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Das Vorgehen der Sowjets im Orient | APuZ 27/1955 | bpb.de

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APuZ 27/1955 Das Vorgehen der Sowjets im Orient Stalinismus ohne Stalin

Das Vorgehen der Sowjets im Orient

Baymirza Hayit

Die russische Orientpolitik, deren Anfänge auf das 16. Jahrhundert zurückgehen, hat ihre Tradition. Den Grundstein hierzu legte Iwan der Schreckliche durch die Eroberung der Chanate Kasan und Astrachan. Im 16. und 17. Jahrhundert versuchte Rußland unter dem Vorwand Verbindungswege nach Turkestan, Persien, Afghanistan, Indien, China und der Mongolei zu erforschen, weiter in Asien vorzustoßen. Die wirklichen Absichten Rußlands, in Asien die Hegemonie zu erhalten, wurden erstmalig Ende des 17. Jahrhunderts durch die Veröffentlichung militärischen Materials über die oben genannten Länder unter dem Titel „Das Buch der großen Aufzeichnungen“ ersichtlich.

Nachdem die Wolga-und Uralgebiete sowie Sibirien unterworfen worden waren, bereitete sich Rußland auf die Eroberung Turkestans vor, denn „wer Turkestan besitzt, der behält die Hegemonie in Asien“, sagte Peter 1. So sandte er 1715 eine militärische Expedition nach Turkestan, um das östliche Ufer des Kaspischen Meeres genau zu erforschen und die Wege nach Indien zu suchen. Zwei Jahre später schickte er eine Expedition den Irtisch-Fluß entlang, um die Wege nach Ostturkestan und China zu erkunden. Es wurden nicht nur militärische Vorbereitungen getroffen, sondern auch kulturelle Institutionen gegründet, um die Eigenarten der Orientvölker kennen zu lernen. Hierzu schrieb der russische Gelehrte Vasil’ev in „Die Republiken Mittel-asiens“ (Moskau 1934, S. 11): „Seit Peter dem I. waren die Missionare die Imperialisten Rußlands, in der Uniform der Gardeoffiziere, im Mönchsrock der orthodoxen Geistlichkeit und im Talar der Wissenschaftler, außerdem waren sie auch bestrebt durch die Wirkung der Soldatenstiefel in dieses verlockende Land einzudringen, mit dem einzigen Ziel, das Territorium zu erobern und ein koloniales, ausbeutendes Regime einzurichten“. So wurde Turkestan nach über ein Jahrhundert andauernden Vorbereitungen und Kampfhandlungen Ende des 19. Jahrhunderts erobert. Rußland war damit zum direkten Nachbarn von China, Indien, Afghanistan und Persien geworden.

Nach dem Sturz des Zarentums und Kerenskijs führten die Bolschewisten einen harten Kampf gegen die nationale Erhebung der Turkestaner, da sie wußten, daß die Sicherung ihrer Macht in Turkestan die Voraussetzung für die Durchführung der traditionellen russischen Orientpolitik war. Turkestan wurde in den Jahren 1918— 24 zum zweitenmal erobert, wie auch die britische Zeitschrift „Asiatic Review“ vom April 1928 berichtete. Die nationale Erhebung, die „Basmatschi Bewegung“ in Turkestan konnte, wie die Sowjetregierung 193 5 bekannt gab, erst 1934 niedergeschlagen werden. e

Um im Orient eine wirkungsvolle, intensive und erfolgreiche Politik durchführen zu können, war Sowjetrußland bestrebt gewesen, zuerst seine Macht in Turkestan zu befestigen. Es gelang den Sowjets, wenn auch die Bestrebungen bis zur Gegenwart andauern, in dieser Richtung ihr Ziel durchzusetzen. In welcher Weise dies vor sich ging, ist in folgendem kurz zusammengefaßt:

1. Die nationalen Regierungen Turkestans, die nach 1917 entstanden waren, wurden 1918 und 1921 gestürzt, um die nationalen Bestrebungen zu beseitigen, und den Turkestanern die Möglichkeiten zur Bildung eines nationalen Staates zu nehmen.

2. Das Chanat von Chiva wurde 1919 und das Emirat von Buchara 1920 gestürzt, beide zu Volksrepubliken umgewandelt und 1924 liquidiert. 3. 1924 wurde Turkestan in fünf „Republiken“ aufgeteilt, die erst 1936 die Verwaltungsstruktur der gegenwärtigen Sowjetrepubliken Özbekistan, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgisistan und Tadschikistan erhielten.

4. In den Jahren 1918— 1920 und 1932— 1935 wurde eine Hungersnot provoziert um die Volkskraft zu unterdrücken und damit den Widerstandswillen des Volkes gegen die Sowjets zu schwächen.

5. Turkestan wurde sowjetisiert durch: Vernichtung der sogenannten kapitalistischen Elemente, Kollektivierung, Einführung der sowjetiselten Demokratie und kommunistischen Ideologie, Proletarisierung des Volkes, Beseitigung der Privatwirtschaften, Bekämpfung des nationalen Geisteslebens, Einbeziehung der Frauen in den Arbeitsprozeß, Heranbildung einer Anzahl Turkestaner als Träger der sowjetischen Gedanken unter der Bevölkerung.

6. Die zaristische Russifizierungspolitik wurde intensiv fortgesetzt.

Zahlreiche Russen wurden in Turkestan angesiedelt. Schlüsselstellungen des Partei-und Staatsapparates wie Parteisekretäre, stv. Minister, stv. Staats-und Ministerpräsidenten, Innenminister, Minister der Staatssicherheit, die Ministerien der Staatskontrolle und des Militärs und leitende Stellen der Industrie wurden nur von Russen besetzt. Die russische Sprache wurde zur Staatssprache erhoben und die russische Schrift eingeführt. Das russische Geistes-und Kultur-leben übernahm die Hegemonie über das nationale Leben. 7. Mehr als 5 Millionen Turkestaner wurden wegen ihrer antisowjetischen Haltung oder wegen ihrer Zugehörigkeit zur kapitalistischen Klasse und Geistlichkeit verhaftet, nach Sibirien verschickt, erschossen oder kamen in den KZ-Lagern ums Leben.

Es gelang den Sowjets einige Turkestaner für ihre Interessen zu gewinnen, doch vermochte keiner von ihnen für längere Zeit das volle Vertrauen Moskaus zu erhalten. So wurden z. B.seit der Absetzung des ersten Ministerpräsidenten der Sowjetrepublik Özbekistan, Fayzulla Chodschas, der 193'im Schauprozeß in Moskau des Nationalismus be-schuldigt und zum Tode verurteilt worden war, sieben Ministerpräsidenten ernannt, abgesetzt, verhaftet und einige von ihnen erschossen. Der letzte Ministerpräsident, Usman Jusuf, der von den Sowjets als zuverlässiger Turkestaner angesehen und der zu Lebzeiten Stalins etwa drei Jahre lang Unionbaumwollanbauminister in Moskau gewesen war, wurde Ende 1954 abgesetzt und beschuldigt, den Baumwollanbau sabotiert und unzuverlässige Elemente im Staatsapparat zugelassen zu haben.

Die politische Macht ermöglichte es den Sowjets ihre wirtschaftspolitischen Ziele in Turkestan durchzusetzen. Dazu boten ihnen die natürlichen Reichtümer des Landes die besten Voraussetzungen. Etwa 56 Prozent der gesamten Produktion der Schwerindustrie der Sowjetunion konzentriert sich heute in Turkestan. Während das Land vor dem zweiten Weltkrieg mehr als Rohstoffbasis diente, änderte Moskau diesen Zustand nach dem Kriege. Turkestan wurde, wie Stalin sagte, zum „Hauptarsenal der Sowjetarmee“. Bereits während des Krieges hatte die Sowjetregierung den größten Teil ihrer Kriegsindustrie aus Sicherheitsgründen nach Turkestan verlegt. Turkestan wurde durch seine LIran-und Thoriumvorkommen eines der Zentren der Atomwaffenherstellung. In der Kara-Kum-und Kizil-Kum-Wüste entstanden zahlreiche Bauten, deren Zweck der Öffentlichkeit unbekannt ist. Diese beiden großen Wüstenräume sind zu Atomwaffenversuchen bestens geeignet. Man vermutet, daß dort „Atomgrade“ (Atomstädte) entstanden sind. Auch im Garm-Gebiet, in der tadschikischen Sowjetrepublik, das Chrustschew auf seiner Reise nach Turkestan im November 1954 als erstes besichtigte, sind vermutlich Atomwaffenwerke entstanden. Nach sowjetischen Meldungen befindet sich hier eine große meterologische und hydrologische Forschungsanstalt. Das Garm-Gebiet ist der Ausgangspunkt für den großen Steppenraum.

