Einleitung
1. Absicht der Arbeit Von der Denkschrift bis zum Attentat, vom diplomatischen Schachzug bis zum Bürgerkrieg hat die Beck/Goerdeler-Verschwörung so ziemlich alle Mittel und Wege erwogen und versucht, die das verzweifelt ringende, erfinderische Gehirn eines Regimegegners im totalitären Staat nur ersinnen kann. Vieles blieb im Stadium der Diskussion stecken, blieb Spekulation oder Stückwerk. Doch reichte der Widerstand der Verschwörer auch in jenes Stadium hinein, wo ihre Methoden effektiv wurden und im Zusammenprall mit den äußeren Umständen sich verwirklichten und verwandelten, sich bewährten oder versagten.
So bietet das bewegte Erscheinungsbild der Beck/Goerdeler-Verschwörung einen konsequent durchkämpften und durchlittenen Erfahrungskreis zur Frage nach Technik und Moral, Theorie und Praxis der Methoden eines Umsturzversuches im modernen totalitären Staat nationalsozialistisch-faschistischer Prägung. Diese Frage weist über die einmalige Erscheinung der Beck/Goerdeler-Verschwörung hinaus. Sie forscht nach dem Wesen des legalen und illegalen, des passiven und aktiven, des geistigen und gewaltsamen Widerstandes überhaupt.
Die vorliegende Arbeit gibt keine Darstellung in chronologischer Folge, sondern will versuchen, durch eine Analyse der Methoden, die von der Beck/Goerdeler-Verschwörung entwickelt und angewandt worden sind, einen systematischen Beitrag zur Erhellung des Phänomens „Widerstand“ zu liefern. 2. Umfang und Abgrenzung des Themas a) Beschränkung auf die Beck/Goerdeler-Verschwörung Die Beck/Goerdeler-Verschwörung ist den Weg vom Widerstand zum Aufstand gegangen. Sie unternahm am 20. Juli 1944 den Versuch, Hitler und sein Regime zu stürzen.
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die Methoden nur der Verschwörer und Verschwörerkreise, die an diesem herausragenden Ereignis des „ 20. Juli" und seiner Vorgeschichte unmittelbar beteiligt waren. Ausgeklammert bleiben also die Pläne und Aktionen aller Splitter-gruppen und Parallelbewegungen
Wer einen Nationalsozialisten kannte, der kannte — überspitzt ausgedrückt — alle; denn die Gleichschaltung der Gesinnungen und die Uniformität des Gebarens waren ein bewußt gezüchteter, selbstgewählter Wesenszug der nationalsozialistischen Anhängerschaft. Wer hingegen einen Angehörigen der Beck/Goerdeler-Verschwörung charakterisiert, erfaßt zunächst nur ihn allein. Es gab keinen Typ des Verschwörers. Die Beck/Goerdeler-Verschwörung war ein Sammelbecken eigenwilliger, heterogener Persönlichkeiten. Sie entzieht sich dem Zugriff typologischer Betrachtungsweise. Jedes Urteil über die Beck/Goerderler-Verschwörung als Gesamtheit, über ihr Denken und Wollen, ihr Planen und Handeln wird in Frage gestellt und aufgesplittert durch die Vielfalt der Ausnahmen und Einschränkungen. Um nicht ins Uferlose zu geraten, wird sich die vorliegende Untersuchung in der Regel auf Beispielhaftes beschränken und — soweit sie keine Aktionen, sondern Pläne und Dispositionen der Verschwörer analysiert — nur leitende Tendenzen, nur jeweils vorherrschende Meinungen innerhalb der Verschwörung berücksichtigen.
Für die zeitliche Abgrenzung des Themas ist zu beachten, daß das Augenmerk der vorliegenden Untersuchung nicht der langläufigen, verzweigten Entstehungsgeschichte, sondern den Wirkungsweisen der Beck/Goerderler-Verschwörung gilt. Der Zeitraum, in dem diese Verschwörung als solche bestand und agierte, beschränkte sich im wesentlichen auf die Jahre 193 8— 1944. Unter dem Eindruck der Fritsch-Krise im Februar 193 8 hatte die Verschwörung begonnen, sich zu gruppieren. Sieben Jahre später, am 20. Juli 1944, fand ihr wechselvoller Kampf Kulmination und abruptes Ende.
Außerhalb des Rahmen dieser siebenjährigen, in sich geschlossenen Periode und damit auch außerhalb des Blickfeldes der vorliegenden Untersuchung bleiben die vorübergehenden, latenten Staatsstreichpläne Hammersteins im Januar 193
sowie die Widerstandstätigkeit der verbotenen Linksparteien und illegalen Gewerkschaften in der Folgezeit nach 1933. b)
Beschränkung auf die Methoden Bei der weiteren Beschränkung lediglich auf die Methoden der Beck/Goerdeler-Verschwörung erhebt sich von vornherein der Einwand, diese Abgrenzung könne eine allzu große Verengung des Blickfeldes bedeuten.
Es ist in der Tat nicht möglich, die Methoden der Beck/Goerdeler-Verschwörung völlig isoliert und für sich zu betrachten.
Methoden sind abhängig vom Zweck, dem sie dienen. Die Ziele und Zwecke der Verschwörer sind wiederum nur zu verstehen, wenn ihre Motive zu Rate gezogen werden. Erst aus dem Wissen um das „Warum“ und „Wofür“ erwächst das Verständnis für das „Wie“, für die Art und Weise des Weges, also der Methoden.
Jede Methode, die als politische Handlungsweise nicht nur mit Sachen, sondern auch mit Menschen und menschlichen Belangen operiert, unterliegt sittlichen Wertmaßstäben. Gerade für die Beck/Goerdeler-Verschwörung war die Wahl der Methode niemals ein rein „technisches“, sondern immer auch ein moralisches Problem. Den Verschwörern war durchaus nicht jedes Mittel recht, wenn es nur zum Ziele führt. Sie hatten Skrupel. (Darin beruhte ein Wesenszug ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus.
Methoden des politischen Kampfes sind Richtlinien für das Handeln.
Sie zielen nicht auf das Denken, sondern auf das Tun. Folglich sind sie auch — im Unterschied zu „Ideen“ — von den Bedingungen und Möglichkeiten der vorgefundenen Realität abhängig. „Man muß über die Realitäten klar sein unddieMethoden danach richten“ 3) »forderte Hassell einmal.
Die vorgefundene Realität der militärischen, innen-und außenpolitischen Situation Deutschlands mit ihren Wechselfällen und Konstanten, ihren Chancen und Grenzen tritt darum automatisch mit in den Gesichtskreis der Betrachtung, nicht nur als Schauplatz und Hintergrund, sondern auch als „Material“ der Methoden, die die Beck/Goerdeler-Verschwörung entwickelte. Das Untersuchungsfeld, das die vorliegende Arbeit zu durchmessen hat, wird also komplexer sein, als es die schmalspurige Themastellung zunächst erwarten läßt. 3. Untersuchungsgang und Gliederung Lim die Methoden der Beck/Goerdeler-Verschwörung in den Blick zu bekommen, bieten sich zwei Wege an:
1. Zusammenstellung und Auswertung der Zeugnisse, in denen Verschwörer selbst ausdrücklich über die Methoden berichten, die ihren Aktionen zu Grunde lagen. Auf diese Zeugnisse sind wir ausschließlich angewiesen, soweit es sich darum handelt, Methoden der Verschwörer zu betrachten, die niemals realisiert wurden, die also nicht in Aktionen, sondern lediglich in Aktionsplänen erscheinen.
2. Rekonstruktion der Methoden an Hand der historischen Tatbestände.
Dieser zweite Weg der Rückschlüsse von den Aktionen auf die Aktionspläne ergänzt und kontrolliert den ersteren. Er hat seine Fehlerquellen. Eine scheidet jedoch von vornherein aus, nämlich die der nachträglichen Unterstellung methodischer Überlegungen, wo die Akteure in Wirklichkeit planlos gehandelt haben könnten.
Denn ohne Übertreibung kann behauptet werden, daß es wohl kaum eine Aktion der Beck/Goerdeler-Verschwörung gegeben hat, auch in den turbulenten Stunden des „ 20. Juli“ nicht, die unüberlegt und spontan erfolgt wäre. Keinen Weg, den die Beck/Goerdeler-Verschwörung einschlug, beschritt sie blindlings. , Charakteristisch für die Verschwörer war die Systematik ihres Tuns, war die Strenge, mit der sie Gedanken zu Ende dachten, ehe sie handelten. Niemals agierten sie drauf los. „Einfaches Draufgängertum entsprach nicht ihrer Art“. (Poelchau)
Die Gliederung der vorliegenden Arbeit unterscheidet die Formen des aktiven und passiven, des geistigen und des gewaltsamen Widerstandes. Diese Formen haben als solche in der politischen Arena, in der die Verschwörung agierte, keine praktische Rolle gespielt. Sie besaßen keinen strategischen Unterscheidungswert. Außerdem traten sie in der geschichtlichen Wirklichkeit fast nie gesondert in Erscheinung, weder zeitlich noch räumlich.
Die Gliederung der vorliegenden Arbeit zerstückelt zwar das chronologische und „strategische“ Erscheinungsbild, jedoch nur, um die Einheit innerer phänomenologischer Zusammenhänge klarer in den Blick zu bekommen. Im Zuge der Ausführung hat sich zu erweisen, daß die gewählten Gesichtspunkte kein systemfreudig von außen an den Gegenstand herangetragenes Gliederungsschema bilden, sondern daß sie unter ständiger Kontrolle am Gegenstand aus diesem Gegenstand selbst gewonnen wurden. 4. Bemerkungen zur Quellenlage Die Zuverlässigkeit des Quellenmaterials zur Geschichte der Beck/Goerdeler-Verschwörung leidet unter dem Mangel an aktenkundlichen, dokumentarischen Belegen. Den Dokumentenbränden beim Abgang des NS-Regimes fielen vor allem Akten der Geheimen Staatspolizei mit den Verhörprotokollen und Prozeßunterlagen aus der Zeit nach dem gescheiterten Aufstand des 20. Juli zum Opfer
Diese quellenkritische Aufgabe betraf die Vorarbeit zum Thema unserer Untersuchung, nicht das Thema selbst. Im Text erscheinen deshalb nur die Ergebnisse des vorausgegangenen Quellenstudiums. Lediglich dort, wo diese Ergebnisse zweifelhaft geblieben sind, wird die beigefügte Anmerkung den jeweiligen Zuverlässigkeitsgrad der Belege erläutern. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Auswertung bereits veröffentlichten Quellenmaterials. Sie erschließt keine neuen Quellen, etwa durch weitere Befragung noch lebender Zeugen.
Die Überlieferung ist noch immer im Fluß. Auch hat sie die Grenze des Übersehbaren bereits überschritten. Nicht alle Veröffentlichungen waren deshalb erreichbar. Das gilt vor allem für den Sektor der Broschüren, Zeitungs-und Zeitschriftenaufsätze, die mehr oder minder Authentisches zur Geschichte der Bedc/Goerdeler-Verschwörung zu berichten wissen.
Methoden des passiven Widerstandes
Vorbemerkung „Der passive Widerstand . . . das ist der Widerspruch in sich selber, es ist der duldende Widerstand, der kein Widerstand ist (Lasalle)
Aggressiv zunächst ist jedoch immer nur der Machthaber, gegen den der Widerstand sich schließlich richtet. Dieser Machthaber geht zuerst vor, greift an, bedroht, „verfolgt“ und provoziert. Widerstand leisten heißt: eine Abwehrposition beziehen. Das unterscheidet den Widerstand wesenhaft von revolutionären Akten
Allerdings blieb der passive Widerstand, im Vergleich zu aktiven Kampfmethoden, stets die Form des „geringsten“ Widerstandes. Der passive Widerstand war gewaltlos und nur indirekt wirksam. Seine Wirkung beruhte in den Folgen, die die Unterlassung, die verweigerte Tat nach sich zog.
Von 1938 bis 1944 ist die Gegnerschaft der Beck/Goerdeler-Verschwörung von Jahr zu Jahr entschiedener geworden, entsprechend wurden auch ihre Methoden immer radikaler und rigoroser. Sie steigerten sich vom passiven zum aktiven, vom geistigen zu gewaltsamen Widerstand.
Als Form des geringsten Widerstandes spielten „passive Methoden der Verschwörer vorwiegend im Anfangsstadium ihres „lautlosen Aufstandes“ eine Rolle, — und am Ende, im Stadium der Resignation und der Ohnmacht, wenn die Aktion zur Passion wurde, und die Methode erstarrte zur Haltung und zur Geste des nahezu Gescheiterten.
I. Selbstmord -Emigration -Desertion
„Dieser Mann (Hitler) ist Deutschlands Schicksal im Guten und im Bösen und dieses Schicksal wird seinen Weg zu Ende gehen, geht es in den Abgrund, so reißt er uns alle mit, — zu machen ist da nichts“
Der Vergleich mit der „Scheibe“ symbolisiert, wie Fritsch auch den letzten sich aufbäumenden Akt des „Selbstmordes“ passiv vollzogen hat. „Wir waren darüber einig, daß Fritschs Verhalten nicht begreiflich sei, er hätte Gelegenheit suchen sollen, sein Leben anders zu verwerten oder einzusetzen“, bemerkte Hassell damals und setzte hinzu, „immerhin, sein Tod hat aufgerüttelt“ 6).
In dieser aufrüttelnden Wirkung des indirekten Selbstmordes von Fritsch lag ein Effekt, der seinen Tod zum Widerstand werden ließ, nicht nur im einsamen, individuellen, sondern auch im politischen Sinne.
Als „Weckruf an die Nation“ deutet Speidel auch den „sokratischen Selbstmord“ Rommels, fünf Jahre nach dem Ehrentod von Fritsch 7). Wieweit Rommel selbst diesen „Weckruf“ bewußt vor Augen hatte, als er Gift nahm, läßt sich nur erahnen. Es heißt, er sei im Auftrage Hitlers vor die Wahl gestellt worden, entweder sich selbst zu entleiben, oder aber, wegen seiner Beteiligung am „ 20. Juli“, einem Todesurteil des Volksgerichtshofes entgegenzugehen 8). Im Motiv der passiven Auflehnung gegen Schauprozeß, Folter und Galgen verband sich Politisches mit Persönlichem wohl bei allen Selbst-morden, die nach dem gescheiterten Aufstand des 20. Juli den Untergang der Beck/Goerdeler-Verschwörang begleiteten. (U. a. endeten durch Selbstmord die Generäle Beck, Treskow, Rommel, Kluge, Wagner, Linde-mann (Gen. d. Art.), Oberst v. Loringhoven, der Frhr. v. Plettenberg und Max Habermann)
Der politische Freitod hatte allen anderen Wegen des Widerstandes die Gewißheit voraus, jederzeit und für jeden gangbar zu sein. Doch blieb auch diese Gewißheit nicht ohne Vorbehalt. Das bewiesen die Beispiele mißlungener Selbstmordversuche. Beck schoß zweimal, ohne den Tod zu finden. Stülpnagel brachte sich einen Kopfschuß bei; erblindet kam er in ein Lazarett, dann vor den Volksgerichtshof, um am Galgen zu enden. Ernst Jünger schrieb dazu: „Ich dachte an unser Kamin-gespräch (mit Stülpnagel) in Vaux über die Stoa und darüber, daß das Todestor dem Menschen immer offenstehe, und daß vor solchem Hintergrund entschiedenes Handeln möglich sei. Da gibt es fürchterliche Belehrungen“
Wohl für alle Verschwörer, die — mehr getrieben als betreibend — den Freitod wählten, war der politische Selbstmord eine Haltung, aber keine „Methode". Zur Methode wurde der Selbstmord nur im Zusammenhang mit den Attentatsplänen jener Verschwörer, die bereit waren, eine Sprengladung am eigenen Körper zur Explosion zu bringen und sich gemeinsam mit Hitler zerreißen zu lassen. (Siehe Kapitel „Attentat“.)
Wie der politische Selbstmord, so waren auch die Emigration und die militärische Desertion Weisen des Fortgehens. Der Schock, den die plötzliche, nicht totzuschweigende Abwesenheit eines prominenten Regime-gegners in der Öffentlichkeit hervorrief, und die damit verbundene stumme Demonstration seiner Gegnerschaft mochten in ihrer Wirkung überlegener sein, als der Triumph, den das Regime dabei für sich buchen konnte, weil es einen Gegner auf bequeme Weise losgeworden war.
Dennoch haben die Verschwörer die Wege der Emigration und der Desertion ziemlich einhellig abgelehnt. Diese Ablehnung blieb keine theoretische. Viele Verschwörer haben, auch während des Krieges noch, durchaus die praktische Chance besessen, gefahrlos zu emigrieren. Als Diplomaten oder Mitglieder der Abwehr, also mit allen erforderlichen Papieren versehen, reisten sie wiederholt in das neutrale Ausland. Stets kehrten sie in die „Festung“ zurück. Familiäre Bindungen, das Gespenst der „Sippenhaft“ und die Sorge vor der materiellen Entwurzelung
Zusammenfassend bleibt zu sagen, daß die Wege der Emigration und der Desertion für die Beck/Goerdeler-Verschwörung eine zwar stets gegenwärtige, aber fast nie ergriffene Möglichkeit des passiven Widerstandes gewesen sind.
