Die Sonne steht wieder über dem Rhein, das Leben läuft wieder in geregelten Bahnen. Nur einige Ruinen deuten noch auf eine furchtbare Vergangenheit hin.
Bei Remagen ragen nur noch zwei Strompfeiler aus dem Rhein. Die Brücke steht nicht mehr — — — seit zehn Jahren. Ein erschütterndes Mahnmal: diese Trümmer der Schicksalsbrücke. Das Städtchen hatte den Krieg nur am Rande miterlebt. Es hatte eine Kompanie, einige Lazarette und fröhliche Einquartierung.
Und es war nur Überfluggebiet.
Die Lage wurde ernster seit der Invasion in der Normandie. Der Schutz der strategisch bedeutenden Brücke wurde verstärkt, linksrheinisch mit dem Ausbau der Nahverteidigungsanlage begonnen. Nach dem Scheitern der Ardennenoffensive wurde dem Kampfkommandanden bekanntgegeben: Remagen gilt als Brückenkopf.
Der Gegner drängt zum Rhein.
Die Luftangriffe auf das Gleis-dreieck und die Ludendorff-Brücke von Remagen verstärken sich zusehends. Ende Oktober erhält die Brücke zwei Treffer. Am 28. Dezember beginnt das fürchterliche „Sechstagerennen“. Plötzlich tobt in Remagen der grausamste Krieg. Die Feind-verbände greifen das Gebiet in drei Wellen an. Die Vernichtung kommt nicht nur über die Bürger der Stadt, die in die Wälder flüchten, sondern auch über die Brücke. Sie wird durch vier Treffer beschädigt, besonders schwer durch einen Treffer zwischen dem rechtsrheinischen Brückenpfeiler und dem Erpeler Ufer. Die Stahl-konstruktion unter der Fahrbahn wird fast völlig zerstört, die Brücke hänge nur noch in ihren Obergurten Am 29., 30. und 31. Dezember sowie an. 1. und 2. Januar wird die Brücke Tag um Tag in der Mittagszeit angegriff Sie selbst wird zwar nicht mehr getroffen, aber ein Flut-bogen der linksrheinischen Brückenauffahrt erhält einen Volltreffer. Die eine Hälfte stürzt ein, ein Gleis der Bahnstrecke ist damit unterbrochen. Der stehengebliebene Teil wird durch den Angriff vom 28. Januar auch noch zerstört. Die Pioniere arbeiten fieberhaft, die Schäden auszubessern. Sie schichten Balken übereinander und machen die Strecke wieder zwei-gleisig befahrbar. Die Brücke steht! Die Bevölkerung ist zermürbt. Wie Schemen sehen die Menschen aus, verdreckt und verkommen. Sie halten sich fast nur noch in den umliegenden Wäldern auf oder treiben Stollen für Notunterkünfte in die Erde. Sie fluchen: „Wenn wir nur diese verdammt Brücke nicht hätten, dann ginge es uns besser!“
Der Gegner rückt unerbittlich gegen den Rhein vor.
Der Brückenkopf muß verteidigt werden.
Was das bedeutet, ist der Bevölkerung klar--------letzte Vernichtung!
Am 28. Februar 1945 wird der Brükkenkopf Remagen durch fernmündlichen Befehl der feindwärts kämpfenden 5. Panzer-Armee mit sofortiger Wirkung Generalleutnant Botsch, dem Kommandeur des Arbeitsstabes der 26. Volksgrenadier-Division, unterstellt. Am 1. März 1945 muß sich der Kampfkommandant, Hauptmann Bratge, auf dem Gefechtsstand des Pz. A. O. K. 5 melden. Dort spricht er alle für den Brückenkopf wichtigen Fragen durch, hört aber auch einige Gespräche mit, die besagen:
Der Gegner drängt mit starken Kräften nach Osten in den Raum Bonn—Köln—Düsseldorf. Die eigene Truppe befindet sich bei starken Ausfällen in der Rückwärtsbewegung. Eigene Reserven sind kaum noch vorhanden. Sie bestehen nur noch aus schwer angeschlagenen, aus der Front herausgezogenen Verbänden.
Der Kampfkommandant läßt sich über Euskirchen — Rheinbach— Mekkenheim zurückfahren. Die Orte sind nur noch rauchende Trümmerhaufen. Durch Euskirchen kommt er nicht durch, er muß den Ort umfahren. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit erreicht er Remagen. Sein Vertreter meldet ihm: „Generalleutnant Botsch war hier. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß die Besetzung des Brückenkopfes für einen Abwehrkampf völlig unzureichend ist.“
„Lind wohl auch bleiben wird“, erwidert Hauptmann Bratge resigniert.
Der 4. März 1945 — ein Sonntag — wird als Stellungsbautag befohlen. Aber der Volkssturm tritt nicht an. Die Bürger wollen ein baldi-ges Ende des Schreckens. Remagen bietet ein Bild der Vernichtung und Zerstörung. Der Tod hat reiche Ernte unter den Remagenern und Soldaten gehalten. Die Bewohner wollen nicht, daß ihre Stadt verteidigt wird. Sie wollen nicht, daß es ihr wie Aachen, Jülich, Düren oder all den anderen Orten ergeht, in denen kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Sic wollen, daß die Dampfwalze des Krieges schnell über sie hinwegrollt. Nur einige hundert versuchen, sich auf das rechte Rheinufer zu retten.
Aber noch immer steht die Brücke, obwohl sie mehrmals schwer getroffen worden ist. Lind der Befehl lautet, daß sie dem Gegner nicht in die Hände fallen darf.
So ist die Lage in jenen Märztagen vor nunmehr zehn Jahren, über die die widerspruchvollsten Gerüchte noch immer nicht verstummen wollen. Tendenziöse und romanhafte Darstellungen von deutscher und amerikanischer Seite haben nur noch mehr Verwirrung gestiftet.
Was aber hat sich vor zehn Jahren wirklich ereignet? Wer ist der Held von Remagen?
Die einen sprechen von Verrat und Sabotage.
Einer der Richter, die den Stab über die Offiziere von Remagen bradien, ist auch heute noch der Auffassung, daß sie zu Recht mit dem Tode bestraft wurden.
Andere meinen, daß einige Offiziere aus patriotischer Gesinnung bewußt die Sprengung der Brücke verhindert hätten. Wieder andere sagen, daß der letzte Krieg noch gewonnen worden wäre, wenn nicht deutsche Offiziere die Brücke den Amerikanern unzerstört in die Hände gespielt hätten. Vor allem Major Scheller hätte bewußt Sabotage getrieben. Ein Dolchstoß also? Und eine neue Dolchstoßlegende?
Die Amerikaner schrieben, daß ihnen Zivilisten den genauen Zeitpunkt der beabsichtigten Sprengung verraten hätten. Das ist ausgeschlossen, weil dieser Zeitpunkt nicht vorher festgelegt worden war, sondern von der Feindlage abhing. Wann die Brücke gesprengt werden sollte, war außerdem nur dem Kampfkommandanten bekannt.
