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Als Häftling in Dachau . . . geschrieben von 1942 bis 1945 im Konzentrationslager Dachau | APuZ 9/1956 | bpb.de

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APuZ 9/1956 Als Häftling in Dachau . . . geschrieben von 1942 bis 1945 im Konzentrationslager Dachau

Als Häftling in Dachau . . . geschrieben von 1942 bis 1945 im Konzentrationslager Dachau

EDGAR KUPFER-KOBERWITZ

2. Fortsetzung

Strafkompanie

Es ist Ende September 1943. Ich habe diesen ganzen Monat nicht mehr schreiben können, so elend war ich. Ich wollte mich dazu zwingen, aber es ging nicht.

ich bin müde, innerlich und äußerlich, krank, siech. Die Haare fallen mir aus, die Backen werden hohl. Immer die gleiche kleinliche Hölle, die der Mensch dem Menschen bereitet. Man ist sich zu nah, so sehr, daß man sich vor zu großer Nähe verzerrt sieht.

Und daß wir fast alle aneinander enttäuscht sind, ist kein Wunder. Wir sind zu unvollkommen, uns zu vertragen, unsere Eehler sind wie spitzige Nadeln, wie Stacheln unsere Unvollkommenheiten. Wir verwunden damit einander dauernd.

Ist es zu verwundern, daß wir es hier miteinander schwer haben, wir, die wir eng zusammengepreßt leben m ü s s e n , die wir die Fehler und Untugenden des anderen ertragen m ässen, des anderen, den wir im normalen Leben draußen wahrscheinlich nie ausgesucht hätten, eher gemieden, oder der uns zumindest ganz gleichgültig gewesen wäre? Lind nicht mit zweien oder dreien sind wir nur zusammen. Jeden Tag muß man viel ertragen Nie ist man allein, stets sind Hunderte von Menschen um uns, Menschen. die uns nichts angehen, und auf die wir doch Rücksicht nehmen müssen oder sollen.

Der Mensch ist täglich nackt, man riecht den stinkenden Eiter seines kranken Charakters, man ist Zeuge der Epilepsie seiner Gesinnungen. Lind so, wie uns allen die Haare geschoren sind, wie uns allen schlechte, häßliche Kleider um die Glieder schlottern, Kleider, die nichts verschönern, so ist auch sonst nichts da, keine Staffage, die sich um das Wesen, um die Seele eines Menschen herrankt, ihn verschönend. Weil all das fehlt, was Umwelt heißt, erscheinen wir häßlicher noch, als wir sind. Wir sind wie Buchstaben, die man durcheinander schüttelte, von denen jeder in sich seinen Sinn und Wert hat, die aber, aus dem Gefüge genommen. sinnlos und unverständlich wurden.

Wir sind ein Wirrwarr, und es ist unser Leiden, daß wir aus dem Sinn gerissen wurden und uns in einen Un-Sinn hineiugeschleuaert befinden, so, daß der andere uns nicht verstehen kann und wir ihn nicht. Denn erst das Einfassen, das Hineingefügtsein in unsere Umwelt gibt uns unseren Wert und macht uns zu einem sinnvollen Wesen, zu einem lesbaren Wort für den anderen.

Und ich kann nicht weiter schreiben. Das, was ich jetzt erzählen soll, steht wie ein grauer, dräuender Berg vor meiner Seele, den ich einmal in Qualen überschritt. Lind es scheint mir, meine Seele ist müde, sie fürchtet sich, sie hat nicht die Kraft, ihn ein zweites Mal bewußt zu überschreiten, — im Erinnern. Es ist ja alles noch so nah, so greifbar nahe, und wenn ich daran denke, durchleide ich es neu.

Warum schreibe ich das eigentlich heute schon, warum nicht erst nadt zehn Jahren, wenn sich alles mehr in mir beruhigt hat, wenn meine Seele wieder stärker ist? Idi weiß es nicht.

Und idt fürdite mich jedes Mal vor der Menge dessen, was noch zu sagen ist. Und ich zweifle oft, daß idt die Kraft haben werde, es auszusprechen.

Jeden Abend, wenn ich heimlich schreibe, ist der Anfang das Schwerste. Ich muß midi dann in die Arbeit einschirren, wie man ein Pferd in die Deichsel spannt.

Heute mußte idt es einmal diesen Blättern sagen, denn es ist niemand da, dem ich es erzählen könnte.

Die Menschen haben alle viel kleinere Seelen, als man glaubt. Jetzt begreife ich das Wort vom „großen Mensdten" erst in seiner vollen Bedeutung, denn ich begreife jetzt, daß die Welt voll kleiner Menschen ist.

Strafblock Plötzlich hieß es:

„Alles fertig machen, übersiedeln auf den Block 17.“

In Dachau kommt immer alles plötzlich, ganz unvermutet, man weiß nie, was die nächste Stunde bringt. Es gab Ohrfeigen, es hieß wir seien undiszipliniert, das Gerenne und das Erteilen von Befehlen, die sich dauernd widersprachen, dauerte einen halben Tag lang, dann waren wir so weit, daß wir auf Block 17 marschierten. Hier wurden wir übergeben.

Der Blockälteste kam, er hieß Oskar Bauer, war ein Schwabe aus Stuttgart und Schneider von Beruf, ein überzeugter Kommunist, der schon viele Jahre eingesperrt war, ich glaube seit 1933 oder 1935.

Er hielt uns einen Vortrag über Ordnung, Sauberkeit und Disziplin und eröffnete uns, daß wir nun bedeutend strenger als im Lager selbst gehalten werden müßten, da wir Strafblock seien. Er verlangte von uns Ordnung, Sauberkeit und Genauigkeit, die die im Lager weit übertraf, denn — täglich kam „der Herr Blockführer" und sah alles nach. Wehe, wenn er nur auch ein Fleckchen fand, wehe, wenn einer nur ein halblautes Wort sprach.

Tatsache war, daß alles in diesem Block glänzte und blinkte, als werde es nie benutzt. Vor allem sah der Schlafsaal wie ein Ausstellungsraum aus. Auch der Wohnraum war unwahrscheinlich sauber, selbst ein kleines Stückchen Zwirn, das am Boden lag, entfesselte Sturm und Ohrfeigenhag«!. Von Oskar Bauer, dem Blockältesten 17, habe ich später gehört, daß er vieles getan hat, um zu mildern, was früher an Schrecklichem und Unmenschlichem im Strafblock verlangt wurde. Er verstand es, sich gut mit der SS zu stellen, mit diesen Wölfen ein wenig mitzuheulen und so auf diese Weise manches zu erreichen, wozu sein Vorgänger unfähig war. Die Früchte dieser seiner Arbeit ernteten wir bereits — wir kamen in eine gemäßigte Zeit.

Kramer kam auf Stube 1, die Elite-Stube, er hatte glänzende Empfehlungen mitgebracht, das heißt, die Kameraden im Lager hatten ihn gut angemeldet. Er war Spanien-Kämpfer und als Sohn eines Sozialisten und Kommunisten selbst ein alter Kämpfer.

So wurden wir getrennt. Ich kam auf Stube 2, also auch immerhin noch etwas, wenn auch schon zweitrangig. Von den Drift-und Viertrangigen will ich gar nicht reden, unter ihnen befand sich auch der junge Wilderer.

In Dachau ging es wie in einem gesitteten Reiche zu. Es gab viele Ränge und Stufen, und so wie in einem Staate gab es viele, verwirrend viele unsichtbare Fäden, an denen gezogen werden konnte und die die Puppen ganz anders tanzen ließen. Manchmal riß auch eine Schnur, dann gab es heillose Verwirrung. Die Hand des obersten Spielers, die SS-Hand griff dann ein, Fäden wurden zerrissen, Puppen flogen in die Rumpelkammer des Bunkers, neue Puppen tauchten auf, und das alte Spiel begann von neuem. Zerrissene Fäden wurden neu gespannt, wenn auch von anderen Händen, denn das Spiel blieb immer dasselbe.

Es war schon am späten Nachmittag, als plötzlich der Stubenälteste wie besessen aufsprang und schrie:

„Achtung!"

Gleichzeitig stand er wie eine Bildsäule und schnarrte soldatisch:

„Stube 2 belegt mit 98 Häftlingen, 2 im Revier."

In der Tür stand ein großer schlanker SS-Mann von etwa dreißig Jahren. Er hatte ein widerliches Gesicht, ein Gesicht, das ich mein ganzes Leben lang wohl nicht vergessen werde. Es war so viel Böses darin, Hämisches, Teuflisches, Sadistisches und Gemeines. Man sah es den Zügen dieses Menschen an, er liebte es, zu quälen.

Ohne ein Wort zu sagen, stand er in der Türe.

Wir natürlich waren alle bei dem Befehl: Achtung! aufgesprungen und standen stramm. Die Weisung war, daß keiner sich rühren, keiner sich auch nur drehen durfte.

Der SS-Mann in der Türe ließ seine Blicke über uns gleiten, gehäßige Blicke. Dann deutete er in eine Ecke, winkte mit dem Finger und sagte mit ganz sanfter Stimme halblaut:

„Komm mal her, Du Vogel."

Wer von den vielen war gemeint?

„Ja, Du, Dich, Dich meine ich", sagte er milde.

Ein alter Mann trat vor.

„Komm näher, noch näher. Wie heißt Du denn?"

„Oberleiter."

„Weißt Du nicht, daß Du stillzustehen hast, wenn ich komme?“

Er begann so leise zu sprechen, daß es faßt ein Flüstern war:

„Weißt Du nicht, wer ich bin? He? Denkst Du vielleicht, ich bin so ein Stück Scheiße wie Du, ue?“

Der alte Mann stand und schwieg.

Der SS-Mann hauchte:

„Du willst wohl nicht antworten, was?“ „Ich ..." -Der alte Mann bewegte dabei aus Angst und Verlegenheit eine Hand.

„Willst Du stillstehen vor mir. Du Hund!“

Der SS-Mann brüllte plötzlich.

„Was bist Du von Beruf?“

„Hoteldirektor."

„So, so, Hoteldirektor, und da kannst Du nicht einmal stillstehen? Und wegen was bist Du hier?"

„Ich habe Radio gehört, Herr Blockführer."

In die Augen des SS-Mannes kam ein teuflisches Glänzen:

„So, so, Radio gehört, den englischen Lügensender natürlich. Damit Du nicht aus der Übung kommst, sollst Du wieder hören, . .. daß Dir der Schädel brummt.“

Plötzlich schrie er:

„Da kannst Du hören, Du alte Sau!“

Er holte aus, zu einem furchtbaren Faustschlag und traf den alten Mann mit voller Wucht unters Kinn. Der stürzte zu Boden, sein Kopf krachte hart auf die Bretter, — er lag regungslos.

Der an der Türe grinste und steckte sich zufrieden und selbstgefällig eine Zigarette an. Dann ging er ins Zimmer und stieß mit dem Fuß an den Körper:

„Schade, daß der Hund nicht verreckt ist. Aber bald wird er Radio hören, im Himmel, dann kann er lernen, was die Engel da singen.“

Er lachte über seinen guten Witz und machte einen Schritt über den Alten. Dann winkte er dem Stubenältesten:

„Wo sind jetzt die neuen Vögel? Ich will sie alle sehen.“

Plötzlich warf er drohende Blicke:

„Daß sich keiner von Euch da hinten rührt!"

Der Stubenälteste war neben ihn getreten. Er deutete auf den Nächst-stehenden: „Das ist ein Neuzugang, Herr Blockführer."

„Beantworte genau jede Frage, die Dich der Herr Blockführer fragt. Lind wehe, wenn Du lügst, es steht alles in den Akten.“

Dieses Wort „Akten“ schüchterte alle noch mehr ein als die brutale Einführung unseres neuen Gebieters. Es hatte also keinen Sinn, etwas Unwahres zu sagen, schien es uns.

„Name ..." — sagte der Blockführer.

„Hartmann."

„Warum bist Du hier?"

„Ich hatte mit einer Polin ein Verhältnis.“

Das schien den Gestrengen zu amüsieren, denn er sagte gnädig:

„So eine Drecksau!“

Damit war der Fall für ihn erledigt.

Dann schnauzte er den Nächsten an: „Was bist Du?"

„Kretschmar, Emil!"

„Was Du bist, habe ich gefragt.“

Er sagte es leise, ganz sanft und gab ihn dabei eine Ohrfeige, daß er taumelte.

„Schuster."

Wieder bekam er eine Ohrfeige:

„Schuster, Herr Blockführer, heißt das, Du Aas. — Also: ...

„Schuster, Herr Blockführer", sagte der andere.

„Wegen was bist Du hier?“

„Ich habe mich staatsfeindlich betätigt."

„Komm mal her, mein Liebling. Solche Huren-Gesichter sehe ich mir gerne genauer an. Komm nur noch näher her, ja, so.“

Er lächelte böse:

„Und was hast Du gemacht, daß Du Dich staatsfeindlich betätig hast? Lüge nicht, sage ich Dir, lüge nicht, ich kriege die Wahrheit doch heraus!“ „Ich habe abfällig von der Regierung gesprochen." Der SS-Mann packte ihn am Rode, schüttelte ihn mit Genuß hin und her, so daß er mit dem Kopf jedes Mal an den Ofen schlug. Dann gab er ihm einen Tritt in den Leib, so daß der Häftling sich vor Schmerzen krümmte.

„Hau ab!"

Er sagte es freundlich und leise.

Ich erinnere mich nicht mehr an die vielen schönen Handlungen, die er noch weiter beging.

Einigen tat er nichts, ich war auch unter ihnen.

Ich erinnere mich nur noch an den Tschechen, an Cratky. AIs er seinen Namen genannt hatte, fragte ihn der Blockführer:

„Was warst Du von Beruf?“

„Stabsoffizier.“

„Ich habe gefragt was?“

„Oberst bei den Fliegern.“

„Kannst Du marschieren?“

„Jawohl.“

„Also, marschiere mir mal was vor. — Los, marsch! Rechts um . . . links um, kehrt . . . rechts um .. . kehrt . . . still-ge-standen!"

Er lachte spöttisch:

„Lind das nennst Du marschieren? Diese Wackelschritte, wie eine Ente?"

Dann donnerte er:

„Ob Du das marschieren nennst?“ „Jawohl, Herr Blockführer.“ „Lind Du willst ein Oberst sein? Aber nicht wahr, von Deinen Soldaten hast Du verlangt, daß sie exerzieren? Wenn Ihr alle solche Soldaten wart, wie Du Hampelmann, dann ist es kein Wunder, daß die Tschechen den Krieg verloren haben. Aber komm mal her, Du Vogel, komm mal nah heran!“

Seine Stimme klang süß. Er saß auf der Tischkante. Cratky mußte ganz nahe zu ihm herantreten. Der Blockführer faßte Cratkys Ohr mit zwei Fingern an und machte dazu ein Gesicht, als berührte er etwas unsäglich Ekelerregendes. Er drehte das Ohr nach vorn und hinten:

„Du hast ja dreckige Ohren. Wäschst Du Dir denn nie die Ohren, Du Drecksack? Lind Du willst ein Stabsoffizier sein und wäschst Dich nicht einmal?“

„Herr Blockführer, ich . . ."

„Halts Maul, los raus, waschen! Raus, oder ich tret Dich in den Arsch, Du Hampelmann, Du ausgestopfter!“

Ich stand ganz nahe bei der Szene. Cratkys Ohren waren sauber.

Der Blockführer examinierte weiter. Später kam Cratky herein und mußte seine Ohren vorweisen.

„Das nennst Du gewaschen, Du Sau? Da sitzt der Dreck ja noch überall faustdick. Los, raus, und wasch Dich besser, oder ich komme Dich waschen, aber mit dem Schlauch."

Er gab ihm ein paar schallende Ohrfeigen. Und Cratky mußte wieder in den Waschraum.

Als Cratky wieder ins Zimmer kam, konstatierte der Blockführer:

„Jetzt geht es zur Not. Daß Ihr Tschechen so dreckig seid, hätte ich nicht gedacht." t Dann erhob er sich, warf einen Imperatoren-Blick in den Raum und schritt hinaus.

Wir alle atmeten auf, als er draußen war, als das Kommando: „Weitermachen!" ertönte.

Später hörte ich näheres über ihn. Er hieß Beck und war übel berüchtigt im Lager. Er war so durch und durch sadistisch, daß er bei der „Auszahlung", also bei der Bastonadc, einer der ständigen Schläger war. Eigentlich wechselte dieser Liebesdienst, den die SS uns leistete immer so, wie aller militärischer Dienst seine Ablösung erfährt. Aber Beck ließ sich diese Freude nicht nehmen. So oft es nur sein sonstiger Dienst erlaubte, war er freiwilliger Schläger. Er tat es mit Genuß und war einer der Gefürchtesten.

Das war der erste Nadimittag auf Block 17. Wir gingen nach dem Abend-Kaffee bedrückt zu Bett. Der nächste Tag war ein Sonntag.

Für eine Strafkompanie aber gibt es keinen Sonntag.

Wir marschierten nun nicht mehr zum Appell auf den Appellplatz. Wir traten vielmehr in Reih und Glied vor dem Block an. Ein SS-Mann zählte, ob der „Bestand“ stimmte. Natürlich mußten wir strammstehen und die Mützen abnehmen, genau wie sonst beim Appell. Bis er kam, hatten wir mehrere erhebende Lieder zu singen, das Singen sollte uns nicht geschenkt werden. Erst wenn der Appell im Lager zu Ende war, durften wir wegtreten. Das dauerte oft lange. Wir standen im Regen und sangen.

Wie schön wäre es da gewesen, nach dem Wegtreten eine Zigarette zu rauchen, aber es gab für uns nichts als Verbote: Schreibverbot, Rauchverbot, Kantinenverbot. Nichts war uns gestattet, was irgendwie einen Menschen hätte erfreuen können. Wir saßen mitten im Lager, von der Umwelt abgeschnitten, —-----„isoliert". Ich habe dieses Wort begreifen lernen.

Die „Arbeit“

Am Nachmittag marschierten wir aus.

Es war ein seltsames Gefühl, als der Schlagbaum hoch ging, das große Drahtgitter geöffnet wurde und wir singend, natürlich singend, die Lagerstraße hinaus-marschierten, 360 Mann, gekennzeichnet mit den großen schwarzen Punkten im weißen Feld, die wir hatten aufnähen müssen, mit jenen Punkten, die das Abzeichen unserer Krankheit waren: Strafkompanie. Vorsicht, weicht zurück! Niemand durfte sich dem Zuge nähern, jeder im Lager hatte einen großen Abstand zu wahren, je größer der war, um so besser für ihn. Dieser schwarze Punkt war wie ein Pest-mal, dieser Punkt bedeutete ein Zeichen für die SS, das hieß: Dieser Mann soll, wenn irgend möglich, so schnell es geht ausgelöscht werden. Dieser schwarze Punkt bedeutete für die meisten von uns den Schlußpunkt des Lebens.

Wir marschierten die Lagerstraße entlang.

Wie friedlich und harmonisch erschien mir jetzt das Lager. Mit welcher Ruhe die anderen auf der Straße promenierten, denn es war ja Sonntag, für sie Freizeit. Wie genießend sie ihre Zigarette oder Pfeife rauchten. O, sie waren zu beneiden, sie konnten hinschlendern, wohin sie wollten, so weit das Lager war, konnten auf den Block gehen, eine Zeitung lesen, ein Buch, konnten sich mit den Kameraden unterhalten.

Und wir, was würde mit uns geschehen? Wo würden wir hingeführt werden? „Kiesgrube“ hatte man gesagt. Aber damit konnte ich gar nichts anfangen. Sollten wir Kies graben?

Ich sang mit starker Stimme:

„Sie hat zwei wundersdtööööne blatte Aaaaitgeit und einen Buubikopf, der steht ihr gut.“

Wir kamen vor das große Tor. Sein starkes Schmiedeisengitter ging weit auf.

„ 368 Häftlinge zur Kiesgrube.“

Wir marschierten den gleichen Weg, den ich früher marschiert war, zu den Wirtschaftsbetrieben. Aber wir marschierten weiter. Hinter den Wirtschaftsbetrieben war ein Gelände, auf dem Baracken standen. Sie dienten dem SS-Wachpersonal als Unterkunft. Neugierige junge Gesichter öffneten die Fenster und sahen heraus, Burschen von achtzehn bis achtundzwanzig Jahren. Als sie uns sahen, kam ein böses Lächeln in ihr Gesicht, und sie riefen uns höhnische Worte zu, Worte, die nur aus einer vergifteten gehäßigen Seele kommen konnten.

In der Nähe dieser Baracke wurde „stillgestanden" kommandiert. Ich sah mich um. Links von uns waren umgegrabene Erdflächen. Bauholz lag herum und Bauutensilien, ein Schuppen stand vor uns, ein großes Eisen, ein Stück Schiene hing vor der Tür. Später wurde es für uns das herrlichste Musikinstrument, dieses verrostete Stüde Eisen, denn es läutet jedes Mal zum Heimmarsch. Hinter uns türmten sich die riesigen Holzstapel der Wirtschaftsbetriebe und verdeckten die übrigen Baulichkeiten dieses Unternehmens ganz.

Jetzt sah ich auch unseren Capo. An der gelben Binde war er leicht zu erkennen. Er war groß, mochte etwa Anfang der Vierzig stehen und hatte ein klares, offenes und gerades Gesicht, nicht weich, auch nicht herb, das Gesicht eines anständigen Menschen. Ich konnte keinen harten Zug darin erkennen. Sollte ich mich täuschen?

Neben mir flüsterte Kramer:

„Der Cape soll schwer in Ordnung sein. Er heißt Karl Wagner und ist ein alter Genosse. Halt Dich immer bei mir, daß wir beisammen bleiben. Mir wird er sicherlich eine bessere Arbeit geben, er hat schon Bescheid über mich bekommen."

Die Tür des Schuppens öffnete sich, und heraus trat ein Mann, auch groß, schlank, etwa Mitte der Vierzig, die Capo-Binde um den Arm. Seine Stimme war unangenehm, er wirkte wie ein Geisteskranker. Er kam jetzt näher und sah mit seltsamen, halb irren Augen über uns hin. Dann gab er dem Capo die Hand:

„So, hast Du sie gebracht. Lauter Dreck, na, wir werden ihnen schon arbeiten beibringen. Die Hunde sollen Blut schwitzen, die werden mich noch kennen lernen, die werden sich noch merken, wer der Schnell-Max ist."

Er musterte jeden einzelnen, schadenfroh. Dabei war es immer, als werfe er ab und zu einen raschen Blick hinter sich, als habe er das Gefühl, jemand stehe hinter ihm. Es sah. fast aus, als fürchte er, angefallen zu werden. Später erst begriff ich das. Es stand wirklich jemand hinter ihm, das böse Gewissen, seine Untaten standen hinter ihm, die unzähligen Morde, die er begangen hatte. Und es war, als schreckten ihn die Geister der Abgeschiedenen, als fürchte er, der Mord könne plötzlich auch hinter ihm stehen. „Also, von heute ab bin ich Euer Capo, daß Ihr’s wißt und der Wagner Karl hier. Was ich Euch befehle, dem habt Ihr unbedingt Folge zu leisten, sonst, na, sonst, da könnt Ihr was erleben. Soll nur einer wagen, zu mucksen, ich schlag ihn, daß er verreckt, das wär nicht der erste. Ich bin ein guter Kerl, von mir könnt Ihr alles haben, aber arbeiten müßt Ihr und Euch anständig benehmen. Und soll sich ja keiner wagen, zu meutern! Und da drüben, gelt, da drüben, ist die Posten-kette.“

Er machte eine weite Bewegung mit der Hand. Wo die Postenkette war, konnte man unmöglich erraten, aber niemand wagte, zu fragen.

„Wenn es einem von Euch nicht mehr paßt, dann kann er ja da durchgehen, über die Postenkette, ich hindere ihn nicht daran, ich halte ihn nicht zurück, er soll nur zu Jehova gehen, wenn er will, je eher, je besser, dann brauch ich mich schon nicht mehr mit ihm herumärgern und der Herr Kommandoführer hier auch nicht.“

Dabei wies er auf den Kommandoführer, der in elegantem schwarzem Uniformmantel neben ihm stand; es war ein junger Mensch mit hübschem, aber finsterem Gesicht und schwarzem Haß in den Zügen. Er nickte beifällig:

„Ja, soll er nur über die Postenkette gehen. Wer einen Fluchtversuch macht, wird erschossen, ohne Anruf.“

Schnell nickte zufrieden:

„Und jetzt werde ich Euch eine Arbeit finden, Ihr Hurensöhne, eine schöne saubere Arbeit, eine Sonntagsarbeit, eine leichte Arbeit. Ihr habt Glück, daß wir mit dem Bau noch nicht angefangen haben, aber das kommt noch.“

Die Posten erhielten den Befehl, auf Wache zu ziehen. Ein Teil von ihnen ging ins Lager zurück, die anderen verteilten sich im Gelände. Sie trugen dicke Mäntel, Schals, Ohrenschützer, Handschuhe. Wir waren ohne Mäntel, ohne Schals, ohne Ohrenschützer, ohne Handschuhe. Es war schon ziemlich kalt, die Schwalben waren längst nach Süden geflogen.

Dann mußten wir gehen und „Stampfer“ holen. Das waren Pfahl-stöcke, an denen rechts und links je eine Latte angenagelt war, als Handgriff, so daß man sie heben und als Stampfer gebrauchen konnte, um Erde oder ähnliches fest zu stampfen.

