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Die Wandlung zur Initiative | APuZ 4/1956 | bpb.de

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APuZ 4/1956 Die Wandlung zur Initiative Moskau -Bonn -Pankow Tendenzen der sowjetischen Außenpolitik

Die Wandlung zur Initiative

JOSEPH H. SPIGELMAN

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir im Folgenden den Artikel von Joseph H Spigelman, erschienen in der amerikanischen Zeitschrift HARPER’S MAGAZINE, September 1955.

Der Westen war — unbeschadet seiner grö-/leren Macht und Rohstof/quellen -lange Zeit in der De/ensive gegenüber den Kommunisten . . . aber eine Rüd^kehr zur Offensive mag bald möglich sein ....

Stalin erzählte in seinem Bericht auf dem Kongreß der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Jahre 1934 von einer Unterhaltung mit einem Kollektivbauern:

Ich: Wie steht es mit der Aussaat?

Er: Mit der Aussaat, Genosse Stalin? Wir haben uns alle mobil gemacht.

Ich: Ja, und dann?

Er: Wir haben die Trage rücksichtslos formuliert. Ich: Und was geschah dann?

Er: Es gibt eine Wendung, Genosse Stalin; bald wird eine Wendung kommen.

Ich: Und nun?

Er: Wir können einen Fortschritt beobachten.

Ich: Alles schön und gut — aber wie steht es mit der Aussaat?

Er: Mit der Aussaat ist noch nichts los, Genosse Stalin. . . .

So steht es auch mit unseren Bemühungen, den Kommunisten die Initiative zu nehmen. Wir haben uns dazu aufgemacht; wir haben die Frage formuliert; wir reden uns ein, einigen Fortschritt verzeichnen zu dürfen.

Aber Rußland hat noch immer die Initiative. Es konnte Zeit, Ort und den Anlaß der Aggression bestimmen; und wurde das Abenteuer zu riskant, wie das in Griechenland, im Iran und in Korea der Fall war, dann konnte es sich sehr wohl zurückziehen um unter vielleicht günstigeren Umständen andere Raubzüge vorzubereiten. Wir haben einfach reagiert: und sogar wenn wir gewonnen hatten — unsere Siege waren lediglich Defensivsiege. Und auf der Ebene der friedlichen Auseinandersetzungen, die gegenwärtig — da Rußland ganz augenscheinlich einen Aufschub jeglicher militärischer Aktionen erstrebt — an Bedeutung gewinnt, bestimmt Rußland noch immer die Richtung. Es hat sein neu zugelegtes und zur Schau getragenes Wohl-wollen, das der abgehaltenen „Konferenz auf höchster Ebene“ das Gepräge gab. Die Vorschläge und Aufrufe der Russen zogen die Völker der Welt am meisten an, — so wenig sie auch die Regierungen zu beeindrucken vermochten. So war das bei der Einstellung der Feindseligkeiten in Korea und Indochina, bei der Abrüstung und bei der Ächtung der nuclearen Waffen, bei der Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands, bei der Vernichtung des Kolonialismus, bei der Gleichberechtigung der Rassen und bei der friedlichen Ko-Existenz.

Natürlich ist es so, daß die meisten Vorschläge unehrlich gemeint sind. Aber der Durchschnittsmensch ist nicht imstande, das zu erkennen. Noch kann er sich an unseren Gegenvorschlägen sonderlich begeistern, da sie zumeist kompliziert, penibel und buchstabengetreu waren. Und so verbreitet der Kommunismus seinen Einfluß, mit den Mitteln des Friedens nunmehr vielleicht noch wirkungsvoller als zuvor durch den Krieg.

Für die kommunistische Iniative gibt es zwei Gründe von sekundärer Bedeutung. Erstens: ihre relative Aktionsfreiheit.

Die amerikanische Regierung ist sowohl verantwortungsbewußt als auch verantwortlich. Ihre Politik wird hauptsächlich von besonderen Interessen und von einer ausgeprägten öffentlichen Meinung bestimmt. Die Sowjetregierung ist nicht so umständlich. Mit Erfolg hat sie den mächtigsten Kapitalinteressen und sogar der allgemeinen Unzufriedenheit Trotz geboten und sie unterdrückt, wenn es gegen das ging, was sie ihre nationalen Interessen nennt. Es liegt im Wesen der Sowjetregierung die Initiative zu ergreifen; und die Natur der unsrigen bedingt es, darauf lediglich zu reagieren.

Zweitens: Die Kommunisten haben Handlungsfreiheit. Die amerikanische Regierung ist an alle Arten von nationalen und außenpolitischen Interessen gebunden. Dazu gehören viele, die belastend und beengend sind, wie jene, die durch das New Deal, das Bauernprogramm und durch die Schutzzölle entstanden sind; und viele, um es gelinde auszudrücken, die peinlich sind, wie die für Tschiang-Kai-Schek und die früheren französischen Interessen in Indochina. Dennoch haben sich manche dieser Verbindlichkeiten nicht nur durch den Wandel der Zeiten be-währt, sondern sie haben auch den Regierungswechsel überdauert. So wird zum Beispiel das Farmer-Hilfsprogramm in den Grundlagen von allen anerkannt.

