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Aktuelle Probleme der politischen Emigration | APuZ 33/1955 | bpb.de

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APuZ 33/1955 Die soziale Differenzierung in der Sowjetunion Aktuelle Probleme der politischen Emigration

Aktuelle Probleme der politischen Emigration

Robert Bertram

Als unlängst Wien zum ersten Male seit 17 Jahren einem heimkehrenden Kanzler zujubelte, begann für einen kleinen Teil der Bevölkerung Österreichs eine Zeit der Furcht. Im diplomatischen Gepäck des Bundeskanzlers befand sich der Entwurf zum Staatsvertrag, den Molotow bereits im Februar 1954 auf der Berliner Konferenz den Westmächten vorgelegt hatte. Artikel 16 dieses Entwurfes befaßt sich mit den „Displaced Persons“ — eine Bezeichnung, die längst veraltet und im Westen durch die Begriffe „heimatloser Ausländer“ oder „ausländischer Flüchtling“ ersetzt, von der Sowjetregierung aus der Mottenkiste der Nachkriegszeit hervor-gezogen wurde.

Die Veröffentlichung von Artikel 16 hatte zur Folge, daß unter den ca. 30 000 nicht-deutschen Flüchtlingen in Österreich — Ungarn, Bulgaren, Rumänen, Tschechen, Slowaken und Jugoslawen — eine regelrechte Panik aüsbrach. Der Grund: Österreich sollte sich verpflichten, alle notwendigen Schritte zur Repatriierung von Heimatlosen zu unternehmen, sowie den alliierten Mächten jede Hilfe bei der freiwilligen Rückführung ihrer Staatsangehörigen zu gewähren. Im Einzelnen besagt der Artikel 16:

Bevollmächtigte Vertreter der alliierten Mächte (sprich Sowjetunion)

haben das Recht, Lager und Siedlungen zu betreten, in denen sich Flüchtlinge aufhalten; die österreichische Regierung verpflichtet sich, jede Art von Propaganda, die gegen die Interessen der Alliierten gerichtet ist, in den Lagern und Siedlungen zu verbieten, sowie alle Maßnahmen zu untersagen, die dazu geeignet sind, Flüchtlinge von der Rückkehr in die Heimat abzuhalten. Ferner: sämtliche Komitees und Organisationen, die im Widerspruch zu den Interessen der Alliierten (sprich Sowjetunion) stehen, werden aufgelöst und verboten; DP‘s dürfen nicht zu militärischen oder paramilitärischen Organisationen eingezogen werden. Und schließlich die unmenschlichste Bestimmung: Österreich verpflichtet sich, keinerlei Wohlfahrtsunterstützung oder Hilfe solchen Personen zu gewähren, die sich weigern, in ihre Heimatländer zurückzukehren.

10 Jahre nach Beendigung des Heißen und 7 Jahre nach Beginn des Kalten Krieges war das nun allerdings ein beängstigender Vorgang.

Zwar ist die sowjetische Forderung mittlerweile an der Ablehnung der Westmächte gescheitert, doch die Gefahr war akut, und die im Westen rechtlich verankerte Institution des politischen Asyls schien einen Augenblick lang gefährdet.

Situation der osteuropäischen Emigranten Um das Entsetzen zu verstehen, das die Flüchtlinge ergriff, ist es notwendig, die Situation der osteuropäischen Emigranten im Westen, insbesondere in der Bundesrepublik, als ein Teilproblem der West-Ost-Beziehungen und der Propaganda im Kalten Krieg zu untersuchen.

Seit jeher ist es das Schicksal der Emigranten, hinter den Kulissen der politischen Auseinandersetzungen der Zeit ihres Amtes zu walten. Sie können Anregungen und Vorschläge einreichen, aber niemals Entscheidungen treffen. Sie sind Gehilfen, allenfalls Berater. Als Spezialisten gefragt, stehen sie doch außerhalb jeder Verantwortung. Das Recht zum Handeln haben allein jene, denen sie dienen. Die Heimatlosen des zweiten Weltkrieges und der Nachkriegswirren in Osteuropa sind vor diesem Schicksal genau so wenig bewahrt geblieben, wie die nach England, Preußen und Österreich geflüchteten Vertreter des französischen Adels während der Revolution oder die russischen Emigranten von 1918. In zunehmendem Maße wurden sie Objekte einer Propaganda, die hüben und drüben vorgibt, ihre wahren Interessen zu vertreten. Im Westen wäre eine nennenswerte Aktivität der Emigranten ohne amerikanische Initiative und Finanzierung nicht denkbar. Radio Free Europe, die Stimme Amerikas und Radio Liberation sind Beispiele dafür, in welchem Maße die Vereinigten Staaten sich engagiert haben. Es kann dabei keinem Zweifel unterliegen, daß nicht nur einflußreiche Politiker und Finanz-gruppen, sondern auch die öffentliche Meinung in den LISA hinter diesen Bestrebungen stehen.

Während die Amerikaner sich ehrlich bemühen, die Emigranten als Verbündete zu betrachten, ist das Verhältnis auf der Gegenseite umgekehrt. Ein in den kommunistischen Machtbereich zurückkehrender Emigrant ist nichts anderes als ein Instrument der Propaganda, das man heute benutzt, um es morgen zu vernichten. Er hat nur die eine Funktion:

eine bestimmte, gerade aktuelle These durch seine Aussagen zu bekräftigen. Dann verschwindet er in den Zwangsarbeitslagern oder den nicht „minder komfortablen Werkstätten des vaterländischen Wiederaufbaus.

Augenblicklich lautet das Generalthema der kommunistischen Propaganda, zu dem es die verschiedensten Variationen gibt: Rückkehr in die Fieimat, Bruch mit dem Westen, der mit seinem kapitalistischen Hochmut und unsozialen Verhalten für die osteuropäischen Flüchtlinge stets Fremde bleiben müsse.

