Klima des guten Willens geschaffen worden zu sein schien? Durch eine Analyse der Politik der britischen Regierung in Bezug auf diese beiden, entscheidenden Probleme werden sich die charakteristischen Züge der Diplomatie Edens mit allen ihren Gefahren für die lebenswichtigen Interessen Groß-Britanniens am besten aufzeigen lassen.

Die russisch-tschechischen Waffenlieferungen an Ägypten bedeuten in Verbindung mit Moskaus Diplomatie einer offenen Feindschaft gegenüber Israel zwangsläufig das Ende der bis dahin von den angelsächsischen Mächten befolgte Politik, im Nahen Osten durch eine Begrenzung der Waffenlieferungen sowohl an die arabischen Länder wie an Israel eine „balance of power“ aufrechtzuerhalten. Die neue russische Politik mußte mit größter Wahrscheinlichkeit zu zwei weitreichenden Konsequenzen führen, es sei denn, man entschloß sich auf westlicher Seite zu wirksamen Gegenmaßnahmen: Einmal mußten die arabischen Staaten, die ohnehin Israel schon an Größe und Bevölkerungszahl weit überlegen waren, durch den von der Sowjetunion betriebenen Ausbau ihrer militärischen Stärke in ihren Hoffnungen auf die Chance ermutigt werden, ihr Ziel der Vernichtung Israels erreichen zu können. Dadurch aber mußte ein arabisch-israelischer Krieg beinahe unvermeidlich werden. Zum zweiten führte die russische Politik der aktiven Unterstützung der arabischen Staaten gegen Israel dazu, daß sich diese Staaten allmählich von GroßBritannien und den Vereinigten Staaten — (letztere versuchten im arabisch-israelischen Konflikt neutral zu bleiben) — entfremdeten und mehr in den russischen Machtbereich hinübergezogen wurden. Die Westmächte konnten sich nun nicht länger darauf beschränken, einfach beiseite zu stehen und den Dingen ihren Lauf zu lassen, und zwar vor allem deshalb nicht, weil GroßBritannien durch den britisch-jordanischen Vertrag und durch den Bagdadpakt schon zu sehr im Nahen Osten engagiert war, als daß es sich aus einem arabisch-israelischen Krieg würde heraushalten können. Hinzu kam, daß Rußland als der Advokat der arabischen Sache siegreich auf dem Felde der Auseinandersetzung bleiben mußte, wenn Groß-Britannien seine Verantwortung für diesen Raum völlig preisgab.

Zwei Alternativen

Groß-Britannien mußte daher eine schwerwiegende Wahl zwischen zwei Alternativen treffen: Entweder konnte die bestehende Dreimächte-Erklärung über die Demarkationslinie in Palästina durch ein klares und endgültiges Versprechen bekräftigt werden, militärische Maßnahmen gegen denjenigen zu ergreifen, der sich einer ernsten 'militärischen Agression schuldig machen würde. Dies würde bedeutet haben, daß sich die Araber — mochten sie soviel aufrüsten wie sie wollten — nicht der Hoffnung eines Angriffes auf Israel hingeben konnten, ohne dadurch automatisch in einen Kriegszustand mit den Westmächten verwickelt zu werden, hinter diesen Umständen hätten es die arabischen Staaten daher in ihrem eigenen Interesse vorziehen müssen, mit Israel auf der Basis des territorialen Status quo eine Übereinkunft zu erzielen. Eine solche britische Politik barg das Risiko in sich, daß die arabische Verärgerung über die Haltung der Westmächte mindestens vorübergehend zu einer Verstärkung der pro-russischen Tendenzen in der gesamten arabischen Welt führen würde.

