New York, Washington, San Francisco
Wer sich ständig mit europäischer Politik beschäftigt, läuft Gefahr zu vergessen, daß die Politik der Amerikaner ebensosehr von ihren ostasiatischen Interessen bestimmt wird, wie von den europäischen, und daß die russische Politik heute vielleicht mehr von China abhängig ist als von den Vereinigten Staaten oder von Europa.
Dieser Gedanke war es, der mich bestimmte, auf einer Reise nach den Vereinigten Staaten und nach Java einige Zeit in Tokio, Hongkong und Bangkok zu verbringen, mich aber vorher in den Vereinigten Staaten danach umzusehen, was die wirklichen Grundlagen ihrer fernöstlichen Politik seien. Nach dem, was der deutschen Presse zu entnehmen war, hätte man glauben sollen, daß in den Staaten an der Pazifischen Küste eine wesentlich andere Politik verfolgt werde als in Washington und in den atlantischen Staaten, daß diese Politik sehr radikal sei und zu gefährlichen Maßnahmen und möglicherweise zum Kriege führen könne.
Meine letzten unmittelbaren Eindrücke über die amerikanische Politik hatte ich während eines Besuches im Oktober 1953 erhalten. Damals beschwerte man sich lebhaft darüber, daß Präsident Eisenhower dem Lande keine Führung gäbe. Es war sehr eindrucksvoll, um die Jahreswende 1954— 55 festzustellen, welche beherrschende Stellung er sich inzwischen erworben hatte. Dabei spielte eine Rolle, daß zu diesem Zeitpunkt ein gewisses politisches Vakuum eingetreten war. Die Wahlen des Herbstes 1954 brachten eine demokratische Majorität in beiden Häusern des Kongresses. Da der Kongreß aber erst Anfang Januar 195 5 zusammentrat und zunächst einige Zeit brauchte, um sich zu organisieren, seine Führung in den einzelnen Komitees zu bestimmen und die neuen Mitglieder in die Fraktionen einzugliedern, war mit einer konsolidierten Stellungnahme zu den außenpolitischen und innenpolitischen Fragen vor dem Ablauf des ersten Vierteljahres 1955 nicht zu rechnen. Diesen Spielraum hat der Präsident mit ebensoviel Klugheit wie Entschiedenheit benutzt.
In seiner eigenen republikanischen Partei hat der radikale McCarthy-Flügel sich erheblich abgenutzt. Es war nun die Frage, ob in der Fernost-politik Senator Knowland aus Kalifornien, der Führer der Republikaner im Senat, der ruhigen Führung des Präsidenten Schwierigkeiten bereiten würde.
Ich sah mit erheblicher Spannung dem entgegen, was sich darüber an der Pazifischen Küste beobachten ließe. Das Ergebnis war nicht beunruhigend. Man wich Fragen über den Senator und seine Politik mit einer gewissen Verlegenheit aus. Selbst Menschen, die seiner Familie nahestanden, sprachen von ihm nicht besonders gern. Der tiefere Grund war offenbar, daß man das Gefühl hatte, er habe das Vertrauen, das der Präsident in ihn setzte, nicht gerechtfertigt. Es wurde nur selten gesagt, aber es wurde gesagt. Bei aller demokratischen Formlosigkeit im Verkehr mit dem Präsidenten wird sein Amt mit tiefem Respekt behandelt, vielleicht in Kalifornien noch mehr als in Washington, wo man den Dingen und Personen zu nahe ist.
Ich war lange nicht an der Pazifischen Küste gewesen. Wenn der amerikanische Reichtum und die Höhe des Lebensstandards überall im Lande eindrucksvoll sind, so sind sie es dort in noch höherem Maße als in den anderen Teilen des Landes. Aber es wird nicht so viel gehetzt wie im Osten, man genießt seinen Wohlstand, man hat mehr Zeit, und man hat mehr Freude am Dasein. Das ganze Leben macht einen durchaus gesunden Eindruck. Es fällt auf, wie viele stattliche Menschen man dort sieht. Die Bergbezirke schicken kräftige Menschen herunter an die Küste, körperlich und geistig gesund.
Wenn früher von der „gelben Gefahr“ sorgenvoll die Rede war, wird dieses Thema heute selten erwähnt. Warum sollte man auch davon sprechen? Man hat einen schweren Krieg im Fernen Osten gewonnen; amerikanische Truppen stehen in Japan und Korea und die Siebente Flotte patroulliert vor der chinesischen Küste. Es gibt in den Vereinigten Staaten hitzige Gemüter, die glauben, man müßte mit China Krieg führen und dort den Kommunismus an der Wurzel treffen. Solche Radikalen hat es auch in Deutschland gegeben und zeitweilig sogar in England. Sie machen mit ihrem Geschrei Sensation und erzeugen Schlagzeilen in den Zeitungen. Damit ist aber ihre Bedeutung erschöpft, von irgendeiner kriegerischen Stimmung oder einer wesentlichen Beunruhigung der öffentlichen Meinung ist keine Rede.
Auch die vor einigen Jahren mit größter Erbitterung geführte Debatte über die Chinapolitik der demokratischen Administration ist inzwischen abgeklungen, wenn sie auch noch nicht aufgehört hat. Sie ist aber aus den Hearings der Kongreßuntersuchungen und von den Titelseiten der Zeitungen in die Studierstuben der Historiker verlegt worden, wo man versucht, die Quellen zu erforschen. Der seit Jahren angekündigte Prozeß gegen den Asien-Experten Professor Owen Lattimore, der als kommunistischer Einflüsterer des State Department und des Weißen Hauses hingestellt wurde, hat bisher nicht stattgefunden, und es ist zweifelhaft, ob er stattfinden wird. Für viele Amerikaner ist aber alles, was sich seit 1945 und vor allem im letzten Jahr des chinesischen Bürgerkrieges auf der anderen Seite des Stillen Ozeans abgespielt hat, „The great Defeat“, die große Niederlage. Die Amerikaner, die mit den chinesischen Sühnezahlungen nach dem Boxeraufstand in China Schulen und Hochschulen bauten, die eine außerordentlich große Zahl von Missionsstationen in China unterhielten, die sich immer für den Grundsatz der „offenen Tür“ einsetzten und sich nach der Stimson-Doktrin weigerten, den durch „Aggression“ der Japaner in der Mandschurei geschaffenen Zustand anzuerkennen, die noch während des Krieges selbst gegen ihre englischen und französischen Verbündeten laut den Grundsatz des Antikolonialismus vertraten, die nach 1945 recht beträchtliche Summen an China gaben: diese Amerikaner fühlen sich enttäuscht und betrogen, und sie machen für diesen „Betrug“ ihre eigene Regierung verantwortlich.
Am schwersten wird Roosevelt angegriffen, und zwar wegen der Abmachungen von Jalta, die hinter dem Rücken des chinesischen Verbün-deten getroffen wurden. John Foster Dulles berichtet in „War or Peace“, daß der damalige nationalchinesische Ministerpräsident T. V. Soong ihn während der Gründungsversammlung der Vereinten Nationen in San Francisco gefragt habe, ob tatsächlich in Jalta „Geheimabkommen“ des Inhalts geschlossen worden seien, daß der Status quo der Äußeren Mongolei unter kommunistischer Regierung und die tatsächliche Abtrennung von China bestätigt, die „überragenden Interessen“ der Sowjetunion an der Ostchinesischen und Südmandschurischen Eisenbahn sowie im Hafen von Dairen anerkannt worden seien und daß Port Arthur wieder zu einem russischen Marinestützpunkt gemacht werden solle. Dulles unterrichtete Außenminister Stettinius über dieses Gespräch und fragte, was er T. V. Soong antworten solle. Stettinius, der in Jalta zugegen gewesen war, erwiderte, ihm sei von derartigen Abmachungen nichts bekannt und Dulles könne dies dem chinesischen Ministerpräsidenten mitteilen. Kurz darauf begab sich Soong nach Moskau und mußte dort den Vertrag vom 14. August 1945 unterzeichnen, der praktisch die von den Sowjets in Jalta erreichten Vorteile bestätigte. Dulles ist der Meinung, daß Tschiang Kai-schek dadurch in ähnlicher Weise beeinflußt worden sei wie Benesch durch die Münchner Konferenz 193 8. Tatsache ist, daß Tschiang Kaischek sich nur sehr widerstrebend zu den Verhandlungen mit den Kommunisten bereitfand, zu denen General Marshall als Sonderbeauftragter des Präsidenten Truman ihn nötigte. Wenn man sich die Beziehungen zwischen Bonn und Pankow vergegenwärtigt, wird man es verständlich finden, daß er eine „Einigung“ mit den Kommunisten für unmöglich hielt, es sei den um den Preis der Selbstaufgabe. Tatsache ist weiter, daß die Sowjets die in der Mandschurei gemachte Kriegsbeute an japanischen Waffen den chinesischen Kommunisten zur Verfügung stellten, während den Truppen Tschiang Kai-scheks der Weg in die Mandschurei versperrt wurde. Wenn von Seiten der demokratischen Regierung immer wieder darauf hingewiesen worden ist, daß den Nationalchinesen doch insgesamt „über zwei Milliarden Dollar“ an Anleihen, Materiallieferungen und Waffen zugegangen seien, so reduziert sich diese Summe bei einer wirklich gründlichen Durchleuchtung auf einige hundert Millionen Dollar.
Tatsache ist endlich, daß Waffen-und Munitionslieferungen an die Nationalchinesen gerade während der entscheidenden Phase des Bürgerkrieges vom Herbst 1946 bis Sommer 1947 gestoppt worden sind.
Die amerikanische Konzeption, so scheint es, sah wohl so aus, nach dem Sieg über Deutschland, nach dem Sieg über Japan, nun durch einen gewissen Druck auf einen Zusammenschluß der chinesischen Kräfte auch das chinesische Problem „zu lösen“. Dieser Versuch ist völlig mißlungen, und deshalb erklären viele Amerikaner den Verlust von „ 500 Millionen Verbündeten“ und nicht zuletzt auch den Koreakrieg mit seinen hohen amerikanischen Blutopfern als „große Niederlage“, eine direkte Konsequenz der geschilderten Politik.
Sicher würden viele Amerikaner begeistert sein, wenn man durch ein Wundermittel, etwa durch die Landung von ein paar Bataillonen nationalchinesischer Truppen eine ähnliche „Lawine“ auslösen könnte, wie sie 1947/49 von Norden nach Süden über China rollte — nur diesmal von Süden nach Norden und mit demokratischem statt kommunistischem Vorzeichen. Aber alle ernsthaften Politiker und Militärs haben derartige Gedanken und Hoffnungen längst aufgegeben. Geblieben ist die Politik der „Eindämmung“, der Organisation des Verteidigungsperimeters, die nach amerikanischer Auffassung von Japan über Südkorea, die Riukiu-Inseln und die Philippinen nach Australien reicht. Der Pazfikpakt zwischen den Vereinigten Staaten, Australien und Neuseeland, der Pakt von Manila, dem diese drei Nationen und außerdem Großbritannien, Frankreich, die Philippinen, Thailand und Pakistan beigetreten sind, die Verteidigungsabkommen mit den Philippinen, Nationalchina (Formosa), Südkorea und Japan bilden die diplomatisch-militärischen Instrumente dieser strategischen Planung.
Die letzte, allerdings höchst bemerkenswerte Wendung der amerikanischen Politik ist mit der grundsätzlichen Zustimmung zu dem Vorschlag Tschou En-lais erfolgt, Verhandlungen über Formosa — oder über einen Waffenstillstand im Gebiet von Formosa auch ohne Beteiligung Nationalchinas zu führen. Zwar hat Präsident Eisenhower sich vom Senat das Recht bestätigen lassen, zur Verteidigung auch der dem Festland unmittelbar vorgelagerten Inseln Quemoy und Matsu einzugreifen, falls ein Angriff auf diese Inseln die Sicherheit Formosas unmittelbar in Gefahr bringe, aber schon während meines Aufenthaltes in Kalifornien zweifelte eigentlich niemand daran, daß Quemoy und Matsu eines Tages ebenso geräumt werden würden wie im Januar die Tachen-Inseln.
Deutlich spürte man, daß die öffentliche Meinung einer Vermehrung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Rotchina günstig war und daß die Regierung sich mit dieser Frage beschäftigte. Verteidigungsminister Wilson sprach es ganz offen aus, wobei freilich auffiel, daß seine Äußerungen zwar in der Tagespresse wiedergegeben, aber nicht einmal in den Wochen-zeitschriften wie „Time“ wiederholt wurden.