Als jeder solch ein Instrument gefaßt hatte, mußten wir uns wieder in Reih und Glied aufstellen und zwar auf einer sehr guten, breiten Straße. Ein großer, sehr dicker Mann und ein kleiner Buckeliger wurden uns als Hilfs-Capos zugeteilt.

Wir mußten nun den hart gefrorenen Straßenboden stampfen und dabei immer wieder einen Schritt vorgehen.'Die beiden Hilfs-Capos zählten:

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier........."

So gingen wir stampfend die Straße auf und ab. Es war lächerlich, was wir taten, einfach lächerlich. Unaufhörlich tönte das Kommando:

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier.........“

Wir sahen uns an. Was sollte diese nutzlose und völlig zwecklose Arbeit? Die Hilfs-Capos brüllten. Nun gut.........

Eins — zwei — drei — vier--eins — zwei — drei — vier — die Straße ab und auf, auf und ab.

Die Zeit schlich langsam dahin.

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier..........“

Lind wer aus dem Rhythmus kam, erhielt eine Ohrfeige.

Wir meinten Stunden müßten schon vergangen sein, aber es waren noch keine vierzig Minuten. Capo Schnell schrie:

„Was? — Die Sonne scheint, und die arbeiten mit den Jacken an? Jacken aus, los, marsch! Mützen ab, alles hinlegen!“

Lind schon wiederholten es die Hilfs-Capos und trieben uns an, Mützen und Jacken an den Wegrand zu legen.

Es war Anfang Dezember. Wenn auch die Sonne schien, es ging doch ein kalter Wind, und der Boden war fest gefroren.

„Wartet nur, jetzt werdet Ihr mehr stampfen, Ihr Hunde, dann wird’s Euch warm. Los, stampfen!“

„Los!“ — brüllten die Hilfs-Capos und schlugen auf die Nächst-stehenden ein.

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier.........."

Eine Pause wurde uns gegönnt. Der große dicke Hilfs-Capo kam und begann jeden Einzelnen auszufragen, warum er hier sei. Jemand hinter mir flüsterte:

„Schau Dir nur das feiste Gesicht an, dem ist keine Not anzusehen. Man sagt, er soll drei Zentner gewogen haben, als er ins Lager kam. Die ihn vorher kannten, sagten, er sei jetzt mager. Ein tschechischer Hotelier soll es sein.“

Da kam der Dicke auch zu uns. Er lachte vergnügt, was dicken Leuten immer einen gutmütigen Zug verleiht.

„Was bist Du?" — fragte er midi.

Gerade vorher hatte er mit meinen Nebenmann gescherzt, also dachte ich auch einen Scherz zu machen:

„Internationaler Hochstapler," antwortete ich.

Seine Augen traten aus den Höhlen, seine Unterlippe hing herunter. Wütend stürzte er sich auf mich:

„Das wagst Du mir zu sagen? Mir?!"

Und schon knallten Ohrfeigen in mein Gesicht, daß der Kopf von rechts nach links und von links nach rechts flog. Dabei schrie er:

„Ich werde Dir eine Meldung machen, wegen Antwort-Verweigerung, Du ganz erbärmliche Sau, Du dreckige! Mir das sagen, mir!“

Er konnte sich nicht beruhigen.

Einer der Kameraden trat auf ihn zu, sagte ihm leise einige Worte. Es war einer, der das zweite Mal in Dachau war, und der sich schon längere Zeit in der Isolierung befand.

Mein Nebenmann links sagte:

„Laß Dir das doch nicht gefallen, der hat doch gar kein Recht dazu.“ Ich sah rings um mich und erblickte lauter bestürzte Gesichter. Kramer flüsterte mir zu:

„Du, da stimmt was nicht, der hat sich irgendwie getroffen gefühlt. Daß Du ihm aber auch so eine dumme Antwort gegeben hast. Und daß der Kerl auch gleich so zuhaut.“

Der Dicke kam wieder, mit Papier und Bleistift bewaffnet und nahm meine Personalien auf. Dabei sagte er triumphierend:

„So, die freche Antwort wird Dir fünfundzwanzig eintragen.“

Ich wollte etwas entgegnen.

„Halts Maul!“ schrie er, „hälts Maul!"

Na, das war ja ein ganz schönes Debüt, ich konnte mir gratulieren.

Wir froren beim Stehen in den dünnen Hemden. So waren wir froh, als das Kommando wieder los ging:

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier..........."

Und wir stampfen, stampfen und gehen dabei immer wieder einen Schritt vor, stampfen, wo es nichts zu stampfen gibt, stampfen die hart-gefrorene Erde.

Es ist uns, als seien zehn Stunden vergangen, aber in Wirklichkeit steht die Sonne immer noch am Himmel.

Wir stampfen soviel wir können, die Sonne sinkt tiefer, es wird kälter, der Wind haucht eisig durch unsere Hemden. Viele husten.

Da kommt der andere Capo vorbei, der Wagner Karl. Er sieht uns zu:

„Warum tragen die Leute keine Jacken und Mützen?“

Der dicke Gaibaby ist gefragt, er sieht verlegen aus und beginnt:

„Der Capo . . .der Schnell-Max hat gesagt ..." — „Was . . .der Schnell-Max? . .. hier wird kein Zirkus aufgeführt, verstanden? — Die Leute ziehen ihre Jacken an und zwar sofort, — Los, Jacken an! — Mützen auf!“

Wie wir ihn für diese Worte segnen! — Mit den Jacken auf dem Körper kommen wir uns wie neugeboren vor, wenn auch die Hände rot vor Kälte sind.

Und wie wohl das tut, diese runde Mütze auf dem kahlgeschorenen Kopf zu haben. Es ist ein Segen. Nun kann es ruhig noch eine Weile gehen, es ist nur noch halb so schlimm.

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier.........“

Ich sehe dort in der Mitte, der mit der dicken Brille schmunzelt sogar. Wie uns allen die Wärme gut tut.

„Eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier, eins — zwei — drei — vier........."

Da ertönt plötzlich ein Pfiff. Unsere Hilfs-Capos halten ein mit dem Kommandos. Wir geben die Stampfer ab, schichten sie zu Pyramiden auf und treten an.

Feierabend!

Capo Schnell brüllt. Wir treten ihm nicht schnell genug an, stehen ilim nicht gut genug in Reih und Glied, und er droht, wenn wir nicht . zackig"

singen würden, so ließe er uns „auf und nieder machen, den inzen Weg lang.

Also singen wir, so gut wir können, und marschieren dazu wie Parade-Soldaten. Das Lied, das wir singen, heißt:

„Den heut’gen Tag zu preisen lal't uns singen, daß es froh erschallt ..."

Es ist Abend geworden. Wir sind in den Strafblock einmarschiert und hen draußen zum Appell und ... singen. Endlich kommt der „Herr ockführer", nimmt den Appell ab. Wir singen weiter, bis der Appell 's Lagers vorbei ist. Dann dürfen wir hinein und Abendbrot fassen.

Später läßt mich Oskar Bauer, der Blockälteste, zu sich kommen:

„Du, was hast Du denn mit dem Gaibaby gehabt?“

Ich erzählte. Er lachte.

„Weißt Du auch, warum er Dir die Ohrfeigen gegeben hat? Er hat gedacht, Du meinst ihn mit dem internationalen Hochstapler, denn ar ist so etwas, er ist eine ganz undurchsichtige Existenz, und da hat er sich erkannt gefühlt. Aber Du kannst ruhig sein, wir werden die Sache schon wieder einrenken. Und wegen der Meldung brauchst Du Dir auch keine grauen Haare wachsen lassen, wir werden dafür sorgen, daß sie unterbleibt. Aber lerne daraus eines: In Dachau darf man nie auffallen, weder im angenehmen, noch im unangenehmen Sinne. Je unbemerkter man bleibt, je besser’ ist es. Und mit so Leuten wie Gaibaby scherzt man auch nicht, dazu ist der viel zu dreckig."

Gaibaby kam gleich am nächsten Tage und . . . entschuldigte sich bei mir.

Ich verdanke das wohl nur einigen Worten, die man ihm gesagt hatte. Es gab eine starke unsichtbare Partei im Lager, die ein geheimes Zepter schwang. Es schien, sie hatte mich unter ihren Schutz gestellt.

In diesen Tagen fiel der erste Schnee. Der Winter hatte begonnen.

Stampfer wegwerfen!

Drei Tage lang waren wir nun ausmarschiert und hatten den harten Boden gestampft. Wir waren schon ganz stumpfsinnig. Doch es hieß, bald werde es genug Arbeit geben, man erwarte nur das Material.

An einem dieser Tage, an einem Vormittag, wurde plötzlich gerufen:

„Stampfer wegwerfen, alles antreten!“

Wir rannten alle. Kramer kam neben mich. Er flüsterte mir zu:

„Bleib bei mir. Da ist sicherlich wieder etwas los." -

Capo Wagner kam:

„Kramer, Du und Du und . ..“

Er deutete dabei auf Kramer, mich und nannte noch die Namen von einigen Kameraden, dann fuhr er fort:

„Los, den Wagen voll Kies dort abladen.“

Dabei flüsterte er Kramer zu:

„Macht es schnell, verschwindet gleich und versteckt Euch. Es wird für einen Transport ausgesucht.“

Wir sprangen auf den Wagen und begannen wie die Wilden den Sand abzuschaufeln.

Da erschien schon die Kommission. Alle, die angetreten waren, mußten Jacken und Hemden ausziehen.

Ein SS-Arzt stand dabei. So standen sie mit entblößtem Oberkörper. Sie begannen sich die „Menschenware“ anzusehen und auszusuchen.

Wir waren schon fertig. Ich mußte noch den Wagen abkehren. Es war ein kitzeliger Augenblick, denn die anderen hatten sich schon in Sicherheit gebracht. Kramer stand hinter einer schützenden Ecke und winkte mir. Endlich konnte ich den Besen wegwerfen und verschwinden. Ich lief zu Kramer, der zog mich mit sich fort, in ein halbfertiges Gebäude. Dort warteten wir.

„Mensch, da haben wir Glück gehabt. Anständig von Wagner, daß er uns so herausgezogen hat. Hoffentlich fällt es nicht auf, daß wir fehlen. Uns hätten sie ja sicherlich geschnappt, die suchen sich die Kräftigsten aus."

Während Kramer das sagte, spähte er aus der Deckung hervor, ob keine Gefahr im Anzuge ist.

„Wohin geht der Transport?“

Er zuckte die Schultern:

„Das weiß gewöhnlich niemand."

Wir waren etwa fünf oder sechs Mann, die so abwartend in Deckung standen. Einer meinte, ein Zweitmaliger:

„Wenn es nach Mauthausen geht, dann ist es der sichere Tod, und Flossenbrück ist auch nicht viel besser. Wenn wir auch in der Isolierung sind, schadet nichts, aber Dachau ist Dachau.“

Wir verhielten uns still und warteten. Endlich hörten wir das Geräusch eines abfahrenden Autos. Wagner kam und sagte lächelnd:

„Ja, da seid Ihr ja gut vorbeigerutscht. Ihr könnt wiederkommen. Sie haben eine Menge Leute ausgesucht, drüben stehen sie. Stellt Euch zu dem rechten Haufen, die linken sind schon alle für den Transport ausgeschrieben.“

Wir schlenderten wieder zu den anderen, pirschten uns heran und gelangten ziemlich unbemerkt zu dem bezeichneten Haufen. Freilich, einige hatten unsere Abwesenheit doch bemerkt. Sie fragten höhnisch, feindlich:

„Wo habt Ihr denn gesteckt? Na ja, man macht eben Ausnahmen in Dachau."

Mir taten diese Worte weh, weil ich fühlte: sie waren berechtigt. Es war eigentlich eine Feigheit fortzulaufen.

An dem Tage maschierten wir gleich ins Lager zurück. Der Transport mußte zusammengestellt werden, und Arbeit hatten wir, doch keine.

Kramer sagte:

„Verstehst Du denn nicht, alle kann der Wagner-Karl ja nicht retten, aber einige. Und da gehen die hier in Dachau immer von dem Standpunkt aus, zu versuchen, die Wertvollsten zu retten. Du mußt doch zugeben, daß sehr viele wertlose Menschen hier sind."

„Wer kann der Wert eines Menschen bestimmen? Ich für mein Teil glaube, daß heute wertvollere Menschen für den Transport ausgeschrieben wurden, als ich es bin.“

Er sagte unwillig:

„Du willst mir vielleicht noch Vorwürfe machen? Sei froh, daß ich Dich für dieses Mal gerettet habe. Man sagt, der Transport geht nach Mauthausen. Das bedeutet, wie die Alten sagen, für 90 Prozent in wenigen Monaten den sicheren Tod. Dort schuften sie in den Steinbrüchen und werden von der SS und den Grünen, die dort herrschen, totgeschlagen. Sei froh, daß wir Dich herausgezogen haben. Und das mit dem Wert, das ist ein relativer Begriff. Ich meine natürlich einen Wert für uns, einen Menschen, der auf unserer Seite steht, wie Du, der unsere Ideen vertritt, der in der Zukunft noch etwas für die Menschheit leisten kann oder denkst Du nicht?"

„Aber Du vergißt, ich bin ja kein Kommunist. Ich bin gegen jede Diktatur, sei sie von einer Krone oder von einer Zipfelmütze ausgeführt."

Er lachte:

„Du glaubst noch immer die alten Ammen-Märchen. Du bist ja in Wirklichkeit ein Kommunist. Die Diktatur ist nicht so schlimm, wie Ihr meint, aber sie ist notwendig als Übergang. Aber reden wir nicht davon, Du bist halt ein Edelkommunist, — basta.“

Das war ungefähr unsere Unterhaltung. Ich habe später noch oft mit Vielen anderen Kameraden über dieses Thema gesprochen. Sie alle sagten mir dasselbe: Unter den vielen, die man dem Tode geweiht sieht, kann man immer nur die Besten retten und zwar nur einige der Besten. Und das ist auch stets nur ein Versuch, nur eine Rettung für den Augenblick, der nächste Augenblick bringt dann schon wieder neue Gefahr. Aber der Augenblick der Rettung kann ein entscheidender Wendepunkt sein. Auch in der Wahl der Besten kann man sich täuschen, aber man handelt eben nach der Einsicht, die man besitzt.

An diesem Tage hatte der Blockschreiber alle Hände voll zu tun. Wer auf Transport ging, mußte sein Geschirr, sein Handtuch und so weiter abgeben. Sie standen stundenlang draußen im Freien, wurden aufgerufen und wieder aufgerufen.

Es war eine merkwürdige Stimmung unter ihnen. Viele sagten:

„Schlechter kann es ja kaum kommen, und was „Kameradschaft“ ist, haben wir ja jetzt in Dachau gesehen."

Endlich, es war schon dunkel geworden, waren sie zum Abmarsch angetreten. Das Tor wurde geöffnet. Noch ein Winken, da und dort ein vereinzelter Ruf. Das Stampfen der Schritte im Marsch-Takt klang durch den nebligen Abend ein wenig dumpf und schauerlich, dazu die Lichter, die der Nebel düster umhüllte, der alles noch grauer erscheinen ließ.

Das Tor wurde wieder geschlossen, der Zug verlor sich im Dunste der Lagerstraße und das Stampfen der Tritte in der Ferne.

Auf den Block herrschte plötzlich Stille. Überall fehlten Leute. Es war zuviel Platz da, an den Tischen gähnten Lücken, Spinde und Betten waren leer.

In dieser Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Es war mir, als hätte ich ein großes Unrecht begangen, eine schlechte Tat.

Capo Schnell — Die Juden Das Thermometer war sehr plötzlich gefallen. An den Tagen vorher gab es nur starken Rauhreif, und nun waren es gleich viele Grade unter Null.

Mit welchem Behagen schlürften wir an solch einem kalten Morgen unseren „Kaffee“! Dieser Kaffee morgens, um 6 Uhr, war alles, was wir genossen, bis 1/21 Uhr mittags. Das Stüde Brot, das uns als Abendration gegeben wurde, wurde von fast allen gleich heißhungrig verschlungen, ohne daß es den Hunger ganz gestillt hätte. Freilich, es gab einige Künstler im Essen, die sich regelmäßig noh ein Stück für den anderen Morgen aufbewahrten und so zum Frühstück Brot zum Kaffee hatten. Aber das waren wenige. Sie aßen ihr Brot langsam und mit viel Genuß, die Hälfte. Dann schoben sie das Stück zur Seite. Nach einer Weile griffen sie unwillkürlich wieder danach und schnitten ein winzig kleines Stück herunter, groß genug für eine junge Maus. Aber es schmeckte so gut, dieses trockene Brot, daß sie noch solch ein winziges Stücklein herunterschnitten und noch eines und noch einmal eines. Dann aber schoben sie das Brot wieder energisch zur Seite, möglichst weit von sich fort, bis dann die Hand wie im Spiel wieder danach langte und Stücklein um Stücklein herunterschnitt, bis zuletzt nur noch eine-schwache Scheibe blieb. Mit Aufbietung aller Energie nahm dann der glückliche Besitzer diesen Rest und legte ihn, hart gegen sich selbst, in den Spind, um so sein Frühstück vor sich selbst in Sicherheit zu bringen. Der Hunger begann sich fühlbar zu machen.

Die Wohnstube war unser eigentliches Paradies, wenn wir da auch nur ganz leise flüsternd miteinander sprechen durften und jeder an seinem Tische sitzen mußte, an dem Platze, der ihm angewiesen war. Trotz allem bekam im Laufe der Zeit die Stube doch etwas Anheimelndes für uns. Allmählich begann man die Gesichter, die um den Tisch saßen, zu kennen. Es war schlimm, dieses Paradies morgens so früh schon verlassen zu müssen und in die Kälte hinaus zu gehen.

An diesem Morgen war es sehr kalt. Wir standen in der Kälte und warteten auf den Appell.

Der Tag lag grau und lang vor uns. Noch war es finsterer Morgen. Manche zitterten am ganzen Körper.

Ich versuchte, mich stets von den anderen in dieser Morgenstunde etwas abzusondern und ging auf und ab, in eigene Gedanken versunken. Ich grüßte alle die Lieben, die ich habe, sandte ihnen meine Gedanken und wünschte ihnen von Herzen Kraft und Mut für den neuen Tag, so wie ich es mir selbst wünschte.

Nachdem der Frühappell abgenommen war, und wir ausmarschierten, öffnete sich auch das Tor des neben uns liegenden Blocks 15, und heraus marschierten die Juden, die sich uns anschlossen. Alle trugen sie ihre großen, gelben Davidsterne. Es waren erbärmliche, wankende Gestalten, bleich und mager, viele wurden von ihren Kameraden gestützt. 360 Mann waren es.

Am Tore des Blockes stand ein kleiner Mann mit rötlichen Haaren. Der Blockälteste: „Macht nur, daß Ihr wieder an die Arbeit kommt, Ihr Hurengesindel, Ihr verkommenes, Ihr Lumpenpack, Ihr Judenstinker! Hoffentlich verrecken heute wieder ein paar von Euch, dann erspare ich mir die Arbeit, dann brauch ich Euch nicht totschlagen!"

Er führte ein schreckliches Regiment, und seine ständigen Worte waren: „Neunundneunzig Juden habe ich schon totgeschlagen, und den hundertsten bringe ich noch um.“ Das war aber nicht nur eine Redensart, es war eine Tatsache.

Er hieß Knoll, mit Vornamen Christian. Unser Zug maschierte hinaus. Als wir endlich draußen an der Baustelle angekommen waren, ließ Schnell zuerst alle Maurer heraustreten, dann alle Zimmerleute, dann alle Schlosser.

„Wer kann gut Klavier spielen und wer schreibt eine schöne Handschrift?" Viele traten vor, vor allem viele Juden. Er fragte sie der Reihe nach:

„Was warst Du?“

„Universitätsprofessor.“

„Und Du?“

„Fabrikdirektor.“

„Und Du da, mit der Brille? He?“

„Privatgelehrter.“

„Und Du?“

„ Violin-Solist."

„Und Du?"

„Opernsänger.“

„So, na, dann möchte ich Dich mal singen hören, wenn Du „fünfundwanzig“ kriegst.“

„Und Du?"

„Ingenieur."

„Und Du?"

„Lehrer."

„Und Du?"

„Kaufmann."

„Und Du?"

„Arzt.“

„Ach so, ein Bauchaufschneider."

Er lachte schrill über seinen eigenen Witz. Dann examinierte er weiter:

„Und Du?“

„Geigenbauer.“

„Und Du?“

„Rechtsanwalt.“

„Hihi, — Rechtsverdreher.“

„Und Du?“

„Fabrikant.“

„Und Du?“

„Psychiater.“

„Was? — Was ist denn das?“

„Ein ganz spezielles Fach der Medizin.“ -

„Sag doch gleich Doktor, Du Sau.“

Und so fragte er sie der Reihe nach. Dann ließ er sich ihre Hände vorweisen. Als er sie gesehen hatte, sagte er:

„Ihr schreibt doch sicherlich alle eine gute Handschrift, und Klavier können doch auch manche von Euch spielen.“

„Ja, — ich, -ich!" erklangen einige vorwitzige Stimmen.

„Gut, dann dos, an die Schubkarren dort drüben! Los, sage ich!"

Er begann zu schreien, auf sie einzuschlagen, und wer nicht schnell genug rannte, wurde von ihm getreten. Dann rief er den kleinen, buckligen Hutterer: „Du nimmst Dir jetzt einen tüchtigen Prügel in die Hand und überwachet die Schubkarren, verstanden? Und daß mir die Karren gut vollgeladen werden! Du sorgst mir dafür, daß die Saujuden laufen, daß sie Dreck schwitzen, verstanden? Alles Trab. Und wer faul ist, den haust Du mit der Latte über den Schädel, bis die Latte verreckt oder der Schädel. Verstanden? Los, laß die Drecksäue schwitzen, die sollen wissen, daß ich Max Schnell bin.“

Karl Wagner stand daneben, er sagte kein Wort zu allem, was Max Schnell da lachend hervorgebracht hatte, er sah ihn nur ernst an, aber er schwieg.

Hatte Schnell vielleicht doch nur gescherzt?

Wagner suchte sich Maurer und Zimmerleute aus. Er tat es ruhig, sachlich, energisch und doch fast freundlich.

So wurde in kurzer Zeit alles in kleine Gruppen aufgeteilt. Einige’ mußten das Feld umgraben, andere Balken tragen, andere Wasser schleppen, der Rest, vor allem ein großer Teil der Juden, wurde in die Kiesgrube gesteckt.

Bald wimmelte das Arbeitsgelände von hastenden Menschen. Die Posten standen sich in weiter Entfernung mit schußbereitem Gewehr gegenüber und schufen so die gedachte Grenze, die zwischen ihnen in gerader gedachter Linie verlief. Diese gedachte „Postenlinie“ oder „Postenkette" zu überschreiten, war sehr leicht möglich. Das konnte jedem, der nicht gut aufpaßte, passieren. Es hieß eben, die Augen offen haben und auf der Hut sein.

Ich selber hatte Glück. Es gab noch nicht genügend Arbeit, erst ein kleiner Teil des erwarteten Materials war gekommen. Unsere kleine Stampf-Kolonne ging nun wieder die Straße vor und zurück, langsam, Schritt für Schritt. Ein gutmütiger Häftling wurde zu unserer Aufsicht auserkoren, einer, der schon fünf Jahre im Lager war. Dieser Mann hieß Hecht. Er hielt die Augen offen, ob irgendeine Gefahr drohte, oder ob sich Schnell sehen ließ, war das der Fall, so schrie er laut:

-„Eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier. Wollt Ihr wohl stampfen, Ihr Lumpen!"

War aber die Luft rein, so sagte er freundlich:

„Ausruhen. Aber paßt auf. Und so wie die Wilden braucht Ihr auch nicht zu stampfen, es muß nur von weitem so aussehen, als ob Ihr wirklich etwas tut. Macht es Euch leicht. Aber immer mit den Augen arbeiten. Wenn einer in die Nähe kommt, dann stampft halt tüchtig drauflos, den Stampfer dann hochheben und fallenlassen, daß es nur so knallt. Wenn aber keine Gefahr da ist, dann hebt ihn bloß ein wenig, so daß es eben so aussieht als ob.“

Damals gab es ein seltsames Geheimwort, wir hatten es von den Juden übernommen. Sowie irgendeine Gefahr drohte, ertönte das Wort:

„Achtzig.“

Da es eine Zahl war, fiel es nicht auf, selbst wenn jemand sie hörte. Auf der anderen Seite aber wußte jeder sofort Bescheid, man rief sie sich zu und war gewarnt. Manchen hat dieses Wort, diese Zahl, gerettet. Man konnte zum Beispiel die grabenden Juden sehen, auf den Spaten gestützt, ausruhend, weil ihr Capo sich gerade irgendwo herumtrieb, sich vielleicht in einer Baracke aufwärmte. Da ertönte der Ruf: „Achtzig! Achtzig!", und alles begann emsig zu schaufeln und zu graben.

An uns vorbei hetzten die armen intellektuellen Juden mit ihren Schubkarren. Die Karren waren so vollgeladen, daß sie sie kaum halten, kaum schieben konnten. Ihre zarten, schwachen Hände öffneten sich immer wieder unter der großen Last. Dazu waren es meist schon sehr entkräftete Menschen, manchmal brach einer von ihnen zusammen. Gleich war dann immer das kleine Ungeheuer, der Bucklige, da. Mit einer Latte oder sonst einem dicken Prügel schlug er auf die Unseligen ein, schlug sie damit über den Kopf, über die Hände, über den Rücken.