Die einzige echte Alternative bestand aber darin, daj die Westmächte die arabischen Staaten aktiv gegen Israel unterstützen und mit Ruß-land in einen Wettbewerb um die Förderung der arabischen Sache eintreten würden. Da aber die Juden Palästinas entschlossen waren, ihr neuerworbenes Land nicht kampflos auf den Status eines Ghettos reduzieren zu lassen, hätten die Westmächte logischerweise schließlich entweder bereit sein müssen, die Araber in einem Angriffskrieg gegen Israel zu unterstützen, oder aber ihrerseits Israel in eine Unterwerfung unter die arabischen Forderungen zu zwingen.

Dieser zweiten Alternative stand und steht jedoch der schwerwiegende Einwand entgegen, daß die Westmächte eine solche Politik niemals bis zur letzten logischen Konsequenz durchführen könnten. Den westlichen Demokratien ist es auf Grund der fundamentalen Prinzipien ihrer Einstellung zu internationalen Fragen versagt, eine „Realpolitik" dieser Art erfolgreich durchzuführen. In den dreißiger Jahren z. B. konnte die Politik der britischen Regierung nicht dadurch Italien von Deutschland loslösen, daß sie Mussolinis Absichten gegen Abessinien stillschweigend duldete, da die öffentliche Meinung in England das Hoare-Laval-Abkommen ablehnte, sobald seine einzelnen Bestimmungen öffentlich bekanntgegeben worden waren. Rußland wird stets bereit sein, in dem „Bieten" um das antiisraelische Championat höher zu gehen als die Westmächte. Eine Regierung, die ganze Nationalitätengruppen des eigenen Landes durch Massendeportationen liquidiert und eine äußerst virulente Form des Antisemitismus in Osteuropa geschürt hat — (dieser Antisemitismus ist erst kürzlich wieder intensiviert worden, nachdem auf Grund der Zurücknahme der Anklagen in dem sogenannten Ärzte-Komplott vorübergehend eine Beruhigung eingetreten war) — würde zweifellos nicht davor zurückschrecken, in Verfolg ihrer gesamten Politik im Nahen Osten der völligen Vernichtung des Staates Israel zuzustimmen. Die öffentliche Meinung in Groß-Britannien, mag sie auch am Anfang eines arabisch-israelischen Konfliktes noch so proarabisch eingestellt sein, würde sich zwangsläufig gegen eine solche Politik wenden, lange bevor noch die völlige Vernichtung Israels erreicht wäre. Und selbst wenn die öffentliche Meinung in England gewillt wäre, im Bündnis mit Nasser bis zum äußersten zu gehen, so würde das in Amerika nicht der Fall sein. Eine britische Politik aber, die im Nahen Osten mit Rußland rivalisiert, kann ohnehin niemals wirksame Erfolge aufweisen, wenn sie nicht entscheidend durch die Vereinigten Staaten unterstützt wird. In den letzten Monaten haben die amerikanischen Investitionen am arabischen Öl und an dem Luftstützpunkt Ohahran zu einer Abweichung der früheren amerikanischen Nah-Ostpolitik, d. h. zu einer proarabischen Haltung geführt. Dies ist in einem solchen Ausmaß der Fall gewesen, daß der oberflächliche Betrachter beinahe an das „Whitehall Camel Corps“ erinnert werden muß. Dennoch werden die pro-zionistischen Einflüsse in Amerika stets viel stärker sein als in England. Sollte bei den Wahlen im nächsten November ein demokratischer Präsident gewählt werden, so würden diese Einflüsse wahrscheinlich wieder dominieren. Selbst die Regierung Eisenhower hat gelernt, daß es politisch unklug ist, zu weit in der Unterstützung der Araber auf Kosten Israels zu gehen. Es ist in der Tat sehr unwahrscheinlich, daß eine britische Regierung bei einer hundertprozentigen pro-arabischen Politik jemals Amerika hinter sich bringen könnte.