II. Der Rücktritt
Audi das Abschiedsgesuch eines Regimegegners, sein Rücktritt aus dem Amt in den „Ruhestand“ war eine Weise des „Fortgehens“, des Nichtmehr-Mitmachens, eine Methode also des passiven Widerstandes. Das Problem des Rücktritts war ein Kernproblem für die Beck/Goerdeler-Verschwörung, denn fast alle Akteure, die ihr angehörten, bekleideten Ämter in Staat und Wehrmacht.
Der kollektive Rücktritt Die warnenden, ja beschwörenden Denkschriften, in denen Beck als Chef des deutschen Generalstabes zu den Plänen Hitlers, die tschechische Frage mit Waffengewalt zu lösen, Stellung genommen hatte, gipfelten in zwei mündlichen Vorträgen. Beck hielt sie am 16. und 19. Juli 1938 vor dem Oberbefehlshaber des Heeres
Dieser Appell des Generalstabschefs blieb keine bloße rhetorische Forderung. Beck entwickelte den konkreten Plan einer „Demarche“ der Generalität des Heeres bei Hitler, verbunden mit einer kollektiven Rücktrittsdrohung „für den Fall, daß der Führer auf der Durchführung des Krieges besteht“ 16).
Der legale, ordnungsgemäße Charakter eines kollektiven Rücktritts mag Beck zur Wahl gerade dieser Methode bewogen haben
In noch weiterem Sinne entsprach der passive Widerstand durch kollektive Rücktrittsgesuche den Zwecken der „Verschwörer“. Sie planten damals noch nicht den Sturz Hitlers. Sie wollten Hitler nur zurückhalten und gleichsam „bremsen“, weil seine Politik, nach einem Wort Weizsäckers, wie in einer Spirale in immer schnellere Rotation geriet. So wehrten sich konservativ denkende Vertreter alter Schule in Heer und Beamtenschaft gegen den „Dynamismus“ Hitlers, indem sie die neue Bewegung nicht mitmachten, zunächst innerlich, weltanschaulich, bei formal korrekter Abwickelung ihrer Dienstgeschäfte und dann auch nach außen hin, durch das Rücktrittsgesuch.
Das Rücktrittsgesuch war ihr letztes Wort, das sie als Oppositionelle kraft ihrer amtlichen Position sprechen konnten. Darin beruhten Nachdruck und Grenze dieser Methode. Sie konnte zur Selbstausschaltung des zurückgetretenen Regimegegners führen
Aus dieser Einsicht heraus folgte Bede auch energisch dem weiter-drängenden Bewegungs-und Entwicklungsgesetz des Widerstandes, das über die passive Lösung kollektiver Rücktrittsgesuche hinaus ein aggres-sives Vorgehen gebot. „Für den Fall, daß es durch Einspruch berufener Männer noch gelingen sollte, einen Krieg zu vermeiden“, erklärte Beck, „ist mit erheblichen innerpolitischen Spannungen zu rechnen, man wird sich daher entschließen müssen, in unmittelbarer oder nachfolgender Verbindung mit einem Einspruch nunmehr eine klärende Auseinandersetzung zwischen Wehrmacht und SS herbeizuführen“
Um überhaupt durchführbar und erfolgversprechend zu sein, setzte ein geschlossener Rücktritt voraus: 1. die volle Einmütigkeit der Generalität und 2. ihre Unersetzbarkeit für das Regime.
Die Hoffnung der regimefeindlichen Offiziere und Beamten „alter Schule“, durch Erfahrung und Können unersetzbar geworden zu sein, ließ die kollektive Rücktrittsdrohung als ultimatives Druckmittel erscheinen. Mit dem Selbstbewußtsein des militärischen Fachmanns spekulierte Bede auf den Respekt, den das Regime dem fachlichen Können zollte. Er unterschätzte jedoch den verheerenden Mut zum Dilettantismus, den Hitler in steigendem Maße bewies. Die „Glut nationalsozialistischen Bekennens“
Davon abgesehen drohte sich die beschworene Staatskrise, die ein kollektiver Rücktritt der Generalität auslösen sollte, durch ein reibungsloses Nachrücken regimetreuer Offiziere mittlerer Ränge zu erübrigen. Das wäre 1938 denkbar, wenn auch wenig wahrscheinlich gewesen. Auch die jüngeren Offiziere fühlten sich damals noch dem Korpsgeist ihres Standes verpflichtet. Durch die allgemeine Wehrpflicht, und vollends durch die Mobilmachung des ganzen wehrfähigen Volkes, zerbröckelte jedoch die konservative Einheit des Offizierskorps mehr und mehr. Entschiedene Nationalsozialisten, schnell befördert, bekleideten bald hohe militärische Ränge.
Hinzu kam ganz allgemein, daß die dualistische Struktur des NS-Regierungssystems (Partei — Staat) kollektiven Ausfällen durch Streiks oder Rücktritt geradezu vorbeugte durch eine Doppelbesetzung der wichtigsten Ämter und Organisationen. Neben der Wehrmacht gab es die militanten Formationen der SA und SS, neben der Ordnungspolizei die Gestapo (Geheime Staatspolizei), das OKW stand dem Generalstab gegenüber, das Amt Görings (Beauftragter für den Vierjahresplan) rivalisierte mit dem Wirtschaftsministerium, der „Reichsleiter“ fungierte neben dem Minister, der Gauleiter neben dem Oberpräsidenten, der Kreisleiter neben dem Landrat usw.
Im Falle eines kollektiven Rücktritts der Heeresspitzen drohte dem Regime ein Prestigeverlust, eine vorübergehende Lähmungserscheinung, aber keine Erschütterung der Grundfesten. Das regimetreue OKW unter Führung der Generale Keitel und Jodl wäre eingesprungen.
Nun bildete Beck sich ja auch nicht ein, das NS-Regime allein durch passiven Widerstand stürzen zu können. Er wollte eine akute Kriegs-gefahr verhindern. Das war sein konkretes Ziel, und dieses Ziel war in der Tat greifbar, weil der geplante „Generalstreik der Generale“ im Angesicht einer bevorstehenden Mobilmachung stattfinden sollte. Der komplizierte Vorgang einer Mobilmachung aller Streitkräfte des Heeres war ohne leitende Mitwirkung der eingearbeiteten Befehlshaber undurchführbar. „Wenn sie alle in einem geschlossenen Willen handeln, ist die Durchführung einer kriegerischen Handlung unmöglich.“ (Beck)
Ein „Generalstreik der Generale“ in der legalen Form, wie sie Beck vorschwebte, setzte ferner die volle Einmütigkeit der Generalität voraus. Am 4. August 193 8 versammelte Brauchitsch die Befehlshaber aller Heeresgruppen und Armeen in seiner Privatwohnung
In der Folgezeit bis 1944 ist ein kollektiver Rücktritt der Heeresspitzen niemals wieder spruchreif geworden
Der individuelle Rücktritt Im August 1938 hatte außer Beck
Beck hatte sich als Regimegegner zu weit exponiert, um wieder einlenken zu können. Sein Rücktritt war eine einsame Geste persönlicher Resignation. Er war der Schlußpunkt einer fruchtlosen Phase des Widerstandes im Amt und durch das Amt. Zugleich aber war er Auftakt einer neuen Phase, in der wir Beck als Kopf einer unterirdischen Verschwörer-organisation wiederfinden. „Er hatte sich nicht zum Handeln entschließen können, aber durch seinen Abgang die Freiheit des Handelns wiedergewonnen“, interpretiert Foertsch das Verhalten Becks
Neben dem stillschweigenden Gewinn seiner inneren Freiheit zum „Hochverrat“ hoffte Beck, durch seinen Rücktritt auch nach außenhin aufrüttelnd zu wirken. Er unterließ es jedoch, sich dieser Wirkung zu versichern. Vornehm und unauffällig wie Fritsch, der seinerseits erklärt hatte, „wenn Hitler mich los sein will, genügt ein Wort und ich werde meinen Abschied erbitten“
Äußere Form und Zeitpunkt eines oppositionellen Rücktritts waren immer wieder diskutierte taktische Probleme dieser Methode des passiven Widerstandes. „Es ist ein Jammer, daß der Mann, der uns durch rechtzeitigen Abgang ungeheuer hätte nützen können, jetzt wie ein schlechter Angestellter herausgeworfen worden ist“, klagte Hassell im Januar 1939 bei der Entlassung des Reichsbankdirektors Schacht
sollen
Die praktische Möglichkeit zum Rücktritt war ohne weiteres nur bis 1939 gegeben. Nach Ausbruch des Krieges verbot Hitler die Einreichung von Entlassungsgesuchen
Hitlers Verbot zwang die rücktrittswilligen Verschwörer zu einem besonderen Verfahren. „Alter oder Krankheit konnte ich nicht gut vorschützen“, berichtete Halder (bis zum 25. 9. 1942 Genralstabschef), „mir blieb nur, den Bruch zu provozieren“
Der Nachsatz dieses Zitats kennzeichnet Weizsäcker als einen Vertreter der oppositionellen Theorie des „Im-Amt-Bleibens".
Das Problem des Im-Amt-Bleibens Am Beispiel Becks war deutlich geworden, daß der alleinstehende, ostentative Rücktritt eines prominenten Regimegegners in der Öffentlichkeit kaum vermerkt wurde, rasch in Vergessenheit geriet und von einer lauen Protestwirkung des Augenblicks abgesehen, verpuffte, ohne die sachliche Position des Regimes ernsthaft gefährden zu können. Das lag in der Natur des passiven Widerstandes. Er war eine Form des geringsten, leisesten Widerstandes. Sein Einsatz stand in keinem Verhältnis zum Effekt. Hinzu kam, daß Hitler über eine unerschöpfliche Reserve qualifizierter und loyaler Persönlichkeiten verfügte. Keiner der Zurückgetretenen erwies sich für das Intaktbleiben des NS-Staatsapparates als unersetzbar. Selbst ein scheinbar so unentbehrlicher Sachverständiger wie Schacht, der 193 8 vermeinte, er habe „Hitler an der Gurgel“, weil eine Rücktrittsdrohung des Reichsbankdirektoriums (für den Fall, daß Hitler die Rückzahlung der Kredite (Mefo-Wechsel), die die Reichsbank dem Staat gewährt hatte, verweigern sollte) eine Finanz-und Staatskrise auslösen würde, mußte einsehen, daß dem Regime auf diese Weise nicht beizukommen war
Hitler, , gehen', richtiger gesagt, unschädlich gemacht werden“, forderte Halder
Trotz aller guten Gründe blieb die Frage: Rücktritt oder Im-Amt-Bleiben für die Verschwörer ein nimmerruhendes Problem, mit dem vor allem Weizsäcker rang und das auch Canaris unentwegt quälte. Der Augenschein, Nutznießer und Komplize des Regimes zu sein, der ständige Zwang zum Lippendienst, zur Tarnung, zum Doppelspiel und zur Doppelzüngigkeit, noch dazu „in einem Land wie Deutschland, wo zu einer Gesinnung höchst selten sich Verschlagenheit gesellt“
Die vielseitigen Argumente, mit denen im Amt verbliebene Verschwörer und Oppositionelle sich vor dem imaginären Ehrengericht des „anderen Deutschlands“ rechtfertigten, lassen sich etwa folgendermaßen zusammenfassen.
a) Man müsse im Amt bleiben, weil Regime und Systeme kommen und gehen, die administrativen und militärischen Ämter jedoch bestehen bleiben, solange es einen deutschen Staat gibt. Träger dieser Auffassung wehrten sich gegen eine Identifizierung von NS-Regime und deutschem Staat. Sie gaben zu bedenken, daß durchaus nicht alle Aufgaben, vor die sich Heer und Beamtenschaft unter der Ära des Nationalsozialismus gestellt sahen, den idealen Interessen und realen Bedürfnissen der Nation zuwiderliefen, sondern zum Teil und unabhängig von ihrem nationalsozialistischen Habitus Dienst am Wohl des deutschen Volkes blieben.
b) Ein weiteres Argument berief sich auf die Pflicht „Schlimmeres zu verhüten“, d. h. sachliche oder moralische Auswüchse und Maßlosigkeiten des Regimes von innen her zu sabotieren oder zu korrigieren, sei es durch legale Proteste oder passiven Widerstand, durch caritative Hilfsaktionen oder diplomatische Schachzüge. Träger dieser Auffassung dienten als gute Geister indirekt auch dem Fortbestand des Regimes
c) Bis 193 8 wurde auch das Argument vorgebracht, man müsse im Amt bleiben, um auf friedlichem, evolutionärem Wege eine Änderung herbeizuführen. Verfechter dieses Arguments (Popitz, auch Beck bis 1938) hielten Praxis und Staatsidee des Nationalsozialismus zumindest für diskutabel.
d) Bereits erwähnt wurde das wohl stärkste Argument für die Beck/Goerdeler-Verschwörung, man müsse im Amt bleiben, um über eine Plattform zum Sturz des Regimes zu verfügen. Hierbei boten sich den Verschwörern zwei Wege an. aa) Die indirekte Methode.
Sie bestand in der permanenten Sabotage mit dem taktischen Ziel, die Machtposition des Regimes, wo und wann auch immer die Gelegenheit sich bot, zu schwächen und zu untergraben, um einem gewaltsamen Sturz vorzuarbeiten. Für die Beck/Goerdeler-Verschwörung war charakteristisch, daß sie auf diesen Weg weitgehend verzichtet hat. (Siehe Kapitel Sabotage.) bb) Die direkte Methode.
Sie bestand in der Vorbereitung und Durchführung eines Staatsstreiches mit Hilfe aller Machtmittel und Befugnisse, über die im Amt gebliebene Verschwörer kraft ihres Amtes verfügten. Verfechter dieser Methode waren beinahe alle Akteure des „ 20. Juli“, die zu dieser Zeit noch ein militärisches oder ziviles Amt bekleideten. e) Ein letztes Argument schließlich lautete dahingehend, man müsse im Amt bleiben, um als Ordnungsträger in einer chaotischen Welt für den Augenblick der vorauszusehenden nationalen Katastrophe Deutschlands als „Bergungsmannschaft" zur Stelle zu sein.
IH. Passive Sabotage
a) im militärischen Sektor Unter passiver Sabotage verstehen wir die Nichtausführung oder dilatorische Behandlung von „Führerbefehlen“. Diese Methode bot im Amt gebliebenen Verschwörern einen gelegentlichen, versteckten Ausweg aus der Zwangslage ihres Gewissens. Durch passive Sabotage im Amt versuchten sie, sich gegen den Mißbrauch ihrer Person als Werkzeug einer rechtswidrigen oder für unsinnig erachteten Führung zu wehren.
Vor dem Krieg sah sich die Opposition im Generalstab vor drei besonders alarmierende Gelegenheiten gestellt, die dazu herausforderten, der Kriegspolitik Hitlers durch passive Sabotage Hemmnisse in den Weg zu legen. Es handelte sich um die Weisungen Hitlers zur Ausarbeitung von Operationsplänen für den „Fall Otto“ (militärische Intervention in Östereich), den „Fall Grün“ (militärische Zerschlagung der Tschechei) und den „Fall Weiß“ (Angriff auf Polen).
Die Weisung für den Eventualfall eines bewaffneten Einmarsches in Österreich (ergangen am 24. Juni 1937)
Der „Fall Grün“ (Angriff auf die Tschechei) wurde — ebenso wie der „Fall Weiß“ (Angriff auf Polen) — vom Generalstab korrekt bearbeitet. Widerstand leistete Beck durch Denkschriften. Eine Fortsetzung seines aktiven legalen Widerstandes gegen den „Fall Grün“ mit anderen Mitteln war dann die generalstabsmäßige Vorbereitung eines Staatsstreiches im
Spätsommer 193 8. Damit vollzog sich endgültig der von Beck vorbereitete und von seinem Nachfolger Halder konsequent betriebene Wechsel der Methoden des opponierenden Generalstabes. „Jeder Plan des Generalstabes (fand) zumindest in den Jahren 193 8 bis 1940 einen Gegenplan des gleichen Gcneralstabes, um die Auswirkungen zu durchkreuzen und Hitlers Kriegsführung zu sabotieren“
Diese doppelgleisige Aktivität entsprach einer inneren Zwiespältigkeit der Motive und einer Gebrochenheit der Ziele. Der Generalstab wollte den Krieg verhindern, aber nicht verlieren. So kam es, daß er für den Krieg und zugleich gegen den Krieg arbeitete. „Die Dinge lagen unsäglich verwickelt.“
Eine erregende Sonderstellung im Kapitel „Sabotage“ nehmen die alleinstehenden Versuche von Oster und Müller ein, die Westmächte vor der deutschen Frankreichoffensive zu warnen.
Müller warnte seinen britischen Verhandlungspartner im Zuge der Friedensgespräche, die er 1939/40 im Namen der Verschwörung und durch Vermittlung des Vatikans in Rom führte.
Ziemlich sicher ist aber, daß Generaloberst Oster, Abteilungschef bei der Abwehr, noch einen Schritt weiterging als Müller, indem er — parallel zur „Vatikan-Aktion“ — durch mehrmalige präzise Angaben den holländischen Militärattache in Berlin, Oberst Sas, über den genauen Offensivtermin informierte.
