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Gedenkrede zum 20. Juli 1944 | APuZ 49/1954 | bpb.de

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APuZ 49/1954 Das Amerikanisch-Russische Verhältnis Gedenkrede zum 20. Juli 1944

Gedenkrede zum 20. Juli 1944

Max Braubach

daß bei einer deutschen Niederlage (und man schrieb immerhin schon August 1918) die Kommunisten sofort aufhören würden, die Brest-Litowsker Regelung, die sie so ungern angenommen hatten, irgendwie zu beachten.

Als dann der Krieg im Westen Anfang November tatsächlich zu Ende kam, gab es zwischen den westlichen Ländern und Sowjetrußland keine amtlichen Beziehungen mehr. Ein ganzes Jahr hatten die westlichen Länder in ihren Beziehungen zur Sowjetregierung sich bloß von den Interessen der eigenen Kriegführung leiten lassen. Jetzt, wo der Krieg zu Ende war, wurde sichtbar, daß all diese Bemühungen kein Ergebnis gehabt hatten. Vom Standpunkt der Ansprüche, welche die Zukunft stellte, war in diesem Jahre weder von den Alliierten noch von den Deutschen das geringste erreicht worden. Nach den Erfahrungen dieses ersten Jahres ihrer Macht fühlten sich die Sowjetführer in ihrer Verachtung für die westliche kapitalistische Welt nur bekräftigt. Ihre fanatische Überhebung blieb unerschüttert. Nach wie vor blieben sie dem Gedanken eines zwangsläufigen Untergangs der westlichen Staaten-und Gesellschaftsordnung dogmatisch verschrieben.

Das war das traurige Ergebnis der Rußlandpolitik der westlichen Regierungen während des großen Krieges. Ich glaube, mich nicht sehr zu irren, wenn ich in diesem Resultat einen neuen Beweis für die notwendige Schicksalsgemeinschaft erblicke, welche die westlichen Länder in ihrem Verhältnis zur Sowjetmacht immer verbunden hat — auch damals, als sie sich dessen gar nicht bewußt waren — und als sie alle, verblendet und irregeführt, einander auf tragische Weise bekriegen und ihre Beziehungen zur Sowjetunion ausschließlich nach den Bedürfnissen zu gestalten versuchten, die diesen erbitterten Zwistigkeiten entsprangen.

Als die Welt im Sommer 1944 auf der einen Seite mit Hoffnung und Zuversicht, auf der anderen mit zunehmender Unsicherheit und Furcht auf die kriegerischen Ereignisse schaute, die an den Fronten in der Ukraine und bereits in Polen im Osten, in der Normandie und der Bretagne im Westen die Entscheidung in dem großen Kampfe anzukündigen schienen, wurde sie am 20. Juli durch sensationelle Nachrichten aus Deutschland überrascht. Was damals über die Vorgänge nur in großen Umrissen bekannt und z. T. durch Propaganda und Nichtverstehenwollen einseitig gefärbt wurde, läßt sich heute ziemlich genau rekonstruieren.

