Mit freundlicher Genehmigung des Verlages übernehmen wir aus der Zeitschrift für übernationale Zusammenarbeit „DOKUMENTE" (Heft 3, Juni 1955) den folgenden Artikel von Alfred Frisch:
Die Bezeichnung „Technokrat“ wird heute meistens in einem abwertenden Sinne gebraucht: „Technokraten“ sind Leute, die außerhalb ihrer beruflichen Qualifikation einen sehr engen Horizont haben, eigentlich nur kleine Rädchen im großen Triebwerk der Gesellschaft darstellen, trotzdem aber eine ihrer Rolle und ihren Fähigkeiten keineswegs entsprechende Geltung beanspruchen. Diese Art von Technokratie ist nichts Neues. Sie hat in allen Epochen der menschlichen Geschichte existiert. Außerdem unterscheidet sie sie nicht sehr von der Bürokratie, welche Intelligenz und Initiative durch den Apparat und die Routine ersetzt. Diese Technokraten interessieren uns indessen wenig. Sie sind ein Nebenprodukt des Verwaltungssystems und weder sehr originell, noch besonders gefährlich.
Die Technokratie als ökonomisches System wurde vor einigen Jahren von dem amerikanischen Soziologen James Burnham in die internationale Diskussion eingeführt. Burnham sagte damals für eine nahe Zukunft die Ära der „Manager“, der Organisatoren, in der unmittelbaren Nachfolge des liberalen Kapitalismus voraus. Die Thesen Burnhams haben viel Lärm gemacht, zahlreiche mehr erschrockene als begründete Proteste ausgelöst, aber leider keinerlei ernsthafte Untersuchung einer wesentlichen Entwicklungstendenz eingeleitet. Denn ob man für oder gegen die Technokratie ist, hat wenig zu bedeuten. Man muß die Dinge vor allem so sehen, wie sie sind, und, darf neue Organisationsformen nicht einfach ignorieren wollen, weil sie einem unsympathisch erscheinen. Die ökonomische, politische und soziale Theorie verfolgt gegenwärtig angesichts einer immer dynamischer werdenden Technokratie eine glatte Vogelstraußpolitik. Der Augenblick ist also gekommen, wo wir versuchen müssen, ein wenig klarer zu sehen und das Phänomen wenigstens zu umreißen, damit die Verantwortlichen sich in voller Kenntnis der Sachlage in dem einen oder anderen Sinne entscheiden können.
Wie läßt sich die Technokratie definieren? Stellen wir zunächst einmal fest, daß sie ein Organisationssystem mit allgemeinem Charakter und nicht die Begleiterscheinung einer politischen oder ideologischen Konzeption ist. Man betrachtet die Technokraten häufig als ein Produkt des staatlichen Dirigismus und der wirtschaftlichen Planung. Diese Ansicht ist zu oberflächlich. Technokraten finden sich in den entgegengesetztesten Wirtschaftssystemen, in den Vereinigten Staaten sowohl wie in der Sowjetunion, in der Privatwirtschaft wie in der Verwaltung, in den nationalen staatlichen Diensten wie in den internationalen Organisationen. Folglich haben sie ihren Daseinsgrund nicht in den Launen einer vorübergehenden Augenblicks-situation, sondern in den seit der großen Epoche des liberalen Kapitalismus eingetretenen Strukturveränderungen.
Das wesentliche Kriterium der Technokratie ist wohl die Geistesverfassung ihrer Elemente und der Beweggrund ihrer Aktionen. Die kapitalistische Periode war von dem Begriff des Profits beherrscht. Die letzten drei Jahrzehnte brachten uns eine sehr scharfe Trennung zwischen dem Kapital auf der einen und den für die allgemeine wirtschaftliche Aktivität Verantwortlichen auf der anderen Seite. Diese Trennung erfolgte in gewissen Ländern unter der Form der Sozialisierung oder besser der Verstaatlichung der Wirtschaft, in anderen in Gestalt einer ausgesprochenen Deklassierung des Aktionärs zu Gunsten des Managers. In jedem Fall bleibt zwar das Streben nach Profit selbstverständlich im Spiel; aber es reicht nicht mehr aus, um das menschliche Handeln in den führenden Kreisen erschöpfend zu erklären. Hier erscheint nun der Technokrat im wahren Sinne des Wortes auf der Bildfläche, der seine Befriedigung im Erfolg der ihm anvertrauten Sache findet und sich zugleich mehr oder weniger direkt gegen alle Kräfte zur Wehr setzt, die diesen Erfolg beeinträchtigen könnten, gleichgültig ob es sich um Politiker, Gewerkschaftler oder selbst um Regierungen handelt.