Der landwirtschaftliche Reichtum Turkestans setzt die Sowjetunion in die Lage, 96 Prozent des Gesamtbedarfs an Baumwolle und Seide decken zu können. 1954 betrug die Baumwollgewinnung in Turkestan mehr als 4 Millionen Tonnen. Nach neuesten Planungen soll die Produktion im Jahre 1956 6 Millionen Tonnen erreichen. Durch Bodenerschließungsmaßnahmen der Sowjets hatte Turkestan 1954 im Getreideanbau die Ukraine übertroffen und stand in der Getreidelieferung direkt hinter der Sibiriens. Für das Jahr 195 5/56 wird geplant, noch weitere 15 Millionen Hektar Land urbar zu machen. Sollte dieses Ziel erreicht werden, so wird Turkestan die erste Stelle in der Getreideerzeugung der Sowjetunion einnehmen.

Der Bau von Eisenbahnen, Straßen und Kanälen in Turkestan dient dazu, das Land fest mit Moskau zu verbinden. Außerdem ist es den Sowjets von hier aus möglich, durch Anschlußbahnen außerhalb Turkestans ihre Aktionen in allen Richtungen durchzuführen. So dient die Turkestan-Sibirien-Bahn (Turk-Sib) nicht nur dem Waren-und Personenverkehr, sondern steht auch im Dienste der sowjetischen Strategie. Es ist bis 1956 geplant eine Bahnverbindung Lanchow (China) — Urumtschi (Ostturkestan) — Alma-ata (Westturkestan) in einer Länge von mehr als 1500 km zu bauen, wovon bereits 400 km auf der chinesischen Seite fertiggestellt wurden und Projektierungsarbeiten der Sowjets im Gange sind. Ferner wurde mit dem Bau einer Bahnverbindung zwischen China und der Mongolei bis nach Ulanbatur begonnen. Diese Eisen-bahnlinien können die Stellung der Sowjetunion in West-und Ostturkestan, der Mongolei und China noch festigen. Es ist jedoch auch möglich, daß die von der Sowjetunion und der chinesischen Volksrepublik gemeinsam gebaute neue Eisenbahn zur Besiedlung der erschlossenen Räume durch China führt (Beispiel: Mandschurische Bahn) und dieser Bau dann zu Spannungen zwischen Russen und Chinesen, wie zur Steigerung des eigenen Gewichts Turkestans in diesem Spannungsfeld Anlaß geben wird.

Eines der größten Bauprojekte der Sowjets im südlichen Teil Turkestans ist der Kara-Kum-Kanal, der in zwei Perioden gebaut werden und eine Länge von etwa 1600 km umfassen soll. Wenn auch die Sowjetregierung bei diesem Vorhaben nur den Irrigationszweck betont, so ist doch nach sowjetischen Meldungen selbst sehr leicht zu erkennen, daß durch den Kanal eine Schiffahrtslinie vom Eismeer über Moskau, die Wolga, das Kaspische Meer, den Amu-Darya, den Sir-Darya, den Tschu-Fluß und den Issik-Köl-See hergestellt wird. Dadurch werden die Sowjets in der Lage sein, bei ihren Vorhaben im Orient nicht nur die Eisenbahn, sondern auch die Schiffahrt einzusetzen.

Auch beim Straßenbau tritt der Expansionsdrang im Orient in Erscheinung. Während von sowjetischer Seite die Militärstraße Taschkent—Stalinabad—Chorog (am Pamirgebirge) längst fertiggestellt worden ist, bauten die Chinesen kürzlich die Brücke über den Lhasa-Fluß, wodurch die 225 5 km lange Landstraße Ostturkestan—Tibet dem Verkehr übergeben wurde. So ist ersichtlich, daß erst der Besitz Turkestans, das von den Zaren und roten Diktatoren immer wieder als das Tor nach Indien und der Weg nach China bezeichnet wurde, was es auch in Wirklichkeit ist, den Sowjets ermöglichte, ihren Einfluß im Orient zu verstärken.

Das ehemalige Reich Temurlengs befindet sich in den Händen Moskaus. Die zentrale Bedeutung Turkestans für den Orient wurde von den Sowjets bei ihrem Vorgehen ausgenutzt. Einst galt Samarkand im Orient als der Glanz der Erde und Buchara als die Macht des . Islams. Deswegen sagte Stalin: „In Samarkand und Buchara müssen Leuchttürme entstehen, die den Sowjets im ganzen Orient strahlen sollen.“ In welcher Art und Weise dies durchgeführt wurde, zeigt uns deutlich die jüngste Vergangenheit: 1. Von Turkestan aus wurde dem Kommunismus in China zur Macht verhelfen. Wenn auch einige Experten des Westens meinen, daß der Kommunismus in China keine materielle Hilfe von der Sowjetunion erhalten habe, so haben die Erfahrungen in Turkestan jedoch deutlich gezeigt, daß die Kommunisten in China ohne Hilfe der Sowjetunion niemals in der Lage gewesen wären, die Macht zu erhalten. 2. In Turkestan wurden koreanische Divisionen, lange Zeit vor Ausbruch des Korea-Krieges, ausgebildet, die auf der Seite der Nord-koreaner als bestens ausgebildete Truppe galten. 3. In Taschkent gründeten die Sowjets die kommunistische LIniversität für die Werktätigen des Ostens, an der aus allen Ländern Asiens kommunistische Funktionäre ausgebildet wurden und die eines der Schulungszentren der kommunistischen Ideologie ist. 4. Von Westturkestan aus versuchten die Sowjets, das von den Chinesen besetzte Ostturkestan (Sinkiang) zu sowjetisieren, was auch mit Erfolg zur Zeit fortgesetzt wird, worauf noch näher eingegangen werden soll. 5. Von Turkestan aus wurde die Mongolei zur Volksrepublik. 6. In Turkestan wurde 1927 eine Gesellschaft „Tochter Irans“ gegründet, die unter der Führung des iranischen Dichters Quasim Lahuti stand, dessen Aufgabe es war, den Iran im sowjetischen Sinne zu beeinflussen. Mit Hilfe dieser Organisation versuchten die Sowjets im August 1953 in Verbindung mit der Tudeh-Partei die Revolution im Iran zu organisieren, was jedoch mißlang. 7. 19 5 3 wurde in Turkestan, unter der Führung des aus der Türkei ausgewiesenen kommunistischen Dichters Nazim Hikmet, eine Gesellschaft „Fortschrittliche Türken“ gegründet, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Türkei zu „befreien“ und die aktiv in antitürkischem Sinne auftrat. Nazim Hikmet selbst nahm als „Vertreter der Türkei, aus Turkestan kommend, an der Versammlung des Büros des Weltfriedensrates im Januar 195 5 in Wien teil.

Die sowjetische Islampolitik der Gegenwart

Abbildung 1

Die Sowjetregierung erkannte die tiefen Gegensätze zwischen Islam und Kommunismus und führte daher seit dem Bestehen ihrer Macht in Turkestan einen radikalen Kampf gegen den Islam durch. Außerhalb der Sowjetunion jedoch treten die Sowjets außerordentlich islamfreundlich auf, um antikommunistische Reaktionen in den freien Islamländern zu vermeiden. Wiederum steht bei diesem Vorgehen Turkestan, wegen seiner Zugehörigkeit zum Islam, im Vordergrund der sowjetischen Propaganda.

In letzter Zeit war in der Sowjetunion die antiislamische Propaganda als eine der wichtigsten ideologischen Maßnahmen der kommunistischen Partei anzusehen. Durch Radio, Presse, Vorträge und das Vorgehen des amtlichen „Komitees zur Verbreitung politischer und gesellschaftlicher Wissenschaften“ versuchte sie, den Islam mit allen Mitteln vollständig zu unterdrücken. Ende vorigen Jahres (Oktober 19 54) erschienen in den Sowjetzeitungen Turkestans zahlreiche antiislamische Aufsätze, die die schwierige Lage des Islam in der Sowjetunion zeigen. So veröffentlichte z. B. die Zeitung „Quizil Özbekistan“ vom 12. 10. 19 54 einen Artikel von Prof. Klimovik „Die Entstehung des Islam und seine reaktionäre Bedeutung“ (Islamnin payda bolischi va reaktion mahiyati), der in allen turkestanischen Sowjetzeitungen gedruckt wurde und die untere Hälfte der zweiten und dritten Seite umfaßte. Der Verfasser betonte in ihm, daß der Islam durch die Initiative der arabischen Feudalen entstanden sei, um die Massen zu unterdrücken. Er gliederte seinen Aufsatz folgendermaßen: „Die islamische Lehre ist gegen die Wissenschaft“, „Der Schaden durch die islamischen, religiösen Sitten“ und „Die Religion des Islam im Dienste des gegenwärtigen Imperialismus“.

Die Zeitung forderte, daß mit jeglichen Maßnahmen gegen die Über-reste des Islam gekämpft werden müsse. Daß der Islam in Turkestan immer noch als Gegenspieler des Kommunismus auftritt, beweist der Aufsatz „Die wissenschaftliche atheistische Agitation muß verbreitet werden“ in der Zeitung „Sozialistik Kasachstan“ vom 17. 10. 1954, in dem darauf hingewiesen wird, daß die turkestanischen Arbeiter der Eisenbahnen, Elektrostationen und Fabriken für Elektrotechnik in Alma-ata an religiösen Feiertagen nicht zur Arbeit erschienen seien.

Ältere Leute betrieben unter der Jugend religiöse Propaganda und die Lehrer der Schulen Nr. 15, 56 und 64 in Alma-ata seien an religiösen Feiertagen nicht zur Schule gekommen.