In dem ostpreußischen Hauptquartier Hitlers bei Rastenburg fand um die Mittagszeit in dem Konferenzzimmer der sogenannten Lagebaracke, in dem Hitler sich mit seiner Umgebung zur Beratung aufhielt, die Explosion eines Sprengkörpers statt, die verheerend wirkte, bei Hitler selbst aber nur unwesentliche Prellungen verursachte. Die Bombe war von dem zum Vortrag von Berlin gekommenen Stabschef des Ersatzheeres Graf Klaus Stauffenberg in einer Aktentasche an den Tisch gelehnt worden; er selbst hatte nach Eindrücken des Zünders den Raum verlassen und war nach Beobachtung der Explosion mit seinem Flugzeug in die Reichshauptstadt zurückgeflogen. Hier hat auf seinen Anruf vom Flugplatz aus gegen 4 Uhr nachmittags in der Bendlerstraße, dem Sitz des Befehlshabers des Ersatzheeres, der Chef des Allgemeinen Heeresamts General Olbricht einen für innere Unruhen unter dem Kennwort Walküre vorbereiteten Geheimbefehl ausgelöst und begonnen, die Generalkommandos und sonstigen hohen militärischen Dienststellen zu benachrichtigen. Der Oberbefehlshaber des Ersatzheeres Fromm, der auf Grund eines Blitzgesprächs mit dem Hauptquartier an dem Erfolg des Attentats zweifelte und sich weigerte, die von ihm geforderte Zustimmung zu geben, wurde nach Eintreffen Stauffenbergs festgesetzt, an seiner Stelle übernahm der 1941 wegen Gehorsamsverweigerung abgesetzte Panzergeneral Hoeppner das Kommando, zugleich aber war in der Bendlerstraße der schon 1938 in Konflikt mit Hitler ausgeschiedene frühere Generalstabschef des Heeres Beck erschienen, und im Laufe des späten Nachmittags traf auch der Generalfeldmarschall v. Witz-leben ein, in dessen Namen als des neuen Oberbefehlshabers der Wehrmacht die Walküreaufrufe zu der nun nach Hitlers Tod durchzuführenden Liquidierung des nationalsozialistischen Systems herausgegangen waren. In Berlin, wo sich der Stadtkommandant und der Polizeipräsident der Bewegung angeschlossen hatten, liefen Truppenbewegungen zur Besetzung der Regierungsgebäude an, auch in anderen Orten des Reichs und der noch von den Deutschen beherrschten Lande kam es auf Grund der Anordnungen aus der Bendlerstraße zu Aktionen, so vor allem in Paris, wo der Militärbefehlshaber General von Stülpnagel die Formationen der SS und des SD überrumpeln ließ. Doch dann trug die zunächst nicht geglaubte, nach 18. 30 Uhr aber durch den Deutschlandsender bestätigte Nachricht, daß Hitler lebte und über den Rundfunk sprechen werde, wachsende Verwirrung in die Berliner Zentrale. Während es draußen Goebbels gelang, den Führer des angesetzten Wachbataillons durch Vermittlung eines Telephongesprächs mit Hitler zu gewinnen und seine Truppen gewissermaßen umzukehren, machten sich auch bei anderen im Marsch befindlichen Truppenteilen rückläufige Befehle geltend, in der Bendlerstraße selbst aber erhob sich ein Teil der Offiziere gegen die Verschwörer, und schließlich hat der wieder an seine Befehlsstelle gelangte Fromm in kurzem Verfahren Olbricht, Stauffenberg und zwei ihrer Helfer erschießen lassen, während Beck zum Selbstmord veranlaßt worden war. Noch in der gleichen Nacht war allenthalben der Putsch erledigt. Eine kleine Clique ehrgeiziger Offiziere, so wurde bekanntgegeben, habe aus reaktionärer und selbstsüchtiger Gesinnung versucht, dem schwer ringenden Deutschland in den Rücken zu fallen. Und wenn man dann auch bald hörte, daß an der Erhebung neben einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Militärs, Menschen aus allen Schichten des Volkes, hohe Beamte ebenso wie ehemalige Gewerkschaftler, Vertreter einer christlichen Weltanschauung und Sozialdemokraten beteiligt waren, wenn vor dem Volksgerichtshof neben Witzleben und Höppner Träger berühmter Namen wie Moltke, Yorck, Schwerin und einst hochangesehene Politiker und wirkliche Männer des Volkes wie Goerdeler und Popitz, Leuschner und Leber, Wirmer und Bolz erschienen und der Hinrichtung verfielen, so hat man doch im Ausland die Sache nicht ernst genommen, sprach man verächtlich von den Schuldigen, die sich gegenseitig umzubringen suchten, oder von denen nun einige, die das Spiel verloren sahen, sich zuguterletzt noch ein Alibi schaffen wollten. Selbst spätere Rückblicke mochten dies Ereignis des 20. Juli als eine sehr belanglose, nebensächliche Erscheinung in den Annalen der Geschichte Deutschlands und der Welt werten, neben den gleichzeitigen schwerwiegenden Entscheidungen, die sich an den Fronten im Osten und Westen vollzogen, kaum des Erwähnens wert. Denn was war schließlich da vor sich gegangen? Ein mißglücktes Attentat, ein rasch zusammenbrechender Putsch, das Auf-begehren einer Handvoll Menschen, denen es weder gelang, der Herrschaft des Nationalsozialismus über das deutsche Volk Eintrag zu tun, noch das Ende des aussichtslos gewordenen Kampfes irgendwie zu beschleunigen! Will man diese Phase bestätigen oder widerlegen, muß man sich zuerst über die Kräfte klarwerden, die an diesem Tage sichtbar wurden, muß man den Weg ergründen, der zum 20. Juli führte. Da ergibt sich, daß die Anfänge dieser Widerstandsbewegung weit zurückreichen, bis 1933, ja noch in die Zeit davor. Man kann schon um den 30. Januar 1933 ein Aufleuchten des Gedankens feststellen, der erst über ein Jahrzehnt später zur Tat führte. Aber über Erwägungen ist man in einer Art damals schon bestehender Fronde innerhalb der Reichswehr nicht hinausgelangt, und ebenso vermochten oppositionelle Gruppen im Auswärtigen Amt, sowie aus den zerschlagenen demokratischen Parteien und Gewerk-schäften gegen Gewalt und Propaganda nicht aufzukommen. Es war in Hinblick auf die zukünftige Entwicklung ein immerhin nicht unwichtiges Ereignis, als bereits in den ersten Maitagen 193 3 der christliche Gewerkschaftler Jakob Kaiser mit dem Sozialdemokraten Wilhelm Leuschner übereinkam, den Willen zur freien gewerkschaftlichen Organisation wach-zuhalten und damit die Möglichkeit sofortiger Neuordnung für den Fall der Beseitigung Hitlers zu schaffen. Wenn August Winnig auf Grund von Eröffnungen, die ihm 1934 von dem früheren Führer des Handlungsgehilfenverbandes Max Habermann und von Kaiser gemacht wurden, die Entstehung der ersten Widerstandsbewegung innerhalb der alten christlichen Gewerkschaften feststellen zu können glaubt, so waren unmittelbarer in jener Frühzeit wohl jungkonservative Kreise mit sozialrevolutionärem Einschlag bemüht, den Boden für einen Umschwung zu bereiten, von hier aus, von Männern wie Ewald von Kleist, Herbert Mumm von Schwarzenstein, Nikolaus von Halem, Fabian von Schlabrendorff suchte man Querverbindungen zu Oppositionellen der Linken, stieß man, mit der Wirksamkeit eines Edgar Jung, auch schon zu einer Art Aktion vor. Zur Vorgeschichte des 30. Juni 1934 gehörte die Marburger Rede, die Jung durch das freilich recht fragwürdige Sprachrohr des Vizekanzlers Papen halten ließ, und so wird denn doch auch in jenen blutigen Vorgängen des 30. Juni das Aufleuchten eines Widerstandes sichtbar: es waren nicht nur blinde Rachegefühle, sondern auch die Besorgnisse vor geplantem Umsturz, die zur Ausdehnung der Liquidation auf Männer wie den General Schleicher und Jung führten. Kein Zweifel, daß trotz des Schauderns, das auf Grund der für Rechtens erklärten Verbrechen durch das Volk ging, dieser 30. Juni in der Tat die Ansätze und Möglichkeiten der Opposition schwer beeinträchtigt hat. Was von vielen mit Befriedigung als ein Sieg der anständigen Wehrmacht über die radikale SA gedeutet wurde, war in Wirklichkeit der Beginn der später von manchen Offizieren so bitter beklagten Zersetzung des Heeres, das sich die Ermordung eines ihrer Führer und beim Tode Hindenburgs den Übergang der vollen Macht auf den böhmischen Gefreiten gefallen ließ. Erfolge der Regierung im Innern wie nach Außen ließen im Laufe der nächsten Jahre die Hoffnung auf eine Wendung mehr und mehr schwinden.