Andere trugen Balken, Steine, Wasser. Die Grabenden hatten es noch verhältnismäßig gut, sie konnten sich ab und zu ausruhen. Die Maurer und Zimmerleute sahen wir nur von weitem arbeiten, aber ich hörte später von ihnen, daß es ihnen ganz erträglich ergangen war.

Doch nun muß ich von der Kiesgrube erzählen.

Diese Kiesgrube war ein etwa drei Meter tiefes Loch von etwa fünfzehn bis zwanzig Meter Durchmesser. Früher hatte man dort Kies ausgegraben, daher war der Name geblieben, heute diente sie eigentlich nur als Grube für Abfälle. Einmal oder zweimal im Tage kam ein „Moor-Expreß“, von vielen Häftlingen gezogen. Sie luden dort allen möglichen Schutt und Müll ab, vor allem auch Abfälle aus dem SS-Lazarett und aus den SS-Baracken.

In der Kiesgrube unten standen nun die Juden mit ihren Stampfern, meist weit über hundert Mann, eng aneinander gepreßt, um sich so etwas wärmer zu machen. Einige von ihnen zogen mit den Gabeln den Schutt in die Mitte der Grube, und die anderen mußten ihn einstampfen. Freilich, in kurzer Zeit war das geschehen, aber weil man eben keine Beschäftigung für sie hatte, so ließ man sie weiterstampfen, weiter und weiter, nicht Stunden, nein Tage, nicht Tage, nein Wochen, nein Monate. Solange ich dort war, habe ich sie stampfen gesehen, ein Häuflein, wie eine verängstigte Herde, manchmal fünfzig Mann, manchmal auch 300 Mann, zusammengepfercht, frierend, zitternd, elend, verhun-gernd, bangend. Es waren Gesichter darunter, die Ehrfurcht einflößten, und es waren Gesichter darunter, die Gaunern angehörten, es waren junge Menschen dabei, die vor Frost und Entbehrung zitterten, und Greise, die bebten. Alle waren bleich und mager, viele so hinfällig, daß sie außen am Rande lagen, bis ein SS-Mann kam und sie trat, bis sie aufstanden.

Und verhungert waren sie alle, o, wie verhungert! Ich sah später einmal, wie ein Wagen mit Abfällen dort ausgeladen wurde. Kaum waren die SS-Leute, die den Wagen begleitet hatten, fort, so stürzten sich die Ausgehungerten wie die wilden Tiere auf die Abfälle, durchwühlten sie mit den Händen, zogen aus dem Dreck, was sie Eßbares oder vielmehr eßbar gewesenes finden konnten. Ich sah, wie sie so Käserinden aus dem Kot wühlten, dann halbverfaulte rohe und gekochte Kartoffeln, verschimmeltes, von der SS weggeworfenes Brot und verfaulte Wurstzipfes. Sie rissen es sich gegenseitig aus den Händen, verschlangen es mit heißen, glänzenden Augen. Sie waren nicht zu halten. Viele von ihnen schlangen so den Tod hinunter.

Dann suchten sie alles Brauchbare heraus, alte Mullbinden, die voll Dreck waren und die weiß der Himmel was für Wunden schon bedeckt haben mochten. Sie selbst hatten nichts, um ihre Wunden zu verbinden. Knoll, der Blockälteste, ließ sie nur in den schlimmsten Fällen ins Revier gehen und auch da nur, wenn er gerade gut gelaunt war, sonst erklärte er ihre Gebrechen einfach für unwichtig und gab ihnen den guten Rat, doch lieber gleich zu verrecken oder sich aufzuhängen.

Sie nahmen aus dem Abfall alles, was ihnen brauchbar erschien, auch alte Lumpen, ihre frierenden Füße damit zu umhüllen. Lind . . . alte Zeitungen. Das war ein begehrter Artikel. Wenn es auch alte Fetzen aus alten Zeitungen waren, so konnte man darin doch etwas lesen, etwas finden, sehen, was in der Außenwelt vor sich ging. Der glückliche Besitzer solcher Fetzen ging dann in die Mitte des Menschenknäuels und las seinen Kameraden vor. Er war rings so umgeben, daß ihn von außen keiner sehen konnte. Wenn auf dem Rande der Grube ein SS-Mann oder ein Capo oder Hilfs-Capo erschien, so hieß es: „Achtzig!“ und das Blatt verschwand.

Ich habe diese Szenen oft und oft erlebt, denn in der Kiesgrube war unser Abort. Dieser Abort bestand aus einem großen Loch, über das eine große Stange gelegt war, später sogar ein Brett mit ausgesägten Löchern. So, im Angesichte aller, mußten wir unsere Notdurft verrichten. Kam zufällig ein SS-Mann vorbei, so schrie er von oben herunter: „Da sitzen die faulen Säue schon wieder und scheißen, statt zu arbeiten! Wollt Ihr machen, daß Ihr vom Scheißhaus runter kommt, Ihr Sau-köpfe!" Aus diesem Grunde war es mir möglich, die Juden öfter zu sehen und zu beobachten, wie sie in der Kiesgrube lebten. Ich sah, wie diese Menschen mit zitternden Fingern im Müll wühlten, um sich den Hunger zu stillen. Ich sah, wie sie halb verfaulte Knochen abnagten. Lind ich sah Juden, die am Rande der Grube lagen, mit verkrampften Fingern und erlöschenden Augen, langsam für sich dahinsterbend. Die anderen aber stampften gleichgültig weiter. Ab und zu beugte sich einmal einer über solch einen Unglücklichen, aber was sollte er tun? Er konnte ihm ja doch nicht helfen, niemand konnte helfen, niemand. Und so lagen sie da, die, welche zusammengebrochen waren. Man ließ sie liegen, wenn nicht gerade ein SS-Mann dazukam und sie mit dem Stiefel trat. Doch das geschah in der Kiesgrube selten, denn die SS scheute den „Gestank“ der Juden und sie fürchtete auch, ihre blanken Schuhe auf dem schlüpfrigen Boden der Grube zu beschmutzen. So waren die Halbtoten in der Kiesgrube ziemlich sicher.

Es gab Tage, an denen die Juden überhaupt nicht mehr stampften, wo sie so apathisch waren, daß sie gar nicht mehr da zu sein schienen. Ich sah, wie dann Gaibaby oder der kleine Bucklige mit dem Prügel unter sie sprang und blindlings rechts und links unter sie schlug. Aber die Juden wichen nicht einmal aus. Sie hatten müde Gesichter, und es war ihnen ganz recht, totgeschlagen zu werden. Sie sagten es auch, müde, ohne allen Vorwurf:

„Schlag uns doch tot, das ist am besten."

Aber diese Ergebenheit machte den Peinigern keine Freude. Machtlos zogen sie dann wieder ab und fluchend. Unten aber standen die Juden und stampften nur noch, wenn sie gar zu arg froren. Sie drücktenganz eng aneinander, als erwarteten sie so den Tod. Und sie erwartete.: ihn so, doch er verschmähte es, sie schnell zu holen, er kam langsam, oh, furchtbar langsam.

Für mich war es ein furchtbarer Anblick und — ein täglicher Anblick. Wo war mein sonniger Süden? Wo waren die freundlichen Gesichter meiner lieben Ischietaner? Wo war mein ganzes geliebtes Italien hin verschwunden? Es war mir, als sei das alles ein schöner Traum gewesen, als könne es auf der Welt gar nichts anderes geben als Menschen mit geschorenen Haaren und gestreiften Kleidern, Menschen, die nicht lachen konnten und SS mit blank geputzten Stiefeln, die Revolver und Gewehre trugen, und Baracken, rings Baracken. Und die Bäume haben sich der Trostlosigkeit angepaßt, sie sind kahl und grau und strecken flehend ihre dürren Äste zum Himmel.

Und wieder: „Stampfer wegwerfen!“

Alles ist so trostlos. Alles ist gedrückt, wie geduckt, auch unsere Glieder hängen herunter, wie die Zweige von Trauerweiden. Und unten in der Kiesgrube steht die sich leicht bewegende Masse der Juden, ihr Atem dampft. Wie grauer Abfall sind sie dort unten. Fortgeworfene. Sie kommen mir vor wie zerbrochene Uhren, deren Räderwerk noch zuckt und deren Glocke manchmal noch einen zersprungenen Ton gibt.

Und wir selber, wir stampfen, immer den gleichen Weg ab und auf, auf und ab. Die Umgebung ist uns nun vertrauter geworden. Alles ist trostlos, alles ist monoton. Die einzige Abwechslung sind die jeweiligen Exzesse, die sich Hutterer oder Gaibaby leisten, oder das Brüllen des Capos Schnell oder das Treten eines SS-Mannes.

„Eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier. . ."

Manchmal geht Schnell vorbei. Dann wieder taucht Karl Wagner auf.

Und die Sonne sinkt, langsam, oh, unendlich langsam. Für uns hat jede Minute ihre vollen sechzig Sekunden, und diese Sekunden sind für uns zu viel Zeit.

Die SS geht mit ihren blanken Stiefeln vorüber, der „Herr“ Kommando-Führer stolz und aufrecht. Welcher König dürfte es heute wagen, einen mißliebigen Untertanen auf der Stelle vor seinen Augen erschlagen zu lassen? Welcher Kaiser sieht um sich her solch bedingungslose Unterwerfung, bis in den Staub? Mehr als Könige sind sie, diese Männer mit dem aufgenähten Totenkopf auf Jacke und Mantelkragen.

Halbgötter sind sie, diese Menschen, die militärisch oft nicht einmal den Rang eines Unteroffiziers haben.

Die Hölle ist hier, hier sind die Verdammten in ihren Qualen, und die Totenkopf-Gezeichneten mit ihren hochglänzenden Stiefeln und ihren stets Verderben bringenden Gesten und Worten, das sind die Teufel, unsere Teufel, die uns quälen. Nur ein Gutes hat diese Hölle. Sie kann nicht ewig währen, sie muß einmal enden. Freilich, was ist Zeit? Jeder Tag ist uns eine neue Ewigkeit, die nicht verrinnen will. Und hinter dem allem, . . . steht da nicht schon eine Erlösung, eine, die niemand mächtig genug ist aufzuhalten? Der Tod. Macht er nicht auch frei? Und wir sehnen uns alle so nach der Freiheit! Ist es da ein Wunder, daß viele freiwillig in diese Freiheit gehen, in jene Freiheit, die wir Tod nennen, daß sie durch jenes letzte geheime Tor schreiten, das unverschlossen ist, das man nur aufzustoßen braucht 7 „Eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, .

eins, zwei, drei, vier. . .“

Zwei Tage sind nun schon wieder vergangen, einer wie der anaere, zwei lange Ewigkeiten. Es liegt nebliger Dunst inrder Luft. Das Wetter ist umgeschlagen. Es ist etwas wie Schnee in der Luft. Beim Jourhaus habe ich heute die Kette der Alpen liegen sehen, ganz klar und nah. Sie sagen, das sei ein Zeichen, daß es anderes Wetter gäbe. Ich hörte kaum, was sie sagten, ich dachte, daß dahinter Italien liegt. Es geht mir nun etwas besser. Ich stampfe wohl nach dem Takt, aber ch sehe die Umwelt nicht, vor meinen inneren Augen entstehen andere Bilder:

Die Morgensonne scheint, es ist eine herbfeuchte Luft. Diese Sonne wird auch in Stuttgart scheinen, es ist seltsam zu denken, diese selbe Sonne. Lind sie wird auch über dem Castello scheinen und sich im Meere spiegeln. Sie sieht die reifen Orangen dort in dem Garten und schaut in meine verlassenen Zimmer, huscht über die alten Gemälde und flimmert in den Scheiben der weißen Häuser, tanzt über die halbgerundeten Dächer. In Stuttgart wird jetzt Hilda aufstehen, das Fenster öffnen und ie herbe Luft einlassen. Dann wird sie sich über die Haare streichen und über die Stirn, hinter der schwere Gedanken wohnen. Doch sie wird diese Gedanken mit dieser Geste glätten, wird die Blumen in der Vase ordnen und sich an ihren großen Webstuhl setzen. Ich sehe, wie ihre Hände flink das Weberschiffchen werfen, wie es durch die gespannten Fäden gleitet, wie Faden sich zu Faden fügt. Ich höre das Klappern, der Tritte und ich sehe, wie der Stoff wächst, ein schöner Stoff. Und Hilda sitzt darüber gebeugt, und ihre Hände werken. Aber sie denkt. Unsichtbare Gedanken-Fäden gleiten mit in den Stoff, werden mit verwoben, und ich fühle: es sind auch Gedanken an mich dabei, viele sogar. Und sie seufzt. Aber der Stoff wächst.

Und dann sehe ich Irma, meine Schwester, wie sie die beiden Kinder herzt und weckt, und ich sehe einen freundlich gedeckten Kaffeetisch mit bunten Tassen. Blumen stehen darauf und das Getränk dampft und duftet. Es atmet alles Behaglichkeit und Freundlichkeit. Lind sie selbst ist eine junge, schöne Frau, sieben Jahre jünger als ich, also sieben Jahre heiterer und unbeschwerter. Die Kinder lachen und plappern. Sie erzählt ihnen vom Onkel Edgar, der noch immer verreist ist.

Wie kann ein Mensch nur solch unmögliche Dinge träumen, Dinge, die es doch gar nicht gibt, Dinge, die einmal waren, so wie im Märchen, die alle gern hören und an die doch keiner glaubt.

Und ich sehe meine Schwester, wie sie mit ihren Kindern im herbstlich-winterlichen Walde spazieren geht, und ein kleiner Hund springt um sie her, und die Kinder lachen, ganz hell und glücklich, so wie silberne Glocken klingt es.

Aber das ist alles ein Märchen. Wirklichkeit ist das nicht. Kinder soll es geben, irgendwo, weit fort, in einer anderen Welt, in einer, die ich schon lange nicht mehr kenne, die ich einmal vielleicht auch nur geträumt habe. Und lachen, nein, lachen, silbern, hell, das kann keiner, das müssen wirklich nur Kinder können. Aber Kinder gibt es ja gar nicht, nur in Gedanken, in Märchen, in der Fantasie.

Und ich blicke um mich.

Es gibt ja nicht einmal Menschen, es gibt ja nur Verzweifelte, Verhärmte, Zerbrochene, Unglückliche. Und es gibt nur Unglück auf der Welt, Unglück und Bosheit.

Da höre ich auch wieder, was ich so lange überhört habe:

Eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier. ..“

Plötzlich werfen alle die Stampfer weg. Ich begreife noch gar nichts, ich bin erst halb aus meinen Träumen erwacht. Die anderen rennen alle.

„Was ist geschehen?" frage ich.

„Antreten!“ schreit mir einer zu.

„Ist es denn schon Zeit?“

„Quatsch, irgend etwas ist los, entweder ist einer durchgegangen, oder es wird wieder ein Transport ausgesucht."

„Willst Du laufen, Du Hund!"

Eine wüste Stimme bellt gellend diese Worte in mein Ohr. Ich sehe ein zum Tritt erhobenes Bein und erkenne, daß gefahrvoll nahe bei mir ein SS-Mann steht. Da werde ich hellwach und laufe den anderen nach.

Ja, es ist wieder Antreten für einen Transport.

Diesmal werden wir alle auf der Straße aufgestellt. Es wird geschrien. Hutterer, Gaibaby und ein paar andere Untercapos sind ganz in ihrem Element. Max Schnell und Karl Wagner stehen abseits und sprechen mit einigen SS-Offizieren. Einer von ihnen dreht sich um und schreit mit schneidender Stimme:

„Na, wird’s bald! Ist der Sauhaufen endlich angetreten?“

Ich blicke um mich. Lauter ängstliche Gesichter. Krämer ist nicht zu sehen, wahrscheinlich steht er am anderen Ende der Kolonne. Alles ist geordnet, man beginnt schon abzuzählen.

Da kommt von hinten Kramer keuchend gerannt. Er rennt zu mir her, ich stehe in der hintersten Reihe. Er zerrt mich heraus und reißt mich mit sich fort. Wir rennen beide, nur ein kleines Stück. Dort steht eine andere kleine Gruppe. Er schiebt mich vor sich. Ich sehe mich um. Wir sind etwa fünfzig Mann. Kramer ist noch ganz außer Atem, dann haucht er mir ins Ohr: „Mensch, ich habe eine Angst ausgestanden wegen Dir, aber es war nichts zu machen. Hier stehen die Unabkömmlichen, die Maurer, Zimmerleute, alle, die dringend gebraucht werden. Wir wurden gleich gesondert gestellt. Wo hast Du nur gesteckt? Die Augen hab ich mir aus-geguckt nach Dir, aber kein Kupfer zu sehen. Na, für den Augenblick bist Du gerettet.“

Es wiederholte sich alles, wie beim letzten Mal. Wir marschierten ins Lager, auf den Block. Es gab großes Durcheinander und Hin und Her, es gab freundliche Abschidsworte und viele betrübte und traurige Gesichter, es gab viele spitze Zungen und auch erstaunte Fragen:

„Ja, Kupfer, Du bist ja wieder nicht dabei, Du läßt den Transport ja wieder allein gehen."

i So nahm man wieder Abschied, auf Leben und Tod. Diesmal gingen viele gute Kameraden mit, auch fast alle tschechischen Offiziere, Kratky, Kopetzky und wie sie alle hießen. Es war ein schwerer Abschied.

Am Abend war wieder das Winken im Düster der Blockstraße, vereinzelte Abschiedsrufe, dann das Stampfen der Füße, das sich in der Ferne verlor. Das Tor schloß sich knarrend, und die Öde in der Stube gähnte. Es war zu trostlos, all die leeren Plätze zu sehen. Freilich die Lücken, die der erste Transport gerissen hatte, waren schon wieder aufgefüllt, längst.

An diesem Abend wurden Verlegungen vorgenommen. Ich kam auf Stube 1. Ich nehme an, daß ich es Kramer zu verdanken hatte. Es gab allerhand zu tun, meine Sachen auf die andere Stube zu bringen, den neuen Spind einzuräumen. Ein Bett mußte mir zugewiesen werden. Rings waren neue Gesichter. Als Spind-Kameraden erhielt ich Rinkenburger, einen Mann von etwa vierzig Jahren. Er war Kellner von Beruf. Er trug eine goldene Brille. Rinkenburger fiel immer auf, und wo er schweigen sollte, da redete er. Er konnte nicht leben, ohne zu reden. Er schwätzte mit allen über altes, fragte alle, die irgendwie in seiner erreichbaren Nähe waren, fragte sie die seltsamsten, intimsten Fragen und erzählte allen aus seinem Leben, alles, alles, ob sie es wissen wollten oder nicht. Dabei kam er sich stets äußerst wichtig, ja fast gelehrt vor, wahrscheinlich schon allein wegen seiner Brille.

O, Rinkenburger war ein lieber Kerl. Er tat alles, um ein gutes Einvernehmen zu erzielen, so wie ich es auch tat. Daß er ab und zu vergaß, seine Schüssel abzutrocknen, das Handtuch zusammenzulegen, das Messer abzuwischen, den Spind von Brotkrumen zu reinigen, also für Dachau absolute Kapitalverbrechen, das nahm ich ihm weiter nicht übel.

Den Namen Rinkenburger konnte man leicht zwanzigmal am Tage hören. Einmal hatte er die Schuhe nicht geputzt, dann das Bett schlecht gemacht, dann Kaffee verschüttet, dann zu laut gesprochen, dann nase-weise Fragen gestellt, dann sein Essen noch nicht gefaßt. Kurz, alle halbe Stunde einmal hieß es: Rinkenburger!

Er nahm das alles mit einem glücklichen Gemüte auf. Er fühlte sich so immer wieder als Mittelpunkt, und das schien ihm zu genügen, ihn zu befriedigen. Die täglichen Ohrfeigen, Drohungen, Flüche und Ehrentitel, wie: saudummes Rindvieh, aufgeblasenes, das alles ließ er mit Würde über sich ergehen, so wie einer, der wohlverdienten Lohn empfängt oder wie jemand, den man mit den ihm gebührenden Ehrentiteln anredet.

Später wurde er auf Stube 4 versetzt, auf die schlechteste Stube des Blockes. Neue Arbeit — neue Eindrücke Am nächsten Morgen ging es besser, als ich gedacht hatte.

Unwillkürlich sah ich in die Gesichter der Kameraden, und ich glaube, ich suchte unbewußt die gestern Abegezogenen.

Es begann zu regnen, nicht in Strömen, ein kalter, durchdringender Regen. Man konnte sich nicht davor schützen. Bald war der Mantel feucht und naß, sog sich immer mehr voll.

„In einer Stunde kann man sehr naß werden, in einem Tag noch nässer.“

Irgend jemand neben mir äußerte diese philosophische Bemerkung.

Wir schnatterten vor feuchter Kälte und Nässe, als wir endlich los-marschierten. Diesmal waren wir bedeutend weniger Menschen. Unsere Gruppe und die der Juden war auf etwa die Hälfte zusammengeschmolzen, lauter frierende Menschen in feuchten Kleidern. Lind vom Himmel herab sickerte weiter feiner durchdringender Regen, unaufhörlich.

Wir sangen das stolze Lied von dem Schloß so hoch da oben, — ein wirklich klassisch geistreicher Text:

„Auf dem Berg, so hoch dort oben steht ein Schloß. — Auf dem Berg, so hoch dort oben steht ein Schloß. — Drinnen singt man frohe Lieder, steigt ein Schifflein wohl auf und nieder, steigt ein Schifflein wohl in die Höh’, ja Höh’, weil wir fahren auf dem Bodensee.“

Vergeblich zermarterte ich mir jedesmal den Kopf wie das Schifflein in das Schloß kam und dort dann in die Höhe stieg, wobei man sich laut Text einbildete, auf dem Bodensee zu fahren. Oder war der ganze Text noch verwirrter? Oder nur meine Gedanken?

Wir marschierten über den Appellplatz, dann schweigend durch das Tor, durch das Tor, das der Traum aller war, die hofften, da einmal als freie Männer wieder hindurchzugehen, oder wenigstens frei im Sarge hinaus zu fahren. Singend kamen wir dann wieder auf unserem Gelände an.

Da wir nun nur wenig Leute waren, mußte viele Arbeit neu verteilt werden. Schnell schrie dabei, fluchte, gebrauchte gemeine Ausdrücke.

Ich selber kam mit Kramer'zu einer kleinen Gruppe, „Unterführerheim“ nannte sie sich.

„Wenn nur dieser Regen aushören würde, aber er wird noch Tage lang anhalten, fürchte ich.“

Kramer zuckte die Schultern und lachte:

„Uns wird er nichts mehr ausmachen, wir kommen jetzt unter Dach und Fach."

„Wieso?"

„Siehst Du nicht die Baracke dort drüben? Ja, die grün angestrichene. Dort hinein gehen wir arbeiten. Da kann uns der Regen wurscht sein.“

„Und die anderen?"

„Was weiß ich? Von denen werden auch einige unter Dach kommen. Der Rest, ... ja, da kann man halt nix machen, die werden halt draußen im Regen bleiben und irgendeine unnötige Arbeit tun. Aber es hilft nichts, sich deswegen das Leben zu vergällen. Im KZ muß jeder sehen, wie er selber weiter kommt, den anderen kann man ja doch nicht helfen, oder nur selten einmal einem vielleicht. Sind wir froh, daß wir es so erwischt haben.“

„Und was werden wir. tun?“

„Weiß nicht, die Hauptsache, wir kommen unter ein Dach.“

Ich war ganz seiner Meinung.

Da kam Schnell vorbei:

„Los, dreißig Mann her zum Särgetragen, aber dalli! ” Wir wollten heraustreten, aber er schrie: „Hier alles stehen bleiben!“

Die Sargträger waren gleich beieinander. Sie gingen hinüber in die Wirtschaftsbetriebe, traten durch das Tor des Holzhofes und waren verschwunden. Nach einer kleinen Weile kamen sie wieder zum Vorschein. Je zwei Mann trugen einen einfachen, schwarzen Sarg.

Ich erinnere mich, daß ich in den goldenen Zeiten (oh, wie weit lagen sie nun zurück!), als ich noch im Magazin der Wirtschaftsbetriebe arbeitete, einmal in einem der großen Maschinensäle einen Stapel von schwarzen Särgen gesehen hatte. Jetzt fragte ich Kramer:

„Wieso fünfzehn Särge, wieso so viel?“

Er zuckte die Achseln:

„Was weiß ich. Vielleicht haben sie einen größeren Leichentransport.“

Einer neben uns wandte den Kopf:

„Es werden halt soviele gestorben sein. Die gehen jetzt hinüber in die Leichenkammer, dort hinüber in das neue Haus mit dem turm-ähnlichen Aufbau. Das ist das ehemalige Krematorium, sagt man, aber es ist außer Betrieb, eine schlechte Anlage, kostete zuviel, sagt man. Doch ich glaube, es hat ihnen die Luft zu sehr verpestet, denn gleich dabei steht ja die Kommandantur. Die Herren werden in ihren Büros nicht jeden Tag den Gestank verbrannter Leichen riechen wollen. Außerdem ist jetzt das Bad der SS darin, soviel ich weiß, aber in dem Raum, der von hier wie eine Garage aussieht, da ist die Leichenkammer."

Es war ein kleiner Mann, der das sagte, einer mit rötlichem Haar-wuchs und ein paar wild und lebhaft funkelnden Augen.

„Ja, und was geschieht jetzt mit den Särgen?"

