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Kommunistische Ideologie und christlische Philosophie | APuZ 17/1956 | bpb.de

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APuZ 17/1956 Kommunistische Ideologie und christlische Philosophie Gültige Lehren des Liberalismus

Kommunistische Ideologie und christlische Philosophie

Jakob Hommes

Die kommunistische Ideologie, das Verlockende ihres Wesens und die Frage ihrer Liberwindung bei uns selbst — so möchte ich unser Thema präzisieren.

Ideologie! Das Wort bedeutet mehr als nur eine theoretisch-wissenschaftliche Vorstellung von dem, was in der Welt ist und was in unserem Leben zu geschehen habe. Der Ausdruck Ideologie tritt überall dort auf. wo das überlieferte sittlich-religiöse Leitbild des Daseins verblaßt ist und sich an dessen Stelle ein neuer Glaube setzt, d. h. eine inbrünstig festgchaltene und mehr oder weniger kämpferisch vorangetragene Konzeption vom Ganzen der Wirklichkit und der Aufgabe des Menschen in ihr. Daß wir es auch beim Kommunismus mit einer solchen tieferen Ideologie, d. h. einer gläubig-zuversichtlich festgehaltenen Weltanschauung und Ethik zu tun haben — eben dies gilt es, über die landläufige Vorstellung vom dialektischen Materialismus als einer nur politisch-zweckbestimmten Gesamtwissenschaft hinaus, zu zeigen, denn gerade darin könnte für uns im Westen der Kommunismus gefährlich werden.

Die kommunistische Ideologie liegt, so dürfen wir wohl sagen, wie ein Alpdruck auf uns. Beängstigend stößt ihre machtmäßige Verkörperung an unsere Mauern, wir aber wissen noch nicht einmal recht, was sie besagt. Wir kennen sie von außen als die große drohende Welt da drüben im Osten; wir wissen, daß sie mit ihren stählernen Krallen die dortigen Völker und einen Teil unseres eigenen Volkes umklammert hält, aber von ihrem wirklichen Gehalt und der entsprechenden geistigen Kraft, über die sie, über ein Drittel der Menschheit herrschend, wohl verfügen muß, haben wir keine rechte Vorstellung. Sicher ist, daß wir in wissenschaftlicher und weltanschaulicher Hinsicht den geistigen Gehalt dieser Philosophie des Ostens arg unterschätzen.

Eine mystische Bewegung Dazu kommt dann, daß unsere eigene geistige Lage recht labil geworden ist. Wir haben das unbestimmte Gefühl, daß es in den Grundlagen auch unseres westlichen Daseins nicht stimmt, und daß wir vielleicht. als Volk und Staat, für die auf uns zukommende große Auseinandersetzung nicht die volle innere Kraft haben. Brütet nicht in uns selbst das, woraus die kommunistische Ideologie hervorgegangen ist? Werden wir also mit unserer eigenen geistigen Ausrüstung dem Ansturm dieser Ideologie gewachsen sein?

Lim diesem unserem Unbehagen, ja unserer heimlichen Angst beizukommen, ist es vor allem wichtig, daß wir den wesentlichen Gehalt dieser Ideologie, ihr tragendes Prinzip, ihre Seele klar erkennen. Was zuletzt ist es, womit die führenden Leute des Ostens nicht bloß die dortigen Menschen terrorisieren, sondern auch selber — leben und sterben. Mit dieser Fragestellung gehen wir alsbald aufs Letzte, und ich möchte über meine Ausführungen die These setzen, daß es sich bei der kommunistischen Ideologie nicht so sehr um eine verstandesmäßig-zweckhafte Entscheidung handelt, sondern um einen Glauben, um eine durchaus überzweckliche, ja mystische Bewegung, und eben darin besteht, glaube ich, die eigentliche Gefahr, in der wir schweben. Wir müssen die Verlockung dieser Ideologie spüren; ihren seelischen Schwung gilt cs zu erfahren, damit wir uns dann mit dem gehörigen Ernst fragen: Haben wir diese Verlockung der kommunistischen Philosophie in uns selbst überwunden, oder sind wir auch hier im Westen für sie anfällig?

Der dialektische und historische Materialismus wird häufig in einer Art dargestellt und einer „Widerlegung" unterzogen, die in keiner Weise spüren läßt, warum die Führer von einem Drittel der Menschheit diesem System anhangen und aus ihm ihr Leben und Handeln gestalten — wie ein materialistisches Weltbild vergangener Zeit, das längst widerlegt sei. Im Kommunismus aber geht es um etwas, das mit einer bloßen „Widerlegung“ gar nicht zu fassen ist. Widerlegt wird eine wissenschaftliche These, und wir widerlegen sie, indem wir dem Gegner, der mit uns in der Hingabe an die gegebene Wirklichkeit verbunden ist, die Nichtübereinstimmung seiner These mit dieser gegebenen Wirklichkeit nachweisen.

In der kommunistischen Ideologie jedoch haben wir es zwar auch mit einer solchen Wissenschaft zu tun. sofern sie als dialektischer Materialismus die Wirklichkeit der Natur, als historischer Materialismus die menschlich-geschichtlich-gesellschaftliche Welt darzustellen unternimmt. Aber diese neue Wissenschaft von der Wirklichkeit ist getragen von einem neuen Glauben, und dieser Glaube bildet ihre allbeherrschende Seele, indem er dem Menschen alles, was es gibt, in einem neuen Lichte zeigt und dabei auf Urneigungen des Menschen spekuliert. Ein solcher Glaube aber wird durch die bloße Widerlegung nicht getroffen, denn er greift mit seinen Wurzeln über den Vordergrund der wissenschaftlichen Gedanken in jene tragende Schicht des Menschen zurück, in der sich gerade die Haltung des Menschen zur gegebenen Wirklichkeit formuliert — jene Grundhaltung, die dann ihrerseits das seelische Außenwerk der Wissenschaft mit ihrem Geiste erfüllt.

Die eigene Gegcnlosung aufzubauen Nicht zuletzt unter dem Einfluß des dialektischen und historischen Materialismus hat die Philosophie der Gegenwart wieder ein Bewußtsein davon bekommen, daß sie nicht bloß im Verstände und in der Logik, sondern vor allem auch in den Tiefenschichten der Seele verwurzelt ist, und das gibt allen philosophischen und theologischen Erwägungen von heute einen früher nicht gekannten Tiefgang. Auf diese Grundschicht in der Wissenschaft, die sich dialektischer und historischer Materialismus nennt, zielen wir in unserer von der christlichen Philosophie geführten Analyse desselben. Es geht uns in unserer Besinnung darum, das verführerische Wesen dieser Ideologie zu erfahren und ihm gegenüber geistig uns selbst zu ermannen, damit wir im Angesicht der kommunistisch.

Philosophie, die eine Art Glaubenslehre ist, die eigene Gegenlosung klar und entschieden in uns aufzubauen vermögen. Aus der Erkenntnis des Wesens der kommunistischen Ideologie und ihrer geschichtlichen Wurzel, der Philosophie des deutschen Idealismus, wollen wir jenes Gegenwesen schöpfen, das wir in dieser unserer Schicksalsstunde, um der eigenen geistigen Schwäche in uns Herr zu werden, ausbilden müssen.

Um in dieses Herz oder die Seele der kommunistischen Ideologie einzudringen, erörtern wir der Reihe nach 1. das allgemeine Wesen der Dialektik — sie ist nichts geringeres als eine Art Pseudotheologie;

2.den Zusammenhang der kommunistischen Ideologie mit der idealistisch-theologischen Gestalt der Dialektik bei Hegel;

3. die humanistisch-materialistische „Umstülpung“ der dialektischen Methode, mit der Marx den kommunistischen Glauben begründet.

In einer Schlußbetrachtung werden wir uns dann fragen müssen, ob wir diesem östlichen Glauben hier im Westen die Kraft eines eigenen Glaubens entgegenzusetzen vermögen.

Das Wesen der dialektischen Methode im allgemeinen

INHALT DIESER AUSGABE

In der kommunistischen Ideologie, die wir wissenschaftlich als den dialektischen und historischen Materialismus kennzeichnen, können wir sozusagen zwei Ebenen, zwei Wesensräume, zwei Quellengründe unterscheiden, den mehr inneren der Dialektik und den mehr äußeren des Materialismus. G. A. Wetter behauptete dieser Tage in der Deutschen Tagespost über den dialektischen Materialismus, „daß die Vereinigung von Materialismus und Dialektik ein Ding der Unmöglichkeit ist“ (7. März 1956). Nun, ich glaube, das beruht auf einem großen Mißverständnis. Die Leute da drüben können ja auch denken, und bevor wir auf der Gegenseite solch fundamentale Widersprühe feststellen, sollten wir uns fragen, ob nicht vielleicht bei uns selbst etwas in der Rechnung nicht stimme. Und so ist es in der Tat. Manche westlichen Ausleger des dialektischen und historischen Materialismus denken zu sehr vom alten metaphysischen Materialismus her, den die Naturwissenshaft eine Zeit-lang ausgestrahlt hat, sie schlagen die Dialektik, weihe die Seele dieser ganzen Wissenshaft bildet, zu gering an, und so kommt es, daß sie vor lauter Widersprühen, die sie im System finden, dessen Seele niht erfassen. Das Herz des dialektishen und historischen Materialismus poht in der Dialektik, die Anlehnung an den Materialismus ist zweitrangig, wenn auh durhaus folgerichtig, und vor allem gilt es zu sehen, daß durh die Dialektik ein völlig neuer Geist in den Materialismus kommt.

Diese unsere Akzentsetzung gewahren wir vor allem bei Lenin, und Lenin war ein hervorragend klarer und scharfer Denker, wie vor allem seine Exzerpte und Randglossen zu Hegel beweisen. Lenin spricht vom dialektishen Materialismus vor allem als von der materialistischen Dialektik (so z. B. „Philosophischer Nahlaß“ S. 107), und er kennzeihnet damit meines Erachtens das Wesen der kommunistishen Ideologie schärfer, als dies der Ausdruck „Dialektischer Materialismus“ tut. Denselben Weg geht auh Stalin in seiner Shrift „Über dialektishen und historishen Materialismus", die in die früher amtliche „Geschichte der kommunistishen Partei der Sowjetunion (Bolshewiki), kurzer Lehrgang“ eingegangen ist und die, da sie sih völlig auf Marx, Engels, Lenin stützt, auh vor der neueren Aberkennung des Stalinschen Kurses kaum berührt werden dürfte. Stalin erläutert in seiner Darstellung zunähst die Grundzüge der „marxistischen dialektishen Methode“, um daraus praktisch-politische Folgerungen zu ziehen, und geht erst dann dazu über, die Grundzüge des „marxistischen philosophischen Materialismus“ theoretisch und praktisch darzulegen.

Auh der Name „Dialektischer Materialismus'kommt ja daher, daß hier die Hegelsdte Dialektik materialistisch umgekehrt, also an die Stelle des dialektishen Idealismus der dialektische Materialismus gesetzt wird. Auf das Wesen gesehen ist also das Beherrshende und das, was Hegel und Marx gemeinsam ist, zunächst die Dialektik. Erst von ihrem Wesen aus wird der Materialismus erkennbar, als materialistische Gestalt der dialektishen Methode. Reden wir also, um gegenüber der „vulgär-materialistischen" Verzerrung der kommunistishen Ideologie einen festen Stand zu gewinnen, mit Lenin und Stalin mehr von der materialistischen Dialektik und vergegenwärtigen wir uns zunähst das Wesen der dialektischen Methode im allgemeinen. Gerade auf diesem Wege wird uns unsere heimliche Übereinstimmung mit der Philosophie des Ostens bewußt werden.