Russische Kampagne für die Rückkehr Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß der Appell zur Rückkehr 1955 nicht einer neuen, vom Kreml plötzlich entdeckten Humanität entspringt. Während der Forderung auf Repatriierung 1945 zwei Gesichtspunkte zu Grunde lagen: Bestrafung der Kollaborateure von Wlassow bis Szalassy und Sicherung von Arbeitskräften für den Aufbau, ist heute eine ganz andere Erwägung bestimmend. Der Aufruf an die Flüchtlinge zur Rückkehr, von Schalmeienklängen begleitet, entspringt der Absicht, dem Westen (sprich LISA) eine entscheidende Niederlage im Kalten Kriege zu bereiten. Ob 100, 1000 oder 10 000 Flüchtlinge aus Westeuropa nach den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang re-emigrieren, ist den Machthabern im Grunde völlig gleichgültig; nicht auf die Rückgewinnung der Menschen kommt es ihnen an, sondern auf den Propagandaerfolg, der durch eine Aufweichung der gegnerischen Kampffront zweifellos erzielt wird. Zahlen sind für sie nur von statistischem Interesse, d. h. als Beweis für die Erlahmung der westlichen Anziehungskraft. Wenn 50 Tschechen im Laufe von drei Monaten zurückkehren, so ist das für die Kommunisten ein Sieg und für den Westen eine empfindliche Schlappe. Die Ironie, welche sich aus dem spezifischen Klima des Kalten Krieges ergibt, liegt dabei in der Tatsache, daß während der gleichen Zeit möglicherweise 150 Tschechen den entgegengesetzten Weg gehen. Aber diese 150 fallen deshalb nicht ins Gewicht, weil durch die Vereinfachung der Begriffe — Osten: böse, Westen: gut — die Vorstellung von der Flucht aus dem Sowjetbereich als ein natürlicher Vorgang tief in das Bewußtsein der Menschen eingedrungen ist. In dem Moment, wo den Sowjets der Nachweis glückt, daß diese Vorstellung nicht mehr zutrifft, daß Flüchtlinge aus dem goldenen Westen freiwillig hinter den Eisernen Vorhang zurückkehren, ist ein psychologischer Einbruch gelungen, dessen mögliche Auswirkungen heute noch gar nicht überschaut werden können.

Es muß weiterhin bedacht werden, daß die kommunistische Kampagne für die Rückkehr, und um eine solche handelt es sich, wie wir bald sehen werden, mit günstigen Voraussetzungen rechnen kann. Die Hoffnung der Emigranten auf eine baldige Befreiung ihrer Länder vom Kommunismus ist einer tiefen Resignation gewichen. 10 Jahre Exil und die im Zeichen der Koexistenz immer mehr schwindende Aussicht auf eine baldige Änderung der Zustände machen sich allenthalben bemerkbar. Lind da kaum jemand mehr den Mut hat, die Frage: ist die westliche Welt ernstlich an einer Verdrängung des Kommunismus aus Osteuropa interessiert? * mit einem klaren „Ja“ zu beantworten, wird die Lage der Flüchtlinge immer beklemmender.

Dazu kommt die soziale Not der Emigranten, die durch die allgemeine Flüchtlingsmüdigkeit der Aufnahmeländer, besonders Österreich, Frank-reich und die Bundesrepublik, nur noch verschärft wird. Zwar hat Westdeutschland durch den Bau von Siedlungen, die rechtliche Gleichstellung von heimatlosen Ausländern mit deutschen Staatsbürgern, sowie die Gewährung von Arbeitslosen-und Wohlfahrtsunterstützung für die Emigranten mehr getan als irgend ein anderer europäischer Staat doch ist die tägliche Berührung mit der deutschen Prosperität an welcher diese Menschen nicht teilhaben, eine schwere psychologische Belastung. Nur wenigen gelingt es, eine Arbeit zu finden, die sie befriedigt. Noch überwiegt die Zahl der Arbeitslosen bei weitem die der Beschäftigten. Wirtschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es so gut wie keine. Der Dienst in den amerikanischen Arbeitskompanien ist ein Provisorium, wenn auch ein willkommenes. Und selbst die Auswanderung nach den USA, Kanada und Australien, die noch heute von 75% der Flüchtlinge als die beste Lösung angestrebt wird, ist ins Stocken geraten.

Ein Beispiel besonderer Art ist das am Nürnberger Parteitagsgelände befindliche Lager Valka, einer der trostlosesten und gottverlassensten Flecken im schönen Bayern. Dort in dem sog. Bundesauffanglager für nicht-deutsche Flüchtlinge müssen sich die Neuankommenden einem peinlichen Verfahren unterziehen, das im Zwielicht des Agentendschungels zwischen West und Ost zweifellos notwendig ist, dessen ungeachtet aber einen verheerenden Eindruck auf Menschen hinterläßt, die aus den Zwangsarbeitslagern der CSR, Ungarns und Polens geflüchtet sind. Wie diese verbitterten Flüchtlinge denken, illustriert am besten eine tschechische Aufschrift auf einer der Baracken in Valka: „Wir wählten die Freiheit — werft nur einen Blick hinein!" Es ist daher verständlich, daß dieses Lager, ein Zentrum der Unzufriedenheit und Existenzangst, von der kommunistischen Propaganda als Basis für die verschiedensten Aktionen benutzt wird.

Propagandaaktion in Bulgarien Es wurde bereits gesagt, daß die Kampagne zur Rückkehr bezweckt, eine Runde im Kalten Krieg zu gewinnen. Wie nun sieht diese Propagandaaktion in der Praxis aus, welche Mittel werden benutzt und wo liegen die Schwerpunkte?

Bulgarien, das bereits 1945 von Moskau zum Testgebiet der Sowjetisierung eines nicht-kommunistischen Staates bestimmt worden war, begann als erstes Land mit einer regelrechten Kampagne für die Re-Emigration. Die rechtliche Grundlage war gegeben, als die Regierung am 10. November 53 Artikel 72 des Strafgesetzes modifizierte. Die ursprüngliche Fassung, wonach jeder illegale Grenzgänger als Landesverräter galt und mit der Todesstrafe rechnen mußte, wurde aufgehoben. Auch die Bestimmungen hinsichtlich der Angehörigen, welche einer Sippenhaft gleichkamen, traten außer Kraft. Anstelle dessen wurde freiwilligen Rückkehrern Straffreiheit bzw. eine geringfügige Gefängnis-oder Geldstrafe zugesichert.