Den Mann, den die Dolchstoßlegende zum „Verräter" stempeln will, machen andere zum „Helden".
Wieder andere meinen, daß die Deutschen bis zuletzt mit allen Mitteln versucht hätten, die Brücke zu sprengen.
Es war ein Wettlauf mit dem Tod.
Tollkühne amerikanische Soldaten wollen nach eigenen Berichten das verhängnisvolle Sprengkabel bei ihrem Stoßtruppunternehmen auf die Brücke zerstört haben. Eine schneidige Tat! Denn diese Soldaten wußten nicht, daß sie nur ein Scheinkabel zerschossen haben, das nichts bedeutete und so auffällig gelegt war, um etwaige Saboteure irrezuführen. Sie gingen dem sicheren Tod entgegen.
Jahr um Jahr werden neue Stimmen laut. Eisenhower: Dieses Ereignis kam völlig unerwartet. Churchill: Ein Glücksfall.
Eine Schweizer Zeitschrift: Das Wunder von Remagen. Verräter? Saboteure? Helden? Märtyrer?
Was ist die Wahrheit?
Der 5. März
Es ist der 5. März 1945. In der Mittagsstunde des 5. März gibt der Wehrmachtsbericht den Verlust von Euskirchen bekannt. Damit ist dem Gegner der Durchbruch durch den Westwall geglückt. Die Bedrohung Remagens ist akut geworden. Am Nachmittag kommt der Kommandant des Arbeitsstabes der 26. Volksgrenadier-Division, Generalleutnant Botsch, letztmalig zum Kampfkommandanten, mit dem er den Kräfte-einsatz im Brückenkopf bespricht. Der General sieht ein, daß eine Verteidigung des Brückenkopfes mit den vorhandenen Kräften nicht möglich ist. Er verspricht dem Kampfkommandanten Bratge: „Ich werde dafür Sorge tragen, daß Ihnen für die Brückenkopfverteidigung zwei InfanterieBataillone, eine Artillerie-Abteilung und eine 8, 8-Flak-Batterie zugeführt werden. Diese wird Ihrer Befehlsgewalt unterstellt und ist nur für Panzerabwehr, also nicht für Luftabwehr einzusetzen.“
Außerdem übermittelt der General den Befehl der Heeresgruppe B, daß die Brücke bis zum 6. März 24 Uhr für den Fahrzeugverkehr auszubohlen ist. Der Brückenkommandant, Hauptmann Friesenhahn, erwidert, daß die Bohlen erst passend geschnitten werden müßten, daß es dafür aber an Brennstoff fehle. Der General sagt daraufhin die Zuführung von 200 Liter Benzin zu.
Auch die Sprengmaßnahmen für die Brücke werden noch einmal durchgesprochen. Wenn kein Befehl von der Heeresgruppe B, dem Panzer-Armee-Oberkommando 5 oder Generalleutnant Botsch kommt, dann müssen der Kampf-bzw.der Brückenkommandant den Sprengbefehl erteilen, wenn ein aus Richtung Birresdorf oder Köln vorstoßender Gegner die Einmüdung der Straße Birresdorf—Remagen in die Straße Bonn—Koblenz, oder wenn der aus dem Ahrtal vorstoßende Gegner die Eisenbahrüberführung über die Straße Bonn—Koblenz erreicht hat. In beiden Fällen wäre die Brücke unmittelbar gefährdet. Auf der linksrheinischen Brückenauffahrt ist eine Vorsprengung vorbereitet. Wenn sie zur Auslösung kommt, wird am Zusammenlaufpunkt der beiden Rampenauffahrten ein 8 Meter breiter und ein 4, 5 Meter tiefer Graben durch die Sprengung erzielt, der von Panzern nicht genommen werden kann. An der Auflage des mittleren Brückenbogens auf dem rechts-rheinischen Strompfeiler soll eine Schnellsprengung vorbereitet werden. Hauptmann Friesenhahn fordert dafür 600 kg Pioniersprengmittel an; der General notiert sich die Angelegenheit.
Kampfkommandant Bratge teilt dem General noch mit, daß der Kommandeur der leichten Flak-Abteilung 764 von einer Aufhebung der Dienststelle des örtlichen Flakführers gesprochen habe, dessen Gefechts-stand sich außerhalb des Brückenkopfes befindet. Er bittet den General, daß die Dienststelle des Örtlichen Flakführers beibehalten werde, um ein Zusammenarbeiten zwischen Kampfkommandanten und Flakführung zu gewährleisten. Der General verspricht, daß er dafür Sorge tragen werde und verabschiedet sich.
Das war am Nachmittag des 5. März 1945.
Kampfkommandant Bratge vertieft sich noch einmal in seine Unterlagen, damit er die Einheiten sofort nach Eintreffen reibungslos in die vorgesehenen Abschnitte einweisen kann. Er kennt das ganze Gelände wie seine Westentasche. Tag für Tag hat er es abgeschritten. Viele Kilometer dehnt sich der Brückenkopf Remagen aus, aber ein Fahrzeug steht Bratge nicht zur Verfügung.
Die Männer der Pionier-Kompanie, Spezialisten ihres Fachs, arbeiten fieberhaft an der Brücke. Sie müssen die bisher nur für die Bahn und Fußgänger passierbare Brücke ausbohlen, damit sie auch von Kraftfahrzeugen befahren werden kann.
Eisenhower hat damit gerechnet, daß Köln ebenso wie seinerzeit Aachen hartnäckig verteidigt werden würde. Seine Truppen mußten am Erft-Kanal starken Widerstand überwinden. Danach jedoch drangen sie zügig vor. Am 5. März stehen sie am Stadtrand von Köln.
Eisenhower ist überrascht.
Auch Churchill wundert sich, daß der Widerstand bei Köln „überraschend schwach" ist. Der 6. März Im Brückenkopf Remagen ereignet sich bis zum Mittag des 6. März nichts Besonderes. Die Pioniere sind noch immer dabei, die Brücke fristgerecht auszubohlen.
In den frühen Nachmittagsstunden des 6. März zeichnet sich der Rückzug der feindwärts kämpfenden 5. Panzer-Armee über den Rhein ab. Der Kampfkommandant trifft Vorsorge zur Regelung eines ordnungsmäßigen Ablaufs des Rheinübergangs. Kein Fahrzeug darf ohne Abruf die Ablaufpunkte passieren. Für Remagen mit seinen engen Straßen ist das sehr wichtig, da ständig mit Luftangriffen gerechnet werden muß.
Dann ist die Ruhe vor dem Sturm plötzlich beendet. Auf der Dienststelle des Kampfkommandanten ist der Teufel los.
