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Ursprung und Entwicklung der englisch-französischen Entente | APuZ 30/1955 | bpb.de

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APuZ 30/1955 Die Atombombe und die Nato Ursprung und Entwicklung der englisch-französischen Entente

Ursprung und Entwicklung der englisch-französischen Entente

Harold Nicolson

Mit Genehmigung des Verlages wie des Verfassers veröffentlichen wir den folgenden Aufsatz von Sir Harold Nicolson, erschienen in der englischen Zeitschrift „INTERNATIONAL AFFAIRS" (Oktober 1954).

Einem so bedeutsamen Thema wie der „Entente Cordiale" wird ein Mann nicht ohne Bedenken seine eigenen Erlebnisse oder Erinnerungen hinzufügen. Andererseits ist es bei der Beurteilung von historischen Ereignissen von Wichtigkeit, eine Vorstellung von der zu jener Zeit herrschenden allgemeinen Stimmungsatmosphäre und politischen Einstellung zu haben.

Das am 28. April 1904 abgeschlossene englisch-französische Abkommen, später unter dem Namen „Entente“ bekannt, bedeutete einen Richtungswechsel in der englischen Außenpolitik.

Mein Vater wurde 1895 zum englischen Gesand-•ten in Marokko ernannt. Vom 9. bis zum 18. Lebensjahr war für mich dieses herrliche und zu jener Zeit uneinige Land daher nichts weiter als nur ein Ort, wo ich meine Ferien verbrachte.

Heute ist mir klar, daß mein Vater wenigstens während der ersten sechs Jahre seiner Tätigkeit die Aufgabe hatte, für die Unabhängigkeit der Marokkaner und gegen den Einfluß der Franzosen beim Sultan zu arbeiten, selbst als sein Gegenspieler, der französische Generalkonsul in Kairo, seine ganze Überredungskunst aufbot, um den Khediven davon abzuhalten, Lord Cromers sanfter Überredungskunst ganz zu erliegen, und ihn zu überzeugen suchte, daß es noch andere Wege gäbe. Ganz plötzlich aber scheint ein neuer Kurs eingeschlagen worden zu sein. Mein Vater und auch der französische Generalkonsul in Kairo wurden angewiesen, einen anderen Kurs zu wählen-Anstatt die Marokkaner gegen die Franzosen einzunehmen, mußte mein Vater ihnen nun raten, den Franzosen volles Vertrauen zu schenken; der französische Generalkonsul hingegen durfte den Khediven nicht mehr zu überzeugen versuchen, Lord Cromer sei unangenehm, sondern mußte seiner Hoheit vrsichern, wie außerordentlich nett er sei. Da sie beide geschulte Diplomaten und sich daher bewußt waren, daß örtliche Streitigkeiten der großen Politik unterzuordnen seien, so bin ich überzeugt davon, daß sie ihre Aufgabe mit Loyalität und Geschick lösten. Mein Vater war meines Wissens über den Stellungswechsel sehr erfreut, da er schon immer die besten persönlichen Beziehungen zu seinen beiden aufeinander folgenden französischen Kollegen, Monsieur St. Rene Taillandier und Monsieur Revoil, unterhalten hatte, während es ihm schwergefallen war, ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen deutschen Kollegen herzustellen Aber noch aus einem anderen weit wichtigeren Grund begrüßte er das französische Protektorat über ein Land, um dessen Unabhängigkeit er sich während der letzten acht Jahre mit immer geringerer Zuversicht bemüht hatte. Lim das Jahr 1903 herum war er zu der Ansicht gelangt, daß die Schwäche der Landesregierung und der Ehrgeiz und aufrührerische Geist der örtlichen Kaids eine stabile Regierung in Marokko unmöglich machen würden. Er hatte so viele Verfolgungen, Ungerechtigkeiten, Seuchen, so viel Korrupion und Elend gesehen, die das marokkanische Volk erleiden mußte und auch weiterhin zu erdulden heben würde, daß er eine starke Macht zur Ausmistung dieses Augiasstalles herbeiwünschte. In jenen Tagen hielt man es noch eines zivilisierten Landes für wert und würdig, sich mit der Verantwortung für ein unzivilisier-tes Land zu beladen, um es von Mißständen zu säubern und ihm zu helfen-Heute nennt man es „Imperialismus“ und findet es besonders abscheulich. Wenn ich mich heute bei einem Besuch in Marokko des Elends, der moralischen Verworfenheit und Grausamkeit erinnere (und ich erinnere mich sehr deutlich daran), deren Zeuge ich vor 1905 war, kann ich nur Lyautey für sein großartiges Werk preisen und die Marokkaner beglückwünschen, daß sie zur rechten Zeit in den Genuß eines aufgeklärten Imperialismus gekommen sind. Präsident Wilson würde das 1904 zwischen Lansdowne und Cambon abgeschlossene Abkommen für ein typisches Beispiel alter Diplomatie gehalten haben, da man die Völker hin und herschob, als wären sie Bauern im Schachspiel. Aber Präsident Wilson kannte die damaligen Lebensbedingungen der Bauern nicht aus eigener Anschauung.