Groß-Britannien stand daher vor der Aufgabe, seine Wahl über die zu befolgende Politik unter Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte zu treffen. Es steht auch heute noch vor dieser Wahl. Als wichtigstes Ziel hätte die britische Regierung anstreben müssen, daß die westliche Antwort auf die russische Einmischung in Form einer gemeinsamen Erklärung GroßBritanniens und Amerikas, oder noch besser der Drei Westmächte zusammen erfolgte. Statt dessen gab Sir Anthony Eden in seiner Mansion House Rede am 9. 11. zur britischen Politik eine einseitige Erklärung ab, die zwangsläufig die verheerendsten Folgen haben mußte. Er begann seine Rede an sich ganz gut damit, daß er in unzweideutiger Weise die den sowjetischen Waffenlieferungen an Ägypten zugrundeliegenden, bösen Absichten darlegte: „Vorzugeben, daß diese ganz bewußt betriebene Politik eine harmlose kommerzielle Transaktion war, ist einfach fantastisch. Natürlidr ist sie das nicht, Herr Ober-bürgermeister, (Anmerkung d. Red.: alljährlich gibt der Oberbürgermeister in London im Mansion House ein offizielles Bankett.) Vielmehr handelt es sich um einen Schachzug, durch den Rußland auf Kosten des zurückhaltenden Westens an Popularität gewinnen will. Die Absicht ist dabei, dem Kommunismus das Eindringen in die arabische Welt zu erleichtern ..... Unsererseits sind wir jedenfalls nicht in der Lage, diese sowjetische Maßnahme in Übereinstimmung zu bringen mit den Beteuerungen der Russen, daß sie den Kalten Krieg im Sinne des neuen Geistes von Genf zu beenden wünschen. Die Urheber dieser Waffenlieferungen müssen sehr wohl im voraus gewußt haben, welche Auswirkungen die plötzliche Ankunft dieser großen Waffenmengen zwangsläufig haben wird". Nach diesen feierlichen Worten hätte man eine anschließende Warnung des Ministerpräsidenten erwarten können, daß die Mächte, die die Verantwortung für die Demarkationslinie in Palästina übernommen haben, jedem von Rußland verursachten Friedensbruch mit Gewalt entgegentreten würden. Statt dessen stellte Eden im weiteren Verlauf seiner Rede die Dinge so dar, als ob wirklich kein Grund für irgendeine Beunruhigung vorhanden sei, da weder die eine noch die andere Seite irgendetwas durch einen Krieg gewinnen könnte: „Herr Oberbürgermeister", so erklärte er, „Sie waren so liebenswürdig, auf meine Erfahrungen im Foreign Office anzuspielen. Gerade in diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Ich habe noch niemals eine Situation erlebt, in der es deutlich war, daß es keine der Parteien auf lange Sicht gesehen von einem militärischen Konflikt auch nur das Geringste erhoffen kann.“

Diese Feststellung war absolut unsinnig; denn es ist ja gerade klar, daß die Araber bald in Tel-Aviv sein, und somit das endgültige Ende Israels heraufbeschwören würden, wenn man es ihnen auf dem Wege der Aufrüstung ermöglichen würde, eine erfolgreiche militärische Offensive zu ergreifen. Was Sir Anthony Eden mit seiner Behauptung meinte, die Araber könnten auch bei noch so großen Waffenlieferungen durch eine militärische Aktion nichts gewinnen, wurde an der weiteren Entwicklung seiner Argumente deutlich. Er vermied es, irgendeine Versicherung über Maßnahmen des Westens zur Verhinderung einer Verletzung der Demarkationslinie abzugeben, erklärte aber dann doch: „Wenn beide Seiten hinsichtlich ihrer Grenzen einen annehmbaren Vergleich erzielen könnten, so würden wir d. h. die Regierung ihrer Majestät, und wie ich glaube, die Vereinigten Staaten sowie vielleicht auch andere Mächte bereit sein, beiden Seiten gegenüber eine formelle Garantie abzugeben."