Ein Offizier meldet dem Kampfkommandanten: „Ich bin zur Erkundung der Zufahrtsstraße und des Brückenübergangs vorgeschickt worden, komme über Kirchdaun nach hier. Der Amerikaner stößt mit Panzerkräften nach Osten in Richtung Birresdorf—Kirchdaun und nach Süden in Richtung Ringen vor. Es wird kaum noch gekämpft. Wir haben nichts mehr vorn."
Diese Meldung veranlaßt den Kampfkommandanten, um 16, 00 Uhr auf eigene Verantwortung die Alarmstufe II auszulösen und schriftlich den Einsatzbefehl zu geben. Die Verteidigungsstellungen des Brückenkopfes können jedoch nur sehr schwach besetzt werden; die von Generalleutnant Botsch zugesagte Verstärkung ist noch nicht eingetroffen. Brükkenkommandant Friesenhahn läßt die Brücke laden, aber noch nicht zündfertig machen.
Einheit nach Einheit verlegt
Abbildung 2
Abbildung 2
Nach Bekanntgabe der Alarmstufe II gehen beim Kampfkommandanten folgende Meldungen ein: a) Wehrmachts-Ertüchtigungslager der HJ meldet den Eingang des Befehls, in der Nacht vom 6. zum 7. März mit den Jahrgängen 1928 und jünger in einen anderen rechtsrheinischen Raum abzurücken.
Bis zum Zeitpunkt des Abrückens wird befohlene Aufklärung durchgeführt. Zugeführtes s. M. G. mit Munition geht an K. Kdt. zurück. b) Prop. Kp. H. Gr. B meldet den Eingang des Befehls der H. Gr. B., noch am gleichen Abend in einen anderen rechtsrheinischen Raum zu verlegen. c) 6. /Nachsch. -Batl. 521 meldet restlosen Arbeitseinsatz der Komp, auf Befehl der H. Gr. B zum Abtransport eines Munitionslagers in einem 50 km entfernten Raum. Vor 48 Stunden ist mit Rückkehr nicht zu rechnen.
d) Der Führer der Alarmeinheit Bodendorf meldet daß er stündlich von der H. Gr. B für die Teile der 11. /H. Gr. Na. Regt. Verlegungsbefehl erwartet.
e) Der Führer des Volkssturmes Remagen meldet, daß die Aufstellung des Volkssturmes insofern auf Schwierigkeiten stößt, als der größte Teil der erfaßten Männer nicht anzutreffen ist. Bereits aufgestellte Gruppen sind an den Panzersperren an der Apollinariskirche, auf der Straße Remagen—Birresdorf und auf der Straße zum Viktoria-Berg eingesetzt. Die dazugehörenden Panzerwarnstellen sind besetzt.
Damit stehen dem Kampfkommandanten am Abend des 6. März für den infanteristischen Einsatz in der Verteidigung des Brückenkopfes nur noch die 36 Köpfe der Brückensicherungs-Kompanie zur Verfügung. Mit dem Volkssturm kann als Einsatztruppe nicht gerechnet werden.
Diese 36 Mann der Brückensicherungs-Kompanie müssen deshalb zur Sicherung des Ablaufs der Absetzbewegung und zur Verhinderung eines überraschenden Vorstoßes des Gegners in den Rücken der der Brücke zustrebenden Kolonnen an den Zufahrtsstraßen von Birresdorf und Kirchdaun eingesetzt werden und den Abschnitt Viktoria-Berg—Reichsarbeitsdienstlager besetzen.
Nach 20. 30 Uhr geht beim Kampfkommandanten die Meldung des Wehimachts-rtüchtigungslagers der Hitlerjugend ein: „Gegner hat mit starken Panzerkräften den Raum westlich Birresdorf erreicht.“
Die ersten zurückflutenden Fahrzeugkolonnen treffen am Ablauf-punkt ein.
Um 21. 00 Uhr meldet Brückenkommandant Friesenhahn, daß die Brücke ausgebohlt ist. Drei Stunden früher, als von der Heeresgruppe B befohlen war. Kampfkommandant Bratge bittet ihn, die Brücke sofort für den Fahrzeugverkehr freizugeben. Der Brückenkommandant muß die Freigabe ablehnen, weil die Reichsbahn noch 12 Züge angemeldet hat, die in dieser Nacht über die Brücke geleitet werden müssen. Er schlägt die Freigabe der Brücke für den nicht schienengebundenen Fahrzeugverkehr um 5 Uhr vor.
Telefonisch meldet der Kampfkommandant dem OI der Heeresgruppe B die Aushöhlung der Brücke und bittet ihn, folgende Meldung an den IA weiterzuleiten: „Feind hat mit starken Kräften den Raum westlich Birresdorf erreicht. Am Vormittag des 7. März muß daher mit einem Vorstoß auf Remagen gerechnet werden. Alle für den Brückenkopf vorgesehenen Alarmeinheiten sind rechtsrheinisch verlegt worden. Für den Einsatz stehen nur noch 36 Mann der Brückensidierungs-Kompanie zur Verfügung.“
Der OI erwidert: „Der Stoß des Gegners ist gegen den Raum Bonn-Köln—Düsseldorf gerichtet. Bei den gemeldeten Panzern handelt es sich lediglich um eine Sicherung der rechten Flanke des Angreifers. Sie müssen sich das als alter Soldat selbst ausmalen können.“
Hauptmann Bratge bestreitet das energisch: „Den Abschüssen nach zu urteilen, handelt es sich um stärkere Kräfte."
Doch der OI erwidert: „Ich glaube vielmehr, daß Sie die Hosen voll-haben, Herr Hauptmann.“
Wütend knallt der Kampfkommandant den Hörer auf.
Einschneidende Veränderungen
Abbildung 3
Abbildung 3
So steht es am Abend des 6. März 1945. Soviel ist jedenfalls dem Kampfkommandanten bekannt. Was er aber nicht weiß und was ihm erst viel später bekannt wird, ist folgendes:
Am 6. März sind die Brückenköpfe Bonn und Remagen zu einem gemeinsamen Verteidigungsbereich unter dem Namen „Brückenkopf Bonn/Remagen" zusammengefaßt und einem anderen General unterstellt worden. Dadurch war die Unterstellung Remagens unter die Befehls-gewalt des Generalleutnants Botsch aufgehoben worden. Das ist der Grund, warum Hauptmann Bratge weder Telefon-noch Funkverbindung mit Generalleutnant Botsch bekommen kann. Von der Neugliederung erhält der Kampfkommandant keine Kenntnis.