Er sah mich geringschätzig an:

„Die Toten werden hineingeschmissen, der Sarg wird zugenagelt, und dann kommt das geschlossene Auto vom Kematorium München und holt den ganzen Schwindel ab, schön diskret, von außen gar nicht zu sehen, was für Elend da drin liegt, oft zwei in einem Sarge. Lind die Särge sind ja auch fein zugenagelt, man braucht sie nur so in den Ofen zu schieben, keiner sieht die Leichen. Es ist besser so, Dachauer Leichen sind keine schönen Leichen. Siehst Du, und jetzt sind sie drüben angekommen, der SS-Mann schließt die Türe auf. Jetzt müssen sie die Särge hineintragen und dann dürfen sie die Leichen in den Sarg schmeißen, so hoppla-hopp! Schöne Beschäftigung. Denen vergeht der Appetit für heute Mittag. Wirklich schöne Beschäftigung, die nackten Leichen so beim Kopf und bei den Beinen, packen und in den Sarg zu schmeißen, daß es kracht. Und wenn es nicht schnell genug geht, dann gibt es noch einen Tritt in den Arsch vom Herrn Kommandoführer. Und der Gestank dazu! Na, jetzt ist’s ja Winter, jetzt geht es noch, aber im Sommer! Und wie die aussehen, wie die einen anglotzen, . . . manche sind noch voll Blut, von einer Operation her, oder von so was ähnlichem. Aber die allermeisten sind ja nur halbe Skelette. Schwer ist so eine Dachauer Leiche nicht. Wenn man die so liegen sieht, möchte man nicht glauben, daß so etwas aus einem Menschen werden kann, daß das einmal Menschen waren, Häftlinge, Kameraden. Man muß schon auf den Zettel schauen, um sich zu überzeugen, daß man nicht schlecht träumt." „Auf was für einen Zettel?“

„Nun, damit man sie nicht verwechselt, hat jede Leiche um den Hals und um die große Zehe einen Faden gebunden mit einem Zettel daran, auf dem steht die Nummer, das ist ja das Wichtigste. Meist schreiben sie auch noch den Namen und das Geburtsdatum dazu, damit man dann weiß, was man auf den Sarg zu schreiben hat, denn auf den schmieren sie dann die Nummer mit Kreide. Das ist der Ordnung wegen, daß man die Leichen auseinanderkennt, denn manchmal wird eine von den Angehörigen verlangt, und auch sonst, der Asche wegen. Die Angehörigen können die Asche kaufen, die Leiche übrigens auch. Ich weiß nicht mehr genau, wieviel eine Leiche kostet, ich glaube 200 oder 300 Mark. Aber die Asche ist billiger, sie kostet nur 20 Mark oder 80 Mark, ich weiß wirklich nicht genau. Geld interessiert midi schon lange nicht mehr.

Aber schick sieht das aus, kann ich Euch sagen, diese dekorativen Zettel um den Hals und um den großen Zeh, so wie in einem Puppen-laden, oder . . . wie beim Vieh. Und aufgebahrt liegen sie auch so reizend, einfach auf den Zementboden hingeschmissen, aber schön geordnet, einer mit dem Kopf nach oben, einer mit dem Kopf nach unten, so liegen sie neben und übereinander gestapelt, wie die Rüben. Dem einen liegen die Füße des anderen auf dem Gesicht, und seine Zehen sind ihm zufällig in den offenen Mund gekommen, oder ein Zehennagel stößt in die aufgerissenen toten Augen, denn hier in Dachau drückt man kaum einmal einem die Augen zu, da verreckt ja jeder wie ein Vieh, und so bleibt er liegen. Und einer der Toten beschmiert den anderen mit seinem Eiter und seinem Blut. Aber keine Angst, sie werden gewaschen, ganz so wie sich das bei anständigen Leichen gehört, Leichenwäsche muß sein. Da kommen dann zwei Häftlinge, schließen den Schlauch an die Wasserleitung an und spritzen die Toten ab. Wenn die nicht so abgestumpft wären, könnten sie das gar nicht mehr ertragen. Ist übrigens ein gutes Kommando, haben den ganzen Tag fast nichts zu tun, als die Leichen hineinzuschmeißen, und wenn eine neue kommt, sie dazu zu schichten und dann das Waschen mit dem Schlauch. Sonst haben sie es auch ganz gut, werden von der SS in Ruhe gelassen, kriegen SS-Kost, denn die SS weiß natürlich, daß so eine Arbeit Nerven kostet und man gut fressen muß dabei. Sind aber auch schon welche von ihnen gestorben und haben dann genau so zwischen den anderen gelegen. Wenn die Kerle das Maul halten, ist’s ja gut. Bei einem solchen Kommando muß man immer das Maul halten, sonst ist man verloren. Nichts sehen, nichts hören, nichts reden, wie die berühmten drei japanischen Äffchen, oder sind es chinesische? Na, ich möchte so ein Kommando nicht haben, mir hat es genügt, einmal die Leichen zu sehen und sie in die Särge schmeißen zu müssen. Ich sage ja, drei Tage habe ich nichts essen können, und der Anblick ist mir immer nachgegangen, heute noch kann ich’s nicht vergessen. Dabei bin ich doch früher auch schon in Seziersälen gewesen, aber das war doch anders.“ „Wieso, bist Du Mediziner?"

„Nein, ich bin Rechtsanwalt. Aber als Student war man schließlich neugierig und ging auch einmal mit, beim Sezieren zuzusehen.“

„Natürlich."

„Also ich heiße Buchta."

„Ich heiße Kupfer.“

„Schöne Vorstellungen sind das in Dachau," meinte er. „Na, ich habe mich schon akklimatisiert, mir schadet meine gute Kinderstube nur noch herzlich wenig, ich bin schon so verbauert, daß man mir den Intellektuellen gar nicht einmal mehr ansieht, und das ist gut so, denn man wird dann mehr in Ruhe gelassen, hat nicht mehr ganz so viel mitzumachen und nicht mehr unter den Sympathiekundgebungen der anderen zu leiden. Heute rede ich schon genau so gemein wie die anderen, haue genau so zu, wenn einer frech wird. Daraufhin läßt man mich in Ruhe, ich bin dadurch quasi als würdig anerkannt, ein Schutzhäftling zu sein.“

Dabei schaute er Kramer ein wenig spottlustig an. Offenbar kannte er ihn, sonst hätte er wohl auch nicht so frei gesprochen. Dann sagte er ungeduldig: „Der blöde Capo könnte uns aber auch wirklich schon an die Arbeit lassen, aber diesem verfluchten Schnell macht es Freude, wenn wir im Regen stehen."

Er sah zum Himmel auf:

„Ich glaube, das regnet noch die ganze Woche lang. Ein Glück, daß wir da hinunter kommen.“ „Da, in diese Baracke?“

„Ja, Baracke. Das sieht so aus, hat aber ein solides Fundament und solide Holzwände. Unten sind große Räume, unter der Erde, tadellos ausgemauert, mit allem Klimbim: Dampfheizung, Kühlräume, Küche, Spülräume, was Du willst. Und oben werden die Speisesäle eingerichtet, die Aufenthaltsräume für höhere und niedere Chargen, natürlich getrennt, weil es in Deutschland und vor allem bei der SS ja keine Chargen gibt, keine Klassen und Klassenunterschiede. Und dabei handelt es sich sowieso nur um Leute im Range eines Gefreiten bis zum Feldwebel. Das nennen sie „Unterführer“, und das, was wir da mit einrichten sollen. nennen sie das „Unterführerheim". Zum Kotzen, das alles! Aber wir segnen natürlich den Bau, er hat doch immerhin ein Dach. Na, und die Arbeiten, . . . die werden wohl länger brauchen, als man glaubt. Eigentlich sollte alles schon fertig sein, aber ... es treten eben immer wieder neue Schwierigkeiten auf. Oft muß etwas schon Fertiges wieder herausgerissen werden, und wir müssen es wieder neu ausführen. So geht alles nur langsam vorwärts, denn ...der Winter hat ja noch gar nicht richtig angefangen, und für uns wird es schwer sein, wenn wir dieses Dach verlieren. Du verstehst mich?" „Ja, ich glaube, es gibt eben Arbeiten, die lange dauern.“

„Ja, sehr lange sogar.“

„Aber kann man das nicht kontrollieren?“

„Doch, aber es spielen . da noch andere wichtige Faktoren mit. Nicht nur wir allein wollen die Fertigstellung hinausschieben, die SS auch.“

„Wieso das?“ „Ganz einfach, sie haben ein Interesse daran, weil sie hier beim Bau viel „organisieren“ auf deutsch verschieben, stehlen können, ohne daß es sehr auffällt. Wir helfen ihnen dabei, denn nur so können wir uns wiederum helfen und das rettende Dach erhalten. Du machst Dir kein Bild, was dieser Bau bis heute schon kostet, dabei ist es, wie Du recht sagst, bloß eine Baracke. Doch das Lager hat große Vorräte. Der eine verschiebt Holz, der andere Kupferdraht, der dritte Ölfarbe und Lack, der vierte braucht für sich Fliesen und Fensterglas. Der Häftling muß das natürlich besorgen, beiseite schaffen, und der Herr SS-Mann schleppt dann im geeigneten Augenblick seinen Raub fort, oder läßt ihn sich vom Moorexpreß seelenruhig ins Haus fahren, denn diese Lumpen wohnen ja alle hier in der Nähe, da ist ja ihre Siedlung. Der Moorexpreß darf mit genügend Bewachungsmannschaft sogar das Lager und den Lagerbereich verlassen. Was da oft alles mitgeht, ganze Kartons mit Glühbirnen, Handwerkszeug und weiß der Himmel was alles. Deshalb können sich auch einzelne Häftlinge soviel erlauben, ohne daß ihnen etwas passiert. Es ist nicht alles so harmlos, wie es aussieht. Unter der Oberfläche lebt noch eine ganz andere Welt. Dje Herren, die uns . Ordnung, Sauberkeit, Ehrlichkeit, Opfersinn und Liebe zum Vaterland'lehren wollen, sind die größten Halunken, alle, alle, ohne Ausnahme.

Aber zum Teufel, dieser Regen! Man wird ganz durchweicht. Na, macht nichts, wir können ja unsere Kleider nachher zum Trocknen an die Dampfheizung hängen, freilich, der Schnell darf sie nicht erwischen, aber eigentlich geht ihn das gar nichts an, das Unterführerheim ist der Bereich von Capo Wagner, doch der Schnell Max mischt sich gern in alles, was ihn nichts angeht, und bei der SS hat er eine große Nummer. Er hilft der SS nämlich nicht nur, die Häftlinge totschlagen, er dient ihnen auch sonst mit allerhand „Gefälligkeiten" geschäftlicher Art, denn er hat ja das ganze Material für die Bauereien hier und wer kann da schon wirklich kontrollieren, was da verbaut wurde, was kaputt ging. Lind selbst, wenn man es könnte, man will es gar nicht, richtig kontrollieren, bis .. . ja, bis wieder einmal eine Revision kommt. Na, und dann helfen alle alles zu vertuschen, Häftling und SS-Mann. Du brauchst gar keine so erstaunten Augen zu machen. Dachau ist ganz anders, als Du glaubst und ... als man es sieht." „Und was arbeitest Du hier?“

„Ich bin Schreiner.“

„Was bist Du? Ich denke Du bist Rechtsanwalt." „Ja, aber ich werde doch hobeln und sägen können, das habe ich bald heraus gehabt, also bin ich Schreiner. Ich war auch schon Maler und Zimmermann, je nachdem, was man gerade braucht, oder Ofensetzer. Das ist doch alles kein Kunststück. Man muß nur die nötige Frechheit haben, wollte sagen: Mut. Wenn gerufen wird: Maurer vortreten! und man hat gerade eine schlechte oder keine Arbeit, so ist man eben Maurer, wenn man denkt, daß das besser ist. Und wenn sie fragen, so lügt man ihen etwas vor, sagt, früher einmal, auf einem anderen Kommando hat man das schon gearbeitet, oder aber, wenn man denkt es geht, so ist man es eben von Beruf. Nur sich nicht genieren! Frech muß der Mensch sein! Was kann einem schon passieren? Daß sie einen fortjagen? Daß man vielleicht einmal „fünfundzwanzig" kriegt? Ach was, die kann man auch so kriegen, ohne daß man etwas dazu tut. Nur frech drauf los, sonst geht man unter. Und man will doch schließlich denen zum Trotz lebend herauskommen."

Er dämpfte seine Stimme noch mehr:

„Wie lange, denkst Du, wird der Krieg noch dauern? Und was hältst Du von der politischen Lage? Glaubst Du, daß sich das alles noch lange halten kann?“

In dem Augenblick stieß mich Kramer an und machte eine unauffällige Kopfbewegung. Drüben, vor dem kleinen Gebäude mit dem turmähnlichen Aufbau war ein schwarzlackiertes, geschlossenes, großes Auto vorgefahren. Die Türen hinten wurden geöffnet. Man begann Särge aus dem Leichen-schuppen zum Auto zu tragen, sie verschwanden im Innern des Wagens, einer, drei, fünf, zehn, dreizehn, es schien kein Ende nehmen zu wollen. Ein SS-Mann stand dabei.

Wieder kam ein Sarg. Die Häftlinge, die ihn trugen, schwankten, sie schienen nicht genügend Kraft zu haben, die Last nur die wenigen Schritte bis zum Wagen tragen zu können, und als der Sarg hochgehoben werden mußte, brachten sie es nicht fertig. Der SS-Mann schrie. Er trat die Sargträger mit seinen genagelten Schuhen, wild und unbarmherzig:

„Sau . . . hunde!" trug der Wind zu uns herüber und wieder: „Sau. .. hunde!"

Da hoben die schwankenden Gestalten von der Kraft der Furcht getrieben den Sarg bis in die nötige Höhe.

Leichentransport in Dachau.

Buchta sah auch hinüber, er meinte:

„Wahrscheinlich waren zwei in dem Sarg, das machen sie oft, daß sie zwei in einen Sarg schmeißen."

„Ja, aber wie viele Tote sollen das denn dann sein? Es waren doch fünfzehn Särge.“

„So fünfzehn bis zwanzig schätze ich“, sagte Buchta gelassen.

„Lassen sie immer so viele Leichen zusammenkommen? „Je nachdem. Manchmal sind es die Leichen von einem Tag, manchmal von zwei Tagen, selten einmal von drei Tagen, eigentlich nie.“ „Du willst doch nicht sagen, daß in Dachau in einem Tage fünfzehn Mann sterben oder gar zwanzig!?"

Er schüttelte den Kopf: „Nein, das weiß man nicht, das ist sehr unterschiedlich. Manchmal sterben nur fünf oder acht, vielleicht einmal auch nur drei, und an einem anderen Tage sind es dann wieder mehr, vielleicht zehn, zwölf oder achtzehn, je nach der Jahreszeit und den Umständen, auch mehr." „Das ist doch unmöglich!“ „In Dachau ist nichts unmöglich. Warte erst mal den Winter ab. Wenn Du aufpaßt, kannst Du ja selber die Särge jeden Tag zählen. Freilich, wie gesagt, manchmal schmeißen sie zwei in einen Sarg." „Unterführerheim, an die Arbeit!" rief Capo Wagner.

Wir marschierten los und verschwanden in der Baracke.

Kramer und ich arbeiteten nun zusammen. Wir erhielten einen Kübel Wasser, ein Scheuertuch und einen Abziehstein. Dann wurden wir in den Abort geführt. Alles war hier weiß gekachelt und neu. Unsere Aufgabe bestand darin, die Fließen abzuziehen, zu glätten, zu polieren. Da wir als Terrazzo-Arbeiter galten (wer hatte das nur gedreht?), mußte das ja leicht für uns sein.

Wagner kam herein und ein anderer Capo.

Er hieß Friedrich, hatte ein Profil, das Dante ähnelte. Seine Nase war sehr groß, sein Kinn jedoch bog sich von unten nach oben, als wolle es mit der Nase in Berührung kommen. Friedrich tat keinem etwas zuleide, er schlug nicht, er schrie nicht. Sieben Jahre war er nun schon eingesperrt. Sein Frau hatte sich von ihm scheiden lassen.

Er kam mit Wagner herein und sie erzählten, es sei sehr wenig Arbeit da, wir müßten uns die Arbeit „einteilen", das hieß, die Hauptsache war, immer und immer zu arbeiten und nur ja nicht zu schnell fertig zu werden, lieber hundert Mal auf demselben Fleck reiben. Dabei die Hauptsache, das oberste Gesetz: Nicht auffallen, denn dauernd ging SS durch den Bau und wenn sie uns ohne Arbeit finden würden, so kostete das die berüchtigten „fünfundzwanzig" und wir würden dann erbarmungslos hinausgejagt, zu Außenarbeiten.

Die Arbeit sollte in die Länge gezogen werden, soweit wie irgend möglich.

Dann ließen uns die beiden Capos allein.

Wir arbeiteten wie die Wilden und ... sahen mit Schrecken, daß es viel zu schnell vorwärts ging. Also fingen wir mit der alten Stelle von neuem an. Wir waren ganz allein, ab und zu nur wurde die Türe aufgerissen, und ein SS-Mann schaute höhnisch zu oder irgend ein Capo oder Untercapo kam. Wir aber arbeiteten, unentwegt, wie das gute Terrazzo-Arbeiter tun. Doch wenn wir allein waren, begannen wir leise zu reden. Da Kramers Leben das Soziale und die Politik war, so waren es immer solche Gespräche, und natürlich zogen wir Schlüsse, wie alles weitergehen könne, und wir besprachen die neueste Parole. Es hieß, daß die deutschen Truppen . . . Das ergab endlosen Gesprächsstoff mit Für und Wider.

Ab und zu kam einer der Kameraden und fragte, wie spät es sei. Wir wußten es selbst nicht. Die Zeit kroch, kroch wie eine Schnecke: ab und zu verschwand einer von uns in die Kiesgrube. Das war wenigstens interessant. Die Juden in der Kiesgrube stampften, wie immer, nur daß ihr Häuflein kleiner geworden war. Es regnete ununterbrochen, es war auch gar nicht abzusehen, wann das aufhören würde. Sie waren alle bis auf die Haut naß, aber sie wußten immer eine neue Parole. In der Zeitung, die sie im Müll gefunden hatten stand . . . Und einer hatte gesagt, daß ... Da hatte man dann wieder etwas zu denken und zu hoffen. Das war das geistige tägliche Brot, ärmliches Brot, von dem wir so unterernährt wurden wie vom Essen. Draußen, auf dem Felde standen die anderen Kameraden und. gruben den Boden um, nun schon zum vierten Male. Sie froren erbärmlich in dem kalten Regen. Selbst die Zeit schien sich gegen uns alle verschworen zu haben, gegen uns, die wir so elend waren. Bald schon mußte alles zu Ende sein, in Monaten, . . . nein, nein, in Wochen schon, ganz bestimmt in Wochen, wer weiß, vielleicht schon in Tagen. So etwas konnte einmal plötzlich kommen, wir würden erwachen und frei sein. Wer könnte das Ganze auch sonst noch lange ertragen?

Und die Zeit schlich dahin. Nach einer langen, unfaßbar langen Ewigkeit wurde es Mittag.

Am Nachmittag waren wir wieder da, die Zeit kroch weiter, langsamer noch, statt schneller. Draußen aber regnete es, stärker als am Vormittage. Auch unsere Kleider waren feucht vom Marsch ins Lager.

Capo Schnells neueste Tat Einige Tage vergingen so, ohne nennenswerte Ereignisse. Draußen regnete es ununterbrochen, meist in Strömen.

Und wir frieren weiter in dem kalten Abort. Unter die Knie haben wir uns nun ein Stück Brett gelegt, das isoliert wenigstens. Und wir reiben und reiben mit unserem Polierstein, winden den Lappen in kaltem Wasser aus, waschen auf und reiben von neuem, zerreiben so die Sekunden, die Minuten. Man muß sehr, sehr lange reiben, bis eine Stunde zerrieben ist . . . Man könnte nicht sagen: es gibt hier keine Zeit. Nein, es gibt hier eine Zeit, die ist aus zähem, grauem Gummi gemacht, zäh und grau und unendlich dehnbar, eine Minute erreicht spielend die Länge dessen, was draußen eine flüchtige Stunde ist.

Wir sehen viele neue Gesichter. Der Block ist auch schon wieder fast aufgefüllt.

Wenn wir denken, daß es schon sehr spät sein muß, dann nehme ich oder nimmt Kramer einen Eimer. Man geht dann so, mit dieser sichtbaren Legitimation der Arbeit und Notwendigkeit eines Ganges bewaffnet, ungehindert herum, erkundet, wieviel Uhr es ist, hört vieleicht eine neue Parole und holt dabei auch tatsächlich neues Wasser.

Die anderen arbeiten ähnlich wie wir. Sie legen Balken und entfernen sie wieder, legen neue. Sie legen Parkettböden und reißen sie wieder auf, weil sich hernach angeblich ein Fehler herausstellt, weil das Parkett sich wirft. Die Arbeit muß dauern, sie muß. Es hängt davon zum Teil die Verlängerung des Lebens derer ab, die unter diesem Dache arbeiten, die hier überwintern wollen, geschützt gegen Kälte und Schnee, gegen Sturm und gegen die gröbste Roheit.

Draußen ist jetzt plötzlich anderes Wetter. Es weht ein scharfer, eiskalter Wind. Viele von unseren Kameraden, die draußen arbeiten, haben entzündete, eitrige Augen bekommen.

Die Erde wird immer noch umgegraben, das Stück freies Feld, nun schon zum achten Male. Manche von denen, die noch vor Tagen hier gruben sind schon tot. Regen, Kälte, Hunger, das gibt Krankheiten. Lungenentzündungen sind häufig.

Auf dem Block heißt es jeden Abend:

„Arztmeldungen heraustreten!''

Da melden sich immer viele, zu viele. Der Blockälteste entscheidet, wer wirklich krank ist. Die Ausgewählten dürfen mit ins Revier gehen, zur Untersuchung.

Und ich muß immer an die „Arztmeldungen" auf dem Appellplatz denken, abends, nach dem Appell, wenn schon alles abgezählt war, wie es da vor sich ging und täglich noch vor sich geht. Es ist wie ein satanischer Witz. Jeder Block bringt seine Kranken, und der „Herr Rapport-führer" fragt dann jeden einzelnen: „Was fehlt Dir?“ Und dann brüllt er: „Fort, Du Saukopf, Du bist gesund! Los, weiter, der Nächste!" Und beim Nächsten dann: „Was, Bauchweh? Hau ab, Du Rindvieh, oder ich tret Dich in den Arsch! Blinddarm sagst Du? Lüg bloß nicht noch so frech!" Und schon tritt er ihn. „Und Du? — Lungenstechen? Scher Dich zum Teufel, Du bist kerngesund!" Und ich sehe die Bilder vor mir, wie er mit seinem genagelten Stiefel ausholt, wie er die Kranken tritt, wie sie fortwanken und wie manchmal einer hinstürzt und wie er dann erst recht geschlagen wird, weil der „Herr Rapportführer" sagt, der Kerl simuliert.

Ein Mann, ein dummer, derber Unteroffizier, entscheidet auf einen rein äußerlichen, rohen Blick hin, wer krank ist und wer gesund. Oft werden die Kranken so tagelang immer wieder fortgejagt, trotz Blinddarmentzündung, trotz aller möglichen Beschwerden. Ich sah später einmal einen Kameraden, der konnte nicht mehr fortgehen, auf allen Vieren kroch er vom Rapportführer fort, alles, was ihn begleitete, waren gemeine Worte und ein Tritt oder zwei.

Kramer hatte mich verlassen, er machte irgend etwas anderes, ich glaube, er war bei den Schreinern, dort war es warmer. Der Kamerad, der an seiner Stelle neben mir die Fliesen rieb, war ein junger Tscheche, ein Fliegeroberleutnant. Er hieß Dvorak und erzählte mir bei der Arbeit flüsternd von seiner Braut, von seinen Eltern. Und viel sprachen wir über Politik und über die letzten Parolen. So dumm auch so eine „Parole" sein mochte, sie wurde aufgegriffen, zerpflückt, und emsig suchten wir nach dem Körnchen Wahrheit in ihr, denn meist enthielt jede Parole ein Körnchen Wahrheit. Es gab sogar Parolen, die wahr waren.

Idi mochte ihn gern, diesen großen, starken, jungen Menschen. Er meinte:

„Wir werden durchhalten, wir sind beide noch jung und stark, wenn auch viele sterben, uns werden sie nicht umbringen. Man muß leben wollen. Schon im Gefängnis habe ich mich fürs Lager vorbereitet. Zuerst schlief ich unter vier, dann unter drei, dann unter zwei Decken, zuletzt nur noch unter einer Decke, obwohl es sehr kalt war. So kann mir heute die Kälte hier im Lager nichts mehr anhaben. Nur gesund bleiben, das ist alles! Aber wir sind noch jung und stark, uns werden sie nicht umbringen können.“

Und er klopfte mir kameradschaftlich auf die Schulter. Dann erzählte er wieder von seiner Braut, er mußte sie sehr lieben.

Man hatte etwas entdeckt. Unter einem Treppenabsatz, der mit Brettern verschalt war, fand Capo Wagner etwa einen Zentner Brot. Das meiste davon war schon stark verschimmelt, es waren lauter kleinere und größere Stücke. Woher kam das Brot? Wir alle hatten ja kein Brot, nur Hunger. Aber Wagner fand alles heraus, obwohl es so geheimnisvoll erschien. Das Brot gehörte Gaibaby.