Die Technokratie beinhaltet im übrigen einen-veränderten Begriff von Verantwortung. In diesem Sinne ist es erlaubt, sie als eine — vielleicht notwendige — Reaktion zu betrachten: Reaktion gegen die Angst vor dem Risiko und die immer ausgesprochenere Neigung der Masse, sich der Verantwortung zu entziehen. In ihren Zuständigkeitsbereichen übernehmen die Technokraten gerne jede notwendige Verantwortung, • ohne darum freilich geneigt zu sein, sich einer außertechnischen Kontrolle zu unterwerfen. Der klassische Parlamentarismus und die Techno-kratie geraten also in Gegensatz. Bis heute hat es dank der progressiven LIninteressiertheit der verantwortlichen Politiker für technische Dinge keinen wirklichen Zusammenstoß gegeben. Aber eines — vielleicht nicht sehr fernen — Tages wird die Kompetenz der Technokratie so weit reichen, daß der Parlamentarismus sie nicht mehr ignorieren wird. Dann wird er vor einem Problem stehen, das eine wahrhaft revolutionäre Strukturreform erfordert.
Die zunehmende Spezialisierung der menschlichen Aktivität erweist sich als eine letzte bedeutsame Ursache der Technokratie. Das Universalgenie gehört endgültig der Vergangenheit an. Der kompetenteste Politiker braucht heute zur richtigen Beurteilung der Welt und der Ereignisse die Hilfe von Spezialisten, welche die zahllosen Mechanismen, die unsere Welt in Gang halten, genau kennen. Begreiflicherweise werden sich diese Spezialisten nach und nach ihrer Bedeutung und auch ihrer verborgenen Macht bewußt. Die Versuchung ist also groß, daß sie diese Macht ausnutzen und den Politi-ker, anstatt ihm weiter als Ratgeber zu dienen, zum bloßen Befehlsempfänger der Technokratie degradieren.
Diese allzu summarischen und gleichzeitig allzu oberflächlichen Vorbemerkungen bedürfen der Ergänzung und Fundierung durch verschiedene Feststellungen und Beobachtungen über die gegenwärtige Rolle der Technokratie in der Privatwirtschaft, in der Verwaltung und im internationalen Leben.
Die Technokratie in der Wirtschaft
Die juristischen Formen haben sich länger gehalten als die Substanz, für die sie einst entwickelt wurden. Die Aktiengesellschaft erscheint als das erste echte Symbol des liberalen Kapitalismus. Die Mobilisierung und Konzentration privater Kapitalien durch Einschaltung des Aktionärs ermöglichte die Gründung großer Unternehmen und die Bildung von Trusts, dieser unerläßlichen, wenn vielleicht auch nicht sympathischen Instrumente der Industrialisierung im großen Maßstab. Nach und nach war die Aktiengesellschaft zur dominierenden Macht in-der Wirtschaft geworden. Bis zur großen Weltkrise im Jahre 1930 konnte der Aktionär als kapitalistische Figur Nr.
Die große Krise von 1930 erschütterte die überragende Rolle des Kapitals. Der Aktionär verlor seine regelmäßigen Dividenden, und sein Geld arbeitete jahrelang mit Verlust. Die Zahl derer, die von ihren Kapitaleinlagen leben konnten, schmolz immer mehr zusammen, als zu den Folgen der Wirtschaftskrise noch Preissteigerungen und Inflation hinzukamen. Fast überall gehörte der Rentner-Aktionär bereits der Vergangenheit an. Von den großen Vermögen abgesehen, bildete die Dividende nur noch ein mehr oder weniger unbedeutendes zusätzliches Einkommen.
Die große Krise brachte darüber hinaus die ganze Realität und Gefahr der Arbeitslosigkeit für die Gesellschaft zu Bewußtsein. Damals fing man an, die gegenseitige Abhängigkeit von Kapital und Arbeit und die wechselseitigen Verpflichtungen zu begreifen, die sich im Interesse aller aus ihr ergeben. Die Führung eines Unternehmens im ausschließlichen Interesse des Aktionärs wurde eine zugleich soziale, politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit. Um den Preis des Verzichts auf kapitalistischen Profit mußten die Fabriken laufen, um eine möglichst große Zahl von Arbeitern zu beschäftigen. Die soziale Funktion des Eigentums wurde damals praktisch entdeckt, auch wenn es heute noch zahlreiche Unternehmer geben mag, die das nicht wahrhaben wollen: trotzdem halten sie sich an gewisse vom Gesetzgeber — einem notgedrungen interventionistischen Staat — eingeführte Regeln. In dieser Hinsicht gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen der liberalen amerikanischen Wirtschaft und den mehr oder weniger dirigistischen europäischen Methoden. Um nur ein Beispiel zu nennen: unter der Regierung des Präsidenten Eisenhower müssen die Petroleumgesellschaften von Texas die Genehmigung der zuständigen Behörden einholen, wenn sie das Volumen ihrer Rohölproduktion herabsetzen wollen. , So hat sich das Ziel in der Leitung der Unternehmen geändert. Das Funktionieren als solches hat heute den Vorrang vor der Jagd nach dem Profit. Natürlich bleibt der Gewinn ein greifbarer Beweis für die Gesundheit eines Betriebes, aber er dient nicht mehr, wie in der Vergangenheit, in erster Linie der Befriedigung der Aktionärsinteressen. Seine Verwendung wird heute von den höheren Interessen des Unternehmens bestimmt, denen sich die Aktionäre trotz der juristischen Vollmachten, die ihnen der Gesetzgeber noch zugesteht, eindeutig unterzuordnen haben. In allen Ländern der Welt bestätigen die Direktoren und Aufsichtsratsvorsitzenden der Aktiengesellschaften, daß nichts leichter ist, als eine Generalversammlung zu beeinflussen und alle geplanten Beschlüsse durchzubringen, einschließlich derer, die den Interessen der Aktionäre keineswegs entgegenkommen. Der kleine kapitalistische Aktionär ist praktisch verschwunden oder nicht mehr in der Lage, sich auf den Generalversammlungen erfolgreich vertreten zu lassen. Die Mehrheit des Kapitals befindet sich in den Händen von Banken oder Gesellschaften, deren Delegierte selbst nur Rädchen in einem neuen, den Primat des Unternehmens vor dem Kapital anerkennenden Mechanismus sind.
