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Heinrich Heine heute | APuZ 5/1956 | bpb.de

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APuZ 5/1956 Heinrich Heine heute Heinrich Heine als Jude und Christ Ein junger Mann aus unserer Zeit. Michel Mourre und sein Buch: „Gott ist tot?"

Heinrich Heine heute

JÖRG MAGER

Niemand, der Heine begegnet ist, ist gleichgültig geblieben. Er er-weckte Zustimmung, Begeisterung, Liebe oder Ablehnung, Widerspruch und Haß. Dieses Fatum ist seiner Persönlichkeit und seinem Werk heute noch eigen. Als man in Deutschland den Versuch unternahm, seinen flammenden Namen aus der deutschen Dichtung zu löschen, faßte man in Moskau den Beschluß, ihm als einzigem Dichter deutschen Namens neben Leonardo da Vinci, Shakespeare und Beethoven ein Denkmal zu errichten, ein Beispiel für den gewaltigen Spannungsbogen der Irrfahrt seines Lebens. „Traurig sdtau ich in die Höh, Wo viel tausend Sterne nicken — Aber weinen eigenen Stern Kann ich nirgends dort erblicken.

INHALT DIESER BEILAGE

Hat int giildnen Labyrinth Sich vielleicht verirrt ant Hinintel, Wie ich selber wich verirrt, In dcw irdischen Getüwwel. — Viele seiner Verse sind zersungen, seine Einfälle zersprüht. Sie sind mit dem bürgerlichen Zeitalter untergegangen. Aber Heine wußte um diesen Untergang wie keiner seiner Zeitgenossen, wenn man von Grillparzer Stifter und Hebbel absieht. Die bürgerliche Opposition wehrte sich gegen das prophetische „Mane tekel phares“, das dieser Seher an die Wand schrieb. Er hat es in der oft rücksichtslosen Selbstentblößung seiren Gegnern leicht gemacht. Zuweilen war er sein ärgster Feind. Als er sich vom deutschen Volk abgewiesen und zurückgestoßen fühlte, überwältigten ihn die Trotzgefühle, und sein aufrührerischer, revolutionärer Geist brach durch.

Hundert Jahre nach seinem Tod, nach dem Zusammenbruch eines Zeitalters, erscheint er uns weniger launisch-ichsüchtig-besessen, hemmungslos-leichtsinnig. Was Erich Hoch von Grillparzer schreibt, gilt auch für ihn. Man hat ihn zu subjektiv gesehen, „er trägt die allgemeine Not“.

Di’ Ambivalenz seiner Begabung, wie sie Heinrich Mann festgehalten hat, „sachlich, bei aller Phantasie, scharf, doch zärtlich. Zweifler, aber tapfer“, gibt diesem Lyriker einen unter den deutschen Dichtern seltenen Tiefblick für die bewegenden politischen und sozialen Kräfte seiner Zeit.

Konservative Politiker, liberale Staatsmänner und Revolutionäre haben ihn gelesen, bewundert und eine Macht in ihm erkannt. Im bieder-meierlichen Österreich waren seine Schriften verboten. Metternich und Gentz haben sie mit Vergnügen gelesen. Thiers und Bismarck, August Bebel, Karl Marx und Friedrich Engels haben ihn verehrt, zitiert oder Freund genannt. Schopenhauer und Treitschke konnten ihm ihren Anerkennungszoll nicht verweigern. Jacob Burckhardt, Nietzsche und Thomas Mann verdanken ihm viel, wahrscheinlich mehr, als ihnen selbst bewußt war.

Eine starke, politische Leidenschaft glühte in Heine, der Wunsch, ein Volkstribun zu werden und die große gesellschaftliche und revolutionäre Wandlung seiner Zeit mitzugestalten, war zuweilen mächtiger in ihm als sein dichterischer Auftrag.

Doch ihm konnte er nicht entfliehen. Sein Schicksal war es, auf keiner Stätte zu ruhen, heimatlos zu sein. Max Brod weist in seiner Heine-Biographie, die uns Heine überraschend lebendig vorstellt, daraufhin, wie große jüdische Dichter das Schicksal ihres Volkes in seinem Mensch-heitsbezug deuten, so schreibt Franz Kafka in der Erzählung „Josefine und das Volk der Mäuse“: „In den ewig verfolgten, schutzlosen, nirgends ruhig beheimateten Mäusen wird am leichtesten das Volk der Juden in der Diaspora agnosziert, ohne doch den Bezug auf einen noch weiteren Kreis, auf alle Menschen, die ja im göttlichen Sinne, vor Gott, alle heimat-und schutzlos sind, zu verlieren".