Die Warnung Müllers könnte noch als letzter Versuch gewertet werden, die Westoffensive rechtzeitig abzustoppen und zu verhindern (— militärische und politische Demonstrationen Hollands und Belgiens als Zeichen ihrer Alarmbereitschaft hätten Hitler vielleicht zwingen können, seinen ohnehin schwankenden Entschluß zur Offensive noch einmal zurückzuziehen.
Vom soldatischen Ehrenstandpunkt aus hätte wohl die Mehrzahl der militärischen Mitverschwörer Osters seiner Sabotageaktion energisch widersprochen
Die Sabotage der Westoffensive sollte nicht nur diesem „Ausgleichsfrieden“
dienen, sondern auch, im Sinne der „Rückschlagstheorie“, den Sturz Hitlers fördern. Beide Aufgaben waren ohnehin unteilbar, denn nur eine hitlerfeindliche Regierung wäre von den Alliierten als verhandlungsfähig akzeptiert worden. Alle Friedensgespräche, die Verschwörer mit britischen Regierungsvertretern zu führen versuchten, bestätigten immer wieder diese Voraussetzung.
Ihrer Erfüllung schien die Sabotage der Westoffensive, wie Oster sie betrieb, insofern zu dienen, als militärische Rückschläge und Niederlagen Deutschlands unter der Ära Hitlers eine innenpolitische Bedingung waren, um den Diktator zum Sturz reif zu machen. Der Staatsstreich bedurfte einer populären Ausgangsbasis. Ein Scheitern der Westoffensive, durch Sabotage herbeigeführt, hätte den Bann Hitlers brechen und damit freie Bahn für einen Sturz des NS-Regimes schaffen können. Jedoch erschien dieser Weg wie kein anderer belastet mit dem Vorwurf des „Landesverrats.“
Daß Hitler ein Unglück für Deutschland sei, war eine Auffassung, in der sich alle Verschwörer einig waren. Den Sturz Hitlers erachteten sie als Vaterlandspflicht. Diese Pflicht konnte folgerichtig auch die Kollaboration mit dem alliierten Kriegsgegner gebieten, wenn diese Zusammenarbeit der Zurückbringung des Friedens und dem Sturz Hitlers dienlich war. Problematisch wurde jedoch diese Zusammenarbeit, weil sich die Front der Kriegsgegner Deutschlands nicht nur gegen Hitler und sein Regime, sondern — im Zuge des totalen Krieges — notwendig auch gegen das deutsche Volk und sein nationales Lebensinteresse richtete, so daß unter jedem Rückschlag und jeder Niederlage, die das NS-Regime im Kriege erlitt, das deutsche Volk mitlitt, ja der eigentlich Leidtragende war.
Dagegen versuchte sich die Beck/Goerdeler-Verschwörung zu sichern. Zunächst mit einigem Erfolg. Gerade in den Vormonaten der Westoffensive, im Rahmen der Vatikan-Aktion Müllers, schienen ihre vorsorglichen Bemühungen, von den Westmächten die Garantie ehrenvoller, annehmbarer Waffenstillstands-und Friedensbedingungen im Falle eines innerdeutschen Systemwechsels zu erlangen, ein verheißungsvolles Stadium erreicht zu haben.
Zweifel an der Verbindlichkeit der britischen Zusicherungen im sog.
„X-Bericht“ (Ergebnis der Vatikan-Aktion Müllers, kein Abkommen, sondern nur eine Diskussionsgrundlage) mußten jedoch erneut die patriotischen Skrupel der Sabotagegegner bestärken. Hinzu kamen massive Zweifel, ob die Prognosen, aus denen die Sabotageaktion Osters eine Begründung und Rechtfertigung bezog, wirklich totsicher zuträfen, nämlich daß die deutsche Westoffensive ohnehin militärisch zum Scheitern verurteilt sei,
Bei allem Widerstreit der Gründe und Gegengründe bleibt unbestritten, daß man Oster und Müller zumindest das Motiv unterstellen muß, auf der Suche nach dem geringeren Übel das Beste für ihr Volk gewollt zu haben.
Auf dieses Motiv stützen sich apologetische Auslegungen der Nachkriegszeit, die die These vertreten, daß im „Dritten Reich“ der formal-rechtliche Landesverrat zur höchsten Landestreue im material-ethischen Sinne werden konnte, wenn die Beweggründe und Zwecke der „Verräter“ auf das Wohl des Vaterlandes gerichtet gewesen seien. Andere Auslegungen, die verneinen, daß edle Zwecke in sich schlechte Mittel legitimieren oder gar „heiligen“ können, verurteilen an der Weitergabe militärischer Geheimnisse einmal das Formal-Verräterische dieser Methode, da die Saboteure Informationen, die ihner anvertraut waren, gerade denen übermittelten, vor denen diese Nachrichten geheim gehalten werden sollten, und zum anderen das blutige Risiko jeder militärischen Sabotage. „Die Übermittlung eines Angriffstermins z. B. an den Feind nützt, unnötig zu sagen, nichts“, meint Halder, „denn der Angriff wird planmäßig durchgeführt. Allerdings werden, wenn der Feind unterrichtet wurde und also vorbereitet ist, tausende eigener Soldaten, die auf Befehl die Stellung verlassen und vorgehen, mit ihrem Leben für diese Gewissenlosigkeit zahlen.“
Die Gewissensnot der Saboteure ergibt sich aus der Gegenrechnung. Sie zählt die Millionenzahl von Menschenleben, die vielleicht noch zu retten waren, wenn es möglich gewesen wäre, durch Sabotage das Kriegsende zu beschleunigen und ein Weißbluten Europas zu verhindern.
Der Vorwurf des Landesverrats und der Feindbegünstigung erübrigte sich vollends, wenn die Sabotage der Verschwörer gegen Maßnahmen Hitlers gerichtet war, die den Horizont des Freund/Feind-Verhältnisses eindeutig überstiegen und oberhalb aller militärischen und politischen Gegensätze nicht mehr die Nationalität, sondern die Humanität betrafen.
Das bekannteste Beispiel für die Nichtausführung eines Führerbefehls, gegen den sich das soldatische und christliche Gewissen militärischer Führer empörte, war die Sabotage des Kommissarbefehls
Der neue Kommissarbefehl ist durch Obstruktion der militärischen Dienststellen nicht einmal überall bekanntgeworden
Passive Sabotage gegen den Kommissarbefehl leisteten durchaus nicht nur Angehörige der Beck/Goerdeler-Verschwörung. Eine Welle der Empörung durchlief damals das höhere Offizierskorps.
Die relativ große Einmütigkeit der Generalität des Heeres in der Ablehnung des Kommissarbefehls (und des Kommandobefehls
Damit berührte Hassell ein grundsätzliches Problem. Es läuft auf die Frage hinaus: Wieweit war es möglich, humane Impulse zu organisieren und politisch nutzbar zu machen, wieweit war es grundsätzlich möglich, Widerstand im Bereich des Humanen und politischen Widerstand taktisch miteinander zu kombinieren?
Wenn wir beanspruchen, Christen zu sein, dürfen wir keinerlei taktischen Rücksichten Raum geben
Diese Gefahr wurde gemindert, wenn auch nicht aufgehoben, durch das elastische Verfahren, das die Verschwörer im Laufe der Jahre herausbildeten. Die Wege der legalen Proteste hatten sich als fruchtlos erwiesen. „Weil frontal nichts zu machen war, mußte von Fall zu Fall und auf Umwegen das Menschenmögliche geschehen. An Stelle fruchtloser Demonstrationen mußte man Mittel des diplomatischen Kleinkrieges anwenden, um abzuhelfen, zu verzögern, zu verhindern. Ohne daß es an die große Glocke kam . . ." 77) So charakterisiert Weizsäcker das Verfahren der Opposition im Auswärtigen Amt. Wie stets war die indirekte Methode dem Charakter Weizsäckers und seinen amtlichen Möglichkeiten am ehesten gemäß. Über den Weltrat der Kirchen, das Internationale Rote Kreuz, den Vatikan und jene ausländischen Regierungen (Ungarn, Slowakei, Vichy-Regierung u. a.), die mit Deutschland verbündet vom NS-Regime zur Deportation von Juden aufgefordert wurden, versuchten Weizsäcker, Kessel und v. Nostiz zu bremsen und zu verhindern, was sie glaubten, verhindern zu können.
Die Möglichkeit zur passiven Sabotage unmenschlicher Befehle bot sich den Verschwörern nur dann, wenn derartige Befehle durch ihre dienstlichen Hände gingen. In der Regel jedoch hatten die Dienststellen und Ämter, in denen Verschwörer saßen, mit den „Hauptverbrechen" des Regimes nichts oder nur am Rande zu tun. Die Konzentrationslager unterstanden der SS. „Der SS-Staat" im Staate blieb dem Einfluß der Beck/Gördeler-Verschwörung restlos entzogen. Auch die Juden-und Geiselerschießungen im Hinterland der militärischen Fronten wurden von SS-Formationen, den sogenannten Einsatzgruppen des SD, ausgeführt. Arthur Nebe war der einzige Verschwörer, der eine hohe Dienst-stellung in der SS bekleidete. 1941 leitete er vorübergehend eine der obengenannten berüchtigten SD-Einsatzgruppen (im Bereich der Heeresgruppe Mitte, Ostfront). Schlabrendorff berichtet von Nebe, daß er damals „tausend Vorwände erfand, um die Mordbefehle Hitlers in einem geradezu unwahrscheinlichem LImfange zu sabotieren“
Diese Tatktik des nervösen, innerlich gejagten Admirals wandten alle Verschwörer an, die sich durch passive Sabotage im Amt gegen das Regime stellten, zugleich aber auch bemüht waren, nach außen hin im Sinne des Regimes zu funktionieren und ihr normales Arbeitspensum gewissenhaft zu erledigen, um sich gegen den Verdacht der Lauheit, der Sabotage und des Defaitismus zu schützen.
In dieser Form war der passive Widerstand mit dem geringsten Risiko für Leib und Leben verbunden. Auch dort, wo er von Verschwörern im christlich-humanen Geist geübt wurde, war er kaum jemals ein bewußter Leidensweg des einmaligen Bekennens und LIntergehens, sondern eine wiederholbare Kunst des Möglichen, die mit Maß, Vorsicht und List das Erreichbare zu erreichen suchte.
IV. Militärische Gehorsamsverweigerung
Laut Artikel 47, 2 der Reichsverfassung war Hitler der „Oberste Befehlshaber der deutschen Wehrmacht“. Er übte dieses Amt nicht nur nominell aus. Nach der Verabschiedung Blombergs im Februar 1938 hatte Hitler persönlich das Oberkommando der Wehrmacht übernommen.
Ein gemäßigter Weg, sich seiner Befehlsgewalt zu entziehen, war der Rücktritt, der Abschied, der Ruhestand. Eine andere Methode war der getarnte Ungehorsam durch passive Sabotage. Der radikalste Weg passiver Auflehnung war die Gehorsamsverweigerung.
Standgericht, Staatsstreich oder militärisches Chaos waren mögliche Folgeentwicklungen einer Meuterei gegen Hitler. Als Auftakt zum Staatsstreich haben die Verschwörer wiederholt den Plan einer kollektiven Gehorsamsverweigerung erwogen und betrieben. Niemals dachten sie dabei an eine Meuterei in der Truppe oder im unteren Offizierskorps, sondern ausschließlich an eine Gehorsamsverweigerung der kommandierenden Generalität. Die Tatsache, daß Verschwörer auch während des Krieges ein derartiges Ansinnen an fast alle Heeresgruppen-und viele Armeebefehlshaber überhaupt stellen konnten, ohne auch nur von einem der Angesprochenen. verraten oder verhaftet zu werden, war so ungewöhnlich wie ermutigend. Spruchreif wurde der Plan einer kollektiven Gehorsamsverweigerung der Generalität dreimal: 1939/40 vor der Westoffensive, 1942/43 unter dem Zeichen der Stalingradkatastrophe und 1944 nach der geglückten anglo-amerikanischen Invasion. a) 1939/40 sollte sich die geplante Gehorsamsverweigerung gegen den endgültigen Befehl Hitlers zur Westoffensive richten. Die Befehlshaber-West (Bock, Leeb, Rundstedt) sollten den Marschbefehl des OKW nicht weitergeben und sich weigern, in Holland und Belgien einzufallen.
Allen obengenannten Plänen war gemeinsam, daß ihre Ausführung zwar mit einem ostentativen Akt des passiven Widerstandes beginnen sollte, ohne sich jedoch damit zu erschöpfen. Die Gehorsamsverweigerung der Feldmarschälle galt nur als Auftakt für weitergehende aggressive Maßnahmen zum Zweck des Regimesturzes. (Siehe Kapitel: Der offene Aufstand.)
Mit dem autonomen, einmütigen Tatwillen aller Oberbefehlshaber konnten die Putschisten zu keiner Zeit rechnen, jedoch hosten sie, die Gehorsamsverweigerung einzelner werde ein militär-politisches fait accompli schaffen, das auch die anderen, schwankenden Befehlshaber (von Brauchitsch, Leeb, Rundstedt, Fromm, Manstein, Bock u. a.) mitreißen und zu einer Lösung nach vorwärts im Sinne der Verschwörung zwingen würde. Die kommandierenden Generale in ihrer Gesamtheit brauchten nicht einmal Treibende zu sein, es genügte, wenn sie Getriebene blieben. Eine Avantgarde mußte jedoch den Stein, der den Erdrutsch für die militärische Autorität Hitlers auslösen sollte, ins Rollen bringen. Die einzigen Befehlshaber, die bereit gewesen wären, die Initiative zu ergreifen, waren von Hammerstein-Equord 1939, von Witzleben 1939— 42, vielleicht auch von Kluge 1943/44 und Rommel 1944.
Ihre Hauptsorge war die Zweifelsfrage: Wie reagiert die Truppe?
Innenpolitisch beruhte die Schwäche der Methode einer kollektiven oder progressiven Gehorsamsverweigerung in der Schwerfälligkeit des Verfahrens. Der Sturz Hitlers konnte nicht blitzartig erfolgen, wie es am 20. Juli geplant war, sondern hätte sich schrittweise entwickeln müssen. Diese Entwicklung hätte sich öffentlich, also auch vor den Augen Hitlers und seiner breiten Anhängerschaft in Staat und Wehrmacht vollzogen. Der Militärputsch hätte sich gleichsam selbst angekündigt. Seine Anlage ließ dem Diktator Leben und Frist, um sich und seine Anhängerschaft zum Gegenschlag zu formieren. Dennoch war Beck ein Befürworter der genannten Pläne. Was ihn bewogen haben mag, zuzustimmen, war die militärische Vernunft, die den Akt der Gehorsamsverweigerung unmittelbar motivierte und rechtfertigte. Beck hielt 1939/40 Hitlers Entschluß zur Westoffensive politisch und militärisch für eine verhängnisvolle Fehlentscheidung. Mit ihm befürchteten der Genetalstab und alle Heeresgruppenbefehlshaber, die geplante Offensive werde nach kurzem Anfangserfolg stecken bleiben.
1942/43 boten die „immer wirrer werdenden Führungsgedanken Hitlers“
Denoch blieb dieser Weg mit dem Makel einer Meuterei ganz großen Stils belastet. Ein Haupthindernis war der Eid, der das Offizierskorps an Hitler fesselte. Immer wieder tauchte deshalb die abgewandelte, gemäßigte Version eines Kollektivschrittes
Eine andere Methode, um zum „eidfreien Zustand“ zu kommen, war das Attentat (siehe Kapitel: Das Attentat).
V. Streikbewegungen Der organisierte Generalstreik „In den ersten Jahren der Illegalität hielten die Gewerkschaften einen Generalstreik noch für möglich. Sabotage, lokale Unruhen, dann ein Generalstreik und schließlich ein offener Aufstand waren das Programm.“
Dieses Programm führte jedoch seit 1938 eine nur noch spukhafte Rolle in den konspirativen Erörterungen der Arbeiterführer.
Ein organisierter Generalstreik setzte voaus:
a) die Existenz illegaler, das ganze Reichsgebiet umfassender Gewerkschaftsorganisationen,
b) die technische Möglichkeit zur agitatorischen Vorbereitung, c) die entgegenkommende Bereitwilligkeit der Arbeiterschaft zum Streik.
Alle drei Voraussetzungen fehlten jedoch. 193 8 erreichte das Regime Hitlers einen Höhepunkt seiner Popularität. Es stützte sich nicht allein auf den Beifall des Kleinbürgertums, das, soziologisch gesehen, die eigentlich tragende Schicht des NS-Systems war. Auch im Proletariat besaß Hitler eine millionenfache Anhängerschaft. Er galt als Überwinder der Arbeitslosigkeit. Was die Zugkraft seiner Sozialpolitik nicht erreichte,
Verfolgungswellen und Massenprozesse
Trotzdem soll Leuschner 193 8, nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager, versucht haben, einen Eisenbahnerstreik vorzubereiten,
Er scheiterte von vornherein an der allgemeinen Apathie und am Überwachungsapparat des Regimes.