Die Bemühungen des Generalsekretärs der UNO Hammarsköld wurden sehr aufmerksam verfolgt und das Angebot der Chinesen, daß die Angehörigen der amerikanischen Gefangenen, um die sich die Mission Hammarskölds drehte, sie besuchen dürften, fiel durchaus auf günstigen Boden. Die Regierung — und ihrer Anregung folgend auch die Presse — lehnte dann das Angebot ab, nachdem neue Unruhe um die an der chinesischen Küste gegenüber Formosa gelegenen Inseln entstanden war.
In dieser Frage wurde dann endgültig Stellung bezogen durch die Botschaft des Präsidenten über Formosa, der der Kongreß in beiden Häusern fast einstimmig zustimmte. Ihr wesentlicher Inhalt war, daß Formosa und die Pescadores verteidigt werden sollen.
Das ist eindeutig und mit aller Entschiedenheit gesagt, mit der Entschiedenheit, die damals fehlte oder an die man wenigstens nicht glaubte, als England und Frankreich 1939 erklärten, sie würden Polen und Danzig verteidigen.
Es ist nun nicht leicht festzustellen, ob man die merkwürdige historische Unlogik in der Botschaft des Präsidenten nicht sehen will oder wirklich nicht sieht. Der Präsident stützt sich auf zwei Argumente:
Das eine ist, die Vereinigten Staaten haben ein Bündnis mit Tschiang Kai-schek und seiner auf Formosa befindlichen Regierung und sind daher verpflichtet, ihn zu unterstützen, wenn auch der Vertrag mit ihm vom Kongreß noch nicht ratifiziert ist.
Die Vereinigten Staaten haben eine sehr viel reichere Erfahrung in der Behandlung von Regierungswechseln anderer Länder als die meisten anderen Staaten sie besitzen, da ihre Nachbarn in Süd-und Mittelamerika ihnen auf diesem Gebiete schon sehr häufig Kummer gemacht haben. Schließlich hat sich dann die Tradition durchgesetzt, die Regierung, die die Macht in einem Land ergriffen hat, anzuerkennen, wenn sie den Beweis erbracht hat, daß sie die Macht wirklich besitzt und in der Lage ist, sie auszuüben. Diesen Beweis hat die chinesische Regierung auf dem Fest-lande, Mao Tse-tung und Tschou En-lai, im Verlaufe von fünf Jahren, seitdem Tschiang Kai-schek das Land verlassen hat, zweifellos erbracht. Das Argument ist also nicht sehr stark, vor allem dann nicht, wenn man sich anheischig gemacht hat, ein historisches Unrecht wieder gutzumachen, in dem Formosa eine ausschlaggebende Rolle spielt. Diese Insel wurde 1895 von den Japanern den Chinesen weggenommen, und da dies ohne erkenntlichen rechtlichen Grund geschah, wurde sie nach dem zweiten Weltkrieg den Japanern wieder abgesprochen, um den Chinesen zurückgegeben zu werden. Auf die Einlösung dieser Zusage erheben Mao und Tschou En-lai Anspruch.
Das zweite Argument lautet: Die Sicherheit der Vereinigten Staaten und der westlichen Welt erfordere es, daß die von dieser wichtigen Insel beherrschte Seestraße geschützt werde und darum dürfe die Insel nicht in die Hände des kommunistischen China fallen. Mit demselben Argument haben die Engländer Truppen am Suez-Kanal festgesetzt, um den Seeweg nach Indien zu schützen. Aber gerade die Vereinigten Staaten haben in den letzten Jahren lebhaft dabei mitgewirkt, das Verlangen der ägyptischen Regierung auf Entfernung der englischen Truppen durchzusetzen, weil der Anspruch eines Staates auf sein Hoheitsgebiet wichtiger sei als der Anspruch eines anderen Staates zum Schutze seiner Zufahrtsstraßen.
Die Logik der Geschichte wird entscheiden, ob die amerikanische Argumentation haltbar ist. Es kommt aber heute letzten Endes nicht auf die Logik sondern auf die Tatsachen an, und eine dieser Tatsachen ist, daß die Vereinigten Staaten Formosa verteidigen werden. Eine andere Tatsache ist, daß das amerikanische Volk nicht die mindeste Absicht hat, das chinesische Festland anzugreifen und sich dort in einen langen Krieg zu verwickeln.
Tokio
Wenn man das Imperial-Hotel in Tokio betritt, findet man sich in einer Hotelhalle, wie sie überall in der westlichen Welt vorkommt, mit Portierloge, Empfangschef, Clubsesseln. Aber in der Mitte des Raumes steht auf einem Tische eine Vase mit Zweigen und Blumen, die so kunstvoll zusammengestellt sind, wie das nirgends sonst in der Welt zu sehen ist; dieses Kunstwerk ist von einem Scheinwerfer von der Decke her beleuchtet, und so steht es im Raume als eine Manifestation reiner Schönheit. Es ist der frappierende erste Eindruck in einem Lande moderner Industrie und militärischer Leistungsfähigkeit.
Und dem ästhetischen Zuge entspricht eine weiche Stelle im Charakter: ein Taxi überfuhr den Hund, den ein Deutscher spazieren führte.
Der Chauffeur hielt sofort, verließ den Wagen und entschuldigte sich.
Er bot sich an, den Hund und seinen Herrn nach Hause zu fahren, weinend hob er das tote Tier auf und gelobte, für seine Seele im Tempel Gebete verrichten zu lassen.
Die Schönheit des Landes und seiner Gärten, die Frauen in ihren seltsamen Gewändern in herrlichen Farben und die Höflichkeit und Heiterkeit der Menschen faszinieren.
Aber das heutige Schicksal des Landes und seiner Bewohner wird wesentlich bestimmt durch den Gegenpol im Charakter des Volkes. Die überaus grausam geführten Kriege der letzten zwanzig Jahre, vor allem in China und auf den Philippinen sind nicht vergessen. Das Land wirkt wie isoliert von seinen Nachbarn. Bei den einen überwiegt die Abneigung gegenüber Japan — so bei den Chinesen, die den Japanern nicht vergessen, daß sie sich wie die Weißen an der Zerschlagung ihres Landes beteiligten —, bei den anderen die Angst vor Japan. Diese Angst und Abneigung sind bestimmende Faktoren in der politischen Lage Ost-Asiens.
Lind das hat ganz konkrete wirtschaftliche Folgen — die Pflege von Handelsbeziehungen mit Japan wird abgelehnt. Andere Kriegsfolgen kommen hinzu. Die von Japan im Kriege besetzten Länder verlangen Reparationen, und bevor darüber keine Vereinbarungen getroffen sind, sperren sie ihre Grenzen weitgehend gegenüber japanischen Waren. Die philippinische Regierung verlangt eine Milliarde Dollar Reparationen, einen Betrag, den die japanische Volkswirtschaft aufzubringen bestimmt nicht in der Lage ist. Die indonesische Regierung hat die über mehrere Jahre ausgelaufene Verschuldung aus japanischen Importen als Sicherheit für Reparationen festgehalten; also stockt der Handelsverkehr.
Solange Japan auf dem asiatischen Festlande, in der Mandschurei und in anderen Teilen von China Rohstoffquellen an Kohlen, die es für seine Industrie benötigt, und an Agrarprodukten, wie Sojabohnen, besaß, konnte es seine eigene Wirtschaft versorgen und seine Stellung auf den internationalen Märkten regulieren. Das fällt jetzt fort.
Japan bezieht Kohle in großen Mengen aus den Vereinigten Staaten, die von der Ostküste, aus den Häfen Philadelphia und Baltimore, verschifft werden. Dieser ungeheure Transportweg ist immens teuer und ein offenbarer wirtschaftlicher Unsinn. Aber die näherliegenden Kohlenvorkommen können nach japanischer Behauptung nicht, oder jedenfalls nicht ausreichend, herangezogen werden. Die chinesischen Lieferungen, sagt man, hätten nicht die erforderliche Qualität aufgewiesen. Aber das ist nicht ganz überzeugend. Denn früher hat es ja ausreichende Qualitäten gegeben. Es wird denn auch zugegeben, daß umfangreiche Absprachen mit der chinesischen Regierung nicht auf wirtschaftliche, sondern auf politische Schwierigkeiten stoßen, da man es in Japan als mißlich empfindet, in China nur mit Regierungsorganisationen abschließen zu können und sich damit in die Lage gebracht zu sehen, daß die lebenswichtigen Zufuhren bei politischen Schwierigkeiten jederzeit abgeschnitten werden könnten. In dem Augenblick, in dem es den Chinesen aus irgendeinem Grund einfiele, die Kohlenlieferungen zu sperren, hätte Japan keine Kohle. Die ganze japanische Indus»trie würde vom Willen der Chinesen abhängen.
In Indien ist die Lage ähnlich, aber mit umgekehrten Vorzeichen: die dortige Regierung ist bislang nicht bereit, die Ausbeutung von Kohlen-vorkommen für große Lieferungen an Japan zu gestatten, um nicht die indische Wirtschaft in Abhängigkeit von der japanischen Wirtschaft und Politik geraten zu lassen.
Die japanische Wirtschaft wurde durch den Korea-Boom plötzlich in einen ungeheuren Schwung versetzt, und es ist kein Wunder, daß die regulierenden Kräfte der Gesetzgebung und der Ordnung, Zentralbank und andere Faktoren ähnlicher Art, mit der Geschwindigkeit dieser Entwicklung nicht Schritt halten konnten. In Deutschland haben wir nur die Ausläufer dieses Booms zu spüren bekommen und den dadurch bewirkten Aufschwung in einer besser geordneten Weise nutzen können.
In Japan kam die Doppelgleisigkeit der Wirtschaftspolitik hinzu, die durch das Nebeneinanderbestehen der Besatzungsmacht und der japanischen Regierung, die noch im Anfang ihrer Entwicklung stand, bedingt war.
Zur Zeit wird der Ausgleich in der japanischen Zahlungsbilanz durch die Aufwendungen herbeigeführt, die die Vereinigten Staaten für ihre Truppen und militärischen Stützpunkte in Japan machen. Der Warenaustausch zwischen Japan und den Vereinigten Staaten liegt ganz zu Ungunsten Japans. Es werden für 750 Mill. Dollar amerikanische Waren eingeführt, und die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten ist nur 250 Mill.
Dollar wert. Die Differenz wird, ebenso wie die Differenz gegenüber mehreren anderen Ländern, durch die amerikanische Militäraufwendungen von 800 Millionen Dollar ausgeglichen. Es besteht also, vom wirtsckaftlichen Standpunkt aus gesehen, für Japan gar keine Veranlassung, an dem jetzigen Zustande amerikanischer Militärhilfe etwas zu ändern.
Werden einmal die amerikanischen Truppen durch japanische Truppen ersetzt, so entfällt nicht nur der Devisenstrom, es entsteht vielmehr ein Devisenbedarf durch die Ausrüstung japanischer Truppen und eine Verringerung des Angebots an Arbeitskräften.
Wie das Problem der japanischen Wirtschaftsführung einmal gelöst werden kann, ist heute nicht zu übersehen. Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger durch einen Geburtenüberschuß von mehr als einer Million im Jahr. Japan hatte Ende 1954 über 88 Millionen Einwohner. Der Geburtenüberschuß des Jahres 1954 war mit 11/4 Million der geringste seit Kriegsende; zu diesem Zeitpunkt zählte man nur etwas mehr als 72 Millionen Einwohner im Lande.
Die Bevölkerung ist mindestens zur Hälfte in der Landwirtschaft beschäftigt, zu mehr als 40 °/o allein im Reisbau, also für das Hauptnahrungsmittel des Landes tätig. Der Reis hat jedoch keine gute Qualität, weil die Bewässerung unzureichend und der Boden ermüdet ist.
Seit 36 Jahren bemüht sich die Regierung, neuen Boden zu gewinnen.
Aber was der Landwirtschaft zugeführt werden könnte, wurde im gleichen Umfange durch Industrieanlagen fortgenommen oder durch Naturkatastrophen vernichtet. Es können überhaupt nur 15 °/o der Oberfläche der japanischen Inseln landwirtschaftlich genutzt werden und auf diesem kargen Boden können auch nur — zusammen mit den Erträgen der Fischerei — 80 Prozent der Ernährung des japanischen Volkes erzeugt werden, der Rest muß eingeführt werden.
Japan muß also für seine Menschen neue Siedlungsgebiete erschließen, oder es muß Industrieprodukte ausführen. Gegen beides wehren sich seine Nachbarn.
Der Handel Deutschlands mit Japan ist im gesamte Bilde des japanischen Außenhandels bescheiden. Von Mitte 1953 bis Mitte 1954 wurden deutsche Waren im Werte von 50 Millionen Dollar aus der Bundesrepublik nach Japan ausgeführt und von dort für 19 Millionen Dollar eingeführt.