Im Sommer 1954 begann dann die vom Außenministerium in Sofia gesteuerte Aktion. Radio Sofia nahm Sendungen für Flüchtlinge in sein Programm auf; Bulgaren in Frankreich, Triest, der Schweiz und in Dentschiland erhielten Briefe der bulgarischen Konsulate; Besuche von Diplomatischen Vertretern bei führenden Köpfen der Emigration folgten; Antikommunisten erhielten Einladungen zu Cocktailparties und diplomatischen Empfängen in Paris, Istanbul und Basel. Am Vorabend des zehnten Jahrestages der Besetzung Bulgariens durch die rote Armee, im September 54, holte das Regime dann zum ersten wirkungsvollen Schlage aus. Die im August aus Graz verschwundenen Anhänger des bulgarischen Bauernführers Dr. Dimitroff-(Gemeto), Chef des Bulgarischen National-Komitees in New York, Milorad Mladenoff und Petar Trifonoff, traten in Sofia mit Erklärungen vor die Öffentlichkeit. Mit einer geschickten Analyse der Bestrebungen des bulgarischen Exils unter der intriganten Leitung Gemetos verbanden sie einen Appell an ihre Landsleute und Parteifreunde zur Rückkehr nach Bulgarien. Sie beschrieben die Verhältnisse in der Heimat, den wirtschaftlichen Aufschwung, den Geist der Versöhnung, der ihnen allenthalben begegne und stellten dem gegenüber die wirtschaftliche Not der Flüchtlinge, ihre Abhängigkeit von den amerikanischen Geldgebern, sowie das Schwinden jeder Hoffnung für eine bessere Zukunft im Exil. Unmittelbar nach dieser Pressekonferenz starteten Mladenoff und Trifonoff zu einer geräuschvollen Reklamevertragsreise durch Bulgarien. Schon sehr bald stellte sich der doppelte Erfolg dieser beiden prominenten Rückkehrer ein: 1) die Re-Emigration einer . Reihe bulgarischer Flüchtlinge, vornehmlich aus Frankreich; 2) eine Kursänderung der oppositionellen Bauernpartei innerhalb Bulgariens. Insgesamt 12 führende Bauernparteiler, darunter die beiden bekannten Politiker Assen Pavloff und Tsvestan Maximoff, distanzierten sich öffentlich von ihrer bisherigen Haltung und erklärten ihre Bereitschaft zu loyaler Zusammenarbeit mit dem Regime. Gleichzeitig forderten sie die bulgarischen Vertreter bei der Grünen Internationale im Exil auf, Gemeto die Gefolgschaft zu kündigen und in die Heimat zurückzukehren. Dieser interne Aspekt der Rückkehrkampagne, welcher in der Diskreditierung des politischen Exils in der Heimat und der Anlockung der inländischen Opposition seinen Ausdruck findet, unterscheidet Bulgarien von Polen und der Tschechoslowakei, Länder, in denen ähnlich gerichtete Bestrebungen erkennbar sind.

Am 23. November 1954 ging Sofia in seiner Versöhnungspolitik sogar soweit, drei angeblichen Deserteuren, die reumütig aus dem Westen zurückgekehrt waren, volle Amnestie und Wiederaufnahme in die Armee zu gewähren. Die drei Deserteure waren, wie sich später herausstellte, Agenten, die, als freiwillige Heimkehrer getarnt, Aussagen gegen den Westen machen mußten. Die Methode der Zurückziehung von Agenten und ihre anschließende Verwendung zu Propagandazwecken ist im übrigen auch für die anderen kommunistischen Staaten bezeichnend

Seither reißt der Strom von Briefen aus Bulgarien an Angehörige im Ausland, von offiziösen Schreiben der Konsulate und Propagandabroschüren, welche das Leben in der Heimat in den rosigsten Farben schildem, nicht mehr ab. In Paris soll demnächst ein slawisches Institut gegründet werden, zu dessen Mitarbeitern auch prominente Wissenschaftler des Exils gehören werden. Im sowjetischen Sektor in Wien wurde im Februar 19 5 5 ein Klub eröffnet, der, mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, den konsularischen Vertretern Gelegenheit bietet, mit bulgarischen Emigranten in Kontakt zu kommen. Ganz besonders aber ist Sofia bestrebt, prominente Emigranten für die Rückkehr zu gewinnen. Prof.

Michailov, Porträtmaler von Weltruf, der aus Brasilien kommend seit einigen Monaten in Hamburg wohnt, hat es bisher abgelehnt, auf die schmeichelhaften Vorschläge der bulgarischen Kulturbehörden auch nur zu antworten. Aber mit Beharrlichkeit wirbt man um den Meister, dessen 80. Geburtstag Ende 195 5 Anlaß zu einer großen Michailov-Ausstellung in Sofia sein wird.

Diese und viele andere Beispiele zeigen, daß das Regime in Sofia keine Anstrengung und Ausgabe scheut, um das in jedem Flüchtling tief verwurzelte Mißtrauen und die Ablehnung gegenüber dem kommunistischen Staat langsam aber konsequent zu überwinden und durch eine „Politik der sanften Hand“ sich selbst moralisch ins Recht und die „Brunnenvergifter des Exils" ins Unrecht zu setzen.

Erfolge der polnisch-kommunistischen Aktivität Während die bulgarische Emigration in Westeuropa, gering an Zahl (5000— 6000), politisch uneinig, für die kommunistischen Strategen des Kalten Krieges nur eine untergeordnete Rolle spielt, kommt den Polen eine ganz andere Bedeutung zu. Im Verhältnis Warschaus zu den Auslandspolen, vornehmlich in Frankreich und der Bundesrepublik, zeichnet sich mit aller Deutlichkeit ein auf lange Sicht berechnetes politisches Programm ab Hier handelt es sich weniger um eine Kampagne zur Rückkehr in die Heimat, als vielmehr um die Infiltration der in geschlossenen Siedlungsgebieten wohnenden Polen (Nord-und Ostfrankreich, Ruhrgebiet) mit kommunistischer Propaganda und um die Benützung dieser willig gewordenen Gruppen für die Ziele Moskaus in den westeuropäischen Gastländern.