Der anonyme Generalstreik
Unter dem Zeichen der drohenden Kriegsgefahr tauchte in den konspirativen Gesprächen der Beck/Gördeler-Verschwörung die vage Hoffnung auf, eine spontane, aus der Anonymität hervorbrechende Massenbewegung passiven Widerstands würde am Tage des Kriegs-ausbruchs das ganze deutsche Volk ergreifen. Das eisige, drohende Schweigen der Berliner Bevölkerung beim Propagandamarsch einer motorisierten Division galt als symptomatisch
Lokale Streikbewegungen am 20. Juli 1944 „Von Mainz aus wurden gleichzeitig Vorbereitungen zum Eisenbahnerstreik getroffen. Die führenden Eisenbahner-Gewerkschaftler Kalujek und A. Bösewetter, dazu einige Reichsbahninspektoren hatten alle Vorbereitungen getroffen und den Streik organisatorisch vorbereitet ... Über Kalujek sollte der Generalstreik ausgerufen werden.
Mit Ausnahme dieser flüssigen Angabe von Henk sind keine weiteren Zeugnisse bekannt, aus denen hervorginge, daß die Akteure des „ 20. Juli“ einen Aufruf zum Generalstreik beabsichtigt hätten. Ebenso fehlen Hinweise darauf, daß die ebenfalls von Henk berichteten lokalen Streikvorbereitungen mit der Planung des Militärputsches vom 20. Juli koordiniert worden seien. Weder sollte eine Streikbewegung Auftakt zum Staatsstreich sein, noch wurde sie als vorsorgliche Maßnahme für die Lahmlegung „konterrevolutionärer“ Bewegungen regimetreuer Truppen oder Parteiorganisationen nach gelungenem Putsch ins Auge gefaßt.
Die Militärverschwörer des „ 20. Juli“ wollten keine Streikbewegung entfesseln und sie konnten es auch nicht, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aus folgenden Gründen:
1. Streikbewegungen hätten nicht nur die Versorgung des öffentlichen Lebens im Heimatkriegsgebiet, sondern auch den Nachschub für die schwerringende Fronttruppe lahmgelegt. Erst recht hätten Truppenmeutereien die chaotische Selbstauslösung der Fronten zur Folge gehabt. Sie wäre gleichbedeutend mit der bedingungslosen militärischen Kapitulation gewesen. Dieser Effekt widersprach jedoch den Absichten der Militärfronde. Bis 1943 hieß ihr Ziel: Weiterführung des Krieges bis zur Erlangung eines Verhandlungsfriedens.
Am 20. Juli war eine zumindest gesteuerte Niederlage Ziel ihres Aufstandes (Siehe Kapitel: Der offene Aufstand.). 2. Lediglich die kommunistische Gruppe Saefkow/Bästlein hatte in Berlin und andere Großstädten des Rei
Hingegen war das Verbindungsnetz heimlicher Vertrauensmänner, das die Gewerkschaftsvertreter und Arbeiterführer der Beck/Goer-deler-Verschwörung (Leuschner, Leber, Kaiser, Habermann) 106) in jahrelanger Kleinarbeit zu knüpfen sich bemüht hatten, nicht auf einen Streik hin angelegt, etwa durch eine Konzentration der Stützpunkte auf Großbetriebe 107) in den Industriezentren, vielmehr reichte dieses Netz bis in die Dörfer der Provinz hinein, mehr das
Hingegen war das Verbindungsnetz heimlicher Vertrauensmänner, das die Gewerkschaftsvertreter und Arbeiterführer der Beck/Goer-deler-Verschwörung (Leuschner, Leber, Kaiser, Habermann)
Methoden des aktiven Widerstandes A) Der Widerstand mit geistigen Walten
„Er war ein Philosoph, aber kein Revolutionär, 1) heißt es von Beck, und Goerdeler, der zweite Repräsentant der Fronde, wird einmal „der bürokratische Revolutionär“ 2) genannt. Diese Urteile rühren anl einen Wesenszug der Verschwörung überhaupt. Die Beck/Goerdeler-Verschwörung rekrutierte sich aus der geistigen Oberschicht des deutschen Volkes. Sie war eine Fronde der Generalstabsoffiziere und Diplomaten, der Professoren und Publizisten, der Staatssekretäre und Arbeiterfunktionäre. Im Widerstand mit geistigen Waffen bevorzugten die Verschwörer ein Kampffeld, auf dem sie sich heimisch und befähigt fühlten. Ihre Hauptwaffe war der Intellekt, die Phantasie, der kritische und vorausschauende Geist, ihre Stärke war das Argument, die Dispositionen und auch die List. Es war der unbewußte aber selbstverständliche Griff der Verschwörer nach dem Rüstzeug ihres besonderen Menschentums, nach verfügbarem Rüstzeug ihrer menschlichen und politischen Basis, der dazu führte, daß die geistigen, intellektuellen Waffen weitgehend Stil und Methode ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Gewalt-regiment bestimmten.
Darin bekundete sich zugleich auch Anspruch und Absicht der Verschwörer, nicht nur eine realpolitische Aktionsgemeinschaft, sondern auch eine Geistesbewegung zu sein, die dem Nationalsozialismus ein neues Ideengut entgegensetzt und ihn geistig überwindet.
Die Kehrseite der Bevorzugung geistiger Waffen war die Tendenz der Verschwörer, sich an die theoretische Seite ihrer politischen Aufgabe zu verlieren. Es war eine komplizierte, umständlich agierende Verschwörung, die dem NS-Regime entgegentrat. Im geistigen Format der Akteure beruhte die Schwäche ihres handgreiflichen Vermögens.
I. Die Denkschrift
Eine gebräuchliche, von Beck und Goerdeler besonders bevorzugte Waffe des geistigen Widerstandes gegen das NS-Regime war die Denkschrift. Sie diente:
a) der Einflußnahme auf Hitler oder auf vorgesetzte Dienststellen, in der Hoffnung, durch die Kraft der Argumentation eine legale, evolutionäre Änderung herbeiführen zu können, b) der Gewinnung noch Abseitsstehender für die Sache des Widerstandes, c) der Dokumentierung des Widerstandes. a) Die legale Denkschrift „Bis zum Herbst 1938 hatte ich den Versuch noch nicht aufgegeben, den Gang der Politik auf dem normalen Geschäftsweg über den Reichsaußenminister zu beeinflußen“, berichtet Weizsäcker 3). Seiner formalen Stellung als Staatssekretär zum Reichsaußenminister entsprach die Stellung Becks als Generalstabschef zum Oberbefehlshaber des Heeres. An ihn — nicht an Hitler — waren alle Denkschriften gerichtet, die Beck im Laufe des Jahres 1937/38 verfaßte und vorbrachte 4). Beck hielt sich an den Dienstweg. „Unter pflichtgemäßer Berufung auf seine Dienstanweisung“ 5) trug er seine Argumente vor. Beck enthielt sich jeder umstürzkrischen Schlußfolgerung. Diese zog er erstmalig in einem mündlichen Vortrag vor Brauchitsch am 19. Juli 193 8 6).
In seinen Denkschriften hatte Beck einem Gläubigen gepredigt. Fritsch teilte ohnehin die moralischen und militärpolitischen Bedenken, die Beck gegen Hitlers Kriegspläne erhob. Auch Brauchitsch stand der Fronde nahe, besaß aber selbst kein echtes Mitsprachrecht in den Entscheidungsfragen der deutschen Außenpolitik. Praktischen Sinn konnten die Denkschriften Becks nur dann gewinnen, wenn es gelang, die sachlichen Argumente, die sie vorbrachten, dem Manne zu Gehör zu bringen, der als einziger die Hand am Hebel der deutschen Außenpolitik hielt, nämlich Hitler, — und darum ging es Beck letzten Endes auch. Seine Denkschriften sollten erst Fritsch und dann seinem Nachfolger Brauchitsch für ihre Vorträge und Vorstellungen bei Hitler das Rückgrat stärken und ihnen Argumente in die Hand geben, die, so hoffte Beck ernsthaft, durch ihr sachverständiges Gewicht den Diktator überzeugen müßten.
Es steht fest, daß Brauchitsch zumindest die Denkschrift Becks vom 16. Juli 1938 in ihrem Hauptinhalt Hitler mitgeteilt, wahrscheinlich sogar im Wortlaut vorgelegt hat 7). Abgesehen von der immer notorischer gewordenen Unbelehrbarkeit Hitlers blieb die „abgewogene, jedem Superlativ abholde Sprache“ 8) Becks ohne Wirkung auf den »terrible Simplificateur“. Beck habe es nicht vermocht, sich in einer Sprache auszudrücken, die Hitler (dem „die Wahrheit ein Instrument, Objektivität ein . Fimmel'
war“) beeindrucken konnte, so urteilt Schwerin-Krosigk 9). Die Denkschriften Becks waren ohne Polemik. Sie waren Gutachten eines Sach-verständigen, operative Studien, Betrachtungen, Stellungnahmen, die mehr durch ihren Sachgehalt wirkten, als durch die Sprache, in der sie vorgetragen wurden. Eine zunehmende Schärfe auch in der Diktion ist allerdings erkennbar, vergleicht man die letzte Denkschrift Becks mit den vorhergegangenen
Rückschauend fällt auf, daß Beck in seinen Denkschriften weder moralisch argumentiert, noch weltanschaulich
Seit 193 5 aber war die Zeit, da sich Hitler in außenpolitischen Fraqen von Fachleuten beraten ließ, vorüber. Seit 193 8 verschloß er sich auch dem Urteil militärischer Fachleute. Mit dem 4. Februar, dem Tage der Entlassung von Blomberg und Fritsch, begann er seine eigene Karriere als „Feldherr“. In zunehmenden Maße witterte Hitler auch in sachlicher Kritik, die geübt wurde, Defaitismus, Quertreiberei — wenn nicht gar Keime des Aufruhrs. Um so gebotener war es, Denkschriften, die direkt oder indirekt an ihn gerichtet waren und wirklich etwas erreichen sollten, durch Loyalititätsbekenntnisse zu empfehlen. Das tat Schacht, indem er z. B. in eine Denkschrift an Hitler vom 7. Januar 1939, die mit der Unterschrift aller Mitglieder des Reichsbankdirektoriums versehen, gegen die inflationistische Ausgabenpolitik des Staates protestierte, den Satz einflocht, daß das Reichsbankdirektorium „in seiner Mitarbeit für die großen gesteckten Ziele freudig alles einsetzt, daß aber nunmehr Einhalt geboten sei“
Eine derartige Formel wird man in den Denkschriften Becks vergeblich suchen. Immerhin warb auch er um das Ohr des Gewalthabers. „Es ist richtig, daß Deutschland einen größeren Lebensraum braucht, und zwar sowohl in Europa wie auf kolonialem Gebiet. Der erstere Raum ist nur durch einen Krieg zu erwerben, wird aber nicht erworben durch ein Land (— gemeint ist die Tschechoslowakei —), das in der Hauptsache selbst Zuschußgebiet ist. Die Erwerbung kolonialer Gebiete braucht an sich nicht durch einen Krieg zu erfolgen“, heißt es in einer Denkschrift vom 29. Mai 1938, in der Beck zu Ausführungen Hitlers über seine süd-osteuropäischen Aggressionspläne Stellung nahm. „Es ist richtig", heißt es weiter, „daß die Tschechei in ihrer durch das Versailler Diktat erzwungenen Gestaltung für Deutschland unerträglich ist und ein Weg, sie als Gefahrenherd für Deutschland auszuschalten, notfalls auch durch eine kriegerische Lösung gefunden werden muß, doch muß bei letzterer den Einsatz auch der Erfolg lohnen.“ „Es ist richtig, daß jeder Machterweiterung Deutschlands Frankreich stets im Wege stehen und in dieser Hinsicht stets als sicherer Feind Deutschlands anzusehen sein wird.“
„Es ist richtig, daß man jederzeit darauf gefaßt und vorbereitet sein muß, auch gegen den eigenen Willen zum Handeln gezwungen zu sein."
„Es ist richtig, daß verschiedene Gründe für eine baldige gewaltsame Lösung der tschechischen Frage sprechen ...“
„Es wäre zu begrüßen, wenn . .
In der Wirkungslosigkeit des „Denkschriftenkrieges“ von 193 8 beruhte seine zukunftsweisende Bedeutung für den weiteren Kampf der Beck/Goerdeler-Verschwörung. Die erwiesene Ohnmacht der Denkschriften schuf Klarheit über die Wahl der ferner anzuwendenden Methoden. Die Denkschrift hatte sich als eine stumpfe Waffe erwiesen. Andere, rigorosere Mittel und Wege mußten gefunden werden. „Durch die Behandlung, die das Beck-Memorandum durch Hitler erfuhr, hatte er (Oster) sich davon überzeugt, daß die Katastrophe . . . nur noch gewaltsam verhindert werden konnte. Mit schriftlichen und mündlichen Vorstellungen war es nicht mehr getan“
Denkschriften, die im Amt gebliebene Verschwörer verfaßten, um auf offiziellem Wege Einfluß im Sinne der Opposition auszuüben, hat es auch nach 193 8 gegeben. Bis zum 20. Juli 1944, unabhängig von den geheimen Vorbereitungen eines Staatsstreiches und parallel dazu, lief der „Denkschriftenkrieg“ weiter. Er beschränkte sich in der Regel auf Versuche einer Korrektur des Unsinns und des Unrechts in Einzelfällen
„Das drohende Unheil“ — „Das Gebot der Stunde“ — „Keine Bedenken“
— „Die neue Reichsgewalt“ — lauteten einige Überschriften. Auch inhaltlich versuchte die Denkschrift, den Hoffnungen und Bedingungen der Empfänger entgegenzukommen. In den aufgestellten Grundsätzen für eine neue deutsche Reichsverfassung war „die Rolle der Armee in einem künftigen Staat besonders unterstrichen (worden)"
„Taktische“ Rücksichten bei der Abfassung illegaler Denkschriften führten jedoch niemals soweit, die Verschwörer etwas behaupten, versprechen oder verheißen zu lassen, woran sie selbst nicht glaubten oder was sie; wenn die Denkschrift ihren Zweck erfüllt haben würde, widerrufen zu wollen von vornherein beabsichtigt hätten. Goerdeler z. B.
glaubte selbst an die außenpolitischen Möglichkeiten (Grenzen von 1914, vermehrt um Österreich, und führende Stellung Deutschlands auf dem Kontinent), die er in seinem Memorandum vom 26. März 1943 regimefeindlichen Generalen für den Fall eines Systemwechsels als erreichbar hinstellte
Als Mittel oppositioneller Willensbildung war das illegale Memorandum ein Pendant zum konspirativen Gespräch. Es besiegelte, was das konspirative Gespräch vorbereitet hatte. Die Sätze eines Schriftstückes verflüchtigen sich nicht leicht, wie die Äußerungen eines konspirativen Gesprächs. So gesehen war das illegale Memorandum eine Art dokumentiertes Bekenntnis zum Widerstand. Es bewahrte vor dem Verdacht der Unverbindlichkeit. An Generale gerichtet, die wie Brauchitsch und Man-stein zwischen den Fronten standen, stellte es den Empfänger vor die Alternative, Denunziant oder Mitwisser zu werden. Deshalb weigerte sich der vorsichtige Staatssekretär v. Weizsäcker, eine von Popitz angeforderte, für zwei deutsche Feldmarschälle bestimmte schriftliche Meinungsäußerung zu der Frage abzugeben, ob die Alliierten „mit einem Hitler-freien Deutschland nicht ebenso umspringen würden wie mit einem besiegten Hitler-Deutschland“ (194 3, nach der Casablanca-Konferenz)
Dem Risiko jeder regimefeindlichen, schriftlichen Stellungnahme, das Weizsäcker einzugehen grundsätzlich ablehnte, hatten sich Etzdorfs und Kordt bewußt ausgesetzt. „Wir hatten uns durch Übergabe der Denkschrift ganz bewußt in die Hand derer gegeben, die von ihr Kenntnis nahmen. Die hohen militärischen Führer haben die Verfasser nicht verhaften lassen. Dies hätte man wohl erwarten müssen, wenn sich zu diesem Zeitpunkt unter ihnen wirklich überzeugte Anhänger Hitlers befunden hätten“
Im allgemeinen jedoch war die Gefahr, angezeigt und arretiert zu werden, geringer als Kordt es darstellt. Stets haben die Absender hochverräterischer Denkschriften
Eine unbesorgt offene Sprache konnten die Verschwörer auch in den Denkschriften führen, die sie an Regierungsvertreter oder einflußreiche Privatpersonen des Auslands richteten, um die Alliierten über Existenz und Charakter der deutschen Widerstandsbewegung zu informieren und zur außenpolitischen Hilfestellung zu bewegen
Auch die Denkschriften an das Ausland blieben somit einseitige Kundgebungen ohne politische Resonanz. c) Dokumentierung des Widerstandes Weil seine Verhaftung bevorstand, verließ Goerdeler, frühzeitig gewarnt, am 19. Juli 1944 Berlin. Er versteckte sich auf einem Gut in Rahnisdorf bei Herzberg
Wohl alle legalen oder „illegalen“ Denkschriften, die von Verschwörern jemals verfaßt wurden, sind mit einem Seitenblick auf die Öffentlichkeit und auf die Nachwelt geschrieben worden. Bewußt stand hinter jeder Denkschrift die Absicht, vor der Nachwelt zu dokumentieren, daß es im „Dritten Reich" Männer gegeben habe, die gegen unsinnige und unmenschliche Befehle des Regimes ihre Stimme erhoben. „Natürlich nützt es nichts", kommentierte Hassell eine Aktion Bischof Wurms, der bei Hitler und allen Ministerien gegen die Methoden des Regimes, die Rechtlosigkeit, die Kirchenverfolgung und die Greuel in den besetzten Gebieten protestierte, „natürlich nützt es nichts . . ., aber es kann von großer Wichtigkeit in der Zukunft und vor der Geschichte werden“
Der Gedanke, Rechenschaft vor dem Tribunal der Geschichte ablegen zu wollen, hatte namentlich Beck bei der Abfassung seiner Denkschriften geleitet. Beck übergab Duplikate seiner Denkschriften an Foerster „zwecks gesicherter Aufbewahrung und späterer Verwertung für die Geschichtsschreibung“
Legale Denkschriften der Verschwörer wurden in der Regel von den Machthabern des Regimes ignoriert
Kordt gesteht: Natürlich war die Versuchung groß, „in den überkommenen Bahnen zu verharren und zu versuchen, uns durch einige Denkschriften und Warnungen vor unserem Gewissen und den Akten zu salvieren, obwohl wir natürlich wußten, daß dies unwirksame Gesten bleiben würden“
Dieser Versuchung ist die Beck/Goerdeler-Verschwörung fraglos erlegen. Die Tat des offenen Aufstandsversuches am 20. Juli rehabilitierte sie jedoch. Ein heroischer Abglanz dieser Tat und ihrer tödlichen Folgen, die sie auch für jene Verschwörer hatte, deren Widerstand sich im „Denkschriftenkrieg“ erschöpfte, verlieh nachträglich den papiernen Protesten und programmatischen Utopien ein existentielles Gewicht, das sie ohne den „ 20. Juli“ nicht gehabt hätten.