Tragweite des Abkommens von 1904

Das deutsche Auswärtige Amt begriff gar nicht die große Tragweite der 1904 abgeschlossenen Abkommens. Fürst Bülow unterhielt zwar einen umfassenden Nachrichtendienst, doch arbeitete dieser nicht lückenlos. Einer der schlimmsten Versager war Herrvon Holstein, und ich kann nur hoffen, daß ich noch vor meinem Tode einmal den wirklichen Grund erfahren werde, warum diese „tollwütige Hyäne“ in jenen entscheidenden Jahren den Außenminister, den Reichskanzler, die Botschafter und das ganze deutsche Auswärtige Amt zu beherrschen in der Lage war. Das Gerücht, er habe sie einfach erpreßt, kann mich nicht überzeugen, denn er kann nicht alle gleichzeitig erpreßt haben. Wie die Dinge sich auch verhalten haben mögen, durch die unlautere und mißtrauische Haltung Holsteins wurde die Entente unvermeidlich, und Deutschland wurde daran gehindert, mit Ruhe und Verstand die Lage zu meistern.

Wäre Holstein nicht gewesen, dann hätte Deutschland in der Zeit zwischen 1899 und 1901 wahrscheinlich einen Bündnisvertrag abschließen, sicherlich aber eine endgültige Regelung mit Großbritannien treffen können. Im Herbst 1899 sagte Joseph Chamberlain, das dynamische Element im damaligen englischen Kabinett, in einer Rede in Leicester, jeder müsse einsehen, daß ein Bündnis zwischen uns und dem deutschen Reich das natürliche wäre. Wären die Deutschen auf diese bedeutsame Anregung eingegangen, wäre bald ein Abkommen geschlossen worden, das Deutschlands Teilnahme am Wettlauf um Afrika gesichert und die Entente mit Frankreich und Rußland praktisch und nicht nur theoretisch zu einer „diplomatischen Unmöglichkeit" gemacht hätte.

A Wir dürfen nicht vergessen, daß die feindseligen Gefühle, die der Burenkrieg auf dem Kontinent ausgelöst hatte, uns zu jener Zeit überrascht, ja, sogar erschreckt haben. Immer wieder muß die englische Öffentlichkeit erstaunt feststellen, daß ihr Land nicht überall in der Welt immer und unter allen Umständen spontan und allgemein geliebt wird. Diese Situation trat wieder ein, als wir der Burenrepublik den Krieg erklärten. Unsere anfänglichen Niederlagen wurden von Rotterdam bis Memel und von Vigo bis Irkutsk mit lauter Schadenfreude begrüßt. Joseph Chamberlain war es als einem der ersten klar, daß die Tage der „splendid isolation" für immer vorüber waren, was auch Lord Salisbury dagegen einzuwenden haben würde.

„Hammer oder Amboss”

Seinem Gefühl nach konnte das britische Empire nicht länger ohne einen einzigen Freund in Europa auskommen. Hätte Bülow seine Erwiderung auf die Leicester-Rede in eine verbindlichere Form gekleidet, dann wäre 1900 ein Übereinkommen mit Deutschland erzielt worden, das viel besser den natürlichen Gegebenheiten entsprochen hätte als das 1904 zwischen England und Frankreich abgeschlossene Abkommen. Doch was tat Bülow? Am 11. Dezember 1899 antwortete er mit den Worten, das zukünftige Deutschland „müsse entweder Hammer oder Amboß“ sein, wahrscheinlich eine der unrealistischsten Erklärungen, die je ein verantwortlicher Staatsmann in einem entscheidenden Moment abgegeben hat. Durch das deutsche Flottengesetz vom Jahre 1900 wurde das Programm des Jahres 1899 verdoppelt und eine große Hochseeflotte geschaffen. Im folgenden Jahre wurden die Verhandlungen über eine englisch-deutsche Entente wieder ausgenommen, nachdem Kaiser Wilhelm II. durch taktvolles Auftreten anläßlich des Todes und der Beerdigung der Königin Viktoria die durch die kühle Ablehnung hervorgerufenen Befürchtungen zerstreut hatte. Chamberlain umriß die Situation mit klaren Worten. England würde ein Bündnis mit Deutschland vorziehen, erklärte er, aber wenn sich Deutschland nicht zu einer realistischen Regelung verstehen würde, dann würden wir uns gezwungen sehen, uns um die Freundschaft Frankreichs und Rußlands zu bemühen. Diese Warnung wurde von Holstein als ein „vollständiger Schwindel“ und von Bülow als ein „Schreckgespenst“ in den Wind geschlagen. Die Verhandlungen wurden ruhig weitergeführt, bis das deutsche Auswärtige Amt, wie es scheint in Unkenntnis der verfassungsrechtlichen Tradition in Englands auswärtigen Beziehungen, die schriftliche Zusicherung verlangte, Großbritannien solle auch dann bewaffnete Hilfe leisten, wenn nicht nur Deutschland selbst, sondern auch seine Verbündeten (worunter Österreich, Italien und vielleicht auch Rumänien gemeint waren) angegriffen würden. Holstein hätte wissen müssen (vielleicht hat er es auch gewußt), daß keine englische Regierung einen Vertrag unterzeichnen konnte, der das Land zu der Teilnahme an einem Kriege verpflichten würde, den England möglicherweise gar nicht in der Hand hätte. Die Verhandlungen führten zu nichts.