In Frankreich leben ca. 750 000 Polen, meist Abkommen von Siedlern aus den Vorkriegsjahren. Die Zahl der Kriegs-und Nachkriegsemigranten ist demgegenüber verhältnismäßig gering. Insgesamt befinden sich in Westeuropa, einschließlich Großbritanniens, wo sich vor allem die Soldaten der Armee Anders niedergelassen haben, über eine Million Polen.

Von den in Frankreich beheimateten Polen besitzen etwa 300 000 die französische Staatsbürgerschaft, die restlichen 450 000 sind de jure Bürger ihres Heimatlandes. Ihnen allen gemeinsam aber ist ein ungewöhnlich zähes Beharrungsvermögen, das sich im Festhalten an Sprache, kulturellen Traditionen sowie nationaler Denkweise äußert. Auf diese Erfahrung stützen sich dann auch die von Warschau aus gelenkten und finanzierten Aktionen, von denen der Westen bisher so gut wie keine Notiz genommen hat.

Das Fernziel dieser Politik ist es, die langsame Integration der Polen in Frankreich und im Ruhrgebiet in das französische bzw. westdeutsche Gemeinwesen in kommunistische Kanäle zu lenken. Die praktischen Maßnahmen zur Erreichung dieses Zieles bestehen darin, die Unterstützung der Auslandspolen, besonders in Frankreich, für die kommunistische Partei des Gastlandes zu gewinnen. Mit anderen Worten: ein Pole, der die Staatsbürgerschaft nicht annimmt, soll polnischer Kommunist werden.

Mit Hilfe eines kostspieligen Propagandaapparates, nach vorsichtiger Schätzung werden ca. 3 Millionen Franc täglich verbraucht, werden den Polen in Frankreich aber auch im Ruhrgebiet folgende Thesen nahe-gebracht: nur das kommunistische Regime bietet einen wirklichen Schutz für Polens legitime Interessen, besonders was den deutschen Revisionismus an den Westgrenzen betrifft; ein französisch-polnisches Bündnis ist die beste Garantie für eine friedliche Ko-Existenz zwischen West und Ost; dank der kommunistischen Politik ist in Polen die Herrschaft der Feudalherren gebrochen worden, so daß jeder Arbeitswillige eine Existenz in Freiheit in der Heimat sich schaffen kann.

Zur Vorbereitung dieser Ideen stehen den Kommunisten, wie bereits erwähnt, fast unbeschränkte Geldmittel zur Verfügung, so daß tatsächlich jedes polnische Heim erfaßt wird. Zeitungen und Zeitschriften werden kostenlos versandt; Filmvorführungen, Vorträge, Ausstellungen und gesellige Veranstaltungen finden statt; polnische Schulen erhalten großzügige 7 Unterstützungen von den über ganz Frankreich verstreuten Konsulaten (Botschaft in Paris, Konsulate in Paris, Lille, Lion, Straßburg, Toulose, Marsaille und Le Havre); Tausenden von Kindern wird jährlich eine kostenlose Sommererholung in Polen ermöglicht, in den polnisch besiedelten Gebieten Frankreichs wimmelt es von bezahlten Agenten des Regimes.

Mit der gleichen Geschicklichkeit, mit der die Kommunisten das polnische Nationalgefühl und die darin enthaltenen Ressentiments anzusprechen wissen, versuchen sie die pro-polnische Einstellung der französischen Bevölkerung zu monopolisieren. Indem sie zwei große Tarnorganisationen für diesen Zweck benützen — die „Gesellschaft für französisch-polnische Freundschaft“ und die „Vereinigung der Bürger polnischer Abstammung zur Respektierung der Oder-Neiße-Grenze“ — verwischen sie für französische Augen jede Unterscheidung zwischen „polnisch“ und „kommunistisch“. Präsident der Gesellschaft ist M. Frederic Joliot-Curie, Vorsitzender der Vereinigung M. Henri de Korab, einst ein bekannter polnischer Journalist.

Und so ergibt sich die erstaunliche Tatsache, daß die polnisch-kommunistische Aktivität, die dem doppelten Ziel der Propaganda sowohl in Frankreich wie auch in Polen dient, nicht nur Erfolge innerhalb der führenden Kreise der 4. Republik erzielt, sondern auch große Gruppen von polnischen Auswanderern und Flüchtlingen für sich gewonnen hat.

Demgegenüber kann von einer zielbewußten Abwehr gegen diese sich verbreitenden Einflüsse nicht gesprochen werden. Natürlich gibt es eine ganze Reihe von anti-kommunistischen Exilorganisationen (Komitees, Schulen und Kirchen), doch mangelt es ihnen vor allem an Mitteln, um dem konzentrierten Angriff zu begegnen. Zudem sind sie von der Krankheit, die jedes politische Exil kennzeichnet — Uneinigkeit und Parteienhader — nicht verschont Aber selbst wenn sich unter den Polen in Frankreich entschlossene Leute finden sollten, die bereit sind, die kommunistische Herausforderung anzunehmen, so könnten sie mit ihren Gegenmaßnahmen nur dann Erfolg haben, wenn sich eine Organisation von der Bedeutung der Westeuropäischen Union oder der NATO hinter sie stellen würde.