Sodann bezog jede Denkschrift ihren Sinn und ihre Berechtigung aus der Tatsache, daß die Beck/Goerdeler-Verschwörung nicht nur eine Aktionsgemeinschaft zum Zwecke des Regimesturzes gewesen ist, sondern auch eine geistige Protestbewegung war und sein wollte. Die Makulatur gebliebenen Denkschriften blieben ebenso wie der Leerlauf konspirativer Gespräche sinnvoll als Seinsäußerungen dieser geistigen Protestbewegung. Losgelöst von den realen Zwecken des Staatsstreiches und unabhängig vom praktischen Erfolg oder Mißerfolg trug jede Denkschrift ihren Sinn in sich als eine Form des geistigen Widerstandes.
Schließlich ist noch auf einen weiteren moralischen und politischen Grund hinzuweisen, der die Verfasser formaler Proteste und Makulatur gebliebener Denkschriften des Verdachtes enthob, nur Scheinwiderstand geleistet zu haben. Legale Denkschriften, die an das Regime gerichtet von ihm ignoriert wurden, legitimierten den Staatsstreich, indem sie den dokumentarischen Beweis erbrachten, daß legale und gewaltlose Mittel einer Opposition im „Dritten Reich“ zur praktischen Sinnlosigkeit verurteilt waren. Goerdeler und Strölin, der Oberbürgermeister von Stuttgart, verfaßten im Herbst 1943 eine Denkschrift an das NS-Reichsinnenministerium, die u. a. „die Bestellung eines besonderen Reichskanzlers gegenüber Hitler als Staatsoberhaupt (vorschlug), . . . damit dadurch ein gewisses politisches Gegengewicht gegen diesen geschaffen würde“. Diese Denkschrift war „ebenso wie verschiedene andere Denkschriften in den früheren Jahren auf das Ziel gerichtet, auf legalem Wege rechtsstaatliche Zustände wiederherzustellen“, schreibt Strölin und berichtet über das weitere Schicksal dieser waghalsigen Denkschrift: „Tatsächlich ist es nur dem Verständnis und dem Wohlwollen maßgebender Persönlichkeiten des Innenministeriums zu verdanken, daß es bei der Androhung eines Hochverratsprozesses blieb, ohne daß dieser durchgeführt wurde. Goerdeler und ich besprachen diesen Fehlschlag, mit dem wir freilich von vornherein hatten rechnen müssen(l). Die legalen Möglichkeiten schienen mit ihm endgültig erschöpft. Andere Wege mußten gesucht werden, sollte Deutschland vor der Katastrophe bewahrt werden
Ihr moralisches und juristisches Recht zur Methode des Staatsstreiches leiteten Verschwörer wie Beck, Rommel und Goerdeler von der dokumentarisch erwiesenen Fruchtlosigkeit ab, die die legale Methode des Denkschriftenkrieges gezeitigt hatte.
Das Kapitel über die schriftliche Dokumentierung des Widerstandes ist mit dem Hinweis auf die Vielzahl der abgesandten und aufbewahrten Denkschriften noch nicht erschöpft. Auch Tagebücher, Briefe und eine regelrechte Dokumentensammlung der Verschwörer dienten dem Zweck, vor der Nachwelt schriftlich und authentisch über das Denken und Wollen, Handeln und Leiden der Opposition Zeugnis und Rechenschaft abzulegen. Beck hatte Oster aufgefordert, Dokumente des Widerstandes systematisch zu sammeln. Das „Archiv“ der Verschwörung soll nicht nur schriftliche Belege über Aktionen und Staatsstreichpläne der Verschwörer enthalten haben (z. B. „Aktennotizen" über konspirative Unterredungen, Abschriften, z. B.des X-Berichtes), sondern auch Belastungsmaterial über die Fehlpolitik des Regimes und die UInmenschlichkeit seiner Methoden
Eine Fundgrube für den Historiker sind die Tagebücher Hassells. Sie hätten aber auch zur Fundgrube für die Geheime Staatspolizei werden können
Wie im konspirativen Gespräch, das abgelöst vom praktischen Zweck um seiner selbst willen geführt, zu einer Form des geistigen Widerstandes wurde, so offenbart sich auch in den Tagebüchern und Aufzeichnungen der Verschwörer ein stark intellektueller, kontemplativer Wesenszug ihres Widerstandes. Die Gleichzeitigkeit von Tat und Reflexion über die eigene Tat, von Handeln und schriftlichem Bericht über das eigene Handeln, von Wollen und Selbstinterpretation des eigenen Wollens war bezeichnend für das geistige Format, aber auch für die handgreifliche Schwäche der Beck/Goerdeler-Verschwörung. Nicht von ungefähr hat sich der Mann, der als Bombenattentäter die einzige „handgreifliche“ Tat der Beck/Goerdeler-Verschwörung ausführte, nämlich Stauffenberg, memoirenartiger oder programmatischer Niederschriften enthalten
II. Das konspirative Gespräch
Die Beck/Goerdeler-Verschwörung war niemals durch die Initiative einiger Weniger „gegründet“ und als Geheimorganisation methodisch aufgebaut worden. Sie war organisch aber systemlos gewachsen. Am Anfang ihrer Geschichte stand der Gedankenaustausch.
Die Entstehung der Beck/Goerdeler-Verschwörung aus dem persönlichen Gespräch heraus
Neben freundschaftlich-verwandtschaftlichen Verbindungen und gesellschaftlichen Kontakten
Nachträglich versuchten die Putschisten insofern „Methode“ in die personelle Zusammensetzung und in das bereits vorhandene lose Feld des konspirativen Verkehrs hineinzubringen, als sie systematisch versuchten, Außenstehende in ihren Kreis zu ziehen, die kraft ihrer staatlichen oder militärischen Schlüsselposition einen unentbehrlichen Beitrag zur Bekämpfung des Regimes zu leisten vermochten. Hierbei pflegten die Putschisten erst sachlich zu argumentieren, dann moralisch, um schließlich bis an die Grenze des Religiösen zu gehen. „In Ihrer Hand, Herr Generaloberst, liegt das Schicksal der deutschen Armee und damit des deutschen Volkes“
Vom vorsichtigen Tasten und LImkreisen bis zum plötzlichen Aufklappen des Visiers spielte sich die konspirative Einzelwerbung um Außenstehende in allen nur denkbaren taktischen Variationen ab, — mit wechselndem Erfolg, wie zwei Beispiele verdeutlichen. AIs Treskow im Winter 1941 Feldmarschall v. Bock gegenüber Hitler als den Allein-schuldigen bezeichnete, unterbrach ihn Bock, vor Zorn schreiend, ehe Treskow die Konsequenzen aus dieser Feststellung darlegen konnte
Goerdeler pflegte seine Gesprächspartner durch rückhaltlose Offenheit zu entwaffnen, fast ignorierte er die Schranken, die der Kampf im Polizeistaat einer Verschwörung auferlegte. Als „Wanderprediger“
Neben der mehr oder minder planvollen Einzelwerbung, die dort ihre Grenze fand, wo eine Ausweitung am vordringlichsten gewesen wäre, nämlich bei den Truppenoffizieren unterer Ränge, gewann die personelle Zusammensetzung der Beck/Goerdeler-Verschwörung auch dadurch System, daß die drei großen unabhängig voneinander gewachsenen Oppositionsgruppen, die Militärische um Beck, die Bürgerliche um Goerdeler und die Sozialistische um Leuschner und Leber, wechselseitig die Brücke zueinander gesucht und gefunden hatten; denn die Schaffung einer breiten Basis, die Repräsentanten aller Schichten des Volkes umgriff, war ein einhellig verfolgtes Anliegen.
Das konspirative Gespräch diente nicht nur der Sammlung und dem Zusammenhalt, es war auch Schauplatz interner Auseinandersetzungen miteinander rivalisierender Verschwörergruppen.
Entzweiungen ergaben sich aus der Frage, was nach einem Sturz des NS-Regimes zu geschehen habe. Goerdelers Zukunftspläne forderten den Widerspruch Lebers und Stauffenbergs heraus. Popitz hatte seine eigenen Gedanken, und auch die Kreisauer planten eigenwillige Wege. „So steht immer einer gegen den andern“, klagte Hassell im März 1943
Eine wichtige Rolle spielte das konspirative Gespräch als Informationsquelle. Der laufende wechselseitige Austausch von Nachrichten stand am Anfang aller Zusammenkünfte. Da die offiziellen Verlautbarungen der NS-Presse, des Rundfunks und der amtlichen Mitteilungsblätter propagandistisch entstellt waren, schuf sich die Verschwörung ein eigenes Nachrichtennetz. Horchposten und Informationsquellen waren die Verschwörer selbst, soweit sie amtliche Funktionen im Auswärtigen Amt, im OKH und OKW oder in einem der Ministerien inne hatten. Außerdem baute Oster mit den Mitteln der Abwehr einen illegalen Nachrichten-apparat aufG
Durch ihre exklusiven und weltweiten Verbindungen waren die Verschwörer wie kaum ein anderer Personenkreis in Deutschland „Wissende". Sie wußten, was in der „hohen Politik gespielt wurde“. Sie kannten z. B. die diplomatische Vorgeschichte des Kriegsausbruches und also auch die Kriegsschuld Hitlers, sie wußten um seine hybriden, nur im engsten Kreis geäußerten Fernziele, sie kannten die militärstrategische Vorgeschichte der Stalingradkatastrophe, und weil sie. die jeweiligen Ursachen genau kannten, waren sie auch in der Lage, sich über die Folge-entwicklung ein sachlich fundiertes, vorausschauendes Bild zu machen. Sie hielten die Hand am Puls des nationalen Geschehens und sahen den Kollaps voraus. Von dieser Voraussage der Katastrophe, in die Hitler das deutsche Volk ihrer Meinung nach hineinführte, leiteten sie das Recht und die Pflicht ab, dieser Katastrophe durch den Sturz Hitlers zuvorzukommen
Hauptzweck des konspirativen Gesprächs war die aktive Planung und Vorbereitung des Staatsreiches. Daran beteiligten sich alle Verschwörer gleichermaßen. Es gab in der Beck/Goerdeler-Verschwörung kein Führungsgremium, das Direktiven ausgegeben, verbindliche Entscheidungen getroffen, Aufgaben verteilt, Vorbereitungen und Aktionen koordiniert hätte. Jeder „Kreis" hatte seinen eigenen Kopf und agierte mehr oder weniger auf eigene Faust
Da eine zentrale Leitung fehlte, pflegten sich die Akteure ihre Einzelausgaben selbst zu stellen. Jeder wählte sich den Aufgabenkreis aus, der seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, aber auch seinen Neigungen gemäß war. Es gab Aufgaben, für die sich kein Verschwörer fand, und andere, die in doppelter und dreifacher Ausführung in Angriff genommen wurden. Letzteres betraf z. B. die Kontaktaufnahme mit dem Ausland, die Ausarbeitung von Regierungsprogrammen und Verfassungsplänen, den Entwurf von Aufrufen und Rundfunkreden, überhaupt alle Aufgaben, die die geistige, theoretische Seite des Regimesturzes betrafen und im Rahmen des konspirativen Gesprächsverkehrs erfüllbar waren. Für die andere, handgreifliche Seite eines gewaltsamen Regimesturzes fehlte der Verschwörung die Executive. Sie zu schaffen, ist den Putschisten, auch Stauffenberg, nie so recht gelungen. Die Beck/Goerdeler-Verschwörung hatte zuviele Köpfe und zuwenig Hände. Daran scheiterte nicht zuletzt auch der Aufstand am 20. Juli 1944. Er scheiterte, weil sich der Widerstand, den das Gros der Verschwörung leistete, im konspirativen Gesprächsverkehr erschöpfte.
Der „Eifer der Gespräche“
Charakteristisch für die Beck/Goerdeler-Verschwörung hingegen war die erstaunliche Weitläufigkeit der Kreuz-und Querverbindungen. Selbst wenn man unterstellt, daß die überlebenden Memoirenschreiber durch nachträgliches Wissen einen größeren Überblick vortäuschen, als sie in Wirklichkeit gehabt haben, bleibt doch die Tatsache des nimmermüden Szenenwechsels und die Vielzahl der Partner konspirativer Gespräche, über die glaubhaft berichtet wird, bestehen. Einem verschwindend kleinen Kreis wirklicher Akteure stand die große Zahl bloßer Mitwisser zur Seite. Sie bestritten den Hauptanteil des konspirativen Gesprächverkehrs und verliehen den Staatsstreichplänen jenen berüchtigten „Diskussionscharakter“, der die Energie der Ausführung bis zum Versagen belastete.
Der übermäßig große, praktisch kaum noch zu rechtfertigende Anteil, den das konspirative Gespräch am Wirken der Beck/Goerdeler-Verschwörung gehabt hat, läßt sich auf Gründe zurückführen, die ein kennzeichnendes Licht auf das Wesen dieser Verschwörung überhaupt werfen.
3) Eine weitere Versuchung, der die Verschwörer bisweilen erlagen, entsprang der Unverbindlichkeit des gesprächsweisen Widerstandes.
Nach einem konspirativen Gespräch können sich die Partner stets zurückziehen, der Konsequenz entziehen. Hassell spricht einmal von den „tollsten Gesprächen“, in die sich „die Generale“ einlassen, und daß sie „alles, was ihnen gesagt wird, zugeben . . . , aber den Mut für die Tat nicht aufbringen“.
4) Canaris habe eine angeborene Neigung zur Verschwörung besessen, berichtet Kessel. Nach dem Urteil mancher seiner Freunde habe er „etwas Spielerisches (gehabt), .. . das sich nicht festlegen will, sondern mit allen Möglichkeiten jongliert“.
jedoch war Canaris in dieser Hinsicht ein Außenseiter. Seinen Gesinnungsgenossen blieb das Halbdunkel der Konspiration im Grunde zuwider. Sie waren keine geborenen Verschwörer, die die Konspiration um ihrer selbst willen anzieht, die Putschisten aus Passion sind, die im waghalsigen intellektuellen Spiel des konspirativen Gesprächs eine Art abenteuerliche Befriedigung finden. Im Personenkreis der Beck/Goerdeler-Verschwörung fehlte der Typ des Berufsrevolutionärs im edlen wie auch im zweifelhaften Sinne, was jedoch nicht ausschloß, daß Verschwörer, wie z. B. Goerdeler, Leber, Hassell und Leuschner ihre beruflichen Entscheidungen von den Erfordernissen ihrer Verschwörertätigkeit abhängig machten. Leber gründete ein kleines Kohlengeschäft „Meyer und Nachfolger“, hinter dem sich eine konspirative Zentrale der illegalen Sozialisten verbarg.
5) Ein weiterer Grund für die konspirative Betriebsamkeit der Verschwörer beruhte im weitgespannten Horizont ihrer Ziele und Zwecke. Nicht nur der Staatsstreich und die Zeit des Belagerungsund Ausnahmezustandes kurz danach wurden vorbereitet und unermüdlich diskutiert, sondern auch Verfassungsfragen, Ministerlisten, Regierungs-und Weltfriedensprogramme.