Ernst zu nehmende Botschaft Was also ist der wesentlihe Gehalt der Dialektik? Dialektik beaeutet wörtlih: Kunst des dialektos, d. h.des Gesprähes. Dialektik ist ihrem ganzen Wesen nah eine philosophishe Methode, d. h. eine Art und Weise, die Wirklihkeit der Welt und des Lebens theoretish zu handhaben. Die dialektishe Methode, die Wirklihkeit der Welt und des menshlichen Lebens zu verstehen, hebt vor allem darauf ab, daß d i e Wirklichkeit eine Sache des Mens ehe n sei, daß sie dem Menshen ihn selbst sage, daß also der Mensch aus der Wirklihkeit sein eigenes Wesen zu vernehmen habe, ja daß das Wesen des Menshen zunächst dort zu suhen sei, wo sih zwischen Subjekt und Objekt die Einheit der beiden auf die Weise abspiele, wo sie zwischen zwei Gesprähspartnern walte. Wir werden das sogleih genauer verstehen.

Der Mensh ist ein gegenständliches Wesen, lehrt Marx in Übereinstimmung mit Hegel — ein gegenständlihes Wesen, d. h. dazu veranlagt und innerlih gedrängt, seine eigenen Wesenskräfte shaffend vor sih selbst hinzubringen und in diesen Erzeugnissen seiner Tätigkeit beseligt „sich selbst anzuschauen". Das ist die Grundthese Marxens. Was ist zu ihr vom Standpunkte unserer hristlihen Philosophie aus zu sagen?

Nun, zunähst teilen wif diese Grundanshauung vom Wesen des Menshen. Die Dinge sagen mir mih selbst, in ihnen finde ih mich selbst wieder — nur deshalb kann ih mih mit ihnen einlassen. Der Mensh ist gleichsam auf alles, was es gibt, geeicht; in alles findet er sih ursprünglih eingelassen. Indem ih aus den Dingen meine Werke baue und das leuhtende Werk meiner Werke erstelle, mein eigenes Dasein, sagen mir die Dinge mih selbst.

Weih verheißungsvolle Botschaft also vertritt die Dialektik! Sie hat ein brennendes Anliegen, und nur wenn wir dieses begreifen, können wir den geistigen Zug der Gegenwart verstehen. Aber dieses Anliegen der Dialektik teilt auh die reht verstandene Metaphysik: der Mensh hat das Reht, sih von den Dingen sih selbst sagen zu lassen; aus aller seinem Denken und Handeln vorgegebenen Wirklichkeit, aus allem, was von Natur besteht und womit er in seinem Leben zu arbeiten hat, darf er sich selbst einsammeln. An mich — mich! — dachte Gott, als er die Dinge schuf, von je mir tragen sie alle einen leuchtenden Schein. Spüren wir die Inbrunst, mit der hie, die Dialektik den Menschen anspricht. Wir können-auch als Metaphysiker ihre Botschaft gar nicht ernst genug nehmen.

Der philosophische Kerngedanke des Materialismus Aber Hegel und Marx gehen in ihrer dialektischen Methode weiter. Sie beschränken sich nicht auf diese Form der Gegenständlichkeit des Menschen, die auch uns, den Vertretern der objektiven, naturrechtlichen und theistischen Metaphysik, teuer ist; sondern diese Denker fordern den Menschen auf, in den Dingen so radikal sich zu vergegenständlichen oder sich selbst wiederzufinden, daß diese Dinge von ihrer bisherigen Grundlage, der Natur, geistig abgehoben und auf einen ganz neuen Grund gestellt werden. Der Mensch habe innerlich die Dinge wesentlich neu zu machen, so daß sie ihm nun nur noch ihn selbst sagen. Die gegebene oder Naturwirklichkeit der Welt überschwemmt hier der Mensch mit seinem eigenen Wesen, so daß sie ihm jetzt vor allem und bald nur noch eine Kunde von ihm selbst gibt.

In der Dialektik ist von vornherein ein solcher Wille des Menschen zu sich selbst am Werk. In den Dingen der Natur finde er zwar sich selbst wieder, aber dieses sein Selbst zeige sich ihm in den Dingen zunächst gleichsam nur wie das Kleinod im Staube, und gegen diese Verdunkelung seiner selbst müsse er auf diese Weise antreten, daß er aus der gegebenen Wirklichkeit oder der Natur sich selbst hervorarbeite. „Verwandlung der . Dinge an sich'in . Dinge für uns'“ — das ist, ie Lenin unter Berufung auf Engels ein-schärft, ein wesentliches Element der kommunistischen Dialektik („Materialismus und Empirikritizismus" S. 175). Zur eigentlichen Gestalt des menschlichen Wesens gehört nach Marx der Gegensatz des Menschen gegen die Natur; die gegebene Wirklichkeit als solche oder in dieser ihrer gegebenen oder natürlichen Gestalt, mit der sie dem Menschen gegenüberstehe, habe der Mensch zurückzuweisen oder von sich zu stoßen. Ausschließlich sich selbst hat nach Marx der Mensch in den Dingen zu „denken“.

Damit stehen wir schon im philosophischen Kerngedanken des Marxismus: Der Mensch ist ein Wesen, das sich vergegenständlicht und dadurch aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit heraus sich selbst hervorbringt, sich selbst erzeugt. Dieser Begriff der menschlichen Selbsterzeugung ist der zentrale Punkt der Hegel-Marxsdxen Dialektik, er trägt hier alle Begriffe der Welt und des menschlichen Lebens, er ist die Seele der kommunistischen Ideologie. Aber eben er ist es auch, der von den westlichen Darstellern des dialektischen und historischen Materialismus vielfach völlig übersehen wird. (Zu diesem Kerngedanken der Dialektik vergl. mein Buch „Der technische Eros — Das Wesen der materialistischen Geschichtsauffassung" Nr. 24, 28 und 58).

Entscheidend ist aber, daß diese Selbsterzeugung des Menschen nicht metaphysisch, sondern dialektisch verstanden werde. Von einer Selbst-erzeugung des Menschen spricht ja auch Thomas v. Aquin, der Fürst der objektiven, naturrechtlichen und theistischen Metaphysik. Er nennt den Menschen ein Wesen, das durch seine Freiheit causa sui ist, d. h. ein Wesen, das selber sich macht, d. h. das nicht nur sich je von Natur schon gemacht findet, sondern auch diese seine Naturwirklichkeit auf die Höhe der Kultur, d. h.der gedanklich hellen und frei bestimmten Lebendigkeit erhebt. Indem der Mensch die Naturdinge gebraucht, werden sie auch zu einem Produkt seiner selbst und stellt er somit sein Leben nicht mehr nur auf diese Naturdinge als solche, sondern auch auf sich selbst, auf seine eigene Handhabung der Naturdinge. An den Naturdingen bildet er * sich selbst hervor. Er muß ja, indem er die Naturdinge handhabt, sie innerlich ein zweites Mal machen, und dadurch bringt er in diesen gegenständlichen Stützen seines Lebens auch sein eigenes Wesen zum Aufschein, er selbst wird für sich greifbar, in den Dingen schaut er irgendwie beseligt auch sich selbst an — dieses sein Wesen, das ihm aus den Dingen, die er handhabt, leuchtend aufgeht.

Das ist die metaphysische Lehre von der Selbsterzeugung des Menschen aus der dem Handeln vorgegebenen oder Naturwirklichkeit heraus. Solche Selbstverwirklichung kennzeichnet in der Tat das Geheimnis unseres Menschseins, sie bildet den Gehalt dessen, was wir unsere Gottebenbildlichkeit nennen. Eben in diesem Lehrpunkt haben wir daher auch den eigentlichen Ansatz zur Überwindung der materialistischen Dialektik, die dieses schöpferische Wesen des Menschen heillos verzerrt.

Eine revolutionäre Gewalt Nicht mehr den kreatürlichen Geist der objektiven, naturrechtlichen und theistischen Metaphysik atmet die dialektische Lehre von der Selbst-erzeugung des Menschen. Nach Marx hat der Mensch in den Dingen nur noch sich selbst zu „denken", und zwar in dem Sinne, daß in der Natur oder in der seinem Handeln vorgegebenen Wirklichkeit dieses sein Selbst sich immer zunächst nur auf uneigentliche und irgendwie verderbte Weise zeige, daß also der Mensch sich selbst aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit herauszuschälen habe; nur in dieser seiner „neuen Schöpfung“ sei er eigentlich Mensch. Nicht nur die Dinge müssen durch den Menschen ein radikal neues Sein erhalten, so daß sie ihm nun nur noch ihn selbst sagen — ihn selbst als ihren Erzeuger —, sondern auch sich selbst muß, so verlangt es die dialektische Methode, der Mensch erneuern; er darf sich selbst und seinesgleichen nicht mehr hinnehmen in der gegebenen oder Naturwirklichkeit des menschlichen Lebens, sondern er hat sich selbst und alles Menschentum gelten zu lassen nur noch in dem Maßstab, als sich dieses Menchcnwesen aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit hervorarbeitet.

Eben das, was auf diese Weise durch die Anstrengung des Menschen aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit erst hervorkommt, trägt den Charakter dessen, was Marx die Geschichtlichkeit, die Wahrheit, die Wirklichkeit des Menschen nennt. Man muß freilich Marx von Hegel her studieren, um diese entscheidende humanistische Verkürzung und Verflüchtigung jener Realität zu sehen, die der metaphysische Realismus als die Grundlage des menschlichen Lebens verteidigt. Den Einstieg in die kommunistische Ideologie hat grundsätzlich verfehlt, wer diese gewaltsame dialektische Ummünzung aller Begriffe nicht zur Kenntnis nimmt. Von der Substanz des Menschenwesens oder von dem, womit der Mensch in sich selbst steht, wird hier der Schwerpunkt auf die Tätigung des menschlichen Lebens verlegt. „Selbsttätigkeit', das ist der Maßstab, den Marx an die Arbeit anlegt, man kann den Kommunismus mit Marx selbst definieren als „die Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung“. Erst aus der. eigenen Tätigkeit geht hier dem Menschen er „selbst" hervor. Der Mensch selber hat das Menschendasein zu machen nach Marx, in der gegebenen oder Naturwirklichkeit der Welt und des eigenen Lebens aber findet der Mensch sich jeweils schon gemacht, darum ist diese natürliche Wirklichkeit als solche für den Menschen etwas Uneigentliches: in der Natur-wirklichkeit, d. h. im Eingehen auf die gegenständliche Welt als solche, hat der Mensch sich von sich selbst hinweg verloren, er ist sich selbst entfremdet, das Dasein ruft nach einer grundstürzenden Erneuerung — hier wird uns die revolutionäre Gewalt des dialektischen Ansatzes spürbar.