Die gemeinsame Außenpolitik der beiden Parteien stellt nur Details unserer außenpolitischen Verpflichtungen zur Diskussion. Da es keine Streitfrage gab, war man zunehmend geneigt, gewisse politische Unternehmungen wie die EVG, die Verteidigung Indochinas und die Verteidigung Formosas zu unterstützen und so lange grundsätzlichen Entscheidungen aus dem Wege zu gehen, bis wir demütigende und fast unkorrigierbare Niederlagen hinnehmen müssen.

Die russische Regierung macht derlei Schwierigkeiten nicht durch. Sie begeht Irrtümer, aber die fechten sie nicht an. Sie ist nicht einmal solchen Einrichtungen und Interessengruppen verpflichtet, die sie selbst ins Leben rief, und sie kann einer Politik Hohn sprechen, die sie eben noch höchst feierlich verkündet hatte. Daher kann sie auch frank und frei vernichten und verwerfen, was nicht länger ihren Zwecken dient. Sie kann Sündenböcke herausstellen, die man für politische Fehler verantwortlich macht, und sie bringt es fertig, massenweise Opfer zu finden, an denen die Konsequenzen solcher Irrtümer demonstriert werden können.

Solches geschah in den frühen zwanziger Jahren, als Lenin den Kulaken und Nepmännern (NEP = Neue Ökonomische Politik, d. Übers.) sagte „Bereichert Euch!" Als sie das taten und deswegen den Neid und die Mißgunst der im Elend lebenden Massen erregten, wurden sie zu Millionen verladen, um in sibirischen Arbeitslagern dahinzusiechen. Stalin befahl die Monster-prozesse der späten dreißiger Jahre und organisierte zu diesem Zwecke eine Armee von Richtern. Als dann die Prozesse Rußland zu ruinieren drohten, wandte er sich gegen die Richter und richtete sie dafür, daß sie ihre Arbeit getan hatten. Im Jahrzehnt von 1918— 1927 zettelte das Politbüro Aufstände in Deutschland, Ungarn, Bulgarien, China und anderswo an, um sich dann skrupellos von jenen loszusagen, die ihnen zu Willen waren, aber mit der Aufgabe Schiffbruch erlitten. Nach dem Berliner Aufstand vom 17. Juni 1953 verurteilte Malenkow beide: jene, die er für die Verhältnisse, die zum Aufstand führten, verantwortlich machte, und jene, die nicht imstande waren, mit den Rebellen fertig zu werden. Und in der jüngsten Vergangenheit wurde Malenkow selbst zum Sündenbock für Fehlschläge, insbesondere in der Landwirtschaft gemacht — für die vornehmlich Chruschtschow verantwortlich war.

Rußland hat also wiederholt Fehler gemacht, die sich als verheerend, vielleicht als tödlich erwiesen hätten. Dennoch geschah es jedesmal, daß es, wie jenes monströse Krustentier, den Teil seines eigenen politischen Körpers zu amputieren vermochte, der sich in Irrtümern und deren Folgen verfangen hatte. Und so konnte es sich von allem freimachen, frei für eine neue, kühne und kräftige Politik, die unbelastet war von den Verpflichtungen und Verantwortungen der gestrigen.

Auf der Seite der Vergangenheit

INHALT DIESER Joseph H. Spigelman: Ernest J. Salter: BEILAGE: „Die Wandlung zur Initiative" „Moskau — Bonn — Pankow" S. 58

Das also waren die sekundären Gründe. Der Hauptgrund, warum wir in der Defensive sind, liegt darin, daß wir uns gezwungen fühlen, den Rückzug einer geschlagenen Sozialordnung zu decken. Dies ist im wesentlichen nicht unsere eigene Gesellschaftsordnung, aber eine, die zerstört zu sehen wir uns nicht erlauben können, ohne ein Chaos zu gewärtigen, das die Gefahr unseres eigenen Untergangs mit sich brächte.

Die Ordnung, die die Kommunisten angreifen, und die wir da notgedrungen verteidigen, ist die Ordnung von Privilegien, also das geschützte Recht einer Nation, Rasse, Klasse, Institution oder individuell gesehen: das Recht auf größeres Einkommen, größere Macht, oder eine höhere gesellschaftliche Stellung, ein Anspruch, der als zu hoch von denen angesehen wird, die den Preis zu zahlen haben, gemessen an dem Beitrag, der für das allgemeine Wohlergehen von jenen geleistet wird.

Die Kommunisten haben die Initiative, weil sie eine Ordnung angreifen, die bereits besiegt ist. Sie stehen im Kampf gegen Interessengruppen und Einrichtungen, die den meisten Völkern der Erde verhaßt sind: das Kolonialsystem Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande und die nagende Erinnerung an diesen Kolonialismus: den Rassenhochmut der weißen Herren in Asien, Afrika und Südamerika; die Eigentumsrechte der feudalen Grundherren und Dorf-wucherer; das Vorgehen der unterdrückenden und ausbeutenden Industriellen Europas; die verletzende Art des Militarismus und Klerikalismus in Spanien und Südamerika; die korrupten und unfähigen Regierungen der Bao-Dai und Tschiang-Kai-Schek, der arabischen Scheidts und der Karibeanischen Bananenrepubliken; all die Ruinen eines verfallenden Systems, das nur zu bleiben vermag, weil wir es stützen.