Innerhalb der Bundesrepublik, wo neben den etwa 60 000 Ruhrpolen deutscher Staatsangehörigkeit ca. 54 000 polnische Kriegs-und Nachkriegsemigranten ein kümmerliches Dasein fristen, ist seit Ende 1954 gleichfalls eine intensive Propagandatätigkeit zu vermerken. Träger dieser Propaganda ist die Organisation „Zwiazek Polakow Zgoda w Niemczech", kurz „Zgoda“ (Eintracht) genannt. Finanziert von Warschau und der Polnischen Militärmission in Berlin unterstellt, hat „Zgoda“ in Bochum die zweite Etage eines Mietshauses, Klosterstraße 6, okkupiert, das rechtmäßig der antikommunistischen Organisation der polnischen Vorkriegsemigranten „Zwiazek Polakow w Niemczech“ (Verband der Polen in Deutschland) gehört. Ähnlich wie die kommunistischen Organisationen in Frankreich veranstaltet „Zgoda“ mit seinen auf mindestens 300 000 DM geschätzten Jahresetat Vorträge, Filmvorführungen und Diskussionsabende. Zwei in der Bundesrepublik gedruckte Zeitungen „Glos Polski“, herausgegeben für die Vorkriegsemigranten in Bochum, und „Echo Polski“, mit dem Erscheinungsort Wanne-Eickel, werden kostenlos an polnische Flüchtlinge verteilt. Besonders bemüht sich die kommunistische Organisation um die polnischen Kinder — eine Investition, die einmal reiche Zinsen für Volkspolen tragen soll. Sprachkurse, Sonntagsschulen und Freizeitgestaltung werden als Mittel benutzt, um die Kinder im „richtigen Geist“ zu erziehen und die Eltern davon zu überzeugen, daß Warschau seine Genossen in der Fremde nicht vergessen hat. Allein im Ruhrgebiet sind nicht weniger als 24 Lehrkräfte im Rahmen dieses Erziehungsprogrammes tätig.

Noch ist es nicht klar ersichtlich, ob das Warschauer Regime das Gros der ehemaligen DP‘s in der Bundesrepublik, deren menschliche und wirtschaftliche Eingliederung in Deutschland ein äußerst schwieriges Problem ist, und denen aus diesem Grunde — anders als in Frankreich — nicht die Funktion der kommunistischen Hefe im deutschen Sauerteig übertragen werden kann, zurückzuziehen beabsichtigt. Anzeichen für eine solche Kampagne zur Re-Emigration liegen vor, doch ist ein abschließendes Urteil noch nicht möglich.

Programm der Tschechoslowakei Das dritte Satellitenland mit einem Program für seine abhanden-gekommenen Bürger im Ausland ist die Tschechoslowakei. Fraglos ist die CSR als Folge einer Reihe von Umständen — geographische Lage, westlicher Lebensstil, Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit seitens der USA — der antikommunistischen Aktivität des Westens am stärksten ausgesetzt. Daher kommt es wohl, daß die Regierung in Prag sich weitaus empfindlicher in ihren Gefühlen und heftiger in ihren Reaktionen gibt, als Bulgarien, Ungarn oder selbst Polen. Haß und Mißtrauen sind der Nährboden, Verdächtigungen und Erpressungen die Mittel, die diesen Sektor des Kalten Krieges charakterisieren. Natürlich wirkt sich das auch auf die Flüchtlinge aus, die als Helfer begehrt, als Menschen aber vernachlässigt in einer Atmospäre zunehmender Demoralisierung in Lagerbaracken hausen. Dazu kommt das besonders heikle Problem, das sich für jeden Tschechen aus der Anwesenheit von 2, 5 Millionen heimatvertriebener Sudetendeutscher in der Bundesrepublik ergibt. Das Ergebnis ist eine spürbare Anfälligkeit der Tschechen und Slowaken gegenüber den kommunistischen Propagandaparolen.

Anders als im Falle Warschaus, das, mit Hundertausenden von Auslandspolen rechnend, eine Politik auf weite Sicht betreibt, sieht Prag sich einer Exilbevölkerung von ca. 10 000 Tschechen und Slowaken in Westeuropa gegenüber. Von einer Verwendung dieser Gruppe für kommunistische Propagandazwecke im Westen kann daher nicht die Rede sein. Ausgenommen natürlich die Tätigkeit der zahlreichen von Prag entsandten Agenten, die, je nach Bedarf zurückbeordet, als „freiwillige“ Kronzeugen gegen den Westen aufzutreten pflegen. Die logische Folgerung lautet also, daß das Regime an einer Liquidierung des Exils, das trotz seiner geringen Zahl eine potentielle Gefahr und eine Hilfsquelle der antikommunistischen Propaganda der Amerikaner darstellt, lebhaft interessiert sein muß. Und in der Tat ist seit wenigen Monaten eine immer intensiver werdende Kampagne zur Rückkehr in die CSR zu beobachten, die an Aggressivität die Bestrebungen Sofias weit übertrifft. Während der bulgarischen Aktion eine, wie wir feststellen, innerpolitische Bedeutung zukommt, ist im Falle der CSR hiervon nichts zu merken. Das kommunistische Regime in Prag hat nur das eine Ziel: die politische Emigration zu zerschlagen, die führenden Männer im Exil zu diskreditieren und damit die Propaganda der amerikanischen Rund-funkstationen zunichte zu machen. Einen ersten „Erfolg“ in dieser Richtung konnte Prag für sich buchen, als Bohumil Lausman, Industrie-Minister von 1945— 1948, am 2 5. Mai 19. 54 vor der CSR-Presse detaillierte Angaben über die Tätigkeit der tschechoslowakischen Exilpolitiker, des sogenannten Rates der Freien Tschechoslowakei in New York und des Senders RFE machte. Lausman, der Anfang Dezember 1953 aus seiner Wohnung in Salzburg spurlos verschwunden war, gab an, freiwillig in die CSR zurückgekehrt zu sein und legte nach bekanntem Vorbild ein Schuldbekenntnis seiner konspirativen Verbrechen gegen die tschechoslowakische Volksdemokratie ab. Seine Geständnisse umfaßten das ganze Register der seitdem von Prag benutzten Propaganda-thesen: das Wiedererwachen des deutschen Revanchismus, der von den amerikanischen Kapitalisten geschürt würde; die landesverräterische Tätigkeit der Exilpolitiker, die von den LISA bestochen und finanziert, die Vernichtung der Volksdemokratie vorbereiteten; das jeder Beschreibung spottende Elend, in welchem die Flüchtlinge in Österreich und Westdeutschland zu leben gezwungen seien; die sich langsam durchsetzende Einsicht, daß die Rückkehr in die Heimat der einzig mögliche Weg für die tschechischen und slowakischen Emigranten sei.