Verführerische dämonische Töne-

Vor aller gegebenen oder Naturwirklichkeit als solcher hebt daher jetzt der Mensch sein Leben ab und stellt es auf einen völlig neuen Natur-Wirklichkeit Grund, den eigenmenschlichen, d. h. er geht nicht mehr auf diese als solche, sondern nur noch auf seine eigeneHandhabung dieser gegebenen oder Naturwirklichkeit ein. Die gegebene oder Naturwirklichkeit als solche muß daher jetzt so viel wie möglich aus dem Dasein ausschaltet, d. h. sie muß, da sie immerfort gegeben ist und waltet, als solche vom Menschen innerlich soweit herumgebogen werden, bis sie dem Menschen nur noch ihn selbst sagt. Er selber macht nun sein Leben; soweit es dagegen jeweils schon gemacht ist, in seiner „Naturwüchsigkeit" also, ist es uneigentlich, es muß vom Menschen innerlich zu ihm selbst herumgedreht werden. Geistigerweise ist solche Umkehrung der Wirklichkeit dem Menschen durchaus möglich, das liegt in seinem Wcsensadel. Aus der Hand Gottes, die dem Menschen die Naturwirklichkeit gibt, muß diese herausgedreht und ganz nur noch in der Beziehung zur Hand des Menschen, die sie hält, gesehen werden.

Dies also letztlich ist der Sinn der dialektischen Lehre von der Selbst-erzeugung des Menschen: die Feindschaft gegen die natürliche Gestalt der Wirklichkeit, die Option des Menschen für das Künstliche. Nicht mehr die Natur als solche gilt, und nicht mehr ihr Schöpfer ist jetzt das Erste und Letzte des menschlichen Daseins, sondern Grund und Ziel des menschlichen Lebens bildet nun der Mensch selbst. Dialektik ist beginnender Atheismus und bald Antitheismus in der Gestalt jenes Daseins, das sich gegen die Natur und für das Künstlich-Gewaltsame entschieden hat.

Einer völligen „Umkehrung“ also muß nah der Dialektik das menschliche Leben unterworfen werden, damit es in seine eigentliche Gestalt komme. Könnte dieser dialektische Begriff der „Umkehrung" des Daseins nicht auch auf die Christen verführerisch wirken, die ja auch im Evangelium zu einer völligen Metanoia, d. h. Umdenkung ihres Lebens, angehalten werden? Er tut es überall dort, wo die Christen nicht mit aller Klarheit den rein humanistischen Sinn der von Marx geforderten dialektischen „Umkehrung" ins Auge fassen, d. h. die Neugründung des menschlichen Daseins ganz nur noch auf den Menschen selbst und auf den dem Menschen selbst zugeordneten Wesensgehalt der Wirklichkeit — Marx redet hier vom „Humanismus oder Naturalismus".

Dieser absolute Humanismus der kommunistischen Ideologie muß in seiner kämpferischen Schärfe erkannt werden. Er fordert den Menschen auf, seinem Leben und damit folgerichtig der ganzen Wirk-lichkeit einen neuen, rein menschlichen Grund zu geben. Sih selbst soll der Mensch hier der Wirklichkeit seines Lebens und der Welt als neuen Sinngrund auferlegen. Dieser neue rein menschliche Grund der Wirklichkeit kann aber vom Menshen gelegt und behauptet werden nur im Gegensatz gegen den je schon von Gott gelegten Grund der Wirklichkeit. Dieser Gegensatz des Menshen gegen den von Natur gegebenen Grund der Wirklichkeit nimmt daher notwendigerweise einen Zug der religiösen LInbedingtheit an. Wie im natürlichen Dasein, d. h. in der gehorsamen Hinnahme der Naturwirklichkeit und ihrer eigenständigen Ordnung, der Mensch zuletzt an den göttlichen Urheber der Natur sich hingibt, so steigt auh die kollektive Selbstbehauptung des Menschen als Menschen und damit sein Gegensatz gegen die Naturwirklichkeit als solche zur gegenreligiösen Schärfe auf; in den hysterischen Schrei des Menschen nach sich selbst mischen sih so von vornherein dämonische Töne.

Die Verwurzelung des Kommunismus in der dialektischen Methode Hegels

Lenin hat seine tiefen „Gedanken über die Dialektik“, wie er selber sagt, „en lisant Hegel“, über der Lektüre von Hegel entwickelt („Philosophisher Nahlaß“ S. 27). „Man kann das . Kapital'von Marx niht vollkommen begreifen, wenn man nicht die ganze Logik Hegels durch-studiert und begriffen hat. Folglich hat nach einem halben Jahrhundert keiner von den Marxisten Marx begriffen" („Philosophischer Nachlaß“ S. 99). Deutliher kann man es niht sagen, von woher die kommunistische Ideologie aufgerollt werden muß. Ebenso unverständlich wie unbegründet ist es daher, wenn neuere westliche Ausleger des Leninismus erklären, er stehe dem scholastischen, ja dem thomistischen Denken näher als dem hegelianisch-dialektischen. Das beruht auf einem fundamentalen wissenschaftlichen Mißverständnis und bedeutet, rein sachlich betrahtet, eine grandiose Irreführung. Lim der Sahe willen muß ich das so deutlich sagen, denn diese Fehlauslegung der kommunistischen Ideologie hat wahrlich schon unheilvoll gewirkt, indem sie nämlih als Kronzeuge herangezogen wurde für den ebenso leichtfertigen wie gefährlichen Versuh, den dialektishen und historischen Materialismus, diesen Todfeind d Christentums und aller objektiven, naturrechtlichen und theisti-shen ‘ictaphysik, zum Bundesgenossen der hristlihen Verkündigung zu nehr so Kl. Brodrmöller in seinem Buh „Christentum am Morgen des Atomzeitalters" (S. 161),

Aber auch abgesehen von dieser ihrer Anwendung strahlt die These, die kommunistische Auffassung der Wirklihkeit stehe dem Realismus der christlihen Philosophie näher als dem Subjektivismus der Hegeischen Dialektik, eine große Gefahr aus. Sie führt an der philosophischen Tiefe und mystischen Gewaltsamkeit der materialistischen Dialektik vorbei und erzeugt, natürlih ohne es zu wollen oder zu wissen, einen gefährlichen prokommunistischen Optimismus. (Näheres über diese „realistische" Fehlauslegung des dialektischen Materialismus und über die damit zusammenhängende These, Marx, Engels und Lenin „verwehselten“ Realismus und Materialismus, in meinem Buhe „Der tehnishe Eros“,. Register: Realismus.)

Worauf stützt sich nun diese fundamentale wissenshaftlihe Unter-

schätzung des dialektischen und historischen Materialismus? Man stellt fest, Marx, Engels und Lenin hätten die idealistishe Dialektik Hegels abgeworfen und seien auf den die objektive Metaphysik kennzeichnenden Realismus zurückgegangen; die menschlihen Vorstellungen spiegelten die objektive Wirklihkeit wider. Ist wirklih, so müssen wir demgegenüber fragen, von Marx, Engels und Lenin jene gewaltige Ent-mächtigung der gegebenen Wirklichkeit rückgängig gemäht worden, die'wir als das Wesen der dialektishen Methode geschildert haben? Eine genaue Analyse der kommunistishen Ideologie lehrt uns, daß dies keineswegs der Fall ist; daß vielmehr im dialektischen Materialismus diese Entmächtigung der Wirklichkeit nur mit andere Mitteln als bei Hegel betrieben wird.

Nur in veränderter Form Die dialektische Grundlehre, die Lehre von dem gegenständlichen Wesen und der Selbsterzeugung des Menshen, finden wir bei Marx formuliert in seiner Lehre von der tätigen „Identität von Mens hen und Natu r“. Schauen wir uns diese Grundlehre genau n, ohne ihr Verständnis bleibt der dialektishe und historische Materialismus ein Buch mit sieben Siegeln. Was also besagt sie? Mensch und Natur bilden eine Einheit, sie sind im Grunde dasselbe: in der Natur bewegt der Mensh sih wie in sich selbst, und es ist die Natur, die in ihm sein Leben und Shaffen trägt. Das ist doch in einer neuen Form der alte Hegelianismus! Mit dieser seiner Lehre von der „Identität des Menshen und der Natur" setzt Marx jene „Identität von Denken und Sein“ mit anderen Mitteln fort, in die sich bei Hegel die Lehre von der Selbst-erzeugung des Menshen gekleidet hatte. Plechanow, der von Lenin hoh anerkannte Begründer des russischen Marxismus, weist auf diesen Zusammenhang ausdrücklich hin.

Das Denken selber ist für Hegel ein Sein; ja die gedanklihe Form, die die Naturdinge im Menschen finden, bildet bei Hegel deren eigentlihes Wesens, während die äußere physishe Existenz der Dinge nur eine Minderform derselben darstellt gegenüber dem angeblich höheren und eigentlihen Sein, das die Naturdinge im Inneren des Menshen selbst finden; das Naturding in seiner äußeren Gestalt erscheint hier als ein Herausfall aus seiner angeblihen unendlichen Urform, die es im grenzenlosen Begriff des Menshen habe. Die Glieder der gegenständlichen Welt sind für Hegel jeweils eine Negation jener Großform oder Allheit, als die sie im Menshen selbst walten.

Auf diese Weise bringt Hegel — und das ist das tiefere, auch von Marx festgehaltene Wesen der dialektishen Methode — den Menschen und die Natur zu einer Einheit zusammen. Einmal wird für Hegel die Natur zu einer Ersheinung des menschlichen Innern. Aber damit niht genug. In den Naturdingen hat sih nah diesem Denken das Innere des Menshen zwar geäußert, der Mensh findet in den Dingen sih selbst« wieder, die Dinge ersheinen als eine Verkörperung seiner Wesenskräfte; aber in diesen Dingen als solchen hat sih das Innere des Menschen auh veräußerlicht, sagt Hegel, es ist von seinem inneren Wesen, dem „Geiste", abgekommen, es ist als solches „geistlos" und damit sich selbst entfremdet. Die Naturdinge in ihrer Gegebenheit sind gleichsam nur noch eine harte Kruste, eine Verholzung des menschlichen Innern, und darum muß der Mensch, um zu seinem währen Selbst zu kommen, dieses uneigentliche Außenwerk seines Innern durchschlagen und zerbrechen; durch die Negation dieser Ne g a t i o n seiner selbst, als welche die Naturdinge hier erscheinen, muß er aus diesen Naturdingen heraus wieder in sich selbst zuruckgehen, auf die Weise freilich, daß er in den Dingen sich selbst als das festhält, womit die Dinge ihm entsprechen.

Nach dieser Lehre ist der Mensch ein Wesen, das von Haus aus in der Natur an sich selbst denkt, das mithin aus der Natur heraus auf die Weise sich selbst erzeugt, daß es von der Natur, da sie als solche sein Wesen veruneigentlichte, sich befreit und damit aus seiner Selbstentfremdung zu sich selbst, in seine eigentliche innere Gestalt zurückkehrt. Dieser sich selbst entfremdete Mensch nun wird von Hegel noch als „mystisches Subjekt-Objekt" gedacht, d. h. als göttlich-menschliches Wesen, der Mensch wird Mensch durch die Ein-wohnung Gottes in ihm, er ist die Stätte, wo Gott geschieht — dadurch geschieht,'daß der Mensch bei der Handhabung der Dinge sich an sich selbst erinnert, sich an sich selbst hält und dieses sein Inneres in die Naturdinge mit hineinnimmt, um es zum Eigentlichen der gegenständlichen Welt zu machen. So ist der Mensch hier das Vollzugsorgan für die Idee, „Mittel des Absoluten", sagt Hegel. Er erfüllt diese seine Aufgabe, indem er sich bei der Handhabung der Dinge an sich selbst erinnert, dadurch hole sich der göttliche Grund der gegenständlichen Welt, der im menschlichen Begriff wirksam sei, aus der gegenständlichen Veräußerlichung wieder in sich selbst zurück. Im Menschen walte der göttliche Grund der Welt, durch seine Herablassung in das menschliche Wesen werde der Mensch zum Menschen, jetzt gehe daher durch den Menschen dieser göttliche Grund der Welt in seine reine Innerlichkeit zurück, bereichert gleichsam um das Abenteuer seiner Äußerung — nur durch diese Äußerung könne ja der innere Grund seiner selbst gegenständlich habhaft werden.