Anschließend bot Eden die britische Vermittlung für eine neue Grenzziehung an, die auf einem Kompromiß basieren sollte, zwischen der bestehenden Demarkationslinie und der ursprünglichen Teilungslinie der V. N. aus dem Jahre 1947, die damals von den arabischen Staaten abgelehnt wurde, als diese nach der Beendigung des britischen Mandates Palästina angriffen. Auf jeden Fall ist der UN-Plan aus dem Jahre 1947, den Eden auf diese Weise mit seinem Vorschlag verband, in keiner Weise auf die augenblickliche Lage anwendbar. Ganz abgesehen davon, daß die Araber damals in dem Krieg, den sie gegen die Durchführung dieses Planes kämpften, den Kürzeren zogen, hat der im Plan vorgesehene arabische Palästina-Staat niemals das Licht der Welt erblickt, während die heutigen Ansprüche auf israelisches Gebiet von Ägypten, Syrien und Jordanien gestellt werden. Das erneute Ausgraben des Planes von 1947 sollte lediglich den Vorschlag, die israelischen Grenzen erst nach erfolgter Zustimmung der arabischen Staaten zu garantieren, mit einem Anstands-mäntelchen zu umhüllen. Mit anderen Worten wurde hier der Versuch unternommen, die arabischen Staaten zu beschwichtigen, indem man Israel unter Druck setzte, damit es in größerem Llmfang Gebietsabtretungen leistet, um seine Existenz überhaupt zu retten. Leider ließ Israel kurz nach dieser Rede keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es nicht gewillt sein würde, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Tatsächlich haben dafür auch niemals irgendwelche Aussichten bestanden. Mit Sicherheit könnte nur eine Bedrohung durch eine überwältigende Militärmacht, wahrscheinlich aber auch nur ein tatsächlicher feindlicher Angriff auf Israel und eine Eroberung des Landes diesen Staat dazu zwingen, größere Teile seines heutigen Territoriums aufzugeben. Die britischen Vorschläge haben daher lediglich dazu geführt, daß die arabischen radikalen Kreise in ihrem Glauben bestärkt wurden, gegen Israel ungestraft einen Krieg führen zu können, sobald sie dazu stark genug sind. Seit vergangenem November ist es aber das vorherrschende, praktische Ziel der ägyptischen Politik, die erforderliche Stärke für einen solchen Krieg auf schnellstmöglichen Wege zu erzielen. Das hat notwen-digerweise nicht nur zu einer Erhöhung der militärischen Schlagkraft mit Hilfe von sowjetischen Waffenlieferungen und sowjetischen Technikern geführt, sondern auch zu politischen Maßnahmen mit dem Ziel einer Koordinierung der Politik Ägyptens, Syriens und Jordanien, und einer Unterstellung der Streitkräfte dieser Länder für militärische Operationen gegen Israel unter ein gemeinsames Oberkommando. Die Durchkreuzung der britischen Pläne, Jordanien in den Bagdadplan einzugliedern, die Entlassung von Glubb Pascha und die Aufhebung der britischen Sonderrechte in Jordanien — alle diese Maßnahmen haben wesentlich dazu beigetragen, die arabischen Staaten für einen gemeinsamen Krieg gegen Israel zusammenzuschließen. In dieser Situation der überall einsetzenden arabischen Vorbereitungen haben Groß-Britannien und Amerika bis heute nichts anderes getan, als über ihren Friedenswillen und ihre Bereitschaft zu einer Garantie „vereinbarter“ Grenzen zu reden und ihre Entschlossenheit zu beteuern, sich nicht an einem Rüstungswettlauf zu beteiligen, d. h. die russischen Waffenlieferungen an Ägypten nicht durch eigene Waffenlieferungen an Israel auszugleichen.