Einige Wochen später nahm Baron Eckardtstein, Botschaftsrat an der Deutschen Botschaft in London, an einem Diner im Buckingham Palast teil. Er bemerkte, daß Joseph Chamberlain nach dem Essen eine lange und, wie es schien, freundschaftliche Unterredung mit dem französischen Botschafter Paul Cambon hatte. Was er aber nicht wußte, war, daß Cambon schon im Jahre 1901 Lord Lansdowne, der damals Nachfolger von Lord Salisbury als Außenminister war, schriftlich vorgeschlagen hatte, die französischen und englischen Interessen in Marokko zum Gegenstand eines Meinungsaustausches zu machen. Nebst anderen großen diplomatischen Fähigkeiten besaß Cambon in höchstem Maße die Kunst des Abwartens. Er wartete fast genau ein Jahr. Im Februar 1902 sandte Cambon einen zweiten Brief, als der Bau der deutschen Hochseeflotte die englische Öffentlichkeit schon zu beunruhigen anfing und die englische Regierung zu der Überzeugung gekommen war, daß ein Abkommen mit Deutschland wegen seiner außergewöhnlichen Forderungen unmöglich sei. Die Unterredungen sollten nach seinen Anregungen wieder ausgenommen werden und sich nicht nur auf Marokko, sondern auch auf die englischen Rechte in Ägypten, Siam, selbst auf die neuseeländischen Fischgründe und auf die Neuen Hebriden erstrecken. Lord Lansdowne hatte das Schreiben einen Tag vor der Abendgesellschaft im Buckingham Palast erhalten. Cambon erinnerte sich später, daß König Edward zu ihm gesagt hat: „Lansdowne hat mir Ihren Brief gezeigt. Er ist ausgezeichnet. Wir müssen der Angelegenheit näher treten". Kein Wunder, daß Baron Eckardtstein, der kein Narr war und der wußte, wie leicht die Engländer plötzlichen Impulsen nachgeben — oder plötzlichen Eingebungen müssen wir es hier wohl nennen —, an jenem Abend in gedrückter Stimmung ins Bett ging. Er muß gewußt haben, daß das deutsche Auswärtige Amt nicht an die Verwirklichung der Entente glauben würde. Er muß vorausgesehen haben, daß durch den Austausch zweier besonders wichtiger Interessensphären, nämlich unserer Interessen in Marokko gegen die französischen in Ägypten, die Unterzeichnung dieses Abkommens schließlich zu einer Beilegung der englisch-französischen Meinungsverschiedenheiten führen mußte. Und er muß vorausgeahnt haben (denn er kannte die Einstellung des deutschen Auswärtigen Amtes), daß das deutsche Auswärtige Amt auf den Vertragsabschluß in einer vom militärischen Geist geprägten Form reagieren würde. Was will dieser Ausdruck besagen? Ich meine damit folgendes: Die Deutschen neigen immer dazu, die Diplomatie als einen Krieg mit anderen Mitteln zu betrachten und zu Maßnahmen zu greifen, die im wesentlichen militärischer Art sind, wie die Kraftprobe, der Überraschungsangriff, ein Über-fall aus dem Hinterhalt, Einkreisungen, Stoßtruppunternehmen, strategischer Rückzug, vorbereitendes Feuer und Massenangriff. Baron Eckardtstein und sein Botschafter müssen gewußt haben, wie einfach es selbst noch im Jahre 1902 gewesen wäre, das Zustandekommen der englisch-französischen Entente zu verhindern, wenn man auf Täuschungsmanöver oder schroffe Maßnahmen verzichtet hätte. Es muß für diese beiden Männer eine traurige Erkenntnis gewesen sein, daß ihre Regierung ungeachtet ihrer persönlichen Ansicht gerade diese beiden Fehler begehen würde.