Weitere Schritte der Sowjets sind aus folgendem ersichtlich: 1. Beim Komitee zur Verbreitung politischer und gesellschaftlicher Wissenschaften wurden atheistische Sektionen gegründet, die sich unter der Bevölkerung mit antireligiöser Propaganda beschäftigten.

So arbeiteten z. B. in Taschkent 47, in Pischpek (Frunse) 2 3, in der Stadt Namangan 114 Personen in dieser Richtung („Sovetskaja Kirgizija“ vom 2. 11. 1954 und „Qizil Özbekistan“ vom 11. 12.

1954). 2. Zur Ausbildung dieser atheistischen Propagandisten wurden Seminare abgehalten. So nahmen z. B. in der Stadt Samarkand 36, in Alma-ata über 200, in Namangan über 150 ausgewählte Personen an diesen Seminaren teil. Es wurden u. a. Vorträge über folgende Themen gehalten: a) Wissenschaft und Religion über die Entstehung des Lebens auf Erden;

b) Der Islam als Waffe zur Versklavung der Frauen;

c) Kommunistische und religiöse Moral;

d) Religiöse und wissenschaftliche materialistische Anschauungen; e) Die Medizin im Kampf gegen die Religion („Kasachstanskaja Pravda“ vom 6. 11. 1954; „Qizil Özbekistan“ vom 11. 12.

1954). 3. Die antireligiöse Propaganda wurde unter der Bevölkerung systematisch verbreitet. So wurden z. B. von September bis November 1954 im Namangan Gebiet 250 Vorträge, im Karmana Rajon des Buchara Gebietes im Laufe von einem Monat 17, in Taschkent in den ersten sechs Monaten des vorigen Jahres 720, in den letzten fünf Monaten 1 452, in der kirgisischen Sowjetrepublik im Laufe von neun Monaten, im Jahre 1954, 10 964 antireligiöse Vortläge gehalten („Sovetskaja Kirgizija“ vom 2. 11. 1954; „Qizil Özbekistan“ vom 1. 11. 1954 und 3. 11. 1954). 4. Zahlreiche Aufsätze und Broschüren dienten der Bekämpfung des Islams von denen wir hier einige erwähnen, um-den Charakter der antiislamischen Haltung der Sowjetregierung zu kennzeichnen: a) In dem Leitartikel „Für eine kämpferische und wirkungsvolle wissenschaftliche atheistische Propaganda“ in der türksprachigen Zeitung „Qizil Özbekistan“ vom 22. 10. 1954 wurde darauf hingewiesen, daß die Bekämpfung des Islams und der religiösen Üebrreste eine der nicht zu vergessenden Aufgaben der Sowjet-organe sei. b) In dem Aufsatz „Marxismus-Leninismus zur Religion“ in „Qizil Kirgisistan“ vom 1. 12. 1954 wurde betont: „Die Sowjetmenschen haben sich von der Religion distanziert. Sie sind in Wirklichkeit Atheisten geworden. . . . Aber in unserem Land ist bis zur Gegenwart die Verbreitung religiöser Überreste noch nicht beendet. Die religiösen Feierlichkeiten schaden der sozialistischen Wirtschaft und stören die Arbeitsordnung“. c) Der Artikel „Wissenschaftliche-atheistische Agitation unter den Werktätigen“ in „Sozialistik Kasachstan“ vom 9. 12. 1954 betont, daß die religiösen Überreste trotz ihrer Bekämpfung aus dem Verstände einiger Sowjetmenschen noch nicht verschwunden seien. d) In „Der Islam und seine reaktionäre Rolle“ wird in der Zeitung „Qizil Özbekistan“ vom 11. 12. 1954 erwähnt, daß die Menschheit seit einer Million Jahren bestehe, die Religion aber erst seit 100 000 Jahren, also seien die Menschen rund 900 000 Jahre gottlos gewesen. e) Der Artikel „Über die Entstehung des Lebens auf Erden“ in der „Pravda Vostoka“ vom 30. 10. 1954 betont, daß bei der Entstehung des Lebens Gott nicht vorhanden gewesen sei. f) In „Die Medizin im Kampf gegen den Aberglauben“ („Pravda Vostoka“ vom 28. 10. 1954) heißt es, daß die Heilung der Kranken ohne Gott geschehe. g) In „Wir müssen den ideologischen Wert der wissenschaftlichen atheistischen Propaganda erhöhen“ („Qizil Özbekistan“ vom 11. 1. 195 5) wurde gefordert, daß der antireligiöse LInterricht auf den Hochschulen verstärkt werden müsse. h) In „Wir müssen die antireligiöse erzieherische Tätigkeit verstärken“ in „Sozialistik Kasachstan“ vom 26. 11. 1954 heißt es u. a.: „Religion steht gegen unsere echte kommunistische menschliche Moral. Daher ist der Kampf gegen sie unsere moralische Verpflichtung“. i) In „Die wissenschaftlichen Voraussagen und religiösen Vorurteile“ in „Bloknot Agitatora“ Nr. 22 1954 Alma-ata wurde betont, in den Schulen müsse ein speziell atheistisches Fach eingeführt werden, um die religiösen Überreste gründlich zu bekämpfen. 5. Die Hochschulen wurden zu Zentren atheistischer Propaganda. Die Universität Taschkent stellte 3 5 ihrer Lehrer atheistischer Tätigkeit zur Verfügung. Die Hochschulen Taschkents gaben 118 Arbeiten gegen den Islam heraus, wie die Zeitung „Qizil Özbekistan“ vom 11. 1. 19 5 5 berichtete. 6. Schließlich diente der Beschluß des Zentral-Komitees der KP der Sowjetunion „Über die Fehler bei der Durchführung wissenschaftlicher atheistischer Propaganda unter der Bevölkerung“ der in der „Pravda“ vom 11. 11. 1954 erschien, der Verschärfung der antireligiösen Tätigkeit, nachdem nochmals betont worden war, daß sich die-KP wegen ihrer marxistisch-leninistischen Anschauungen und ihrer dialektischen Grundlage niemals gegenüber der Religion neutral oder teilnahmslos verhalten könne. Nicht umsonst bemerkte der Sekretär der KP Tadschikistans, Gafuroglu, am 13. 10. 19 54 auf dem Kongreß der Schriftsteller Tadschikistans: „Unsere Aufgabe besteht darin, mit allen Mitteln gegen die religiösen und feudalen Sitten vorzugehen. Es darf nicht vergessen werden, daß in England und Amerika sehr viele Bücher über Mittelasien erschienen sind, die im antisowjetischen Kampf auf die Ausnutzung der Überreste der bei uns noch vorhandenen feudalen Sitten hinweisen“.

In krassem Widerspruch hierzu steht die sowjetische Islampolitik in den Ländern des Islam außerhalb der Sowjetunion. Dadurch ist den freien Islamvölkern die anti-islamische Politik der Sowjets in der Sowjetunion kaum bekannt. In den Radiosendungen für die Islamvölker tritt die Sowjetunion niemals anti-islamisch, sondern nur pro-islamisch auf. So heißt es z. B. in der in Urdusprache für Pakistan vom Radio Stalinabad am 26. 9. 1954 durchgegebenen Meldung: „Islam und Kommunismus sind das gleiche. Der eine entstand nur in der Vergangenheit und der andere im modernen Zeitalter. Der Islam kämpft für die Moral der Menschen und der Kommunismus für ihren materiellen Wohlstand".

Auch die kommunistischen Parteien, soweit sie vorhanden sind, oder kommunistisch gesinnte Islamländer betonen ständig die religiöse Freiheit in der Sowjetunion. Die Wahlrede des Sekretärs der KP Syriens und des Libanons, Baghdasch, in Damaskus, im Oktober 1954, bewies, daß die Sowjets außerhalb der Sowjetunion ein äußerst islamfreundliches Gesicht zeigen. Baghdasch sagte wörtlich: „Wer von einer Unterdrückung des Islam in der Sowjetunion spricht, ist nichts anderes als ein Agent Englands oder Amerikas".

Zahlreiche Personen aus dem islamischen Orient wurden von der Sowjetregierung nach Moskau und Turkestan eingeladen, wo man ihnen Potemkinsche Dörfer, d. h. 2— 3 Moscheen in Taschkent, zeigte. So kamen 1954 66 Delegationen (jede Delegation aus 5— 15 Personen bestehend) aus den islamischen Ländern nach Turkestan. Keiner einzigen Delegation gelang es, ein Bild über die Lage des Islam in Turkestan zu erhalten. Der Delegationsführer aus Syrien, Al-Chariri sagte: „Ich hatte den Wunsch gehabt, Özbekistan mit eigenen Augen zu sehen, weil mir bereits vieles darüber erzählt worden war und weil es in der Vergangenheit als Kolonie des zaristischen Rußland sich kaum von Syrien unterschieden hatte. Nun blüht Özbekistan und damit auch der Islam, aber Syrien blieb immer noch in den Händen der Imperialisten unterdrückt (Qizil Özbekistan“ vom 7. 7. 1954, zitiert nach der Zeitung „As-scham"). Auch die Delegationen aus Indonesien, Irak und dem Libanon äußerten sich in ähnlicher Weise.