Die Erzeugung des kommunistischen Großmenschen An dem „rationellen Kern" dieser Hegelschen Grundlehre von einem die einzelnen Menschen überspannenden innerlichen Einen und Ganzen hält Marx fest — das kann gar nicht deutlich genug gesagt werden. Subjekt und Objekt, Mensch und Natur, bilden auch für Marx eine unauflösbare Einheit. Die Wortführer der kommunistischen Ideologie, Marx, Engels, Plechanow, Lenin, sind sich dieses Zusammenhanges des dialektischen Materialismus mit Hegel klar bewußt. Zwar streifen sie die idealistische Form des Hegelschen Monismus ab und geben ihm eine materialistische Gestalt. Aber den Hegelschen Monismus, Hegels Lehre von der Einheit von Subjekt und Objekt, halten sie als den Grundstock ihres eigenen Denkens fest. Sie verwerfen nur die idealistische Gestalt des Monismus, also die Behauptung, das Objekt werde durch den Gedanken des Subjekts erzeugt. Diese Lehre von der Denkerzeugtheit des Objekts durch das Subjekt tut Marx ab, das ist richtig. Aber er verwirft diese idealistische These nicht, um zum scholastischen Realismus, d. h. zur gehorsamen Hinnahme der gegebenen Realität zurückzukehren, sondern umgekehrt verhält es sich: um diesen scholastischen Realismus und die von ihm formulierte gehorsame Hinnahme der gegebenen Welt noch entschiedener aus der Weltanschauung und menschlichen Praxis auszutreiben, entwickelt er eine andere, nicht mehr idealistische und theore-'ische, sondern sensualistische und rein tätige Form des Subjektivismus, das heißt der Überrollung der gegenständlichen Wirklichkeit und damit der Schöpfungsordnung durch den Menschen. Für Marx war Hegel, wie der geringste Blick in seine kritische Analysen Hegelscher Texte zeigt, noch zuviel Theist und Metaphysiker, Hegel war ihm noch zu wenig Dialektiker, d. h. er verstand sich noch nicht genug auf das dialektische Unternehmen, die gegebene Wirklichkeit und die sich in ihr bekundende höhere Autorität aus dem menschlichen Leben auszuschalten.

In keiner Weise also haben Marx, Engels und Lenin dem Gegenstand der Natur, der Welt — realistisch — jene eigenständige Bedeutung zurückgegeben, die diese gegenständliche Welt nach dem metaphysischen Realismus für den Menschen hat und behalten muß, soll sich nicht das ganze Menschenleben in heillosem Subjektivismus deformieren. An der Hegelschen Grundkonzeption — Identität von Subjekt und Objekt — halten vielmehr Marx und seine Jünger fest. Plechanow gar, ein besonders klarer Denker des dialektischen Materialismus, prangert die metaphysische Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt als den „Sumpf des Dualismus" an, der durch den dialektischen „Monismus von Subjekt und Objekt" zu überwinden sei. Auch dieser dialektische Materialismus lehrt die Hcgelsche Einheit von Mensch und Natur in dem „Subjekt-Objekt — „Subjekt-Objekt" freilich nicht mehr idealistisch, d. h. nicht mehr als „mystisches Subjekt-Objekt“ gefaßt, wie Hegel das tat, sondern Marx entmystifiziert es, d. h. läßt es nicht mehr als gottmenschliches Wesen gelten, sondern macht es zu einem rein menschlichen. Auch Marx lehrt dieses innerliche Eine und Ganze, das Subjekt und Objekt, Mensch und Natur, miteinander bilden, und das nun die Großform des Menschen ist: das eine alle einzelnen Menschen umgreifende Menschenwesen, das Hegel als die „Idee“ eingeführt hatte und das Marx die Arbeit nennt — die Arbeit, die aber auch er dialektisch auslegt und die eben in dieser ihrer dialektischen Gestalt aus dem Menschen ein Großwesen, den kommunistischen Großmenschen, macht.

Einheit des Menschen mit der Natur — das ist die Grundlehre, die Marx von Hegel übernimmt. Für beide ist der Mensch ein aus der Natur sich selbst erzeugendes Großwesen. Für Hegel freilich findet der Mensch sich selbst in den Dingen als deren gedanklichen Grund wieder, somit als die die Dinge schaffende Gottheit. Eben damit aber, so wendet hier Marx ein, verliert sich der Mensch von sich selbst hinweg und an ein Wesen hin, das nicht er selbst ist, das vielmehr, über den Menschen und in die Wolken projiziert, den Menschen von ihm selbst hinwegführt.

Gott und das bürgerliche Kapital — eine Einheit!

Diese religiöse Selbstentfremdung des Menschen bringt Marx mit jener wirtschaftlichen in Zusammenhang, die für ihn der Kapitalismus bedeutet und von der die idealistische Gestalt, die die dialektische Methode bei Hegel gefunden hat, den philosophischen Ausdruck darstellt. Den Hegelschen Idealismus verwirft Marx als das metaphysisch-theologische Mißverständnis der von ihm ansatzweise betriebenen Lehre von der menschlichen Selbsterzeugung, Selbstentfremdung. Selbstverhöhnung. „Darum haben Marx und Engels der Dialektik Hegels nur deren . rationellen Kern'entnommen, die Hegelsche idealistische Hülle jedoch beiseite geworfen und die Dialektik weiterentwickelt, um ihr moderne wissenschaftliche Gestalt zu geben" — so kennzeichnet Stalin („Über dialektischen und historischen Materialismus“) völlig zutreffend den philosophischen Grundstock der marxistischen Natur-und Menschenlehre. Den „rationellen Kern" der Hegelschen Dialektik nehmen Marx und Engels an, das heißt sie lassen die menschliche Selbsterzeugung, Selbstentfremdung und Selbstversöhnung, die den Gehalt der dialektischen Methode bildet, in der wirtschaftlichen Produktion geschehen und kommen damit zu der Forderung, dieselbe kommunistisch zu verfassen.

Gott und das bürgerliche Kapital — das ist für Marx eine enge Einheit, genau dieselbe Einheit, wie sie in seiner eigenen Theorie des Daseins der Atheismus, d. h. die Aufhebung Gottes im menschlichen Dasein, und der Kommunismus, die Aufhebung des Privateigentums, bilden. Die „Idee" Hegels entlarvt Marx als den „Gott“ des kapitalistischen Unter-nehmers, als jenen angeblichen Gott mithin, mit dem sich der Mensch der „bürgerlichen Gesellschaft“ in eins setze; in diesem Gott erblicke der bürgerliche Mensch sein eigentliches Selbst, d. h. das, was ihm einwohne und ihn dadurch zum Menschen mache, und sö vermöge er die bürgerliche Wirtschafts-, Gesellschafts-, Rechts-und Staatsordnung als gottgewollt, als Ausdruck des natürlichen und ewigen Gesetzes hinzustellen.

Vom Standpunkt der objektiven, naturrechtlichen und theistischen Metaphysik können wir nicht umhin, dieser massiven Kritik, die . Marx an Hegel übt. Recht zu geben — natürlich nur in dem Sinne, daß, wenn man einmal die Hegelsche Ineinssetzung des Menschen mit Gott in dem gottmenschlichen Gesamtsubjekt des menschlichen Lebens annimmt. Marx mit Recht feststellt, daß diese Philosophie Hegels das menschliche Erfolgs-und Machtstreben glorifiziere und den sogenannten „weit-geschichtlichen Individuen“ auf den Leib zugeschnitten sei, d. h.den mächtigen Herren der Industrie und des Handels, denen allein ein solcher „Gottesdienst" möglich sei. Als die Selbstverwirklichung des Gottes, d. h. als die leuchtende Selbstdarstellung der führenden Einzelnen, erscheint ja in der Tat bei Hege/die Geschichte, während die vielen einzelnen hier nur noch als der Stoff oder gleichsam das Kanonenfutter gelten können für die Selbstvollbringung der Geschichte, dieser den großen Individuen übertragenen strahlenden Selbstenfaltung des Menschheitsgeistes. Gott mit uns, denn wir sind die Vollzieher des göttlichen Wesens!

Die neue proletarische Pseudotheologie des Marxismus

Durchaus folgerichtig ergibt sich die kommunistische Ideologie aus der Hegelsdten Dialektik. Dieses dialektische Unternehmen besteht ja darin, daß hier der Mensch zunächst sich selbst gehören will, daß er daher aus der Naturwirklichkeit als solcher herausgeholt und auf sieh selbst, d. h. auf seine eigene Handhabung der Naturwirklichkeit gestellt werden soll — er selbst, aber auch die ganze übrige Wirklichkeit, die er handhabt, denn es gibt den Menschen immer nur im Ganzen der Welt. In diesem dialektischen Unternehmen nun, der Selbsterzeugung des Menschen, so wendet sich Marx gegen Hegel, hast du wahrlich recht — Marx nennt Hegel noch am Ende seines Lebens den „großen Meister“ —: aber du bleibst bei diesem dialektischen Unternehmen stecken, d. h. du läßt den Menschen gar nicht sich selbst erzeugen, sondern nur ein Unwesen seiner selbst, den „Unmenschen“, den er über sich, in die Wolken, fixiert. Wenn Marx diese religiöse Selbstentfremdung des Menschen, als den Ausdruck einer wirtschaftlich-sozialen Selbstentfremdung anspricht, dann weist er damit in aller Eindringlichkeit auf den dialektischen, das heißt pseudotheologischen Grundsinn hin, den im dialektischen und historischen Materialismus alle Aussagen über Natur und Menschenwelt atmen. Den theologischen Kern der Hegeischen Dialektik entmystifiziert Marx, er macht ihn „rationell“; aber er bleibt Dialektiker, d. h. er sieht alles, was es gibt, Dinge und Menschen, als Erscheinungen eines einzigen inneren Einen und Ganzen geschehen. Marx nimmt mit Hegel dasselbe Grundphänomen des menschlichen Daseins, die Selbstentfremdung des Menschen, aufs Korn, nur eben in ökonomischer, nicht mehr theologi-

scher Wendung: statt des in die Natur hinein verlorenen Gottes beschwört er die „entfremdete, entäußerte Arbeit'— mit dem Ziel, aus ihr heraus den arbeitenden Menschen wieder zu ihm selbst zurückzuführen.

Das Schwergewicht der kommunistischen Ideologie liegt im historischen Materialismus, d. h. in der Lehre, daß die menschlich-geschichtliche Welt eindeutig von ihrer materiellen Grundlage bestimmt sei. Die Hegeische Idee, so argumentiert Marx, ist nur ein theologisches Mißverständnis der Arbeit, an die Stelle der Theologie muß die Ökonomie treten. Deren Analysen zeigen uns den in seiner Arbeit sich selbst entfremdeten Menschen. In der kapitalistischen Gesellschaft erzeugt der arbeitende Mensch nicht mehr sich selbst, sondern nur noch den Unmenschen, d. h. er bringt den gesellschaftlichen Großmenschen hervor nur noch in der unmenschlichen Gestalt des Kapitals, das sich in der Hand der Kapitalisten immer mehr zusammenballt und so sich für den Arbeiter zu einer ihm fremd und feindlich gegenüberstehenden Macht entwickelt, während der Arbeiter selbst „immer weniger“ wird.