Eine gebrechliche und empfindsame Pflanze

Ich möchte nicht den Irrtum begehen und behaupten, daß alle Mitglieder der deutschen Regierung und des Auswärtigen Amtes blind, dumm, verschlossen und von einem krankhaften Mißtrauen gewesen sind. Viele von ihnen waren rechtschaffene Männer und hatten die Fähigkeit, konstruktiv zu denken. Aber die meisten von ihnen litten unter der Vorstellung, daß Diplomatie Krieg mit anderen Mitteln sei und meinten, daß man die Stärke einer feindlichen Kräfte-Konzentration mit militärischen Methoden prüfen müsse — ich könnte auch sagen „mit Hilfe von Regimentern“ —. Es war ihnen nicht bewußt, daß die Entente in ihren ersten Tagen eine gebrechliche und empfindsame Pflanze war, die weder in Frankreich noch in England die Sympathie der Öffentlichkeit genoß, sondern von Cambon, Lord Lansdowne und seinem Nachfolger Sir Edward Grey in einem kalten Gewächshaus gehegt wurde. Wäre die deutsche Diplomatie so klug gewesen, diese Staatsmänner und Diplomaten zu zwingen, ihren kleinen Setzling vorzeitig der frischen Luft auszusetzen, dann wäre er wohl wahrscheinlich verwelkt und vertrocknet. Sie aber bliesen kalte Stürme aus nord-östlicher Richtung und zwangen die Gönner der Entente, ihr Pflänzchen im Glashause zu lassen, es reichlich zu begießen, bis es schließlich ein kräftiger kleiner Baum wurde, stark genug, um den schon so bald hereinbrechenden Orkanen und Winterstürmen zu widerstehen.

Wir, die wir in den letzten 50 Jahren in einer Atmosphäre englisch-französischer Freundschaft großgeworden sind, können uns nicht vorstellen, in welchem Ausmaß die englisch-französischen Beziehungen im Jahre 1902 durch gegenseitige Abneigung, allseitiges Mißtrauen und langjährigen Groll vergiftet worden sind. Da war z. B. das Problem der Grenze zwischen Gambia und Senegambia und in dem Gebiet des Tschaad-See die Frage der von England in Ägypten, Siam und Madagaskar geforderten und verteidigten Position und vor allem der Faschoda-Zwischenfall, der die beiden Länder gut und gerne in einen völlig unnötigen und sinnlosen Krieg hätte stürzen können, wenn nicht Männer wie Lord Kitchener, Lord Salisbury und Delcasse ihn dank ihrer überragenden Klugheit verhindert hätten.

Allgemein wird behauptet, daß das Klima eisiger Feindseligkeit als Folge der Reise König Eduard VII. im Frühjahr 1903 nach Paris und des von Präsident Loubet im darauffolgenden Juli gemachten Gegenbesuches in Sommerwetter umgeschlagen ist. Zweifellos hat der Austausch von Höflichkeitsbezeugungen einen mildernden Einfluß ausgeübt. So herzlich sich König Eduard bei seinem Pariser Besuch zu geben wußte, so mürrisch und ungeduldig war er, wenn er sich in Gesellschaft seines Neffen, des deutschen Kaisers, befand. Ich habe jedoch den Eindruck, daß Historiker im allgemeinen, und im besonderen die deutschen Historiker, dazu neigen, den von König Eduard in der Außenpolitik ausgeübten Einfluß zu überschätzen. Mein Vater, der König Eduard häufig auf seinen Auslandsreisen begleitet hat, hat immer behauptet, daß Seine Majestät keine tieferen Kenntnisse der internationalen Angelegenheiten besessen hat und sich nicht sehr viel darum kümmerte, wenn er auch erstaunlich gut über internationalen Klatsch unterrichtet war und sich gern an ihn erinnerte. Niemals hat er einen Standpunkt vertreten, ohne vorher der Zustimmung und der Ermutigung seines Kabinetts sicher zu sein. Die Tatsache, daß er sich im Auslande mit ausländischen Monarchen und Staatsmännern ohne Begleitung irgendeines verantwortlichen Kabinettsministers unterhielt, war in jener Zeit, als das öffentliche Interesse an der Außenpolitik noch sehr gering war, kein Grund zu übermäßiger Beunruhigung. Das Unterhaus hat gewußt, daß der wahre Grund für dieses scheinbar verfassungswidrige Verhalten in Sir Edward Greys grundsätzlicher Weigerung zu suchen war, auf Auslandsreisen zu gehen oder Ausländer in ihrem eigenen Lande aufzusuchen.

Gewiß war König Eduard durch sein erstaunliches Prestige und seinen Charme ein ausgezeichneter Botschafter, der sich aber an die von Lord Lansdowne oder Sir Edward Grey mitgegebenen Instruktionen hielt. Zweifellos war seine Wirkung auf die Pariser Öffentlichkeit außerordentlich groß. Vielleicht hat er durch sein verwirrendes und fast herausfordernd lässiges Benehmen das Geltungsbedürfnis Kaiser Wilhelms noch gesteigert. Doch hat er sich nie verfassungswidrig betragen und ist, wie mein Vater zu sagen pflegte, „unter gewissen Umständen das beste Zugmittel gewesen, das der Diplomatie je zur Verfügung gestanden hat“. Unter „gewissen Umständen“ verstand mein Vater natürlich nicht Deutschland, sondern Frankreich, Rußland und in beträchtlichem Aysmaße auch ÖsterreichUngarn, Italien und Spanien. Nachdem Fürst Bülow Chamberlains Angebote zurückgewiesen hatte, war die Entente in jedem Fall unvermeidlich geworden. Doch wäre der Abschluß der Entente ohne König Eduards Einfluß nicht so leicht und schnell vonstatten gegangen. Flätte nicht Clausewitz einen so großen Einfluß auf die deutsche Meinung ausgeübt, dann wäre die Entente vielleicht immer nur ein passives politisches Instrument geblieben mit dem begrenzten Zweck, besondere Reibungspunkte aus der Welt zu schaffen. Wenn das deutsche Auswärtige Amt 1904 eine geschicktere Diplomatie gemacht hätte, wie z. B. mit viel Erfolg 1911 nach dem Agadir-Zwischenfall gegenüber Frankreich und 1913 in der Frage der Bagdad-Bahn und den portugiesischen Kolonien gegenüber Großbritannien, dann wäre das gute Einvernehmen zwischen Paris und London vielleicht gestört worden oder wäre von Beginn an fragwürdig geblieben. Aber es griff zu anderen Methoden. Es faßte den Entschluß, es mit der Kraftprobe, mit dem Überraschungsangriff zu versuchen.