Weil die kommunistische Bewegung die unerbittlichste und wirsamste Opposition zur bestehenden Ordnung ist und besonders zu allem, was man je als deren größte Mißstände anzusehen geneigt sein kann, dient sie als Sammelbecken der Unzufriedenen jedweder Art. Dem elenden Pächter kalabrischer Latifundien, dem vietnamesischen Intellektuellen, der erzürnt darüber ist, daß er von seinen früheren Imperial-herren beim geringsten Anlaß noch immer als minderwärtig betrachtet wird; den Führern der Farbigen, für die der Westen die weiße Vorherrschaft bedeutet; und all den Millionen die ihre Ressentiments gegen die bestehende Ordnung hegen, scheint der Kommunismus die Befreiung zu bedeuten.

Das heißt nicht, daß all die Millionen kommunistisch wählen. In Wahrheit tut das nur ein ganz geringer Teil. Aber die Gefahr ist vorhanden, daß es mehr werden könnten. Und diese ständige Bedrohung, heute schwindend, morgen auf dem Vormarsch, trägt zur kommunistischen Initiative bei. Denn die Drohung ist einseitig, weil in einer Demokratie immer die Möglichkeit besteht, daß — wenn schon nicht die Kommunisten — so doch ihre Vorläufer gewählt und zur Macht gelangen können. Einmal an der Macht, sind s. ie nicht mehr durch freie Wahlen aus ihrer Position herauszubringen. Und wir haben bislang kein Mittel zu finden vermocht — außer dem eines unausdenkbaren Weltkrieges — das ihre Herrschaft gefährden könnte.

Daß es den meisten Menschen unter kommunistischer Herrschaft schlechter geht als zuvor, hilft uns weniger als wir vermeinen. Viele Pro-Kommunisten wissen das auch schon. Aber Revolutionen sind eben nicht die Produkte der Vernunft, sondern die von irrationalen, ja abwegigen Gefühlen. Sie werden nicht für die Verbesserung materieller Verhältnisse gefochten, sondern für die Tilgung uralter Ungerechtigkeiten. Mögen auch die Kosten der Tilgung höher sein als die Tolerierung der Ungerechtigkeiten, der zumindest im Anfang errungene emotionelle Gewinn wiegt den materiellen Preis wohl auf, sogar den Jammer und Schrecken des Kommunismus.

Uns hilft nicht, daß wir jene Gesellschaftsordnung der Privilegierten nur widerwillig unterstützen, daß wir es entgegen unseren Grundsätzen und unserer ursprünglichen Wesensart tun, lediglich von der augenscheinlichen Notwendigkeit und der ehrenhaften Verpflichtung diktiert. Nichts ist’verhaßter und verletzender, als die Verteidigung eines Vorrechtes, das seiner selbst nicht sicher ist. Die Reformen, die wir durchführten, sehen aus, als hätte man sie uns unter revolutionärem Druck abgerungen — wofür die Kommunisten für gewöhnlich den Dank in Anspruch nehmen, wie sie es zum Beispiel in jenen Landstrichen Italiens taten, wo man den Feudalherren Land wegnahm und es den Bauern gab.

Gerade, weil wir uns bis zu einem gewissen Grad erfolgreich bemühten, Unrecht zu beseitigen und die Lebensweise zu verbessern, wächst die Unzufriedenheit. Wir nährten eine „Revolution steigernder Erwartungen" und sie kehrt sich gegen uns. Menschen, die nach Millenien der Hoffnungslosigkeit entdeckt haben, daß man die Dinge letztlich doch ändern kann, werden sich nicht mehr mit kleinen Veränderungen und unbedeutenden Verbesserungen zufrieden geben. Sie werden mehr Verbesserungen wünschen und noch mehr wollen, mehr wahrscheinlich, als wir ihnen zu geben imstande sind.

Eben weil der westliche Imperialismus im Absterben begriffen ist, werden die Massen, die erkannt haben, daß die alte Ordnung nicht unsterblich ist, wie sie das bislang angenommen hatten, dazu inklinieren sie zu beseitigen: und sie werden diejenigen als ihre Feinde betrachten, die — aus Gründen des Anstands und der Ordnung — alles zu verzögern und zu mildern versuchen. Solange wir es für nötig halten, die Über-reste der Privilegien zu verteidigen, wird uns die Initiative genommen sein. Wir können zum Beispiel nicht dadurch Rußland die Initiative entreißen, daß wir eine stärkere militärische Macht darstellen wollen als sie, wie wir das versucht haben. Hat Rußland einmal genug Atombomben, genug Flugzeuge und ferngelenkte Raketen, um dieses Land zu „saturieren* — und dieses Stadium wird schnell erreicht sein, wenn es nicht gar schon so weit ist -dann wird das Ausmaß der amerikanischen Überleg nheit, wie groß es auch sei.seine Bedeutung verlieren.

Da Rußland dem entgegen geht, was Thomas K. Finletter die „absolute atomische Luftmacht“ nennt, ist an einen Beginn von bewaffneten Feindseligkeiten nicht zu denken. Wir wissen das; unsere Verbündeten wissen es; Rußland weiß es. Unsere militärische Stärke ist daher nur von defensivem Wert und unser Verlaß auf sie kann’die kommunistische Initiative nur bestärken. Solange wir für die Privilegierten Partei ergreifen, wird unsere Propaganda im großen und ganzen belanglos bleiben; und genau so irrelevant bleibt die „Wahrheit" über Amerika und die „Wahrheit“ über Rußland. Denn die amerikanische Lebensweise erscheint Außenstehenden einfach unglaubhaft, wir scheinen ihnen ein Märchen aufzutischen, das angetan ist, die Hoffnung der Menschen zu narren.