Materialistisch der Leib — dialektisch-pseudotheologisch die Seele Hinter dieser Sozialkritik Marxens und der ganzen kommunistischen Ideologie muß man deren philosophisch-mystischen Grundstock streng im Auge behalten, und diesen philosophischen Grund der Sozialkritik Marxens bildet einmal die Ganzheitsmystik Hegels, d. h. die Dialektik als die Lehre, daß die Menschen bei ihrer Arbeit zu einem Groß-wesen zusammenwachsen, sodann die materialistische Fassung dieser Hegelsdten Ganzheitsmystik, die Lehre, daß das in der Arbeit sich erzeugende menschliche Großwesen ganz und gar von dem in der Produktion „fortschrittlich" entwickelten „materiellen Sein der Gesellschaft“ bestimmt werde. Marx hält an dem Großmenschen, den Hegel als das „mystische Subjekt-Objekt" vor Augen gebracht hatte, fest, nur bestimmt er diesen Großmenschen, diese Großform des einzelnen Menschen anders als Hegel. Das von Hegel verkündigte Wesenprivileg des Menschen, daß nämlich dieser sich auf sich selbst zu stellen und den Gegensatz gegen die Natur zu tätigen habe, diese Selbsterzeugung des Menschen ausder gegebenen oder Natur-wirklichkeit heraus beansprucht auch Marx; nur nicht mehr bloß für die großen, führenden Einzelnen soll jetzt dieses Seibersein des Menschen und die aus ihm strahlende Ganzheitsmystik gelten, sondern für alle. Eben damit ist bereits der Kommunismus, d. h. d a s p r o I e -tarische Großmenschentum geboren.

Gegenüber dem bürgerlichen „Gott“ steigt nun der proletamsche auf; die Gesellschaft in ihrer unbedingt gesellschaftlichen oder kommunistischen Verfassung. Auch die Marxsdte Form der Dialektik ist Pseudotheologie, nur nicht mehr die bürgerliche, sondern die proletarische, d. h. diejenige, die das heilbringende Gesellschaftsganze aus der Arbeit der werktätigen Massen hervorgehen sieht. Von daher kommt nun auch der zweite große Charakterzug der kommunistischen Ideologie zum Durchbruch: der Materialismus, d. h. die Lehre von der allbestimmenden Gewalt des „materiellen Seins der Gesellschaft“, wie dieses in den Produktionsverhältnissen und, noch weiter zurück, in der „fortschrittlichen" Produktionsweise der arbeitenden Menschen sich darstelle. Arbeit ist gemeinsame Selbsterzeugung der Menschen im gemeinsamen technischen Produkt, daraus folgt die Notwendigkeit ihrer kommunistischen Verfassung.

Durchaus folgerichtig kommt die dialektische Pseudotheologic, d. h. die Lehre vom gesellschaftlichen Großmenschen, bei Marx zum Materialismus. Der Mensch, der in allem unbedingt sich selbst will, kann keinen Gott und keinen göttlich-geistigen Grund des Lebens mehr gebrauchen. Als „Blödsinn über das Absolute“ apostrophiert Lenin die Hegelsdte Lehre von der Idee, dieser „geistigen“ Fassung des Großmenschen. Mit einem hämischen „Haha!“ fegt er sie hinweg, aber ihre Grundkonzeption, das im Menschen geschehende Eins und All der Wirklichkeit, behält er auch in seinem Materialismus bei: „Ich bin überhaupt bestrebt, Hege! materialistisch zu lesen. Hegel ist der auf den Kopf gestellte Materialismus — d. h. ich lasse den lieben Gott, das Absolute, die reine Idee etc. zum größten Teil weg“ — zum größten Teil, d. h. nicht ganz, denn die Pseudotheologie bleibt erhalten, ihren Gehalt bildet jetzt die Arbeit. Wie bei Hegel der Mensch in seiner Großform als Gott sich selbst erzeugt, sich mit sich selbst entfremdet und aus dieser Selbstentfremdung zu sich selbst zurückzukehren aufgeboten ist, so bei Marx und Lenin in seiner Groß-form als die Arbeit. Auch für Marx ist der Mensch eine Hervorbringung seiner selbst — seiner selbst, d. h.seiner Großform: in und mit den technischen Produkten bringt der Mensch auch seine Produktionsverhältnisse, d. h. die Formen der menschlichen Zusammenarbeit hervor, und dieses sein „gesellschaftliches Sein", das dem Menschen aus der Bearbeitung der Naturdinge zugleich mit den technischen Produkten leuchtend aufsteigt — dieses „materielle Sein der Gesellschaft“ ist jetzt das Wesen des Menschen, das dieser mit seinem pseudoreligiösen Glauben umfängt und trägt. Die kommunistische Ideologie hat einen materialistischen Leib, aber eine dialektisch-pseudotheologische Seele.

Eine höchstaktuelle Konzeption Diese Kennzeichnung darf freilich nicht dazu verführen, den Materialismus der kommunistischen Ideologie zu gering zu veranschlagen. Dieser Materialismus ergibt sich vielmehr aus der folgerichtig durchgeführten Dialektik als ein wesentliches Bestandstück dieser Ideologie. Vom „Geist“ als dem tragenden Sinn der Natur und dem auf ihn gerichteten Denken geht die dialektische Methode jetzt zur „Materie" über, d. h. zunächst zum „materiellen Sein der Gesellschaft" und der in ihr verkörperten Sinnlichkeit, wie sie sich dem schaffenden Menschen in der gegenständlichen Welt — in der Form seiner technischen Produkte — verkörpert. Nicht mehr, wie bei Hegel, mit seinem Gedanken erzeugt jetzt der Mensch aus der gegebenen Wirklichkeit oder der Natur sich selbst, sondern mit seiner „stnnlidien Tätigkeit, Praxis". Die Arbeit, nicht der Geist, ist das, was im Menschen mit der Natur zusammen-schwimmt — die Arbeitals die mit ihr in eins gesetzte Natur, die nach Marx in der menschlichen Produktion sich selbst und den Arbeiter erzeugt, un der daher der arbeitende Mensch gläubig sich zu ergeben habe.

Der Arbeit oder der Natur ergibt sich freilich jetzt der Mensch als jenem Gesamtwesen des Menschen, das nicht mehr dem menschlichen Handeln vorgegeben ist und ihm sich auferlegt, sondern das nur noch ständig geschieht, indem es sich vollbringt. Die Theologie dieses Glaubens, der in der Selbsterzeugung des Menschen betätigt wird, die dialektische Methode also, ist daher umzustülpen, vom Kopf auf die Füße zu stellen, von der Ebene des Geistes herab auf die der Produktion zu holen. Nicht mehr ein Gott bestimmt jetzt das Dasein, nicht mehr ein gegebenes und vorfindbares Wesen der Dinge, sondern, wie Marx sehr kennzeichnend sagt, die Menschen selbst werden jetzt zu Verfassern und Spielern ihres Lebensdramas. Die Menschen selbst und von sich aus spielen nun ihr Leben und lassen die ganze Wirklichkeit, die sie zu sich selbst herumdrehen, nur noch den Menschen, das menschliche Dasein spielen. Das ist eine Konzeption, die höchst aktuell ist, mit ihr beherrscht Marx heute die Geister auch bei uns im Westen.

Dasein als Selbstdarstelfung des Menschen — entscheidend für den Westen Marx weist damit in die ästhetisch-künstlerische Dimension hinein. Die Wirklichkeit nur noch als Mittel für die Selbstdarstellung des Menschen! Nicht mehr die rohe Natur in dieser ihrer gegebenen Gestalt ist im geschichtlichen Sinne „wirklich", sondern die Natur nur noch in ihrem vom Menschen getätigten Gebrauch. Nicht mehr ihre eigenständige Wirklichkeit haben die Dinge im menschlichen Leben geltend zu machen, sondern ihr Wesen bildet jetzt nur noch der Handgriff, mit dem der Mensch sie hält und betätigt. Nicht mehr sie selbst haben die Dinge zu sein, sondern den sie handhabenden Menschen haben sie zu spielen. Erst in dieser Dimension, die bisher von den Auslegern Marxens und der kommunistischen Ideologie kaum gesehen wurde, bekommen die Begriffe des dialektischen und historischen Materialismus Hand und Fuß, außerhalb ihrer bleiben sie das, was ihre westlichen Ausleger vielfach in ihnen feststellen: voller Widersprüche.

Die angedeutete ästhetisch-künstlerische Dimension aber — Dasein als Selbstdarstellung des Menschen — ist auch diejenige, die den Westen heute mehr und mehr beherrscht. Ist es also zuviel gesagt, wenn wir feststellen, daß auch bei uns im Westen die Grundkonzeption des dialektischen und historischen Materialismus sprießt und wächst, und daß gerade mit dieser Dimension die kommunistische Philosophie auf die westliche Intelligenz unheimliche Anziehungskraft ausstrahlt?

Eine eigentümlich zweideutige Rolle spielt bei diesem fatalen Siegeszug der Marxsdten Ideologie jene Folgerung ans der materialistischer Dialektik, die für die Gesellschaft die kommunistische Verfassung fordert, d. h. die Ausschaltung der wirtschaftlichen Eigenständigkeit des einzelnen und überhaupt aller politischen Hoheit der vorstaatlichen Gliederungen der Gesellschaft. Diese Folgerung der kommunistischen Gesellschaftsverfassung schreckt zwar die Menschen, die in der freiheitlichen Lebensform des Westens ausgewachsen sind, aber auf der anderen Seite ergibt sie sich zwingend aus dem Wesen der materialistischen Dialektik: Wenn das Wesen der Arbeit nur noch darin besteht, daß durch sie der Mensch aus dergegebenen oder Naturwirklichkeitsichselbst zu erzeugen habe, dannist der Kommunismusun-

vermeidlich.

Der kritische Punkt Wir stehen hier vor dem wahrhaft kritischen Punkt der kommunisti-schen Ideologie, d. h. an dem Punkt, wo der Westen in seinem Mitschwingen mit der Seele des Kommunismus stutzig werden und sich schließlich entscheiden muß. Die Folgerichtigkeit der kommunistischen Forderung müssen wir durchschauen. Warum also ist das „gesellschaftliche Sein" des Menschen, das dieser bei seiner Produktion aus der gegebenen Wirklichkeit selber miterzeugt, wesentlich kommunistisch? Auf welchem Wege wird der leidenschaftliche Glaube des Menschen an sich selbst, wie er sich in der Selbsterzeugung betätigt, zur inbrünstig vertretenen Alleinzuständigkeit des GesellschaftsgaiTzen?

Von entscheidender Bedeutung ist hier die Feststellung, daß die kommunistische Forderung sich folgerichtig aus der dialektischen Methode ergibt. Diese besteht ja in der völligen Herumdrehung des menschlichen Lebens gegenüber seinem natürlichen Stande, in.seiner geistigen Herausdrehung also aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit und seiner willentlichen Hereindrehung ganz nur noch in die menschliche Handhabung der gegebenen oder Naturwirklichkeit zurück. In der gegebenen oder Naturwirklichkeit, die er bearbeitet, steht der Mensch und läßt er jetzt gelten, nur noch die darin sich spiegelnde eigene Handhabung dieser gegebenen oder Naturwirklichkeit. Nur noch als die eine Welt, wie sie in das menschliche Dasein sich verwandelt, läßt hier der Mensch sich selbst gelten. Dieser einen gegenständlichen Welt entspricht auf der Seite des Subjekts die eine Produktivkraft, die den technisch-industriellen Produktionsprozeß trägt. Am technischen-Produkt, dieser leuchtenden Verkörperung der menschlichen Produktivkraft,, arbeiten ja alle Menschen in einer umfassenden Arbeitsgemeinschaft zusammen. Darum kann jetzt — in der Beschränkung des Menschen auf das, als was er in der Produktion sich selbst erzeugt, — nur noch diese Produktionsgesellschaft als das eigentliche Wesendes Mensch en gelten, und zwar auch sie nur noch mit ihrer Hervorbringung der technischen Produkte streng als solche genommen.