Drei Herausforderungen

Die Mitglieder des damaligen Unterhauses, beunruhigt durch den Gedanken, die Entente könnte uns in europäische Verwicklungen hineinziehen, würden sicherlich jede Versöhnungsgeste Deutschlands begrüßt haben. Aber es kam keine Geste. Die deutschen Flottengesetze wurden durch Zusatzvoranschläge oder Novellen ständig erweitert, was die britische Öffentlichkeit berechtigterweise beunruhigte: Drei Demonstrationen Deutschlands, die an Herausforderungen grenzten, wurden zum Prüfstein der Festigkeit der Entente und haben dazu beigetragen, sie zu stärken. Die englischen Regierungen sind zu allem bereit, selbst zu offensichtlicher Treulosigkeit, um einen Kompromiß zu erreichen, aber sie werden keinen Zoll weichen, wenn sie sich einer Herausforderung gegenüber sehen.

Die erste Herausforderung war wirklich grotesk. Fürst Bülow verleitete Kaiser Wilhelm durch eine Indiskretion in der Presse zu einem persönlichen Besuch Tangers. Der Kaiser, der sich diesem Abenteuer immer widersetzt hatte, da er es für gefährlich und unwürdig hielt, befand sich am 31. März 1905 auf offener und sturmgepeitschter Bucht in einem Boot vor Tanger und ruderte wütend an Land. Bei seiner Landung versicherte er dem Vertreter des Sultans, sein Besuch sei als eine Anerkennung der Unabhängigkeit Marokkos gedacht oder mit anderen Worten, er sei als eine öffentliche Demonstration aufzufassen, daß Deutschland das vor knapp einem Jahr unterzeichnete englisch-französische Abkommen nicht anerkenne. Diese übel aufgenommene Geste hat drei-Ergebnisse gezeitigt: Sie trug dazu . bei, die französische öffentliche Meinung davon zu überzeugen, daß das Protek-torat über Marokko, bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als nur ein Versuch der Regierung, eine nationale Angelegenheit sei. Sie trug dazu bei, die englische öffentliche Meinung davon zu überzeugen, daß die Entente, die bis zu diesem Zeitpunkt für nicht viel mehr als nur für ein Instrument zur Regelung besonderer Meinungsverschiedenheiten gehalten wurde, eine Einrichtung sei, die man gegen den Druck der Deutschen verteidigen müsse. Lind es veranlaßte die Deutschen in der Person ihres Kaisers zur Verteidigung der Unabhängigkeit der Marokkaner selbst auf die Gefahr eines Krieges hin.

Ich möchte nicht behaupten, daß die deutsche Regierung in der marokkanischen Angelegenheit keinen legitimen Grund zur Klage hatte. Sie ist nicht rechtzeitig um Rat gefragt worden, und sie hätte bestimmt um Rat gefragt werden müssen genau wie die Spanier auch. Ich behaupte nur, daß ihre Reaktionen diplomatisch unkorrekt waren. Großbritannien ist dadurch gezwungen worden, seine volle Unterstützung in der zweiten und mildesten der drei Kraftproben, nämlich 1906 auf der Algeciras-Konferenz, Frankreich zu leihen. Auf Grund der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Frankreich gelang es den Deutschen auf dieser Konferenz nicht, irgendeine ihrer wichtigsten Anliegen durchzusetzen. Sie haben tatsächlich eine erhebliche diplomatische Niederlage erlebt. Italien hat gegen sie Stellung genommen; die Sympathien der Vereinigten Staaten waren sichtlich auf Seiten Frankreichs; und Deutschland selbst offenbarte sich durch seine Täuschungsmanöver und verhüllten Drohungen als eine unzuverlässige und gefährliche Macht. Darüber hinaus hatte die Konferenz bewiesen, daß die Entente viel stärker war als Europa vermutet hatte. „Wenn man", schrieb Andre Tardieu, „die veränderte Situation definieren möchte, dann könnte man sagen, daß in Algeciras die Entente von einer statischen zu einer dynamischen Institution geworden ist. Ihre Stärke nahm nunmehr in entsprechendem Maße zu“.