Wenn der Müllwagen kam und ablud, so waren unter dem Müll, der von der SS-Kaserne kam, oft gut verschnürte und verpackte kleine Pakete. Es gab unter den SS-Soldaten, die neu ausgebildet wurden, solche, die unser Elend sahen, und die noch so viel Mensch waren, daß sie ihre Reste einpackten und in die Mülltone warfen, denn sie wußten, daß unsere Hungernden das faulende Zeug aus dem Kehricht verschlangen. Teils hatten sie das wohl selber gesehen, wenn sie als Posten den Moorexpreß begleiteten oder wenn sie irgendwo in der Nähe Wache standen, teils hatten sie es vielleicht auch nur erzählen gehört. SS, die sich unserer erbarmte und die . . . trotzdem weiter Wache stand, unserer Vernichtung diente, sie mit ansah, sie also förderte. Wer versteht das menschliche Herz? Oder kamen diese Gaben von solchen, die sich unter SS-Mannsein etwas anderes vorgestellt hatten? Waren es vielleicht solche, die nun die Gefangenen ihres Eides waren? Wer weiß das zu sagen?

Wenn also der Wagen mit dem Müll der SS-Kaserne oder der SS-Baracken kam, so stellte sich Gaibaby jedesmal irgendwo auf die Lauer. Er merkte sich, wer von den unglücklichen Juden oder wer sonst auch immer solch ein Päckchen erwischte. Wenn der Moor-Expreß fortgefahren war, so kam er und rief die einzelnen zu sich her, schlug sie, drohte mit Meldung und nahm ihnen, die durch sein Schreien, seine Schläge und seine Drohungen ganz eingeschüchtert waren, das Päckchen ab. Die Ärmsten mußten froh sein, wenn er die Meldung unterließ.

So hatte er, der böse Zwerg Hutterer und noch ein Dritter das viele Brot im Laufe der Zeit zusammengetragen. Sie aßen davon, so viel sie konnten, verschacherten einen Teil davon gegen einen Fetzen Zeitung, gegen eine Zigarette oder gegen ähnliche Dinge, die hoch im Kurse standen. Und den Rest ließen sie lieber verfaulen, als ihn den Hungernden zu geben. So raubten sie den Elendesten, den verhungernden Juden das Stückchen Brot, das ein Glückszufall, ein gütiges Geschick, die seltsame Güte eines Feindes ihnen bescherte, eines, der noch einen Rest von Menschlichkeit besaß.

Es ist schrecklich zu denken, daß diese Menschen, die man eigentlich als „Kameraden" hätte ansprechen müssen, grausamer und niederträchtiger waren als ein noch nicht ganz so abgebrühter SS-Mann. Waren sie nicht schlimmer als unsere Feinde? Ja, dieses Dachau barg Geheimnisse, Abgründe, verschlingende Abgründe, die geöffneten schwarzen Seelen aller, aufgeschlossenen durch den ehernen Schlüssel der Not und . . .der Gewalt, der Macht. Ein guter Mensch, mit Gewalt ausgestattet, ist wie ein Regen, der alles erfrischt, wie ein befruchtender, labender Wasser-strom, ein schlechter Mensch, mit Gewalt ausgestattet, ist wie ein reissendes Hochwasser, das nur sich und seines Bahn kennt und hinter dem nichts zurückbleibt als Verwüstung, Grauen und Elend.

Wagner verteilte das Brot an die Ausgehungertsten. In die Kiesgrube konnte er nichts davon geben, es wäre aufgefallen, daraus wäre ihm sofort ein Strick gedreht worden, wenn er die Juden damit gespeist hätte, wäre das als offensichtliche Sabotage der SS-Ordern betrachtet worden, als Auflehnung, die ihm geschadet, ihn vielleicht getötet und ihm so die Möglichkeit genommen hätte, weiter als segensreiches, starkes Gegengewicht gegen Capo Schnell wirken zu können. Alles mußte verschwiegen gehandhabt werden, denn es war besser, wenn es nicht an die große Glocke kam, das ganze Kommando hätte sonst darunter leiden müssen. Und das war auch wahrscheinlich der Grund, weshalb man Gaibaby nichts anhaben, ihn nicht bestrafen konnte.

Eines Morgens, als wir frierend vor der Baracke standen, sahen wir, daß es in.der vergangenen Nacht geschneit hatte. Der Boden war voll schmutzigem Schnee. Bald hatten wir alle naße und kalte Füße. Aber auch unsere Mäntel waren naß, denn es schneite weiter. Der nasse Schnee setzte sich an unseren Kleidern fest.

Wir sangen:

„Siehst Du den Auerhahn dort int Gebüsche, siehst Du den Auerhahn dort int Revier? — Ich lieft mich nieder-niederfallen und meine Bücltse knalln, und als ich aufgeschaut, war er schon tot. — Ich lieft mich nieder-niederfallen und meine Büchse knalln, und als ich aufgeschaut, war er schon tot.“ • Bei den letzten Worten sagte ein Kamerad, der neben mir marschierte:

„Ja, so ist es."

Ich sah ihn verwundert an, ich verstand nicht, was er meinte. Da sagte er:

„ . . . und als ich aufgeschaut, war er schon tot.“

Er machte eine kleine Kopfbewegung nach rechts.

Dort lag einer, mitten im Dreck, im Schneematsch. Er mußte auf dem Marsch zum Appellplatz zusammengebrochen sein. Jemand, ein gut genährter Häftling, vielleicht sein Stubenältester, beugte sich über ihn. Er schüttelte den Kopf. Dann winkte er seinem Block, der schon weiter-marschiert war. Zwei Häftlinge kamen, schleppten den Toten weg, wie man irgendeinen lästigen Gegenstand wegschleppt. In der Miene von keinem konnte ich Mitleid lesen, nur Ärger darüber, daß sie ihn schleppen mußten.

Der Kamerad neben mir nickte mir zu:

„ ... und als ich aufgeschaut, war er schon tot."

Dann wies er auf den Moorexpreß, der mit alten Strohsäcken hoch-beladen auf dem Appellplatz stand, bereit, zum Tor hinaus zu fahren.

„Sind scheinbar wieder viele gestorben. Das ist das Wetter. Sie verbrennen immer gleich die Strohsäcke der Toten, wegen Infektionsgefahr.“

Und er hatte recht. An dem Vormittage mußten wir dreißig Särge tragen.

Es schneite weiter, ein kalter Schnee, feucht, er wurde immer noch nicht fest, formte eine schmutzige Matschmasse, die halb Eis, halb Wasser war.

Während wir nun arbeiteten, war Schnell herumgegangen und hatte einen jungen Mann von etwa vierundzwanzig Jahren gesehen, der zitternd beim Umgraben stand, die Schaufel untätig in der Hand. Er ging zu ihm hin, riß ihm den Spaten weg, schlug ihn damit über die Schulter und schrie:

„Du fauler Hund, willst Du arbeiten!"

Der junge Mensch lag am Boden und weinte. Er hatte ein hochrotes Gesicht, hohes Fieber, schon seit Tagen. Das Revier nahm ihn nicht auf. Man sah, wie sein Gesicht glühte.

Schnell Max schrie:

„Was, Du Mistvieh, heulst auch noch statt zu arbeiten?!"

Und weil gerade der Kommandoführer vorbei kam:

„Herr Kommandoführer, jetzt werde ich Ihnen zeigen, was der Schnell Max macht, wenn einer faulenzen will."

Er winkte einigen Häftlingen:

„He da, Ihr Faulenzer! So, jetzt nehmt Ihr den da,. zieht ihn nackend aus und legt ihn in den Schnee. Nur los, wird's bald, dann wird er schon munter werden und zur Arbeit aufwachen.“

„Capo", flehte der junge Mann, der einen rosafarbenen Winkel trug, und erhob sich dabei auf die Knie, „Capo, tu das nicht, ich ertrag es nicht!“

„Was, Du Feigling, Du erträgst es nicht, das bißchen Schnee? Aber faulenzen, das verträgst Du. Na, wart nur, ich werd'Dir schon helfen.

Verrecken mußt Du, verrecken, das schwör ich Dir, heut noch wirst Du verrecken!“

„Capo", flehte der andere, „Capo, laß mich leben! Schau, ich muß ja doch bald sterben. Es sind doch nur noch ein paar Tage, die ich noch leben kann, laß mich doch die Tage noch leben, ich werde ja bald genug tot sein.“

Schnell lachte höhnisch:

„Meinst Du, ich weiß nicht, daß Du krank bist? — Das sieht doch ein Blinder, daß Du Fieber hast. Aber das ist kein Grund, um zu faulenzen. Schnell fuhr die anderen an:

„Na, wird's bald? Ihr hättet ihn schon längst ausgezogen haben können! Los sag ich, oder ich mach es mit Euch genau so wie mit dem da! Glotzt mich nicht so an!“ , lind er begannauf sie einzuschlagen:

„Das ist Gehorsamsverweigerung, ich werde Euch eine Meldung machen wegen Gehorsamsverweigerung! Was, Ihr wagt, mir nicht zu folgen, mir, hier vor dem Herrn Kommandoführer!"

Da begannen sie ihn nackt auszuziehen.

Schnell befahl, ihn in den tiefsten Matsch zu legen, in diese eisige Masse, und sie mußten von dem, was er „Schnee" nannte, auf ihn häufen, ihn ganz damit bedecken.

Der junge Mann lag nackend in dem eiskalten Gemisch aus Schnee und Wasser, sie häuften es über ihn, sie bedeckten ihn damit, sie stopften es ihm gewaltsam in den Mund. Und Schnell und der Kommando-führer standen dabei und lachten über diese ergötzliche Szene.

„Nur mehr, nur mehr!“ schrie Schnell, „der Kerl muß verrecken! Jetzt wird ihm die Faulheit vergehen, jetzt wird er erfrischt werden, daß er arbeiten kann!“

Zuletzt lag der junge Mann still und leblos. Da machte das Ganze dem Schnell keinen Spaß, mehr, er befahl, ihn wieder anzuziehen und liegen zu lassen. Sein Befehl wurde ausgeführt.

Am selben Vormittag machte er diesselbe Prozedur noch mit zwei Juden, die „faul“ waren, nur ließ er sie nicht ausziehen, sondern ließ sie in ihren Kleidern in den Matsch legen und mit Matsch bedecken.

AIs wir am Mittag antraten, lebte der junge Mann noch.

Schnell dachte sich einen neuen Scherz aus: Er ließ den Unglücklichen in einen Schubkarren setzen, so wurde er hinter der Kolonne hergefahren. Schnell warf noch einen Blick auf sein Opfer in der Schubkarre, dann sagte er befriedigt:

„Der verreckt noch, der verreckt noch heute, der ist ja jetzt schon halb verreckt."

Idi stand keine drei Schritte von der Szene entfernt, hörte deutlich jedes Wort, sah sein teuflisches Grinsen und das breite Lächeln des Kommandoführers, sah das glühend rote Gesicht des armen, jungen Menschen, dessen Arme schlaff herunter baumelten.

Ich bin ein friedfertiger Mensch. Damals aber fühlte ich, daß in jedem Menschen ein Mörder steckt. Ich hätte Schnell umbringen können, es wäre mir sogar eine Wohltat gewesen.

„Singen!" — schrie Schnell, — „singen!"

Und wir begannen den Heimmarsch, begannen zu singen:

„Im dem Schatten grüner Bäume laßt uns sing'n und fröhlich sein, beim vollen Becher Weine unsern Freundschaftsband erneun! — Tratlala, trallala, trallala, trallala, tralalalalala, trallala, trallala, trallala, trallalalala, trallala!

Drum laßt uns singen und fröhlich sein!

Deu heut'gen Tag zu preisen, laßt uns sing'n und fröhlich sein, den heut'gen Tag zu preisen, laßt uns sing'n und stimmet ein:

Trallala, trallala, trallala, trallala, trallala, trallalalala, trallalala!

Drum laßt uns singen und fröhlich sein!“

* Es war, als hätten Teufel es sich ausgedacht, solche bissige Ironie. Und wir mußten das Lied aus voller Kehle singen, ... drum laßt uns singen und fröhlich sein!

Auf dem Block immer das gleiche: essen, das Geschirr spülen und wieder hinaus, damit man „Stubendienst“ machen konnte. Der Götze „Stube“ mußte angebetet werden, seine Heiligkeit, der gewachste und gebohnerte Fußboden, und alles ringsum mußte dastehen wie die Paradesoldaten. Das Seltsamste an der ganzen Sadie war, daß die Häftlinge selbst von ihrem Kantinengeld den Kauf des Wachses, der Besen, der Wischtücher und derartigen Putzutensilien für den Block bestreiten mußten. Hätten sie das nicht in all den Jahren getan, wären die Blocks verfault. Alle diese nötigen Dinge gab es in der Kantine zu „kaufen", vom Fußabstreifer bis zum Bohnerwachs. Und wehe, dreimal wehe, wenn der Block nicht glänzte! Es war eben Sorge des Stubenältesten und Blockältesten, diese Dinge herbeizuschaffen. Das wurde auch getan. Man sammelte unter der Belegschaft des Blocks ein. Jeder wurde gefragt, der ein Konto besaß: „Wieviel stiftest Du für Bodenwadis? Es kam dann auf einem Block oft eine ganz schöne Summe zusammen. Die Herren Block-und Stubenältesten konnten sich vom Überschuß der Summe dann meist tüchtig die Hände waschen und aus der Kantine für sich Tabak und andere Dinge noch beziehen, denn sie waren meistens von Hause aus arme Teufel, die nur im Lager wie die Götter lebten, bedient und gefürchtet, aus Angst von allen umschmeichelt und verwöhnt. Ein Stück aus einer irren Hölle.

Als wir nach dem Essen einrückten, wurde der junge Mann im Schubkarren wieder mit hinaus gefahren. Er lebte noch. Nicht nur das, er hatte sein ganzes Essen gegessen und dazu gesagt: „Einmal will ich noch essen, dieser Bande schenke ich nichts.“

Als wir draußen auf dem Arbeitsplatz standen, wurde der Schubkarren vorgefahren und hingestellt. Schnell sah den Unglücklichen:

„Was, der ist noch nicht verreckt?"

Er betrachtete ihn mit Kennermiene:

„Aber, der verreckt heute noch, ganz bestimmt. Schmeißt ihn nur da hin, — dort, vor die Baracke, da liegt er gut. Los, raus mit der Sau aus Jem Schubkarren! Kippt den Karren um, marsch!"

Sein Befehl wurde ausgeführt. Der Kommandoführer lachte, und wir gingen an die Arbeit.

Nach drei Stunden sahen wir die fahrbare Tragbare kommen, den Dachauer Leichenwagen des Lagers, eine mit grauem Zelttuch verdeckte Bahre auf zwei gummibereiften Rädern. Also hatte Schnell doch recht gehabt, sein Werk war von Erfolg gekrönt, der junge Mann war ... „verreckt".

Dvorak, der junge, tschechische Oberleutnant, und ich arbeiteten wie die Wilden. Ab und zu schauten wir uns an, wir verstanden uns, wir sagten kein Wort, wir nickten uns nur stumm zu.

Nachher machte ich einen Gang in die Kiesgrube. Es schneite und regnnete, aber mehr Schnee als Regen. Am Rande der Kiesgrube standen zwei Scharführer, die sich unterhielten. Voll hämischer Genugtuung sahen sie auf die verhungerten, abgezehrten elenden Gestalten und auf uns, die wir in dem Dreck und Gestank so vor ihren Augen unsere Notdurft verrichten mußten. Dann ging ich an ihnen vorbei, in strammer Haltung natürlich, Mütze in der Hand, die Hände an der Hosennaht. Und ich hörte, wie der eine zum anderen sagte:

„Komm, jetzt können wir gehen. Bevor ich vespere, schau ich mir das da immer an, die halb verreckten Juden, dann schmeckt mir mein Essen noch einmal so gut.“

Beide lachten und gingen vergnügt weiter. Wer sie von weitem so gesehen hätte, der hätte meinen können, es mit harmlos plaudernden Menschen zu tun zu haben.

Ich kehrte zurück an meine Arbeit. Unter dem Dachauer Himmel wird alles so grau, die bunten Farben des Lebens sind verblaßt, man kann sich gar nicht einmal mehr recht an sie besinnen, eine davon hieß: Freude.

Capo-Spässe Es schneit. Der Schnee bleibt liegen, wird höher und höher, wenn wir auf dem Arbeitsplatz ankommen, so sehen wir aus wie die Weihnachtsmänner. Und es schneit immer noch, es will gar nicht aufhören.

Schnell hat eine neue Arbeit entdeckt, für die, die vorher den Boden umgruben. Sie müssen jetzt Schnee schaufeln, eine ganze Kolonne Schubkarren ist zum Abtransport dieses zusammengeschaufelten Schnees in Benutzung genommen.

Der Schnee wird vom Felde weggeschaufelt, auf Haufen. Von überall wird er weggeschaufelt. Die Schubkarren kommen und werden ge-_ füllt, fahren ihn zu einer Stelle, an der er zu einem großen Berge aufgehäuft wird. Das ganze Schneeabkratzen ist eine lächerliche Beschäftigung, eine Schikane, die aber mit viel Ernst getan wird, eine der „Arbeits-Beschaffungen" Schnells. Dabei fällt dauernd neuer Schnee. Es ist, als wolle man ein Meer ausschöpfen, so unsinnig ist die Arbeit.

Die armen Juden standen noch enger aneinandergepreßt in der Kiesgrube. Der Schnee fiel auf sie herab, und ihre Mützen, Mäntel und Kleider waren davon bedeckt, er schmolz und durchnäßte sie ganz. Sie zerrissen Zeitungsfetzen und legten sie sich unter die Kleider, auf die Schultern, damit die Nässe nicht so schnell bis auf die Haut kam.

Letzthin standen die Schubkarren am Rande der Kiesgrube, und ein SS-Mann verlangte, daß man sie auf die Juden hinunter werfen solle. Es waren schwere, plumpe Schubkarren, die ein ziemliches Gewicht hatten. Hecht und die besseren Untercapos schlichen fort, aber der kleine, bucklige Hutterer warf tatsächlich Schubkarren nach unten. Einige Juden wurden getroffen und verwundet. Capo Wagner kam hinzu und sagte dem SS-Mann ganz energisch, fast grob, daß das aufzuhören habe, er trage von der Lagerleitung aus die Verantwortung für die Schubkarren und er könne nicht verantworten, daß sie mutwillig zerstört würden. Der SS-Mann war ohne Charge, hatte außerdem eigentlich bei uns gar nichts zu suchen, war nur so vorbeigekommen. Er zog auf die energischen Worte Wagners ab, denn er fürchtete eine Auseinandersetzung mit der „Lagerleitung“, es war ihm eigentlich gar nicht gestattet, sich undienstlich im Gelände der Strafkompanie aufzuhalten. Wagner hatte dem Unfug sehr klug und energisch so Einhalt geboten, indem er die Schubkarren vorschützte, denn Material durfte um des Himmels Willen nicht zerstört werden, das mußte man schonen, das kostete ja etwas, Menschen gab es umsonst. Hätte er einen Ton zum Schutze der Juden gesagt, er hätte gerade das Gegenteil erreicht, aber eine Rede zum Schutze der Schubkarren mußte Erfolg haben. Jedes Stück Holz besaß mehr Wert als der wertvollste Mensch.

Es war ein Jammer, wenn ich in die Kiesgrube ging und diese armen Menschen sah, wie sie monoton ihre Stampfer schwangen und langsam täglich dahinstarben, denn täglich wurden sie elender, magerer und schwächer, vor Kälte, Entbehrung und Leiden.

Einmal, als niemand Gefährliches in der Nähe war, stellte ich mich unter die Juden, das fiel nicht auf. Sie fragten mich über die neuesten Parolen und was es sonst alles gäbe, und wir sprachen so einige Minuten miteinander.

Ein junger Jude mit intelligentem Gesicht sagte mir (er schnatterte dabei vor Kälte):

„Ich muß immer an ein Märchen denken, an ein Wort aus einem Märchen, da heißt es: O, wenn das meine Mutter wüßte, das Herz im Leibe würde ihr zerspringen vor Gram.“

Sie litten furchtbar unter der Kälte und oft zankten sie sich wegen der nichtigsten Dinge. Sie hatten alle keine Nerven mehr. Was das heißt, so langsam seinem elenden Ende entgegen zu gehen. Wirklich, das Dachauer Wort hatte da Gültigkeit: langsam verrecken oder ... eingehen.

An einem Tage war wieder einmal einer vor der Baracke zusammengebrochen, einer, der Schnee fuhr. Kameraden sahen es und nahmen ihn unbemerkt herein. Ich schlich mich einen Augenblick in den Heizraum, um mich aufzuwärmen, da sah ich ihn. Ein großer Mensch, abgemagert. Er saß da, in der Nähe des Ofens. Sie hatten ihn mit einem Strick festgebunden, damit er nicht umfiel, denn er war nicht bei Bewußtsein, die Arme hingen schlaff herunter und der Kopf war auf die Brust gesunken. Alles an ihm schien nur noch aus Knochen zu sein. Nach einer Stunde kam er wieder zu sich, er konnte sich nicht erheben. Da kam Schnell zufällig in den Heizraum. Er holte den Mann heraus, natürlich mit Schlägen. Der Geschlagene taumelte vor ihm her. Draußen jagte er ihn weiter, bis zu einer anderen Baracke, dort brach er zusammen. Schnell ließ ihn liegen, mitten im Schnee und Schneetreiben und ging in seine warme Bude.

Nach einer Weile gingen welche von uns hinaus und trugen ihn unbemerkt wieder in den Heizraum. Er war schon ganz steif, aber er lebte noch. Es war gleich Zeit zum Antreten, als ich wieder in den Heizraum kam. Der Mann mußte hinaufgetragen werden. Ich half dabei. Er war so leicht, so lächerlich leicht. Er schlug seine Augen auf. die waren groß und gläsern.

I Er hing in unseren Armen. Als wir antraten, legten wir ihn auf den Wagen mit Holz. Es lagen schon sieben Mann darauf, kreuz und quer. Als wir ihn dazu legten, sahen wir, daß er schon tot war.

Es starben viele von uns in dieser Zeit, täglich waren es drei bis fünf Kameraden. Wenn wir an den Gebäuden der W. B. vorbeimarschierten, sah ich diese nüchternen Mauern sehnsüchtig an und dachte an die Zeit, die ich dort verbrachte, dachte daran wie an etwas Paradiesisches. Dort im Magazin sitzen, im geheizten Raum an der Schreibmaschine. Es war unvorstellbar, eine andere Welt. Wir froren, waren müde und fürchteten uns vor den Tagen, die vor uns lagen. Gespenstig ragten die kahlen Pappeln, und der Boden unter unseren Füßen war hart gefroren.

Verhungerte, eingesperrte. Menschen sind leicht zu tyrannisieren, der große Hunger allein schon erzeugt Depressionen, die sich als Mutlosigkeits-und Minderwertigkeitskomplexe äußern.

Und die Maschinengewehre. Dräuend stand einer der Wachttürme nahe bei der Baracke, seine zwei Maschinengewehrläufe ragten aus den Fenstern. Immer lebten wir im Schatten dieser Türme und in der Umarmung dieser eisernen Dornenhecken, vor und hinter denen sich noch ein Graben zog. Nachts sah er ganz gespenstisch aus, dieser wuchtige Turm, von dem ab und zu ein Ruf der Wache erschallte, wenn die Kontrolle unten passierte. Schwarz war der Schatten und unheimlich, den der Turm aufs Lager warf. Seltsam, wie wenig doch selbst heute noch nötig ist, welch primitive Mittel, um zehntausend Menschen auf einen Fleck zu bannen.

Es war ein Tag wie alle anderen. Kein Schnee fiel mehr vom Himmel, aber es lag viel Schnee auf der Erde.

Auf dem Arbeitsplatz kippte Schnell den Wagen um, auf dem drei Halbtote lagen, die wir vom Block mitbrachten, da das Revier sie nicht aufnahm. Sie hatten kein Fieber, sie waren so sterbend, ohne Fieber, sterbend an Entkräftung und Kälte Der Wagen fiel auf sie. Einer von ihnen war noch lebendig genug, gleich hervorkriechen zu können. Schnell schrie:

„Was, Du Kanaille, Du bist noch ganz munter und läßt Dich fahren? Wart, Dir werd ich’s zeigen! An den Schubkarren mit ihm!"

Der Mann kroch auf allen Vieren. Schnell trat ihn, er fiel um. Schnell packte ihn, riß ihn hoch, stellte ihn hin. Er knickte in sich zusammen, als seien seine Gelenke Scharniere und fiel in den Schnee.

Da machte Schnell nur eine verächtliche Geste und ließ ihn liegen.

Die zwei jungen, rohen Burschen, die gewöhnlich den Wagen zogen, richteten den Wagen wieder auf. Die beiden, welche darunter vergraben lagen, blieben regungslos liegen.

Schnell brüllte:

„Alle drei hinter die Baracke, los! Dort können sie weiter verrecken, dort haben sie Zeit dazu und . . . gute Luft."

Lind er lachte über seinen Witz.

Die beiden Burschen schleppten die Körper weg, sie schleiften sie hinter sich her, über den Schnee, als wäre es eine Last Holz oder ein Sack. Da, wo sie lagen blieb nur zerwühlter Schnee und ein roter Fleck.

Es ist schlimm, was so ein Blutfleck vermag. Mehr als sechshundert Augenpaare starrten darauf. Was mochten diese sechshundert Menschen dabei empfinden? Welche Gedanken mochten in sechshundert Köpfen jetzt kreisen?