Neuer Antrieb und Zusammenspiel Es sind die Ereignisse des Jahres 1938 gewesen, die jenen im Stillen fortwirkenden Oppositionsgruppen neuen Antrieb gaben und zugleich allmählich zu einem Zusammenspiel zwischen ihnen führten. Wenn sich den der Verführung unzugänglichen Kreisen in Staat und Wehrmacht die moralische Unbedenklichkeit des Regimes in der infamen Art enthüllte, wie der eine gute Tradition verkörpernde General von Fritsch zum Verlassen seines Postens als Chef der Heeresleitung genötigt wurde, so ließ das Vorgehen gegen die Tschechoslowakei die Gefahr klar werden, in die eine aggressive, gewalttätige Politik, die über die mit Pathos verkündete Befreiung von den Fesseln von Versailles hinaus offenbar auf die Errichtung eigener Herrschaft in Europa zielte, Deutschland brachte. Während die zeitweise auch erschreckten Massen sich durch die überraschenden Erfolge bluffen und wieder gewinnen ließen, wurden Menschen aus den verschiedensten Kreisen wach und hellhörig und überzeugt, daß es mit diesem Desperado keine Verständigung geben kann, daß man ihm und seinen Gesellen entgegenarbeiten muß. Das ist die Zeit, in der Carl Friedrich Goerdeler, der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister, der noch zunächst dem dritten Reich als Preiskommissar gedient hatte, seine Rolle als der unermüdliche Schürer und Antreiber beginnt, in der Männer wie der preußische Finanzminister Popitz und der aus Rom abberufene Botschafter Ulrich von Hassell den endgültigen Bruch mit dem Regime vollziehen, in der im Auswärtigen Amt, geduldet von dem Staatssekretär Ernst von Weizsäcker sich Zellen des Widerstandes bilden und in der im Heer sich um den Generalstabschef Ludwig Beck, der im Protest gegen Hitlers Angriffsplan auf die Tschechoslowakei seinen Posten niederlegt, eine Anzahl von Offizieren sammeln, denen über dem militärischen Ehrgeiz, Ehre, Recht und das Wohl des Volkes und der Menschheit stehen. Es ist damals zu Handlungen gekommen, die auf Durchkreuzung von Hitlers Plänen zielen. Auf verschiedenen Seiten sind in der Sudetenkrise um einen Krieg zu verhindern von deutschen Diplomaten Schritte unternommen worden, die Hitlers Politik hemmen sollten. Ob wirklich Hitler, wenn nicht durch die Münchener Nachgiebigkeit der Westmächte der Konflikt vorläufig vermieden worden wäre, durch Truppen unter dem Befehl der Generäle von Witzleben und Brodedorff festgesetzt worden wäre, läßt sich mit Sicherheit kaum nachweisen, soviel ist aber jedenfalls richtig, daß Pläne in dieser Richtung bestanden und daß im Generalstab noch unter Beck der damalige Oberquartiermeister Heinrich von Stülpnagel begonnen hatte, den Umsturz organisatorisch vorzubereiten. München mußte selbstverständlich wieder die Gegner Hitlers entmutigen, aber ihnen führten die Ausschreitungen gegen die Juden im November 1938 und die allen früheren Versprechungen entgegenlaufende Fortnahme von Prag im März 1939 neue Kräfte zu. Die Planungen, die darauf ausgingen, die Unzufriedenen aus Militär und Zivil, von links und rechts zusammenzuschließen, eine Ausnahmestellung zu schaffen, die es ermöglichte, nicht nur den Führer zu stürzen, sondern auch aus eigenen Kräften in der Zentrale, in Stadt und Land die Regierung zu übernehmen, fanden einen besonders rührigen Mittelpunkt in einer militärischen Behörde, die in der Lage war, auch mannigfache Fäden nach dem Ausland zu knüpfen, nämlich in der dem Reichswehrministerium angegliederten Abwehr, in der Oberst Oster, gedeckt von seinem Chef, dem Admiral Canaris, sich einen Überblick über die verschiedenen Widerstandsgruppen zu verschaffen wußte und in Zusammenarbeit mit dem Juristen Dohnanyi eine Art Geschäftsführung der Bewegung bildete. Schon war eine lose Verbindung zwischen den vielfach sich überschneidenden Kreisen hergestellt, als Hitler durch den Angriff auf Polen den großen Krieg auslöste.