Damit aber ist es um die eigenständige Einzelheit der produzierenden Menschen geschehen. Nur in ihrem Naturzustand, in ihrer „Naturwüchsigkeit", wie Marx sagt, beruht diese Arbeitsgemeinschaft auf der selbständigen Einaclueii der einzelnen. Bei Marx aber wird diese Arbeitsund Produktionsgemeinschaft hinaufgehoben in jene lichte Sphäre der Selbstemeugung des Menschen, wo dieser nur noch den leuchtenden Aufgang seiner Schaffens-oder Produktivkraft als sein eigentliches Wesen gelten läßt, und darum wird jetzt diese Arbeitsund Produktionsgemeinschaft wesentlich zu jenem überindividuellen oder großmenschlichen Gesamtwesen, als das nun die Wirklichkeit dem Menschen ihn selbst zu spielen hat.

Das ist der Grund, warum nach der materialistischen Dialektik die Menschheit notwendig kommunistisch verfaßt sein muß. Es sind nicht wirtschaftlich-politische Zwecke, die diese kommunistische Verfassung der Arbeit notwendig machen, sondern es ist das hohe Wesen der Arbeit selbst, das sie wie einen allumfassenden Gott über den einzelnen Arbeiter emporhebt.

Volksausgabe der Dialektik Daß in dieser religiösen Sphäre — Selbsterzeugung des Menschen aus der Natur und gegen die natürliche Ordnung — der Kem der kommunistischen Ideologie zu suchen ist, darüber kann nicht hinwegtäuschen die wesentlich andere Art, wie sie den Massen propagandistisch beigebracht wird. Für das breite Volk eignet sich nicht jener innerlich-mystische und gegenreligiöse Eifer, mit dem die radikalisierte Dialektik den Menschen zum Aufruhr gegen die Natur-und Schöpfungsordnung aufstachelt. Das Volk wird vielmehr immer dazu neigen, der Stimme der Natur zu folgen und dem wachsenden Leben und seiner natürlichen Ordnung sich anzuvertrauen. Für die Massen muß daher die Dialektik auch eine gröbere Auslegung ihrer selbst, sozusagen eine „Volksausgabe" entwickeln. Auch in ihr herrscht zwar die dialektische Grundlehre von der tätigen Einheit des Menschen mit der Natur; zugleich aber kommt hier auch der vielgenannte praktische Materialimus ins Spiel. Die Dinge sind der Mensch selbst, d. h. das, wovon der Mensch lebt. Aber von Natur geschehen sie dem Menschen nicht genug als er selbst, als ausschließlich sein Nutzen; sie müssen entschiedener angeeignet werden, als dies im gewöhnlichen Leben gechieht. Die Herrschaft des Menschen über die Natur, deren unbedingte Steigerung schon das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft gebildet hat, schreitet in der naturwissenschaftlich-technischen Aufrüstung unaufhörlich fort, und mit ihr muß auch die menschliche Ordnung „fortschreiten", d. h. sich von den Fesseln der natürlichen Ordnung befreien, die menschliche Aneignung und Beherrschung der Natur kann eine vollständige werden nur durch den sozialen Fortschritt; diesem aber steht im Wege die veraltete Rechts-, Eigentums-und Familienordnung. Während die Produktion selbst bereits wesentlich vergesellschaftet ist, sind die Produktionsverhältnisse noch individualistisch orientiert, d. h. sie fußen noch auf der Rechtsordnung des Privateigentums. Auf diese Weise „geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdrude dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten“ (Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“).

Erschwert wird dieser „Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktiv-kräften und Produktionsverhältnissen“ dadurch, daß die überlieferten Produktionsverhältnisse oder Gesellschaftsformen einen Gegenstand des sittlich-religiösen Bewußtseins bilden. Die kapitalistische Gesellschaftsoder Eigentumsordnung sieht Marx mannigfaltig begründet und gehalten durch das überlieferte „bürgerliche“ Christentum und durch die ihm dienende Metaphysik. Diese erweisen sich als Todfeinde des sozialen FortSchritts, indem sie die durch den persönlichen Besitz der Dinge oder durch das Privateigentum geschützte Eigenständigkeit des einzelnen und der kleineren Gliedgemeinschaften verteidigen. Darum unerbittlicher Kampf dem christlichen Glauben und der Metaphysik, dieser Lehre von der Welt als der Schöpfung Gottes!

An diesem Punkt verbindet sich der Nützlichkeits-und Fortschritts-gedanke der Masse mit dem gegenreligiösen Affekt der Elite: an die Stelle Gottes tritt die kommunistischeGesell-

schäft, ihre Funktionäre entbrennen gegen die Priester und ihre Diener, die Metaphysiker, in unstillbarem Haß. Fort also mit Gott aus der Welt, der Mensch ist mit den Dingen allein im All! In den Dingen darf dem Menschen nur noch der Mensch sich selbst geschehen, was sie darüber hinaus zu sein beanspruchen, ihre metaphysische Wesenstiefe, ist für das menschliche Dasein ungültig, eine Erfindung der Reaktion, die moderne positivistisch-dialektische Wissenschaft befreit uns von diesem mittelalterlichen Wahn. Das von ihm verteidigte Privateigentum kommt nur der besitzenden Klasse zugute und hemmt den Fortschritt. Die Dinge radikal sich anzueignen vermag der Mensch nur durch die kommunistische Aufhebung des Privateigentums, diese aber ist schon für Marx mit der atheistischen Aufhebung und Austreibung Gottes aus dem menschlichen Dasein aufs engste verbunden.

Die Dinge müssen, um wirklich dem Menschen zu gehören, in strenger Gemeinschaftlichkeit festgehalten und verwaltet werden; an die Stelle der bürgerlichen Einzelsicherheit muß die ausschließlich kollektive Selbstsicherung des Menschen treten. Sicherheit gibt es nur gegen Preis-gabe der persönlichen Freiheit. Vor allem darf die Eigenschaft der Dinge, dem Menschen Macht über den Menschen zu geben — diese ihre durch den Verbleib in Privatbesitz begründete Eigenschaft — nicht länger den „Fortschritt“ des Menschen zur unbedingten Herrschaft über die Natur stören. Neben einem ursprünglich sicher berechtigten sozialen Reform-willen kommen hier in der an die Masse gerichteten Propaganda auch mancherlei Ressentiments ins Spiel. Mit ihrer hetzerischen Auf-wühlung dieser Neidgefühle, die stets in der Masse gegen alles Führende, Selbständige, Große, Hohe brüten, sucht die kommunistische Propaganda die Stoßkraft dieses Gewaltsystems aufzuladen: Die kommunistische Partei, diese unbedingt zentralistische Organisation und hoheitliche Führung des Proletariats, spielt sich als die Befreierin der Arbeiter-masse von der kapitalistischen Ausbeutung‘auf. Ist sie aber ans Ziel, d. h. zur Herrschaft gelangt, dann schlägt alsbald bei ihr der Wind um. aber nicht, wie man es vielfach allzu äußerlich sieht, aus selbstischen Interessen der Funktionäre oder aus einem Verrat der Partei an den Arbeitern, die sie in den Sattel gehoben, sondern die Notwendigkeit einer solchen Disziplinierung der Masse folgt aus dem inneren Wesen des kommunistischen Glaubens selbst heraus: der fanatische Wille des Menschen zu sich selbst und der darin eingeschlossene Gegensatz gegen die natürliche Ordnung wirkt sich folgerichtig gegen die von der Natur wohl geordneten Bedingungen seiner Wohlfahrt aus. Darum muß sich die Partei zum Widerstand aufgerufen fühlen gegen die Versuchung,'der die Masse immerfort gegen diese ungeheuere Zucht des kommunistischen Prinzips ausgesetzt ist, in ihrer Neigung nämlich, gegen die Wohlfahrt, dieses „Linsenmus" des Daseins, das leuchtende „Erstgeburtsrecht“ zu verkaufen, d. h. jenes Wesensprivileg, durch das der Mensch die Möglichkeit hat, in trotzigem Seibersein gegenüber der Natur und gegen ihre Ordnung sich zu behaupten. Als Malenkow die Produktion von der Steigerung der schwerindustriell-militärischen Macht auf die Versorgung der Bevölkerung umzulenken versuchte, fiel er alsbald der sich auf sich selbst besinnenden Parteidisziplin zum Opfer, denn er glitt ja in das ab, was der dialektische Materialismus als eine im Menschen lauernde Unschuld ansprechen muß, in den Trieb des Menschen nämlich, der Natur sich anzuvertrauen, diese gläubige Bejahung der Natur aber würde auf der geistig-sozialen Ebene bedeuten, daß das natürliche Lebensrecht aller einzelnen aufrechtzuerhalten sei.

Schlimme Utopie des Westens Daraus sieht man auch die Hilflosigkeit der westlichen Welt, wenn sie erwartet, die Führer des Bolschewismus würden nach und nach auf die Wohlfahrt ihrer Völker sinnen und dadurch von ihren aggressiven Plänen zur Eroberung der Welt abkommen. Diese Erwartung scheint mir eine schlimme LItopie zu sein; ihr Hauptmangel liegt darin, daß sie, in Übereinstimmung mit dem eigenen schleichenden Unglauben des Westens, die Kraft des kommunistischen Glaubens und der aus ihm strahlenden Disziplin unterschätzt. Bei einem System, das so streng auf die Durchsetzung eines „Heiligen" ausgerichtet ist, darf man eine solche prinzipielle Aufweichung nicht erwarten. Der gegenreligiöse Affekt gegen die natürliche Ordnung verschlingt die Bedingungen der Wohlfahrt, die Wohlfahrt widerstreitet der gegenreligiösen Leidenschaft, wie ja auch umgekehrt das Einladende am christlichen Naturrecht gerade darin besteht, daß es nicht nur den in der natürlichen Ordnung ausgesprochenen Willen Gottes erfüllt, sondern auch die menschliche Wohlfahrt trägt — die Sünde dagegen, d. h. die Abwendung des Menschen von Gottes Gesetz macht elend die Völker.

Nicht in wirtschaftlich-politischen Zwecken zuletzt, sondern im gegen-religiösen Affekt wurzelt der Terror derjenigen, die führend diese trotzige Selbstbehauptung des Menschen als Menschen betreiben. Auch nach der Revolution, in der sozialistischen Ära, müssen sie im Dienst dieser fanatischen Selbsterzeugung des Menschen die anderen ständig in Schach halten, die der Stimme der Natur folgen und gegenüber der Hysterie der kollektiven Selbstvergewisserung die freie Selbstbestimmung suchen möchten. Solange der Kommunismus an der Macht bleibt, wird er alle Versuchung zur Wohlfahrt, mit der der Westen ihn lockt, entschlossen abweisen.