Diese LImwandlung der Aktiengesellschaft hat dem Manager, dem Organisator Burnhams, den Weg geöffnet. Der Manager besitzt häufig gar kein direktes Interesse mehr an dem Unternehmen, das er leitet, und es liegt ihm weniger an einem — notwendig begrenzten — hohen Gehalt als an dem Erfolg seiner Aktivität. So findet das Prinzip des J’art pour l'art in der Wirtschaft eine neue Anwendung. Hüten wir uns aber vor einer übertriebenen Vereinfachung der Dinge. Das Geld hat keineswegs dem Ideal Platz gemacht. Es bleibt — wie das Streben nach materieller Prosperität eine der Haupttriebfedem des menschlichen Tuns — ein Nerv des Wirtschaftslebens. Die angedeuteten Veränderungen betreffen in erster Linie die ferneren und höheren
Ziele. Der Unternehmer des neunzehnten Jahrhunderts dachte vor allem an Geld und Profit; heute ist er geneigt, mit einer gewissen Uneigennützigkeit dem Funktionieren seines Betriebs als solchem die Priorität zuzugestehen, weil jenseits gewisser Grenzen die Steigerung der Gewinne ihm keinen Vorteil mehr einbringt und weil ihm das Interesse der Aktionäre, zu denen er selbst nicht mehr gehört, nicht sonderlich berührt.
Die Dividendenpolitik der Aktiengesellschaften hat eine vollständige Umwälzung erfahren.
Man gewährt den Aktionären nur noch das unerläßliche Minimum, damit sie nicht revoltieren und von ihren legalen Befugnissen Gebrauch machen. Der Rest — genauer: der größte Teil — der Gewinne dient in verschiedenster Form der Selbstfinanzierung, das heißt der Entwicklung des Unternehmens. Auf lange Sicht ist diese Methode ohne Frage auch von Vorteil für die Aktionäre, deren Kapital schließlich dabei wächst; aber unter normalen Umständen und im eigentlich kapitalistischen Sinne ist das Aktiengeschäft nicht mehr rentabel.
Diese Entwicklung führt logischerweise zur Entstehung einer „privaten“ Technokratie. Die Generalversammlung der Aktionäre ist nur noch eine Formalität. Das leitende Personal der Gesellschaften fühlt sich gegenüber dem von den Aktionären repräsentierten Kapital wenig verantwortlich. Das Kapital ist nur ein der Maschine vergleichbares Arbeitsinstrument. Was zählt, ist die innere Dynamik eines Unternehmens, seine Vitalität und vor allem seine Expansion. Die Anlage einer modernen Installation verschafft diesen privaten Technokraten eine sehr viel größere Befriedigung als die Ankündi-gung einer beträchtlichen Dividende. Es fehlt ihnen der Sinn für das Eigentum. Sie arbeiten großzügig in einem weiten Wirtschaftsfeld und sind mehr oder weniger stark durchdrungen von Führer-oder gar Herrschergeist.
Diese Technokratie findet ihren eindeutigsten und reinsten Ausdruck in den verstaatlichten LInternehmen. Die Direktoren der Staatsbetriebe unterscheiden sich in ihren Methoden um kein Haar von den Verantwortlichen der großen Privatunternehmen. Sie betrachten sich kaum als Repräsentanten des Gemeininteresses, sie denken vielleicht noch weniger an die Verteidigung des sozialen Fortschritts oder an das Wohlergehen der Arbeiter. Darum waren übrigens die Verstaatlichungen als soziales Experiment ein Versager. Diesen Direktoren liegt nur eines am Herzen: der Erfolg im Unternehmen und durch das Unternehmen. An der praktischen Handhabung der Mitbestimmung in Frankreich und noch mehr in Deutschland läßt sich das gut beobachten. Die Arbeitsdirektoren, die aus Gewerkschaftskreisen kommen und prinzipiell die Interessen der Arbeiterschaft vertreten sollen, haben sich in der Regel rasch in das System ihres Unternehmens „integriert“ und denken heute — auch sie — nicht selten an das Funktionieren des Betriebes vor allem und über alles. Kein Wunder, wenn das Vertrauen der Arbeiter in die soziale Nützlichkeit solcher Arbeitsdirek-toren nach den Erfahrungen einiger Jahre ernstlich erschüttert ist.