Der Brückenschlag zur Arbeiterschaft Der Krieg, in dem man in diesen Kreisen von Anfang an, ein Verbrechen und ein Unglück sah, hat die Entwicklung intensiviert und beschleunigt. Wenn aus den Kriegsdienststellen und den Hauptquartieren die Verbindung zu Beck und Hammerstein ausgenommen wurde, wenn der in seiner Vitalität unerschütterliche Goerdeler zum Handlungsreisenden in Defaitismus wurde, wie er von dem Volksgerichtshof später verächtlich bezeichnet wurde, so bildeten sich zugleich neue Zellen, so aus dem Zusammenwirken des Generals von Tresckow mit dem zum Wehrdienst eingezogenen Schlabrendorff, aus dem Zusammentreffen der zu Rechtsberatern im Oberkommando der Wehrmacht bestellten Grafen Moltke und Yorck, aus den Zusammenkünften der Berliner Mittwochs-gesellschaft, in der sich Popitz, Beck, Hassell und der Nationalökonom Jessen, der aus einem ursprünglichen Parteigänger ein fanatischer Hasser des Nationalsozialismus geworden war, trafen. Am wichtigsten aber war der Brückenschlag von den Soldaten und Beamten zu den Vertretern der Arbeiterschaft. Hassell war nur unvollkommen unterrichtet, wenn er noch im Januar 1942 als das große bisher nicht zu lösende Problem bezeichnete, Männer zu finden, deren Namen in der Arbeiterschaft einen guten Klang hätten. Wenn Jakob Kaiser schon früh die alte Bekanntschaft zu dem von Anfang an dem Nationalsozialismus feindlichen und schon früh von Hitler abgesetzten General Hammerstein erneuert und Verbindung mit Goerdeler ausgenommen hatte, so kam im Herbst 1939 unter Vermittlung von Klaus Bonhoeffer und Ernst von Harnack eine engere Fühlungnahme zwischen den bürgerlichen Kreisen und Führern der sozialistischen und christlichen Gewerkschaften zustande. Der Aufgabe, alle politischen und weltanschaulichen Gegner zu sammeln und vor allem eine geistige Front gegen den Hitlerismus zu schaffen, hat sich dann vor allem jener Helmuth Moltke, Großneffe des großen Soldaten des 19. Jahrhunderts, angenommen. Wir wissen von drei Zusammenkünften, die im Frühjahr und Herbst 1942 und im Frühjahr 1943 auf seinem schlesischen Gute Kreisau Stattfanden. Hier traf sich im Unterschied etwa zu der Mittwochsgesellschaft eine jüngere Generation Politiker wie Yorck und Schulenburg, Diplomaten wie der Legationsrat Adam Trott zu Solz, Vertreter der Kirchen wie der Jesuit Delp und der Konsistorialrat Gerstenmaier, Sozialisten wie Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Adolf Reichwein. Verständnis, aber keine Tatbereitschaft '