Weil die kommunistische Tyrannei außerhalb der Erfahrung und so sehr außerhalb des Begriffsvermögens der meisten Menschen liegt, sieht es aus, als gingen wir gegen eine Garnitur fernliegender Abstraktionen an, anstatt gegen die tatsächlichen Übel ihrer Lebensumstände.

Was die Mehrzahl der leidenden Menschheit hören will, ist nicht die Wahrheit, sondern glaubhafte Verheißungen.

Weil wir mit der bestehenden Ordnung identifizierbar sind, vermögen wir nur wenige überzeugende Versprechen zu geben. Die Kommunisten, als Angreifer dieser Ordnung, können dagegen überaus wirkungsvoll die Vernichtung dieser Ordnung propagieren, was sie auch tun. Das hat, mit den Worten John Foster Dulles „eine ungeheure Anziehungskraft auf alle Menschen, die sich unter der bestehenden Ordnung betrogen und unterdrückt fühlen". Wir versprechen wohl die Freiheit; aber die meisten Menschen wünschen viel weniger eine Freiheit im allgemeinen, wie die ganz besondere Freiheit, die sie ihre eigene schlimme Erfahrung zu schätzen gelehrt hat — die Freiheit von habgierigen Grundherren, Geldverleihern und Steuereinziehern, von Unternehmern, die billige Arbeitskräfte kaufen und die Arbeitsprodukte teuer verkaufen; von bestechlichen, unfähigen und anmaßenden Beamten; von all den besonderen und konkreten Verhältnissen, unter denen sie ausgebeutet, unterdrückt und erniedrigt werden. Und weil wir nicht imstande sind, eine solche Freiheit wirklichkeitsnah zu versprechen, hat unsere Propaganda nur eine beschränkte Wirksamkeit. Weil wir noch immer den verbliebenen Resten der Klassenordnung verhaftet sind, fehlt unserer Opposition gegen den Kommunismus sogar die Überzeugungskraft gegenüber den Opfern des kommunistischen Regimes. Welchen Enthusiasmus könnten wir von den Chinesen erwarten, hätten wir eine sinnvolle Alternative zum Kommunismus anzubieten! Aber die Wiedereinsetzung Tschiang-Kai-Scheks ist wohl ohne Sinn.

Und man fragt sich, wie wir bei den Russen Resonanz finden können, solange wir Emigrantengruppen unterstützen, die noch immer zaristische Fossile und Nazikollaborateure beherbergen? An den drei Stellen, wo wir den Kommunismus zurückwarfen — in Griechenland, Korea und Guatemala — waren die Ergebnisse, um es milde zu sagen — gewißlich nicht aufregend.

Mit Almosen ist nichts zu erreichen

Solange wir mit den Privilegien verwoben sind, werden uns sogar unsere wirtschaftlichen und technischen Hilfsprogramme, auf die sich viele verlassen, nicht zur Initiative verhelfen. Einmal, weil ein großer Teil der Hilfe, die wir durch den Marshall-Plan, Punkt-4-Programm und andere Projekte gegeben haben, über die einzelnen Regierungen gingen, die sie dann an privilegierte Gruppen Weitergaben. Die Massen haben davon, wenn überhaupt, nur indirekte Vorteile gehabt. In Frankreich und Italien haben Firmen, deren Betriebe mit den Mitteln des Marshall-Planes wiederaufgebaut und modernisiert wurden, Riesenprofite gemacht; es ist bekannt, daß viele unter ihnen den Arbeitern überaus niedrige Löhne zahlen. Ist es dann ein Wunder, wenn unsere Großzügigkeit die kommunistischen Einflußsphären dieser Länder nur sehr wenig geschwächt hat?

In den unterentwickelten Gebieten war unsere Unterstützung auch kein ungetrübter Segen .. .'Unsere technischen Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft machte in manchen Gegenden den Anbau ergiebiger und die so begünstigten Bauern wohlhabender; aber es hat auch eine große Zahl von unbeschäftigten Landarbeitern mit sich gebracht, die auf den so modern geführten Höfen nicht mehr benötigt werden. Laut »Economist" (London), der einen Spezialbericht über Indien brachte, beträgt die Zahl der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten auf dem Lande, im Indien von heute, achtzig Millionen. Diesen Menschen dürfte es schwerfallen, die amerikanische Großzügigkeit zu schätzen.

So geht es auch mit unserer Hilfe für die Industrie. Sie hat den Ertrag gesteigert; aber sie hat auch ein städtisches Proletariat geschaffen, das in größerem Elend lebt als die Bauern und Stammesbrüder, denen es entstammt. Zusammengepfercht in den Hüttenstädten, die einen Gürtel um die großen Städte Asiens und Afrikas bilden, entwurzelt ihrer Tradition oder Heimat-erde, können diese Menschen von jeder Agitation bewegt werden, wie Schilfrohr im Wind. Ärztliche und sanitäre Maßnahmen haben die Sterblichkeitsziffern in vielen Gebieten gesenkt; da aber die Geburtenzahl hoch bleibt, bedeutet das nur eine wachsende Bevölkerung. In Südamerika, wo wir mit medizinischen Hilfeleistungen besonders großzügig waren, ist ein geradezu explosives Hochschnellen zu verzeichnen. Wo sich eine Bevölkerung rascher vermehrt, als Nahrungsmittel erzeugt werden können, werden wir den Nettoeffekt unserer Generosität mit vermehrtem Volkselend zu buchen haben.