Eine besondere „Vorstellung" gab die Sowjetregierung anläßlich der Landwirtschafts-Ausstellung in Moskau 1954 zu der die Regierungen der islamischen Länder eingeladen worden waren. Als die Besucher der islamischen Länder die Ausstellungsgebäude der turkestanischen Republiken besichtigten, erschallten dort die Rufe zum Gebet. Innerhalb der Ausstellungsgebäude konnten die Gäste mit den Turkestanern zusammen in einer Moschee beten. Fotografien, die sie betend mit den Turkestanern zeigen, übergaben sie nach ihrer Rückkehr der Presse ihrer Länder, wie dies z. B. in Libanon der Fall war.

Auch die Pilgerzeit in Mekka versucht die Sowjetregierung für ihre Infiltrationsversuche auszunutzen. So schickt sie jedes Jahr 18— 20 Muslimen aus Turkestan und anderen Teilen der Sowjetunion nach Mekka, die die religiöse Ordnung bis in alle Einzelheiten genauestens einhalten, daneben aber, sehr gut geschult, den Kommunismus propagieren. Während der Pilgerzeit schließen sich ihnen die kommunistischen Propagandisten der freien Länder des islamischen Orients an, und mit gemeinsamen Kräften versuchen sie, die Pilger vom gleichen Sinn des Kommunismus und Islam zu überzeugen. Wenn auch die Regierung Saudi-Arabiens sehr streng gegen die Verbreitung kommunistischer Gedanken vorgeht, gelingt es den Roten Pilgern doch, manchen Muslim für den Kommunismus zu gewinnen.

Die sowjetische Aktivität im Orient

" INHALT DIESER BEILAGE: Baymirza Hayit:

Das Vorgehen der Sowjets im Orient Richard Lowenthal:

Stalinismus ohne Stalin (S. 417)

Die Regierung der Sowjetunion konzentriert sich in ihrer Orient-politik hauptsächlich auf die Bekämpfung 1.des pakistanisch-türkischen Freundschafts-und Beistandpaktes und des kürzlich zustande gekommenen türkisch-irakischen Paktes;

2.des Südostasienpaktes;

3.des antikommunistischen Vorgehens der persischen Regierung und seiner Annäherungsversuche an den Westen;

4.der amerikanischen Hilfeleistungen in Asien;

5.der nationalchinesischen Herrschaft in Formosa;

6.der Aktivität der Türkei in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.

Ferner treten die Sowjets im Orient für 1. eine Neutralisierung der Orientländer bei den Ost-Westauseinandersetzungen; 2. die Ausdehnung des aus 5 Punkten bestehenden Koexistenzvertrages zwischen Indien und der Volksrepublik China auf die übrigen Länder Asiens;

3. eine Aktivisierung der kommunistischen „Befreiungsbewegung“

einiger Länder Asiens und Verstärkung der kommunistischen Parteien und deren Tarnorganisationen, ein.

Wie aus der Sowjetpresse ersichtlich, ist die Sowjetregierung überzeugt, nach der Erreichung dieser Ziele ihren Einfluß im Orient verstärken zu können. Sie geht hierbei in folgender Weise vor: 1. Sie versucht die Intellektuellen und einflußreiche Kaufleute zu gewinnen, um sie als Propagandisten für das Sowjetsystem auftreten zu lassen.

2. Zahlreiche Schriften, die die Gedanken Moskaus im Orient verbreiten sollen, werden von ihr finanziert und verbreitet.

3. Sie fordert als Pseudoverteidiger der nationalen Rechte der Orient-völker die „nationale Unabhängigkeit".

4. Sie tritt als Förderer des „Weltfriedens" auf. 5. Sie propagiert die kulturellen und historischen, religiösen und kontinentalen Beziehungen Turkestans und damit auch der Sowjetunion zu den nichtsowjetischen Ländern Asiens. 6. Sie versucht in den Ländern des Orients Haß gegen die Westmächte zu erzeugen.

Bei diesem Vorgehen werden alle Mittel eingesetzt und alle Gegebenheiten rechtzeitig ausgenutzt. So begrüßten die Sowjetzeitungen die asiatisch-afrikanische Konferenz vom 18. April 195 5 in Bandung als • „einen Schritt zur Loslösung von der anglo-amerikanischen, imperialistischen Kette" und versuchten den Völkern zu erklären, daß England und Amerika gegen diese Konferenz seien. Die Taschkenter Zeitung „Pravda Vostoka" vom 20. 2. 19 5 5 schrieb anläßlich dieser Konferenz einen Artikel unter der Überschrift „Der Kampf der Völker gegen das koloniale Regime“, in dem das Erwachen der Völker gegenüber dem Imperialismus erwähnt wird. Sowjetische und prosowjetische Organisationen hatten 1948 beschlossen, den 21. Februar als „den Tag des internationalen Kampfes gegen das koloniale Regime" zu feiern. An diesem Tag fanden in den meisten asiatischen Ländern öffentliche und illegale Versammlungen statt, wie die Zeitung „Pravda Vostoka" vom 23. 2. 195 5 berichtete, auf denen die „brüderliche Hilfe der Sowjets zur Befreiung der vom amerikanischen, englischen und französischen Joch unterdrückten Völker“ betont wurde.

Die hauptsächlichen Träger der Ideologie der Sowjets sind die soge-nannten „Friedens“ -Qrganisationen und zahlreiche Tarnorganisationen, wie z. B. die „Gesellschaft zur Pflege der kulturellen Beziehungen mit der Sowjetunion“. Mit Hilfe dieser Organisationen versuchen die Sowjets die Bevölkerung zu beeinflussen und die Staaten des Orientes von innen zu zersetzen. Im Mittelpunkt der sowjetischen Orientpolitik steht z. Zt. Indien. Im Jahre 1950 gelang es der Sowjetregierung eine starke Organisation, den „allindischen Friedensrat zu gründen, die nicht nur in Indien, sondern auch in allen asiatischen Ländern die Ideologie Moskaus verbreitet. Dieser Organisation, die angeblich einen privaten Charakter besitzt, gehören maßgebende Persönlichkeiten Indiens an. Ihr Vorsitzender ist Dr. Kitschili, Schriftsteller und Dramaturg. Er, sowie der Generalsekretär, Romesch Tschandra sind Abgeordnete des indischen Parlamentes und dabei hauptamtlich in dieser Organisation beschäftigt. Dr. Kitschili scheint ein besonderer Freund der Sowjetregierung zu sein, denn er besuchte im Jahre 1954 zweimal Moskau und fünfmal Turkestan. Seine Aufsätze, in denen er die Befestigung der Freundschaft zwischen China, Rußland und Indien fordert, wurden in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften Turkestans veröffentlicht. Dr. Kitschili ist als Förderer des sowjetischen Geistes und der russischen Kulturgüter in Indien allgemein bekannt.

Vor etwa zwei Jahren ging aus der Organisation des allindischen Friedensrates die Gesellschaft zur Pflege der Solidarität der asiatischen Völker hervor, die als Tochterorganisation im Rahmen des allindischen Friedensrates wirkt. Ihr Sitz ist Madras. Nach Angaben der Sowjetpresse hat die Gesellschaft zur Pflege der Solidarität der asiatischen Völker mehr als 50 Millionen ordentliche Mitglieder, die sich hauptsächlich aus Indern und anderen Völkern Südostasiens zusammensetzen, wodurch sie einen übernationalen Charakter erhält. Das Ziel dieser Gesellschaft ist die Konsolidierung der Tätigkeit der Völker Asiens im Kampf gegen den westlichen Kolonialismus und die Verstärkung der antiwestlichen Tätigkeit in ganz Asien.

Vom 30. 12. 1954 — 2. 1. 195 5 fand in Madras ein Kongreß des allindischen Friedensrates gemeinsam mit der Gesellschaft zur Pflege der Solidarität der Völker Asiens statt, auf dem, wie die Taschkenter Sowjetzeitung „Pravda Vostoka“ vom 5. 1. 195 5 meldete, folgendes beschlossen wurde:

1. einen Kongreß aus Vertretern Frieden und Freiheit liebender Kräfte der Welt, besonders aus Asien, zu berufen, der Richtlinien für weitere Friedensbestrebungen festsetzen soll;

2. die 5 Prinzipien des Koexistenzpaktes zwischen China und Indien, die der Befestigung des Friedens dienen, weiterhin zu fördern;

3. zur Beendigung der kolonialen und rassischen Unterdrückung alle Kräfte zu mobilisieren; 4.den Südostasienpakt zu boykottieren.