Aber wir haben vorgegriffen, wir fragen uns, wie es denn kam, daß diese ganze Organisation, in der schon im Herbst 1934 eine Art Führung durch Bede und Goerdeler anerkannt war, doch zunächst keineswegs in den Lauf der Ereignisse eingriff. Der Wille dazu hat gerade in den ersten Kriegsmonaten zweifellos bestanden, ihn verkörperte vor allem Goerdeler, der. rastlos jede sich bietende Möglichkeit zu erspähen und zu verwerten suchte. Aber mochte es auch in wichtigen Dienststellen und Behörden Teilnehmer und Mitwisser der Verschwörung geben, konnte zugleich auch seitens der ehemaligen Gewerkschaftler ein Netz von Vertrauensleuten gebildet werden, die Zivilisten waren doch ohnmächtig, der Putsch konnte nur von einer Seite durchgeführt werden, die über Machtmittel, über Waffen verfügte, von der Wehrmacht also. Und auch hier versprach ein Zugriff nur dann Erfolg, wenn er von Stellen dirigiert wurde, von denen aus wenigstens ein beträchtlicher Teil der gewaltigen Kriegsmaschinerie in Bewegung gesetzt und in bestimmte Richtung geleitet werden konnte. So begann das Ringen um die Männer der Heeresleitung, um die hohen Generale, an deren Ehrund Verantwortungsgefühl man vor allem im Hinblick auf das Vorgehen der SS im eroberten Polen und auf die bekanntwerdenden Pläne Hitlers zum Überfall auf Holland und Belgien appellierte. An dem Ansturm auf sie haben sich auch manche ihrer eigenen Berater, wie jener zu den besten Köpfen des Generalstabs gehörende Heinrich von Stülpnagel beteiligt, aber wenn man bei den Heerführern auch vielfach Verständnis fand, so doch keine Tatbereitschaft. Man braucht nur die Tagebücher Hassells zu lesen, um eine Vorstellung von der grenzenlosen Enttäuschung der Widerstandsführer über die angeblichen Nachfolger eines Scharnhorst und York zu gewinnen.