Ermutigt durch die auf der Algeciras-Konferenz erzielten Ergebnisse, machten die Franzosen schnelle Fortschritte bei der Errichtung eines Protektorates in Marokko. Vielleicht sind sie hierbei zu schnell und zu weit vorwärts gegangen; vielleicht haben sie auch nicht die notwendige Vorsicht walten lassen, um wenigstens die schweigende Zustimmung der deutschen Regierung zu erwerben. Inzwischen hatte die englische Regierung 1907 eine Entente mit Ruß-land geschlossen, eine diplomatische Kombination, die selbst die feinfühligeren deutschen Staatsmänner für eine politische Unmöglichkeit gehalten hatten. 1909 folgte dem Fürsten Bülow der klügere, wenn auch nicht so brillante Bethmann-Hollweg als Kanzler. Sofort wurden Verhandlungen mit England ausgenommen, in denen sich Deutschland damit einverstanden erklärte, sein Flottenprogramm zurückzustellen, wenn auch nicht zu verringern, als Gegenleistung für die Zusage unserer Neutralität, wenn Deutschland von einer dritten Macht angegriffen würde, und für koloniale Konzessionen, die nicht genau festgelegt worden waren. Während der nächsten beiden Jahre schleppten sich diese Verhandlungen träge dahin. Das britische Kabinett war sich der Schwierigkeit wohl bewußt, daß Herr von Bethmann-Hollweg im entscheidenden Augenblick nicht stark genug sein würde, um Admiral von Tirpitz zu einer Herabsetzung des Flotten-programms zu bewegen. Das war aber die Hauptbedingung für jede von uns zu gewährende Konzession. Im Mai 1911 kam der Kaiser zur Einweihung des Denkmals für die Königin Viktoria nach London und wurde mit achtungsvollem und herzlichem Beifall begrüßt (so wie er immer begrüßt worden war). Mit seiner erstaunlichen Gabe, eine günstige Beurteilung der Situation aus der Luft zu greifen, stellte er fest, daß sich die englische öffentliche Meinung von Frankreich ab-und Deutschland zuwende und nunmehr der Augenblick gekommen sei, eine neue und dramatischere Kraftprobe in Szene zu setzen.

Am 1. Juli 1911 suchte der deutsche Botschafter Graf Metternich das englische Auswärtige Amt auf, und teilte „äußerst nervös und verlegen“, wie Berichte aus jener Zeit besagen, mit, seine Regierung sei auf Wunsch „gewisser kaufmännischer Kreise“ im Begriff, einen Kreuzer in den südmarokkanischen Hafen Agadir zu senden. Ihm wurde erwidert, daß im Umkreis von einigen hundert Meilen um Agadir keine deutschen Kaufleute wohnten, was er selber wußte, und daß die Entsendung dieses Kreuzers als vorsätzliche Herausforderung französischen Vorgehens in Marokko und als gefährlicher diplomatischer Akt angesehen würde. Die Ent-Sendung des „Panthers“ nach Agadir war nicht eigentlich eine gewöhnliche Kraftprobe, sondern entsprang einer anderen deutschen diplomatischen Theorie, nämlich der Überzeugung, daß man vor der Eröffnung von Verhandlungen zu einem Faustpfand kommen müsse. Deutschland nahm an, England werde die Situation ruhig hinnehmen, und es werde nach der Isolierung Frankreichs den Verzicht auf die Unterstützung Marokkos gegen größere Konzessionen an anderer Stelle anbieten können. 20 Tage lang haben die Deutschen auf die englischen Anfragen und Proteste keine Antwort gegeben und vorgezogen, das sphinxgleiche Schweigen zu bewahren, um, wie sie glaubten, Mutlosigkeit und Unruhe hervorzurufen. Eine von Lloyd George am 21. Juni im Mansion House gehaltene Rede riß sie aus ihren Illusionen. Bis dahin hatten sie Lloyd George immer für einen Pazifisten und für ein Kabinettsmitglied gehalten, das sich selbst um den Preis eines Verzichts unserer engen Zusammenarbeit mit Frankreich und Ruß-land am eifrigsten für ein Abkommen mit Deutschland einsetzte. Lloyd George, der mit Billigung von Sir Edward Grey sprach, erklärte den anwesenden Bankleuten der Londoner City, wir sollten uns lieber darauf vorbereiten, jeder Eventualität ins Auge zu sehen als unsere Interessen in demütigender Weise mißachtet zu sehen, so als hätten wir gar nichts zu sagen. „Frieden um diesen Preis“, sagte er, „wäre eine Demütigung, die ein so großes Land wie das unsere nicht ertragen könnte.“ Diese Rede verursachte an der Berliner Börse eine Panik, und Herr von Kiderlen-Wächter, der schon Verhandlungen mit dem franzöischen Botschafter in Berlin, Jules Cambon, eingeleitet hatte, mußte von seinen Forderungen abgehen. Am 11. Oktober willigte er in die Anerkennung der französischen Position in Marokko ein; am 3. November wurde ein Abkommen unterzeic\hnet, in dem Frank-

reich als Gegenleistung Deutschland gewisse nicht sehr wichtige Landstriche im Kongogebiet überließ. Herr von Kiderlen hat mit diesem „Faustpfand“ ein Pfund oder vielmehr nur einige Linzen Fleisch erhalten. Aber der Preis, den er zahlte, war die Umformung der Entente in eine Verbindung, die einem Bündnis sehr nahe kam.