Tolstoi sagte einmal: „Wenn die Gesellschaftsordnung schlecht ist (wie die unsere) und eine kleine Zahl von Menschen Macht über die Mehrheit hat und diese unterdrückt, wird jeder Sieg über die Natur unvermeidlich dazu dienen, diese Macht und die Unterdrückung zu vermehren. Und so geschieht das in Wahrheit auch. . .“

Wir wünschen bestimmt nicht, daß dem so wird. Aber solange wir — wie widerwillig das auch geschehen mag — uns mit Traditionen und der Klassenordnung verbinden, hat die Bevölkerung der zurückgebliebenen Gebiete keine Sicherheit, daß unser wirtschaftlicher und technischer Beistand nicht eben dahin führt. Gerade unsere Großzügigkeit lenkt den Verdacht herbei, daß sie den Deckmantel für imperialistische Ziele abgibt; daß wir die Waffen liefern Hie dann letztlich gegen die Unterdrückten gerichtet werden. Indien ist heute wild vor Angst — und das gleiche finden wir in anderen „zurückgebliebenen“ Gebieten.

Selbst dort, wo es eine wirkliche Verbesserung des Lebensstandards gibt, sind die Kommunisten noch immer dabei, politisches Kapital herauszuschlagen —, wie das Eugene Staley in „The Future of the Underdeveloped Areas“ äusführt, — bereitet sehr aktiv und sehr wahrscheinlich den Nährboden für eine kommunistische Agitation, manchmal, nachdem ein wirtschaftlicher Fortschritt begonnen hat.

Wir waren von der Vorstellung des Magen-Kommunismus irregeleitet; von der falschen Idee, alles was die Menschen wollten, sei, sich die Bäuche zu füllen; dann würden sie sich keinen Deut um die Kommunisten scheren. In dieser Hinsicht sprechen wir weit materialistischer als jene. Wir versuchen — im großen und ganzen — vergeblich die Mägen der Hungrigen zu füllen. Die Kommunisten appellieren dagegen an die getretene Menschenwürde, und sie versprechen jene zu vernichten, die sie unterjocht und gedemütigt hatten. Die farbigen Völker, und das sind nahezu vier Fünftel der Menschheit, möchten vor allem das Minderwertigkeitsgefühl ausrotten, das man ihnen auf-oktroyiert hat. Ein Angebot von Brot kann sie nicht beschwichtigen.

Erfolgreich haben wir die LInterstützung der Regierungen erkauft. Allein diese Hilfe kann nicht beibehalten werden. Unsere Bereitwilligkeit und Fähigkeit, zu geben, haben sich verringert, denn mit dem Geben haben wir die Potenzialität des Gebens verloren. Vergünstigungen, die man zu lange gewährt, werden allmählich als ein Recht angesehen, und jede Verkürzung wirkt als Beleidigung. Die Fähigkeit, Geschenke zu machen, ist es, die Freunde gewinnt — nicht aber Gaben, die schon verteilt und verbraucht sind.

Sehen wir uns einmal Deutschland und Japan an, deren Freundschaft wir uns so heftig zu sichern trachteten. Nun, da wir ihren Wiederaufbau finanziert, ihre Souveränität wieder hergestellt, ihre Wiederaufrüstung gestattet und ihre Gleichstellung mit anderen Nationen betrieben haben, bleibt kaum noch etwas übrig, was wir für sie tun könnten. Deswegen mag es Japan vorteilhaft finden, mit den Herren des asiatischen Kernlandes zu Rande zu kommen, wo es seinen natürlichen Markt und seine natürlichen Rohstoffquellen hat. So steht es auch mit Deutschland. S. M. Handler sagt es in der „New York Times": „Die Westdeutschen die die lange Liste der Gaben aus dem Westen ausgeschöpft haben, wissen sehr wohl, daß im Osten eine Macht existiert, die noch nicht angefangen hat, zu geben — eine Macht, die viel zu geben hat." Was Rußland anbietet Was die Kommunisten anzubieten haben, ist etwas, was insbesondere die zurückgebliebenen Gebiete, die heutzutage die entscheidende Front sind — mehr brauchen als wirtschaftliche und technische Hilfe: Erstens: den Willen und die Macht, Indolenz, Analphabetismus, Vetternwirtschaft, Korruption, hemmende Sitten und vor allem den Widerstand der privilegierten Schicht zu überwinden; einer Schicht, der es bevorsteht, ihre Vorrechte in einer dynamischen Gesellschaft einzubüßen. Zweitens: den Willen und die Fähigkeit, die Gesellschaft für konstruktive Aufgaben zu mobilisieren, und sie so zu organisieren, daß sie die vom Industrialismus zerrissene und angefaulte ersetzen kann. Barbara Ward stellt es so dar: „Die Kommunisten entwurzeln nicht nur die Dörfer, bauen Städte, rekrutieren industrielle Arbeitskraft und investieren aufs neue rücksichtslos die „Ersparnisse" die aus der Unterkonsumierung der Massen gezogen wurden, sondern sie stellen auch wieder auf ihre ungehobelte Art die Sicherheit des dörflichen Lebens her. .. Dieser schrecklichen Anziehungskraft, die der Kommunismus auf die unterentwickelten Völker, aber auch auf die verhältnismäßig verwirrten und entwurzelten Schichten in den Dschungeln westlicher Großstädte ausübt, wird nur schwerlich widerstanden werden, es sei denn, von der westlichen Seite wird etwas unternommen, was an Klarheit und Verständnis gleichwertig ist. .