Hier zeigte sich nun freilich auch jenes Problem, dem man in unseren Tagen besondere Beachtung schenkt: wie war es möglich, geschworene Eide zu brechen, versündigte man sich nicht am Vaterland, wenn man im Kriege eine Revolution herbeiführte, wo war die Grenze zwischen dem Hochverrat, der eine menschliche und gerade auch eine nationale Pflicht sein konnte, und dem Landesverrat? Wir werden noch kurz darauf zurückkommen.

Hier ist zunächst festzustellen, daß die Mehrzahl der hohen militärischen Führer von einem Umsturz nichts wissen wollte, daß im Winter 1939/40 auch der Generalstabschef Halder, der noch im September 1938 die Festsetzung Hitlers geplant hatte, sich dem Drängen Stülpnagels, die drohende Ausweitung des Krieges durch eine Tat zu verhindern, schließlich versagte, freilich auch weil er feststellen mußte, daß der größere Teil der Wehrmacht nicht bereit war, ihm dabei zu folgen, und weil Sondierungen über die Haltung der Kriegsgegner bei einem Umsturz keine wirklich festen Zusicherungen für eine künftige Anerkennung der Rechte und Interessen Deutschlands brachten. Der allen Voraussagen widersprechende Verlauf des Westfeldzuges von 1940 hat dann vollends die Aussicht auf eine Erhebung vorerst zerstört, die natürlicherweise erst wieder auflebte, als das neue Abenteuer des Angriffs auf Rußland nicht in gleicher Weise verlief und angesichts der wachsenden Opfer der Siegesjubel verstummte.

Erst 1941 kommen die Vorbereitungen zum Staatsstreich wieder in Gang, eine Zeitlang hofft man, daß vom Westen, vom besetzten Frankreich her, wo der mit den Verschwörern seit jeher eng verbundene General von Witzleben den Oberbefehl führte, der entscheidende Anstoß erfolgen könnte, und als Erkrankung und Abberufung Witzlebens dies ausschließen, wendet man sich an die Hauptquartiere der Heeresgruppen des Ostens. Gegenüber den anfänglichen, vor allem auch von Goerdeler vertretenen Plänen einer Festnahme Hitlers zwecks späterer Aburteilung setzt sich mehr und mehr die Auffassung der beteiligten Offiziere durch, daß nur die Ermordung des Diktators den Weg zur Rettung und Gesundung Deutschlands und zur Beendigung des unheilvollen Weltkriegs freimachen könne, ein Gedanke, der übrigens schon unmittelbar nach Beginn des Krieges von einem Diplomaten, Erich Kordt, verfolgt worden war. Während die Marschälle weiterhin sich versagen, erwächst aus Besprechungen und Vereinbarungen Osters, Tresckows und des an maßgebender Stelle des Ersatzheeres in der Heimat tätigen Generals Olbricht der erste konkrete Attentatsplan. Die Initialzündung glaubte Tresckow, damals Chef des Stabes einer östlichen Heeresgruppe, am 13. März 1943 in Gang zu bringen, indem er nach einem Besuch Hitlers durch Schlabrendorff eine Höllenmaschine in dessen Flugzeug praktizieren läßt. Aber wie diesen, so bringt der Zufall auch weitere Versuche zum Scheitern, und dann tragen auf der einen Seite Schläge der mißtrauisch gewordenen Gestapo gegen die Abwehr, die zur Ausschaltung Osters führen, auf der anderen eine schwere Erkrankung Becks Verwirrung in die Reihen der Opposition.

Die letzte Phase Sie wird indessen noch im gleichen Jahr 1943 überwunden und die bisher doch nur locker geknüpften Fäden straffer zusammengefaßt. Mit der Berufung des jungen Oberstleutnants Graf Claus von Stauffenberg zum Stabschef im Allgemeinen Heeresamt bei Olbricht im Sommer 1943 beginnt die letzte Phase des tragischen Kampfes. Stauffenberg ersetzte Oster; wenn er auf der einen Seite unter der Oberleitung Tresckows zusammen mit dem Major Ulrich von Oertzen den Ablauf der militärisch zu treffenden Maßnahmen generalstabsmäßig in Anordnungen festlegte, die auf das von Berlin aus durchzugebende Stichwort Walküre ausgelöst werden sollte, wenn zugleich auch außerhalb der Heimat Vorbereitungen getroffen wurden, die in Abmachungen mit den Militärbefehlshabern im Westen, Falkenhausen in Brüssel und Stülpnagel in Paris, und schließlich auch in der Einschaltung eines besonders populären Feldmarschalls, des zur Abwehr der Invasion in Frankreich eingesetzten Rommel, gipfelten, so drang Stauffenberg zugleich auf Schaf-