Falsche Einschätzung der Lage

Der auf einer falschen Einschätzung der Lage beruhende Versuch des britischen Ministerpräsidenten, den arabisch-israelischen Konflikt ohne die Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik mit den USA zu lösen, entsprach der gesamten Nahostpolitik Groß-Britanniens in den letzten Monaten: Die britische Regierung spielt einfach eine einsame Rolle als imperiale Großmacht, als ob seit den Tagen von Gurzon und Cromer nichts geschehen wäre. Großbritannien hat den Bagdadpakt unterschrieben und die Verantwortung für den Schutz Persiens übernommen, ohne daß Amerika zu den Signatarstaaten dieses Paktes gehört. Niemand scheint zu wissen, was GroßBritannien tatsächlich tun könnte oder tun würde, wenn Persien jemals von Rußland überfallen würde.

Man gibt sich lediglich der vagen Hoffnung hin, daß Amerika in einem solchen Falle zu Hilfe eilen würde, obwohl dafür gar keine vertraglichen Verpflichtungen vorliegen. Die GroßBritannien im Nahen Osten zur Verfügung stehenden Truppen sind für die Unterstützung einer unabhängigen britischen Politik völlig unzureichend, wenn es jemals zu einer Krise kommen sollte. Um aber für diese Truppen eine Operationsbasis zu schaffen, ohne dabei von irgendeinem alliierten Staat abhängig zu sein, hat es die britische Regierung für notwendig erachtet, an der Insel Cypern festzuhalten, selbst auf das Risiko hin, daß dadurch die bittere Feindschaft Griechenlands heraufbeschworen wird. Als man den Angelpunkt der britischen Macht im Mittelmeerraum vom Suezkanal nach Cypern verlegte, erkannte man in keiner Weise, daß der erzwungene Rückzug von der Kanalzone automatisch auch die britische Position auf Cypern unhaltbar macht; es stand doch nicht zu erwarten, daß stolze Griechen die Blockierung ihrer nationalen Aspirationenhinnehmen würden, nachdem Groß-Britannien einmal Ägypten gegenüber nachgegeben hatte. Hinzu kam, daß der durch die ägyptische Mordwelle gegen britische Solsalden in der Kanalzone so erfolgreich angewandte Druck einen sehr guten Anschauungsunterricht für die besten Methoden abgab, wie man sich einer britischen Kontrolle entledigen kann. Anstatt zu erkennen, daß Cypern zu einer internationalen Steitfrage geworden war, und es daher in Groß-Britanniens Interesse lag, soweit wie nur irgend möglich alle an der Sicherheit des Nahen Ostens interessierten Staaten der freien Welt zu den eigenen Verhandlungen mit Griechenland und der Türkei hinauszuziehen und dadurch die ganze Cypernfrage zu internationalisieren, — anstatt eine solche Politik zu betreiben, nahm die britische Regierung zu dem Vorwand Zuflucht, daß es sich hier lediglich um eine Frage der örtlichen Selbstverwaltung handele, mit der sich das britische Kolonialamt zu befassen habe. Aus dieser Auffassung resultierten dann die nutzlosen Verhandlungen mit dem Erzbischof Makarios, die niemals irgendwelche Chancen hatten, zu einem befriedigenden Ende geführt zu werden, da die Cyprioten eine Union mit Griechenland, aber nicht irgendeine Form der Autonomie verlangten. Die Frage der Stützpunkte war in erster Linie eine Angelegenheit, die zwischen den interessierten Regierungen selbst geregelt werden mußte und über die zu diskutieren daher der Erzbischof in keiner Weise kompetent war. Nachdem einmal die Verhandlungen abgebrochen waren — was ganz unvermeidlich war —, und nachdem der Erzbischof es abgelehnt hatte, sich von der EOKA Terror-Kampagne zu distanzieren, blieb nichts anderes mehr übrig, als diesen kirchlichen Starrkopf nach den Seychelles-Inseln zu verbannen. Aber die Gründe, die man für eine solche Maßnahme im März 1956 vorbringen konnte, rechtfertigten in keiner Weise das Versagen der vergangenen zwei Jahre, die Cypernfrage als eine Angelegenheit von vordringlichstem, strategischem Interesse für alle Westmächte auf dem Wege internationaler Verhandlungen zu lösen.