Diese Zahlen lassen sich bestimmt steigern, und da die Vereinigten Staaten nach ihren Zollgesetzen, die so schwer zu ändern sind, die Einfuhr japanischer Waren nicht vergrößern können, die amerikanische Regierung aber einsieht, daß der japanische Außenhandel gestärkt werden muß, steht sie der Steigerung des deutsch-japanischen Handels mit Wohlwollen gegenüber.
Ausbaufähig aber ist auch der geistige Austausch zwischen Deutschland und Japan. Die führenden Männer der japanischen Politik und Wirtschaft bringen dem deutschen Besucher gegenüber immer wieder ihre aufrichtige Bewunderung für den deutschen wirtschaftlichen Wiederaufbau zum Ausdruck. Sie glauben, daß sie aus den deutschen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung, aus der Steuerpolitik und der Währungsreform wesentliches werden lernen können. Der Besuch deutscher Hochschulen durch japanische Studenten kann sicher wieder auf den Stand der Vorkriegszeit gebracht werden. Damit wird der geistige Austausch stärker in Fluß kommen und der wirtschaftliche Austausch wird befruchtet.
Das japanische Volk ist durch den Ausgang des Krieges sicher ebenso schwer getroffen worden wie das deutsche, wahrscheinlich noch schwerer. Alle Eroberungen Japans aus den letzten 60 Jahren sind verlorengegangen. Im Frieden von Shimonoseki wurden 1895 Formosa und die Pescadores sowie die Halbinsel Liaotung von China an Japan abgetreten. China erkannte die Unabhängigkeit Koreas an, und im Laufe der Zeit geriet Korea allmählich unter japanische Herrschaft. 1905 wurden Port Arthur und die Nordhälfte der Insel Sachalin von Rußland an Japan abgetreten. In den dreißiger Jahren eroberte Japan die Mandschurei und andere Teile Chinas. Alle diese Eroberungen sind rückgängig gemacht, ebenso die Kriegseroberungen: Singapore, Malaya, Indochina, Burma, Thailand, Niederländisch-Indien. Millionen von Auslandsjapanern strömten in die Heimat zurück und vermehrten die Raumnot der Millionen, die auf den kleinen Inseln zusammengedrängt sind.
Die japanische Außenpolitik ist für lange Zeit auf die Anlehnung an die Vereinigten Staaten oder jedenfalls auf die Zusammenarbeit mit ihnen angewiesen. Die Vereinigten Staaten haben dafür gesorgt, daß mit Japan frühzeitig, 1951 in San Francisco, ein Friedensvertrag abgeschlossen wurde. Diesen Frieden auszuhandeln wurde John Foster Dulles, der heutige republikanische Staatssekretär, von dem damaligen — demokratischen — Präsidenten Truman beauftragt. Dulles hatte schon 193 8 in Hankau mit Tschiang Kai-schek ein damals von den Japanern gemachtes Kompromißangebot diskutiert, das, wie er berichtet, vom Generalissimo um der „historischen Freundschaft der Vereinigten Staaten gegenüber China“
willen abgelehnt wurde (War or Peace, New York 19 50, p. 224). Sein besonderes Verhältnis zu fernöstlichen Fragen stammt aber aus den Verhandlungen von 1951.
Die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Japan wurden in den folgenden Jahren hauptsächlich dadurch beeinflußt, daß in Japan die Basis der amerikanischen Kriegführung für Korea lag. Die Japaner zeigen wieder einen hohen Grad von Selbständigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten. Bei der Bildung der letzten Regierung nahmen sie gerade noch so viel Rücksicht, daß sie den auf amerikanische Veranlassung verurteilten — Kriegsverbrecher — Shigemitsu nicht zum Premierminister, sondern nur zum Vizepremierminister und Außenminister machten. — Es ist ganz deutlich zu spüren, wie sehr die Amerikaner Japan als Sorgenkind betrachten. Manchmal hat man das Gefühl, daß sie etwas hilflos auf dieses Sorgenkind blicken, und das ist auch nicht zu verwundern nach den Erfahrungen, die sie nach dem Kriege gemacht haben. Die Amerikaner glaubten, daß sie die Japaner nicht nur politisch umerziehen, sondern ihnen auch wirtschaftlich sehr viel Neues bieten könnten. Sie glaubten, sie könnten mit ihrer Methode die Erträge der japanischen Landwirtschaft erheblich steigern. Es zeigte sich aber, daß nichts, was sie zu bieten hatten, irgendwie in das Land paßte. Im Gegenteil, die Japaner vermittelten ihre eigenen Methoden den Indern mit dem Erfolg, daß die Reiserträge in dem überbevölkerten Indien sprunghaft in die Höhe gingen.
Die Amerikaner wünschen natürlich stabile Verhältnisse. Das ist aber nur möglich, wenn Japan wirtschaftlich mit seinen Nachbarn auf dem asiatischen Kontinent, China und Rußland, zusammenarbeitet — aber nicht etwa dabei politisch mit ihnen zu intim wird. Beide Länder sind kommunistisch. Sie haben im Oktober 1954 gemeinsam eine Aufforderung an Japan gerichtet, sich ihnen anzuschließen. Kürzlich hat Rußland Friedensverhandlungen vorgeschlagen, die nach längerem Hin und Her über den Ort nun in London stattfinden sollen. Rußland hat eine lange Seegrenze gegenüber Japan und ist insoweit ein wichtigerer Nachbar als China. Aber China ist der bei weitem wichtigere Markt für japanische Waren Nachdem sich herausgestellt hat, wie wenig Rußland zur Industrialisierung Chinas beizutragen imstande ist, wäre es nur natürlich, wenn China auf Japans industrielle Kapazität für seinen Aufbau zurückgreifen würde. Sie sind für einander die gegebenen Märkte.
Die beiden Länder verbindet und trennt ein seltsames gegenseitiges Verhältnis. Die japanische Kultur leitet sich aus China ab und von japanischer Seite wird dieses Verhältnis der Verwandtschaft anerkannt, solange daraus nicht Überlegenheitsansprüche abgeleitet werden. China hat seinen Herrschaftsbereich zurückerobert; es ist eine große Macht geworden. Aber es ist eine kommunistische Macht. Fühlt Japan sich dem kommunistischen Sog vom asiatischen Kontinent her ausgesetzt und von ihm gefährdet? Die Frage läßt sich nicht allein an Hand der Wahlstimmen beantworten, die die japanischen Kommunisten und die ihnen sehr nahe-stehenden Linkssozialisten bei den verschiedenen Wahlen zum Reichstag, zuletzt am 27. Februar 1955, aufgebracht haben. Damals entfielen auf die Linkssozialisten 15, 6 Prozent, auf die Kommunisten 2 Prozent der abgegebenen Stimmen. Da Japan heute schon wieder über eine wenn auch kleine Wehrmacht verfügt, würde wohl die Regierung mit jedem kommunistischen Umsturzversuch fertig werden. Eine andere Frage ist es, wie weit durch eine aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten resultierende Politik der „Koexistenz“ mit dem asiatischen Festland und den beiden großen kommunistischen Mächten UdSSR und China kommunistische „Induktionsströme“ hervorgerufen würden. Hier handelt es sich aber um eine Gleichung mit vielen LInbekannten. Schon heute sind große Unterschiede zwischen dem „Maoismus“ und dem Kommunismus Moskauer Prägung erkennbar; schon heute zeigen sich Spannungen in den Beziehungen zwiscLen Peking und Moskau, die insbesondere die fernöstlichen Territorien betreffen. Die Russen müssen sich davor schützen, daß sie aus dem Fernen Osten eliminiert werden. Das könnten sie durch den Ausbau von Sachalin und durch eine engere Zusammenarbeit mit den Japanern versuchen, die ihnen die Konsumgüter liefern können, die die eigene Volkswirtschaft nicht ausreichend produzieren kann. So werden die Russen bestrebt sein, ein annehmbares Verhältnis zu Japan herzustellen, nachdem bisher ja nicht einmal diplomatische Beziehungen bestehen — die sowjetische Mission in Tokio ist noch ein Restbestand der alliierten Kontrollinstanzen. Die Japaner waren allerdings höflich — oder klug— genug, sie bestehen zu lassen —. Von japanischer Seite ist im übrigen für die Verbesserung der Beziehungen auch immer wieder die Freilassung der noch in sowjetischen Lagern zurückgehaltenen Kriegsgefangenen gefordert worden.
Japans Stärke in seinem Kampf um den Wiederaufbau ist seine alte Kultur mit ihren starken religiös-philosophischen Kräften, der ungeheure Fleiß, die unvorstellbare Genügsamkeit und die Intelligenz der Bevölkerung.
Es ist bemerkenswert, wie sehr die Neigung zu den alten Institutionen und Traditionen heute im Steigen ist. Wie weit sich die von der amerikanischen Besatzungsmacht erweiterten und verstärkten demokratischen Institutionen bewähren werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist, daß es den Amerikanern nicht gelungen ist, die Stellung des Kaisers zu erschüttern, auch wenn sie ihn formell seiner Göttlichkeit entkleideten.
Die dem Tenno entgegengebrachte Verehrung trägt ganz persönliche Züge und findet Formen, die überaus liebenswert sind. Als ein besonderer Vorzug gilt es, in des Kaisers Gärten in Tokio arbeiten zu dürfen. Gruppen von Einwohnern aus Dörfern und kleinen Städten, etwa fünfzig an der Zahl, kommen von weit her, um das Unkraut von den Rasenflächen zu beseitigen, und wenn sie dann des Morgens dem Kaiser bei seinem Rundgang begegnen, ist das eine Erinnerung, die sie fürs Leben bewahren und um die ihre Nachbarn sie beneiden. Auf Monate hinaus liegen beim Hofmarschallamt Anmeldungen solcher Arbeitsgruppen vor.
Der Kaiser hatte wissen lassen, daß er eine Industriestadt besuchen wolle. Als der Zeitpunkt herankam, war gerade ein Streik ausgebrochen. Man unterbrach den Streik für einen Tag, damit der Kaiser keinen schlechten Eindruck empfangen sollte. Die kommunistischen Arbeiter, die laut über die Regierung Beschwerden geführt hatten, standen am Wege des Kaisers und Tränen der Ergriffenheit strömten ihnen aus den Augen.
Die mystische Kraft, die vom Tenno ausgeht, manifestiert sich in dem Zunehmen der Wallfahrten zu den Gräbern der verstorbenen Kaiser und anderer Heroen. Es ist für den westlichen Menschen auf diesem Gebiet manches schwer verständlich. Das Beste, was er tun kann, ist, daß er mit Respekt zur Kenntnis nimmt, welche Kräfte es hier gibt, die das Leben weniger wert und das Sterben leicht machen. Und diese Kräfte sind im Wachsen.
Mitten in einer der volkreichen Vorstädte von Tokio befindet sich ein Tempelbezirk, der der Erinnerung an die 47 Rhonis gewidmet ist. Diese Lehnsleute hatten eine Beleidigung gerächt, die ihrem Lehnsherrn von einem Höheren zugefügt worden war. Damit hatten sie sich außerhalb der Gesetze ihres Landes gestellt, und sie nahmen die Folge, die diese Gesetzesverletzung ihnen gebot, auf sich, indem sie sich alle das Leben nahmen. Der Besuch des ihnen gewidmeten Schreines nimmt von Jahr zu Jahr wieder zu.
Wenn man Rom verläßt, soll man einen Soldo in die Fontana Trevi werfen, um sicherzustellen, daß man in die Ewige Stadt zurückkehrt.
Ich habe 47 Weihrauchstäbchen vor den Gedenksteinen der 47 Rhonis verbrannt, um sicherzustellen, daß ich in dieses schöne und faszinierende Land zurückkehre.
Hongkong
Das heutige China ist für einige Mächte ganz unzugänglich, so für die Amerikaner, für andere beschränkt zugänglich, so für Engländer, Schweden, Dänen, die noch Vertretungen in Peking unterhalten und auch die Erlaubnis haben, Handelsniederlassungen in einigen der Häfen weiterzuführen. Sie stehen mit der Außenwelt durch zensierte Briefe und Telegramme und gelegentliche Besuche in Verbindung. Der Verkehr mit ihnen geht durchweg über Hongkong, von wo auch die Schiffe auslaufen, die den Küstenverkehr aufrechterhalten. Mit den übrigen Teilen von China stehen sie in keiner regelmäßigen Verbindung, sondern sind auf gelegentliche Nachrichten angewiesen.
Hongkong gilt heute als der Beobachtungsposten für Rot-China, als das eine schmale Fenster, durch das man hineinsehen kann. Ich hatte erwartet, daß man auch in Tokio über Rot-China unterrichtet sei, war aber erstaunt, wie wenig man wußte; der Weg über das Chinesische Meer 'ist doch zu weit. Gewisse Einblicke in chinesische Verhältnisse sind wohl auch von Korea aus möglich, aber bestimmt nicht in dem LImfange wie von Hongkong aus.