Nur einmal fühlte sich Heine geborgen, Zu Hause, deshalb spricht er von seiner Heimatstadt Düsseldorf mit einer ergreifenden Pietät, in ungewöhnlichen Herzenstönen. In dieser kleinen, toleranten Kunst-und Handelsresidenz lebten die Juden ohne Ghetto.

Seine Heimatlosigkeit war ein Schicksal, das ihm aufgezwungen wurde und das er angenommen hat. Als Heine nah Paris ging, suchte er eine Heimat und einen Glauben. Zeitlebens hat Heine der franzö-sishen Kultur und dem französischen Volk eine tiefe Dankbarkeit be-wahrt. Sie blieben allein von seiner unermüdlich angreifenden Ironie verschont. Elastisch, erlebnishungrig genoß, durchfühlte und durchdachte er alles, was auf ihn zuströmte. Berühmt wurde er durch den Stil seiner „Reisebilder“. Der Reisende zieht durch die Welt, seine Freiheit gibt ihm das Gefühl der Überlegenheit über die Seßhaften, die an Heimat und Alltagspflicht gebunden sind. Die Ideen, von denen Heine so gerne spricht, haben nicht mehr, wie bei Plato, Goethe, Schelling und Hegel, die Beziehung auf das Ewige, sie sind jetzt Bilder, wechselnd gefärbt nach der Stimmung des Augenblicks. Sie enthalten eine neue Weltanschauung — und diese Weltanschauung wechselt auch — unruhig, kaleidoskopartig. Dieses nae, nervöse Welterlebnis bedeutet das Ende der platonisch-christlichen Welterfahrung. Heine hat für dieses Gefühl des Ungenügens am Idealismus, der bei ihm als Rauschgift, als Unsinn und Lüge erscheint, eine eigene Kunst geschaffen. Es ist seine Ironie, die aus der Erfahrung der Weltzerrissenheit lebt.

Sie ist eine Anklage gegen alle bisherige göttliche und menschliche Ordnung. Heine, der Ruhelose, erlebt nach den Euphorien der Aufregung, die Depressionen des Elends, des Katzenjammers. Der Glaube an die ewigen Normen des antik-christlichen Menschenbildes ist bei ihm erschüttert. Lange bevor die bildende Kunst es wagt, die Entstellung und Entfremdung des modernen, gehetzten, geängstigten, müden Menschen darzustellen, findet Heine großartige, unvergeßliche Symbole für die trostlose Verlassenheit, die Rätselhaftigkeit der modernen Existenz.

Der davonrasende Roboter-Maschinen-Mensch, den ein englischer Maschinenbauer konstruiert hat, und der mit dem sehnsüchtigen Ruf durch die Welt rast „Give me a Soul“, ist eines der unvergeßlichen Zeit-symbole Heines.

Ein tiefweiblicher Zug wird an ihm offenbar. Er sehnt sich nach einer Ordnung und Verpflichtung, einem Glauben, der die Verwirrung der Welt, die Entwürdigung des Menschen, die Leiden der Armen, aufheben kann. Die großen, historischen Mächte, das Judentum, das Christentum, die Gewaltigen der Geschichte, die neue Tore aufbrechen, zogen ihn in seinen Bann — Luther, Robespierre, Napoleon. Als er in Paris mit Karl Marx verkehrt, ist der Individualist Heine mächtig von dem rheinländischen Landsmann angezogen. Er spürt, wie zukunftsträchtig dieser Mann ist. Sein Lied „Die schlesischen Weber", „Deutschland — ein Wintermärchen" sind ohne den revolutionären Radikalismus des jungen Marx nicht denkbar. Es ist kein Zufall, daß Heine im „Kapital“ zitiert wird. Aber auch hier dämmern ihm furchtbare Konsequenzen. Schon vor seiner Freundschaft mit Marx sieht er, daß das Zeitalter der Maschinen und Massen heraufzieht. Er ahnt, daß auch im politischen Geschehen gewaltige Organisationen entscheiden werden. 1840 schreibt er:

„Amerika oder Rußland?" — Die Worte Napoleons auf Sankt Helena, daß in baldiger Zukunft die Welt eine amerikanisdie Republik oder eine russische Universahnonarchie sein werde, sind eine sehr entmutigende Prophezeiung. Welche Aussicht! Günstigenfalls als Republikaner vor monotoner Langeweile sterben! Arme Enkel!“

In der düsteren Welt eines zwangsorganisierten Massen-Maschinen-Staates sieht er mit dem gleichen Bangen wie die Dichter Hebbel und Krasinski: „Die Welt wird häßlicher, barbarischer — und ungerechter unter dem eisernen Gesetz der Gleichheit". „Strenge Gleichheit! Jeder Esel sei befugt zum höchsten Staatsamt, und der Löwe soll dagegen mit dem Sack zur Mühle fahren". „Demokratisdte Wut gegen das Besingen der Liebe — Warum die Rose besingen, Aristokrat! Besing die demokratische Kartoffel, die das Volk nährt“! „Es wird vielleicht alsdann nur Einen Hirten und Eine Herde geben, ein freier Hirt mit einem eisernen Hirtenstabe und eine gleichgesdtorene, gleidtblökende Menschenherde! Wilde, düstere Zeiten dröhnen heran, und der Prophet, der eine neue Apokalypse schreiben wollte, müßte ganz neue Bestien erfinden, und zwar so erschreddiche, daß die älteren Johanneisdren Tiersymbole dagegen nur sanfte Täubdten und Amoretten wären. Die Götter verhüllen ihr Antlitz aus Mitleid mit den Menschenkindern, ihren langjährigen Pfleglingen, und vielleicht zugleich aus Besorgnis über das eigene Schicksal. Die Zukunft ried^t nadi Juchten, nadt Blut, nach Gottlosigkeit und nadi sehr vielen Prügeln. Ich rate unseren Enkeln, mit einer sehr didten Rüdienhaut zur Welt zu kommen.“

Man hat oft versucht, Heine unter die freien Geister im Sinne Nietzsches einzureihen. Die Leichtigkeit und Freiheit, die Nietzsche unter den Geistern der romanischen Literatur fand, ist Heine nicht eigen. Seine Ironie ist oft bitter, sein Lachen schmerzlich verzerrt. Gerade seine unnachahmlich melancholisch dunklen Töne, die von heiteren Einfällen nur unterbrochen werden, hat den totkranken Shubert, den jungen Schumann zu Heine gezogen.

Durch die deutschen Musiker ist ihm sein Herzenswunsch, ein deut-scher Dichter zu werden, wunderbar in Erfüllung gegangen.

In seinen Angriffen auf dieses Deutschland spricht, wie bei Nietzsche zuweilen verschmähte Liebe, oft bangende Hellsicht. Er spürt, daß sich in seinem Zeitalter gewaltige Spannungen und Entwicklungen vollziehen. Er ahnt die unheimliche Mäht eines geeinigten, aber politisch unreifen Deutschlands. Unermüdlich predigt er die Verständigung der Deutshen und Franzosen und sieht die Notwendigkeit einer europäishen Zusammenarbeit zwishen den Kontinentalmähten im Osten und Westen.

Wenn er die romantishe Kunst, die Träume der Altdeutshen, die Deutsch-Jüdische Kulturgemeinshaft, den St. -Simonismus, den Liberalismus, den Kommunismus, den deistishen Gottesglauben erfahren und erlebt und verkündet hat, so konnte ihn, der gegen jeden Zwang auf-begehrte, keine dieser Mähte in ihren Diensten halten. Hat er nicht auf diese Weise zugleih ihre Grenzen und ihre Einheit erwiesen? Kann diese seine Erfahrung, uns niht zur Toleranz, um die wir uns so oft vergeblih bemühen, geleiten? Fehlen uns niht, wenn wir wirklih ein freiheitlihes, europäishes Zusammenleben erringen wollen, solhe übernationalen, überparteiishen, überkonfessionellen Geister?

Deutshland darf sih, 100 Jahre nah seinem Tod, ohne Vorbehalte und Hintergedanken seiner in Dankbarkeit erinnern.

Fussnoten

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