Der unerläßliche Rekurs auf die Triebkraft des Profits wird von kapitalistischen Kreisen als entscheidendes Argument gegen alle sozialistischen Tendenzen ins Feld geführt. Der Mensch, sagen sie, arbeite nur, um immer mehr Geld zu verdienen. Wenn man seine kapitalistische Freiheit einschränkt, verurteile man die Wirtschaft zur Stagnation. Aber der Aufstieg der Technokratie steht in glattem Widerspruch zu diesem liberal-kapitalistischen Argument. Der Direktor eines verstaatlichten Unternehmens kann nur mit verhältnismäßig begrenzten materiellen Vor-teilen rechnen. Die Direktoren der großen Ak-tiengesellschaften, die selbst keine Aktionäre sind, befinden sich in der gleichen Situation. Alle aber bringen sich für das Unternehmen um. Selbst die Gegner der Verstaatlichungen bestreiten nicht mehr den Wert der in Frage stehenden Männer und ihrer Leistung. Das beweist, daß das Motiv des Profits keineswegs alles erklärt und daß jenseits des Kapitalismus eine neue wirtschaftliche Struktur durchaus vorstellbar ist: eine Struktur nämlich, die auf einer inneren Dynamik im Hinblick auf die Produktion und den gesteigerten Wohlstand aller beruht, ob sie Kapital besitzen oder nicht.
Obergriff auf Verwaltung und Politik
Die „private“ Technokratie wird ergänzt und gestützt durch die Technokratie der hohen Beamten. Es gibt übrigens eine deutliche gegenseitige Durchdringung dieser beiden Formen ein und derselben Tendenz, vor allem in jenen Ländern, wo die Industrie ihre besten Kader der Verwaltung zur Verfügung stellt und wo die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat enger und loyaler ist. Das Heraufkommen der Technokratie wird übrigens nach und nach die Differenzen zwischen einer allzu egoistischen Wirtschaft und einer angeblich zu bürokratischen Verwaltung beseitigen müssen. Es ist sicher, daß die obersten Spitzen der beiden Pyramiden immer häufiger aus den gleichen Schulen und den gleichen Milieus hervorgehen. Sie verfolgen auch — manchmal ohne sich dessen bewußt zu werden — die gleichen Ziele.
Sprechen wir zunächst von der politischen Technokratie. Sie leitet sich, wie schon angedeutet, aus der hochgradigen Spezialisierung der politischen Funktionen und Verpflichtungen ab. Der verantwortungsbewußte Politiker wird keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen, ohne sich vorher mit qualifizierten Technikern zu beraten. Die Parteien führen deshalb, vor allem für die parlamentarische Tätigkeit, in ihren Kadern eine Arbeitsteilung ein. In den verschiedenen Ressorts üben spezialisierte Abgeordnete einen Einfluß aus, der über die Befugnisse ihres parlamentarischen Mandats weit hinausgeht. Über die wichtigsten technischen Gesetze wird nicht mehr von der Gesamtheit der — mit der Materie oft gar nicht vertrauten — Abgeordneten abgestimmt, sondern ausschließlich von einigen Spezialisten, die im Namen ihrer Partei sprechen.
Die Zahl der technischen Spezialisten unter den Abgeordneten ist manchmal schon zu klein. Die Parteien sind also gezwungen, sich an außer-parlamentarische Ratgeber zu wenden, die aus den Kreisen der privaten oder administrativen Technokratie kommen und deren verborgener Einfluß nicht unterschätzt werden darf. Ihnen obliegt die Vorbereitung zahlreicher Berichte (mit denen dann namhafte Abgeordnete glänzen) und die Abfassung mancher parlamentarischen und ministeriellen Rede. Die Abgeordneten wälzen jegliche „technischen“ Überlegungen auf sie ab und vergessen dabei, daß Technik und Politik sich nicht immer trennen lassen. Je mehr technische Probleme und je mehr Aufgaben überhaupt an das Parlament herangetragen werden, desto stärkeres Gewicht erhalten die Ansichten jener technisch-politischen Ratgeber.
Die administrative Technokratie bedeutet die Herrschaft der hohen Beamten und ebenso der Wirtschaftsplaner. Der Gegensatz zwischen dem Verwaltungsapparat und seiner politischen Leitung ist an sich nichts Neues. Minister pflegen stets auf den passiven Widerstand eines Apparates zu stoßen, der zwangsläufig gegen jede Neuerung und gegen jede Einmischung von außen eingestellt ist. Dieser Sachverhalt hat mit Technokratie noch nichts zu tun: diese tritt erst in dem Augenblick in Erscheinung, wo die hohen Beamten sich ihrer Macht bewußt werden und danach trachten, den Lauf der Ereignisse selbst zu bestimmen und die verantwortlichen Politiker — wenigstens teilweise — zu ersetzen. Die Möglichkeiten dieser administrativen Tech-nokratie wachsen mit der politischen Unstabilität und mit der Fülle und Kompliziertheit der Aufgaben des Staates. In vielen Fällen ist dann der Minister nur mehr eine Nebenfigur oder der politische Vollstrecker von Entscheidungen, die seine technischen Mitarbeiter getroffen haben.
Es wird im übrigen eine immer häufigere Gepflogenheit der Regierungen, sich mit einer kleinen Zahl von besonders qualifizierten Ratgebern zu umgeben, die ihren „brain-trnst“, ihr technisches Gehirn bilden. Diese Neuerung gestattet indirekt die Konstituierung eines regelrechten Generalstabs der administrativen Technokratie. Darin finden sich dann normalerweise isolierte hohe Beamte zu einer oft sehr homogenen Gruppe zusammen, welche die begreifliche Tendenz hat, geschickt mit den Drähten der Macht zu spielen und hinter den Kulissen einen guten Teil der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aktionen zu dirigieren.