Diese wilde Entschlossenheit des Menschen nur nochzusichselbst ergibt sich im Grunde bereits aus der folgerichtigen Entfaltung des dialektischen Ansatzes selbst. Die Menschheit stellt sich nun nur noch als eine Spielgemeinschaft dar, aber sie erhebt sich zu einer solchen Leitung des gemeinsamen Lebensdramas, die geistigerweise in der Welt nur noch sich selbst, d. h. nur noch die eigene Handhabung der Natur geschehen läßt und daher eifersüchtig jede höhere Spiel-leitung, wie sic in der gegebenen oder Naturwirklichkeit des Lebens hervortritt, ausschaltet.

Die „naturwüchsige Arbeitsteilung“, so fordert Marx, muß als solche verschwinden und der künstlichen Arbeitsteilung weichen, d. h.der selbstgesetzlichen Entwicklung der Produktionsverhältnisse oder Arbeitsgemeinschaften muß sich alles unterordnen. Von der Familie, so bemerkt Marx ausdrücklich, darf nur das noch den Menschen beanspruchen, was in der technisch-industriellen Entwicklung von ihr übrigbleibt. Vor allein an dieser Stelle, meine Damen und Herren, zeigt sich der Pferdefuß dieser kommunistischen Philosophie. Sie erweist sich als ein F r e v e 1 a n d e r wachsenden Wirklichkeit des Lebens.

Was von sich aus wächst, das gilt für diese Philosophie nicht mehr; aus dem, was wächst, hat der Mensch selber sich zu erzeugen. Auch die Produktionsverhältnisse oder Arbeitsgemeinschaften sind nur inso-weit gültig, als der Mensch sie zusammen mit seinen Produkten von sich aus hervorbringt. Weil in ihnen der Mensch nur noch selber sich erzeugen will, d. h. nur noch in dem leuchtenden Aufgang seiner Schaffenskraft sich gelten läßt, darum gerinnen die Produktionsverhältnisse selbst dem Menschen zu dem innerlichen Einen und Ganzen, das da aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit sich herausschält und das nun das eigentliche Wesen des Menschen bildet. Die Gesellschaft ist hier das eigentliche Selbst des Menschen, in seiner Einzelheit dagegen isteruneigentlich, der Kommunismus erscheint damit als die leuchtende Wahrheit oder Eigentlichkeit des Menschen.

Im ganzen Gefüge des Daseins tritt damit eine entscheidende Umschichtung ein. Die Natur und die hinter ihr stehende Macht und Kunst des Schöpfers scheidet aus der Daseinsführung aus. Die in der Geschichte sich entfaltende Menschheit wird jetzt selber zur Vorsehung, deren Hoheit geht nun auf die Menschheit selbst über. Ihrem Walten kann sich keiner entziehen, ohne ins Nichts abzusinken, denn sie bildet sein Wesen, seine eigentliche Gestalt. Wir müssen die Schärfe spüren, mit der diese rein menschliche Spielgemeinschaft des Daseins verkündigt wird: ihr gegenüber muß jeder, der sich in seiner eigenständigen Einzelheit behauptet, als „Spielverderber“ erscheinen, und den Spielverderber trifft der Bannstrahl des Ganzen.

Der östliche Glaube im Westen zu überwinden

Angesicht der scharfen Wesenszüge der kommunistischen Ideologie müssen wir zum Schluß eine ernste Gewissenserforschung darüber anstellen, ob wir hier im Westen der Kraft dieses kommunistischen Glaubens gewachsen oder ob wir nicht vielmehr für seine Verlockung anfällig sind. Glaube kann nur durch Glaube überwunden werden. Hat der Westen wirklich einen Glauben? Was ist das Letzte, woran wir selber in unserem Dasein uns halten? Mit welcher Fahne in der Hand können wir leben — und sterben? Es geht bei uns ein gefährliches Wort um, die Rede, der Westen lebe und der Osten lehre den Materialismus. Wenn wir das sagen, dann lullen wir uns nur ein und unterschätzen gründlich die Gefahr, in der wir schweben. Diesen Materialismus, den wir leben, lehrt auch der Osten nicht. Zwar lebt auch dort die Masse auf der niederen und äußeren Ebene, wo sie — mit dem eifernden Funktionär zu sprechen — nach den Fleischtöpfen der Wohlfahrt schielt und von dieser materiellen Hoffnung auf den durch die Technik zu erzielenden Fortschritt in willigem Gang gehalten werden muß. Dagegen hält sich die tragende Elite auch im Osten auf der höheren und inneren Ebene, wo es bei der gewaltsamen Technisierung des Landes um das „Heilige" geht, um die mit religiöser Unbedingtheit betriebene Selbst-behauptung des Menschen als Menschen. Der niedrige Materialismus dagegen wird auch im Osten nicht so sehr gelehrt, er unterläuft vielmehr dort wie hier dem geforderten höheren und inneren Ziel. Dieser gelebte Materialismus findet sich also in Ost und West in gleicher Weise. Was vielmehr der Osten lehrt, das ist, wie bei uns, ein Ethos, eine Religion, eine Mystik, d. h. eine Botschaft vom Ersten und Letzten des menschlichen Daseins, und diese Religion besteht dort drüben in der Religiosierung des menschlichen Schaffens, in der Weltfröm-m i g k c i t. Der Osten lebt aus der Kraft eines Glaubens, nämlich aus der mit einer unbedingten Hingabe betriebenen absoluten Selbsterzeugung des Menschen, wie die Technik sie dem Menschen ermöglicht.

Der Bund der Verzweifelten Wir müssen die Inbrunst dieses Glaubens auf der einen, seine zerstörende Gewaltsamkeit auf der anderen Seite spüren, wenn wir das eigentliche Wesen der kommunistischen Ideologie und ihr gegenüber die Gefahr, die bei uns selbst in den geistigen Grundlagen unseres Daseins brütet, erkennen wollen. Bei Marx steigt der leidenschaftliche Wille des Menschen, ganz nur noch sich selbst zu gehören und daher aus der gegebenen oder Naturwirklichkeit sich selbst herauszuschälen, zu einem ungeheueren Affekt gegen alles „Naturwüchsige“ auf, d. h. gegen den einzelnen und seine natürlichen Gemeinschaftsformen, und dieser Affekt begründet in denen, die er schüttelt, eine Art Religionsgemeinschaft oder Kirche. Marx, Engels und Lenin radikalisieren die von Hegel übernommene Dialektik, das Wesentliche der dialektischen Methode aber ist die Verzweiflungdes Menschen an der Natur und ihrer eigenständigen Ordnung, die dem menschlichen Handeln sich auferlegt, die Verzweiflung des Menschen daher auch an dem Schöpfer der Natur und an der heilbringenden Gut-heit seines natürlichen Gesetzes, die Verzweiflung an der aufbauenden Kraft, die der eigenständigen Einzelheit des einzelnen, der Selbstbestimmung der kleineren, von Natur wachsenden Gliedgemeinschaften usw. eignet. Bedenken wir, was solche Verzweiflung des Menschen an der Natur bedeutet — Verzweiflung, d. h. Zusammenbruch der Hoffnung des Menschen, in der Natur und im gehorsamen Eingehen auf ihre eigenständige Ordnung ans Ziel oder heimzukommen. Das menschliche Herz aber will heimkommen — koste es was es wolle, das ist die einzige unbedingte Forderung, die es stellt. Spüren wir die Gewalt, die in diesem Menschenherzen aufbricht, wenn es nun neben der Natur und im feindseligen Gegensatz zu ihr seinen Weg suchen muß.

Damit sind wir in die seelische Wesenstiefe jener dialektischen Methode vorgedrungen, die Hegel und Marx miteinander verbindet, und die Lenin als die eigentliche Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus zu betonen nicht müde wird. Es ist die Verzweiflung des Menschen an der Natur und der sie tragenden Macht einerseits, aber diese negative Haltung entspringt anderseits aus der positiven Wurzel jenes inbrünstigen Gia übens des Menschen an sich selbst, aus seiner stolzen und wilden Entschlossenheit, nicht mehr der Natur, sondern nur noch der eigenen Menschenkraft zu vertrauen. Die dialektische Grundlehre verkündigt die Selbsterzeugung, die an sich dem Menschen beschieden sei, und die Selbstentfremdung, die dem Menschen unglücklicherweise dabei unterlaufe. Aus dieser Grundlehre formiert sich als eine scharfe gegenreligiöse Kraft die kollektive Verzweiflung des Menschen an der Möglichkeit, bei der die Natur haltenden Urmacht und in der Einhaltung des natürlichen Gesetzes heimzukommen, zu dem bün disch-kollektiven Trotz dieses Menschen, gegenüber der Urmacht sich selbst zu behaupten und der Ordnung der Natur das menschliche Selbst entgegengesetzt zu halten. Daß hier, in diesem Aufruhr, das eigentliche Herz des dialektischen Materialismus pocht, bekunden Äußerungen wie diese von Lenin: „Der Materialist wirft Gott mitsamt dem ihn verteidigenden Philosophenpack in die Mistgrube“ („Philosophischer Nachlaß" S. 90).

Diesem Bund der Verzweifelten zuletzt sehen wir uns im Kommunismus gegenüber, er ist es, der aus dem Proletariat so e. twas wie eine religiöse Gemeinde und aus der kommunistischen Partei eine Art kirchlicher Hierarchie macht. Die Schärfe dieser gegenreligiösen Erbitterung können wir metaphysisch gestimmten und gläubigen Menschen kaum nachvollziehen; aber um zu erkennen, was gerade uns bei einem Siege des Kommunismus erwartet, müssen wir versuchen, den notwendigerweise afrühreri sch-dämonischen Charakter dieser gegenreligiösen Erbitterung auszukosten. In der kommunistischen, d. h. unbedingt nur noch gesellschaftlichen Verfassung des menschlichen Strebens bestätigt der Mensch jene Möglichkeit, die sich ihm als eine Alternative zum kreatürlichen Gehorsam darbietet: die Möglichkeit, gegenüber allem, was von oben kommt, sich selbst zu behaupten und allem, was es gibt, sich selbst als ausschließlichen Grund und Endzweck aufzuerlegen.

Die Gefahren des technizistischen Glaubens und Lebens Gerade für diese Religion des Ostens aber ist der Westen höchst anfällig. Herrscht nicht auch hier bei uns jener technizistische Glaube, dessen tätige Form die restlos-unbedingte Einverwandlung der gegebenen Welt in den Menschen und die ausschließliche Selbst-erzeugung des Menschen bildet? Wird nicht auch bei uns als das eigentliche Wesen des Menschen gelehrt jene tätige Ineinssetzung des Menschen mit der Natur oder der gegenständlichen Welt — dieses Grund-dogma des Marxismus, das den Menschen anleitet, in der gegenständlichen Welt nur noch die eigenen schaffenden Wesenskräfte darzustellcn und in den Produkten seines Schaffens beseligt sich selbst anzuschauen? Können nicht in diese technizistische Pseudoreligiosität auch die Manager des technisch-industriellen Produktionsprozesses bei uns im Westen eintreten. ohne das Geringste in ihrer Arbeit und in ihrem Denken ändern zu müssen? In einer erschreckenden Verkehrung aller Werte wird auch bei uns das Naturrecht und die Geltung der natürlichen Ordnung überhaupt systematisch schlecht gemacht — das Naturrecht, mit dem die objektive Metaphysik im Widerstand gegen jenen haltlosen Technizismus die Eigenständigkeit der gegenständlichen Welt verteidigt, weil nur diese Gegenüberständigkeit der Dinge für die Freiheit der menschlichen Person den notwendigen dinglichen Rückhalt bietet. . Freilich diese technizistische Botschaft, die den Menschen aufruft, im Gegensatz gegen die Natur und ihre Ordnung sich selbst zur Seele der gegenständlichen Welt zu machen, wird bei uns noch in freiheitlicher Form verkündigt und praktiziert, während sie im Osten mit Gewalt durchgesetzt wird. Aber ist dieser Unterschied der Methode wesentlich? Sind wir gegen den Einbruch des dialektischen Materialismus gefeit? Wachsen wir nicht vielmehr, wenn nicht Entscheidendes geschieht, diesem dialektischen Materialismus ständig entgegen?