Einer meiner Freunde bezweifelte, ob Hongkong wirklich den ihm zugeschriebenen Wert als Beobachtungsposten habe, und sicher ist eine solche kritische Frage berechtigt.
Man kann dort den größten Teil der in China erscheinenden Zeitungen finden, und sie werden sorgfältig ausgewertet. Flüchtlinge aus Rot-China nehmen meist den Weg über Kanton nach Hongkong. Der Vertreter eines europäischen Staates erzählte mir, er habe 182 ausgewiesene Geistliche und Ordensangehörige selbst gesprochen und fragen können, ein anderer erzählte von einem Angehörigen seines Landes, der vor ganz kurzer Zeit aus dem äußersten Nordwesten Chinas, aus einem kleinen Ort an der Straße nach Alma-Ata gekommen sei. Ich selbst habe mehrfach einen Gelehrten gesprochen, der viele Jahre an einer chinesischen Universität Professor war, und einen der nächsten Mitarbeiter Mao’s, der aus China hatte fliehen müssen. Es gibt also in der Tat eine Fülle von Informationsquellen.
Was berichtet wird, ist vor allen Dingen eines: daß China heute ein einheitliches, großes, starkes Reich ist, wie es das seit hundert Jahren nicht mehr gewesen ist. Alle die Vertragshäfen, die das chinesische Kaiserreich an europäische Mächte hat abtreten oder für 99 Jahre verpachten müssen, sind wieder chinesisches Gebiet, mit einer einzigen Ausnahme: Hongkong und der schmale Streifen Festland, der dieser Insel gegenüberliegt
Die Bemühungen der Sowjetunion, die Provinz Sinkiang (ChinesischTurkestan) zu durchdringen und zu unterwerfen, haben mit den Verträgen aus dem Oktober 1954 ihr Ende gefunden. Die noch älteren Bemühungen des kaiserlichen Rußlands, die Mandschurei mit Eisenbahnen zu überziehen und zur Einflußsphäre oder zum eigenen Gebiet zu machen, haben ihr Ende gefunden. Die Mandschurei ist wieder chinesisch. Tibet, das schon mehrere Jahrhunderte nur in einem losen Zusammenhang mit dem chinesischen Kaiserreich gestanden hatte und zeitweilig ein Ziel der englischen Politik bildete, ist heute wieder chinesisches Gebiet. Alle Eroberungen der Japaner in den letzten 30 Jahren sind ausgelöscht.
Es fehlt in der Zahl der früher einer fremden Herrschaft unterworfenen Gebiete nur noch Formosa (Taiwan), die Insel, die 1895 an die Japaner abgetreten wurde und heute von den Nationalchinesen unter Tschiang Kai-schek besetzt ist. Nach Beendigung des Krieges wurde sie den Japanern aberkannt und sollte wieder unter chinesische Herrschaft treten. Die rot-chinesische Regierung erhebt Anspruch auf dieses Gebiet und sie führt einen laufenden Propagandafeldzug, Formosa müsse „befreit“ werden. Sie hat sich auf diese Forderung festgelegt, und bei der Bedeutung des Prestiges im Fernen Osten würde sie natürlich „an Gesicht verlieren“, wenn sie diese Forderung nicht durchsetzen könnte. Die Intensität dieses Begehrens wird in der westlichen Welt zweifellos häufig verkannt. Aber es ist sehr wohl möglich, daß Mao Tse-tung und Tschou En-Iai ihrerseits verkennen — oder mindestens verkannten —, mit welcher Entschiedenheit die Regierung der Vereinigten Staaten daran festhält und festhalten wird, Formosa zu verteidigen
Ist also der äußere Rahmen des Chinesischen Reiches wieder hergestellt, so erhebt sich natürlich die Frage, ob dieses Land, das in den letzten Jahrzehnten von so vielen Revolutionen zerrüttet und von inneren Feldzügen zerfleischt worden ist, seine innere Stabilität wiedergewonnen habe. Das ist nach den Berichten, die in Hongkong eingehen, zu bejahen. So erzählte der Rückkehrer aus dem kleinen Ort an der Straße nach Alma-Ata, daß selbst dort das Rationierungssystem für Lebensmittel vollkommen durchgeführt sei. Es werden Karten ausgegeben, und sie werden beliefert. Die Bevölkerung, die so oft unter Hunger hat leiden müssen, erhält also die nötigen Lebensmittel. Während des ersten Weltkrieges war man in Deutschland sehr stolz, eine Lebensmittelrationierung für nich. ganz 70 Millionen Menschen durchgeführt zu haben. In China müssen 5 80 Millionen versorgt werden. LInsere Verwaltung hat freilich auch nur eine Tradition von 250 bis 300 Jahren, die chinesische von 2 500 Jahren. Diese alten Fähigkeiten kommen offenbar jetzt wieder zum Vorschein.
Der chinesische Professor, der hatte fliehen müssen und bestimmt kein Anhänger Mao Tse-tungs ist, legte mir die Frage vor, ob ich irgendwo Ansatzpunkte für eine revolutionäre Bewegung in Rot-China oder für eine Bereitschaft, Tschiang Kai-schek zurückzurufen, sehen könne. Er beantwortete seine Frage gleich selbst: für eine revolutionäre Bewegung kämen drei Gruppen in Frage: die Soldaten, die Intellektuellen und die Jugend. Die Soldaten, die sich kaum von Banditen unterschieden und noch in den letzten Jahrzehnten ein verachteter Teil der Bevölkerung waren, seien jetzt gut gekleidet, gut ernährt und diszipliniert. Sie genössen Achtung, und es bestehe kein Grund, warum sie sich gegen die Regierung erheben sollten. Es ist eine neue Militärverfassung eingeführt worden, die den Wehrdienst zu einer Auszeichnung und selbst bei Reserveoffizieren auch zu einer gut bezahlten Lebensstellung macht. Es sieht so aus, als ob das bisherige Militär liquidiert werden solle, um neu aufzubauen — was wahrscheinlich gelingen wird. Die Intellektuellen, fuhr der Professor fort, seien zunächst von den Kommunisten schlecht behandelt werden, man habe sie aber rehabilitiert, und sie hätten ihre soziale Stellung wiedergefunden. Also auch sie kommen nicht für eine Auflehnung in Frage. Für die Jugend aber würde allenthalben gesorgt, von den kleinen Kindern an bis zu den Studenten und anderen in der Ausbildung befindlichen Jahrgängen.
Wenn diese Darstellung richtig ist, wenn also in den letzten fünf Jahien der Konsoldierungsprozeß in China stark vorangeschritten ist, so würde auch die Anerkennung der Familie und alles dessen, was damit zusammenhängt, wieder auf den alten Stand zurückkehren. Der Familiensinn und Sippenzusammenhalt der Chinesen sind'ja bekannt. Ihm ist es auch zu danken, daß noch heute das Grab des Konfuzius, so wird jedenfalls berichtet, von Angehörigen seiner Familie gehütet wird, die demnach seit fast 2 500 Jahren bestehen müßte!
Die Konsolidierung wirkt sich von China her auf die Übersee-Chinesen aus, die über ganz Südostasien bis nach Indien hinein verstreut sind. Der Chinese ist von Natur aus stolz auf sein Land, und er verachtet jeden Fremden. Diese Abneigung gegen alles Fremde und alle Fremden ist heute ebenso stark wie zur Zeit des Boxer-Aufstandes 1900: daher müssen auch, wie alle Reisenden aus Rotchina bestätigen, selbst die sowjetischen Berater und Techniker völlig für sich wie in einem Ghetto leben. Die neue Machtentfaltung aber beflügelt den chinesischen Patriotismus. Dabei ist es dem Chinesen dann nicht sehr wichtig, ob sich die Regierung kommunistisch oder anders nennt. Vor zwei Jahren sagte mir bereits in Indonesien ein Auslandschinese, China habe in Tausenden von Jahren seiner Geschichte viele fremde Herrscher und fremde Weltanschauungen über sich ergehen lassen; es habe sie alle absorbiert, und es werde auch mit dem Kommunismus fertig werden. In einem Land wie China mit seiner mehr-tausendjährigen Geschichte gibt es in fünf oder sechs Jahren und auch nicht in 30 oder 40 Jahren wesentliche Veränderungen.
Außerdem glauben die Auslandschinesen nicht daran, daß das Land kommunistisch oder, um einen anderen Ausdruck zu gebrauchen, bolschewistisch sei. Diese Frage wird noch heute viel diskutiert. Der Mensch, der einer westlichen Weltanschauung entstammt, wird es nicht ganz leicht finden zu verstehen, daß der Marxismus und Leninismus eine Lehre ist, die mit religiösen Eifer ausgenommen und erörtert wird. Zu dieser Lehre gehört, daß der Kommunismus von dem Proletariat getragen weiden müsse und daß nur die Herrschaft des Proletariats den vom Kommunismus herbeigeführten idealen Zustand der Welt schaffen könne.
Die russische Revolution wurde im wesentlichen vom städtischen Proletariat getragen. Ein solches städtisches Proletariat aber gibt es in China nicht. Man war also vielfach der Ansicht, daß erst ein Proletariat entstehen müsse, um den richtigen Weg der marxistisch-leninistischen Lehre gehen zu können. Maos Revolution aber mußte von der Landbevölkerung getragen werden. Seine Lehre weicht daher von der moskowitischen Lehre in manchen Punkten ab. Von westlicher Seite wird aus diesem Gegensatz häufig abgeleitet, daß eine wirkliche Übereinstimmung zwischen den beiden Systemen in Moskau und Peking nicht herbeigeführt werden könne und daher Differenzen entstehen müßten. Diese theoretischen Unterschiede der Lehre werden aber wohl etwas zu wichtig genommen und man übersieht die Lehren der Geschichte.
Zu den großen Zielen der russischen Politik gehörten von jeher zwei Dinge. Das eine war die Eroberung Konstantinopels, wie sie in dem umstrittenen Testament Peters gefordert wird: Rußland müsse wieder das christliche Kreuz auf der Hagia Sophia an die Stelle des islamischen Halbmondes setzen. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Das andere war die Verbreiterung des Weges zum Stillen Ozean.
Russische Kolonisten haben bereits im 16. Jahrhundert den LIral überschritten; im 17. Jahrhundert erreichten sie die chinesische Grenze, was Zusammenstöße mit China zur Folge hatte. Der Kanzler des Zaren Alexej, A. L. Ordin-Nastschokin, versuchte, Handelsbeziehungen mit Persien und Mittelasien, mit Chiwa und Buchara, anzuknüpfen; er rüstete eine Gesandtschaft nach Indien aus und ging mit dem Gedanken um, eine Kosakenkolonie am Amur zu gründen. Alexejs Sohn Peter hat dann dieses Programm aufgegriffen und fortgeführt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden mehrere Expeditionen nach Sibirien ausgesandt. Die Umsegelung gelang zwar nicht, aber die ersten Russen erreichten die äußersten Küsten des Erdteiles auf dem Landwege noch bevor der Däne Bering die nach ihm benannte Wasserstraße zwischen Asien und Amerika durchfuhr. Wieder hundert Jahre später (1839) versuchte Rußland, sich das uzbekische Khanat Chiwa zu unterwerfen. Dieser Versuch gelang jedoch erst 1873 endgültig. Die Eroberung des heutigen Kasak-Staates (Kasakistan) begann 1864. Taschkent wurde 1865, Samarkand 1868 russisch. Bezeichnenderweise gibt der Ungar Vambery, der in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die russische Eroberung Zentralasiens ausführlich beschreibt, seinem Buch den Titel „Kampf um Indien". Auch Gortschakow hat sich in diplomatischen Noten an die Londoner Regierung ausdrücklich auf die kolonialen Bewegungen der Engländer berufen. Dieser russische „Kolonialismus“ wird meist übersehen. Tatsache aber ist, daß man sich damals Zentralasien als Objekt russischer und englischer Beutezüge vorstellte, wobei die Russen das fernere Ziel des Stillen Ozeans nie aus den Augen verloren. Die Russen haben sich eifrig an der Förderung des Zerfalls des chinesischen Reiches beteiligt. Der erste Vertrag mit China war 1727 in Kjachta geschlossen worden. Als englisch-französische Truppen 1860 bis nach Peking vordringen, ließ sich Ruß-land vertraglich das Gebiet nördlich des Amur abtreten. Im gleichen Jahre wurde Wladiwostok, die „Beherrscherin des Ostens“, wie der Name sagt, gegründet, mithin vor weniger als hundert Jahren. Amur und Ussuri bilden seitdem die Grenze.