Ohne daß Hauptmann Bratge irgendwelche Befehle oder Meldungen zugeleitet werden, ergehen am Nachmittag und Abend des 6. März von der Flakführung einschneidende Befehle. Sie betrachtet die vom Kampf-kommandanten befohlene Auslösung der Alarmstufe II als übertrieben, löst die Dienststelle des örtlichen Flakführers mit sofortiger Wirkung auf und befiehlt die Verlegung fast aller Flakeinheiten. Mit Ausnahme der bei Erpel und bei der Sandgrube Kripp eingesetzten zwei Züge und der 3 Einlinge auf der Brücke befindet sich in der Nacht vom 6. zum 7. März die gesamte Flak im Stellungswechsel. Auch die zwei Geschütze 2-cm-Vierlingsflak auf der Erpeler Ley werden abgerufen, so daß die Kampfstärke des Brückenkopfes weiter erheblich geschwächt wird. Der Kampfkommandant wird davon jedoch nicht verständigt. Er ist völlig übernächtigt. Die Feindlage ist kritisch, die Alarmeinheiten sind verlegt worden, die zugesagten Kampfeinheiten noch immer nicht eingetroffen. Der vorgesetzte Pionier-Batl. -Kommandeur, Major Kraft, überzeugt sich um 23. 00 Uhr von der ordnungsgemäßen Durchführung der Vorbereitungen zur Sprengung.
Der Adjutant, der sich in den späten Abendstunden niedergelegt hat, löst den Kampfkommandanten, der sich in einem Nebenraum bis 4. 30 Uhr niederlegen will, um 2. 00 Uhr in der Besetzung der Dienststelle ab. Um 3. 00 Uhr wird der Kampfkommandant bereits wieder durch das Motorengeräusch von Kraftfahrzeugen aufgeschreckt. Eine Fahrzeug-kolonne hat die Absperrung am Ablaufpunkt durchbrochen und sich in Richtung Brücke in Marsch gesetzt. Ihr schließen sich weitere Fahrzeuge an. Der Kampfkommandant begibt sich sofort an den Ablaufpunkt und verhindert ein weiteres Aufrücken von Fahrzeugen. Er muß von seiner Pistole Gebrauch machen und zwei Fahrzeugen, deren Fahrer dem Befehl zum Stehenbleiben nicht Folge leisten, die Hinterreifen durchschießen. Die an der Brücke vorfahrenden Fahrzeuge verstopfen nach kurzer Zeit die Zufahrtsstraße auf eine Strecke von ca. 100 m völlig und stehen zu zwei, stellenweise zu drei Fahrzeugen nebeneinander. Der Kampfkommandant erkennt, daß ein Unteroffizierdienstgrad sich hier nicht durchsetzen, vor allem die Personenkontrolle nicht mit der erforderlichen Schärfe durchführen kann.
Der Kampfkommandant bleibt deswegen zunächst am Ablaufpunkt und legt unter Mithilfe des Führers der Melder die Reihenfolge der ersten Kolonnen fest, die bei der Freigabe der Brücke den Ablaufpunkt passieren sollen. Hierfür haben sich die Kolonnenführer mit den erforderlichen Marschpapieren beim Kampfkommandanten zu melden. Bei dieser Ülberprüfung werden folgende Feststellungen gemacht:
Bei den zurückflutenden Kolonnen handelt es sich ausschließlich um Nachschubformationen und um Einheiten der rückwärtigen Dienste (Verpflegungstrosse, Werkstattkompanien, Sanitätseinheiten usw.) oder um Flakeinheiten, die sich im Stellungswechsel befinden.
Die Kraftfahrzeuge sind zum größten Teil ohne Begleiter, die Waffen sind in den meisten Fällen an die kämpfende Truppe abgegeben worden.
Die Führer können durchweg ordnungsgemäße Ausweise oder Marsch-befehle vorweisen, die zum Rheinübergang berechtigen. Einsatzbefehle für die Flakeinheiten lauten sämtlich für den Raum Bonn—Köln—Düsseldorf.
Teile der kämpfenden Truppe bleiben völlig aus, lediglich zwei beschädigte und ein einsatzbereiter Panzer, aber alle ohne Munition, passieren den Ablaufpunkt.
Der Kampfkommandant führt die Kontrolle — soweit er zwischendurch nicht an anderer Stelle sein muß — laufend persönlich durch in der Hoffnung, dadurch weitere Einheiten für den Einsatz herausziehen zu können. Ab Freigabe der Brücke um 5. 00 Uhr geht der Ablauf reibungslos mit nur zweimaliger Unterbrechung vonstatten.
Der 7. März 7. März 1945. Ein schicksalhafter Tag. Tief liegt die geschlossene Wolkendecke. Feiner Sprühregen fällt nieder. Alles verschwimmt in einem trüben Grau. Auf der Brücke herrscht reger Verkehr. Kolonne folgt auf Kolonne. Denn die Brücken in Köln und Bonn sind zerstört, alle Fähren versenkt, und jeder will noch nach drüben. Der Gegner rollt heran. Der Kampfkommandant versucht vergeblich, mit irgendeiner Dienststelle außerhalb des Brückenkopfes Verbindung zu bekommen. Der Funktruppführer funkt ohne Erfolg.
Gegen 10. 00 Uhr werden mehrere tausend Schuß Raketenmunition auf dem Viktoria-Berg gesprengt, die von der 3. Batterie der Flak-Lehrund Versuchsabteilung 900 (R) — auch Raketenflak genannt — mangels Fahrzeugen nicht mehr rechtzeitig über den Rhein gebracht werden konnte. Oberleutnant Peters mußte mit seiner Batterie bereits in den ersten Märztagen in das rechtsrheinische Gebiet verlegen.
Um 10. 28 Uhr wird in Remagen aus Richtung Viktoria-Berg das erste M. G. -und Gewehrfeuer eigener Waffen hörbar, das ungefähr 20 Minuten anhält; dann tritt wieder Ruhe ein. Gegen 11. 00 Uhr wird dem Brückenkommandanten die Sprengmunition für die rechtsrheinische Schnellsprengung angeliefert, allerdings nicht die zugesagten 600 kg Pioniersprengmittel, sondern nur 300 kg Donorit, das ohnehin schon eine schwächere Sprengwirkung hat. Die Pioniere bringen die Sprengmunition am rechtsrheinischen Strompfeiler an. Zusätzliche Zündschnur wurde nicht angeliefert, und die vorhandene Zündschnur reicht nicht aus, um die Zündstelle in den Tunnel zu verlegen.
Der Kampfkommandant befindet sich wieder am Drususplatz. Der Führer der Melder, Feldwebel Keilhöfer, meldet ihm: „Keine besonderen Vorkommnisse."