Die Planung im weitesten Sinne, die heute bis in die liberalsten Regime hinein eine Selbstverständlichkeit ist, bildet eine weitere Domäne der administrativen Technokratie. Da der Staat — in den Vereinigten Staaten nicht weniger als in der Sowjetunion — den Hebel des Kredits in der Hand hat, kommt dem Gutachten der Planer ein erhebliches Gewicht zu. Bedeutende Investierungen finden nur mit ihrer Zustimmung statt. In ihren Händen liegt das Schicksal der — verstaatlichten oder nicht verstaatlichten — Grundindustrie. Es ist schließlich auch kein Geheimnis mehr, daß die Tätigkeit dieser Planer sich häufig der Kontrolle der Parlamentarier entzieht.
Charakteristisch für die privatwirtschaftliche wie für die administrative Technokratie ist ein starker Wille zum Erfolg, verbunden mit dem Streben, sich jeder außertechnischen Verantwortlichkeit — sei es gegenüber Aktionären oder gegenüber Ministem und Parlamentariern — möglichst zu entledigen. Überzeugt von der Nützlichkeit seines Arbeitsplans und mit der Gewißheit, so oder so dem allgemeinen Interesse zu dienen, will der moderne Technokrat allein und ausschließlich mit seinesgleichen zusammen handeln. Er sieht in den Ministem und Parlamentariern nur Gefangene von mehr oder weniger begrenzten und mehr oder weniger egoistischen Gruppen, und er setzt sein ganzes Geschick daran, seine Handlungsfreiheit zu wahren und die politischen Hindernisse zu umgehen.
Ausdehnung auf die internationale Ebene
Die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit der Nationen und die immer größere Zahl der internationalen Organisationen mit mehr oder weniger ausgedehnten Befugnissen begünstigt die Verpflanzung der Technokratie auf die internationale Ebene. Sie entwickelt sich dort sogar noch leichter und schneller, weil die internationale Organisation mit ihrem permanenten Apparat weniger einer unmittelbaren ministeriellen oder parlamentarischen Kontrolle unterworfen ist als die nationale Verwaltung. Trotz der Grenzen, welche die Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität ihm setzt, verfügt der internationale Beamte im allgemeinen über eine größere Aktionsfreiheit und vor allem über eine größere persönliche Unabhängigkeit als sein nationaler Kollege. Außerdem zwingen ihn die LImstände, die nationale und berufliche Solidarität durch eine neue Interessensolidarität zu ersetzen, die auf der gemeinsamen Arbeit einer Gruppe von aus allen Teilen der Welt zusammengekommenen Technikern beruht.
Die Existenz einer internationalen Technokratie setzt offenbar voraus, daß die Organisationen, in denen sie arbeitet, mit einem Minimum von Befugnissen ausgestattet sind. Eine Technokratie ohne Vollmachten ist in der Tat unvorstellbar. Aus diesem Grunde können die hohen Beamten der Vereinten Nationen vorerst nicht als Technokraten gelten. Ganz anders ist die Situation für den Europäischen Wirtshaftsrat (OEEC), für die ständige Organisation des Atlantikpaktes, für den Europarat (mit Vorbehalten) und vor allem für die Hohe Behörde der Montanunion. Das Personal dieser Organisationen ist von Anfang an in den Prozeß einer Entnationalisierung einbezogen, die es von gewissen egoistischen Interessen frei und gegenüber nationalen Zielen weitgehend indifferent macht. Na. h und nach werden aus Interessenten innerlich überzeugte internationale Beamte mit einer für sie spezifischen Mentalität. Die oberen und ver-antwortlichen Kader setzen sich hartnäckig für die Verwirklichung der Ziele ihrer jeweiligen Organisatonien ein Und fangen an, in den nationalen Gegensätzen ungelegene Hindernisse zu sehen, die sie auszuschalten trachten, indem sie in dem von uns definierten Sinne des Wortes als Technokraten handeln: sie sind nicht direkt verantwortlich und halten ihr Wirken durch das höhere Gemeininteresse für gerechtfertigt.
Technokraten und Minister
Man hört diese internationalen Beamten privat nicht selten mit einer gewissen Geringschätzung von den Ministern sprechen; sie gelten ihnen als juristisch zwar unentbehrliche, im Grunde aber nebensächliche Figuren, deren Verständnis für die wahren Probleme sowohl -durch ihre mangelnde Einsicht wie durch ihre nationalen oder politischen Vorurteile begrenzt erscheint. Jenseits aller Grenzen sind sich diese hohen Beamten bei der Verwirklichung internationaler Projekte und in dem Versuch einig, ihre Regierungen’ vor vollendete Tatsachen zu stellen, die sie schwer ignorieren können. Das technische Übereinkommen ersetzt mehr und mehr das politische. Jedesmal, wenn politische Widerstände zu fürchten sind, begnügt man sich mit sogenannten technischen Lösungen, die das Hindernis praktisch umgehen.