Die Ergebnisse der kommunistischen Mobilisierung waren Verschwendung, Untüchtigkeit, ungeheuerliche Grausamkeit und abgründiges Leid; die Versklavung von Abermillionen; die unheilvollsten Mißerfolge in der Produktion, besonders in der Landwirtschaft; Überspitzungen und Spannungen entstanden, die zuzeiten die gesamte Wirtschaft zu zertrümmern drohten. Aber das bedeutet zugleich auch die phänomenal rasche Entwicklung eines so zurückgebliebenen Landes wie Rußland, in dem sich — um eine Autorität zu zitieren — „seit der Einführung des ersten Fünfjahresplanes (1928) bis zum Ende des vierten Fünfjahresplanes (1950) die Produktion sechsmal erweitert hat — unbeschadet der furchtbaren Zerstörung der Sowjet-industrie durch den zweiten Weltkrieg.“ Das ist ein Ausmaß an industriellem Wachstum, das (um eine andere Autorität zu Worte kommen zu lassen) „wesentlich das Höchstmaß an industriellem Wachstum aller Nationen in den letzten hundert Jahren übertrifft“. Auf Grund der außerordentlich konservativen Schätzungen, die die Kongreßbibliothek im Auftrage des Joint Comittee (Gemeinsamer Ausschuß von Senat und Repräsentantenhaus, d. Übers.) zusammengestellt haben, hat Rußlands Brutto-National-produkt, trotz der nachhinkenden Landwirtschaft, seit dem Jahre 1948 um 50 Prozent mehr zugenommen, als unser eigenes. Über China waren keine definitiven Zahlen zu erhalten, aber man weiß genug, um sich im klaren zu sein, daß es sich um einen gelehrigen Schüler der Sowjets handelt. So hat sich die Stahlerzeugung, „ein guter Hinweis auf die Industrialisierung einer Wirtschaft“ von 1949— 1952 um ein Achtfaches gesteigert, wobei sie um diesen Zeitpunkt nahezu 50 Prozent höher lag, als die vorausgegangenen Spitzen-erträge. Es wird geplant, die Stahlproduktion bis zum Ende des ersten Fünfjahresplanes im Jahre 1957 zweieinhalbmal zu steigern. W. W. Rostow im „The Prospect for Communist China“ (Die Aussichten des Kommunistischen China), kommt zu dem Schluß, daß der Fünfjahresplan allen landwirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Trotz im großen und ganzen vollendet sein wird, auch dann, wenn Mao-Tse-Tung in der Zwischenzeit sterben würde — außer es würde eine große Spaltung in der Führerschicht geben oder eine katastrophale Kriegsniederlage.

Die kommunistischen Methoden sind rauh und brutal, allein, sie wissen mit Erfolg den Eindruck hervorzurufen, daß sie „mit den Dingen fertig würden". Wie der „Economist“ schrieb, „vorausgesetzt, genug Menschen werden geopfert; vorausgesetzt, eine genügend eiserne Tyrannei wird aufgezwungen; vorausgesetzt, der Rausch an der Staatsmacht kann als Ersatz für persönliche Befriedung aufrecht erhalten werden, zeitigt die Sowjetmethode Erfolge".

Es gibt viele direkte Beweise aus dem heutigen Indien, wonach die indische Stadtbevölkerung vor allem Erfolge verlangt. Angesichts der Notwendigkeit einer rapiden Industrialisierung, stehen die meisten unterentwickelten Gebiete vor der Frage, ob sie sich den langsamen, und für die westlichen Demokratien traditionellen Entwicklungsprozeß leisten können.

Dies um so mehr, als sie infolge der ständig anwachsenden Bevölkerung gezwungen sind, eine katastrophale Senkung des Lebensstandards zu verhindern. Sie müssen erstarken, und sie sind dabei, koste es was es wolle, den Naticnalstolz zurückzugewinnen. Dies alles erfordert von ihnen, daß sie hundert Jahre Geschichte im Eiltempo einholen. Ihre Intellektuellen neigen zu der Auffassung, der Kommunismus sei nicht der Feind der westlichen Zivilisation, sondern sein fortgeschrittenster Sektor, gewissermaßen das Treibhaus, um auf westlichen Standard hinauf-zuwachsen. Weil die Kommunisten behaupten, die rauhen Anforderungen der Lage klar zu erkennen, spricht das die „zurückgebliebenen“ Völker desto stärker an.

Wie es George F. Kennan, unser vormaliger Botschafter in Rußland in einem Beitrag zu einem Symposium „Die Bedrohung durch den Sowjetimperialismus" ausdrückt, „ist die Sowjetmacht eher mehr als weniger anziehend für sie, gerade durch die Tatsache, daß sie begleitet ist von physischer Mühsal und von Entbehrungen, dem Opfer persönlicher Interessen, dem Verzicht auf auffallenden Luxus und körperliches Verhätscheln, und von der Anmaßung eines prahlerischen Eigendünkels durch die sich der westliche Mensch in so vielen Teilen der Welt verhaßt und verachtet machte".

Der Wendepunkt

Liefen die Dinge auf diese Art weiter, dann würden die kommunistische Macht und ihr Einfluß auf einen Punkt kommen, wo wir vor der Alternative stünden, uns zu unterwerfen oder einen selbstmörderischen Krieg zu führen. Gottseidank sind aber Kräfte am Werk, die dahin arbeiten, daß die Rollen vertauscht werden, daß also wir die Initiative ergreifen, und daß das Sowjetreich in die Defensive gedrängt wird.