Major Scheller übernimmt das Kommando
Abbildung 4
Abbildung 4
Es ist 11. 15 Uhr. Da tritt auf Hauptmann Bratge ein Offizier zu, der sich als Major Scheller vorstellt und angibt, den Auftrag zu haben, das Kommando Remagen zu übernehmen. Hauptmann Bratge richtet an ihn sofort die Frage, ob er die beiden Bataillone mitbringe und wann mit ihrem Eintreffen zu rechnen sei. Major Scheller war Adjutant des 67. A. K. Er macht einen abgespannten, übernächtigten Eindruck, zeigt aber äußerste Ruhe und Gelassenheit. Mit kurzen Worten weist Hauptmann Bratge ihn in die Lage ein und gibt ihm die Erklärung für seine Frage nach den 2 Bataillonen. Major Scheller hat keinerlei Ahnung von den bisherigen Befehls-Verhältnissen und kann sich nur auf seinen Auftrag zur Übernahme des Brückenkopfes Remagen berufen. Bei Hauptmann Bratge schwinden die letzten Hoffnungen, daß die zugesagte Verstärkung noch rechtzeitig eintreffen wird. 11. 25 Uhr trifft ein Melder von der Dienststelle des Kampfkommandanten ein, der die durch den Gefechtsstand der Brückensicherungs-Kompanie (Waldburg) fernmündlich durchgegebene Meldung über die erste Fendberührung von Teilen der Brückensicherungs-Kompanie überbringt. Amerikanische Infanterie hatte gegen 10. 25 Uhr den Wald beim RAD
Lager erreicht, sich aber nach dem Einsetzen des Abwehrfeuers der Brückensicherungs-Kompanie wieder zurückgezogen.
Hauptmann Bratge gibt Major Scheller vom Ablaufpunkt aus eine kurze Geländeeinweisung. Major Scheller verlangt, die Brücke zu sehen.
11. 40 Uhr begeben sich Major Scheller und Hauptmann Bratge zur Brücke. In der am Wege liegenden Dienststelle nimmt Major Scheller kurzen Einblick in den Mob. -Kalender und wird von Hauptmann Bratge besonders auf die völlige Entblößung des Brückenkopfes von infanteristischen Kräften hingewiesen. Hauptmann Bratge schlägt Major Scheller vor, nachdem mit der Außenwelt keinerlei Verbindung mehr besteht und mit der Zuführung neuer Kräfte nicht mehr gerechnet werden kann, sofortige Maßnahmen in die Wege zu leiten, das rechtsrheinische Ufer zu sichern, da auch auf ihm keinerlei Infanteriekräfte eingesetzt sind, und die Amerikaner ohne Behinderung nördlich und südlich von Remagen den Rhein in Fischerbooten überqueren können. Major Scheller besteht darauf, den linksrheinischen Brückenkopf zu verteidigen, und will — was bisher vergeblich versucht worden war — die erforderlichen Kräfte aus den im Rückzug befindlichen Kolonnen herausholen. Auf dem weiteren Wege zur Brücke stellt Major Scheller auch wirklich fünf Infanteristen mit einem le. M. G. in der Kolonne fest, die er heraus-holt, um sie zum Einsatz zu bringen. Die fünf sind im nächsten Augenblick wieder in der Kolonne verschwunden und untergetaucht. 11. 52 Uhr übermittelt Hauptmann Bratge an den Brückenkommandanten den Befehl zum Zündfertigmachen der Brücke. 12. 10 Uhr treffen Major Scheller und Hauptmann Bratge an der Brücke ein. Major Scheller läßt sich von Hauptmann Friesenhahn die getroffenen Maßnahmen melden. Hauptmann Bratge fordert von Major Scheller weiterhin die unbedingte Sicherstellung der rechtsrheinischen Verteidigung und schlägt die Zurückziehung der Brückensicherungs-Kompanie vom Viktoria-Berg zunächst in die Stellungen der Nahverteidigungslage vor. Major Scheller billigt die Zurückziehung und begibt sich 12. 25 Uhr mit Hauptmann Bratge zurück auf die Dienststelle im St. -Anna-Kloster. Sofort nach Eintreffen wird die Brückensicherungs-Kompanie angerufen. Im Apparat ertönt das Rufzeichen; Meldung der Gegenstelle erfolgt nicht. Der Anruf wird mehrmals ohne Erfolg durch den Adjutanten wiederholt.
12. 40 Uhr meldet ein nach Bodendorf entsandter Führer im Volkssturm, daß die Ortsverteidigung Bodendorf zusammengebrochen ist, der Volks-sturm nach Öffnung der Panzersperren die weiße Fahne gehißt hat und feindliche Panzer und Infanterie in Bodendorf eingerückt sind. 12. 50 Uhr erteilt Major Scheller den Befehl zum Verlegen des Gefechtsstande: des Kampfkommandanten in den Tunnel und begibt sich allein an die Brücke. Hauptmann Bratge gibt die erforderlichen Befehle für die Verlegung, vor allen Dingen für die Mitnahme der Geheimakten. In dieser Zeit fährt ein Melder der Brückensicherungs-Kompanie mit dem Rad am St. -Anna-Kloster vorbei und meldet auf Anruf durch Hauptmann Bratge, daß amerikanische Panzer auf der Straße Birresdorf-Remagen die Stellungen durchbrochen haben. Sofort nach Eintreffen an der Brücke gegen 13. 00 Uhr meldet Hauptmann Friesenhahn, daß die Brücke sprengfertig ist. Hauptmann Bratge stellt erfolglose Nachforschungen über das Eintreffen von Teilen der Brückensicherungs-Kompanie an der Brücke an. Er beantragt beim Brückenkommandanten die Abstellung von zwei Gruppen für den infanteristischen Einsatz in der Brückennahverteidigung an den beiden Zufahrtsstraßen von Sinzig und von Birresdorf—Köln. Hauptmann Friesenhahn verweigert die Gruppen nicht, lehnt dann aber die volle Verantwortung für die Sicherheit der Durchführung der Sprengung ab. Hauptmann Bratge nimmt daher von der Abstellung Abstand.
13. 10 Uhr entsendet Hauptmann Bratge einen Melder zur Brückensicherungs-Kompanie mit dem Befehl, sich auf die Brücke zurückzuziehen. (Hauptmann Friesenhahn gibt dem Führer des im Westteil von Kasbach untergebrachten Trosses der 12. /Ld. Pi. Rgt. 12 den Befehl, sofortige Maßnahmen für die Verteidigung von Kasbach zu treffen, besonders im Hinblick auf feindliche Übersetzversuche im Abschnitt Kripp.)
13. 40 Uhr. Der Gefechtsstand des Kampfkommandanten befindet sich jetzt in einem Wagen des Bauzuges im Tunnel. Außer den Geräte-und Mannschaftswagen des Bauzuges stehen noch drei Kesselwagen, gefüllt mit Benzin, im Tunnel. Einer ist undicht und tropft. 400 bis 500 Zivilisten — Männer, Frauen und Kinder — halten sich im Tunnel auf. Da sie mit einem Bombenangriff rechneten, haben sie hier Schutz gesucht.
Das erste feindliche Infanterie-Störungsfeuer schlägt auf die Brücke ein.