Lim das gewonnene Gebiet zu erschließen, bauten die Russen nördlich des Amur die Transbaikal-Bahn. Die außerordentlichen Schwierigkeiten des Baues beschreibt Erich Thiel in seiner landes-und wirtschaftskundliehen Übersicht „Sowjet-Fernost“ (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes, München, Band I, München 1953): „Der Bau der Transbaikal-Bahn begann 1895 und sollte 1898 beendet sein. Eine Überschwemmung, wie sie Transbaikalien noch nie erlebt hatte, richtete jedoch so umfangreiche Zerstörungen an, daß der Verkehr auf der ganzen Strecke erst 1900 ausgenommen werden konnte. Der Boden ist in Transbaikalien ewig gefroren und taut im Sommer nur bis in eine Tiefe von 1— 2 m auf. Infolgedessen mußten die Arbeiten in der warmen Jahreszeit unter dem aufgetauten Boden mit Dynamit durchgeführt werden, wobei sich dann die auftauenden Eisbodenmassen in einen dicken Brei verwandelten.“ Die Bahn war von Anfang an von zweifelhaftem Wert und ist auch heute ein unzureichendes Verkehrsmittel.
Rußland verhandelte deshalb mit China und erreichte 1896 die Konzession für den Bahnbau durch die Mandschurei. Die Chinesen hofften, den Druck der europäischen Mächte zu neutralisieren, jedenfalls aber zu verhindern, daß eine einzelne weiße Nation übermächtig würde, indem sie den Russen ebenso wie den Engländern, Franzosen, Belgiern — und 1897 auch den Deutschen in Kiautschau — Konzessionen gaben. Die auf Grund der Konzession von 1896 gebaute Ostchinesische Bahn, die von Wladiwostok nach Mukden und Dairen fortgeführt wurde, konnte erst 1904 fertiggestellt werden, weil die Chinesen während des Boxer-Auf-standes 950 km der damals gebauten 13 50 km restlos zerstört hatten. Die Folge war, daß die Mandschurei entlang der Bahnlinie durch russische Truppen besetzt wurde und daß sich denn auch der russisch-japanische Krieg auf mandschurischem Boden abspielte. Die Japaner fürchteten, daß die Russen sich von Wladiwostok her der Länder bemächtigen würden, die siu selbst als ihr historisches Erbteil ansahen, darunter vor allem Korea. Der Krieg kostete die Russen auch Port Arthur und den Einfluß auf Korea.
Stalin versuchte 1945 in Jalta, den unter maßgeblichem Einfluß des Präsidenten Theodor Roosevelt 1905 zustandegekommenen russisch-japanischen Frieden von Portsmouth zu revidieren. Aber die Stellung der Sowjetunion am Stillen Ozean ist heute ungünstiger als 1898 vor der Eroberung Port Arthurs. Das bedeutet, daß auch das zweite große Ziel der russischen Außenpolitik, die Verbreiterung des Weges zum Stillen Ozean nicht erreicht wurde. Schlimmer noch: es ist durch das Wiedererstarken des chinesischen Reiches auf absehbare Zeit unerreichbar geworden. Es ist völlig ausgeschlossen, daß eine solche Niederlage der russischen Politik in Moskau und im übrigen Rußland nicht empfunden würde. Darüber hilft auch alle Propaganda der Freundschaft mit dem kommunistischen China nicht hinweg.
Die Chinesen haben die Russen nicht nur aus der Mandschurei hinausgepreßt — den Schlußstrich zogen die vierzehntägigen Verhandlungen in Peking im Oktober 19543) — sondern auch aus Sinkiang. Sie haben damit in einem fünfjährigen „kalten Krieg" gegen ihren eigenen Bundesgenossen der russischen Politik im Fernen Osten das Rückgrat gebrodien.
„Foreign Affairs“, eine der bedeutendsten außenpolitischen Zeitschriften der Welt, hat in einem Artikel über Sinkiang, der im April 1954 erschien, noch behauptet, dieses Gebiet sei völlig in Händen der Sowjets. Tatsache ist, daß es völlig in Händen der Chinesen ist. Ausbeutung von Nichteisen-und seltenen Metallen, Förderung und Verarbeitung von Erdöl, die früher durch gemischte sowjetisch-chinesische Gesellschaften erfolgten, werden heute ausschließlich von Chinesen vorgenommen, die dafür „im Verlauf einiger Jahre“ durch Lieferung ihrer üblichen Exportartikel bezahlen sollen.
Die Frage der Macht und des Einflusses in der Mandschurei und in Sinkiang ist also eindeutig zugunsten der Chinesen entschieden. Das Gleiche gilt für Tibet. Hier bestand von altersher ein Souveränitätsverhältnis des Dalai Lama gegenüber dem chinesischen Kaiser, das aber immer mehr „in Vergessenheit“ geriet, so daß Tibet wohl seit hundert Jahren praktisch ein souveränes Land war. Heute ist es eine — bestenfalls autonome — Provinz Chinas, das sich diesen Zustand zwischenstaatlich von Indien durch die Zurückziehung der indischen Militärposten, Über-gabe der indischen Post-und Telegraphen-Einrichtungen und Rasthäuser durch ein Abkommen vom April 1954 hat bestätigen lassen. Nicht nur der Pantschen Lama, der als den Kommunisten gefügig galt, auch der Dalai Lama weilte vor kurzem zu einem langen Besuch in Peking, womit die neue Unterwerfung demonstriert wurde. Durch Straßenbauten und Truppenstationierung hat Peking seine Macht in Tibet stabilisiert.
Eine für die Russen sehr schwierige Frage bietet Korea. Stalin ermöglichte den Nordkoreanern 1950 den Marsch nach Süden über den 38. Breitengrad. Aus den Vorbereitungen hielt er die Chinesen vollkommen fern. Die Nordkoreaner wurden geschlagen. Nun mußten die Chinesen zu Hilfe gerufen werden und die Niederlage Mac Arthurs am Jalu wurde ein chinesischer, nicht ein russischer Sieg. Niemals hat es eine russische Herrschaft über Korea gegeben, wohl aber haben die Kaiser von Korea sich dem chinesischen und dem japanischen Kaiser gegenüber in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden, bis es gerade darüber zum chinesisch-japanischen Krieg kam, dem nach dem Frieden von Schimonoseki 1895 die japanische Durchdringung und spätere Annexion folgte, deren Spuren in den zehn Jahren seit 1945 bereits restlos beseitigt worden sind. Korea steht auf der Liste alter chinesischer „Rechte“, die wieder geltend gemacht werden; auch Tschiang Kai-schek hatte diese Ansprüche erhoben.
Ich glaube, die Vermutung hat manches für sich, daß Chinesen und Russen die mehrfach und zuletzt auf der Genfer Ostasienkonferenz gescheiterten Verhandlungen über Korea deshalb solange hinausschieben, weil die Russen die chinesischen Ansprüche fürchten und die Chinesen sich noch nicht stark genug fühlen, sie durchzusetzen. Einmal muß aber entschieden werden, wem das Land gehört. Gehört Korea oder mindestens Nordkorea den Chinesen, dann ist nach der Räumung Port Arthurs auch Wladiwostok wertlos.
Auch in der Mongolei besteht in gewissem Sinne noch ein Schwebe-zustand. Auf der Moskauer Konferenz 1950 haben Russen und Chinesen sich auf die „Unabhängigkeit“ der Mongolischen Volksrepublik geeinigt. Man darf aber vermuten, daß sich auch hier wiederholen wird, was in der Mandschurei und in Sinkiang geschah, daß der chinesische Anspruch siegen wird. Die mir zuteil gewordenen Informationen bestätigen, was der deutsche Arzt W. Starlinger von der „anderen Seite“ her, nämlich aus unzähligen Lagergesprächen mit ostsibirischen Bauern und sowjetischen Ofizieren, die lange im Fernen Osten standen, berichtet hat
Die russische und chinesische Propaganda macht viel Wesens von den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Sowjetunion und China. Im Februar 1950 gab Moskau die Gewährung einer Anleihe von 300 Mill. Dollar bekannt, ein gewiß recht bescheidener Betrag. Im März 1953 sollen in einem Zusatzabkommen zum Bündnisvertrag sowjetische Lieferungen von Ausrüstungen für eine größere Reihe von Industrien, für das Verkehrswesen und die Landwirtschaft vereinbart worden sein; eine Summe wurde dabei nicht genannt. In den bereits erwähnten Abkommen vom Oktober 1954 wird ein langfristiger Kredit von 520 Mill. Rubel gewährt, und es heißt, daß die Lieferungen für die Ausrüstung von 141 Betrieben aus dem alten Abkommen sowie von 15 neuen Industriebetrieben gesteigert werden sollen, „wobei sich der Gesamtwert der zusätzlichen Lieferungen sowjetischer Ausrüstungen auf mehr als 400 Mill. Rubel beläuft. * Nimmt man die beiden letztgenannten Summen und setzt man, wie es üblich ist, den Rubel dem Schweizer Franken oder auch der D-Mark gleich, so kommt man auf eine Summe noch unter einer Milliarde. Zur Verdeutlichung der Größenordnung diene, daß die Bundesrepublik, ein Land mit Kreditschwierigkeiten und Kapitalmangel, der Türkei, einem Lande mit 20 Millionen Einwohnern, Kredite von 800 Mill. DM einräumt. Zusätzliche Kredite sollen der chinesischen Volksrepublik noch von den Satellitenstaaten gegeben worden sein, so angeblich von Polen ungefähr 1 Mrd. Rubel. Die Nachkriegshilfe Amerikas an die Bundesrepublik betrug über 12 Milliarden DM.
Einen amtlichen Bericht über die chinesische Wirtschaft hat Ministerpräsident Tschou En-lai am 23. September 1954 vor dem Nationalen Volkskongreß gegeben. Selbst wenn die darin genannten Ziffern richtig sind, so sind sie immer noch winzig im Vergleich zu europäischen oder amerikanischen Verhältnissen. AIs „Soll“ für 1954 nannte Tschou En-lai: 10, 8 Mrd Kilowattstunden, 82 Mill, t Steinkohle, 3, 03 Mill. Roheisen, 2, 17 Mill, t Stahl, 4, 73 Mill. Zement, 4, 6 Mill. Ballen Baum-wollgarn
Herr Tschang Kou-t'ao, der als Flüchtling in Hongkong lebt, war einer der neun Gründer der kommunistischen Partei Chinas im Jahre 1921.
Sie ist aus der zwei Jahre zuvor gegründeten „Gesellschaft zum Studium des Marxismus“ hervorgegangen. Er hat Mao, der damals ein junger Hilfsbibliothekar war, in den Kommunismus eingeführt, beide sind lange Zeit mehr oder weniger parallel gelaufen in der Führung der kommunistischen Partei. In China erwies sich Mao als der Stärkere und Tschang mußte Ende der dreißiger Jahre fliehen. Er war in den zwanziger Jahren auf der Karl-Marx-Akademie in Moskau. Ich fragte ihn, ob er russisch könne, und zu meiner Überraschung verneinte er es. Man habe sich damals in dieser internationalen Akademie untereinander auf deutsch verständigt. Das sei die Sprache gewesen, in der Marx und Engels, und auch die späteren anerkannten Lehrer wie K. Kautsky und Arthur Rosenberg, geschrieben hätten. Außerdem hätte in der zweiten Internationale die deutsche Sozialdemokratie ein solches Ansehen genossen, daß man ihre Sprache gesprochen habe, die übrigens auch Lenin, der lange im Schweizer Exil lebte, vollkommen beherrscht habe. Stalin habe an Fragen der Lehre des Kommunismus kein Interesse genommen, er sei ein Mann der Praxis gewesen, und mit dem Wachsen seines Einflusses und schließlich der ausschließlichen Übernahme der Macht durch ihn hätten die in den früheren Jahren vorhandenen geistigen Beziehungen aufgehört zu existieren.
Und nicht nur die geistigen Beziehungen. Das Verhältnis zwischen russischen Kommunisten und Moskauer Regierung einerseits, chinesischen Kommunisten andrerseits ist von Anfang an vielen Belastungen ausgesetzt gewesen. Nach dem Sturz der Mandschu-Dynastie hatte der „Vater der Revolution“, Sun Yatsen, die Kuomintang gegründet und nach 1921 mit russischer Hilfe und nach russischem Muster reorganisiert. Mit dem Gesandten Borodin war 1923 ein großer Stab militärischer und politischer Berater in China eingetroffen. Im gleichen Jahre schickte Sun Yatsen seinen Stabschef Tschiang Kai-schek zum Studium nach Moskau. Die Kungchantang, die chinesisch-kommunistische Partei, war damals nur ein Flügel der Kuomintang, der sich 1924 auch Mao Tse-tung anschloß, während Tschou En-lai aufs engste mit General Blücher (Galen) zusammenarbeitete, bevor er militärischer Berater der Kuomintang-Regierung wurde. Im Jahre 1927 kam es zwischen Kungchantang und Kuomintang zum Bruch. Damals mußten auch Blücher und Borodin China verlassen. Stalin machte für diesen schweren Rückschlag Trotzki verantwortlich und erklärte die ganze Politik der Unterstützung der chinesischen Kommunisten für verfehlt. Er hat bis zum Ende des zweiten Weltkrieges die Kuomintang-Regierung als „Regierung Chinas“ anerkannt. Der chinesisch-sowjetische Vertrag vom 14. August 1945, in dem Moskau sich verpflichtet, „China moralische Unterstützung und Hilfe durch Lieferung militärischen und anderen Materials zu gewähren“, ist mit der Regierung Tschiang Kai-schek abgeschlossen worden.