Um weitere Schritte in dieser Hinsicht zu unternehmen, wurde beschlossen, Anfang April 195 5 den geplanten Kongreß in Delhi aus Vertretern von 18 Staaten Asiens zu berufen. Dieser Kongreß fand vom 6. -9. April 19 55 statt. Welchem Zwecke dieser Kongreß diente, ist aus der Tagesordnung ersichtlich, nach der folgende Fragen zur Diskussion standen:

1. Verbot der Massenvernichtungswaffen und Schaffung einer Kontrolle zur Durchführung dieses Beschlusses;

2. Anwendung der Atomenergie für friedliche Zwecke; 3. Überlassung des ihr rechtmäßig zustehenden Sitzes in der UNO an die Chinesische Volksrepublik;

4. Friedliche Wiedervereinigung Koreas;

5. Beendigung des Kolonialismus und der Einmischung ausländischer Mächte in die internen Angelegenheiten der asiatischen Länder;

6. Ausdehnung der 5 Prinzipien der Koexistenz;

7. Gefährlichkeit einer Teilnahme an Militärbündnissen-und -abkommen für die Länder Asiens; • 8. Gefährlichkeit der Schaffung ausländischer Militärstützpunkte in Asien;

9. Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern Asiens;

10. Ausbau der Handelsbeziehungen zwischen asiatischen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils;

11. Probleme Asiens in wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht. („Kasachstanskaja Pravda“ vom 2 5. 2. 195 5.)

Die Sowjetregierung sandte zu diesem Kongreß eine Delegation, die sich aus sieben Turkestanern, fünf Russen und zwei Ukrainern zusammensetzte, unter der Führung des stellvertretenden Vorsitzenden des Schriftstellervereins der UdSSR, Tichonov, der als Kenner der Verhältnisse Asiens gilt. Von den Turkestanern sind der Rote Mufti von Turkestan, Eschan Babachan bin Abdul Medschid Chan und der Vorsitzende des Schriftstellervereins Tadschikistans Mirza Tursun-Zade in den orientalischen Ländern als sowjetische Propagandisten allgemein bekannt. Während Abdul Medschid Chan in religiöser Hinsicht Propaganda für die Sowjets betrieb, versucht Tursun-Zade durch sein dichterisches Talent die Menschen des Orients für die sowjetische Ideologie zu gewinnen. Seine Gedichtsammlung „Indische Ballade“, die er nach der Rückkehr von seinen häufigen Reisen nach Indien und Pakistan geschrieben hatte, wurde in Millionen Auflagen in persischer und Urdusprache in Moskau und Stalinabad gedruckt und hauptsächlich unter der Bevölkerung Indiens verbreitet. In dieser Gedichtsammlung wird die jahrhundertelange gegenseitige historische und kulturelle Verbundenheit zwischen Indien, Pakistan und Turkestan betont und das „unerträgliche Leben der Inder und Pakistaner“ im Gegensatz zu dem „Leben in Freiheit, Wohlstand und Bequemlichkeit“ in Turkestan hervorgehoben. Außer diesen bekannten Propagandisten gehörte der Turkestaner Dschora Chodscha, Vorsitzender des Gewerkschaftsrates der Özbekischen Sowjetrepublik, zugleich Vorsitzender der Gesellschaft zur Pflege der Beziehungen zum Ausland, der sowjetischen Delegation an. Bei diesem Kongreß handelte es sich um ein sowjetisches Manöver zur ideologischen Beeinflussung der Völker Asiens und der Tätigkeit der asiatisch-afrikanischen Konferenz in Bandung.

Gefährliche Taktik der Sowjets

Seit der Zunahme der Auseinandersetzungen zwischen West und Ost zeigen beide Seiten ein vermehrtes Interesse für den Orient. Mehrere Orientvölker haben bereits die Gefahr des Kommunismus erkannt, doch nicht etwa durch die Aufklärung der Westmächte, sondern durch eigene Erfahrungen mit dem Kommunismus. Die Türkei, der mächtigste Staat des Schwarz-und Mittelmeerraumes und das Tor des Nahen und Mittleren Ostens ist durch seine antikommunistische Haltung besonders hervorgetreten. Pakistan hat durch seine Freundschaft und den Beistandspakt mit der Türkei die ersten Schritte eines gemeinsamen Vorgehens gegenseitiger Verteidigung unternommen. Durch den Beitritt in den Südostasienpakt kommt seine antikommunistische Haltung noch deutlicher zum Ausdruck. Wie Moskau zu derartigen Vertragsgemeinschaften steht, ist aus einer Meldung der turkestanischen Sowjetzeitung „Qizil Özbekistan“ des offiziellen Staats-und Parteiorgans in Taschkent ersichtlich, die kürzlich zu dem türkisch-pakistanischen Freundschaftspakt schrieb: „Die englischen und amerikanischen Imperialisten haben ihre türkischen und pakistanischen Diener veranlaßt, den antisowjetischen Pakt dieser Art zu schließen. Dieser Pakt ist nicht nur gegen die Sowjetunion, sondern auch gegen die Völker des Orients, besonders gegen Indien und Afghanistan gerichtet“. Nach dem Zustande-kommendieses Paktes hatte die Sowjetregierung Afghanistan gedroht, im Falle eines Vertragabschlusses mit dem Westen den Unabhängigkeitsvertrag von 1921 zwischen Afghanistan und der Sowjetunion außer Kraft zu setzen.

Die arabischen Staaten zeigen ebenfalls eine antikommunistische Haltung. Saudi Arabien unterhält seit Jahren keine diplomatischen Beziehungen mit Moskau mehr. Auch Irak hat in letzter Zeit seine diplomatischen Verbindungen mit Moskau abgebrochen. Der Abschluß eines Beistandspaktes zwischen der Türkei und Irak vom Februar 1955 war eine Niederlage für die sowjetische Orientpolitik. Zur Zeit ist die Bekämpfung dieses Paktes eine der wichtigsten Aufgaben der Kommunisten. In dem Aufruf der KP Syriens und des Libanons gegen den türkisch-irakischen Pakt heißt es u. a.:

Diese verbrecherische Union, welche von Washington und London begrüßt wird, ist eine ungeheure Verschwörung der Imperialisten gegen die arabischen Völker. Das indirekte Ziel dieser Union ist.

politische, wirtschaftliche und militärische Ausplünderung aller arabischen Länder, Wiederherstellung der ausländischen Okkupation in Syrien und dem Libanon, sowie die Besetzung neuer Gebiete von Syrien und Irak und die Annektion dieser an die Türkei. Außerdem beabsichtigt man, daß unsere Länder eine feindliche und provokatorische Außenpolitik, die von der Türkei ausgearbeitet ist, gegen die große sozialistische Macht und den echten Freund und Verteidiger allen nationalen Interesses der Araber, gegen die Sowjetunion durchführen“. (Telegraf vom 21. 2. 195 5 Beirut, zitiert „Kommunist Tadschikistana" vom 23. 2. 19 5 5 in Stalinabad.)

Der ideologische Kampf der Sowjets zeigt im Orient eine besondere Elastizität. Zu Beginn jeder Aktion stehen die Infiltrationsversuche sowjetischen Geistes. So folgte z. B. Indien Ende vorigen Jahres einer Einladung nach Turkestan, dort während der Dauer eines Monats ein sogenanntes Film-und Theaterfestival zu veranstalten. Dadurch kamen zahlreiche indische Künstler nach Turkestan. Professoren und Studenten wurden anschließend nach Beendigung dieser Kulturveranstaltung eingeladen. Die turkestanischen Sowjetzeitungen waren während dieser Zeit voll von Schlagzeilen: „Brudervolk“, „indische Friedenskämpfer“, „Befestigung der Freundschaft zwischen Indien und der Sowjetunion“.

Die Verwandtschaft der Kultur und Sitten Indiens mit denen Turkestans waren das Hauptthema der Propagandaredner und Rundfunksendungen.

Kurz nach dieser Kulturwoche reiste eine indische Wirtschaftsdelegation nach Moskau und Taschkent. Indien erteilte den Sowjets Aufträge zum Aufbau der indischen Industrie. Im indischen Parlament erklärte einer der Abgeordneten: „Wer von einem Eisernen Vorhang spricht, der ist im Irrtum. Die Ansichten England und Amerikas, daß in Turkestan die alten Kulturgüter vernichtet worden seien, sind falsch, im Gegenteil, die alten Kulturen werden gepflegt und eine neue Kultur hat ihre Blüte erreicht“. Der stellvertretende Vorsitzende des allindischen Friedensrates, Sayfuddin, erklärte: „Die Befestigung der Freundschaft zwischen Indien, der SU und China ist die Voraussetzung für den Frieden der Welt". Nachdem die indischen Delegationen von Turkestan zurückgekehrt waren, fand in Delhi der Kongreß der indischen Gesellschaft zur Pflege der kulturellen Beziehungen mit der Sowjetunion statt, an dem Vertreter sowjetischer, kultureller Einrichtungen teilnahmen.

Es wurde beschlossen, mehr Bücher über die Sowjetunion zu veröffentlichen, regelmäßig Vorträge zu veranstalten und das Studium der russischen Sprache zu fördern.