In allen internationalen Organisationen beschränkt sich die Aufgabe der Minister auf die Billigung von Beschlüssen, die Experten bereits vorbereitet haben, und auf die gelegentliche Ausarbeitung von Arbeitsdirektiven, die in ihren großen Linien gleichfalls von diesen Experten entworfen wurden. Die Politik wird hinter den Kulissen gemacht. AIs stähdige und unabhängige internationale Beamte haben die Techniker den Platz der Diplomaten eingenommen, die früher unmittelbar der Kontrolle ihrer Regierung unterstanden. Man kann-wohl ohne große Übertreibung sagen, daß die OEEC und die NATO sich in den Händen der Technokratie befinden. Gewiß, der Atlantikrat,, der mehrere Male im Jahr rund vierzig Minister zu seinen Versammlungen nach Paris, ruft, bleibt nach außen eine eindrucksvolle Institution, die dem atlantischen Apparat zu diktieren scheint, was er zu tun hat. Aber auch hier geht sehr oft das Einvernehmen der Techniker der formellen und öffentlichen Billigung durch die Minister voraus. Aus Höflichkeit und Klugheit machen sich die Experten bei wichtigen Fragen erst an die Arbeit, wenn die Minister nicht weiterkommen. So war es zum Beispiel bei der Aufteilung der Kosten für die Infrastruktur: nach zahlreichen sterilen Einwänden von Seiten der Minister fanden die Experten sehr schnell eine brauchbare Kompromißlösung.
Der Europarat nimmt in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein. Er hat keinerlei wirkliche Entscheidungsbefugnis, aber er ist auf Grund seiner Entwicklungsmöglichkeiten eine interessante Institution. Die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung zum Beispiel ist eine sehr verlockende Aufgabe. Die Initiativen des Europa-rats sind heute oft das Werk des Sekretariats, das mit einer kleinen Zahl fähiger und dynamischer Parlamentarier zusammenarbeitet. Die Sonderversammlung, die mit der Ausarbeitung eines Verfassungsprojektes betraut war und sich aus über achtzig Parlamentariern zusammensetzte, hat ohne große Änderungen einen Text genehmigt, der von einem halben Dutzend Parlamentariern mit Unterstützung von einigen Beamten aus dem Sekretariat des Europarats entworfen worden war. Diese Beamten waren sich der Bedeutung ihrer Rolle vollkommen bewußt, und auch sie gehören zur Kategorie der Technokraten.
Eine besondere Bedeutung kommt der supranationalen Hohen Behörde der Montan-Union zu: sie ist eine Neuerung, die als Vorbild für die endgültige Organisation Europas dienen könnte. Die Vollmachten Rene Mayers und seiner Mitarbeiter zeichnen sich aus durch ihren Umfang sowohl wie durch das Fehlen einer wirklichen Kontrolle oder Subordination. Die im Vertrag vorgesehene ministerielle und parlamentarische Überwachung erstreckt sich lediglich auf bereits geschaffene Tatsachen und besitzt keinen präventiven Charakter. Die Hohe Behörde ist somit weitgehend Herrin ihrer Entscheidungen. Die Urheber des Vertrages wollten ihr ja ausdrücklich die Möglichkeit geben, sich nur von den Interessen der Gemeinschaft leiten zu lassen, und sie von jedem egoistischen oder nationalen Druck freihalten. Die Hohe Behörde ist geradezu ein Musterbeispiel der Technokratie.
Im internationalen Bereich zeigen sich andere Formen der Technokratie. Ihnen allen gemeinsam ist das Bestreben, die nationalen Grenzen zu sprengen und außerhalb des von Regierungen und Parlamenten bestimmten Rahmens mehr technische als politische Leistungen zustandezu-
bringen. Das gilt für verschiedene private internationale Organisationen, zum Beispiel im Eisenbahn-und Straßenwesen. Unabhängig von den Regierungen bereiten sie eine enge europäische Zusammenarbeit im Bereich des Transportwesens vor. Es bildet sich eine neue Gemein-• durch den einfachen Abschluß von technischen Verträgen, die von einigen dynamischen Persönlichkeiten ausgearbeitet und von Ministern gebilligt wurden, die häufig ihre wahre Tragweite gar nicht übersehen.
Der Waggonpool wird schnell zu einer Internationalisierung des gesamten rollenden Materials, die Standardisierung des Materials bald zu einer gemeinsamen Fabrikation führen. Es gibt ein Abkommen zwischen franzöisisehen und deutschen Technikern, das die deutsche Regierung verpflichtet, bei der Elektrifizierung der Eisenbahnen einer französischen Methode zu folgen — was für die deutschen Fabrikationsverfahren von umwälzender Bedeutung war. Es gibt eine Abmachung zwischen der deutschen und französischen Eisenbahn, die sehr wahrscheinlich die französische Regierung veranlassen wird, auf die vom Parlament im Interesse der lothringischen Schwerindustrie nachdrücklich geforderte Moselkanalisierung schließ-lieh zu verzichten. Und der internationalen Föderation für das Straßenwesen wird es aller Voraussicht nach gelingen, einen europäischen Infestitionsfond auf die Beine zu stellen, der die großen europäischen Verkehrswege der Herrschaft der internationalen Technokratie unterstellen wird, nachdem man sie vorher durch die Macht der Umstände aus der unmittelbaren Zuständigkeit der nationalen Regierungen heraus-gelöst hat.