Dann hieß es: „Arbeitskommandos formieren!“ Es war wie alle'Tage.

Die Gruppen. bildeten sich, die Capos schrien, Sargträger wurden aussucht. Es waren immer mehr Särge, die getragen werden mußten. Die Kälte forderte ihre Opfer. Wir zählten mit Schaudern die schwarze Kolonne und sahen, es waren dreißig Särge, die sie trugen. Aber das begann uns schon normal zu erscheinen, denn es waren in jenen Tagen immer zwanzig bis dreißig Särge, die sie trugen.

Totenkammer Ein Tag war wie der andere. Selbst das, was uns früher beachtenswert erschien oder ungeheuerlich, es war uns zur Alltäglichkeit geworden. Menschen froren, Menschen fielen vor Entkräftung um, Menschen wurden geschlagen, getreten, angebrüllt, Menschen stierten aus trostlosen, apathischen Augen vor sich hin. Es war uns, als müsse das so sein, als gäbe es gar nichts anderes. Im Gegenteil, wenn wir an die Welt draußen dachten, so erschien uns diese höchst unnormal und unvorstellbar, wie ein Luftschloß, das man sich baute und das nie Wirklichkeit sein konnte.

Es war ein Tag, wie jeder andere.

Ich ging in den Gefrierraum und wusch und schliff die Fliesen. Bloß nicht krank werden! Kranksein war der Anfang vom Sterben, besser gesagt vom „Verrecken“. Da wurde plötzlich die Türe aufgerissen, Kramer stand vor mir:

„Da also bist Du? Komm schnell, nimm einen Eimer in die Hand, daß es aussieht, als hättest Du was zu tun. Komm aber schnell, ich muß Dir etwas zeigen.“

Ich nahm einen Eimer und einen Besen, das war sozusagen ein Alibi.

Wir gingen hinaus aus der Baracke ans hintere Ende. Dort machten wir uns irgendwie zu schaffen, so daß wir weder vor etwa vorbeikommenden Capos noch vor der SS untätig erschienen. Kramer flüsterte mir zu:

„Schau dort hinüber. Siehst Du? Die Totenkammer ist offen, sie spritzen gerade die Leichen ab. Schau hin!“

Ich sah hinüber. Es war eine Entfernung von etwa nur zwanzig Metern zwischen uns und der Totenkammer. Die große, doppelte Garagentür des Raumes war offen. Zwei Häftlinge standen mit einem Schlauch da und spritzten die Toten ab.

Auf dem grauen Betonboden lagen die Toten, hackt, ganz nackt un aufeinandergeschichtet, wie Holz, einer mit dem Kopf nach oben, eine mit dem Kopf nach unten, aufeinandergehäuft, wie man eben eine Ware stapelt. Und wie sahen sie aus!

Das waren keine Menschen mehr, das waren ... Ja, was waren das Ich dachte zuerst an aufeinandergeschichtete vertrocknete Rüben. Abe dann fand ich einen passenderen Vergleich. So wie Blumen erschiene sie mir, die einmal herrlich blühten und die in einer Vase zu lange standen und verwelkten. Ja, so wie verwelkte, verdorrte Blumen aussahen, farblos, unschön, fast nicht mehr erkenntlich, ein Überbleibsel, von dem man schwer glauben kann, daß das einmal eine volle duftende Blume war, eine Nelke, eine Rose.

Ja, so lagen sie da, wie verwelkte, fortgeworfene Blumen.

Der Wasserstrahl klatschte über die Leichen. Die beiden Häftlinge drehten ihn von Zeit zu Zeit ab, packten mit ihren gummibehandschuhten Händen die Leichen an Kopf und Füssen und so, ho hupp! —, warfen sie einen auf die Seite. Ho hupp! — den nächsten, ho hupp! — den dritten. Sie brauchten sich dabei nicht sehr anzustrengen, denn es waren leichte Leichen, sehr leichte Leichen sogar, selten nur war noch ein wohlgenährter Körper dabei, und er wirkte erstaunlich, fast möchte ich sagen „störend“. Schon allein durch die Tatsache, daß er Platz für zwei beanspruchte, wirkte er wie ein Protz, und dann sah er noch so unglaublich lebend und menschenähnlich aus.

Und dann klatschten diese armen, dürren, nackten, so ganz nackten Körper auf dem harten, grauen Betonboden auf und blieben liegen. Wenn dann genügend nebeneinander lagen, so trat der Schlauch wieder in Funktion. Sie wurden abgeputzt, abgespritzt, wie man ein Auto abspritzt.

Dann wurde der Strahl wieder abgedreht, die Leichen wurden auf die andere Seite gewendet, das heißt auf die andere Seite geschmissen: Ho hupp! — Ho hupp!

Ein Gesicht klatschte auf den schmutzigen Beton, ein Schädel knallte auf, ein Körper bewegte sich nach dem Herumschmeißen, unheimlich sah es aus. Dann spritzte der Schlauch wieder über die Körper, ins Gesicht, in den Mund. Alles wurde so notdürftig abgespült, Blut und Eiter, Schweiß und Schmutz. Leichenwäsche in Dachau.

Und dann wieder: Ho hupp! — Ho hupp! — wurden sie aufgeschichtet, Kopf gegen Fuß. Ho hupp! — Ho hupp! — Schon waren wieder neue an der Reihe, wurden auf den Beton geschmissen.

„Ho hupp! — Ho hupp! — Teufel, — was jetzt viele verrecken! — Dreh den Schlauch auf. — Mehr Wasser! — Wie das stinkt, — pfui Teufel!“

Und der Strahl zischte erbarmungslos in gebrochene Augen und eiterige Wunden, und er zischte in Gesichter, die gemein waren, und in solche, die noch im Tode edel aussahen. Und der Strahl zischte in Ge-, ichter, die noch leben werden, jahrzehntelang, in dem Erinnern, in den Gedanken von Frau und Kind, von Geschwistern und Eltern und Freunden. Und der Strahl zischte über Gesichter, die geliebt und geküßt wurden, Gesichter, nach denen man sich sehnte, für die man betet, die der Geliebten nachts im Traume erscheinen. Und der harte Wasserstrahl zischte in gebrochene Augen, die einst strahlten vor Glück.

Ho hupp! — Ho hupp! — Ho hupp!

Da klatschten diese Gesichter auf den grauen Beton und das Lachen der Wäscher klang schauerlich.

Im Hintergrund aber lag schweigend, ohne Bahre, nicht einmal auf einem Schrägen, geschweige denn auf einem Katafalk, nein, auf dem häßlichen Betonboden aufgeschichtet, die Masse der anderen Toten, Kopf gegen Fuß und Fuß gegen Kopf und warteten, bis auch sie an die Reihe kamen, bis auch sie aufklatschten, bis auch sie der Strahl bespritzte.

Und dann wurden sie neu aufgeschichtet, bis wiederum das „Ho hupp!“ ertönte. — Ho hupp! polterten sie hinein, in den Sarg, — ho hupp! — einer oder zwei, wie gerade Platz war. Und dann traten sie die letzte Fahrt an, ins Krematorium in München.

Kramer und ich sahen uns an, dann gingen wir schweigend.

Kramer kam mit mir in den Gefrierraum. Er nahm einen Lappen in die Hand, kniete neben mir auf einem Stück Holz nieder. Eine Weile herrschte Schweigen. „Was sagst Du nun?“

Ich zuckte nur mit den Schultern, ich hatte keine Worte, wie sie auch so schnell finden?

Kramer sagte:

„Es ist das Schrecklichste, was ich je gesehen habe. Fotografieren sollte man das können, fotografieren! Ich habe in den Kämpfen in Spanien Leichen gesehen, Berge von Leichen, verfaulte, verstümmelte, aber unter freiem Himmel. Das war an Orten, wo kein Mensch Zeit hatte, sich um die Toten zu kümmern. Wir haben sie ganz primitiv vergraben, in große Löcher haben wir sie geworfen und zugeschüttet. Aber es ging nicht anders, es war keine Zeit da, keine Gelegenheit. Es war nicht schauerlich, es war natürlich. Aber das hier . . . Stell Dir vor, mitten in einem geordneten Lande, in einem geordneten Leben, hier in Dachau, wo in den Baracken die Fußböden der Stuben glänzen müssen wie das Parkett eines Salons, wo jedes Karo der Betten genau liegen muß, wo Du bestraft wirst, wenn Dir ein Knopf fehlt, hier, in dieser Ordnung schmeißt man die Leichen hin, als ob es Abfall wäre, man legt sie nicht einmal auf eine Pritsche, nicht einmal eine ganz gewöhnliche rohe Holzpritsche gönnt man ihnen. Auf den Boden schmeißt man sie, wie . .., wie . . ., ja, wie was? Ein totes Schwein schmeißt man nicht so auf den Boden. Oh, es ist gemein, es ist bodenlos gemein! Und wenn Du denkst, das geschieht Tag für Tag, seit Jahren, Tag für Tag. Millionäre und Proleten, Gelehrte und Idioten, Priester und Diebe, alles, alles so hingeschmissen, wie Abfall. Denke Dir, mein Vater könnte da liegen, mein Bruder. Du, ich darf nicht darüber nachdenken, ich weiß nicht, was ich jetzt zu tun fähig wäre!

Und die SS weiß das, jeder von ihnen kennt die Totenkammer. Stell Dir das vor. Seit Jahren, seit Jahren! In einer Zeit, in der alles seinen geordneten Gang geht, in einer Zeit, in der wir hier die unmöglichsten Arbeiten machen müssen, Schnee fahren und solchen Unsinn, in einer Zeit, in der Tausende im Lager ohne Arbeit sind und nur schikaniert werden. Stell Dir vor, wie schlecht diese SS ist, daß sie selbst vor den Toten nicht halt macht, nicht zögert, selbst die Toten zu schänden. Was ist dieses Deutschland für ein barbarisches Land!

Du, wir müssen leben bleiben, wir müssen aus dieser Hölle lebendig herauskommen. Ich will nicht sterben, nein, ich will leben, ich will für die Rache leben. Ja, ich will mich rächen und die Toten. Oh, die Herren werden das noch teuer zu bezahlen haben!

Du brauchst mich gar nicht so anzusehen. Die sollen später einmal genau so leben wie wir, genau so, ganz genau so, ohne Erbarmen. Erschießen? Nein, daß wäre keine Strafe, das nicht. Vergiß nicht, ich heiße nicht Kupfer, ich habe keine sentimentalen Gefühle wie Du, von Vergebung und so. Für so etwas gibt es keine Vergebung, nein, für so etwas gibt es nur Rache! Ich glaube, es gibt nicht genug Rache dafür.“

Er gab mir die Hand „Die Hauptsache ist, daß wir leben bleiben. Servus!“

Und er ging hinaus.

Ich war allein und wusch die Fliesen. Vor mir stand das Geschehene, die offene Totenkammer. Lind so oft ich ein Geräusch hörte, wenn der nasse Lappen auf den Boden klatschte, oder wenn ich das Holz an eine andere Stelle legte, wurde daraus eine Erinnerung, ein Rhythmus, der in meine Ohren klang: „Ho — hupp! -----Ho — hupp!“

Er hatte geraucht Es schien überhaupt ein Unglückstag zu sein.

Als ich nach einer Weile Wasser holte, hörte ich Lärm. Ich sah, in einem der Räume oben stand Kanowski, ein Berliner. Vor ihm ein schreiender, tobender SS-Mann der ihn immer wieder mit der Faust ins Gesicht schlug. Kanowski war ein starker, großer Mann von etwa achtunddreißig Jahren.

„Meldung!" schrie der SS-Mann. „Meldung! Geraucht wird hier also? Wo ist der Capo? Wo ist der Schnell?"

Dann schrie er einen anderen Häftling an: „Hol’ den Capo, Du faule Sau!"

Der rannte fort, als liefe Feuer hinter ihm her.

Inzwischen setzte der SS-Mann seine Unterhaltung mit Kanowski fort:

„Warum hast Du geraucht?"

Ein Schlag ins Gesicht folgte, daß der Kopf zur Seite flog. Kanowski zuckte die Achseln.

„Warum Du geraucht hast, will ich wissen!“

Wieder ein Schlag ins Gesicht, diesmal von der anderen Seite:

„Willst Du bald reden, Du Hund! Ob Sie reden wollen! Warum haben Sie geraucht?“

Kanowski stammelte etwas, er sagte es so leise, daß ich es nicht verstand, es drang nicht bis in den Winkel, in dem ich in Deckung war und von dem aus ich die ganze Szene mit anhörte und sah. Ich hörte nur, wie der SS-Mann wieder schrie:

„Was, weil Sie acht Monate nichts zu rauchen hatten? Acht Jahre sollten Sie nichts zu rauchen haben, Sie Stück Scheiße, Sie! Warum sind Sie den überhaupt eingesperrt? He?“

Ein erneuter Faustschlag. Kanowski taumelte zurück. Ich hörte nicht, was er sagte.

„Also bei der kommunistischen Partei waren Sie, als roter Lump, he? Und jetzt wollen Sie rauchen? Wissen Sie nicht, daß das verboten ist? Was?“

Wieder ein Schlag.

„Ob Sie nicht wissen, daß es verboten ist?“

Der SS-Mann schrie, daß sich seine Stimme überschlug.

„Woher hatten Sie die Zigarette?“

Kanowski antwortete wieder etwas, ohne daß ich es verstehen konnte.

„Woher, will ich wissen, woher!" schrie der SS-Mann und trat ihn dabei mit den Stiefeln in die Schienbeine.

„Wer hat Ihnen die Zigarette gegeben?“

Kanowski schwieg.

„Ich werde Ihnen schon das Maul aufmachen, warten Sie nur!"

Diesmal erhielt Kanowski einen Kinnhaken, daß er hintenüber fiel. Als er sich gerade mühsam aufrichtete, tauchten Schnell und Gaibaby auf. Schnell kreischte schon von weitem wie ein hysterischer Papagei:

„Herr Kommandoführer, Herr Kommandoführer, ich bin schon da!“

Ich zog mich aus meinem Versteck unbemerkt zurück. Wenn man gesehen wurde, war es leicht möglich, daß man als Fortsetzungsobjekt ausersehen wurde. Der arme Kanowski.

Als das Stück Eisen zum Mittag geläutet wurde, und wir antraten, hatte Kanowski ein ganz verschwollenes Gesicht, das blau und rot glänzte. Er konnte kaum aus den Augen sehen, so zugeschwollen waren sie. Er stand neben mir. Es machte ihm Mühe, den Mund zu öffnen. Ich sah, er hatte auch einen oder zwei Zähne verloren. Er sagte durch den mühsam geöffneten Mund, fast unverständlich:

„Ich habe Meldung bekommen, wegen des Rauchens.“

Mich belastete die ganze Sache sehr, und ich beschloß, mit Oskar zu sprechen, ob er nicht ein gutes Wort bei Schnell einlegen konnte. Schnell war mächtig genug, er konnte die Meldung einfach „verlieren“, er konnte sich das leisten.

Als wir dann einmarschiert waren und vor dem Block schon zum Wegtreten bereit standen, kam Oskar. Es schien, er war schon über alles unterrichtet, denn er rief Kanowski aus der Reihe heraus. Er sah ihn eine kleine Weile an:

„Du schaust ja nett aus. Hast geraucht, ja?“

Ehe Kanowski noch antworten konnte, schlug er ihn rechts und links ins Gesicht.

„So, das hast Du davon. Und eine Meldung hast Du auch, daß Du es weißt. Und warum ich Dir jetzt eine in die Fresse gehauen habe, das weißt Du ja auch.“

Dann drehte er sich um: „Weggetreten!"

Die Marschordnung wurde aufgelöst, man trat wieder stubenweise an und ging dann in den Block.

Ich trat zu Oskar und bat ihn die Meldung zu „unterbauen", wie es auf gut Dachauerisch hieß. Oskar hörte mich ruhig an, dann sagte er:

„Der hat die Meldung verdient. Du hast ja gesehen, ich habe ihm gleich noch ein paar Ohrfeigen dazugegeben. Wegen solchen Schweinen kann einmal das ganze Kommando leiden, man darf so etwas erst gar nicht einreißen lassen."

„Aber warum ihn so hart bestrafen? Der SS-Mann, der Schnell, der Gaibaby, alle haben sie ihn geschlagen und nun auch noch Du. Ist das nicht genug, nur wegen so einer Zigarette?"

„Wegen der Zigarette hätte ich ihm auch keine Ohrfeigen gegeben, trotzdem ihm da ja auch eine gehört, denn er bringt damit sich und andere in Gefahr. Nein, er hat gesagt, von wem er die Zigarette bekam . . ., und das ist eine bodenlose Gemeinheit. Die Meldung bleibt.“

Oskar machte ein kaltes Gesicht und ging in den Block.

Ich zog meine Schuhe aus und dachte dabei, ob ich an Kanöwskis Stelle bis zum Schluß eisern stumm hätte bleiben können? Natürlich war es feige von ihm und dumm. Er hätte ja auch sagen können, sie gefunden zu haben. Ob jetzt seinetwegen noch einer eine Meldung bekommen hatte?

Lange Zeit sprach kein Mensch mit Kanowski, seines großen Verbrechens wegen. Nach einer Woche war sein Gesicht wieder ziemlich normal, nur noch einige schwarze Flecken waren zurückgeblieben. Die eisige Atmosphäre um ihn her hielt jedoch an, man mied ihn, wie einen Verräter. Ich selbst sprach einige Male mit ihm.

Im Laufe der Zeit vergaß man die Affäre Kanowski.

Die Parade-Leiche Es wurde immer kälter. Wir hatten meist 10 bis 15 Grad unter Null, manchmal aber auch 18 bis 20, vor allem morgens.

Wir standen nach wie vor in der Eiskälte und trampelten, um uns die schmerzenden Füße zu erwärmen. Eine Stunde allein, die wir morgens vor dem Blöde verbringen mußten, genügte, uns für den ganzen Tag „fertig" zu machen. Aber der Blockälteste hatte Erbarmen und gestattete uns, wenn es sehr kalt war, im Vorraum zu stehen und im Abort, natürlich nur solange, bis dort dann angefangen wurde zu putzen. Aber das war schon eine große Vergünstigung, und wir waren dankbar dafür.

Frieren, — frieren, — frieren, —lind die Gesichter wurden immer blasser, die Wangen immer hohler und schmäler. Wir sahen alle schlecht aus, die Kälte und .. . nicht genügend Essen. Viele von uns bekamen seltsame Flechten im Gesicht und manche auch am Körper. Das sollte von Unterernährung kommen. Ich glaube aber, es waren auch viele übertragene Flechten dabei, viele Bartflechten, die wahrscheinlich durch den Pinsel des Friseurs weiterverpflanzt wurden, denn zweimal in der Woche mußten alle Häftlinge des Lagers rasiert werden. Einseifen mußten wir uns selbst und wir hatten auf der Stube für neunzig Mann nur einen, nein, wir hatten zwei Pinsel.

Frieren, — frieren, — frieren. Schon längst war niemand von uns mehr satt. Die Mülltonne, in die mittags die Kartoffelschalen wanderten, wurde öfters von gierigen Händen beraubt, natürlich nur, wenn niemand in der Nähe war. Ab und zu wurde aber einer erwischt dabei. Oft waren es die eigenen „Kameraden“, die es dem Stubenältesten meldeten. Wie die kleinen Kinder in der Schule: „Der Müller hat Kartoffelschalen gegessen.“ Ich weiß nicht recht, taten sie es aus Schwatzhaftigkeit, aus Sensationslust, oder aus Furcht davor, daß eine Epidemie ausbrechen könnte. ‘ Wenn so ein Kartoffelschalen-Esser erwischt wurde, so mußte er natürlich gleich als abschreckendes Beispiel dienen. Er wurde unter Stößen und Schlägen in die Stube geschleppt, allen Anwesenden gezeigt, und bei dieser Gelegenheit wurden dumme Fragen gestellt:

„Warum hast Du Kartoffelschalen gefressen?“

Ja, warum? Hätte der Mann ein Kilo Braten gehabt, hätte er sicherlich keine Kartoffelschalen angerührt.

Und auf die dumme Frage folgte stets ein brutaler Schlag. Das gehörte sich so, — Dummheit und Brutalität gehören zusammen.

„Was, Du Sau frißt Kartoffelschalen? Dabei haben wir reichlich zu essen! Soweit braucht kein Mensch sich zu erniedrigen. Was ist, willst Du noch einmal Kartoffelschalen fressen, Du Sau?“

Lind die Schläge gingen auf das Opfer nieder, Ohrfeigen, Faustschläge und Tritte.

Oft waren es Männer von vierzig und fünfzig Jahren, die so ihren Hunger stillten, wenigstens es versuchten in ihrer Gier.

Bei solchen Vorführungen auf der Stube gab es stets genügend moralisch Entrüstete, die am liebsten den sofortigen Tod des Kartoffelschalenessers verlangt hätten:

„Totschlägen sollte man so ein Schwein! Er bringt alle in Gefahr.“

Das war es, was man hörte, und der Stubenälteste erntete Beifall für die Schläge, die er austeilte. Nur wenige Verständige flüsterten:

„Die sollen uns besser zu essen geben und mehr, das wäre vernünftiger.“ Aber das waren nur einige.

Nachts war es so bitter kalt, daß man davon aufwachte. An der Barackenwand, an der ich lag, bildeten sich kleine Eiszapfen. Viele husteten, und viele starben am Durchfall.

Draußen, auf der Arbeitsstätte, war es auch immer das gleiche betrübliche Bild. Der Schnee lag hoch und weiß und verschönte das ganze, betrübliche Bild. Was aber ringsum geschah, auf diesem weißen Schnee, besser gar nicht daran denken.

Ich war noch immer in den Kellerräumen und wusch und polierte die Fliesen.

Dvorak lief mit einem Farbtopf und Pinsel herum. Er war plötzlich Maler geworden. Was so ein Oberleutnant nicht alles werden kann! Ab und zu kam er zu mir hereingeschlüpft. Er hielt dann den Pinsel irgendwo an das Holz der Türe oder sonst irgendwohin, so als ob er etwas auszubessern hätte. Dann erzählten wir uns die neuesten Parolen, besprachen die gegenwärtige Lage, auch die auf dem Kriegsschauplatz, tauschten unsere Vermutungen aus und redeten von der Zukunft.

Einmal kam er wieder zu mir. Er war ganz aufgeregt und sagte:

„Du, ein Kamerad von mir ist gestorben, ein tschechischer Oberst, so ein feiner Kerl. Im Revier ist er gestorben. Jetzt liegt er drüben bei den Leichen, mitten in dem Haufen drin, stell Dir das vor. Ich mag gar nicht daran denken. Nackt, einen Zettel an der Zehe und einen um den Hals. Kannst Du begreifen, daß ich bis jetzt noch keinen Mut gefunden habe, ihn ansehen zu gehen? Aber wir werden doch gehen, zwei Kameraden und ich, wir wollen ihn noch einmal sehen.“

„Aber wie willst Du da hineinkommen?“

Er sah mich an, als hätte ich etwas sehr Dummes gesagt. „Mit Farbtopf und Pinsel natürlich. Wir sollen dort etwas ausbessern, ganz einfach. Geht es wirklich schief, nun gut, was kann schon geschehen? „Fünfundzwanzig?" Die nehmen wir gern auf uns, um unseren toten Kameraden noch einmal zu'sehen und ihm Ade zu sagen. Aber jetzt muß ich gehen, ich komme nachher noch einmal und erzähle Dir mehr."

Er ging fort. Ich wusch weiter meine Fliesen. Und ich bangte ein wenig für Dvorak. Wenn er „auffiel“? Wenn man ihn fragte, was er da zu suchen hatte? Sicherlich war die SS argwöhnisch, wenn sich Häftlinge bei den Leichen herumtrieben.

Es verging Zeit, viel Zeit. Eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden. Dvorak kam nicht. Ich bangte jetzt ernstlich um ihn, mit Dachauer Worten: „ich sah schwarz für ihn“. Gleich mußte es Mittag seien. Dvorak war noch nicht da.

Da ging die Türe auf, er trat ein. Ganz blaß.

Ich sah ihn an und sagte kein Wort, ließ ihm Zeit sich etwas zu erholen, denn ich sah, er mußte sich erst fassen. Endlich begann er. Er setzte nicht einmal zum Schein den Pinsel an die Tür, er stand einfach so da, mitten im Raum, ganz abseits der Wirklichkeit. Er mußte etwas erlebt haben, das tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Ich ließ ihn ruhig stehen, wusch meine Fliesen. Da sagte er:

„Es war scheußlich. Zuerst haben wir ihn gesehen, unter dem Haufen der Toten, nicht zum Wiedererkennen. Es ist grauenvoll, diese Toten-kammer, daß es so etwas geben kann. Dann sind wir noch einmal gekommen, da war er nicht mehr da. Wir haben aber durch die Toten-wäscher herausgebracht, daß sie ihn in einen anderen Raum gebracht haben, zur Aufbahrung. Ich habe es erst gar nicht geglaubt, aber dann habe ich mich überzeugt, mit dem Farbtopf konnte ich auch dorthin. Es ist gleich das Gebäude schräg gegenüber, es ist ein Materialschuppen oder etwas Ähnliches. Dort an der Ecke, da ist ein Raum, in dem bahren sie die Toten auf, nämlich die, die sie zeigen wollen, wenn Angehörige darauf bestehen. Ich habe jetzt auch erfahren, daß bei jedem Todesfall das Lager die Angehörigen telegraphisch benachrichtigt. Das macht sich gut und kostet wenig Arbeit. Man gestattet also manchmal auch, die Leichen zu sehen und sie zu überführen. Anscheinend haben die Verwandten meines Kameraden gleich telegraphiert, daß sie kommen werden, die Leiche zu holen. Er hatte eine so gute junge Frau und eine Schwester... Ich denke, sie werden beide kommen.