Politik des Alleinganges

Die britische Regierung unter Führung Edens hat somit dahin tendiert, im Nahen Osten mit unzureichenden Mitteln eine Politik des Allein-ganges, d. h. ohne seine Alliierten im Nordatlantik-Pakt zu verfolgen. Es kann daher nicht überraschen, daß sich Großbritannien heute auch in den europäischen Angelegenheiten — und ganz allgemein in den wichtigsten Fragen überhaupt — von seinen Alliierten entfernt und die Probleme alleine zu lösen versucht, als ob es sich auf dem Wege zu einer sehnsuchtsvoll betriebenen Rückkehr in die „Splendid isolation" des neunzel nten Jahrhunderts befindet. Hierin ist die wahre Bedeutung dafür zu suchen, daß die britische Regierung an der Einladung an Chruschtschow und Bulganin festhält und zwar trotz der neuen, antiwestlichen Schachzüge der Russen seit der Gipfelkonferenz — als man die Einladung ursprünglich aussprach — und trotz der antibritischen Reden, die Chruschtschow in Indien gehalten hat.

Wenn aus den Erfahrungen seit 1945 eine Lehre gezogen werden muß, so ist es die, daß angesichts des russischen militärischen Übergewichts in Europa und angesichts der unermüdlichen Bestrebungen der sowjetischen Diplomatie und Propaganda, Uneinigkeiten unter den westlichen Demokratien zu säen, die Sicherheit des Westens davon abhängt, ob seine geschlossene Front aufrechterhalten wird und man immer nur gemeinsam mit der Sowjetunion über irgendeines der wichtigen Weltprobleme verhandelt. Nur die drei westlichen Alliierten sind gemeinsam stark genug, um mit Rußland verhandeln zu können. So lange der Kalte Krieg noch andauert, sollten die Konferenzen auf höchster Ebene immer nur an Konferenzorten abgehalten werden, die im wörtlichen und übertragenen Sinne „zwischen den Linien", wie zum Beispiel in Genf, liegen. Die augenblicklichen britischen Bemühungen, auf eigene Faust, d. h. ohne eine Hinzuziehung Amerikas oder Frankreichs, einen direkten Kontakt mit Rußland herzustellen, und offenbar in irgendeiner Weise zwischen Moskau und GroßBritannien’s eigenen NATO-Alliierten zu vermitteln, — sind äußerst gefährlich besonders im Hinblick auf die psychologischen Rückwirkungen, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf die amerikanische Öffentlichkeit haben werden. Ein großer Teil dieser Öffentlichkeit hat stets dazu geneigt, GroßBritannien des Versuches zu verdächtigen, zwischen Ost und West ein doppeltes Spiel zu betreiben. Die Einladung an die beiden sowjetischen Politiker war schon unklug, als sie ausgesprochen wurde; nach allem, was-sich seither ereignet hat, und auch nach der sehr deutlich ausgesprochenen Warnung Sir Winston Churchill's vor 4 Monaten, kommt diese Einladung einer nicht zu verantwortenden Perversität gleich, deren Folgen sich hoffentlich nicht zu verheerend auf die künftigen anglo-amerikanischen Beziehungen auswirken werden.