Diese Beispiele ließen sich noch beträchtlich vermehren. Wir verzichten darauf, weil es hier nicht um. die Aufstellung eines-Inventars der Technokratie geht, sondern in erster Linie um den Ausweis von Entwicklungstendenzen und um den Nachweis, daß sie sich in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen des Menschen bemerkbar machen.
Rechtfertigung und Vorbehalte
Die Technokratie ist keine Verschwörung. Wenn eine Institution von solchem Ausmaß in der modernen Gesellschaft entsteht und sich entwickelt, dann gibt es bestimmt auch unabhängig von dem Willen der unmittelbar interessierten Menschen Gründe für ihr Dasein. Sie ist zunächst ein Produkt der Umstände und wird erst später von den Menschen akzeptiert und akko-modiert.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo befriedigende Lösungen von den Verantwortlichen ein Maximum an Kompetenz und Leistung verlangen. Niemand wird bestreiten, daß die Politiker, Gefangene eines allzu traditionellen und den Forderungen der Epoche zu wenig angepaßten Systems, oft der Größe ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen sind. Man kann aber wesentliche Entscheidungen nicht ewig vertagen. So oder so wollen die Nationen gelenkt, müssen die Probleme gelöst werden. Es ist also verständlich, wenn das von den Politikern offengelassene Vakuum von Technikern ausgefüllt wird, die kompetent genug sind, um den komplexen Mechanismus des modernen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zu verstehen, und energisch genug, um ihrer Arbeit und ihrer Initiative den notwendigen Erfolg zu sichern.
Unter diesen Voraussetzungen erscheint jede rein doktrinäre Feindseligkeit gegen die Techno-kratie sinnlos und geradezu gefährlich. Wenn man diese Institution wirklich ausschalten will, dann muß man ihr vor allem ihre Daseinsberechtigung nehmen, das heißt: man muß das politische und parlamentarische Leben so reformieren, daß es seine Leistungsfähigkeit zurückgewinnt und die Demokratie nicht länger nur eine mehr oder weniger künstliche und historische Konstruktion darstellt, sondern von neuem eine lebendige Ausdrucksform des Volkswillens wird.
Nach unserer Meinung hat die Technokratie noch eine zweite Wurzel, die sehr viel schwerer zu beseitigen sein wird als die erste. Wir meinen den Gruppenegoismus, der sich immer mehr jeder vernünftigen Reform und sogar jeder Entwicklung widersetzt und aus dem Gemeininteresse ein heuchlerisches Schlagwort ohne die geringste reale Bedeutung macht. Wir möchten den Einfluß, den die Haltung dieser Gruppen auf das Entstehen und Erstarken der technokratischen Strömungen ausübt, besonders unterstreichen. Je stärker die zahllosen egoistischen Zweckverbände sowohl im nationalen wie im internationalen Rahmen sich jeder wirtschaftlichen und politischen Vernunft widersetzen, um so weniger darf man sich wundern, wenn die Männer, die das Ausmaß der Gefahr erkannt haben und sich für das öffentliche Wohl verantwortlich fühlen, nach geeigneten Mitteln suchen, um sich Geltung zu verschaffen. Die Technokratie hat längst begriffen, daß der Frontalangriff gegen den Gruppenegoismus von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Sie sucht infolgedessen indirekte und nicht gerade in die Augen springende Einflußmöglichkeiten, die jhnen gestatten, den Gegnern ihren Willen aufzuzwingen, ohne sie überhaupt nach ihrer Meinung zu fragen.
Der Idee der supranationalen Autorität liegt ohne Zweifel auch diese Intention zugrunde.
Sie wird mehr oder weniger offen von allen gebilligt, die mit dem unmöglichen Starrsinn der Gruppeninteressen ihre Erfahrungen gemacht haben. In dieser Hinsicht besitzt die Technokratie — das darf man nicht übersehen — einen durchaus antidemokratischen Aspekt. Aber es würde sich wohl lohnen, den Begriff der Demokratie selbst neu zu durchdenken. Die Addierung von negativen Willensäußerungen hat im Grunde mit wirklicher Demokratie nichts zu tun; die echte Demokratie meint vor allem Kontrolle über die Führung‘der öffentlichen Angelegenheiten durch das Volk und keinesfalls Behinderung einer ordentlichen Führung durch rein egoistische Machenschaften. Der Gruppenegoismus ist vielleicht noch antidemokratischer als das Verhalten der neuen Oligarchie, die man als Technokratie bezeichnet. Hier liegt das Heilmittel kaum noch in Strukturreformen, sondern nur in einer totalen Reform der Mentalität der Menschen und der Massen.