Oberfeldwebel Rothe kriecht über die Brücke zum Tunnel. Er meldet Hauptmann Bratge: „Nachdem die feindlichen Panzer die Stellungen durchbrochen hatten, zog sich die Brückensicherungs-Kompanie auf dem von der Hochebene auf dem Viktoria-Berg nach der Straße Bonn-Koblenz führenden Hohlweg zurück. Beim Überschreiten der Straße geriet sie in das Maschinengewehrfeuer der feindlichen Panzer, die diese Straße bereits besetzt hatten. Ich selbst wurde dabei dreifach verwundet, entkam aber noch. Der Rest der Kompanie dürfte in Gefangenschaft geraten sein.“
14. 20 Uhr begibt sich Major Scheller auf die rechtsrheinische Seite. Das erste feindliche Panzerfeuer schlägt auf die Brücke ein. Hauptmann Friesenhahn bleibt auf dem linksrheinischen Ufer an der Zündstelle der Vorsprengung.
14. 3 5 Uhr zündet Hauptmann Friesenhahn persönlich die linksrheinische Vorsprengung, als von ihm einwandfrei der Gegner im Werk Becher festgestellt wird. In ihrer Wirkung entspricht die Sprengung genau den Berechnungen. Den Rückweg über die Brücke tritt Hauptmann Friesenhahn unter starkem M. G. -und Panzerbeschuß an. 14. 50 Uhr fordert Hauptmann Bratge Hauptmann Friesenhahn, der ihm am Tunneleingang die Anwesenheit der Amerikaner im Werk Becher meldet, auf, die Brücke sofort in die Luft zu jagen. Friesenhahn lehnt mit dem Hinweis ab, daß Major Scheller sich den Sprengbefehl ausdrücklich vorbehalten habe. Während des Gesprächs stellt Hauptmann Bratge beginnende Vernebelung der Brücke fest und vermutet Sabotage durch die an der Brücke eingesetzten Russen der Nebelkompanie. Er verläßt den Tunneleingang und will den Verantwortlichen sofort zur Rechenschaft ziehen, stellt aber einwandfrei fest, daß der künstliche Nebel Fässern entströmt, die durch Granatsplitter beschädigt wurden. Gleichzeitig stellt er fest, daß auf der Alten Sraße in Remagen eine größere Anzahl Panzer aufgefahren ist, die an den Stellen, die den Blick auf den Rhein freigeben, ihre Rohre auf das rechtsrheinische Ufer gerichtet haben. Sofort bei Erscheinen von Hauptmann Bratge wird das Gelände um den Tunnel unter starkes Panzerfeuer genommen.
Der Sprengbefehl wird gegeben
Abbildung 5
Abbildung 5
Hauptmann Bratge begibt sich zu Major Scheller, meldet ihm, daß der Amerikaner sich im Werk Becher befindet, und fordert von ihm den Sprengbefehl: „Herr Major, wenn Sie den Sprengbefehl nicht geben, lasse ich die Brücke sprengen!"
Daraufhin erteilt Major Scheller um 15. 20 Uhr den Sprengbefehl mit den Worten: „Dann lassen Sie die Brücke sprengen!"
Hauptmann Bratge eilt zurück zu Hauptmann Friesenhahn. Auf Ruf-weite schreit er ihm zu: „Die Brücke in die Luft!“ „Alles volle Deckung! Alles volle Deckung!" ruft Hauptmann Friesen-hahn. Hauptmann Bratge liegt dicht hinter dem Tunneleingang. Endlose Minuten vergehen, ohne daß die Detonation erfolgt. Endlich 15. 40 Uhr ein dumpfer Knall.
Bratge springt auf, stürzt zum Tunneleingang und sieht, daß die Brücke steht!
Atemlos berichtet Hauptmann Friesenhahn: „Ich selbst habe gezündet. 15. 12 Uhr fand die letzte Überprüfung der Sprengleitung statt. War alles in Ordnung. Sprengung versagte. Unterfeldwebel Faust meldete sich sofort freiwillig, um die Schnellsprengung zu zünden. Bei stärkstem Feind-feuer erreichte er die Zündschnur. Schnellsprengung war zu schwach. Brücke hob sich nur und fiel in ihr altes Lager zurück.“ 15. 55 Uhr meldet Hauptmann Bratge Major Scheller die mißglückte Sprengung.
Gegen 16. 05 Uhr erfährt Hauptmann Bratge vom Brückenkommandanten, daß die ersten Amerikaner kurz vor 16. 00 Uhr die Brücke überschritten haben und der Versuch eines sofortigen Gegenstoßes mit Pionieren gescheitert ist. Pausenloses starkes Panzerfeuer liegt auf dem Tunneleingang; einzelne Panzergranaten krepieren im Tunnel selbst; M. G. -und Gewehrfeuer schlägt in den Tunnel. Und gute 100 m zurück stehen vor den Mannschaftswagen des Bauzuges zwischen den Zivilisten die drei Tankwagen! Zivilisten versuchen, die Soldaten am Kämpfen zu hindern.
Hauptmann Bratge meldet Major Scheller das Überschreiten der Brücke durch die Amerikaner, -den eigenen mißglückten Gegenstoß und die Aussichtslosigkeit eines Gegenstoßes vom Tunneleingang aus. „Herr Major, treffen Sie bitte die Entscheidung, ob Sie die im Tunnel befindlichen Soldaten zu Stoßgruppen zusammenfassen wollen oder ob ich es tun soll! Die Gruppen müssen einem Offizier hier am Tunnelausgang zugeführt werden, und der Gegenstoß muß sofort angesetzt werden.“
„Stellen Sie die Gruppen zusammen!“ antwortet Major Scheller.
Hauptmann Bratge holt mit Unterstützung eines Feldwebels die Soldaten einzeln aus den Zivilisten heraus; der Feldwebel hält sie zusammen. Als eine Gruppe vollzählig ist, soll der Feldwebel sie zu Major Scheller bringen.
Zwischendurch befiehlt Hauptmann Bratge, sämtliche Akten durch Feuer zu vernichten. Die Zivilbevölkerung protestiert dagegen wegen der Benzindämpfe im Tunnel. Der Befehl wird jedoch ausgeführt.
Die letzten Minuten
Abbildung 6
Abbildung 6
Fünf Mann der zweiten Gruppe sind durch Hauptmann Bratge erfaßt. Da kommt der Feldwebel zurück und meldet: „Major Scheller ist nicht da!“
„Machen Sie Ihre Augen auf! Major Scheller ist am Tunnelausgang!“
„Herr Hauptmann, ich melde, Major Scheller ist nicht da!"
Hauptmann Bratge begibt sich zum Tunnelausgang und erfährt von den Zivilisten, daß Major Scheller mit zwei anderen Offizieren den Tunnel in Richtung Unkel verlassen hat.
16. 40 Uhr erklärt Hauptmann Bratge den im Tunnel anwesenden Offizieren: „Hauptmann Bratge hat den Kampfkommandanten wieder übernommen!"