Mit dem von Tschou En-lai 1927 in Shanghai organisierten großen Streik begann der erbitterte Kampf Tschiang Kai-scheks gegen den „linken Flügel“ der Kuomintang, das heißt gegen die Kommunisten. In der Provinz Hunan entfachte Mao Tse-tung Bauernaufstände. Sie wurden niedergeschlagen, aber in Kiangsi, wohin Mao Tse-tung sich 1929 mit einer kleinen roten Armee durchgeschlagen hatte, wurden 1929 die ersten chinesischen „Sowjets“ gebildet. Russische Hilfe für Mao, der von 1931 an der Chef der kommunistischen Partei war, und für seine Leute ist während der „Vernichtungsfeldzüge“ Tschiang Kai-scheks nicht nachweisbar. Von Kiangsi aus begann der „Lange Marsch“, auf dem 90 000 Mann erst an die Grenzen Tibets und von dort nach Shensi zogen. Die zwei Jahre des Langen Marsches 1934/35 sind die „Heldenzeit“ des chinesischen Kommunismus. Es wird berichtet, daß Mao damals einen Emissär der Komintern, der Moskauer Weisungen überbrachte, festnehmen und nach Moskau zurückschicken ließ.
Nach kommunistischen Angaben sind von den 90 000 Mann, die den Marsch antraten, nur 20 000 angekommen, und von ihnen sollen weniger als 2 000 heute noch am Leben sein. Wenn einmal für eine Sache Blut geflossen ist, ändert sich das Verhältnis der Menschen zu dieser Sache — und für den chinesischen Kommunismus ist sowohl im chinesischen Bürgerkrieg wie auch im Kampf gegen die Japaner sehr viel Blut geflossen.
Wahrscheinlich haben bei den Erwägungen Stalins alte machtpolitische russische Zielsetzungen eine große Rolle gespielt. Der den chinesischen Kommunisten sehr wohlgesinnte amerikanische Autor Robert Payne berichtet in „Roter Sturm über Asien“, daß Stalin seinen Schwager Svanidze auf Inspektionsreise nach Sinkiang schickte, der 1937 in seinem Bericht die Hoffnung auf vollständige Beherrschung der Provinz durch die Sowjets aussprach. Zur gleichen Zeit habe aber auch Mao Tse-tung seinen Bruder als obersten chinesischen kommunistischen Kommissar nach Sinkiang entsandt. „Über seinen dortigen Aufenthalt“, sagt Payne, „ist wenig bekannt; er wurde von Turk-Stämmen im Jahre 1942 ermordet, und es ist anzunehmen, daß dies im Auftrage der Sowjetunion geschah.“
Die Frage ist sehr berechtigt, wie weit ein inniges Band Rußland und China verbindet. Besteht hier ein kommunistischer Block oder handelt es sich um zwei Nationalstaaten, die jeder in seinem Lande und auf seine Art dem Kommunismus anhängen und die durch die Abschließung von der westlichen Welt zueinander hingedrängt werden und aufeinander angewiesen sind?
Es wird glaubhaft berichtet, daß Molotow, dieser sonst so schweigsame Mann, mit einem Ausdruck der Bestürzung in Genf zu einem französischen Diplomaten sagte: „Verstehen Sie den chinesischen Kommunismus? Wir verstehen ihn nicht!“
Die beiden Länder meinen unter Kommunismus zweifellos sehr verschiedene Dinge. Eine ureigen-chinesische Geistesschöpfung ist der Konfuzianismus, dessen Begründer etwa 500 v. Chr. starb. Es ist sehr die Frage, wie weit er eine Religion ist und ob-er nicht vielmehr nur ein philosophisches, aber kein theologisches System ist. Es wäre der Mühe wert zu untersuchen, ob nicht die Philosophie des Konfuzius sehr wohl mit dem vereinbar ist, was heute angeblich der Kommunismus in China sein soll. Mao Tse-tung selbst neigt dazu, den Kommunismus mit dem alten konfuzianischen Ausdruck „Ta T‘ung , das „Große Gemeinwesen zu bezeichnen, das im „Buch der Riten“ als letzte der drei Stufen beschrieben wird, auf der es keinen Staat mehr gibt und die Gleichheit aller besteht. Die Politik der heutigen Staatsführung ist in vielem zweifellos nur eine moderne Umprägung ganz alter Traditionen, die durch den Verfall des Kaiserreiches im vorigen Jahrhundert und die Jahre, welche der Revolution Sun Yatsens folgten, unterbrochen worden sind.
Soweit die Beobachtungen reichen, hat sich der chinesische Lebensstandard bereits erhöht. Jedenfalls ist Sicherheit eingetreten in diesem Lande, das seit den zwanziger Jahren fortgesetzt von Kriegen und Unruhen erschüttert, von Korruption und Inflation heimgesucht worden ist. Ich war im Hafen von Hongkong zum Abendessen an Bord eines Dampfers, der — voll mit deutschen Farben und Medikamenten — am anderen Morgen nach Schanghai auslaufen sollte. „Auf diesen Tisch“, so sagte der Kapitän, „pflegten die Tschiang-Kai-schek-Leute ihre Säbel zu legen und zu sagen: „, Her mit der Kasse!“ Dergleichen passiert heute nicht mehr. Im Hafen von Schanghai wickelt sich alles ordentlich ab. In der Versorgung ist eine Nivellierung eingetreten, aber schon eine gleichmäßige Verteilung des Vorhandenen bedeutet eine Verbesserung. Man hat mich oft gefragt und ich habe mich selbst gefragt, ob man die chinenesische Form des Kommunismus, den Maoismus, als „Titoismus bezeichnen kann. Ich glaube, die Übertragung einer solchen Definition ist nicht sehr zweckmäßig, schon aus dem einfachen Grunde, weil es sich im Falle Jugoslawiens, um den Ausdruck zu gebrauchen, um „David und Goliath“ handelt. Besser ist der Vergleich, den Tschang Ku-t’ao in einem Interview gebrauchte: Die Volksrepublik China und Rußland sind zwei große Mächte, zwischen denen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Sie sind in vieler Beziehung aufeinander angewiesen und arbeiten zusammen — etwa wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten ihr Zusammenspiel betreiben, ohne sich voneinander abhängig zu machen.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird der anomale Zustand, daß ein Land von fast 600 Millionen Menschen nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, in nicht zu ferner Zukunft beseitigt werden. Bei einer Normalisierung der politischen Beziehungen aber, der eine Normalisierung der Handelsbeziehungen vorangehen kann oder jedenfalls nachfolgen wird, werden Japan und die westliche Welt die wesentlichsten Beiträge zu leisten haben.
Indonesien
Vor zwei Jahren erzählte mir in Indonesien ein deutscher Freund, daß er in gewissen Bezirken im Innern von Java nicht reisen könne, weil sie von bewaffneten Banden bedroht seien. In anderen Bezirken könne er sich zwar bewegen, aber die indonesischen Behörden nicht; sie hätten dort keine Gewalt. Ich fragte ihn jetzt bei meiner Rückkehr, ob diese unzugänglichen Bezirke sich vergrößert hätten oder geringer geworden seien. Er antwortete, sie seien geringer geworden, und diese Feststellung wurde von anderer Seite bestätigt.
Es wurde vor zwei Jahren als besonders bedrohlich für die wirtschaftliche Lage des Landes hervorgehoben, daß nicht genügend Reis angebaut werde, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen. Im letzten Jahre ist der Reisanbau soweit ausgedehnt worden, daß genügend von diesem Hauptnahrungsmittel des Landes erzeugt werden konnte, um den eigenen Bedarf zu decken.
Die Devisenbilanz des Landes, die im Koreaboom sehr günstig geworden war, sank in den folgenden Jahren ständig ab. Sie ist jetzt soweit ins Gleichgewicht gekommen, daß im Jahre 1954 Einnahmen und Ausgaben sich ausgeglichen haben, mit Ausnahme der Handelsschulden an Japan. Aber diesen Betrag will die Regierung nicht bezahlen, sondern als Anzahlung auf Reparationen aus dem letzten Kriege einbehalten.
Die Eisenbahnen fahren pünktlich. Auf den wichtigen Strecken verkehren Züge mit Klimaanlagen. Der Luftverkehr hat sich über das ganze Inselreich ausgedehnt. Das alles sind Faktoren, die für eine Erhöhung der Sicherheit und für wirtschaftliche Stabilisierung sprechen. Dem steht gegenüber, daß die Währung im Inlande erheblich verfallen ist, im wesentlichen wegen zu starker Erhöhung der Staatsausgaben.
Die Frage, die in den führenden Kreisen Indonesiens ebenso lebhaft erörtert wird, wie in anderen an Ostasien interessierten Ländern, ist die, ob das Land dem Kommunismus entgegengeht.
Sie wird sich eindeutig beantworten lassen, wenn die Wahlen durchgeführt werden, die schon seit mehreren Jahren in Aussicht gestellt worden sind und jetzt mit Bestimmtheit für September 195 5 vorausgesagt werden.
Nun ist die Durchführung von Wahlen in einem Lande wie Indonesien Sache. keine einfache Der Staat Indonesien besteht aus mehr als 2 000 Inseln, von denen schon die größten: Java, Sumatra, Celebes und Borneo, einen sehr verschiedenartigen Stand der Entwicklung aufweisen. In diesem Reich werden 200 verschiedene Sprachen gesprochen, von denen etwa 40 bis 50 wesentliche Beachtung beanspruchen können.
Die Kommunisten haben in dem jetzigen Parlament 16 von 212 Sitzen inne. Dieses Parlament ist aber nach der geschätzten Größe der einzelnen Parteien ernannt worden und nicht aus Volkswahlen hervorgegangen. Die Kommunistische Partei wurde als eine Partei unter vielen angesehen und jedenfalls nicht als staatsgefährlich. Sie hat ihre Organisationen vorwiegend in den Städten. Man schätzt, daß etwa 20 °/o der Gesamtbevölkerung von etwa 80 Millionen in größeren Städten wohnt und daß hier die meisten kommunistischen Stimmen anfallen werden. Man muß wahrscheinlich mit mindestens 17 °/o kommunistischen Stimmen bei den Wahlen rechnen.
Die derzeitige Regierung ist aus verschiedenen Parteien zusammengesetzt und kann sich ohne Duldung durch die Kommunisten nicht halten. Die wichtigste Frage wird sein, ob die-jetzige Koalition eine Majorität ohne Kommunisten bilden kann, oder ob die Opposition, die im wesentlichen aus der Masjusmi-Partei besteht, die absolute Majorität erringen kann. Eine Probewahl, die vor einigen Jahren im Zentrum von Java abgehalten wurde, läßt dieses Ergebnis als möglich erscheinen.
Wenn auch in der Politik des Landes die kommunistische Partei eine Rolle spielt und ihr auch, offen oder getarnt, Mitglieder in höheren Verwaltungsstellen angehören mögen, so ist doch die allgemeine Verwaltung auf der untersten Stufe noch so patriarchalisch, wie sie schon zur holländischen Zeit gewesen ist. Die Beamten der nächst höheren Verwaltungsstufe stammen auch noch aus einer gesunden Tradition und dasselbe gilt durchweg für die Gouverneure der Provinzen. Die Armee und die zu einer besonderen Organisation zusammengefaßte Polizeitruppe gelten als nicht kommunistisch oder als kommunistenfeindlich.
Die Frage nach der Bedeutung des Kommunismus erhält in Indonesien eine besondere Note durch die Anwesenheit einer chinesischen Minderheit, die nach verschiedenen Schätzungen auf zwei bis vier Millionen geschätzt wird und von erheblicher Bedeutung für die Wirtschaft des Landes ist. Der Handel liegt zum großen Teil in chinesischen Händen und damit die Versorgung des Landes. Andrerseits aber erzeugt die Abhängigkeit vom chinesischen Händler beim Bauern vielfach große Chinesenfeindlichkeit.