Die Agadir-Krise hatte die beiden Mächte-gruppen hart an den Rand des Krieges getrieben. Sie hatte die Stärke der Entente bestätigt, aber sie hatte auch einen Eindruck von ihrer Schwäche gegeben. Immer noch fühlte sich die englische Regierung durch die russische Aktivität in Persien beunruhigt, was sowohl dem Geiste als auch dem Buchstaben der englisch-russischen Abmachung widersprach. Die Agadir-Krise hatte der öffentlichen Meinung in Frankreich und in Großbritannien einen großen Schrecken eingejagt. Und auf das Parlament und die französische Kammer wurde ein Druck ausgeübt, etwas zur Entspannung der Lage zu tun. Ich stimme mit Lord Vansittart und anderen in der Ansicht überein, daß es ein historisches Unglück war, nach Agadir die Entente mit Frankreich nicht offen in ein Offensiv-und Defensiv-Bündnis zu verwandeln. Wäre das geschehen, dann hätten der erste und zweite Weltkrieg vielleicht vermieden werden können. Ich stimme auch mit Lord Vansittart darin überein, daß die englische Regierung nicht genug Weitblick und Mut hatte, als sie mit einer genauen Erklärung über die Politik zögerte, die wir in Zukunft im Falle einer ähnlichen Krise gleichen Ausmaßes Deutschland gegenüber einschlagen würden.

Ich halte eigentlich immer das Gleichgewicht der Kräfte für die beste Methode, abgesehen von einer Weltregierung oder einem wirklich funktionierenden Völkerbund, um einen großen Krieg zu vermeiden, da keine Macht einen Angriffskrieg riskieren wird, wenn sie weiß, daß sie ihn bestimmt verliert. Wenn aber das Gleichgewicht der Kräfte ein wirksames Friedensinstrument sein soll, muß es stabil und unverrückbar erscheinen. Es war die Schwäche der Entente, daß es ihr an dieser Stabilität gefehlt hat. Wenn Deutschland fest davon überzeugt gewesen wäre, daß es Großbritannien gegen sich haben würde, wenn es sich in einen Krieg mit Frankreich und Rußland einließe, dann würde es vielleicht im entscheidenden Moment im Jahre 1914 auf die österreichische Regierung im Sinne einer friedlichen Regelung eingewirkt haben. Da aber die Bestimmungen der Entente über die gegenseitigen Verpflichtungen nicht klar formuliert waren, hatte man in Deutschland immer die Hoffnung, daß sie sich im Kriege gegen Deutschland nicht feindlich verhalten würde. Es war sicher ein großes Unglück, daß unsere gegenüber Frankreich und Rußland bestehenden militärischen Verpflichtungen niemals ausdrücklich und öffentlich umrissen worden waren. In den zwischen den beiden Generalstäben getroffenen Abmachungen, über die wir die deutsche Regierung damals informiert hatten, war ausdrücklich festgestellt worden, daß beide Regierungen zu nichts verpflichtet waren. Daher wußten weder Deutschland noch Frankreich noch Rußland noch selbst England ganz genau, was im Kriegsfälle passieren würde. Und gerade diese Unsicherheit machte das Gleichgewicht der Kräfte fragwürdig und daher unwirksam. Ich stimme all diesen Argumenten zu.

„Mein kleines Papier”

Auf der anderen Seite ist Politik nach unserer Ansicht die Kunst des Möglichen, und es wäre für Sir Edward Grey politisch eine Unmöglichkeit gewesen, ein liberales Kabinett, noch weniger aber ein liberales LInterhaus zu überreden, weiteren Verpflichtungen zuzustimmen. Paul Cambon, dieser ausgezeichnete Diplomat, hat gewußt, daß jede engere Allianz parlamentarisch eine Unmöglichkeit wäre. Er verließ sich teilweise auf sein Vertrauen in unser Versprechen und teilweise auf das, was er „mein kleines Papier“ nannte. Dieses Schriftstück war ein Abkommen aus dem Jahre 1912, in dem die englische Admiralität die französische gebeten hatte, die französische Flotte im Mittelmeer zu konzentrieren unter der Voraussetzung, daß im Kriegsfälle die atlantischen Küsten Frankreichs von der englischen Flotte geschützt würden. Die-ss Schriftstück, das tatsächlich nicht viel mehr als eine selbstverständliche Abmachung zwischen den beiden Admiralstäben war, hat sich in den kritischen Augusttagen des Jahres 1914 als außerordentlich wichtig erwiesen. Cambon konnte mit Erfolg darauf Bezug nehmen, daß Frankreich im Vertrauen auf dieses Abkommen, auf dieses „kleine Papier“, seine West-und Nordküste ungeschützt gelassen hätte. Obgleich Cambon in den ersten Tagen des August große Ängste ausstand, so kalkulierte er doch ganz richtig, daß diese mehr oder weniger unbedeutende Zusicherung die gewünschte Wirkung auf das englische Kabinett haben würde. Er vermutete auch vollkommen richtig, daß keine festeren Zusagen möglich oder auch nur notwendig waren. Aber der Historiker wird der Entente den schweren Vorwurf nicht ersparen können, daß sie dem Gleichgewicht der Kräfte nach außen keine feste Form gegeben hat, so daß man sich bei der endgültigen Belastungsprobe auf eine Flottenregelung verlassen mußte, die zum Zeitpunkt ihres Abschlusses für nebensächlich gehalten worden war. Ich erinnere mich noch sehr gut an Cambon, als er nach dem schrecklichen Interview im grauen Zylinder in seiner eleganten Kutsche, die er während des Krieges zu benutzen pflegte, über die Horse Guards Parade und unter dem Horse Guards Bogen fortfuhr. Ja, er war ein großer Botschafter, denn er verstand es, gelassen die Dinge reifen zu lassen und zu warten.