Die ersten Versuche zur Aufstellung von Stoßgruppen im Tunnel sind gescheitert. Hauptmann Bratge verspricht sich von einem zweiten Versuch keinen anderen Erfolg. Er will nun die im Tunnel vorhandenen Kräfte in den Raum südlich Orsberg zurückführen, sie dort neu ordnen und aus diesem Raum einen Gegenangriff führen.
Hauptmann Friesenhahn erteilt den Befehl: „Sämtliche Waffenträger verlassen mit Waffen und Munition den Tunnel und sammeln südlich Orsberg!"
Um das Zurückbleiben einzelner im Tunnel zu verhindern, drängen Friesenhahn und Bratge vom Tunneleingang her die Soldaten dem Tunnelausgang zu. Die ersten verlassen den Tunnel. Da detonieren Handgranaten; Schüsse fallen; die Menge drängt zurück in den Tunnel. Der Amerikaner hat auch den Tunnelausgang erreicht! 17. 00 Uhr wird nochmals der Versuch eines gewaltsamen Ausbruches gemacht. An der Brücke der Straße Erpel—Orsberg über dem Bahn-einschnitt ist ein M. G. in Stellung gegangen, die Böschungen sind besetzt. Wieder krachen von der Mauerbrüstung des Tunnelausgangs Handgranaten; Gewehr-und M. G. -Feuer schlägt in den Tunnel. Zivilisten schreien auf! Ein Mann und ein Kind werden verwundet. Alles strömt in das Innere des Tunnels. Unter den Zivilisten bricht eine Panik aus. Sie umklammern die Soldaten, halten sie fest, versuchen, ihnen die Waffen wegzunehmen, und immer wieder ertönt der Ruf, den Kampf einzustellen. 17. 12 Uhr ruft Hauptmann Bratge die Offiziere zusammen und erklärt: „Meine Herren! Major Scheller hat mit zwei Offizieren den Brückenkopf verlassen. Seine Beweggründe sind mir unbekannt. Ich habe den Befehl als Kampfkommandant wieder übernommen. Nach den inzwischen eingetretenen Ereignissen fühle ich mich nicht mehr imstande, die weitere Verantwortung für die Führung des Kampfes als Kampfkommandant zu tragen. Laut Führerbefehl frage ich Sie: Wer von Ihnen ist bereit, die Befehlsgewalt als Kampfkommandant zu übernehmen? Sämtliche Waffenträger haben sich seiner Befehlsgewalt zu unterstellen."
Schweigen!
„Dann, meine Herren, habe ich die Pflicht, den Befehl der anwesenden Truppe . . . .“
Hauptmann Bratge spricht nicht weiter. Sein Blick fällt auf den Tunnelausgang, an dem die weiße Fahne im Winde flattert. Zivilisten und Soldater verlassen den Tunnel. Hauptmann Bratge weist nach dem Tunnelausgang:
„Ich stelle fest: Ohne unseren Willen wurde die weiße Fahne gehißt. Eine Weiterführung des Kampfes würde eine grobe Verletzung der Genfer Konvention bedeuten und uns schuldig machen am Tod unschuldiger Frauen und Kinder.
Idi befehle darum die sofortige Einstellung des Kampfes!
Ich bitte Sie, Ihre Waffen unbrauchbar zu machen und als letzte den Tunnel zu verlassen."
Der verwundete Oberfeldwebel Rothe wird der Obhut einiger Kameraden übergeben und verläßt mit ihnen den Tunnel. 17. 30 Uhr verlassen Friesenhahn und Bratge als letzte den Tunnel. Über eine an die Böschungsmauer gelehnte Leiter treten auch sie durch den Ostteil von Erpel den Weg in die Gefangenschaft an.
Am Bahndamm der Strecke Troisdorf—Niederlahnstein in der Nähe der Unterführung der Straße nach Orsberg wird haltgemacht. Ein verwundete. Amerikaner soll mit übet die Brücke genommen werden. Da schlägt genau auf der anderen Seite des Bahndammes eine Granate mittleren Kalibers ein. Sollte dies die deutsche Artillerie und bereits ein Gegenangriff im Gange sein? Ein amerikanischer Soldat übernimmt die Führung. Die vier Pioniere nehmen die Tragbahre mit dem Verwundeten auf. Es geht zurück über die Brücke, der die Arbeit und Sorgen hunderter Männer jahrelang gegolten haben. Ungefähr zwei Drittel der Brücke sind überquert. Da schlägt gutliegendes Gewehrfeuer aus Richtung Kasbach in die Gruppe. Mit einem Aufschrei bricht einer der Träger zusammen und krümmt sich auf dem Brückensteg: Bauchschuß, der ihn nach kurzer Zeit besinnungslos werden läßt. Alles hat sich hingeworfen.
Da blickt Hauptmann Friesenhahn auf eine Stelle der Brückenbahn. Eine Panzergranate hat die Brückenbahn durchschlagen und das Sprengkabel der Brücke getroffen. Fast einen Meter weit klaffen die Enden der permanenten Leitung auseinander. Das Geheimnis der mißglückten Sprengung ist gelöst.
„Ein Treffer, wie er unter Millionen von Schüssen nur einmal vorkommt!" äußerte ein fairer amerikanischer Berichterstatter.
Das ist das Ende des deutschen Brückenkopfes Remagen
Eisenhower sitzt am 7. März mit den Korps-und Divisionskommandeuren der amerikanischen Luftlandetruppen im Hauptquartier zu Reims beim Abendessen. Da ruft ihn Bradley an.
Bradley meldet: „Wir haben eine Rheinbrücke in der Hand!“
Eisenhower antwortet fast brüllend: „Ich traue meinen Ohren kaum. Was haben Sie alles bei der Hand? Was kann man hinüberschicken?“
Bradley erwidert: „Ich habe über vier Divisionen, aber ich wollte Sie vorher anrufen, weil ich nicht wußte, ob es im Sinne Ihrer Pläne ist, wenn ich sie hinüberschicke."
Eisenhower sagt: „Hören Sie zu, Brad, wir hatten ja eigentlich damit gerechnet, daß so viele Divisionen bei Köln festgenagelt sein würden.
Nun sind sie aber frei. Bringen Sie also schleunigst mindestens fünf Divisionen hinüber und außerdem alles, was noch notwendig ist, damit wir uns auf jeden Fall halten können.“
Bradley antwortet erfreut: „Genau das wollte ich machen, aber wir haben uns dann gefragt, ob sich das mit den Plänen vereinbaren ließe. Das wollte ich nur geklärt haben."
Der Generalstabschef Eisenhowers ruft aus: „Diese Brücke ist ihr Gewicht in Gold wert!"
General Eisenhower selbst hat später den Fall der Remagener Brücke eines der vier wichtigsten Ereignisse des zweiten Weltkrieges genannt. Ursprünglich wollte er den Rheinübergang erst um den 1. Mai 1945 mit ungeheurem Materialaufwand erzwingen. Die deutschen Soldaten, die an der Brücke in Gefangenschaft geraten sind, werden vom Amerikaner zunächst ins St. -Anna-Kloster gebracht. Zur Beseitigung des durch die Vorsprengung an der Brückenaufahrt entstandenen Sprengtrichters setzten die Amerikaner sofort einen gepanzerten Schürfbagger ein. In Remagen steht Panzer hinter Panzer.