Die Herauskristallisierung einer neuen Macht oder einer neuen Kaste bedeutet stets eine Gefahr für die Gesellschaft. Sich der Technokratie bedienen, heißt mit dem Feuer spielen. Sie birgt Keime des Guten ebenso wie des Bösen. Alles hängt von den Grenzen und Kontrollen ab, die man ihr auferlegt. Vor allem muß man verhindern, daß zu ihrer technischen Zuständigkeit noch politische Befugnisse hinzukommen und die • Technokratie sich so aus einem gegenwärtig noch wenig bekannten und kaum überwachten Instrument in eine alles beherrschende Macht verwandelt, die der Totengräber jeder Demokratie und die Ausgangsbasis für eine diktatorische Oligarchie wäre. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird, sich die Technokratie aus der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Struktur unsere.
Gesellschaft nicht mehr entfernen lassen, selbst wenn die Kräfte des Volkes — und andere — noch lebendiger wären. Zwei Einstellungen ihr gegenüber sind also gleichermaßen zu verurteilen: die Vogelstraußpolitik und die rein negative Opposition. Die politische Weisheit fordert die Integrierung der Technokratie in ein neues, organisches, auf realistischen demokratischen Konzeptionen aufgebautes System, das die Freiheit der Völker wahrt und jede Demagogie unmöglich macht.
Diese Integrierung der Technokratie wird sehr wahrscheinlich eine Umformung des heutigen demokratischen Regimes erforderlich machen. Man wird zu einer neuen Gewalten-trennung kommen müssen, das heißt zu einer Trennung von technischer und politischer Zuständigkeit. Vielleicht wird man auf diese
Weise den praktisch vergessenen Begriff des Gemeininteresses neu entdecken. Die Technokraten werden das rationelle und vernünftige Funktionieren ihres Apparates gegen den demagogischen Zugriff egoistischer Gruppen verteidigen, und die Politiker werden ihrerseits das freie Spiel der Demokratie gegen die diktatorische Versuchung einer übermächtigen Technokratie sichern. Die praktische Exekutive der öffentlichen Aufgaben bliebe der Technokratie überlassen, die Kontrolle des Apparates obläge der Politik. Die klassische Konzeption der Demokratie nach dem Modell des Gemeinwesens, in dem jeder Bürger den Gang der öffentlichen Angelegenheiten verstehen und unmittelbar beeinflußen konnte, ist auf die komplizierten Verhältnisse unserer Zeit nicht mehr anwendbar. Es wäre zwar sehr wünschenswert, in den Kommunalverwaltungen und in allen anderen kleineren Einheiten des öffentlichen Lebens (Betrieb, Genossenschaft usw.) eine direkte Demokratie wieder einzuführen, aber in der Spitze wird sich eine Beschränkung der demokratischen Gewalten nicht vermeiden lassen. Einige hundert Parlamentarier, die zwangsläufig partikuläre Interessen vertreten, werden kaum geeignet sein, über die unmittelbare Wahrnehmung der allgemeinen Interessen zu bestimmen. Die Exekutivgewalt könnte sehr wohl in den Händen einer Regierung liegen, die sich auf eine pflichtbewußte Technokratie stützt; Aufgabe des Parlaments wäre es dann, die politische Aktion dieser Exekutive zukontrollieren, ohne sich in die technischen Details ihrer Handhabung einzumischen.
Die Reform der Demokratie durch Integrierung der Technokratie, die Trennung der technischen «und politischen Gewalten und die Stärkung der Exekutive durch Beschränkung der parlamentarischen Vollmachten auf die im wesentlichen politische Kontrolle der Verwaltung verdienten eine gründliche Untersuchung. In unserer Studie konnte dieses Problem nur sehr summarisch umrissen werden. Denn hier ging es zunächst darum, einen Weg aufzuzeigen, wie die Technokratie, deren Existenz und Permanenz wir feststellen mußten, auf eine zugleich konstruktive und ungefährliche Weise nutzbar zu machen ist.
Anmerkung der Redaktion Alfred Frisch wurde 1913 in Heidelberg geboren, seit 1933 lebt er aus politischen Gründen im Ausland. Er hat ein gründliches Studium der Rechte, der Soziologie und der Geschichte hinter sich und erwarb sich nach 1945 als Publizist internationale Geltung. Gegenwärtig arbeitet er in Paris für verschiedene französische Zeitschriften und als regelmäßiger politischer wirtschaftlicher Korrespondent für deutsche Zeitungen.
Frischs kürzlich veröffentlichtes Buch über die moderne Technokratie — Une Reponse au Desi de l'Histoire; la Mission de la Technocratie (Verlag Desclee de Brouwer, Paris) — wird von der Kritik stark beachtet und lebhaft diskutiert; es soll demnächst auch in deutscher Sprache herauskommen.
Der in dieser Ausgabe abgedruckte Aufsatz erschien zuerst in Le Monde se fait tous les Jours, einem Sonderheft der Pariser Zeitschrift La Vie Intellec-tuelle, das die christliche Aufgabe an unserer „Welt im Werden" aufzuzeigen versucht. -
Dr. Johannes Gaitanides, geb. am 10. Juli 1909 in Dresden, ist Deutsch-grieche, studierte in München Germanistik, Geschichte und Geographie. Seit 1948 arbeitet er als freier Schriftsteller für Presse und Rundfunk (vor allem auch als Kommentator für den Bayrischen Rundfunk). Soeben erschien im Paul List Verlag, München, sein Buch „Griechenland ohne Säulen".