Am 31. Juli 1954 folgte eine über den Sender Prag verbreitete Erklärung von Frantisek Zvolsky, einem tschechischen Doppelagenten, der angeblich im Dienst der amerikanischen Spionageabwehr gestanden hatte. Seine Angaben, in vielen Details zutreffend, entsprachen in ihrer Tendenz und Schärfe den Geständnissen des Minister Lausman. Sie wurden von der Propaganda der Satellitenländer aufgegriffen und füllten tagelang die Spalten nicht nur der tschechoslowakischen Presse. Wenig später, am 29. 9. 1954, trat ein 20jähriger Flüchtling, Bruno Folta, der zwei Jahre lang freier Mitarbeiter und Ansager beim Sender Free Europe in München gewesen war, vors Mikrophon in Prag und schilderte ausführlich und präzis interne Vorgänge, Persönlichkeiten und Propagandamethoden der amerikanischen Rundfunkstation.

Nachdem durch solche und ähnliche Geständnisse der Boden propagandistisch vorbereitet worden war, setzte dann um die Jahreswende 1954/55 die Kampagne zur Rückkehr in die CSR ein. Der Moment war insofern günstig gewählt, als die Aussichtslosigkeit auf eine baldige Befreiung, die Verbitterung über die Lage der Flüchtlinge und die allgemeine Emigrationsmüdigkeit zu einem moralischen Verfall geführt hatten, der den kommunistischen Parolen geradezu entgegenkam.

Nadi dem Prinzip, den Punkt des schwächsten Widerstandes anzugreifen, wurde die Aktion im Lager Valka mit seinen 600 tschechischen und slowakischen Insassen gestartet. Eine Flut von privaten Briefen Angehöriger aus der CSR, Anweisungen der tschechoslowakischen Militärmission in Berlin über die Prozedur der Repatriierung und anonymen Kettenbriefen brach über die Flüchtlinge im Lager herein. Die Briefe kamen aus London, Paris, New York, Chicago, Salzburg, Berlin, München und anderen Städten Europas und überseeischer Länder. Gerüchte, welche in der Atmosphäre der Unsicherheit wie Unkraut hervorzuschießen pflegen, wurden planmäßig verbreitet. Es war die Rede von einer Anfang Mai zu erwartenden Amnestie, die mittlerweile tatsächlich am 9. d. M. von Prag verkündet worden ist, von rigorosen deutschen Maßnahmen (Ausweisung, Kasernierung, Zwangsarbeitsverpflichtung)

gegen die Flüchtlinge nach Herstellung der Souveränität sowie von dem Verrat der Amerikaner, die die Emigranten nunmehr ihrem Schicksal überlassen würden.

Die HEPND-Organisation Trugen diese Kommunikationen noch den Charakter des Zufälligen, so konnte kein Zweifel mehr an dem Vorhandensein einer regelrechten Kampagne bestehen, als im Februar d. J. Hunderte von Tschechen und Slowaken die erste Nummer einer Flugschrift erhielten, die von einer „Exilbewegung zur Rückkehr in die Heimat" (HEPND) herausgegeben und verschickt wurde. In dem einleitenden Artikel heißt es: „Es ist sinnlos, darauf zu warten, daß das Regime durch innere Kräfte gebrochen wird — davon überzeugten uns sieben Jahre im Exil. Die Hoffnung auf einen Krieg wird immer illusorischer angesichts des sich ausbreitenden Gedankens der Ko-Existenz. Aber selbst wenn die Zukunft einen Krieg brächte, so werden in erster Linie wir es sein, die in den Reihen der nazistischen Wehrmacht fallen werden. Sind wir deshalb ins Exil gegangen? Für uns gibt es nur einen Weg — die Rückkehr nach Hause.“ Und weiter: „Haltet euch an die Anweisungen, die HEPND herausgibt, unterstützt unsere Aktionen. Nehmt Verbindungen mit euren Bekannten und Freunden auf, verbreitet die Grundsätze der Bewegung. Achtet auf eure Sicherheit. Hütet euch vor feindlichen Agenten. Tretet nicht aus den Exilorganisationen aus, wartet weitere Anweisungen ab. Habt immer das Ziel der HEPND vor Augen — die Rückkehr in die Heimat.“ Der Nummer 1 dieses Bulletins folgten weitere acht, Eine genaue Analyse des Textes hat folgendes ergeben: 1. die Flugschrift wurde in Prag zusammengestellt und von dort aus an bestimmte Verteilungszentralen verschickt. Diese Stützpunkte im Ausland sorgten für den weiteren Postversand. 2. Die ausgezeichneten Informationen über die Zustände im Rat der Freien Tschechoslowakei und anderer Emigrantenorganisationen, einschließlich der Sudetendeutschen, beweisen, daß HEPND über eine Reihe von Mitarbeitern im Exil verfügt. 3. Die Herausgeber standen in Verbindung mit dem Sicherheits-und Innenministerium in Prag. Dafür zeugt u. a. eine Mitteilung in der Nr. 3 des Bulletins, wonach Mitglieder einer Reihe von Organisationen (RFE, Stimme Amerikas, Rat der Freien Tschechoslowakei, Slowakischer Nationalrat etc.) von der Repatriierung ausgeschlossen sind.

Sofort nach Verkündigung der Amnestie begannen im Valkalager unter der Regie von Vojtech Balcar und Karel Snajdr (Schneider), die sich nunmehr offen als Beauftragte der HEPND-Organisation ausgaben, die Vorbereitungen zur Rückkehr von Flüchtlingen in die CSR. Noch im Laufe des Mai verließen etwa 12 Tschechen und Slowaken die Bundesrepublik, nachdem sie sich offiziell bei der „Bundesdienststelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“ abgemeldet hatten.