Noch vor zwei Jahren, zu der Zeit als Stalin starb, war der Kommunismus im wesentlichen abhängig vom russischen Kommunismus, und die chinesische wohlhabende Bevölkerung neigte eher Tschiang Kai-schek als Mao Tse-tung zu. Inzwischen hat sich das China Maos konsolidiert. Bei dem Patriotismus, der dem Chinesen eigen ist, sieht er die wieder gewonnene Einheitlichkeit des chinesischen Reiches, während es für ihn von geringerer Bedeutung ist, daß die derzeitige Regierung kommunistisch ist.
In den letzten Jahren ist das innere Band zwischen China und den Auslandschinesen fester geworden.
Diese Tatsache wiederum hat ihre Auswirkungen auf das Verhältnis Indonesiens zum Kommunismus. Heute ist der Kommunismus nicht mehr die Weltanschauung eines weit entfernt liegenden Landes wie Rußland und eine ideologisch zu bejahende oder zu verneinende Angelegenheit, sondern bedeutet die Realität des Staatsbewußtseins eines Landes, das nicht allzu weit entfernt liegt und heute das größte und wichtigste Staatswesen Ostasiens ist.
Die größte Zahl der Chinesen auf indonesischem Staatsgebiet wohnt in einem strategisch wichtigen Teil des Landes, in einem Halbkreis westlich und östlich von Singapore. Diese englische Kolonie hat etwa 1 bis 2 Millionen Einwohner, von denen etwa 800 000 Chinesen sind. Diese Chinesen, zusammen mit denen auf den vorgelagerten Rhiu-Rhiu-Inseln, in Ostsumatra und Westborneo bilden nach indonesischer Auffassung eine latente Gefahr, falls China sich entschließt, aggressiv zu werden und diesen chinesischen Bevölkerungsteil kommunistisch zu schulen und militärisch auszubilden beginnt. Die indonesische Regierung nimmt die Gefahr des Kommunismus vielleicht etwas zu leicht, aber wesentliche Teile der Bevölkerung sind sich ihrer bewußt. Sie fühlen sich nicht nur weltanschaulich, sondern in ihrer nationalen Existenz durch den Kommunismus bedroht, und das wird nicht ohne Bedeutung für den Ausgang der Wahlen sein.
Im jetzigen Parlament sind 18 Parteien vertreten, davon sechs, die man als nationale indonesische Parteien bezeichnen kann, sechs einschließlich der Kommunisten, die sozialistisch orientiert und fünf, die religiös ausgerichtet sind. Von der letzten Gruppe ist die Masjumi-Partei die be-deutendste. Sie hat einen sehr radikalen Flügel, ist im wesentlichen aber eine gemäßigte Partei von ausgesprochen islamischer Prägung. Der Islam ist vor Jahrhunderten von den Arabern ins Land gebracht worden und die vorherrschende Religion.
Indonesien hat zur Zeit nur eine vorläufige Verfassung. Die endgültige Verfassung muß von der zu wählenden nationalen Versammlung bestimmt werden. Ob es dabei gelingen wird, die Gefahren, die in einer starken Zersplitterung liegen, zu beseitigen, muß die Zukunft zeigen.
Die derzeitige Regierung hat in der jüngsten Vergangenheit eine rege außenpolitische Tätigkeit entfaltet. Sie hat sich nicht dazu entschließen können, der von Amerika angeregten südostasiatischen Organisation, SEATO, beizutreten. Sie fühlt sich militärisch zu schwach, als daß sie riskieren möchte, einer Seite beizutreten. Sie gehört der Gruppe der Colombo-Staaten an, deren Regierungen sie im Dezember 1954 zu einer Konferenz in Bogpr eingeladen hatte. Das Ergebnis der Besprechungen war die Zusammenrufung einer asiatisch-afrikanischen Konferenz, die in der zweiten Hälfte April 195 5 stattgefunden hat. In der Initiative zu dieser Konferenz liegt offen die Tendenz zu Tage, sich von der westlichen, der europäisch-amerikanischen Politik zu distanzieren und den Versuch einer asiatisch-afrikanischen eigenen Politik zu machen.
Hier findet eine Entwicklung ihren Ausdruck, die in der Trennung Indonesiens von Holland ihren Ausgangspunkt nahm. Es ist in Indonesien leider das nicht gelungen, was die Engländer in Indien und Pakistan zustande gebracht haben: die Überführung einer Kolonial-Regierung in eine eigenständige Regierung und Politik. Die Grundlage dazu hat England schon im Laufe eines Jahrhunderts im Aufbau des indischen Verwaltungssystems gelegt, und der Zeitpunkt der Trennung fand ein genügendes Reservoir an Kräften, die für alle Stufen der Verwaltung bis zu den Regierungsspitzen ausreicht. In Indonesien sind dort, wo mit landesgehörigen Kräften gearbeitet wurde, z. B. bei der Eisenbahn und bei der Post, zuverlässige Verwaltungseinheiten vorhanden. Das gilt auch für die oben erwähnten unteren und mittleren Verwaltungseinheiten. Dagegen fällt es schwer, die höheren Verwaltungsstellen und die eigentliche politische Führung korruptionsfrei auszustatten. Das ist eines der größten Probleme des Landes, wahrscheinlich das größte.
Der Westen hat die Verantwortung für die Führung und Verwaltung des Landes mehrere Jahrhunderte hindurch getragen. Er hat auch die Verantwortung dafür getragen, den Indonesiern zu sagen, daß sie vom „Kolonialismus“ frei werden sollten. Er muß nun an der Verantwortung teilnehmen, das Land einer sicheren Zukunft zuzuführen. Durch den Gegensatz zu Holland ist das Verhältnis zu der westlichen Macht, die das Land am besten kennt, aufs schwerste getrübt. Amerika hat den nachhaltigsten Einfluß auf die Befreiung des Landes ausgeübt, ist aber auch dem Verdacht des Imperialismus, insbesondere des Wirtschaftsimperialismus, ausgesetzt. Das Verhältnis zwischen Indonesien und den Vereinigten Staaten läßt in vieler Beziehung zu wünschen übrig. Im wesentlichen muß das Land sich seine Zukunft selber suchen und gestalten.
Bangkok
Bangkok ist eine sehenswerte Stadt. Die Pagoden und Tempel sind in einem Stil gebaut, der an chinesische Architektur erinnert, aber doch eine ganz eigene Ausprägung hat. Vor öffentlichen Gebäuden stehen riesige Kriegergestalten. Sie sind rein chinesisch und Geschenke der Kaiser von China, eine Art Anerkennungsgebühr für Reis, den Siam in früheren Jahrhunderten nach China geliefert hat. Ich habe nicht völlig klären können, ob die Chinesen in Anspruch nehmen, Siam sei ihnen unterworfen und der Reis sei ein Tribut; die Kriegerfiguren wären dann ein Gnadengeschenk. Ob die siamesischen Könige das auch so aufgefaßt haben, oder ob man das gegenseitig im Unklaren gelassen hat, läßt sich nicht sagen. Die Frage hat aber eine gewisse aktuelle Bedeutung, da die heutige Regierung in Peking zum mindesten einen geistigen Herrschaftsanspruch über alle Länder erhebt, die jemals China tributpflichtig gewesen sind. Gegenüber Tibet ist diese Herrschaft, die Jahrhunderte lang nur theoretisch bestand, heute wieder effektiv geworden, und das gibt den anderen Ländern Asiens zu denken.
Siam, oder wie es heute heißt, Thailand, hat besonderen Grund zur Beunruhigung, denn sein nächster östlicher Nachbar ist Indochina. Bangkok bildet heute einen der wichtigsten Beobachtungsposten in Asien.
Das wurde der westlichen Welt zum ersten Male klar, als im Herbst 1953 die Vereinigten Staaten den General Donovan zum Botschafter in Bangkok ernannten, eine der markantesten Erscheinungen im politischen und militärischen Leben der Vereinigten Staaten. Er hatte kurz vorher das Angebot des Präsidenten Eisenhower, Botschafter in Paris zu werden, ausgeschlagen, und nun nahm er diesen Posten in einem kleinen asiatischen Staate an. Während des Krieges war er Chef des amerikanischen Nachrichtendienstes gewesen..
Zum Zeitpunkt seiner Ernennung hatten die Amerikaner sich klar gemacht, daß die Kämpfe in Indochina, die schon fünf Jahre andauerten, einer Katastrophe entgegentrieben, und sie bereiteten ihre Ausnahme-stellungen vor. Überall in Südostasien wird mit der äußersten Erbitterung davon gesprochen, wie die Franzosen ihre Kolonialherrschaft in Indochina ausgeübt haben, korrupt und politisch kurzsichtig, und ihre militärischen Bemühungen werden nicht günstiger beurteilt. Sie hatten die Möglichkeit, sich mit Ho Chi Minh oder anderen Führern der indochinesischen Freiheitsbewegung über eine neue Gestaltung der Regierung dieser Gebiete zu einigen. Sie haben davon nicht nur keinen Gebrauch gemacht, sondern Ho Chi Minh in die Lage versetzt, glaubwürdig zu behaupten, daß sie ihm gemachte Zusagen nicht gehalten hätten. Darauf hat er sich für seine Unabhängigkeitsbestrebungen dorthin gewandt, wo er auf Unterstützung rechnen konnte — nach China und Rußland. Der Erfolg zeigte sich auf der Genfer Konferenz im Sommer 1954. Seither herrscht Waffenruhe in Indochina. Die Franzosen unterhalten bei Ho Chi Minh einen Hohen Kommissar, und man behauptet in Südostasien, daß sie versuchen, von den Konzessionen in Nordindochina zu retten, was noch zu retten ist, während sie es den Amerikanern überlassen, in Süd-vietnam Ordnung zu halten und dem Widerstand gegen den Norden Rückgrat zu geben. Die Amerikaner sagen, daß sie mit den Erfolgen zufrieden seien.
Sie haben aber noch mehr getan, um die Lage in Südostasien zu festigen. Sie faßten die Länder, die sich ihnen anschließen wollen, zu einem südostasiatischen Verteidigungssystem, SEATO, zusammen, die jetzt ihre Konferenz in Bangkok abgehalten haben. Diese Tatsache hat die thailändische Regierung mit großer Befriedigung erfüllt, denn es gibt ihr viel „Gesicht“. Nach dem Kriege hatte sie wenig „Gesicht". Als die Japaner während des Krieges in ihr Land eingefallen waren, hatten die Thailänder es nicht auf einen zerstörenden Krieg ankommen lassen, sondern sich mit den Japanern geeinigt. Die führenden Leute wurden daher nach Beendigung der Feindseligkeiten von den Alliierten als Kriegsverbrecher bezeichnet, und sie sollten vor ein sogenanntes internationales Gericht gestellt werden. Die thailändische Regierung verweigerte ihre Zustimmung. Sie sei zwar bereit, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, aber nur vor ein eigenes. Dieser Forderung haben die Alliierten nachgegeben.
Die Kriegsverbrecher wurden vor Gericht gestellt und sind alle freigesprochen worden. Im übrigen aber haben die Thailänder den Entwurf eines Friedensvertrages, den man ihnen auf einer Konferenz in Singapur vorlegte, zum großen Erstaunen der Alliierten widerspruchslos unterschrieben. Erfüllt ist freilich nichts von dem Vertrage. Und nun ist Bangkok anstelle von Singapur, das die Engländer vorgezogen hätten, Sitz des Sekretariats der SEATO geworden. Damit haben sie einen Platz in der politischen Organisation der freien Welt gefunden, wie sie ihn bisher nie besessen haben, wie er ihnen aber zweifellos bei ihren politischen Fähigkeiten und bei ihren militärischen Bemühungen, in denen ihnen eine amerikanische Militärmission hilft, gebührt.
Wirtschaftlich ist das Land immer durchaus gesund gewesen. Seine Währung ist in Ordnung und wird es auch bleiben, wenn das freie Spiel der Kräfte nicht durch stoßartige Maßnahmen gestört wird. Der Botschaf-ter Donovan hat kürzlich in einer Ansprache vor der Akademie für politische Wissenschaft der Vereinigten Staaten darauf hingewiesen, daß es unzweckmäßig sei, wenn die Vereinigten Staaten die Wirtschaftshilfe, die sie Japan gewähren, in beträchtlichem Umfange durch Reislieferungen leisten und damit den Thailändern, die auf die Reisausfuhr angewiesen sind, einen ihrer größten natürlichen Märkte verderben. Die Vereinigten Staaten sind heute einer der größten Reisproduzenten und Reisexporteure der Welt und infolge des landwirtschaftlichen Hilfsprogramms des amerikanischen Kongresses haben sich große Vorräte in den Händen der Regierung angesammelt, die nun ihre Verwendung finden sollen. Der Einfluß innenpolitischer Bedürfnisse der Vereinigten Staaten auf ihre Außenpolitik verdirbt leider so vieles von dem Erfolg, den man im Interesse des Friedens der Welt wünschen möchte.