Aber stell Dir vor, wie es in der Kammer aussieht, in der er aufgebahrt liegt: Die Wände weiß gestrichen. In der Mitte ein Katafalk, darauf ein Sarg. Hinter dem Sarge zwei Lorbeerbäume und zu Häupten ein Kranz, ein großer Kranz aus Immergrün. Dann Leuchter und Kerzen. Der Sarg ist offen, der Tote liegt darin, blütenweiß zugedeckt, und Blumen sind auch da. Dieses Theater, es ist zum Verrücktwerden!“ „Aber es ist doch schön, daß er so aufgebahrt liegt, daß seine Frau ihn so sehen kann, wenn auch alles Lüge ist. Aber was ist hier nicht Lüge?"

Dvorak nickte traurig mit dem Kopf. Er war ganz grau im Gesicht. „Du hast recht. Es ist alles Lüge. Wir sind dort hingegangen, haben dort gemalt. Wir waren zu dritt, waren ganz allein. Einer stand immer an der Tür und hielt Wache. Zwei Stunden waren wir am Sarge und nahmen Abschied. Wir wollten ihn noch einmal genau sehen, auch den Körper, ob er vielleicht Narben von Schlägen hatte. Da taten wir das schöne, weiße Papier weg, das den Toten zudeckte. Darunter lag er, nackend, schmutzig vom Dreck des Betonbodens und der anderen Leichen, mit Blut beschmiert. So lag er nackend auf der rohen Holzwolle. So, wie er war, haben sie ihn einfach hineingeschmissen. Aber das Papier darüber sieht wie Damast aus, es ist schneeweiß. Nur der Kopf schaut heraus und die Arme mit den über der Brust gefalteten Händen.

Weißt Du, so ist alles hier, alles. Wenn ich an den Toten denke, wie gesund und froh er war-----und wie elend und mager, wie verfallen er jetzt aussieht. Und nun muß er da liegen, dreckig und blutbeschmiert, nackend auf den Holzspänen . . . Aber um ihn her stehen Lorbeerbäume, brennen Kerzen, das heißt, werden brennen, wenn die Familie kommt. Und untadelig weiß ist er zugedeckt, und sein Sarg steht auf einem schwarzen Katafalk. -----Und drüben liegen die Toten, wie Abfall. ------

Weißt Du, ich glaube manchmal, ich werde verrückt oder ich bin es schon. Sind das denn keine Menschen? Sind das denn Teufel, die das alles ausdenken, ohne Gefühl, voller Bosheit und Tücke? Aber sie werden es bezahlen, — sie werden es einmal bezahlen!“

Plötzlich hörten wir ein großes Getrampel. Mittag. Alles rannte zum Antreten. Unseren Gong, das Stück Eisenschiene, hatten wir überhört.

Wir ließen alles stehen und liegen und rannten um zurecht zu kommen. Im Laufen zogen wir uns noch unsere gestreiften Mäntel an. Dvorak flüsterte mir dabei zu:

„Heute nachmittag passen wir auf, ob die Frauen kommen. Wir gehen noch einmal hin. Einer von uns kann sich da schon verstecken oder zu schaffen machen, das fällt nicht auf. Ich will ihn noch einmal sehen und seine Frau auch, vielleicht kann man ihr zunicken."

Während des Heimmarsches sang ich, ohne zu wissen, was ich sang. Ich sah nicht einmal, daß dicht vor mir einer zusammenbrach, ich stolperte fast über ihn. Vor meinen Augen stand der Katafalk mit den Kerzen und den Lorbeerbäumen dahinter, und im Sarge lag unter schneeweißer Hülle die nackte, ungewaschene, blutbeschmierte und kotbeschmutzte Leiche eines tschechischen Kameraden.

Ja, das war wie alles im Dritten Reich: Lüge.

Am Nachmittag wusch ich wieder meine Fliesen. Als ich ging, um Wasser zu holen, und vor die Baracke hinaustrat, sah ich von weitem zwei schwarze Gestalten, von einem SS-Mann begleitet, zwei Damen in einfachen, schwarzen Trauerkleidern. Es war ganz ungewöhnlich, etwas anderes als SS oder Häftlinge zu sehen. Das Lager durfte ja keine Frau betreten, hier aber war der zweite, äußere Bezirk, nicht das innere Lager, und der Schuppen, zu dem sie gingen, stand außerdem gleich nahe bei dem Eingang zu diesem Bezirk.

Sie wandelten dahin, zwei schwarze Gestalten. Mir erschienen sie wie fremde, geheimnisvolle Wesen, wie die Trauer, die mit der Rache schreitet.

Am späten Nachmittag kam Dvorak wieder.

„Ich habe sie gesehen, sie sind beide gekommen, die Frau und die Schwester, ganz in Schwarz. Ich habe dort in der Nähe getan, als ob ich etwas anzumalen hätte. Der SS-Mann, der sie begleitete, war sehr kurz zu ihnen. Als sie eintraten, brannten die Lichter, der Tote lag im offenen Sarg. Die Schwester stieß einen halblauten Schrei aus, als sie den Toten sah. Seine Frau aber wandte sich zu dem SS-Mann und sagte: , Was haben Sie aus meinem Mann gemacht!“ Sie sagte es wie eine Anklage. Lind er, schroff, drohend, hart, befehlend: . Schweigen Sie!“Jetzt sind sie schon wieder fort. Sie werden wohl in Dachau wohnen. Ich denke mir, sie nehmen den Sarg mit. Gleich als sie gingen, wurde der Sarg verschlossen. Sie dürfen ihn nicht mehr öffnen. Was mögen die armen Frauen leiden. Wir drei Tschechen sind noch einmal vorher da-gewesen, jeder mit seinem Farbtopf, einer nach dem anderen, und wir haben dem Toten zum Abschied die Stirne geküßt."

Er sah düster vor sich hin:

„Wir müssen leben bleiben. Wir müssen unbedingt leben bleiben.“

An dem Tage flüsterten alle über den seltsamen Besuch, über das Erscheinen der beiden Frauen in Schwarz. Ein Kamerad sagte mir: „Es ist eine Schande, was da immer für ein Theater aufgeführt wird, wenn sie eine Leiche holen “ kommen. Gewöhnlich geht der Zill mit, der Schutzhaftlagerführer, heute glaube ich war der Lange bei den Frauen, der große Kerl, der Adjutant des Lagerkommandanten. Der Zill setzt dann immer eine sehr betrübte Miene auf, wenn er mit den Angehörigen spricht, und man sagt, er sage immer dasselbe, er sagt dann trauernd: . Schade, schade, — er war einer unserer Besten, — er sollte entlassen werden, weil er sich so gut führte und wir so zufrieden mit ihm waren. Nun ist er tot. Es ist wirklich ein Jammer. Ein Tag noch oder ein paar Tage höchstens, und er wäre als freier Mann durchs Tor gegangen.“ Und wenn dann die Angehörigen wieder weg waren: . Los, was steht Ihr da so herum? Ich soll Euch wohl in den Arsch treten? Soviel Komödie wegen einem verfluchten Kadaver! Packt doch nicht so zimperlich zu, Ihr Hunde! Los, Deckel zu, aber gut zumachen, daß ich die blöde Fratze von dem Neger da nicht mehr sehe! So ein Theater, wenn so ein Hund verreckt!““ Der alte Mann Am Abend war auf dem Block allerhand los. Wir hatten unseren Abendkaffee eben beendet und wollten gerade noch ein paar Minuten Ruhe genießen, die dreißig oder vierzig Minuten, die uns vom ganzen Tage blieben, bevor wir Schlafengehen mußten, da ging die Türe auf, Oskar Bauer schrie:

„Achtung!"

Alles sprang auf. Der Herr Blockführer Bede stand wieder einmal da, mit seinem gemeinen Sadistengesicht. Er ließ seine Augen suchend und höhnisch schweifen.

Es herrschte Totenstille, denn alle wußten, wie gefährlich Beck war. Oskar Pauer meldete die Zahl der Belegschaft. Jeder von uns spürte dabei, daß es wieder ein unangenehmes Schauspiel geben würde, und im Innern zitterten wir davor.

Und wirklich ging das Theater los.

Er winkte einem mit dem Finger:

„Sie, ja, Sie, kommen Sie einmal her. Ja, so, hierher.“

Er sagte es mit leiser Stimme.

„Warum sind Sie nicht gleich aufgestanden, als ich kam, — he? — He?!" Und er schlug ihn unvermittelt ins Gesicht, daß er taumelte.

„Hier kommen Sie her, — hierher, — noch näher. Glauben Sie, ich scherze vielleicht?"

Und plötzlich brüllte er los:

„Warum Du nicht aufgestanden bist, als ich kam, will ich wissen, Du Vogel!“

Der Gefragte suchte nach Worten:

„Weil. ., weil.... ich . ..“

„Was? Ausreden will er auch noch gebrauchen, der Hund!“

Und wieder schlug er ihn mit voller Wucht ins Gesicht. — Dann schrie er:

„Hau ab, — Du Kretiner, Du elender!“

Der „Kretiner" ließ sich das nicht zweimal sagen, er verschwand an seinen alten Platz. Aber schon hatte Beck wieder ein neues Opfer erspäht. „Komm mal her. Du Vogel, ja, Du. Glaubst Du wohl, ich sehe nichts? Oh, ich sehe alle, alles, verstehst Du mich? Alles! Da stellst Du Dich her, hier vor mich hin. Warum hast Du Dich bewegt, als es hieß „Stillgestanden!“? — He? — He?“

Dann brüllte er wie besessen:

„Warum?!"

„Weil. . ., weil ich den Hocker noch zwischen den Beinen hatte, vom Aufspringen, ich konnte nicht länger so stehen.“

„Was heißt das, Du kannst nicht? — Wenn ich komme, hast Du stillzustehen, verstehst Du mich? Ob Du mich verstehst. Du Drecksau, Du verkommene?“

„Jawohl, Herr Hauptscharführer."

„Hau ab!"

In diesem Stile ging es noch eine ganze Weile weiter. Dann machte er „Spindkontrolle“. Es war lächerlich, was er alles beanstandete. Oskar, der Blockälteste, ging mit ihm, er legte immer ein entsprechend gutes Wort ein oder tat, als wäre er ganz der Meinung der hohen SS.

Nun kam er auch an meinen Spind. O weh, Rinkenburger hatte einen Kaffeeflecken, einen winzigen Tropfen zwar nur, am Becher. Das gab ein großes Hallo. Ohrfeigen für Rinkenburger und eine „Zigarre", also einen Anschnauzer für den Blockältesten.

Der Spind war „aufgefallen“. Nun wurde alles in ihm wie mit einer Lupe angeschaut. Meine Eßschale hatte es Bede besonders angetan. Er fuhr mit dem Finger über den Boden. Das schlechte Aluminium hinterließ natürlich einen dunklen Streifen auf dem Finger. Aber die Schüssel war sonst rein.

Beck schrie: „Wem gehört diese Schale?!“ Ich trat vor, stand stramm: „Mir." „Was ist das, he?“

Und er wies mir seinen angeschwärzten Finger.

„ Aluminium-Schwärze, Herr Blockführer."

„Was ist das?“

„ Aluminium-Schwärze.“

„Dreck ist das!“

„Man kann die Schüssel putzen, wie man will, wenn man mit dem Finger an dem Metall reibt, so wird der Finger immer schwarz.“

Ich stand stramm vor ihm. Er nahm die Schüssel und schlug sie mir vor die Stirn, einmal, zweimal, ein dutzendmal. Dabei sagte er rhythmisch: „Dreck ist das, — Dreck ist das, — Dreck ist das.“

Und dann nahm er die Schüssel und rieb ’amit über die Beulen, die auf meiner Stirn entstanden waren, rieb die Schüssel darauf hin und her und schwärzte so meine Stirn. Dann befahl er:

„So — und jetzt links um, — damit Dich auch die anderen sehen.“

Ich machte linksum und stand nun der ganzen Stube zugewandt, die mich als bösen Buben, als abschreckendes Beispiel ansehen mußte.

Ich sah die Gesichter der Kameraden. Mich selbst packte eine unbändige Lust zu lachen laut heraus zu lachen über die verdutzten Gesichter, die ich sah, die so ernst dreinschauen mußten. Doch ich beherrschte mich mit aller Gewalt und machte eine betrübte Armesündermiene, so betrübt, als es mir möglich war. So ließ sich am besten das Lachen verbergen, das dauernd aufsteigen wollte. Nur nicht lachen! Bede hätte gedacht, daß ic ihn und seine Methoden auslachte.

Etliche Minunten stand ich so zur Schau, dann mußte ich mich wieder herumdrehen. Er gab mir die Schüssel in die Hand:

„So, und nun los, raus in den Waschraum und die Schüssel mit Schmirgelpapier blank gerieben, los!“

Draußen betrachtete ich die Schüssel. Sie hatte mehrere Beulen. Beck hatte eine schwere Hand.

Später hörte ich, wie „Achtung!“ gerufen wurde, hörte, wie die Tür der Baracke zufiel und wie der Gewaltige hinausstampfte. Da ging ich wieder in die Stube.

Kramer kam zu mir und sagte:

„Na, Du böser Bube! Wir wußten alle nicht, ob wir lachen oder weinen sollten, als Du dastandest, ganz verschmiert. Aber er hat Dir prächtige Hörner geschlagen.“

An dem Abend kam auch Dvorak, der junge Tscheche, einen Augenblick von der Stube 2 zu mir herüber. Er erzählte mir, daß er eine Erbschaft gemacht hatte, an die er nie gedacht hatte. Er freute sich darüber, vor allem für seine Braut, denn es war ein nettes, kleines Kapital, was einem neuen Hausstande sehr zustatten kommen mußte. Eben hatte er den Brief erhalten.

Wir hatten zwei Neuzugänge auf der Stube. Mit ihnen unterhielt ich mich öfters. Der eine war ein alter, gutmütig aussehender, astmathischer Mann, der große Herzbeschwerden hatte. Er war etwa sechzig Jahre alt. Der andere war ein zwanzigjähriger Bursche mit munterem Gesicht und rötlichen Haaren.

Beide kamen aus Mauthausen, dem berüchtigten Lager bei Linz. Der alte Mann war der Vorstand einer Bauerngenossenschaft. Das war eine Ein-und Verkaufsgenossenschaft, die auch das Lager Mauthausen belieferte. Zu ihm kamen oft Häftlinge, Waren abzuholen. Einmal in einem unbewachten Augenblick, erzählte ihm einer, daß er so große Schmerzen habe, eine Kiefernoperation sei nötig, aber er müsse sie selber bezahlen und habe kein Geld, 280 Mark koste es.

Der alte Mann hatte selber einmal eine Kiefern-Operation gehabt und wußte, was man bei einer solchen Krankheit für Schmerzen hab. n kann. Ihm tat der Häftling sehr leid. Als der nun mehrere Male kam und bat, gab er ihm 280 Mark und dachte ein gutes Werk getan zu haben.

Der Häftling aber verwandte das Geld nicht so, wie er angegeben hatte, er kaufte sich dafür dies und das in der Kantine. Eines Tages wurde er „gefilzt“. Man fand bei ihm 120 Mark. Wo kamen die her? Er war kein Geldempfänger, außerdem durfte keiner mehr als 30 Mark bei sich haben, nämlich die Summe, die monatlich gestattet war. Er wurde verhört, am „Baum" natürlich, und er „sang", er erzählte alles. Da kam man und verhaftete den alten Mann, legte ihm Verkehr mit Häftlingen und Häftlingsbegünstigung zur Last. Er kam ins Untersuchungsgefängnis. Seine Frau tat alle nur möglichen Schritte für ihn, vergebens. Endlich landete er in Dachau und natürlich in der Strafkompanie, seiner schlimmen Akten wegen.

Es war rührend, wenn er von seinem Heim erzählte, von seiner Frau, von den Kindern, von der Liebe und Fürsorge, die sie einer gegen den anderen an den Tag gelegt hatten und von all den vielen lieben Erinnerungen. „Ich möchte nur eines, — nur hier nicht sterben. Einmal möchte ich noch zu Hause sein, für einen halben Tag wenigstens, oder nur für zwei Stunden. Meine Frau und die lieben Kinder möchte ich noch einmal sehen, ihnen meinen Segen geben, ihnen für alles danken und dann, — dann würde ich gerne in Ruhe und Frieden in meinem Bett sterben. Ach, das wäre schön! Wenn es nur mein Herz so lange aushält. Aber wer weiß, wie lange wir noch hier sein müsssen, und ... lange halte ich es nicht aus. Ach, meine arme Frau und die Kinder, wie werden die sich um mich grämen, viel mehr, als ich mich um sie. Ich sehe im Geist, wie jetzt abends meine Frau dasitzt, an mich denkt und weint, und wie die Kinder sie trösten. O, wenn ich sie doch trösten könnte! Statt dessen darf ich jetzt nicht einmal mehr schreiben, nur alle Vierteljahre einmal. Wie werden die sich sorgen!"

Alle hatten ihn gern, wir nannten ihn nur den „Vater“. Er war sehr krank und schwach, obwohl er noch gar nicht mager war. Selbst Oskar Bauer hatte Mitleid mit ihm. Er hatte ihm das Privileg eingeräumt, auf der Kohlenbank hinter dem Ofen sitzen zu dürfen, weil er so sehr fror. Lind Oskar war es auch, der dafür sorgte, daß dieser Mann nicht auszurücken brauchte. So verbrachte der Alte den ganzen Tag auf dem Block. Oskar Bauer nahm das auf seine Kappe, wer weiß, was er alles dem Blockführer erzählt haben mag, um das ausführen zu können. Sicherlich mußte er viel lügen und viel diplomatische Geschicklichkeit der SS gegenüber anwenden, aber er setzte es durch, das rechneten wir alle ihm hoch an. Er sah, daß nur so das Leben dieses Mannes zu erhalten war.

Dvorak Auch der Dezember ging langsam seinem Ende zu, mir war es, als sei jede Woche ein Monat gewesen. Bald würde Weihnachten sein. Es war bitter kalt. Morgens krachte der gefrorene Schnee unter unseren Füßen.

Vor der Küche wurde eine große Tanne aufgestellt und mit elektrischen Birnen geschmückt, --------unser Christbaum. Ein Hohn bei all dem, was um uns her vorging. Aber ein gutes Reklamestück, wenn Besuch kam, sah er gleich, wie gut es den Häftlingen ging, nein, denen fehlte nichts, sie hatten sogar einen Weihnachtsbaum. Freilich, alte Kameraden erzählten, daß es schon Jahre gegeben hatte, da unter dem Weihnachtsbaum gleich der Bock stand und die Bastonade gegeben wurde, die „fünfundzwanzig", sozusagen als sinnreiches Weihnachtsgeschenk. Das konnte auch dieses Jahr geschehen.

Weihnachten rückte immer näher. Wir freuten uns darauf, denn wir hofften, daß wir da ein oder zwei Tage nicht zu arbeiten brauchten, der Posten wegen, von denen ein Teil in Weihnachtsurlaub fuhr, so daß es an Bewachungsmannschaft fehlte.

Zu der Zeit arbeitete ich in der zukünftigen Küche des Unterführer-heims. Das war ein großer Raum, in dem mehrere Kessel stehen würden, natürlich nicht sechzehn Riesenkessel, wie in der Häftlingsküche des Lagers. Ich schliff die Fliesen. Am anderen Ende des Raumes arbeitete Dvorak, auch er kniete am Boden und tat dieselbe Arbeit wie ich.

Es war nicht warm, die Zentralheizungskörper waren noch nicht angeschlossen. Das Barometer zeigte 18 Grad unter Null und oft auch 20 und 21 Grad, vor allem morgens. So ging das bis 12 Uhr, — sechs lange Stunden voll Hunger und Frost. Und das Mittagessen ... Es konnte nicht viel Kraft und Wärme erzeugen, — es gab Kraut, — Kraut und wieder Kraut, manchmal auch Rüben, nur sonntags gab es Nudeln, aber die waren immer ganz zerkocht, manche erwischten sogar kleine Fleisch-stückchen dabei, denn es gibt überall Glückspilze. Abends aber, das Stück Brot, die 500 Gramm, das hielt uns aufrecht. Wenn man sich wenigstens an dem Mittagessen hätte sattessen können, aber es gab nicht genug davon, um satt zu werden, obwohl es . .. ein dreiviertel Liter bis ein Liter war.

Wir wunderten uns alle darüber, denn keiner hatte zu Hause solche Mengen gegessen. In kurzer Zeit waren wir immer wieder hungrig.

Schon nach em Essen erhob sich niemand wirklich gesättigt, wenn es gut ging, höchstens „voll". Ich habe später Menschen gesehen, Ausgehungerte, die drei und fünf Liter Essen aßen, das ihnen wohlgenährte Kameraden auf „guten" Blocks gaben.

Manchmal in jener Zeit bekamen wir „Nachschlag". Es wurden uns aus dem Judenblock Kübel mit Essen gegeben. Christian Knoll ließ nämlich von sich aus die Juden eine Hungerkur machen, er nahm ihnen auf eigene Faust einen Teil ihres Essens weg, von dem wenigen, das sie hatten. Sie hatten nicht „gefolgt" und sie sollten verrecken, sagte er.

So hatten wir fast jeden Tag „Nachschlag".

Dvorak war in der letzten Zeit so merkwürdig still und gedrückt, er sagte nicht viel, gab kaum Antwort. Ich sah, daß er oft seinen Arbeitsplatz verließ und hinausging. Jeden Tag wurde er stiller, seine Gesichtsfarbe war ganz dunkel, fast bräunlich, so ein kupferner Ton. Kein Zweifel, Dvorak war krank.

Ich sprach mit ihm darüber. Ja. er war krank, er litt, hatte Schmerzen, es war ihm schlecht. Schuld an seinem Zustand war unser Abort. O Ironie! Wir putzten die schönsten gekachelten Aborte, sie funktionierten glänzend, auch die Spülung, aber wir durften sie nicht benutzen, wir Schweine, wir mußten in die offene Kiesgrube gehen, auf die Stange, auf das Brett. Dort, bei dem eiskalten Wind, hatte sich Dvorak die Nieren erkältet. Alles war angegriffen, Nieren, Milz, Leber. Wir sahen, wie er sich hinschleppte. Dreimal schon war er mit Oskar ins Revier gegangen, dreimal war er trotz Oskar abgewiesen worden. . . . Seine Temperatur war nicht hoch genug. Jetzt ging er schwankend, redete kein Wort und hatte eine erschreckend dunkle Gesichtsfarbe. Er tat seine Arbeit wie einer, der träumt.

Am nächsten und übernächsten Tag blieb er auf dem Block, Oskar Bauer und Boy, der Stubenälteste 2, hatten ein Einsehen, sie versteckten ihn hinter dem Ofen auf Stube zwei.

„Das wird mir vielleicht helfen, die Ruhe, die Wärme.“

Er sagte es mühsam. Aber es half nicht.

Am Abend des zweiten Tages, an dem er auf dem Block geblieben war, ging er wieder mit Oskar ins Revier. Der große, starke Mann schwankte. Ich trat zu ihm, gab ihm die Hand, sagte ihm „Auf Wiedersehen" und wünschte ihm gute Besserung. Er hielt meine Hand in der seinen, sah mich verständnislos an und ging weg. Er hatte mich nicht mehr erkannt.

An dem Abend wurde er ins Revier ausgenommen, ich war sehr froh darüber. Man sagte, es ginge ihm nicht sehr gut.

Fünf Tage später rief mich Oskar:

„Du, Kupfer, — der große, starke, junge Tscheche, mit dem Du so viel zusammen warst . . .“

„Du meinst Dvorak, der ins Revier kam?“

„Ja, der ist gestern abend gestorben. Da kannst Du wieder einmal sehen, wie schnell es gehen kann. Schade um ihn, war ein braver Kerl.“

Idi kniete in dem großen, leeren Raume, der einmal eine Küche für die SS sein würde, und ich wusch die Fliesen. Dvoraks Platz war leer. Ich griff in den Eimer, in das kalte Wasser, um den Putzlappen auszuwinden, und es erinnerte mich an die Kälte des Todes. Und ich mußte an Dvorak denken, an den kalten, toten Dvorak. Und ich hörte noch im Ohr, wie er zu mir gesagt hatte: „Wir müssen durchhalten, wir müssen. Aber wir werden es auch, uns können sie nicht zerbrechen, wir sind beide noch jung und stark, wir werden es überleben.“ Und nun . . .

Unwillkürlich gingen meine Gedanken ein paar Schritte weiter, zur Totenkammer. Dreißig bis vierzig Meter entfernt von dem Platze, an dem ich arbeitete, lag er nun, mitten unter den steifen Leichen, hinge-schmissen wie die anderen alle, einen Zettel um den Hals, einen Zettel um die große Zehe gebunden, nackt und tot. Lind ich dachte daran, wie er damals, vor gar nicht langer Zeit, hingegangen war, um den toten Kameraden zu sehen. Ich nahm meinen Eimer als Legitimation, ging, statt zum Hydranten, hinten um die Baracke herum, um hinüber zu sehen, zur Totenkammer. Vielleicht konnte ich ihn ein letztes Mal sehen. Ich ging von weitem langsam vorbei, den Eimer in der Hand. Das Tor zur Totenkammer war verschlossen. Da sandte ich ihm meine letzten Grüße, durch Tor und Mauer hindurch. , Dann ging ich weiter, um Wasser zu holen. Ein SS-Mann schrie mich an, ich hatte ihn nicht gegrüßt. Vor mir stand ein Toter, der versperrte mir die Sicht.