Herrschte in den ersten Wochen nach Bekanntgabe der Amnestie noch Unklarheit über die offizielle Beteiligung der Prager Regierung, so änderte sich die Situation grundlegend als in den ersten Junitagen ein „Komitee für die Betreuung von Flüchtlingen, die auf Grund der Amnestie in die CSR zurückkehren“, seine Tätigkeit aufnahm. Unter dem Vorsitz von Dr. Klinger, einem Abgeordneten der sozialistischen Partei, übernahm dieses Komitee mit dem Sitz in Prag I, Platz Dr. V. Vacek 2, die Sorge für alle Rückkehrer. Am 10. 6. erklärte Dr. Klinger auf einer Pressekonferenz, daß jeder Flüchtling ohne Rücksicht auf Nationalität, Glaubensbekenntnis, politische Überzeugung und Parteizugehörigkeit in der CSR willkommen sei. Die Repatrianten sollten sich entweder an die konsularischen Behörden im Ausland beziehungsweise unmittelbar an das Prager Komitee wenden. Nach ihrer Heimkehr würde das Komitee für ihre berufliche und menschliche Eingliederung in den volksdemokratischen Staat sorgen.

Mit der Konstituierung des Klinger-Ausschusses stellte das HEPND-Bulletin, das auf minderwertigem Papier vervielfältigt, bewußt den halb-konspirativen Charakter der vorbereitenden Phase der Rückkehrkampagne kennzeichnete, sein Erscheinen ein. An die Stelle trat eine reguläre mit außerordentlichem Geschick zusammengestellte Zeitung „Hlas Domova“ (Die Stimme der Heimat) — das offizielle Organ des Komitees in Prag. Seit dem 14. Juni 5 5 wird die Zeitung wöchentlich an die Privatadressen von Flüchtlingen im Ausland verschickt, wobei sämtliche Sendungen den Poststempel Prag tragen. Bisher sind vier Ausgaben im Ausland eingetroffen. Offensichtlich wurde der Name „Hlas Domova“ als eine programmatische Antwort auf die in München erscheinende Zeitung der tschechoslowakischen Emigration „Hlas Exilu“ gewählt. Reich bebildert, unter Verzicht auf kommunistische Propagandaparolen und im Tone milder als das HEPND-BuIIetin wendet sich „Hlas Domova“ vornehmlich an das Gefühl und die Sehnsucht der Flüchtlinge nach der „alten Heimat“.

Bemerkenswert ist eine Verlautbarung in der Nr. 3, wonach es Angehöriger bestimmter Exilorganisationen, die nach dem HEPND-Bulletin auf der schwarzen Liste standen, nunmehr freisteht, ebenfalls in die CSR zurückzukehren. Als Beweis für diese Behauptung werden die Namen von zwei ehemaligen Mitarbeitern des Senders Free Europe genannt, die bei ihrer Rückkehr vom Klinger-Ausschuß akzeptiert wurden.

Ein weiteres Mittel der immer intensiver werdenden Kampagne ist die Abhaltung von Pressekonferenzen mit Rückkehrern seit Anfang Juni d. J. Am 4. 6. trat Vladimir Kucera, eine zwielichtige Figur, skrupellos, intelligent und von krankhaftem Geltungsbedürfnis, vor das Prager Mikrophon und gab seine Erfahrungen mit deutschen Flüchtlingsbehörden, karitativen Verbänden und dem Münchner Sender zum besten. Eine Woche später, am 10. 6„ standen vier Rückkehrer aus Valka den Journalisten Rede und Antwort, unter ihnen Karel Snajdr (Schneider), der an seine in der Bundesrepublik verbliebenen Kameraden einen senti-mental verbrämten Appell zur sofortigen Heimkehr richtete. Es folgten Pressekonferenzen und Verlautbarungen des Senders Prag am 14., 16., 22. und 25. Juni. Am 30. 6. plauderten zwölf ehemalige Mitglieder der Fremdenlegion über ihre Eindrücke im „Goldenen Westen".

Nach vorliegenden Berichten sind bis Anfang Juli insgesamt 41 Flüchtlinge auf Grund der Amnestie in die CSR zurückgekehrt, darunter Agenten und Abenteurer, aber auch enttäuschte und verbitterte Menschen. Aus politischen Gründen d. h. aus Vorliebe für das kommunistische Regime hat kaum ein Einziger den schweren Weg angetreten.

Mittlerweile haben sich amerikanische wie auch deutsche Stellen eingeschaltet und sind bemüht, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der kommunistischen Agitation zu begegnen. Es herrscht Klarheit darüber, daß mit einer Gegenpropaganda allein nichts erreicht werden kann. Nur praktische Hilfe — Beschaffung von Arbeit, Ausbildungsmöglichkeiten, Wohnungszuweisung und Ermöglichung der Auswanderung — kann in diesem Stadium der Entwicklung eine Repatriierung von enttäuschten und aufgehetzten Flüchtlingen in die CSR verhindern.

Lage der ungarischen Emigration Innerhalb der ungarischen Emigration (ca. 30 000), die wirtschaftlich besser situiert, politisch liberal bis rechts gerichtet, einen wesentlich höheren Lebensstandard in den westeuropäischen Gastländern erreicht hat als die Tschechen, Slowaken, Polen und Bulgaren, sind bisher kaum Anzeichen für einen Repatriierungswillen festzustellen. Gewiß gibt es, besonders in Österreich, Fälle von Flüchtlingen, die aus persönlichen Gründen enttäuscht und verbittert, sich mit der Möglichkeit einer Rückkehr nach Ungarn befassen. Aber das sind Einzelfälle, die bei unserer Betrachtung kaum ins Gewicht fallen. Anders sieht es unter den ca. 9000 Ungarn in Frankreich aus. Dort hat die ungarische Gesandtschaft in Paris ein attraktives kulturelles " Programm entwickelt, das sich bereits auszuwirken beginnt. Dazu kommt das Nachlassen der politischen Spannungen im Lande selbst, die wirtschaftlichen Fortschritte der nach-stalinistischen Ära sowie die Erleichterungen im Reiseverkehr zwischen Frankreich und Ungarn. Auch hat Ugarn im April eine Amnestie erlassen, den Flüchtlingen, ähnlich wie in Bulgarien, bei freiwilliger Rückkehr Straffreiheit zugesichert. Bedenkt man ferner, daß die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages und die zu erwartende Zurückziehung der Roten Armee aus dem Donauraum Rückwirkungen auf Ungarn haben dürfte, die heute noch nicht zu überschauen sind, so wird die Sorge verständlich, mit der führende Köpfe des ungarischen Exils'in die Zukunft blicken.