Wir müssen uns die Gefahr zum Bewußtsein bringen, die in dem Technizismus, d. h.der selbstgesetzlich-unbekümmerten Entwicklung der Technik wirksam ist. Was bedeutet diese Auffassung des menschlichen Daseins nur noch als einer unbedingten Selbsterzeugung des Menschen? Der Technizismus, d. h. die unbekümmerte Ausbreitung der Herrschaft des Menschen über die Natur entfesselt unter der Parole der „Freiheit" im menschlichen Dasein Kräfte, die wesensmäßig gefesselt, d. h. an das innere Ziel alles Wohlfahrts-strebens gebunden bleiben müssen. Über Essen und Trinken und Wohnung und Kleidung, kurz über den Lebensstandard, über Besitz und Genuß hinaus liegt jenes Eine und einzig Notwendige, das der Mensch hier auf Erden zu wirken hat. Was ist dies, was der Mensch in seinem Streben nicht ungestraft vernachlässigen und von dem es, bei Strafe des Untergangs, keine Freiheit geben kann? Es ist das vom Schöpfer gefügte Ganze der Wirklichkeit überhaupt und der Menschheit und ihrer natürlichen Gliederung im besonderen — dieses Ganze der gegebenen Natur, in dem der Mensch erwächst und steht und dessen wesensgerechte Handhabung ihm zu treuen Händen übergeben ist; der Mensch muß stets im Rahmen der gegebenen Menschheit und in der Ordnung ihrer natürlichen Gliederungen leben, d. h. das natürliche eigenständige Lebensrecht aller einzelnen wahren. Ich muß den anderen ais anderen und in dieser seiner Andersheit und Gegenüberständigkeit achten, ich darf ihn nicht bloß, wie die Dialektik das gestattet, als eine andere Gestalt meiner selbst nehmen.

Für dieses unerläßliche innnere und höhere Ziel des menschlichen Strebens, in der getreuen Handhabung der Natur als des gegebenen Lebensganzen aller einzelnen sich zu bewähren, gebrauchen wir den Ausdruck natürliches Dasein und Naturrecht. Gegen die fortschreitende Gewaltsamkeit, mit der die dialektische Theorie des Daseins die eigenständige Einzelheit und Würde des einzelnen Menschen überfährt, dringt die Metaphysik auf die Wahrung des natürlichen Lebensrechtes aller einzelnen. Sein Gegenpol ist nicht etwa nur der Egoismus, der Individualismus, sondern auch alle Unbedingtheit des glorreich-freiheitlichen Seiberseins, die mit dem Materialismus des bloßen Fortschrittsdenkens verbunden ist, die unbekümmerte Herrschaft über die Natur, die um ihrer selbst willen betriebene Macht und schließlich die Ungerechtigkeit gegen die anderen, das gewaltsame Dasein. Mit der ungeheueren Erweiterung der Macht des Menschen über die Natur, wie sie in der Gegenwart durch die moderne Maschinentechnik möglich geworden ist, hat sich auch die Versuchung zum künstlichgegennatürlichen Dasein und bald auch zum selbstzwecklichen Ausbau der Macht und zur Gewaltsamkeit ungeheuer gesteigert. Diese Versuchung ist es, die in der Gegenwart uns alle anfällt. Wir erleben heute auf breiter Front die Aufhebung des Naturrechts, tiefer gesehen die Preisgabe und moralische Niederreißung der gegenständlichen Wirkl’ch-keit des Lebens oder der Natur als solcher, die Abwerfung alles dessen, was in dieser Gegenständlichkeit der Welt als Ordnung der Natur sich auferlegt, die Ausschaltung der natürlichen Gemeinschaften und die Entmachtung jener aufbauenden Kräfte, die da aus der von der Natur geforderten hoheitlichen Eigenständigkeit und Eigentätigkeit der kleinen Gliedgemeinschaften und ihrer einzelnen Träger strahlen.

Woran wir uns halten müssen Wie also muß unsere Gegenlosung lauten gegen diesen Strudel, der uns vom Osten her in sich hineinzuziehen droht? Woran müssen wir uns halten? Die Rettung kann liegen nur in der Erhaltung und dem Wiederaufbau der eigenständigen sittlichen Kräfte, die in Familie, Berufsgliederung und Volksgemeinschaft aus der Nötigung der Lebensaufgaben selbst erwachsen. Wir vertreten damit jenes konservative Denken, dessen Name sich von der Forderung herleitet: servare ordinem naturae. Gegen den heutigen Sog der Geschicklichkeit des Menschen müssen wir, bei allem Eingehen auf das Entwicklungsgesetz einer durch die Technik bestimmten Gesellschaft, die eigenständige Bedeutung der Natur verteidigen. In der staatlich-gesetzlichen Regelung unseres gemeinsamen Strebens dürfen wir uns nicht der selbstgesetzlichen Entwicklung der Technik überlassen; ihr müssen wir als das eigentlich Tragende des Lebens die natürlichen Kräfte des Volkes entgegensetzen. Die Familie z. B. darf nicht, wie Marx es fordert, der Entwicklung der Produktionsverhältnisse geopfert, es müssen vielmehr die Kräfte, die aus der väterlichen und mütterlichen Verantwortung strahlen, zu den tragenden Grundlagen auch des Staates gemacht werden. Wenn wir diese Kräfte weiterhin verkommen lassen und ihre fortschreitende Entmachtung dulden, dann gehen wir unaufhaltsam dem Abgrund entgegen.

Und so möchte ich zum Schluß noch einmal den Grundgegensatz aufreißen, der sich uns aus der Analyse der kommunistischen Ideologie ergeben hat und den wir auf unsere Fahne schreiben müssen. Die dialektische Methode eifert, zur Vollgestalt entwickelt, gegen die Eigenständigkeit des einzelnen, gegen deren Sicherung im Privateigentum, gegen die Hoheit der Familie, überhaupt gegen die Selbstbestimmung der kleineren Gliedgemeinschaften und der berufsständischen Gliederungen im Ganzen der Gesellschaft, kurz gegen jenes Subsidiarität s p r i n z i p, das die naturrechtliche Soziallehre trägt, und nach dem das Ganze der Gesellschaft seinen Einzelgliedern nur seine Hilfe (subsidium) zu gewähren hat, ihm aber seinen Zwang aufzulegen befugt ist nur in dem Maßstabe als diese Einzelglieder der Gesellschaft nicht aus sich selbst heraus die Ordnung des Ganzen zu tragen fähig und willens sind. Die Glieder der Gesellschaft müssen ihren Beitrag zum Wohle aller einzelnen oder zum Wohlbestand des Ganzen aus eigenem Recht leisten dürfen und nicht erst auf Grund einer Ermächtigung durch den Staat. Diese Eigenständigkeit des einzelnen und die Hoheit der naturgegebenen vorstaatlichen Gemeinschaften, kurz, das Naturrecht wird in der dialektischen Methode dadurch verleugnet und ausgeschaltet, daß hier der Mensch die Gegenständlichkeit der Welt aufzuheben habe in jenes unmittelbare Einswerden des Menschen mit der Welt, bei der die Gegenständlichkeit der Welt verdampft, wie Jaspers es kennzeichnend ausdrückt. Die dialektische Methode gipfelt so im antitheistischen Gegensatz gegen den Schöpfer, der in seiner Schöpfungsordnung, die die natürliche Ordnung ist, die Menschen in je ihrer eigenständigen Einzelheit und in ihren natürlichen Gemeinschaftsformen aufgestellt hat. Zwischen Dialektik und objektiv-naturrechtlich-theistischer Metaphysik waltet ein Ur:

gegensatz, er ist unüberbrückbar.

Berechtigtes vom Unberechtigten unterscheiden Dennoch muß auch die Metaphysik und damit die Vertretung des Naturrechtes neu in die Schule gehen. Sie darf nicht etwa vorbeischauen an jenem leuchtenden innerlichen Eins und All, das da dem Menschen bei seinem Gebrauch der Dinge innerlich aufgeht und das die dialektische Methode nun einseitig als das neue höhere und eigentliche Sein des Menschen verkündigt. Die Metaphysik, d. h. die Verkündigung der natürlichen Ordnung, würde damit an der Grundstimmung der Gegenwart vorbeigehen, die Jugend würde ihr davonlaufen. An dem, was uns die dialektische Methode so als den Sinn unseres Daseins vor Augen stellt, müssen wir Berechtigtes vom Unberechtigten wohl unterscheiden. Einmal das Glück der tätigen Selbstverwirklichung, das innerliche Fest des Schaffens, das ein Fest des Menschen als Mensch ist. Diese frohe Empfindung der eigenen Kraft ist das Brot, das die Seele braucht, um gesund zu bleiben. Dieses innerliche Fest, das heute der technisch arbeitende Mensch in und bei seinem Schaffen heimlicherweise zelebriert, und die aus diesem innerlichen Fest des Schaffens strahlende geschichtlich-menschheitliche, vom Menschen selbst einzurichtende Ordnung muß auch die Metaphysik als einen wesentlichen Faktor zum Aufbau des menschlichen Daseins anerkennen Aber die Metaphysik warnt vor der zerstörenden Einseitigkeit und Gewaltsamkeit, mit der die dialektische Methode diese Selbstverwirklichung des Menschen lehrt. Der dialektische Aufruf des Menschen gegen die Schöpfungsordnung, gegen die Natur, gegen die natürliche Sittlichkeit, gegen das Naturrecht, ist ein todbringender Gesang der Sirenen. Im Widerstand gegen diese technizistische Gewaltsamkeit der dialektischen Methode beschwört die Metaphysik den Menschen, der Welt nicht nur unmittelbar sich eins zu machen, sondern auch, zunächst und vor allem, ihr gegenständlich zu begegnen. Das ist nur ein anderes Wort für die Einhaltung des natürlichen Lebensrechtes aller einzelnen. Über ihrem festlichen Zusammenschwingen darf die Menschheit nicht die hoheitliche Gegenüberständigkeit vernachlässigen, mit der die einzelnen, an je ihrem natürlichen Ort fest gegründet, einander gegenüberstehen. Sobald wir nämlich den anderen Menschen nicht mehr in dieser seiner Andersheit und Gegenüberständigkeit nehmen, sondern nur noch als eine andere Gestalt unserer selbst, ist s um die Gerechtigkeit gegen den anderen getan. Die Welt und die Menschheit wird uns dann zu einem bloßen Mittel unserer selbst. Sie muß uns aber bleiben ein gegenständliches Gesetz, in dem uns zuletzt die Majestät des Schöpfers gegenübertritt. Das ist der Kerngedanke der Metaphysik und des von ihr verteidigten Naturrechts. In dieser Achtung der Gegenständlichkeit der Welt und der natürlichen Ordnung des menschlichen Lebens, in dieser Verkündigung des Natur-rechtes verteidigt die Metaphysik die Freiheit und Würde des Menschen.

Fussnoten

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