Mutige Versuche deutscher Stoßtrupps, die Brücke wiederzuerobern, scheitern. Vier Stukas, die die Brücke am 8. März angreifen, werden nach amerikanischen Berichten abgeschossen. Deutsche Kampfschwimmer werden eingesetzt, aber bis auf den letzten Mann vernichtet. Panzer nach Panzer rollt über die verhexte Brücke, der Brückenkopf wird größer und größer. Die Amerikaner entlasten die Brücke schon kurz nach der Inbesitznahme durch zwei Pontonbrücken.
Als Hitler gemeldet wird, daß die Brücke von Remagen unzerstört in die Hände der Amerikaner gefallen ist, ruft er aus: „Zwei Brückenköpfe haben das deutsche Schicksal besiegelt: die Normandie und Remagen!“
Am 17. März 1945, genau zehn Tage nach der Schnellsprengung, stürzt die Brücke in den Rhein und reißt eine amerikanische Panzer-kolonne und Soldaten mit sich in die Tiefe---------Überbelastung und Materialverschleiß sind die Ursache.
Ein Akt der Willkür
Am 18. März 1945 gibt der Wehrmachtsbericht bekannt: „Durch Standgericht wurden der Major Strobel von einem Pionier-Regiments-stab, der Major Scheller, Adjutant eines Armeekorps, der Major Kraft von einen. Landes-Pionier-Bataillon, der Oberleutnant Peters, Führer der zum Schutz der Rheinbrücke Remagen eingesetzten Flakkräfte, und in Abwesenheit der Hauptmann Bratge, Kampfkommandant von Remagen, teils wegen Feigheit, teils wegen schwerer Dienstpflichtverletzung im Felde zum Tode verurteilt, weil sie es fahrlässig unterlassen haben, die Rheinbrücke bei Remagen rechtzeitig zu sprengen oder entschlossen zu verteidigen. Die Urteile an Strobel, Scheller, Kraft und Peters wurden sofort vollstreckt.“
Militärs bezeichnen das „Sonderstandgericht des Führers", das die Urteile fällte, nach soldatischer Auffassung als ungesetzlich und würde-los und als einen „Akt der Willkür“. Von den vier Todesurteilen waren drei Fehlurteile. Das vierte Urteil ist ohne ordnungsmäßiges Verfahren gefällt worden, wobei der Sachverhalt ungeklärt bleibt. Die Art der Vollstreckung der Todesurteile war unmenschlich und unwürdig.
Die bisherigen Untersuchungen haben nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gegeben, daß der Verlust der Brücke von Remagen auf Sabotage oder feiges Aufgeben zurückzuführen war.
Die am Verlust der Brücke wirklich Schuldigen wurden von den Urteilen des „Sonderstandgerichts des Führers" nicht getroffen. Die wahre Ursache liegt-in den von Grund aus falschen Maßnahmen des OKW und Hitlers begründet, örtlich gesehen, an den völlig unzureichenden Kräften und dem völligen Fehlen eines wirksamen Panzerschutzes an der Brücke.
Feldmarschall Kesselring schreibt in seinem Buch „Soldat bis zum letzten Tag“: „Schonungslos mußte ich mir Ende März sagen, daß die mir gestellte Aufgabe in ihrem Hauptteil nicht gelöst war. Die Saar-Pfalz war unter schwersten Opfern verloren, die Brückenköpfe Remagen und Oppenheim waren aufgerissen und zu Ausgangsbasen weiträumiger Operationen geworden . . . Das „Zu spät" wob sich wie ein roter Faden durch die Gesamtereignisse und war eine nicht wegzuleugnende Schuld der höchsten Führung.“
Der Rhein war kein unüberwindliches Es Hindernis. ist unrichtig und muß als Zweckpropaganda bezeichnet werden, wenn der Zusammenbruch der Rhein-Verteidigung auf den Verlust der Brücke von Remagen zurückgeführt wird. Ganz und gar unrichtig und unsachlich ist es, dieses Vorkommnis als „kriegsentscheidendes Ereignis“ hinzustellen. In Wirklichkeit handelt es sich nur um eine Episode der unvermeidlich gewordenen militärischen Katastrophe.
Die amerikanische Soldatenzeitung „Yank“ schrieb: „Die vier deutschen Offiziere, die hingerichtet wurden, weil sie es versäumt hatten, die Brücke zu zerstören, waren das Opfer, wir aber die Nutznießer eines glücklichen Zufalls.“
Quellen 1. „So war es wirklich im Brückenkopf Remagen", von Willi Bratge und Manfred Michler, Verlag M. DuMont Schauberg, Köln.
2. J. F. C. F u 11 e r: „Der zweite Weltkrieg 1939— 1945".
3. Eisenhower: „Kreuzzug in Europa".
4. Churchills Memoiren, Bd. VI/2.
5. Feldmarschall Kesselring: „Soldat bis zum letzten Tag"
6. Siegfried Westphal: „Heer in Fesseln"
7. Persönliche Aussprachen mit vielen Beteiligten:
a) Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen die Richter des „Sonderstandgerichts des Führers", die die Todesurteile sprachen;
b) mit dem General, der bei diesem Ermittlungsverfahren als militärischer Sachverständiger fungierte;
c) mit Willi Bratge; diese Gespräche mit Bratge ergaben:
Bekanntlich müssen alle für den Ernstfall getrofenen Vorbereitungen in dem sog. Mob. -Kalender festgelegt werden. Die darin zusammengefaßten Schriftstücke trugen meist den Charakter einer „Geheimen Kommandosache" und durften nur von einem Offizier bearbeitet werden. Bratge mußte diese Aufzeichnungen zu Papier bringen. Bratge entzog diese Unterlagen durch Vernichtung im Tunnel dem Zugriff der Amerikaner. In diesem Augenblick vergaß er, auch sein Notizbuch zu in Gefangenschaft wurde im dieses Notizbuch nicht abgenommen.
Bratge brachte diese Notizen, die er aus seiner frischen Erinnerung und durch Aussagen anderer Offiziere, die mit ihm bei Remagen in Gefangenschaft geraten waren, ergänzte, in stark gekürzter Rede-schrift zu Papier. Diese Aufzeichnungen konnte er über die Gefangenschaft retten, ohne den Amerikanern gegenüber Aussagen gemacht zu haben. Bratges Notizbuch und drei selbstgefertigte Heftchen — die von Lebensmittelkartons stammen — sind also die authentische Quelle der Ausführungen Bratges. Sie fanden ihren ersten Niederschlag in der unter Ziffer 1) genannten Broschüre.