Als ich in Bangkok war, bereitete sich die Stadt auf den Besuch der Außenminister und ihrer Delegationen vor, die zur SEATO-Konferenz kommen wollten. Die Amerikaner alleine wurden mit 50 Personen erwartet.
Ein großer Teil der Prachtstraßen der Stadt war erneuert worden, die Regierungsgebäude wurden angestrichen, das Ganze machte einen sehr freundlichen Eindruck. Wie denn überhaupt das ganze Land der beste Beweis dafür ist, daß die asiatischen Staaten durchaus in der Lage sind, sich die Ergebnisse der technischen Revolution, die das Gesicht Europas im vorigen Jahrhundert bestimmt hat, anzueignen, ohne daß dazu eine europäische Herrschaft notwendig ist.
Thailand hat eine Dynastie, die auf viele Generationen zurückblicken kann, eine Verfassung und ein riesiges marmornes Parlamentsgebäude.
Im wesentlichen spielt sich das politische Leben in einer kleinen Gruppe von Politikern und Militärs ab. Die Revolutionen, von denen man hin und wieder liest, sind in Wirklichkeit nichts weiter als Putsche, die zur Ablösung einer Mächtegruppe durch die andere führen; sie verlaufen in der Regel ganz unblutig. Auch in Thailand möchte man die Beziehungen zu Deutschland pflegen, auf deutschen Hochschulen lernen und mit deutschen Firmen Geschäfte machen. Es liegt an uns, ob wir von dieser Bereitwilligkeit Gebrauch machen.
Ankara -Istanbul
In der Türkei habe ich den ersten Weltkrieg erlebt und das ganze Land bis zur russisch-persischen Grenze durchzogen. Ich habe der deutschen Botschaft in der Türkei während des zweiten Weltkrieges angehört und an drei Versuchen mitgewirkt, über dieses Land einen Frieden mit den westlichen Alliierten herbeizuführen. Ich bin also mit der Politik des Landes seit langem vertraut, und ich war gespannt zu sehen, wie die politische Lage sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hatte.
Wenn die Großmächte China, ein alt und schwach gewordenes Kaiserreich, von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an ausnutzten und sich Stützpunkte darin verschafften, worauf dann die Japaner das ihre taten, um das Land in diesem Jahrhundert zu erobern, so haben die europäischen Großmächte vom Freiheitskampf der Griechen an das osmanische Kaiserreich Stück für Stück abbauen helfen bis zur Loslösung der arabischen Staaten 1918. Schließlich blieb Anatolien übrig, von der Ägäis bis zum Kaukasus, und in Europa Thrazien und Istanbul. Wenn die Türkei auch das große, aus sehr heterogenen Elementen zusammengesetzte Reich nicht hatte zusammenhalten können, so war doch die Tradition des Herrschens, der Politik und der Verwaltung, die sich von dem großen Reich, das von Wien bis zum Persischen Golf ging, in diesem übriggeEliebenen Mittelteil niedergeschlagen hatte, hier zusammengefaßt und erhalten geblieben und hat die Türkei zu ganz ungewöhnlichen Leistungen der Regeneration befähigt.
Auf den ersten Weltkrieg, der die Türkei in die Niederlage der Mittelmeermächte hineinzog, folgte das Regime Kemal Atatürks, eines echten Alleinherrschers, und es ist erstaunlich, daß die Demokratie in einem Land mit tausendjähriger Selbstherrschaft und der auf die Person Kemals konzentrierten Herrschaft wirklich lebendig werden konnte. Die Wahlen der letzten Jahre haben das bewiesen. Ein Umschwung in der Volksmeinung wurde von den Politikern widerspruchslos akzeptiert und aus dem nun demokratisch gefestigten Staatswesen entwickelt sich ein Erbe des osmanischen Kaiserreiches, das völlig überraschend ist.
Die Sultane waren nicht nur weltliche Herrscher im osmanischen Reich, sondern zu gleicher Zeit als Khalifen die Nachfolger des Propheten und damit die große geistliche Autorität für den gesamten Islam, der sich von der atlantischen Küste Afrikas bis zu den indonesischen Inseln im Pazifischen Ozean ausdehnt. Atatürk hat nicht nur mit dem Sultanat aufgeräumt, er hat einen schweren Kampf gegen die Herrschaft der Geistlichkeit gekämpft und gewonnen. Er hat Politik und Religion in einem Maße zu trennen vermocht, daß die Rückkehr zur Religion nunmehr keine Gefahr für den Staat in sich birgt. Schon unter seinem Nachfolger Inönü vollzog sich bei den hohen Militärs und in den alten Familien eine Rückkehr zur Religionsausübung. Jetzt hat die Regierung sogar eine theologische Fakultät an der Universität in Ankara zugelassen, und sie gestattete der Sultansfamilie, die in Kairo Zuflucht gesucht hatte, nach Instanbul zurückzukehren und dort zu leben. Sie hat also keine Befürchtungen mehr, daß die Türkei einer religiös-monarchistischen Reaktion zum Opfer fallen könnte.
Sie ist aber bereit und in der Lage, aus dieser geistigen Umstellung Folgerungen in der Außenpolitik zu ziehen. Es hat dem Islam in den letzten Jahrhunderten an einem geistigen und politischen Mittelpunkt gefehlt. Die heiligen Stätten Mekka und Medina lagen im Bereich eines Herrscherhauses, dessen Bedeutung nicht über die arabische Wüste hinausging. Die Sultane in Konstantinopel hatten genug Sorgen um das osmanische Reich, und die LIniversität el Azar in Kairo strahlte keine geistigen Strömungen aus. Aber es ist eine tiefe Verehrung für das Land des Khalifats, der Nachfolger des Propheten, übriggeblieben.
Das findet noch heute seinen überraschenden Ausdruck: Vor kurzem besuchte ein pakistanischer Zerstörer Istanbul. Als die Seeleute von Bord gingen, fielen sie nieder und küßten die türkische Erde, das Land des Khalifen. Auf dieser Basis der islamischen Gemeinsamkeit baut sich ein wesentlicher Teil der türkischen Politik auf.
Die Achse Ankara-Karatschi beruht nicht nur auf politischer Vernunft, sondern auf dieser Zusammengehörigkeit. Sie wird sich auf die anderen Länder Asiens bis nach Indonesien hin ausdehnen, und dieses Wiedererwachen des Islam wird seine Wirkung auf die mohammedanischen Teile Rußlands haben, auf den Kaukasus, wo die Erinnerungen an die Kämpfe Schamils gegen die russischen Eroberer in der Mitte des vorigen Jahrhunderts noch nicht vergessen sind, und auf die Länder östlich des Kaspischen Meeres, die mit Buchara und Sarmakand Heimat alter Kulturstätten des Islams sind; nördlich davon breiten sich weite Landesteile mohammedanischer Tradition aus, in denen das islamische Bewußtsein desto mehr wachsen wird, je hohler die Phrasen des Marxismus und Leninismus sich erweisen, die heute nur noch reine Propaganda sind. Nach den Mißerfolgen Rußlands im Fernen Osten, wo die chinesische Kultur sich stärker erwiesen hat als die russische, wird dies sicher ein Gebiet großer Sorge für den Kreml sein und in steigendem Maße werden.
Durch das Bündnis der Türkei mit dem Irak ist die Arabische Liga erledigt. Ihr fehlte es an einem geistigen Mittelpunkt; denn der Kampf gegen den kleinen Staat Israel ist keine Parole, die auf die Dauer eine Gruppe von Staaten zusammenhalten kann. Dazu kommt, daß einige leitende Persönlichkeiten in der ägyptischen Führung vom Verdacht des Kommunismus nicht frei sind und die mohammedanischen Länder sich einer Führung, die auf diesem Gebiet nicht völlig sicher ist, auf die Dauer nicht anvertrauen werden.
Mit dem steigenden Selbstbewußtsein der islamischen Völker wird es natürlich immer unerträglicher, mohammedanische Brüder unter fremder Herrschaft zu sehen, zumal wenn diese Fremdherrschaft den anderen mohammedanischen Staaten keine Achtung abnötigt. Wenn hinzukommt, daß die Befreiungsbewegung von fremder Herrschaft zu gleicher Zeit vom kommunistischen Moskau aus gefordert und betrieben wird, so besteht alle Veranlassung, dem entgegenzutreten und sich selbst für die Befreiung zu legitimieren.
Das ist der Kernpunkt der Unruhen in den französischen Gebieten Nordafrikas. Sie sind ebenso wenig zu halten, wie Indochina zu halten war. Aber es besteht auch ebenso wenig Aussicht wie in Indochina, daß die französische Regierung und das französische Parlament sich rechtzeitig zu der Gewährung voller Selbständigkeit entschließen, wie England das in Indien und Pakistan getan hat. Es wird zwar in Deutschland vielfach behauptet, daß der Sturz Mendes-France auf die Pariser Verträge und nicht auf die nordafrikanische Frage zurückzuführen sei. Das ist vom Vorderen Orient und von einem mohammedanischen Land aus gesehen eine Auffassung, die die augenblickliche Lage und die Entwicklung der Zukunft unter falschen Aspekten sieht.
Eine Verzögerung in der Neuordnung der nordafrikanischen Gebiete bedeutet, daß dort Kämpfe entstehen müssen und daß diese Kämpfe erhebliche Mittel erfordern werden, für die nicht, wie in Indochina, die Amerikaner eintreten werden, und das bedeutet schließlich und endlich eine Beanspruchung der französischen Wirtschaft, der sie in ihrem augenblicklichen Zustand und insbesondere bei ihrer wenig stabilen Währung nicht gewachsen sein wird.
Die Türkei begnügt sich aber nicht mit einer Außenpolitik unter Benutzung des Gedankens der islamischen Zusammengehörigkeit. Die Türkei ist immer anti—russisch gewesen, sie ist heute anti-russisch und sie wird es immer bleiben. Daraus ergibt sich das intensive Interesse an der Entwicklung im Balkan. Es gibt nicht nur eine Achse Ankara-Karatschi, vielmehr ist diese Achse verlängert auf Belgrad-Ankara-Karatschi.
Die Türkei unterbaut ihre Politik mit einer entsprechenden Rüstung. Bei 20 Millionen Einwohnern unterhält sie 22 Divisionen. Sie hat zu den Kämpfen in Korea eine Brigade abgestellt, die sich mit dem größten Heroismus geschlagen hat. Die Türkei wird von den Vereinigten Staaten auf militärischem Gebiet nachdrücklich unterstützt.
Dem entspricht freilich nicht ganz die richtige Würdigung der wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei. Die Regierung Menderes hat ein Programm wirtschaftlicher Reformen aufgestellt, das auf sehr kurze Fristen abgestellt ist. Sie hat bewiesen, daß sie schnelle Resultate erzielen kann. Das erweist sich, abgesehen von einer Mißernte 1954, die Naturkatastrophen zurückzuführen war, in der landwirtschaftlichen Produktion.
Mit dem Steigen des Lebensstandards der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die mehr als 80 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, steigt natürlich der Druck auf Versorgung mit Konsumgütern. Diese Konsumgüter wiederum können nicht im Lande alleine, zum Teil überhaupt nicht im Lande, erzeugt werden. Man ist also darauf angewiesen einzuführen, oder eine Konsumgüterindustrie zu entwickeln, und zwar muß man das sofort tun, denn sonst hat die Hebung des Lebensstandards, die sich aus der Hebung der Produktion ergibt, ihren Sinn verfehlt. Dafür haben die Amerikaner bisher nicht das notwendige Verständnis gezeigt. Aber leider wir Deutsche auch nicht. Wenn man sich von einem Handelsvertrag zum anderen hinquält, lediglich auf der Basis des Kaufs und Verkaufs, ohne sich mit den Türken hinzusetzen, um mit ihnen ein Programm auszuarbeiten, das die Entwicklung des Landes auf Jahre hinaus voraussehend ordnet, dann hat man auf deutscher Seite die Aufgabe nicht erkannt, die sich aus einer militärischen, politischen und wirtschaftlichen Freundschaft ergibt, die bis auf die Zeit Friedrichs des Großen zurückgeht.
Viele Länder bieten sich an, der Türkei mit Anlagen und mit Krediten zu helfen, aber von keinem Land würde die Türkei lieber beraten sein und eine Beteiligung an ihrer Entwicklung annehmen als von Deutschland; darüber besteht kein Zweifel. Das ist keine Phrase, sondern das ist Teil einer inneren Überzeugung und einer groß angelegten vorausschauenden Politik.
In der deutschen Politik ist mit der Ratifizierung der Pariser Verträge ein Abschnitt abgeschlossen worden, der eine intensive Konzentration nach Westen hin notwendig machte; es ist jetzt der Augenblick gekommen, wo die Augen sich nach Osten richten müssen, und zunächst auf die Türkei.