Es gibt dafür untrügliche Zeichen, vor allem einmal, scheint Rußland seine alte Fertigkeit, sich frank und frei peinlicher Verpflichtungen zu entledigen, einzubüßen. Die gegenwärtige Führung kann die chinesischen Kommunisten nicht mit jener souveränen Geringschätzung behandeln, wie sich das Stalin für seine ausländischen Vasallen zugelegt hatte.

Die Führer von heute haben sich in langfristige Abmachungen eingelassen, von denen sie sich nur schwer und unter unsäglich hohen Kosten freimachen könnten. Man würde zu einem Krieg und damit zur eigenen Zerstörung gezwungen werden, verteidigte man ein China, das man nicht unter völliger Kontrolle hielte, und das die ganze Großspurigkeit einer neuen revolutionären Macht zur Schau trägt, eine Großspurigkeit, die Rußland selbst schon abgestreift hat.

Die Sowjetregierung kann heute mit dem eigenen Volk und den Satelliten nicht mehr so herumspringen. Das Volk scheint heute weniger als in vergangenen Zeiten gewillt, die Schuld für die Irrtümer seiner Führer auf sich zu nehmen. Eine neue Mittelschicht von Bürokraten, technischen Experten und begünstigten Künstlern ist auf dem Plan, mit gefestigten Ansprüchen, die zu beschützen sind, und mit dem nötigen Einfluß, den Schutz zu erhalten.

Die Massen der Völker fordern ungestüm ein offizielles Versprechen, den Lebensstandard zu heben und den Frieden zu sichern. Chruschtschow wird es auf die Dauer unklug finden, diese Forderungen zu ignorieren, obwohl es im vergangenen Februar 195 5 eine Rückkehr zur strengen Sparwirtschaft gegeben hat. In dem Maße, wie sich die Regierung dem beugt, wird sie sich auf einen bestimmten Kurs festlegen und damit etwas von der revolutionären Freiheit einbüßen, die einstmals ihre Stärke war.

Noh bezeichnender ist die Tatsache, daß der Kommunismus allmählich dazu gelangt, seinen eigenen Status bevorrechteter Schichten anzunehmen. Mit dem Anwachsen und Reifen seiner Mäht, entwickelt sih der Kommunismus zur Hierarhie und zur festgelegten Ordnung. Die Kommunistishe Partei ist niht mehr die ergebene, sih aufopfernde Brudershaft, deren Mitglieder nie mehr verdienen durften als ein Hilfsarbeiter an Lohn ausbezahlt bekam, wie das in der ersten Zeit nah der Revolution der rechteten Schicht, mit den Privilegien eines erblichen Status, insbesondere, was die Möglichkeit einer höheren Ausbildung betrifft. Geht diese Umwandlung weiter vor sich, dann werden ihre Folgen unweigerlich wachsender Neid und Mißgunst sein, wie das bei Bevorrechteten immer geschieht.

Ebenso, wie die Kommunisten in Rußland selbst auf eine privilegierte Stellung lossteuern, hat Rußland einen bevorzugten Stand in der Welt verlangt. Es hat sich fremder Völker bemächtigt. Es fordert Macht und Vorrechte, die größer sind als der entsprechende Beitrag zum Wohlergehen von jenen Völkern eingeschätzt wird.

Die Jugoslawen wiesen mit Erfolg eine solche Anmaßung von Vorrechten zurück und sicherten sich die offene Anerkennung ihres Erfolges. Die Chinesen haben in der ihnen eigenen subtilen Art recht erfolgreich die russischen Vorrechte beschränkt, wie das die Punkte der im verflossenen Herbst getroffenen Sino-Sowjetabmachungen zeigen. Allein, andere Nationen sind noch immer Rußlands Opfer. Mit der Ausdehnung der Macht Rußlands werden immer mehr Menschen erkennen, sei es als Opfer oder als Zuschauer, welchen Preis Rußland für angebliche Wohltaten fordert. Eben dieser Erfolg kann zu seiner Nemesis werden.

Dies aber nur, wenn Amerika imstande ist, diese Entwicklung auszunützen. Glücklicherweise mehren sich die Möglichkeiten dazu. Der Verfall des Imperialismus, der Rassenvorherrschaft und andere Formen westlicher Privilegien gibt uns nicht die Initiative — eher das Gegenteil, wie wir gesehen haben — aber er bereitet den Boden dafür.

So gestattet uns der Untergang des französischen Kolonialismus in Indochina einen weitaus positiveren Standpunkt gegen den Kolonialismus in unserer Propaganda auszudrücken. In Nordafrika scheinen die Franzosen ihre Fehler von Indochina wiederholen zu wollen — mit der wahrscheinlichen Folge, dort ihre Domäne zu verlieren. Das holländische Kolonialreich ist bereits aufgegeben. Die Engländer stehen im Begriff, schnell zu liquidieren, indem sie die vorher beherrschten Völker die Nachfolge antreten lassen. Und so wird es bald keine Kolonialreiche mehr geben, deren Verteidigung sich lohnte.