Dann ging ich zurück, ging in den Keller hinunter, in den kleinen Gefrierraum. Die Tür war offen, niemand war da. Ich nahm meinen Putzlappen, hielt ihn an der Wand, auf die Fliesen, als würde ich putzen. So blieb ich stehen. Ich war allein. Das war meine Totenfeier für Dvorak. Mir würgte es in der Kehle, Tränen stiegen mir in die Augen, aber ich konnte nicht weinen. Wenn ich doch nur hätte weinen können.

„Ja, das Scheißhaus, das hat schon vielen das Leben gekostet." So sagte der Kamerad am Abend, der sich neben mich gesetzt hatte.

„Mußt nicht traurig sein, dem geht's jetzt besser wie uns, der ist entlassen. Wer weiß, wie bald wir drankommen. Viele überleben das doch nicht. Da sind welche, die haben Glück gehabt, haben sich fünf Jahre lang durch alles durchgebissen, und dann, dann kommt irgend etwas, so eine kleine Verwundung am Finger, oder eine Erkältung ... und das genügt. Die Lebenskraft ist einfach gebrochen, das Blut hat keine Kraft mehr, und der ganze Organismus ist nicht widerstandsfähig. Laß die Toten, sie sollen ruhen, ihnen geht es gut, sie haben ausgekämpft.

„Er hatte eine Braut, die er so liebte."

„Ja, Du, — denk mal, was da war . . . Also er war schon gar nicht mehr bei sich, als sie ihn ins Revier brachten. So blieb das die ganze Zeit. Aber am Abend, bevor er starb, da richtete er sich plötzlich auf und sagte zu einem Kameraden, einem Tschechen, der glücklicherweise neben ihm lag und der ihn kannte: . Bitte, wasch mir das Gesicht und putz mir die Zähne, damit ich nicht so schmutzig bin, mach bitte schnell, damit ich fertig bin, bis sie kommt.'Der Kamerad tat natürlich, was er wollte. Dann mußte er ihn im Bett aufsetzen, ihm das Strohkopfkissen unterschrieben, so daß er aufrecht sitzen konnte. So saß er dann ganz glücklich und flüsterte: , Sie wird gleich kommen, sie ist gleich da, um mich zu besuchen. Meine Braut hat mir geschrieben. Hoffentlich erschrickt sie nicht über mich. Führe sie nur gleich herein, wenn sie kommt.'So saß er, mit gewaschenem Gesicht und geputzten Zähnen. Er war glücklich und wartete auf seine Braut. So starb er."

Der Kamerad, der mir das erzählte, war gerade aus dem Revier entlassen worden, er kam direkt von dort, wo er vierzehn Tage gelegen hatte.

Lind das Leben ging weiter, genau wie draußen, trotz Tod, trotz Not, trotz aller Erschütterungen. Das Leben floß seinen alten Lauf, floß, als wäre nichts geschehen.

Heiliger Abend Wir marschierten schon früh am Nachmittag ein. In unseren Reihen waren viele elende und wankende Gestalten.

Wir freuten uns auf die Tage ohne Arbeit. Es war zu schön, wir konnten es gar nicht glauben, daß wir nun drei volle Tage auf dem Block bleiben durften, ohne etwas zu tun, ohne Max Schnell ... Freilich, die Erklärung für dieses Weihnachtsgeschenk war sehr einfach: Nicht genügend Posten, da ein großer Teil in Weihnachtsurlaub fuhr.

Als wir einmarschierten, sahen wir den großen, brennenden Christbaum auf dem Appellplatz stehen. Viele freuten sich darüber, einen Weihnachtsbaum zu sehen, andere schimpften, weil sie nicht an vergangene Zeiten erinnert sein wollten und die Komödie sie ärgerte, die man da mit uns und dem Baum spielte. Aber alle freuten wir uns auf das Weihnachtsessen.

Obwohl es erst später Nachmittag war, wurde es schon dunkel. Auf dem Block begann ein großes Schuheputzen und Kleiderreinigen. Es kam einem fast vor, als würde wirklich zu einem Feste gerüstet.

Der alte Mann aus Mauthausen saß ganz gedrückt hinter dem Ofen. Ich redete ein wenig mit ihm. Es schien mir, als hätte er am liebsten geweint. „Jetzt werden sie den Christbaum anzünden", sagte er, und sie werden an mich denken und weinen. Lind die Geschenke für mich werden sie unter den Baum gelegt haben und traurig sein, daß sie mir gar nichts schicken dürfen, nicht einmal einen Brief. Es wird ein trauriges Fest bei ihnen sein, viel trauriger als für mich hier. Die armen, lieben Kinder, die gute, liebe Frau.“

Und er sank noch mehr in sich zusammen.

Dann kam das Abendessen. Es gab Kartoffelsalat und rote Wurst. Das schien im Lager Dachau das traditionelle Weihnachtsessen zu sein. Es schmeckte uns sehr gut, es war einmal wieder etwas anderes. Schade nur, daß es nicht mehr war, man hätte gut drei Portionen davon vertragen können. Ach, wenn man sich doch wenigstens am Heiligen Abend einmal hätte sattessen können!

Alle saßen sie herum und kauten, aber die Stimmung wurde dadurch nicht besser, es gab zuviele müßige und traurige Gesichter. Jeder dachte an vergangene Zeiten und an daheim. Mir selber ging es auch so.

Weihnachten ...

Und ich sehe, — sehe so vieles, sehe den brennenden Christbaum, die Kinder meiner Schwester, wie sie spielen und jubeln, meine Schwester und Hilda, wie sie sich ernst ansehen und sich die Hand geben, fühle, wie ihre Gedanken zu mir eilen und den Nebel zu durchdringen versuchen, den grauen, dichten Nebel, der Dachau heißt.

Jemand am Tische sagte:

„Ein Glück, daß wir es wenigstens so schön warm haben. Wenn wir nicht dauernd Holz vom Bauplatz hereingeschleppt und organisiert hätten, wir könnten schön frieren. Darin ist der Schnell Max wenigstens wieder großzügig, da drückt er ein Auge zu. Denn verboten ist es ja auch, aber ganz will er es doch nicht mit allen verderben.“

Er hatte recht. Die Lagerleitung gab so wenig Kohlen aus, daß wir alle hätten frieren müssen. Das war auf jedem Block so. Jeder Block, jede Stube mußte „organisieren".

Als wir einmarschiert waren, hatten sie gerade einen abgeführt, in den Bunker. Er hatte einen Sck mit altem Holz auf dem Block tragen wollen, für Weihnachten, aber man hatte ihn bemerkt. Ein SS-Mann war plötzlich aus einer Blockstraße gekommen und hatte ihn gestellt, ihn gefragt, was er da trage. Nun erhielt der arme Kerl, der für seine Kameraden hatte sorgen sollen, „fünfundzwanzig“ und war Weihnachten im Bunker.

In der Stube munkelte man, es solle noch „gemütlich" werden, es gäbe allerhand Überraschungen. Die Stimmung verlangte danach, sie war trostlos, es war überhaupt keine, nicht einmal eine schlechte. Wenn wenigstens eine Verzweiflung im Raume fühlbar gewesen wäre, aber es waren überhaupt keine Gefühle zu spüren, nur eine große Dumpfheit und Stumpfheit.

Die Stube erschien mir wie eine Gitarre, und die Insassen wie die Saiten dieser Gitarre, die schlaff, ohne Ton, so wie Bindfäden, tonlos auf dem Instrument befestigt waren, schlaff durcheinander hängend.

Da begannen die Tschechen in ihrer Ecke zu singen, — sie sangen in ihrer Muttersprache ein Weihnachtslied. Das klang beruhigend, und daraus ergoß sich etwas wie Frieden in die Gemüter. Wir lauschten alle, und allen tat es wohl.

Noch zwei Lieder sangen sie. Da war es, als würden sich die erschlafften Seelen-Saiten langsam wieder sammeln, sich auf sich selbst besinnen, sich straffen, als käme wieder ein Klang in die Menschen und eine Resonanz in die Stube.

Auch als der Gesang verstummt war, war es noch leichter zu atmen.

Warum sangen die Deutschen nicht auch ein Weihnachtslied oder mehrere?

Kein Deutscher sang.

Warum? Weil es als religiös und „bürgerlich" streng verpönt war, es war unmöglich. Weihnachten, das Fest der Bourgeoisie wurde abgelehnt, Weihnachten als Fest der Religion verlacht. Und die schönen, trauten Weihnachtsweisen erklangen nicht, weil . . . nun ja, weil in ihnen eben von dem Glauben an den Welterlöser die Rede war. Viele unter uns aber sehnten sich nach den vertrauten, lieben Klängen, die voll Erinnerung waren an Kindheit und Heim. Doch kein Gesang ertönte, — unsere Lieben unter dem Weihnachtsbaum, sangen sie wohl für uns? Aber wir hörten es nicht, nur ganz von fern klang es in unserem geistigen Ohr: „Stille Nacht . . . heilige Nacht . . verhaßtes Lied der Bourgeoisie.

Die Stimmung sank wieder in sich zusammen, die alte Trostlosigkeit begann.

Aber Gorbach, der stellvertretende Blockschreiber, hatte sich etwas ausgedacht. Plötzlich kam er zur Türe herein, einen Hut auf dem Kopf, der aus bunten Papier zusammengeklebt war, jemand war neben ihm, der von irgendwoher eine Gitarre geholt hatte.

Gorbach sang ein komisches Lied, die Gitarre begleitete ihn dazu. Dann begann er eine Ansprache, daß heute Weihnachten sei, daß wir alle Kameraden seien, und daß das gleiche Los uns hier gefangen halte, daß wir den Kopf aber trotzdem nicht hängen lassen sollten, sondern lustig sein, und daß er seinen bescheidenen Anteil dazu beitragen wolle.

Dann begann er aus einem Buch einige humoristische Szenen im Wiener Dialekt vorzulesen, dann wieder Gesang, ein Schnaderhüpferl. Und so wechselte es in bunter Folge. Er erzählte Witze und sang zur Gitarre, las irgendein -Stück aus einem Schwank, aus Büchern, die er sich wohl in rührender Fürsorge für diesen Abend, für uns aus der Bibliothek geholt hatte.

Der bunte Papierhut was das Lustigste an ihm, er fesselte die Leute ebensoviel wie sein Vortrag, sie paßten auf, vergaßen sich und ihr Elend. Der bunte Hut thronte wie eine Ironie über dem Ganzen, wie eine schreckliche Farce, wie irgendein boshaftes Etwas, das sich über unser Elend lustig machte. Die Gitarre klimperte, Gorbach sang, man hörte aufmerksam zu und spendete reichen Beifall. Jeder war froh, an etwas anderes denken zu können. Und doch waren viele nicht ganz bei der Sache, vor ihnen stand der brennende Christbaum, die traute Stube und die Gesichter der Lieben in der Ferne.

„Nur keine Sentimentalitäten!" rief Gorbach, nur nicht weich werden! Wir feiern Weihnachten nach Dachauer Art: „Nur immer lustig Blut und Iteit’ren Sinn, denn futsch ist futsch und hin ist hin! Ja, ininter lustig Blut und heit'ren Sinn, denn futsch ist futsch und hin ist hin!“

Es war eine Heiterkeit, die an den Menschen zerrte, keine, die von innen heraus kam und ihnen Flügel gab, daß sie beglückt schwebten.

Manch einer stahl sich vor der Zeit weg, heimlich ins Bett.

Ich selbst blieb bis zuletzt, erlebte den ganzen Abend bis zu Ende, er blieb auf dem gleichen Niveau, flatterte wie ein müder Spatz dahin, wie ein Spatz, von dem man den Gesang einer Lerche erwartet.

Aber der Abend wurde auch überstanden.

Was Gorbach tat, war und blieb eine gute Tat. Nach langer Zeit hörten sie wieder einmal singen statt fluchen, lächelten, statt die Lippen zusammenzukneifen, sahen einen lustigen, bunten Hut statt des Gesichts des Capo Schnell und erlebten im Geiste lustige Episoden statt der Grausamkeit, des Elends und des Tods um uns her. Der Verdurstende schlürfte gierig das schale Wasser, von dem er sich einst abgewandt hätte, in den Zeiten, da Wein seine Lippen netzte. Gesetz der Wüste.

Im Schlafsaal dann war es wie immer, Weihnachten wurde gar nicht erwähnt, höchstens sagte einer:

„Gottseidank, das wäre auch rum, ich habe mich gefürchtet vor dem Tag. Na, jetzt noch Neujahr, dann haben wir’s geschafft. So Feste gehen einem direkt auf die Nerven.“

Neben mir lagen zwei, die unterhielten sich noch mit gedämpfter Stimme:

„. . . ja, natürlich im Garagenbau. Du kannst Dir ja vorstellen, wie s da zugeht! Die Capos und Hilfscapos schlagen mit dicken Prügeln. Ich kann Dir sagen: Täglich dreißig bis fünfzig Meldungen, fast immer wegen „Faulheit“, Du brauchst nur einen Augenblick stehen und verschnaufen, schon hast Du eine Meldung und eine Stunde „Baum Lind die, die neben Dir stehen, die mit Dir arbeiten, die werden auch gleich mit ausgeschrieben, weil sie Dich nicht zur Arbeit anhielten. Der Capo dort hat viel Schuld, weißt Du, der kleine Dicke da, der Kapp. Mensch, das ist eine Schufterei! Da kann man lernen, was Arbeit heißt. Die Leute fallen aber auch um wie die Fliegen.

Du, übrigens, von hier, von der Isolierung, haben wir mal Juden gehabt. Ich kann Dir sagen, mit denen sind sie umgegangen! Die haben’s dort auch nicht besser gehabt als hier in der Strafkompanie, die mußten schuften, bis sie umfielen. Lind dann haben sie Tritte gekriegt, noch und noch.

Du, einmal da ist einer einfach so langhingeschlagen und wollte nicht mehr aufstehen, der Kommandoführer hat ihn mit dem Stiefel getreten, wo’s gerade hinging, da hat er sich in die Knie aufgerichtet, ist aber gleich wieder zusammengesunken. Lind stell Dir vor, was dieses Vieh von einem Menschen verlangt hat!"

Ich hörte, wie er seine Stimme zu noch größerem Flüstern dämpfte:

„Angeschrieen hat er mich, und dann mußte ich ihm aus dem Kesselhaus kochendheißes Wasser bringen, einen Eimer voll und . . . stell Dir nur vor, ich mußte es über den Juden schütten, kochendheißes Wasser! Was konnte ich machen? Wenn ich’s nicht tat, dann war’s Befehlsverweigerung. Nichts zu machen. Was hättest Du getan?“

Der andere flüsterte zurück. An dem scharfen Atem hörte ich. daß Empörung in seinem Worten war:

„Ich hätte es doch nicht getan. Mich kann keiner zwingen, so etwas zu tun, meinen eigenen Kameraden zu verbrühen, lieber lasse ich mich selber umbringen."

„Das sagst Du so. Ich weiß nicht, ob Du nicht doch lieber über einen Halbtoten kochendes Wasser schüttest, als daß Du selber verbrüht wirst. Der spürte ja doch fast nichts mehr.“

„Adr was, verrecken müssen wir ja doch alle, so oder so, früher oder später. Warum soll ich da auch noch der Handlanger meiner eigenen Henkersknechte sein? Nein, lieber sollen sie mich erschießen-.“

„Du, man lebt nur einmal."

„Ja, aber dann sollte man richtig leben und nicht verkehrt.“

„Ja, Du, — hör doch nur weiter zu: Stell Dir vor, . . . dann hat er mich wieder fortgeschickt, der SS-Mann, dann mußte ich ganz eiskaltes Wasser holen und auch über den Juden gießen, aber tot war der noch nicht gleich, der ist erst zwei Stunden später gestorben. Jeden Tag ist dort mindestens ein Jude draufgegangen.

Und stell'Dir vor! Einmal hat der Capo dem Kommandoführer beim Abrücken die gleiche Zahl gemeldet, die wir beim Ausrücken hatten. Sonst fehlten nämlich immer welche, und der Capo meldete dann: . Zwei „Abgänge durch Tod"! ’ oder wieviel es gerade waren. Und an dem Tage war gar nichts, wir hatten alle vollzählig beieinander. Da hättest Du sehen sollen, wie der Kommandoführer getobt hat: , Was? Alle Mann, wie am Morgen? Ist denn keiner von den Hunden verreckt? ’ Und der Capo ganz kleinlaut: , Nein, — Herr Kornmandoführer. ‘ . Wie-viel Juden haben Sie denn? ’ . Zwölf, Herr Kommandoführer. ‘ . Was, — zwölf? Und zwölf sind auch ausgerückt heute morgen? ’ Und der Capo: Jawohl, Herr Kommandoführer. ’ Und dann hat der Kommandoführer gesagt: . Wenn Sie ein Capo wären, dann würden jetzt nur noch zehn Juden einrücken, verstehen Sie mich? Und wenn das nicht anders wird, dann sind Sie die längste Zeit Capo gewesen! ’ Mensch, und geschrien hat er, ich kann Dir sagen!

Nein Du, der Garagenbau, das war so was, das hat’s in sich gehabt. Der Kapp, was der Capo ist, den soll der Teufel holen, mitsamt seinem Kommandoführer. Und heute soll’s immer noch ähnlich da draußen zugehen, nur nicht mehr ganz so schlimm."

Der andere drehte sich auf die Seite:

„Gute Nacht. Ich will jetzt schlafen."

„Gute Nacht, — s’ist auch schon spät. Na, morgen früh, glaub ich, ist das Wecken eine Stunde später, auch für uns."

Ich lag noch wach.

Es dauerte nicht lange, da begannen beide selig zu schnarchen. In Dachau störten die schönsten Moritaten nicht den tiefen Häftlings-schlaf. Von jeder Seite hörte man etwas anderes Gräßliches, hörte es als etwas ganz Natürliches, Alltägliches, mit dem man sich abfinden muß, das eben so ist, wie es ist. Niemand wunderte sich sehr darüber. ausgenommen ein paar Neuzugänge. Dort geschah etwas, hier geschah etwas, überall, ach, es . wurde einem so alltäglich, so selbstverständlich und unwegdenkbar, daß man kaum noch sehr interessiert zuhörte. Hätte man von einer selbstlosen Tat erzählt, ja, das wäre etwas anderes . .

da hätten alle gelacht und es nicht geglaubt, oder es hätte schon hundertfach verbürgt sein müssen. Liber unsere Seele wuchs allmählich eine Nilpferdhaut.

Ich begann langsam, ein wirklicher Häftling zu werden, ich lernte es doch noch, gar keine Gefühle mehr zu haben.

Feiertage Die Weihnachts-Feiertage waren für uns ein Stück Leben aus dem Paradies: Nichts arbeiten, im Warmen sitzen, nur zum Appell hinaus in die Kälte. Es war zu schön, um wahr zu sein. Stündlich fürchteten wir, dieses Paradies könne in ein Nichts zerrinnen. Selbst Beck, der Gefürchtete, ließ sich nicht sehen, er hatte Weihnachtsurlaub.

Es gab kleine Zwischenfälle, Oskar schrie ab und zu mal einem etwas zu:

„Verfluchter Himmelskomiker! Scheinheiliger Lump, gottverfluchter!“

Es handelte sich um einen Bibelforscher.

Oder aber: * „Du Idiot, Du geistlicher! Die Pfaffen waren noch nie zu was nütze! Ich möchte nur wissen, was Ihr könnt? Nicht einmal den Spind kannst Du richtig putzen und wie Deine Nummer angenäht ist! Gleich nähst Du sie noch einmal an! So ein Trottel, zum Scheißen noch ist er zu dumm, — den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen, ja, das können sie, solche Mißgeburten.“

Der Mann, um den es sich handelte, war ein tschechischer Priester. Er war Professor an einem Seminar, beherrschte sieben Sprachen. Er war immer ganz still und ruhig, er sagte fast nie ein Wort, der „Trottel“.

Ja, die Pfarrer hatten es nicht gut, sie besonders nicht, man gab ihnen die schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten. Es schien fast, als ob SS und Häftlinge sich fast ausnahmslos in diesem Punkte einig waren, die Pfarrer möglichst zu ducken und zu schinden, sie „fertigzumachen“. Überhaupt, alles was nach Intelligenz roch, hatte viel auszustehen. Man war allen Besitzenden gram, und es schien mir oft, als ob man keine großen Unterschiede machte, ob es sich nun um materiellen oder geistigen Reichtum handelte, er wurde nicht leicht verziehen.

Die Pfarrer aber hatten es wirklich besonders schwer, sie und die Polen, sie kamen gleich nach den Juden, was Behandlung anbelangte. Wenn jemand wie ein Pfarrer aussah oder als solcher bekannt war, so hatte er viel auszustehen, man gab ihm dann meist, — wie den Polen auch, — die schwersten, schmutzigsten und schlechtesten Arbeiten und ... die meisten Prügel. — Wohlgemerkt . . . nicht nur die SS tat das, sondern vor allen Dingen auch unsere „Kameraden“ verfuhren so. Es schien mir oft, als wolle man ihnen hier alle ihre Sünden heimzahlen und alle jene Sünden dazu, die von gewissenlosen Priestern und Mönchen je begangen wurden.

Natürlich waren auch Mönche unter uns, sie zählten selbstverständlich zu den „Pfaffen". Aber sie wurden alle nicht alt, sie wurden „fer-tiggemacht", ähnlich wie die Juden, sie vor allem schickte man auch auf Transport, in Lager, in denen sie „eingehen" mußten, und hier in Dachau kamen sie natürlich alle in die „Strafkompanie". Ab und zu war ein kräftiger Bauernsohn unter ihnen gewesen, dem man den „Pfaffen" nicht sogleich anmerkte und der auch körperlich tüchtig zulangen konnte, dem war es dann eher möglich, sich länger zu halten, weil die anderen in ihm dann eigentlich nicht mehr den „geistlichen Herrn", sondern einen entgleisten Proletarier sahen.

Und die Pfarrer trugen ihr Los mehr oder weniger gut. Wurden sie früher vielleicht zu respektvoll behandelt, so wurden sie nun zu respektlos von den Kameraden betrachtet, von den meisten fast verächtlich. Lind doch waren da einige Kinder der Kirche, die sich heimlich von ihnen segnen ließen. Es gab auch welche, die ihnen dafür ein Stück Brot brachten, aber es mußte sehr heimlich geschehen.

Eines verstand ich nicht und werde ich nie ganz verstehen: Sie kamen doch hierher, weil sie als Feinde des Regimes erkannt wurden, weil sie sich nicht einverstanden damit erklärten, zum Teil sogar von der Kanzel herunter dagegen predigten. Sie hätten von den Kameraden doch eigentlich als gut Freund ausgenommen werden müssen, aber das Gegenteil war der Fall. Sie wurden verfolgt und verhöhnt. Das war mir unfaßlich.

Es schien mir immer, als ob die Priester jetzt hier dafür gestraft wurden, was man einem großen Teil von ihnen seit Jahrhunderten vorzuwerfen hatte, nämlich, daß die meisten von ihnen „Pfaffen“ waren und keine Priester. Volksverderber, Volksbetrüger, nannte man sie, und es schien mir ein sehr alter Groll zu sein, einer, der hier Tat werden konnte, der sie also wirklich fühlbar, fast tödlich traf. Dieser Groll war in seinem Auswirkungen natürlich stets ungerecht, denn er traf nicht den Schuldigen allein, nein, er traf jeden, der das geistliche Gewand trug oder vielmehr getragen hatte. Wahre Priester aber gibt es wenige, so auch in Dachau, und doch traf ich welche. Menschen, die den Namen Priester verdienten. Sie trugen ihr Los still und ergeben, halfen unbemerkt, wo sie konnten, und nahmen alles als Schicksal, als Fügung und Läuterung hin.

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Diese drei Feiertage vergingen wie Tage in einem Märchen, für unsere bescheidenen Erwartungen natürlich, ein braver Bürger wäre sich un-glücklich und bestraft vorgekommen, hätte er seine Feiertage so verbringen müssen. Uns jedoch kam diese Zeit beglückend lang und schön vor, wie drei schöne Wochen, sie vergingen nur viel zu schnell, wie alles Schöne, als wären es nur drei Stunden gewesen.

Wir hatten alle neuen Mut und neue Kraft, bis. . . bis wir voll Grauen daran denken mußten: Morgen, . . . morgen beginnt das alte Martyrium wieder, für . . . für immer, für unermeßliche, unbemessene Zeiten.

Da wurde alles grau vor unseren Augen, und wir versuchten, nicht zu denken, einfach nicht zu denken. Aber es half nichts. Wie feuchter Nebel kroch dieses Gespenst „morgen“ an uns heran, hüllte uns ein, machte uns erschauern durch seine Nüchternheit, Nacktheit, machte uns erzittern vor seiner grausamen Unerbittlichkeit.

In diesen schönen drei Tagen hatte ich viel an Dvorak gedacht. Er war nicht mehr, feierte kein Weihnachten, war verbrannt worden, war zu schwarzem Rauch geworden, zu harter, kalkiger Asche. Seltsam, das zu denken. Konnte das sein, gab es das überhaupt? Lebte er nicht trotzdem weiter, intensiver und wirklicher vielleicht als lebend? Idi hatt’ einen Kameraden.

Schluß folgt

Fussnoten

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