Die Sowjetregierung versucht, jegliche Situation ihrer Propaganda nutzbar zu machen. So bemühte sie sich auf den internationalen Wirtschafts-und Industrieausstellungen in Damaskus, Izmir und Djarkata, den Völkern des Orients durch ihren hohen Wirtschaftsstand zu imponieren. In Djakarta überließ sie ihr Ausstellungsgebäude mit der gesamten Ware den Indonesiern als Geschenk, worauf die Kommunisten im ganzen Lande Sympathiekundgebungen für die Sowjetunion veranstalteten. Die indonesische antikommunistische Partei „Dar ul Islam“ wurde von den Kommunisten als Agent der Imperialisten bezeichnet. Selbstverständlich sind die Sowjets an einem Handel mit den Orientländern interessiert. Nach sowjetischen Meldungen hat angeblich die Tschechoslowakei Afghanistan einen langfristigen Kredit in Höhe von 8 Millionen Dollar gewährt. Wahrscheinlich handelt es sich um sowjetische Kredite, wobei die Tschechoslowakei jedoch als Vermittler auftritt. Kurz nach dieser sowjetischen Meldung schloß die Sowjetunion mit Afghanistan ein Handelsabkommen. Wie unangenehm den Sowjets eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der afghanischen Wirtschaft ist, ist aus TASS Meldungen zu ersehen, in denen gegen den Einfluß des deutschen Kapitals im afghanischen Handel Stellung genommen wird.

Neben der durch Radio, Zeitungen, Bücher und Bulletins der Sowjet-botschaften ausgeführten Propaganda spielt im Orient die der kommunistischen Partei eine maßgebende Rolle. In den letzten 15— 20 Jahren gelang es der Sowjetregierung in sieben Ländern des islamischen Orients unter der Bevölkerung etwa 50 000 Kommunisten zu werben. Dagegen stieg die Zahl der Kommunisten, wie die sowjetischen Zeitungen meldeten, in Indonesien von einer halben Million in den Jahren 1951— 1952 auf 7 Millionen im Jahre 1954 an. Wenn die Gesamtzahl der Kommunisten auch im Verhältnis zu den westeuropäischen Ländern sehr gering ist, so sind die Kommunisten des Orients jedoch, die eine ganz andere Taktik anwenden als ihre Genossen in Westeuropa, zu gefährlichen Elementen geworden. Sie versuchen das Nationalbewußtsein der Völker ihren Zwecken nutzbar zu machen.

Es ist ihnen dabei gleichgültig mit welchen Kräften sie eine Front bilden.

So erklärte der Sekretär der KP Indonesiens, Ajdit, in der Zeitung Djakartas „Charian Rikyat": „Es ist notwendig, eine enge Solidarität nationaler, religiöser und kommunistischer Organisationen zu schaffen.

Das wird die beste Antwort gegen die imperialistischen Verschwörer und Landesverräter sein“.

Auch für die sowjetische „Befreiungspolitik der kolonialen und halb-kolonialen Völker vom imperialistischen Joch“ wurde Turkestan als Aushängeschild benutzt. Im Laufe von 5 Jahren (1949— 1954) ließ die Sowjetregierung 119 Delegationen aus 38 Ländern nach Turkestan kommen. Die meisten von ihnen traten in ihren Ländern als Träger des sowjetischen „Befreiungsgeistes“ auf. So schrieb der Begleiter der nordafrikanischen Muslimdelegation, der französische General Tubert in seinem Buch „L'Ouzbekistan, republique sovietique“, das von den Muslimen Nordafrikas sehr viel gelesen wurde, folgendes: „In der Zeit, in der sich die kolonialen Mächte in einem Dilemma befinden, und sie sich gegen die Freiheit der von ihnen versklavten Völker verschwören, ist es notwendig, die nationalen Probleme nach der sowjetischen Art zu lösen“ („Pravda Vostoka“ vom 24. 2. 195 5).

Im Orient sind die Hintergründe der sowjetischen Nationalitäten-politik und deren Folgen sehr wenig bekannt. Die Sowjetbehörden verstanden es, durch verlockende statistische Angaben, durch die Betonung der „nationalen Selbständigkeit“, durch die Vorstellung von „Staatspräsidenten“, „Ministerpräsidenten“ oder religiöser Oberhäupter aus den Reihen der Turkestaner, die Völker des Orients zu verwirren.

Dadurch gelang es ihnen im Orient zahlreiche Fürsprecher für die Nationalitätenpolitik Moskaus zu finden. So schrieb z. B. auch im Sinne der Sowjets der Leiter einer der indischen Delegationen, Tedscha Singch: „Unsere Anwesenheit in der Taschkenter Oper, im Konservatorium und in anderen kulturellen Einrichtungen überzeugte uns, daß den Völkern Mittelasiens die Kultur nicht von außen diktiert wird, sondern, daß sie sich auf nationalem Boden entwickelte. Dies ist für die indische Nation in Asien von besonderer Bedeutung" (Qizil Özbekistan“ vom 24. 2. 195 5). Derartige Erklärungen sowjetischer Freunde blieben im Orient selbstverständlich nicht ohne Wirkung.

Die Sowjetregierung versäumte nicht die turkestanischen Mitglieder der sowjetischen Delegation, die vom 6. bis 9. 4. 195 5 an der Delhi-Konferenz teilgenommen hatten, zu der asiatisch-afrikanischen Konferenz nach Bandung zu schicken. Diese Turkestaner sollen ihre „Erfahrungen in der Lösung nationaler und kolonialer Fragen und im sozialen Fortschritt, den Vertretern der Völker, die an der Konferenz teilnehmen, zur Verfügung stellen und sie in dieser Hinsicht beraten“, wie die Zeitung „Qizil Özbekistan“ vom 15. 3. 195 5 berichtete.

Sowjetisierungsprozess Ostturkestans

Ostturkestan, das 1759 von den Chinesen erobert und seit 1877 von ihnen Sinkiang, d. h. „neue Provinz“ genannt wurde, befindet sich zwischen der Mongolei, China, Tibet, Kaschmir, Afghanistan und Westturkestan, bzw.der Sowjetunion. Seine mehr als 8 Millionen Bevölkerung besteht zu 96 % aus Türken und Muslimen. Unter der Führung Jakup Begs hatte Ostturkestan seine Unabhängigkeit erlangt, die von Rußland, England und der Türkei anerkannt worden war. 1877 gelang es jedoch den Chinesen, das Land zurückzuerobern.

Rußland, das nach der Besetzung Westturkestans zum direkten Nachbar Ostturkestans geworden war, war seit 1870 bestrebt gewesen, von seinen Militärstützpunkten im Ili-, Altay-und Osch-Gebiet aus Ostturkestan zu beeinflussen. Bis 1928 hatte Rußland dabei nur wirtschaftspolitische Ziele verfolgt, jedoch gab der Handel den Sowjets die Möglichkeit zu politischer Tätigkeit und seit 1929 gelang es ihnen, in Ostturkestan kommunistische Parteizellen aufzubauen.

Nachdem im April 1930 in Ostturkestan erneut eine nationale Erhebung ausgebrochen war, boten die Sowjets den Chinesen ihre Unterstützung an, um angeblich eine Einmischung Japans zu verhindern. Sie sicherten dem chinesischen Gouverneur Tschin Schu Dscheng Waffenlieferungen zu und schlossen mit ihm, der ohne Wissen seiner Regierung verhandelte, am 1. 10. 1931 ein geheimes Wirtschaftsabkommen ab. Auf Grund dieses Abkommens erhielt die Sowjetregierung unbeschränktes Handelsrecht und Handlungsfreiheit in Ostturkestan. Ihr Versprechen, den Chinesen im Kampf gegen die nationale Erhebung Hilfe zu leisten, wurde von den Sowjets nicht gehalten, um, wie der Leiter der GPU-Mission in Ostturkestan, Dschumabay, der während des Krieges in Deutschland war, selbst berichtete, zuerst die chinesischen Truppen zu schwächen. Es gelang der Sowjetregierung, durch einen von ihr inszenierten Staatsstreich den sowjetfreundlichen Gouverneur Tschin-Schu-Dscheng am 12. 4. 1933 abzusetzen und Scheng-Schi-Tsaj, der seit 1928 Mitglied der KP der Sowjetunion war und im Dienste Moskaus stand, als Gouverneur einzusetzen. Er wurde später auch von der chinesischen Regierung anerkannt. Nachdem die Turkestaner den Sieg über die chinesischen Truppen errungen und am 10. 9. 193 3 eine selbständige türkisch-islamische Republik proklamiert hatten, ließen die Sowjets, denen die Situation sehr gelegen kam, Anfang 1934 ihre Truppen nach Ostturkestan marschieren. Diese setzten sich aus folgenden Gruppen zusammen:

1. 7 000 „chinesische Freiwillige“, die in der Sowjetunion seßhaft waren;

2. 10 000 mandschurische Soldaten, die 1932 vor den Japanern nach Sibirien geflohen und von den Sowjets interniert, umgeschult und beeinflußt worden waren;

3. ein 3000 Mann starkes Panzerregiment, das sich „Altay-Freiwillige"

nannte;

4. 1800 russische Emigranten, die in den Jahren 1918— 1924 nach Ostturkestan ausgewandert waren und sich den Sowjets zur Verfügung gestellt hatten;

5. 150 Flugzeuge mit chinesischen Hoheitszeichen;

6. eine spezielle Säuberungsgruppe der GPU, deren Stärke bisher unbekannt blieb.

Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens behauptete die Sowjetregierung, Japaner und Engländer wollten mit den ostturkestanischen Feudalen eine eigene Herrschaft errichten und würden die Sowjetunion bedrohen.

Dabei war ein maßgebender englischer oder japanischer Einfluß absolut nicht vorhanden gewesen. Es ist anzunehmen, daß die Sowjetregierung die Entstehung einer selbständigen Republik Ostturkestan wegen der politischen Auswirkungen auf Westturkestan sehr fürchtete. Gewiß hatten die Japaner mit großer Aufmerksamkeit die Lage in Ostturkestan beobachtet und waren an dem Zustandekommen einer nationalen Regierung interessiert gewesen, doch hatte dieses japanische Interesse keinesfalls das Stadium einer direkten Bedrohung der Sowjetunion erreicht. Die Japaner hatten sich sogar geweigert, die nationale Regierung Ostturkestans vorzeitig anzuerkennen, obwohl sich dieselbe in dieser Hinsicht bemüht hatte, wie der ehemalige Außenminister der Republik Ostturkestan, Kasim Hadschi Bek, der zur Zeit in Pakistan lebt, berichtete.

Die von den Aufständischen geschlagenen chinesischen Truppen wurden wieder zusammengestellt und erhielten verstärkte Hilfe der zentralen Regierung Chinas. Gemeinsam mit den oben aufgeführten Truppen d: r Sowjets operierten sie gegen die Streitkräfte der nationalen Repuplik.

Die nationale Regierung wurde am 17. 11. 193 5 gestürzt, die Regierungsmitglieder verhaftet und erschossen. Nur wenige von ihnen konnten fliehen. Ostturkestan wurde von da ab, obwohl es sich nominell unter chinesischer Herrschaft befand, vollkommen sowjetisch.

Seit 19 31 war die Sowjetregierung bestrebt gewesen, ihre Positionen in Ostturkestan zu verstärken und besonders nach 193 5 es zum Ausgangspunkt für die Kommunisten Chinas zu machen. So wurde das Land ohne Wissen Tschiang Kai-scheks zu einem russischen Stützpunkt innerhalb des chinesischen Reiches. Wie das möglich war, ist aus folgendem ersichtlich:

1. Der Gouverneur Scheng war der Vertraute der Sowjets und hatte elf Jahre lang (von April 1933 bis Juli 1944) nicht für die Chinesen, sondern für die Russen gearbeitet. Durch seine Unterstützung konnten die sowjetischen Funktionäre ihre Tätigkeit ausüben.

2. Die chinesische Armee in Ostturkestan stand unter dem Einfluß russischer Militärberater, die den Kommunismus in die Reihen der-Offiziere und Soldaten ifiltrierter und gleichzeitig politische Kommissare ausbildeten. Diese in Ostturkestan ausgebildeten politischen Kommissare ließen die Sowjets in andere Einheiten der chinesischen Streitkräfte versetzen, um mit Erfolg weiterhin die Armee im kommunistischen Sinne zu beeinflussen. Die sowjetischen Berater wie die Generale Pogodin, Rabalkin, Kutsov, Djakov und andere erhielten nach dem Sieg des Kommunismus in China wegen ihrer hervorragenden Dienste in Ostturkestan bzw. China die höchsten Orden ihrer Regierung.

3. Die Sowjetregierung unterstellte durch ihre Zivilberater sämtliche Wirtschafts-und Verwaltungsstellen ihrer Kontrolle. Das oberste Kontrollrecht der Zivilverwaltung befand sich in den Händen der Russen Dr. Juravlev und Dr. Lapin. Dadurch konnte der Warenverkehr und Waffenschmuggel ohne Zollkontrolle stattfinden.

4. Zahlreiche Turkestaner wurden entweder in Ost-oder Westturkestan ausgebildet, um dann als Verwaltungsbeamte eingesetzt zu werden.

Es handelte sich hierbei vorwiegend um Westturkestaner oder Angehörige anderer Türkvölker der Sowjetunion.

5. Es wurde eine Gesellschaft zur Bekämpfung des Imperialismus (PenDi Huj) gebildet, deren Aufgabe es war, kommunistische Propaganda und Spionage in Ostturkestan und China zu betreiben. Diese Gesellschaft arbeitete eng mit der KP Chinas zusammen. 6. Die Sowjetregierung nutzte die wirtschaftlichen Reichtümer des Landes aus. Im November 1940 schlossen die Sowjets mit dem Gouverneur Ostturkestans ein Abkommen, das aus 15 Artikeln bestand, in denen der Sowjetregierung das Recht der Feststellung, Erforschung und Ausbeutung von Zinn und anderen Mineralien eingeräumt wurde.

Dieses Abkommen blieb geheim. Erst 1950 wurde der Text in Formosa veröffentlicht und von der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ im April 1954 wiedergegeben. Auch die Zeitschrift „OstProbleme“ 1954, Nr. 20 gab erstmalig in Deutschland den Inhalt dieses Abkommens bekannt. Durch dieses Abkommen hatten die Sowjets die volle Kontrolle über die Bodenschätze Ostturkestans erhalten. 7. Ohne irgendeine vorherige Verständigung mit dem Gouverneur oder der Regierung Chinas, begannen die Sowjets 1935, 350 km westlich von Urumtschi Erdöl zu bohren. 1937 gewannen sie 120 Millionen Tonnen Erdöl. Im Frühjahr 1942 entstanden 3 5 Bohrtürme mit einer Tagesförderung von 67, 3 Tonnen. 8. Der Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion, sowie der mißlungene Mordversuch an dem von den Sowjets selbst zur Macht verholfenen Gouverneur Schen-Schi-Tsaj, der bis 1942 das Interesse Moskaus wahrgenommen hatte und nach dem Attentatsversuch sich von Moskau distanzierte, veranlaßte die Sowjetregierung, bis auf weiteres aus taktischen Gründen auf alle wirtschaftlichen Interessen zu verzichten. So wurden die Arbeiten in den Zinngruben eingestellt, die Verhandlungen über eine Erdölkonzession abgebrochen, die Niederlassungen der sowjetischen Handelsgesellschaften geschlossen, ja sogar die in Hami stationierte Panzerdivision zurückgezogen. Ab April 1943 begann nach dieser kurzen Unterbrechung erneut eine Wirtschaftsoffensive, wobei als erstes 150 Tonnen Wolfram in die Sowjetunion transportiert wurden. Seit 1945 begann man mit der Ausbeutung von Diamanten-, Gold-, LIran-und Wismut-Vorkommen. Um diese stillschweigende sowjetische Ausnutzung der Wirtschaft zu beenden, schlug die Regierung Chinas Rußland am 4. 11.

1946 vor, ein Handelsabkommen abzuschließen, worauf die Sowjetregierung keine Antwort sandte. Mit den übrigen Wirtschaftserzeugnissen außer LIran, Wolfram und Zinn versorgten die Sowjets die Kommunisten Chinas. Sie unterstützten sie ferner mit Lebensmitteln und Waffen, die über die Turk-Sib-Bahn bis Tschugutschak und von hier aus bis ins Innere Chinas ohne irgendwelche Schwierigkeiten weitergeleitet werden konnten.

Diejenigen Turkestaner, die einer Verbreitung des sowjetischen Einflusses Widerstand leisteten, wurden von der Sowjetregierung verhaftet. So wurden z. B. die qazaqischen Stammführer des Altay-Gebietes, die unter dem Vorwand einer Versammlung nach Urumtschi berufen wurden, dort Anfang 1940 verhaftet. Aus Protest gegen diese Maßnahmen traten die Qazaqen am 2. 2. 1940 in den Aufstand. Die Bekämpfung der Aufständischen bereitete den Sowjets große Schwierigkeiten. Sie entließen deshalb die qazaqischen Stammführer Dschanim Chan und Elen Tora aus den Gefängnissen und sandten eine Delegation mit einem sehen Sowjets und Aufständischen vom 15. 5. 1940 verpflichteten sich die aufständischen Turkestaner, das Feuer einzustellen, sofern andererseits die Sowjets keine Russen mehr in ihr Land senden würden. Da die Russen ihre Verpflichtungen nicht einhielten, brach ein erneuter Aufstand aus. Inzwischen hatte Llsman Batur eine Gesellschaft zur Entwicklung der Nation (Ultti örkendetü uyumu), durch die das Land die Unabhängigkeit erhalten sollte, gegründet. Es gelang den Aufständischen Ende 1946, im Ili-und Altay-Gebiet unter der Führung Llsman Baturs eine selbständige, provisorische nationale Republik Ostturkestan zu proklamieren. Die Sowjets versprachen dieser Regierung Waffenlieferungen und versuchten sie dadurch gegen die Chinesen zu beeinflussen. Llsman Batur lehnte das Anerbieten ab. Ferner forderten sie, Llsman Batur solle sich mit seinen Truppen vom Altay-Gebiet ins Ili-Gebiet zurückziehen. Auch dieses wurde abgelehnt. Daraufhin marschierten 6000 sowjetische Soldaten in das Altay-Gebiet Ostturkestans.