So ist es auch um die anderen Arten der Privilegien bestellt. In vielen Gebieten wurde das Eigentum der Feudalherren, der Gutsbesitzer und anderer Grundherren bereits aufgekauft oder einfach enteignet. Die befestigten Stellungen von Armee und Kirche wurden gebrochen und nur vereinzelte Festungen, besonders z. B. in Südamerika halten noch durch. Die Rassenvorrechte, die einzige Art an großen Vorrechten, in die auch Amerika noch direkt verstrickt ist, sind in einem Stadium, das einen baldigen Bruch mit der Vergangenheit herbeiführen wird. Je mehr sich die Lebensart der Neger der der Weißen angleicht, desto bedeutungsloser wird das Festhalten an dem Theorem von der Überlegenheit der weißen Rasse werden, bis wir endlich in der echten Praxis und nicht nur formell und offiziell, die Manifestationen jeglicher Art Vorrechte verwerfen können. In absehbarer Zukunft wird dann Amerika in der Lage sein, einen festen Standpunkt einzunehmen und den Schwerpunkt seiner Propaganda von beziehungslosen „Wahrheiten" über Amerika zu der lebendigen IDEE Amerika zu verlegen — der Idee von einer Gesellschaft, deren Ordnung offen zutage liegt, in der nichts ohne hinreichende Bewährung eingerichtet werden kann, in der sich Macht, Stellung und Eigentum unaufhörlich durch ihre Beiträge zum Wohlergehen der Masse zu rechtfertigen haben und ganz besonders für den Wert und die Würde des Einzelnen.

Dann müssen wir von unseren Staaten verlangen, daß sie definitive Richtlinien erlassen, um die Spuren der Rassentrennung zu tilgen. Es würde bedeuten, bei unseren Verbündeten und bei den von uns Abhängigen unter der Androhung von Sanktionen darauf zu dringen, daß sie endgültige Erlasse herausgeben, Stück für Stück die Überbleibsel der Kolonialherrschaft zu liquidieren. Es wird bedeuten, daß wir aufhören müssen Regierungen zu helfen, die sich auf Privilegien stützen — das Francoregime und die südafrikanischen Nationalisten zum Beispiel — auch dann, wenn sie ideologisch in Opposition zum Kommunismus stehen, und auch, wenn es unserer militärischen Verteidigungskraft eine Einbuße bringen würde (was sehr zweifelhaft scheint). Es wird bedeuten, im Kampfe gegen den Kommunismus mit dem Verlaß auf privilegierte Schichten und Einrichtungen ein Ende zu machen — mit dem Verlaß auf eingesessene Kirchen, Militärkasten, korrupte Bürokratien, auf veraltete Eigentumsrechte. Es wird in manchen Fällen bedeuten, aktiv die Partei des Volkes gegen seine Bedrükker zu ergreifen.

Wir können in Freiheit leben, nicht, indem wir gegen die Weltrevolution sind; die geht ihren Weg was immer wir oder die Russen unternehmen, sondern indem wir ihnen die Führung dieser Revolution aus den Händen reißen und sie selbst lenken. Nicht der Kommunismus ist die Revolution unserer Zeit: Was er tat war nur, die Kräfte, die potentiell revolutionär sind, auszunutzen und sie zu verraten. Wenn die unterdrückten Völker die Überzeugung gewännen, daß die Alternative zum Kommunismus nicht das Weiterbestehen oder die Wiederaufrichtung der alten Privilegien ist, sondern eine neue Ordnung, die ihnen die Zusicherung gibt, daß die Vorrechte verschwunden sind, dann würden Hoffnung und Lebenszweck ihrer Unzufriedenheit neuen Auftrieb geben und auf bessere Wege leiten. Dann würden sie im Bewußtsein der Aussicht auf ein besseres Leben organisieren und schaffen. Dies muß nicht die für sie beziehungslose und unglaubwürdige amerikanische Lebensform sein, aber eine, in der es all die konkreten Mißstände nicht mehr gibt, die sie so gut kennen und am meisten hassen.

Es klingt paradox, aber die Hoffnung, daß wir den Kommunismus schließlich doch bezwingen werden, beruht auf der Einsicht von der Unzulänglichkeit unserer Verteidigungsmaßnahmen — nicht ihres völligen Versagens, was katastrophal wäre. Unsere Hoffnung rührt von dem wachsenden Verstehen dieser Unzulänglichkeit her. Indem wir erkennen, warum wir mit den Defensivmethoden keinen Erfolg hatten, lernen wir auch die Möglichkeiten einer Offensivaktion kennen. Im letzten Jahrzehnt mußten wir, um nicht überrumpelt zu werden, Stellung beziehen. Obwohl wir die tragische Unangemessenheit erkennen, mußten wir tun, was Großbritannien in Dünkirchen tat, um auf diese Art Zeit zu gewinnen, um Kraft zur Offensive zu entwickeln. Glücklicherweise gab das aber auch Zeit, westliche Vorrechte zum Schwinden zu bringen, bis das, was noch verbleibt, bestimmt nicht wert sein wird, es zu verteidigen, so daß wir endlich in unserem eigenen wahren Interesse handeln können. Je weniger überkommene Interessensphären zu verteidigen sind, um so größer sind die Chancen wieder die Initiative zu übernehmen, — nicht mit den Waffen in der Hand — sondern durch eine politische und moralische Führung, die wohl auf der Vergangenheit beruht, und dennoch nicht von ihr behindert und belastet ist. Mit der Eignung für eine solche Führungsaufgabe bedarf es für unseren Sieg nicht des Auswegs der Waffen.

Fussnoten

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