Lohnt es sich noch?

Sah es noch vor wenigen Wochen so aus, als würden die Heimkehrparolen von Sofia, Warschau und Prag einer lokalen Initiative entspringen, so besteht seit dem 29. März 195 5 kein Zweifel mehr daran, daß Moskau seine Hand im Spiele hat. An diesem Tage trat in Ostberlin ein „Komitee zur Rückkehr in die Heimat“ mit einer Deklaration vor die Öffentlichkeit. Dieses aus ehemaligen DP‘s zusammengesetzte Komitee wandte sich unter der Leitung des Generalmajors Michailov an die Sowejtbürger im Westen, Russen, Ukrainer, Kalmücken, Georgier, aber auch Esten, Letten und Litauer, mit der Aufforderung, in die Heimat der Werktätigen zurückzukehren. Anläßlich einer von dem Komitee veranstalteten Pressekonferenz wurde ein ukrainischer Über-läufer, Prof. Wassilaki, ein wegen seiner politischen Einstellung und seiner undurchsichtigen Verbindungen von den Ukrainern im Westen gemiedener Mann, als erstes Beutestück den Journalisten präsentiert.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, daß Wassilaki vermutlich bereits seit 1945 sowjetischer Agent gewesen ist, eine Tatsache, die die Glaubwürdigkeit seiner Erklärungen in Ostberlin nicht gerade bekräftigt hat.

Das sowjetische Komitee für die Rückkehr in die Heimat, das sich mit einem großen Mitarbeiterstab in einem Ostberliner Bürohaus niedergelassen hat, scheint bisherigen Informationen zufolge eine umfangreiche Tätigkeit zu entfalten: 1. Aktivpropaganda für die Repatriierung von ehemaligen Sowjetbürgern durch Herausgabe von Broschüren, Zeitungen und Briefen -das offizielle Organ des Komitees heißt „Za Voswratschenie na Rodinu“ (Für die Rückkehr in die Heimat). 2. Diskreditierung der Emigranten und ihrer Organisationen in den Augen der westlichen Aufnahmeländer, insbesondere in der Bundesrepublik. (Ein solcher Versuch dürfte das Attentat auf den führenden slowakischen Politiker Prof. Matus Cernak sein — vorausgesetzt natürlich, daß es sich um eine kommunistisch gesteuerte Aktion handelt.) 3. Anwerbung von Agenten zum Zwecke der Diversion innerhalb der verschiedenen Emigrationsgruppen. 4. Genaue Ermittlungen über die antisowjetische Tätigkeit von Emigrantenorganisationen. Der Besitz eines solchen Materials dürfte für die Sowjetregierung in dem Augenblick, wo sie sich bereit findet, über ein zukünftiges Gesamtdeutschland zu verhandeln, von größtem Vorteil sein. Der Verdacht liegt daher nahe, daß der Name „Komitee für die Rückkehr in die Heimat“ aus Gründen der Tarnung gewählt wurde. Auch würde nur eine Massenrepatriierung, mit der die Sowjets in keinem Fall rechnen können, den vom Komitee betriebenen Aufwand erklären.

In großen Zügen ist dies die Situation, wie sie sich heute darstellt.

Zehn Jahre, nachdem Stalin die Grenzen seines Machtbereiches bis an die Elbe und Donau vorgetrieben hatte, sehen sich die politischen Emigranten aus Osteuropa und der Sowjetunion einer bedrohlichen Krise gegenüber. Entmutigt durch die lange Zeit des vergeblichen Ausharrens, der Hoffnung auf eine Befreiung ihrer Heimatländer beraubt, wirtschaftlich, aber auch menschlich in unsicheren Verhältnissen lebend, geduldet zwar von den Gastländern und für bestimmte Zwecke der psychologischen Kriegsführung entlohnt, aufgesplittert in unzählige sich gegenseitig bekämpfende Gruppen, erleben sie es, daß die kommunistischen Regime sich zum Angriff auf ihre Existenz rüsten. Und obgleich viele noch entschlossen sind, sich zu wehren, erhebt sich unter ihnen die bange Frage: Lohnt es sich noch? Hat der Widerstand nicht seinen Sinn verloren, wird es uns nicht so ergehen, wie jenen weiß-russischen Emigranten, die vergeblich auf eine Rückkehr in Freiheit hoffend, den bitteren Weg einer sinnlos gewordenen Emigration beschritten! Anmerkung:

Harald Laeuen, geb. 1902 in Stolp/Pom., Studium der Volkswirtschaft, 1924 Dr. rer. pol., 1925— 29 Assistent und Dozent am Politischen Kolleg, Berlin. Politischer Redakteur in Stettin und Breslau. 1935— 39 Korrespondent in Warschau. Während des Krieges auf dem Balkan und in Berlin. Nach dem Kriege Journalist in Berlin und Hamburg. Herausgeber des „Ost-Dienst" und Chefredakteur des „Ost-West-Kurier" in Frankfurt/M.

Robert Bertram, geb. 9. 9. 1918 in Archangelsk/Rußland. Deutschbalte. Wohnte bis 1941 in Reval und Dorpat, wo er Geschichte studierte. Kurz vor Kriegsausbruch zwischen Deutschland und der Sowjetunion ging er nach Posen. Promovierte mit einer Arbeit über den russischen Staatsmann Graf Ostermann, der als Heinrich Johann Ostermann in Bochum geboren wurde. Nach 1945 journalistisch tätig; wanderte mit Familie 1952 nach den USA aus. Kehrte im Auftrag einer amerikanischen Organisation nach der Bundesrepublik zurück, wo er z. Z. die Belange heimatvertriebener Ausländer aus den osteuropäischen Staaten vertritt.

Fussnoten

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