Am 18. 9. 1941 schloß einer der aufständischen Führer, Abdulasis Kasim, der prosowjetisch gesinnt und sowjetischer Staatsbürger war, mit den Russen einen Waffenstillstandsvertrag, in dem er den Russen das Recht einräumte, weiterhin im Altay-Gebiet zu verbleiben. Llsman Batur und seine Anhänger setzten den Kampf gegen die Chinesen und Russen fort. Anfang 1942 marschierten sowjetische Einheiten in Stärke von 23 000 Mann nach Ostturkestan. Der Kampf gegen die Aufständischen ging weiter. Wegen der kritischen Kriegslage vermied die Sowjetregierung, ihre Truppen in Ostturkestan verstreut gegen die nationale Erhebung einzusetzen. Sie dienten vorwiegend zur Sicherung ihrer Stützpunkte in Ostturkestan.

Am 25. 9. 1949 brach die Herrschaft Tschiang-Kai-scheks in Ostturkestan zusammen, nachdem die im Verwaltungsapparat befindlichen Kommunisten die Macht übernommen hatten. Damit trat die seit 19 3 3 inoffiziell ausgeübte kommunistische Herrschaft in Ostturkestan offen in Erscheinung. Der Sowjetisierungsprozeß wurde nun in einer noch intensiveren Form durchgeführt. Die erste und wichtigste Aufgabe der kommunistischen Herrschaft in Ostturkestan war, die nationale Erhebung vollständig zu unterdrücken. Durch gemeinsame Operationen sowjetischer Einheiten, die sich seit 1942 in Ostturkestan befanden, und der Kommunisten Chinas konnten die Aufstände Ende 19 51 unterdrückt werden. Der Oberbefehlshaber der Freiheitstruppen, Llsman Batur, und 25 seiner führenden Mitkämpfer wurden, wie Radio Urumtschi . vorn 24. 8. 1951 gemeldet hatte, in Anwesenheit von etwa 90 000 Menschen demonstrativ in Urumtschi erhängt. Der Sekretär der KP Ostturkestans, Scho-Li-Hin erklärte am 28. April 1951: „Es wurden 13 569 Anhänger Llsman Baturs, 889 Angehörige der Einheiten von Muhammed Niyaz (einer der Führer des Freiheitskampfes) und 300 Anhänger von Mahsud Sabri (der von den Kommunisten selbst zum Gouverneur ernannt und am 8. 4. 1951 wegen Unterstützung der Nationalisten verhaftet worden war) vernichtet.“

Der ehemalige Präsident der kommunistischen Landesregierung, Burchan, sagte in seiner Radioansprache am 1. 1. 1952: „Im Laufe von drei Jahren wurde die Antirevolutionsbewegung unterdrückt. Die Säuberung unserer öffentlichen Einrichtungen von aufständischen Banditen, nationalistischen Feinden und Anhängern der Imperialisten wurde mit Erfolg durchgeführt. Es ist uns gelungen, von oben genannten Volks-

feinden 120 000 zu vernichten.“ Nach der Bekanntgabe von Scho-Li-Hing waren seit der, Machtübernahme durch die Kommunisten 30 nationale Organisationen aufgedeckt worden. Zwischen aufständischen Turkestanern und kommunistischen Truppen hatten 66mal erbitterte Kampfhandlungen stattgefunden (Zeitschrift „Milli Türkistan“, Nr. 7 5, 1951, S. 8— 9), jedoch waren die Aufständischen nicht in der Lage gewesen, sich durchzusetzen. So begann seit 1951 ein Flüchtlingsstrom nach Kaschmir. Nach Angaben von Flüchtlingen aus Ostturkesan, die jetzt in Pakistan und der Türkei leben, versuchten etwa 60 000 Freiheitskämpfer mit ihren Familien, vor der kommunistischen Herrschaft zu fliehen. Nach dem Bericht des „Manchester Güardian“ vom 2. 11. 19 5 3 gelang es nur etwa 3 5 000, das Himalaya-Gebirge zu erreichen. Die übrigen starben im Kampf mit den Kommunisten oder wurden gefangengenommen. Zahlreiche Flüchtlinge, die versuchten, sich über das Himalaya-Gebirge zu retten, erfroren, oder kamen durch Krankheiten und Hunger ums Leben. Etwa 3200 Männer, Frauen und Kinder erreichten Kaschmir und konnten dort Zuflucht finden. Von hier wanderten sie zum größten Teil nach Pakistan und der Türkei aus. Die türkische Regierung genehmigte 1952 die Aufnahme von 8000 turkestanischen Flüchtlingen. Etwa 2000 fanden bisher LInterkunft. Zur Zeit bemüht sich die Türkei, ihnen eine Existenzgrundlage zu schaffen. Über das tragische Schicksal der Aufständischen, die mit Tapferkeit, starkem Lebenswillen und ausgeprägtem Volksbewußtsein einst versucht hatten, ihrem Land die Freiheit zu erhalten, berichtete ausführlich Goldfrey Lias in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 17. 2. und 20. 2. 1955 unter der Überschrift „Freiheitskampf der Nomadenstämme in Sinkiang".

Der Sowjetisierungsprozeß in Ostturkestan, der zur Zeit noch nicht abgeschlossen ist, wurde in folgender Weise durchgeführt: 1. In den nach dem Muster der Sowjetunion aufgebauten Verwaltungsapparat wurden von den Sowjets, aktive Kommunisten, die bereits seit 19 33 in Ostturkestan für Moskau tätig waren, eingesetzt, wobei es sich hauptsächlich um Russen, Turkestaner, Chinesen und Mongolen handelte. 2. Die gesamten Kontrollmaßnahmen wurden dem sowjetischen Generalkonsulat übertragen, das die Befehle Moskaus an den Verein der Sowjetbürger, dessen Vorsitzender der Russe LIgulin ist, weiterleitet.

Der Präsident der Landesregierung, Sayfuddin Asis, der im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens steht, ist ebenfalls sehr moskaufreundlich gesinnt. 3. Die Kontrolle über die gesamten Verkehrswege wurde von den Sowjets übernommen. Dadurch konnte die Sowjetregierung die Verbindungslinien nach China in der Hand behalten. 4. In den Schulen wurde der russische Sprachunterricht eingeführt. Der Kampf gegen den Islam war eine der wichtigsten Maßnahmen zur Durchdringung der kommunistischen Ideologie. Es wurde ein Gottlosen-Verein gegründet. Die Moscheen wurden abgerissen oder geschlossen. Den Turkestaner Chodscha Niyaz Hadschi ernannte man zum Mufti und stellte ihm die Aufgabe, unter der Bevölkerung den Kommunismus zu propagieren. 5. Durch die Klassenkampfpolitik wurde nach der Radiomeldung aus Urumtschi vom 13. 5. 195 3 die kapitalistische Klasse „unschädlich“

gemacht. Der Minister für innere Angelegenheiten Ostturkestans, Chu-Ju-Sing, teilte mit, daß innerhalb eines Jahres 7759 kapitalistische Elemente beseitigt worden waren. Die Regierung bildete zur Bekämpfung der Konterrevolutionäre und der kapitalistischen Elemente 1730 Gruppen, je 10— 15 Mann stark, die von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt zogen, um die Feinde der Kommunisten ausfindig zu machen. Im Zuge der Beseitigungsaktion wurde sogar der sehr vermögende Turkestaner Abdul Karim Mahdum, der seit 30 Jahren für die Sowjets gearbeitet und den größten Teil seines Vermögens der sowjetischen Propaganda zur Verfügung gestellt hatte, verhaftet.

6. Etwa 70 Prozent der Bauern wurden kollektiviert. Es entstanden 28 Staatsgüter, die alle nach sowjetischem Muster arbeiteten.

7. Zur Ausnutzung der Bodenschätze wurden 19 50 sowjetisch-chinesische Gesellschaften zur Gewinnung von Edelmetallen und Erdöl gegründet. Nachdem die Sowjets die Mineralien-und Ölfeldergebiete mit eigenen Leuten besetzt hatten, wurden die Gesellschaften am 12. 10. 1954 liquidiert. Die Sowjetregierung behielt sich das Recht vor, weiterhin auf dem in der Takla-Makan-Wüste eingerichteten „Friedensgrad“ (wahrscheinlich Atomwaffenherstellungsgebiet)

zu verbleiben. Wegen der reichen Uran-Thoriumvorkommen errichtete die Sowjetregierung, wie Augenzeugen berichteten, in Ostturkestan eines der Atomenergiezentren, das unter der wissenschaftlichen Aufsicht von Prof. Skobeletzin stand. Ostturkestan wurde zu einer sowjetischen Militärbasis, wobei die Chinesen nicht unbeteiligt geblieben sind. Unter dem Vorwand, in die Altay-und Ili-Gebiete, den eigentlichen Industrierohstoffzentren, Facharbeiter zu schicken, brachten die Sowjets bisher allein im Altay-Gebiet mehr als 80 000 Russen unter. Sobald die geplante Eisenbahnlinie zwischen Lanchow—Alma-ata fertiggestellt ist, sind die Sowjets in der Lage, Ostturkestan von zwei Seiten zu erreichen, während die Chinesen auf die Benutzung nur einer Bahnverbindung angewiesen sind.

Fussnoten

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