6) Alle genannten Gründe reichen auch zusammengenommen nicht aus, um den „Eifer der Gespräche“ ganz zu erklären. Er ist nur zu verstehen, wenn man im konspirativen Gesprächsverkehr der Verschwörer das selbstgeschaffene Forum ihrer oppositionellen Rede-und Gedankenfreiheit erkennt. Das konspirative Gespräch war nicht nur Mittel zum Zweck des Regimesturzes, es trug seinen Sinn in sich als eine Form des sich selbstgenügsamen geistigen Widerstandes.
Notgedrungen erschöpfte sich der Widerstand der meisten Verschwörer im Gespräch, im Pläneschmieden und Lagebeurteilen, im Bekunden oppositioneller Gefühle und Ansichten und in der Genugtuung, einer Gesinnungsgemeinschaft anzugehören, die durch ihre Selbstvergewisserung im konspirativen Gespräch bewies, daß ein „anderes Deutschland“ wirklich existierte.
Nach diesen Hinweisen auf die bewußten und wohl auch unbewußten Gründe, die dazu geführt hatten, daß die Beck/Goerdeler-Verschwörung eine der elementarsten Regeln für jede Geheimorganisation, nämlich den Kreis der Eingeweihten so klein zu halten wie möglich und die Zahl der konspirativen Gespräche auf ein Minimum zu beschränken, außer acht ließ, bleibt noch festzustellen, daß die Putschisten im Einzelfall sehr wohl alle nur erdenklichen Mittel einer ständig verfeinerten Technik der Tarnung und Sicherung angewandt haben. Die Benutzung von Decknamen und Chiffren, die Sicherung gegen Spitzel und Schwätzer, die Kontrolle der Gesprächsräume gegen Abhörvorrichtungen gehörten zur selbstverständlichen Handhabe des konspirativen Verkehrs.
Die Verschwörer benutzten keine Hintertreppen, keine Schleichwege und entlegenen Winkel. In der Regel liefen ihre konspirativen Gespräche unter dem Deckmantel angeblicher Dienstgeschäfte. Ihre Zusammenkünfte fanden unter den Augen des Regimes statt. In der Offenheit des Verkehrs lag der kühnste, aber auch wirksamste Schutz gegen Verdächtigungen. Allerdings war es nicht immer einfach, ein Treffen, z. B.
mit Beck, nach außen hin dienstlich zu motivieren. Beck und Goerdeler waren Privatpersonen. „Die Schwierigkeiten und Gefahren, unter denen ein Treffen mit diesen Männern möglich war, waren Legionen.“
Ohne Rücksicht auf das Drahtnetz der Kontrollstellen, die nach Kriegsausbruch den privaten und dienstlichen Reiseverkehr scharf überwachten, reiste Goerdeler bis nach Smolensk ins Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte (Ende 1942).
Bis zum 20. Juli 1944, als die Verschwörung ihre Tarnung fallen ließ und zum offenen, frontalen Angriff auf das Regime antrat, war sie trotz ihre jahrelangen, regen konspirativen Verkehrs ziemlich unbehelligt geblieben. Nur drei kurzläufige, isoliert gebliebene Verhaftungswellen erschütterten vorübergehend ihr Gefüge:
Die Verhaftung von Müller, Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer am 5. April 194 3
Die Beck/Goerdeler-Verschwörung selbst ist bis zuletzt frei von Spitzeln und Denunzianten geblieben. In dieser Hinsicht hatte sich das exclusive System ihrer personellen Zusammensetzung bewährt. Der Verzicht auf jeden anonymen Kontakt, die Beschränkung auf Persönlichkeiten, die sich dienstlich oder privat untereinander gut kannten oder die im öffentlichen Leben Rang und Namen besaßen, deren Herkunft und Werdegang also offenkundig waren, schützten die Verschwörung vor unkontrollierbaren Elementen.
Aufdeckungsgefahr drohte der Verschwörung weniger durch Verrat, als durch eigene Fahrlässigkeit. 1944 schienen in Berlin die Spatzen von den Dächern zu pfeifen, daß Goerdeler sich mit Staatsstreichplänen trug. „Er war ein Motor, der zu geräuschvoll lief“
1) Entweder hat die Gestapo tatsächlich nichts Sicheres gewußt, weil die Verschwörung gerade durch die systemlose, fluktuierende Art ihres äußeren Zusammenhalts so schwer faßbar war
2) oder der Gestapo war, zumindest seit 1943, die Existenz einer Verschwörung um Beck und Goerdeler mehr oder weniger doch bekannt, und der Staatsstreich am 20. Juli kam lediglich ihrem polizeilichen Plan zuvor, noch eine Zeitlang beobachtend abzuwarten, ehe sie schlagartig zugriff, 3) oder aber die Gestapo ließ bewußt und auf höchsten Befehl Himmlers die Verdachtsmomente gegen Beck, Goerdeler und ihre Mitverschwörer auf sich beruhen.
Abgesehen vom Osterkreis, der seit 1940 verdächtigt wurde und 1943 aufflog, scheint die Militärfronde in ihrer Gesamtheit ziemlich unerkannt geblieben zu sein. Die Gegensätze mit der Wehrmacht
Abgesehen vom Osterkreis, der seit 1940 verdächtigt wurde und 1943 aufflog, scheint die Militärfronde in ihrer Gesamtheit ziemlich unerkannt geblieben zu sein. Die Gegensätze mit der Wehrmacht „seien in die Schublade gelegt“, äußerte der Leiter der Abteilung „Angelegenheiten der Wehrmacht“ im RSHA zu einem Amtskollegen 92) kurz vor dem 20. Juli. Derselbe Sachbearbeiter soll aber auch beiläufig erwähnt haben, „daß eine Kommission gebildet worden sei, welche die Frage eines organisierten Defaitismus durch Kreise um den Generalobersten Beck und den früheren Oberbürgermeister Dr. Gördeler zu prüfen hätte“.
Goerdeler mußte am 17. Juli 1944 aus Berlin flüchten, weil ein Haftbefehl gegen ihn vorlag 93). Bis dahin soll Himmler es mehrfach abgelehnt haben, einen Verhaftungsbefehl gegen Goerdeler (und angeblich auch gegen Beck) zu genehmigen 94).
Die Untersuchungen im Fall Oster-Dohnanyi ließ er im Sande verlausen 95) Oster bekam damals Hausarrest. Canaris wurde seines Amtes enthoben. Das große Netz der Verschwörung aber blieb unangetastet. Obwohl Himmler einmal Canaris ins Gesicht gesagt hatte, „er wisse wohl, daß es namhafte Kreise im Heere gebe, die mit Umsturzplänen spielten“ 96) — er nannte die Namen Beck und Goerdeler — traf der 20. Juli die Gestapo auffälligerweise gänzlich unvorbereitet. Vielleicht läßt sich die merkwürdige Tatsache, daß die Beck/Goerdeler-Verschwörung bis zum 20. Juli 1944 unbehelligt wirken konnte, auch damit erklären, daß Himmler selbst ihre Tätigkeit gelegentlich deckte oder zumindest bewußt duldete. Himmler war im April 1943 durch Popitz und Langbehn ins „Vertrauen“ gezogen worden. Die aktenkundig belegten Besprechungen zwischen Popitz und Himmler 97) gehören zu den unfaßlichsten Kapiteln in der Geschichte der Beck/Goerdeler-Verschwörung. Den konspirativen Verkehr dadurch gegen den Überwachungsapparat des Regimes zu sichern, daß man den obersten Chef dieses Apparates höchstpersönlich zur positiven Mitwisserschaft bewog, war eine Methode, wie sie waghalsiger und freilich auch wirkungsvoller kaum gedacht werden kann. Ob Popitz und Langbehn diesen Effekt, der aus ihren Besprechungen mit Himmler heraussprang, bewußt im Auge gehabt haben, muß dahingestellt bleiben. Über den eigentlichen Plan dieser beiden Verschwörer, Himmler gegen Hitler und die Partei auszuspielen, wird im Kapitel „Bürgerkrieg“ noch näher einzugehen sein.
B) Gewaltmethoden des Widerstandes
So grundsätzlich, wie Hitler die Methode der Gewaltpolitik bis zur Heroisierung bejahte, so prinzipiell wurde sie von der Beck/Goerdeler-Verschwörung abgelehnt, gleichviel, ob sie innenpolitisch als „Terror“ oder außenpolitisch als „Kriegspolitik“ in Erscheinung trat. In dieser Ablehnung beruhte ein wesentliches Motiv ihres Widerstandes. Das wird besonders deutlich an ihrer Einstellung zur Außenpolitik Hitlers Vor 1939. Damals bejahten die „Verschwörer“ Hitlers außenpolitische Ziele, solange sie noch nicht zur Hybris wurden, sondern sich auf die Revision bzw. Annullierung des Versailler Vertrages beschränkten. Was die Verschwörer vor allem ablehnten, war die Methode Hitlers 1), der sein außen-politisches Ziel „durch einen blutigen Kampf“ 2) erreichen wollte.
Die Ablehnung der nationalsozialistischen Gewalt-und Kriegs-politik entsprang nicht nur realen Erwägungen 3) der Verschwörer, sondern muß auch aus der Tiefe ihrer humanitären Welthaltung heraus verstanden werden. Eine spürbare pazifistische Tendenz trieb sie zum Widerstand, auch die Militärs unter ihnen, an der Spitze Beck, der im geplanten Angriffskrieg eine „Blutschuld“ sah. Verhinderung des Krieges und, als er dennoch ausbrach, seine Beendigung so oder so war von Anfang bis Ende vornehmstes Ziel der Beck/Goerdeler-Verschwörung. Sie war eine „Friedenspartei“. Ihre tiefverwurzelte Ablehnung gewaltpolitischer Methoden muß man sich vor Augen halten, um ganz zu verstehen, warum die Beck-Goerdeler-Verschwörung folgerichtig auch in ihren eigenen Kampfmethoden zu gewaltlosen und unblutigen Wegen tendierte. Vom Rücktritt und der Denkschrift bis zur Paradoxie des „legalen Staatsstreiches" ging ihre Tendenz zur unblutigen Lösung ihrer Widerstandsaufgabe.
Deshalb lehnte Canaris
Auf ihrem Weg von der Denkschrift zum Attentat begab sich die Beck/Goerdeler-Verschwörung immer entschiedener auf das Terrain des Gegners, um ihm mit seinen eigenen Waffen entgegenzutreten. Nur so hatte sie Aussicht, ihre Ziele realpolitisch zu verwirklichen; um ihren Zielen in Deutschland Geltung verschaffen zu können, brauchten sie den Besitz der „Öffentlichen Gewalt“. Der Weg dorthin und der vorauszugehende Sturz des NS-Regimes mußten aber erzwungen werden und das war wiederum nur möglich mit der Methode nackter Gewaltanwendung. Andere Wege erwiesen sich als indiskutabel. „Mit geistigen Waffen (war) der Koloß nicht zu stürzen“
Die Verschwörung als Gesamtheit war zwar zum Gewaltakt entschlossen, nicht so sehr Beck oder Goerdeler, sondern die Figur Stauffenbergs verkörperte diesen Entschluß bis zum Äußersten, -auffallend ist jedoch, daß die Verschwörer, auch die Akteure des „ 20. Juli", die Tendenz beibehielten, ihre physischen Gewaltmaßnahmen zu sublimieren und auf ein Minimum zu beschränken. Vor allem aus taktischen, aber wohl auch aus moralischen Gründen hatten sie Methoden ausfindig gemacht, die selbst am Tage des offenen Aufstands den Intellekt, die List und die Energie der geistigen Leistung zum Zuge bringen sollten. Ihre Hauptwaffen, die sie am „ 20. Juli“ ins Feld führten, waren die Proklamation, die militärische Kommandogewalt und der psychische Druck auf die militärische Gehorsamspflicht
So wurde der Aufstand am 20. Juli 1944 ein Aufstand ohne „Leichen auf den Gehsteigen“, ein Aufstand ohne Blutvergießen, — mit einer Ausnahme, und das war das Attentat im Führerhauptquartier, das den Staatsstreich eingeleitet hatte.
I. Das Attentat
„Der Führer Adolf Hitler ist tot“
„Ein gescheiterter Putsch mit einem toten Hitler sei besser, als ein geglückter Teilaufstand, bei dem dieser unheilvolle Magier
Auch in Berlin sank der Aufstand in sich zusammen, sobald offenkundig geworden war (durch eine Sondermeldung des Deutschland-sender
Diesen Verlauf der Dinge hatten die Verschwörer vorausgeahnt. Sie waren sich durchaus im klaren gewesen, daß das Attentat mehr sein würde, als nur Auftakt und „Initialzündung“ des Staatsstreiches. Der Tod Hitlers galt seit langem als conditio sine qua non.
Dennoch hatten sich die Verschwörer nur widerstrebend dazu entschließen können, das Attentat an die Spitze ihres Aktionsprogramms zu stellen. Ihr Entschluß zum Attentat hatte sich nicht von selbst verstanden.
Er war der Endpunkt einer internen, mühsamen Entwicklung vom legalen zum illegalen, vom geistigen zum gewalttätigen Widerstand.
Äußere Phasen dieser Entwicklung waren die Pläne und Versuche der Frondeure gewesen:
a) Hitler durch Wort und Schrift zu beeinflussen, b) Hitler zu verhaften, c) Hitler zu „ermorden“.
Diese drei Phasen des Attentats und seiner Vorgeschichte, die Gegenstand des vorliegenden Kapitels sein werden, betreffen mehr, als nur einen Sektor des Widerstandes, mehr als nur ein Spezialproblem des Auf-standes gegen das NS-Regime; sie betreffen den Angelpunkt, um den das Schicksal der Beck/Gördeler-Verschwörung rotierte. Die Verschwörer mochten Hitler hassen, verachten, für beschränkt, unfähig, verbrecherisch und wahnsinnig halten, ignorieren konnten sie ihn jedoch nicht. Sie mußten sich im Gegenteil damit abfinden, daß das Problem: Hitler und die Frage der Bewältigung dieses Problems zum Nerv aller entscheidenden
Pläne und Aktionen, aller zentralen Bewegungen und Lähmungen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wurde. a) Versuche der Verschwörer, Hitler durch Wort und Schrift zu beeinflussen
Der Weg der direkten Einflußnahme auf den Diktator hätte verheißungsvoll sein können, denn in unglaublicher Zuspitzung konzentrierte sich seit 193 8 auf die Person Hitlers die alleinige Entscheidungsgewalt über das Wohl und Wehe des gesamten deutschen Staates. Führer-befehle hatten im „Dritten Reich“ Gesetzeskraft. Wer Hitler überzeugte, hatte gewonnen. Aber — ließ Hitler sich überzeugen, wieweit lag den Verschwörern etwas daran, ihn zu überzeugen und besaßen sie überhaupt Zugang zu Hitler, um auf ihn einzuwirken? Diese drei Fragen betreffen die Bedingungen und Möglichkeiten der einzigen wirklich durchgreifenden legalen Methode, die sich einer Opposition im Diktatur-staat, und nur in einem solchen Staat, eröffnet.
Dem Kampf der Verschwörer gegen Hitler war ihr Ringen um Hitler vorausgegangen. Dieses Ringen hatte sich in den permanenten Versuchen der Frondeure geäußert, an Hitler zu appellieren und ihn zu freiwilligen Entschließungen im Sinne der Opposition zu bewegen. Voraussetzung derartiger Versuche war die Bereitschaft der Frondeure gewesen, Adolf Hitler zumindest de facto als „Führer“ und deutsches Staatsoberhaupt zu akzeptieren, auf radikale Umsturzabsichten also zu verzichten und sich mit dem evolutionären Ziel politischer Korrekturen, Kursänderungen und Reformen zu begnügen.
Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Streitfrage, ob Hitler als Usurpator zur Macht gekommen war oder ob seine „Machtergreifung“ legal erfolgte
Der friedliche Weg über den „lebenden Hitler“ konnte niemals weit führen. Auch optimistische „Verschwörer“, die für diesen evolutionären Weg plädierten (Kollektivschritt der Generalität bei Hitler, Vortrag militärischer und politischer Reformvorschläge) mußten von vornherein damit rechnen, daß von einer derart fanatischen, in sich konsequenten Persönlichkeit wie Hitler weder ein weites Entgegenkommen, noch ein radikaler Gesinnungswandel jemals zu erwarten war. Lim so radikaler hatten die Zugeständnisse zu sein, die die Verschwörer preisgeben mußten, wollten sie mit Hitler und durch ihn den Zielen ihrer Opposition Geltung verschaffen.
In der Tat war die Beck/Goerdeler-Verschwörung durchaus gewillt, ihr Programm auf Minimalforderungen zu reduzieren. Bis zum 20. Juli 1944 waren Beck, Goerdeler und wohl auch Stauffenberg jederzeit bereit, ihre LImsturzhoffnungen preiszugeben, sobald Hitler sichtlich einlenken würde. Die Beck/Goerdeler-Verschwörung war ihrem innersten Wesen nach weder radikal noch fanatisch. Sie wollte das Erreichbare erreichen und das Mögliche ermöglichen. Bis zum 20. Juli blieb sie politisch kompromißbereit und willens zum Arrangement — auch mit Hitler
Der Wille zur Einflußnahme auf Hitler setzte ferner voraus, daß die Verschwörer überhaupt Zugang zu Hitler besaßen. An den Diktator heranzukommen, war für die Verschwörer ein Problem, aber keine Unmöglichkeit, denn das Gros der Verschwörung rekrutierte sich aus der Oberschicht staatlicher und militärischer Spitzenfunktionäre. Nicht „der kleine Mann auf der Straße“ hatte sich in der Beck/Goerdeler-Verschwörung zusammengerottet, hier konspirierten keine Arbeiter, Studenten und lokalen Rädelsführer, sondern Generale und Minister, Diplomaten und Staatssekretäre.