Der internationale Demagoge Chruschtschow

Im Rahmen der Entscheidung die Einladung aufrecht zu erhalten, mag es vielleicht als ein untergeordneter Faktor erscheinen, daß der Regierungssprecher in der Oberhaus-Debatte vor den Weihnachts-Ferien in seiner Rechtfertigung der Einladung darauf hinwies, die beiden sowjetischen Politiker seien in ihrer „offiziellen Eigenschaft“ nach Groß-Britannien eingeladen worden. Immerhin ist dieses Detail außerordentlich bezeichnend für die eigensinnige Verbohrtheit, mit der das Ziel von Sonderverhandlungen mit der Sowjetunion verfolgt wird. Niemand scheint darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß Chruschtschow, der ja nicht Mitglied der Sowjetregierung ist, nach allen Regeln und Konventionen des internationalen Verkehrs zwischen souveränen Staaten keine offizielle Stellung hat, die irgendeine ausländische Regierung anzuerkennen genötigt ist, — es sei denn, man ignoriert bewußt die Tatsache, daß dieser Politiker nach England einfach und ausschließlich als Führer der sowjetischen KP kommt. Diese Partei nimmt ja für sich das Recht in Anspruch, die Exekutivgewalt auszuüben, ohne dabei die einer staatlichen Souveränität innewohnende Verantwortung mit zu übernehmen. Genau so nimmt sie ja auch für sich das Recht in Anspruch, in eine Art diplomatischer Beziehungen zu Oppositionsparteien in anderen Ländern einzutreten. Diese Einstellung ist einmal mehr auf dem letzten Parteitag der KPdSU demonstriert worden. Chruschtschow hat sich als ein internationaler Demagoge von nicht geringen Fähigkeiten erwiesen, der in der Lage ist, sich gleichzeitig auf der diplomatischen Ebene und auf der eines „populären Zirkus" zu bewegen. Er hat eine vollkommen neue „Technique“ darin entwickelt, die Gastfreundschaft eines Landes, das er besucht, zu mißbrauchen, um die Bevölkerung gegen andere Länder im Sinne der jeweiligen Erfordernisse der sowjetischen Politik zu beeinflussen. Dabei genießt er noch zwangsläufig die aus einer solchen Gastfreundschaft resultierende Immunität gegenüber öffentlichen Gegenangriffen. In England wird er zweifellos vorsichtiger vorgehen, als in Indien oder Burma. Es steht jedoch mit Sicherheit zu erwarten, daß er sein Bestes tun wird, um England mit einem maximalen Aufwand an Publicity von seinem wichtigsten Alliierten zu entfremden, indem er alle die Streitfragen ausführlich zur Sprache bringt, bei denen die britischen Interessen und Gefühle von den amerikanischen abweichen. Hinterher wird es für die britische Regierung äußerst schwierig sein, ihre Ansichten zu irgendeinem komplizierten internationalen Problem in Washington energisch zu vertreten, ohne dabei den Anschein zu erwecken, daß sie sich mit Rußland vorher gegen Amerika verständigt hat.

Groß-Britannien kann es sich nicht leisten, seine Außenpolitik noch sehr lange in der bisherigen Weise weiter zu betreiben. Wirtschaftlich gesehen befindet sich Groß-Britannien als einzelnes Land in einer äußerst verwundbaren Lage. Vom strategischen Gesichtspunkt ist diese Lage auch sehr gefährlich. Ob Groß-Britannien zusammen mit den anderen demokratischen Staaten Westeuropas als eine unabhängige Nation überhaupt überleben wird, das hängt davon ab, ob es gelingt, die atlantische Gemeinschaft als einen Zusammenschluß von Staaten mit gemeinsamen Zielsetzungen zu erhalten und zu stärken. Attlee und Bevin schufen den Atlantik-Pakt zusammen mit Präsident Truman und seinen Außenministern; Churchill förderte ihn weiter, — Eden jedoch hat schon sehr viel dazu beigetragen, daß dieser Pakt zerstört wird. Es hat keinen Zweck, daß sich ein Berufsdiplomat — und sei er auch der geschickteste — im Jahre 1956 einbildet, er könne eine Art Außenpolitik zum Erfolge führen, die Groß-Britannien im Jahre 1900 oder sogar noch im Jahre 1930 hätte verfolgen können. Die Sicherheit Groß-Britanniens verlangt heute entweder nach einem Wechsel der Politik, oder aber nach einem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten.

Fussnoten

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