Nach Abschluß des Londoner Vertrages nach Kriegsausbruch wurde die Entente mit Frankreich und Rußland in ein reguläres Bündnis umgewandelt. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, zu untersuchen, ob es in den Jahren zwischen den beiden Kriegen den Charakter eines Bündnisses bewahrt hat, oder ob es nicht in ein allzu vage gefaßtes, der Entente ähnelndes Abkommen absank. In dem Augenblick als Deutschland aufhörte, England zur See zu bedrohen, hat unsere Energie zur Verteidigung der Entente wieder nachgelassen. Man kann der Staatsführung Englands und Frankreichs den Tadel nicht ersparen, daß wir uns zwischen 1919 und 1954 niemals über eine gemeinsame Haltung gegenüber Deutschland geeinigt haben. Ich kann nur mit Bedauern an die Streitgespräche zwischen Lord Curzon und Poincare und an die Jahre denken, als die Entente, selbst als Entente, schwach und abgestorben zu sein schien. Sie war stark, sie war lebendig, sie war wirkungsvoll in jenen Tagen, als jeder von uns sich der drohenden Gefahr voll bewußt war. Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, daß Frankreich von dem Gedanken an den Erbfeind besessen ist, während wir immer unsere Feindschaft in dem Augenblick begraben, wenn wir den Feind besiegt haben, und nach jedem Kriege einen ganz neuen Feind entdecken. Vielleicht werden wir durch die gemeinsame Angst vor den großen Bomben zusammengebracht, ich möchte fast sagen, zusammen-gedrängt, oder durch das mehr im Unbewußten wurzelnde Wissen um die gemeinsame griechisch-römische Erbschaft, ganz gleichgültig, wie verschieden auch unser Temperament ist. Aber ich glaube nicht, daß die Entente noch einmal in der Form von 1911 erstehen wird, wenn wir uns nicht endgültig und rückhaltlos über das deutsche Problem einigen.

Es tut mir leid, daß ich meinen Artikel mit einer pessimistisch-klingenden Bemerkung beende. Wenn alle Männer und Frauen in Frankreich und England so klug wären wie Bidault und Eden, so klug wie Salisbury und Hanotaux, die beiden Cambons und Lord Lansdown, dann würden das Leben und die Diplomatie bestimmt ein Leichtes sein. Aber die auswärtigen Angelegenheiten sind, wie ich schon so oft betont habe, eben auswärtige Angelegenheiten. Und zur Regelung verschiedenartiger Interessen und Temperamente ist viel Geduld, viel natürliches Vertrauen und vor allem die Überzeugung notwendig, daß Selbsterhaltungstrieb die beständigste aller menschlichen Regungen ist und daß die Entente zur Selbsterhaltung Frankreichs und unseres eigenen Landes zu einer gemeinsamen geographischen und physischen Notwendigkeit geworden ist.

Anmerkung:

Paul-Henri Spaak, belgischer Außenminister; schon vorher viermal Außenminister und dreimal Ministerpräsident. Präsident der Vollversammlung der Vereinten Nationen 1946.

Den Bericht der amerikanischen Atomenergiekommission veröffentlichte die New York Times in ihrer Ausgabe vom 16. Februar 1955.

Sir Harold Nicolson, K. C. V. O. C. M. G., im Diplomatischen Dienst von 1919 bis 1929, Mitglied der Britischen Delegation der Pariser Friedenskonferenz 1919 und anderer bedeutender Konferenzen. Mitglied des Parlamentes 1935— 1945. Parlamentarischer Sekretär des Informationsministeriums 1940 bis 1941, Direktor des BBC 1941 bis 1946. Autor von „König Georg V." (1952) und anderer Werke.

Der vorliegende Artikel geht zurück auf eine Ansprache von Sir H. Nicolson, gehalten im Chatham House am 20. Mai 1954.

Fussnoten

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