Zugang zu Hitler suchten und fanden die Verschwörer 1. auf dem schriftlichen Instanzenweg, 2. durch den mündlichen Vortrag bei Hitler oder das persönliche Gespräch mit ihm, 3. auf mittelbarem Wege über dritte Persönlichkeiten, die Hitler menschlich, politisch oder dienstlich nahe standen oder über arrangierte außenpolitische Vorgänge, die Hitler in einem vorausberechneten Sinne beeindrucken sollten.
Ad 1) Ein Verschwörer wie Schacht konnte als Reichsminister und Kabinettsmitglied Immediatberichte, Denkschriften und persönliche Schreiben an Hitler direkt richten
Ad 2) Wirksamer und auch gangbarer als der schriftliche Instanzen-weg war deshalb auch der gelegentliche Zugang zu Hitler durch den mündlichen Vortrag oder das persönliche Gespräch.
Beck allerdings hatte als Generalstabschef kein unmittelbares Vortragsrecht beim Staatsoberhaupt besessen. Er hat um dieses Recht gerungen und versucht, die (im Februar 1938 abgeschlossene) Umbildung der militärischen Spitzengliederung, den Ausbau des „Wehrmachtsamtes“ zum OKW (Oberkommando der Wehrmacht) und die damit verbundene Ausschaltung des Generalstabes in seiner Funktion als mitverantwortliche und den Kriegsherrn unmittelbar beratende Instanz zu verhindern
Auch der zweite führende Gegenspieler Hitlers, Goerdeler, hat sich nach einer persönlichen Aussprache mit Hitler gedrängt. „Jetzt (Oktober 1939) setzt er (Goerdeler) auf einen Besuch bei Göring, den man ihm vermitteln will, womöglich auch bei Hitler“, registrierte Hassell
Die fehlgeschlagenen Versuche Becks und Goerdelers, zu einer Aussprache mit Hitler zu gelangen, waren nur zum Teil symptomatisch. Zahlreiche Beispiele bezeugen, daß sich Verschwörern und solchen, die der Verschwörung nahe standen, im Laufe der Jahre vielfach die Gelegenheit geboten hat, dem Diktator persönlich ihre politische oder militärische Meinung zu sagen. Als Nachfolger Becks hatte sich General Halder vor Antritt seiner Dienststellung vergewissert, daß er bei Hitler mehr zu Gehör komme als sein Vorgänger
Die zunehmende Militarisierung des gesamten staatlichen Lebens seit Kriegsausbruch, die Verlegung der Reichskanzlei ins Führerhauptquartier und die dort stattfindenden täglichen Lagebesprechungen verschafften mit den Militärs auch den Militärverschwörern sogar leichter Zugang zu Hitler als manchem hohen, antichambrierenden Parteiführer. Ihr „Privileg“ bot den Militärverschwörern sowohl die Chance, zu Hitler zu sprechen, als auch die Möglichkeit, ihn zu töten. Beide Möglichkeiten haben sie nacheinander ergriffen
Ad 3) „Canaris war dutzendmal beim Führer. Canaris konnte ihm melden, was er wollte und was er wußte, . . . aber er hat niemals einen Ton gesagt“, erklärte Jodl in Nürnberg
Canaris war — neben Weizsäcker — der rührigste Taktiker auf dem Feld der indirekten Beeinflussung Hitlers.
Bereits 193 8, unter dem Zeichen der Sudetenkrise, versuchte die Beck/Goerdeler-Verschwörung, Hitler auch auf indirektem Wege zu beeinflussen und von seinen Kriegsplänen abzubringen. Hitler wollte Blitzkriege, Feldzüge, „zweiseitige Duelle“, aber keinen Weltkrieg
Hitlers Reaktionen während der Sudetenkrise hatten gezeigt, daß ausländische Drohungen den Diktator eher bestärkten als mäßigten
Auch nach Ausbruch des Krieges setzte die Beck/Goerdeler-Verschwörung ihre Versuche fort, auf dem Umweg über das Ausland bremsend auf Hitler einzuwirken; nur traten jetzt die Verschwörer des Auswärtigen Amtes, die der Kriegsausbruch ihrer weitgespannten diplomatischen Bewegungs-und Wirkungsmöglichkeiten beraubt hatte, mehr in den Hintergrund, und die verschworenen Nachrichtenoffiziere der Abwehr um Oster und Canaris rückten an ihre Stelle. Sie warnten amtliche Stellen Dänemarks, Norwegens
So bedienten sich also die im Amt gebliebenen Diplomaten und Nachrichtenoffiziere der Fronde, die durch die Fruchtlosigkeit des „Denkschriftenkrieges“ belehrt, zu Befehlsempfängern und „Ja-Sagern“ degradiert und damit des Mittels der amtlichen Argumentation beraubt worden waren, der ihnen verbliebenen Macht der Information, der „Indiskretion“
Die Frage der Beeinflußbarkeit Hitlers Die Absicht und die Gelegenheit zur Einflußnahme waren nur Vorbedingungen. Entscheidend war „die Kernfrage, ob er (Hitler) überhaupt beeinflußbar war oder nicht“. Hoßbach, sein ehemaliger Chefadjutant, bejaht diese Frage im Guten und Bösen für die Jahre 1934— 37
Wie Hitler reagierte, wenn „Publikum“ anwesend war, und das war fast immer der Fall, wenn Oppositionelle Gelegenheit fanden, mit ihm oder zu ihm zu sprechen, — veranschaulicht ein Bericht General Adams. AIs Hitler im September 193 8 den Westwall besichtigte, erklärte Adam, damals OB der Heeresgruppe West: „ ... So muß ich das Gefährlichste als das Wahrscheinlichste ansehen und die Lage an der Westfront unter dem Gesichtswinkel betrachten: Die Westmächte marschieren. Und ich glaube, daß das bei einem Ostkonflikt auf jeden Fall geschehen wird . . . Weiter kam ich nicht. Hitler donnerte: „Wir haben keine Zeit, dieses Zeug länger mitanzuhören“
Diese Reaktion Hitlers auf die verhohlene Kritik an seiner eigenen außenpolitischen Lagebeurteilung war bezeichnend für seine Reaktionsweise überhaupt. In der Regel ließ Hitler eine Kritik coram publico gar nicht erst voll zu Wort kommen und sich entfalten, wie er überhaupt als schlechter Zuhörer galt. Er pflegte zu monologisieren.
„Kümmern Sie sich nicht um den Weitergang des Krieges, sondern um Ihre Invasionsfront“
Wohl aber, und damit fassen wir zusammen, suchten und fanden Verschwörer seit 193 8 Gelegenheit, sich Hitler gegenüber, mittelbar oder unmittelbar, zu allen großen Entscheidungsfragen des Reiches, die die militärische Kriegsführung und die Realpolitik im Innern und nach außen betrafen, zu äußern. Hitler wußte um die Warnungen und Bedenken, die Vorhaltungen und konstruktiven Gegenvorschläge der Fronde.
„Wir hatten Beweise dafür, daß uns ein Besessener führte, dem jede Fähigkeit fehlte, aus realistischen Begebenheiten politische Konsequenzen zu ziehen", faßt Steltzer
Durch seine außenpolitischen Erfolge und militärischen Siege, die ihm zunächst recht gegeben hatten
Das „Veto“ der Verschwörung war der Staatsstreich. Hitler konnte nicht überzeugt, er mußte gestürzt und „unschädlich gemacht“ werden. b) Die Verhaftung Hitlers Die Steigerung der Methoden von der Denkschrift zum Staatsstreich, von der geistigen Waffe zur Mordwaffe wiederholte und bestätigte sich zu verschiedenen Zeiten im Entschlußkampf jedes einzelnen Verschwörers.
Nur in groben Zügen und bei Außerachtlassung der jeweiligen Meinungsverschiedenheit innerhalb der Fronde, ist erkennbar, daß der Wille der Beck/Goerdeler-Verschwörung, den Weg der evolutionären Einflußnahme auf Hitler zu gehen, bis zum August 193 8 einen frühen Höhepunkt erreichte. Bereits im September 193 8 wurde dann zum ersten Male der Plan spruchreif, Hitler zu verhaften
Detaillierte Angaben darüber, wie sich die Verschwörer eine Verhaftung Hitlers vorgestellt hatten, sind nicht bekannt geworden. Allgemein erwogen die Verschwörer zwei mögliche Wege: 1. Die „Prätorianergarde“ Hitlers durch einen Stoßtrupp weniger beherzter Offiziere zu überrumpeln und sich durch einen Handstreich der Person Hitlers zu bemächtigen, oder 2. Hitler mit Hilfe eines massiven Truppenaufgebotes zu verhaften.
Ad 1. „Es sollte ein Stoßtrupp gebildet werden und der Zeitpunkt abgewartet werden, wo der Führer unter möglichst geringer Begleitung irgendwo auf der Reise war“, erklärte General Witzleben vor dem Volks-gerichtshof
Es ist bekannt, daß die Putschisten eine Reise Hitlers nicht nur „abgewartet“ haben, sondern „Zeitpunkt" und Schauplatz systematisch herbeizuführen versuchten. General von Hammerstein lud Hitler Ende 1939 zu einer Inspektion seiner Armee ein, um ihn bei dieser Gelegenheit zu verhaften
Sein Verhalten schien die umlaufende Meinung zu bestätigen, er verfüge über einen sechsten Sinn, eine tierhaft feine Witterung für alles, was ihn -persönlich bedrohe. Hitler selbst pflegte sich rückschauend auf den „Fingerzeig der Vorsehung“ zu berufen. Aus Sicherheitsgründen verließ er im weiteren Verlauf des Krieges immer seltener das Führerhauptquartier, und wenn, dann meist programmwidrig. Die Verschwörer reagierten mit dem kühnen Plan, Hitler in seiner „Wolfsschanze“ (Deckname für das FHQ in Ostpreußen) aufzusuchen und zu stellen.
Ad 2.
Das Führerhauptquartier war eine kleine Festung. Das Zentrum war von drei Sperrkreisen umgeben, die zum Schutz gegen feindliche Luftlandeunternehmen mit stärkeren Truppenverbänden belegt waren. Weit vorgeschobene Außenposten sicherten die Zufahrtstraßen. Die Verschwörer erwogen, das Führerhauptquartier durch ein frontal angesetztes, massives Truppenaufgebot zu zernieren. Nur ein verwegener, erprobter Frontoffizier, dem die Truppe blindlings vertraute, wäre fähig gewesen, seine Einheit zu dieser irregulären Verzweiflungstat mitzureißen. Der 30jährige Oberstleutnant Freiherr von Boeselager, der wegen Tapferkeit vorm Feind das Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern trug, erklärte sich bereit, mit seinem Regiment das Führerhauptquartier zu stürmen
Die Verhaftung Hitlers war nur der erste Akt seiner Liquidierung. Wie stellten sich die Verschwörer ihre weiteren Schritte vor? Was sollte danach mit dem „Führer“ geschehen?
Folgende Verfahren wurden diskutiert und auch vorbereitet: 1. Hitler für geisteskrank zu erklären, 2. ihn zum Rücktritt zu zwingen, 3. ihn vor einem öffentlichen Gericht abzuurteilen.
Ad 1) Im Tagebuch Hassels findet sich unter dem 26. 11. 1942 folgende Bemerkung über ein Gespräch mit dem Chirurgen Sauerbruch, der zusammen mit Beck, Hassell, Popitz und Jessen der „Mittwochgesellschaft“ angehörte. „Sauerbruch, der ihn (Hitler) neulich besuchte, fand ihn alt und zusammengesunken; er habe im Gespräch zusammenhanglose, merkwürdige Dinge dazwischen gemurmelt (wie: „Ich muß nach Indien gehen“, oder: „Für einen getöteten Deutschen müssen zehn Feinde sterben“
Den Verdacht, Hitler sei pathologisch, hegten die Verschwörer bereits 193 8. Dieser Verdacht sollte den im September geplanten Staatsstreich legalisieren. Nach seiner Verhaftung sollte Hitler vor einen Staats-gerichtshof gestellt werden. So wird berichtet: „Ein Gremium von sachverständigen Ärzten sollte unter dem Vorsitz des bekannten Psychiaters Professor Karl Bonhoeffer Hitler auf seinen Geisteszustand untersuchen“. Man hatte den Verdacht, daß er für geisteskrank erklärt werden müßte, wenn nicht, sollte „ein Verfahren zu seiner politischen Entmündigung durchgeführt werden“
In den späteren Jahren ist man dann entschlossen gewesen, auf dieses korrekte, aber zeitraubende Verfahren zu verzichten. Hitler sollte von vornherein unter der Parole, er sei geisteskrank und darum regierungsunfähig, verhaftet werden. Auf diese Weise wollten die Putschisten den frappierenden Schritt der Verhaftung des Staatsoberhauptes unmittelbar nach seinem Vollzug vor der Öffentlichkeit motivieren. Problematisch war dieses Verfahren, weil die pathologischen Symptome der Erscheinung Hitlers nur für Wissende, Desillusionierte seiner engeren Umgebung erkennbar waren, zumal Hitler als Grenzfall zwischen Genie und Wahnsinn zu keiner Stunde sein überdurchschnittliches Gedächtnis und Denkvermögen einbüßte
Vollends fehlte im Hinblick auf die Volksmeinung ein öffentlicher „schreiender Beweis“ seiner mutmaßlichen Geistesgestörtheit.
Ad 2) Der bereits erwähnte Plan, Hitler nach seiner Verhaftung vor ein öffentliches Gericht zu stellen und abzuurteilen, bot sich als das korrekteste Verfahren an. Es wurde zum Inbegriff des „legalen“ Auf-standes. „Das Volk, das ihn (Hitler) gewählt hatte, sollte ihn auch richten“
Die gerichtliche, öffentliche Aburteilung Hitlers war für die Verschwörer kein juristisches, wohl aber ein ungeheuer heikles politisches Problem. „Die Diktatur Adolf Hitlers beruhte nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf Liebe, Treue und Vertrauen! In dieser Tatsache lag ein feil der Schwierigkeiten, den Götzen zu stürzen“, urteilt Hossbach
Die Verschwörer hatten Hitlers Agitationskraft zu fürchten. Sie mußten damit rechnen, daß sich der Demagoge bei einer öffentlichen Verhandlung zum Fenster hinaus verteidigen und, wie Hofacker prophezeite, „die Massen in fünf Minuten wieder umwerfen“ würde
Ad 3) Aus diesen Befürchtungen heraus entstand der Plan einer staatspolitischen Patentlösung. Hitler sollte — so berichtet Weizsäcker — solange in Haft gehalten werden, bis die Staatsgewalt mit seiner Zustimmung, also gewissermaßen legal, in neue Hände hinübergeleitet wäre
General Hoeppner drückte sich noch vorsichtiger aus. Olbricht habe erwartet, „im Führerhauptquartier würde eine Anzahl von Generalen oder Heeresgruppenführern auf den Führer einen Druck in dem Sinne ausüben, daß er die Führung abgibt“
Trotzdem hatten sich Beck, Goerdeler und maßgebliche Mitverschwörer jahrelang gegen die Zerhackung des gordischen Knotens durch das Attentat gesträubt
Ein Attentat werde Hitler zum Märtyrer stempeln, der „tote Hitler werde zu einer Art von wächsernem Lenin werden“
In erster Linie bewegten sich jedoch die vielfachen Hemmungen und Bedenken, die konstant oder vorübergehend der Attentatsidee widersprachen, auf moralischer und religiöser Ebene. „Auch für die Brüder Stauffenberg war, wie für den ganzen inneren Kreis der Verbündeten, der Anschlag auf ein Staatshaupt zunächst ein Verbrechen und „Tyran-nenmord“, kein Begehren aus geistiger Romantik oder besinnungslosem Haß — jede Darstellung, die zu leicht davon redet, schwächt und fälscht damit das Geschehen“
Die Moral des Attentats Im „Dritten Reich“ wurde der politische Mord von Organen des Regimes systematisch betrieben. Im Dasein der Völker und Rassen gäbe es lebenswertes und „lebensunwertes“ Leben, unterschied Hitler, letzteres dürfe und müsse wie Ungeziefer „ausgerottet“ werden. Die moralische Empörung über diese Mißachtung des Menschenlebens an sich, des einzelnen wie des millionenfachen, hatte die Beck/Goerdeler-Verschwörung auf den Plan gerufen.
Einen tieferen Sinn ihres Kampfes erblickten die Verschwörer in der Wiederherstellung der menschlichen Achtung vor der Majestät des Todes, in der Erneuerung der menschlichen Ehrfurcht vor dem Menschenleben. „Ob man sich nicht mit dem Vorwurf der Ungesetzlichkeit und des Tyrannenmordes zu schwer belade, um für eine Erneuerung wirken zu können“, lautete die Zweifelsfrage, die Stauffenberg noch am 4. Juli 1944 beschäftigte ®
Mit der moralistischen Schärfe ihres Gewissens beurteilten die Verschwörer überscharf und in irrealer Vergrößerung die dämonische Symbol-kraft, die von einem Attentat an Hitler ausgehen und die Verschwörung kompromittieren würde. Sie wollten das NS-Regime nicht nur liquidieren, sie wollten mehr, sie wollten auch regieren, aufbauen, erneuern. Sie schreckten vor einem Attentat zurück, weil sie ein moralisches Erneuerungswerk vorhatten, das nur beginnen konnte, wer es „mit reinen Händen“
beginnen würde.
Der metaphysische Hintergrund ihres moralischen Erneuerungswillens war die christliche Religion. „Wir lehnten ein Attentat ab“, berichtet Steltzer im Namen der Mehrheit des Kreisauer Kreises, „weil wir als unpolitischer Kreis, der sich um eine neue Sinngebung für Staat und Recht aus dem Religiösen mühte, diesen Weg nicht gehen konnten“
In ihrer Einstellung zum politischen Mord stellten sich Moltke und Steltzer also nicht auf den sogenannten „Boden der politischen Tatsachen“, sondern fußten auf einer höheren, metapolitischen Ebene. Aber auch Stauffenberg, der politische Aktivist, focht auf dieser religiösen Ebene seinen letzten Kampf um die Entscheidung für oder wider ein Attentat aus.
Überlebende, die ihn kannten, berichten, er sei so „gottesfürchtig“
gewesen, „daß er bis zuletzt nicht an die Notwendigkeit, Hitler umzubringen, glauben wollte, sondern meinte, es würde gelingen, ihn zu verhaften und vor ein deutsches Gericht zu stellen“
Kaplan Josef Wehrle wurde im September 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er als Beichtvater auf die Frage des Majors Baron von Leonrode eingegangen war, wie die Kirche zum Tyrannenmord stehe. Sie lehne ihn grundsätzlich ab, lautete sein Bescheid
Zu den Hemmungen vor einem Attentat, die Stauffenberg als Katholik empfand, traten die Bedenken, die er als preußischer Offizier zu überwinden hatte. Er fühlte sich, ebenso wie Beck, den Denktraditionen und Ehrbegriffen seines Standes zutiefst und unlösbar verbunden.
Als nach Beendigung des Frankreichsfeldzuges verschworene Offiziere wieder einmal die Frage aufwarfen, ob man Hitler noch anders als durch ein Attentat von der Weiterführung des Krieges abbringen könne, hatte Generaloberst Halder seine jüngeren Gesprächspartner, Stauffenberg und Treskow, ermahnt, „zu bedenken, was sich mit der Ehre eines Soldaten vereinbaren lasse und was nicht, daß aber der politische Mord unter allen Umständen verwerflich sei . . .“
Die Gründe, die den Verschwörern vom Standpunkt der preußischen Offiziersehre aus ein Attentat an Hitler zu verbieten schienen, lagen durchaus nicht auf der Hand. Schließlich gehörte es zum Kriegshandwerk, Menschenleben zu vernichten. Jeder Verschwörer» der als Offizier im Kriegsdienst stand, engagierte sich seit dem 1. September 1939 täglich, mittelbar oder unmittelbar, für diesen Zweck. Man starb und zwang andere zu sterben; wie für jeden Soldaten war auch für den preußischen Offizier das Töten eine legitime Aufgabe. Diese Aufgabe zu verleugnen, kam auch christlichen Militärs der Fronde nicht in den Sinn. Warum zögerten sie also, Hitler niederzuschießen, den Mann, der für sie auf der Feindseite eines inneren „gerechten Krieges“ stand?
Auf die Frage eines Kameraden nach einer Erlösung aus der militärischen Aussichtslosigkeit, in die das deutsche Heer hineinsteuere, antwortete Stauffenberg, es war im Winter 1941/42, mit einem Hinblick auf Hitler nur das eine Wort: „Töten“
Der wesentliche Unterschied zwischen töten und töten lag nicht im Effekt, sondern in der Methode, im Verfahren des Tötens. Allen Attentatsversuchen der Verschwörer, die sie im Laufe der Jahre unternahmen, hafteten notgedrungen alle äußeren Attribute einer heimtückischen, meuchelmörderischen Handlung an
Auch das preußische Kriegshandwerk lehrte den Hinterhalt des Scharfschützen, kannte die Tarnung, die List, den Überfall, jedoch waren für den preußischen Offizier alle Hinterhalte auf dem Gefechtsfeld vom Makel der Hinterhältigkeit befreit, weil ihnen eine generelle und offene Kriegserklärung vorausgegangen war. Das geplante Attentat hingegen war der erste Schuß aus einer Waffe, die der Täter unter einem loyalen, friedfertigen Deckmantel verbarg. Das war weniger eine sachliche, sondern mehr eine symbolhafte Unterscheidung. Allein darum ging es aber auch nur, denn es liegt im Wesen jedes Ehrenstandpunktes, nicht nach Sachverhalten, sondern nach dem Symbolwert von Sachverhalten zu fragen und zu richten. Hinzu kam, daß der Sprengstoff ein Mittel war, „von dem man wußte, daß, wenn es angewandt wurde, es nicht bloß aus dem Leben fegte, dem der Anschlag galt, sondern auch eine Reihe von Kameraden, denen man sich nach den Erklärungen, die früher abgegeben worden sind, zum Teil innerlich verbunden fühlte“
Den Abstand, der das Attentat des „ 20. Juli“ vom Leitbild jener Tötungsweise trennte, die dem preußischen Offizier als allein korrekt und ehrenhaft erschien, veranschaulicht ein Beispiel, das Generaloberst Freiherr von Fritsch 193 8 lieferte, hinter dem demütigenden Eindruck des Fritsch-Prozesses hatten sich opponierende Militärs erstmalig zur Verschwörung gruppiert. Fritsch selbst beabsichtigte damals, es heißt auf Betreiben Becks, Himmler „zum Zweikampf“ zu fordern. „Dadurch sollte noch nach der Rehabilitierung von Fritsch eine Auseinandersetzung zwischen Heer und SS ausgelöst werden, um auf diese Weise den Staatsstreich gegen Hitler in Gang zu bringen.“ Dohnanyi und Reichskriegsgerichtsrat Sack verfaßten eine schriftliche Duellforderung. General von Rundstedt berichtete, er sei gebeten worden, diese Duellforderung Himmler zu überbringen. Er habe Fritsch jedoch nach einigem Zögern bestimmt, „die Sache fallen zu lassen“
Ein letzter Gesichtspunkt war die Eidfrage. Verschwörer wie die Generale Halder und Rommel lehnten den politischen Mord im Allgemeinen und den an Hitler im Besonderen ab. Ihre besonderen Gründe, aus denen heraus gerade Hitler für sie Tabu war, bezogen sich auf dessen Stellung als „Oberster Befehlshaber der Wehrmacht“. Wir haben in anderem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, daß die verschworenen Militärs seit 1939 einen Zweifrontenkampf führten, dessen Spitze sich einmal gegen den inneren Feind richtete, gegen das NS-Regime also, und zum anderen gegen die Feindstaaten und Kriegsgegner Deutschlands.
Derselbe Mann, der im inneren Kampf ihr Erzfeind war, Hitler, war im äußeren Kampf ihr Waffenbruder, ihr Kriegsherr und Oberster Befehlshaber, dem sie noch dazu durch einen persönlichen Treueeid verpflichtet waren
„Man hat nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches immer wieder und sehr nachdrücklich gefragt, warum denn „die Generale“ Adolf Hitler nicht kurzerhand beseitigten, gleichsam als wäre das ihre „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ gewesen“, erklärte General Halder in einem Nachkriegsgespräch: „Ich war maßlos erstaunt, als ich dergleichen zum ersten Male hörte: weil ich nicht zu begreifen vermochte, daß man diese Beseitigung Hitlers plötzlich und ausgerechnet von den Spitzenvertretern eines Ordnungsprinzips verlangt, also gerade von denen, die durch einen besonderen Eid zu einem besonderen Maß von Gehorsam verpflichtet sind“
Das preußische „Ordnungsprinzip“, dessen traditionsgesättigtes Pathos Verschwörern wie Beck und Stauffenberg Zeit ihres Lebens berufliche Heimat und geistige Mitte gewesen war, wurde von ihnen selbst eigenhändig in Frage gestellt, als sie sich am 20. Juli 1944 anschickten, den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht durch ein Attentat umzubringen. „Am 20. Juli geht ein historisches Prinzip zu Ende“, folgerte Axel v. d. Bussche in einem Rückblick nach dem Kriege. Er bezeichnet Hitler als „den verworfensten Nachfolger der preußischen Könige". Mit dem Entschluß, preußischer Offiziere, Hitler zu ermorden, habe sich die Selbstauslösung einer vielfach umstrittenen, aber auch vielfach bewährten , Lebensform vollzogen. Das militante Preußentum sei mit dem Versuch, seinen obersten Kriegsherrn zu töten, endgültig zerbrochen
So weitreichend und gedankenvoll die Gründe gewesen waren, die gegen ein Attentat gesprochen hatten, so knapp und handgreiflich waren die Gegenargumente, die zur Entkräftung vorgebracht wurden und ein Attentat befürworteten: — Je brutaler und unmenschlicher eine Gewaltherrschaft, um so zulässiger die Gegenwirkung —
Skrupel, die aufkamen, weil ein Sprengstoffattentat Unschuldige aus der persönlichen LImgebung Hitlers mit zerreißen würde, zerstreute Treskow, indem er argumentierte, „daß das Vorhaben der Befreiung Deutschlands und der Welt von dem größten Verbrecher der Weltgeschichte den Tod einiger weniger Unschuldiger wert sei“
Ihr Rechtsgefühl, das sich gegen den Schritt zum politischen Mord sträubte, beschwichtigten die Attentäter mit der Begründung, ihre Absicht sei nicht, Hitler zu „morden“, sondern zu „richten“
Andere Äußerungen, dunkle, ahnungsschwere, lassen erkennen, daß auch Stimmen laut wurden, die bekannten, der politische Mord an Hitler müsse — da er nun einmal unumgänglich sei, hinterher nicht sanktioniert, sondern gesühnt werden. „Wer fällt, fällt, wieder büßt der Mörder“, zitierte York, der Vetter Stauffenbergs, Aeschylos im Angesicht des bevorstehenden Attentats, „und wir alle wußten", berichtete Lukaschek weiter, „daß uns die Richtstätte erwartete und jede Schuld gebüßt werden muß in Anerkennung der ewigen sittlichen Ordnung“
Die „Technik" des Attentats Die Ausführung des Attentats hing von drei Faktoren ab, vom Täter, vom Tatinstrument und vom Opfer. Die Eigengesetzlichkeiten, Kombinationsweisen und Imponderabilien dieser drei Faktoren waren eine Wissenschaft für sich. Ihr Gegenstand ist die Technik des politischen Mordes.
1. Ein Pistolenattentat kam für Stauffenberg nicht in Frage, weil er nicht greifen und schlecht sehen konnte. Den rechten Arm, ein Auge und zwei Finger der linken Hand hatte er durch eine Verwundung in Afrika verloren.
Zum Attentat mit der Pistole sind, — soweit bekannt ist, — nur zwei Mal Putschisten vorübergehend gewillt und bereit gewesen: Erich Kordt im November 1939 und Hauptmann v. Breitenbusch im März 1944. „— Kordt. . . , Sie haben nicht ein Prozent Chancen", gab Oster zu bedenken. „Sie können Hitler nicht allein sehen. Im Vorzimmer aber, in Anwesenheit aller Adjutanten, Ordonnanzen und Besucher werden Sie kaum zum Schuß kommen“
Auch Rittmeister v. Breitenbusch, der als Ordonnanzoffizier des Feldmarschalls Busch am 9. März 1944 an einer Führerbesprechung auf dem Obersalzberg teilnahm, mußte nach einem Bericht Schlabrendorffs einsehen, daß es zu schwierig war, auch nur in die Tasche zu greifen, um die Pistole herauszuholen. „Hitler“ empfing schon seit Monaten niemanden mehr, ohne daß nicht einige baumlange SS-Männer im Zimmer waren, deren Verhalten keinen Zweifel ließ, daß sie sich bei der ersten verdächtigen Bewegung auf den Besucher stürzen würden“
Zur technischen Schwierigkeit eines Pistolenattentats trat die besondere psychologische Belastung, die die Attentäter gerade von diesem Verfahren abbrachte. Die normalen „Schwierigkeiten", einen Menschen „aus dem Handgelenk“ totzuschießen, vervielfachen sich, wenn keine Affekthandlung vorliegt, sondern die kaltblütige Ausführung eines minutiös vorausberechneten Planes, gibt Schlabrendorff zu bedenken
Ins Reich der Attentäterromantik fiel das Gemunkel, der Diktator habe sich zeitweise durch einen Doppelgänger vertreten lassen, um Anschläge fehlzuleiten. Soweit ein derartiges Gerücht die Attentäter überhaupt stutzig machte, war es die Behauptung, Hitler trüge stets ein Panzerhemd unter der Uniform
Die Verschwörergruppe um Treskow verfiel vorübergehend auf die Idee, Hitler durch ein „Gemeinschaftsattentat“ umzubringen. Mehrere Offiziere sollten gleichzeitig mit der Pistole auf Hitler schießen. „Wir rechneten zwar damit, daß auch die Hälfte der auf ihn abgefeuerten Geschosse genügen würde“, berichtet einer der Beteiligten, „die Tatsache, daß wir mehrere waren, sollte es uns psychologisch erleichtern, die Last zu tragen, die jeden Menschen niederdrückt, wenn er vor einer solchen Tat steht“
Beiläufig tauchte auch der Plan auf, Hitler aus der Distanz, durch einen Scharfschützen zu töten. Oster, der neben Treskow und Stauffenberg am unermüdlichsten nach Gelegenheiten Ausschau hielt, um Hitler ums Leben zu bringen, zog einen bekannten Scharfschützen aus dem Schwarzwald zur Abwehr ein
Weiter ist in dieser Richtung offenbar nichts unternommen worden. Das Scharfschützenattentat blieb eine Spielart im Zirkel der mörderischen Möglichkeiten. Als Canaris, der Chef Osters, sich einmal nach einer Besprechung im inneren Sperrkreis des Führerhauptquartiers noch eine Weile aufhielt, es war im Winter 1942/43, lenkte, — so wird erzählt — sein Begleiter, ein Abteilungsleiter der Abwehr, seine Aufmerksamkeit auf Hitler, der gerade aus einer Baracke heraustrat und im Gespräch mit einem Adjutanten in geringer Entfernung auf und ab ging. Versonnen fügte Canaris Begleiter hinzu: „Auf die Entfernung, das gäbe 'nen Blattschuß“. Canaris antwortete ohne lange zu überlegen: „Tun Sie's doch!“
Das Satyrspiel der potentiellen Attentäter erfand immer neue tödliche Variationen. Reichsminister Speer soll in den letzten Kriegsmonaten den Versuch eingeleitet haben, Giftgas durch die Entlüftungsanlage 120 in den Führerbunker einströmen zu lassen
Das anonyme Attentat schien sich auch der Beck/Goerdeler-Verschwörung technisch und psychologisch als gangbarste Methode anzubieten. Einige ihrer Anschläge waren in doppeltem Sinne anonym, weil die Täter ihre Tat als Unglücksfall zu tarnen versuchten. Treskow verfiel im März 1943 auf den Plan, eine Zeitbombe in Hitlers Flugzeug zu schmuggeln, „um dadurch das Odium des Attentats zu vermeiden und ein Flugzeugunglück vorzutäuschen“
Ein angeblicher Versuch Treskows, die gezündete Zeitbombe in eine Seitentasche von Hitlers Kraftwagen, unmittelbar neben seinem Sitz, zu verstecken, scheiterte an der pausenlosen Überwachung des Vehikels
Das empfindlichste materielle Problem der Zeitbombe, die dem Attentäter die Erleichterung zeitlicher und räumlicher Distanz gewährte, war die Frage eines geeigneten Zünders. Die Zündmittel der zuletzt erwähnten Attentatsversuche stammten aus britischen Beutebeständen. Die Abwehr hatte sie geliefert. Auch Major Kuhn wurde in einer Hauptverhandlung vor dem Volksgerichtshof als Lieferant von Spreng-und Zündmitteln genannt. Er beschaffte „heeresübliche“ deutsche Sprengmittel. General Stiess bewahrte sie auf. Stiess erklärte in der Verhandlung, die gelieferten Zündmittel hätten nur 41/2 Sekunden Brenndauer gehabt und seien deshalb ungeeignet gewesen. Daraufhin höhnte Freisler: „ . . . doch nur ungeeignet, wenn der Täter sein wertes Leben selbst retten wollte. Sonst war ja, scheint mir, die kurze Brenndauer der Zündschnur auch gleich“
Freisler rührte damit an einen wunden Punkt, von dem Kordt eingesteht, daß er „die entscheidende Schwäche der wissenden Gegner Hitlers“ gewesen sei
Wird in der nächsten Ausgabe der Beilage fortgesetzt.