der politischen auch hier fung im und wurde Voraussetzungen Sektor, in der Tat das Gerüst des Neuaufbaus geschaffen durch Einigung über die Bestellung Becks zum vorläufigen Staatsoberhaupt und über die Errichtung einer Regierung, der neben Goerdeler als Kanzler Sozialisten wie Leuschner und Leber, Christlichsoziale wie Bolz und Wirmer angehören sollten, sowie durch Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen über das zunächst zu verfolgende Programm. Es mag auf die Verzögerung der viel berufenen Initialzündung eingewirkt haben, daß gerade von Seiten der Arbeiterführer empfohlen wurde, erst nach geglückter Invasion der Westmächte zur Tat zu schreiten, daß ferner es mancherlei Gegensätze zwischen den Gruppen gab, die zum Austrag gebracht werden mußten, aber entscheidend war doch die zunehmende Schwierigkeit, an den mißtrauischen Diktator heranzukommen. Dazu bot sich endlich Stauffenberg selbst Gelegenheit, als er im Juni 1944 zum Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres ernannt worden war.

Und nun drängt zugleich nicht nur der deutlich werdende Erfolg der an der Küste der Normandie gelandeten Streitkräfte Eisenhowers zur raschen, ja überstürzten Tat. Wenn schon im Vorjahr der Widerstands-kreis in der Dienststelle Canaris weitgehend zerschlagen wurde, wenn dann auch andere Träger der Opposition wie Moltke in die Fänge der Gestapo geraten waren, so griff die plötzliche Verhaftung von Leber und anderen Sozialisten in das Zentrum der Verschwörung. Die anfängliche Absicht, mit Hitler zugleich auch Göring und Himmler zu beseitigen, wurde, nachdem das Ausbleiben der beiden bei den Führerbesprechungen zweimal zur Vertagung geführt hatte, aufgegeben und am 20. Juli der Anschlag gewagt. Wir sahen schon, wie er scheiterte und wie in Berlin die Gegenbewegung zu raschem Erfolge führte. Daß im Westen wenige Tage zuvor Rommel durch Verwundung bei Tieffliegerangriff aktionsunfähig geworden war, ermöglichte auch hier trotz des erfolgreichen Vorgehens General von Stülpnagels gegen SD und SS in Paris die Wiederherstellung der Lage und die Fortführung des Verzweiflungskampfes gegen alliierte Übermacht. Die Beteiligten aber traf die furchtbare Rache des Diktators.

Nicht die Tat einer Clique Offiziere Eines ist aus dieser skizzenhaften Darstellung des Dramas um die deutsche Widerstandsbewegung deutlich zu erkennen: der 20. Juli war nicht die Tat einer Clique Offiziere, die, weil sie den Sieg und die Macht Deutschlands entschwinden sahen, sich salvieren wollten. Ein Mitglied der mit der Untersuchung der Zusammenhänge betrauten Sonderkommission ist in seinem Gutachten über die Verschwörer zu dem ganz richtigen Ergebnis gekommen, daß es sich bei ihnen um Persönlichkeiten handelte, deren echte Feindschaft zum Nationalsozialismus aus politischen, moralischen und religiösen Beweggründen kam. Es war, so wird man feststellen müssen, eine Bewegung, deren Träger zum größten Teil nicht erst durch die sichere Erkenntnis des bevorstehenden deutschen Zusammenbruchs zu ihren Ansichten und Plänen gebracht wurden. Strittig könnte es ja nun freilich sein, ob licht doch hinter ihr in der Hauptsache bürgerliche Kräfte standen, denen es um die Restauration eines seinem Freunde Langbehn aus ist sogar versucht worden, Fäden zu Offiziers-und Beamtenstaats alter Art zu tun war, die in überholten Vorstellungen von Staat und Gesellschaft begriffen keineswegs in der Lage waren, etwas Besseres an die Stelle dessen zu setzen, was sie angriffen. Es läßt sich für diese These, wenn man die uns erhaltenen politischen Entwürfe, Programme und Äußerungen der Beteiligten durchsieht, wohl manches anführen. Man ist überrascht, daß man in den Kreisen um Goerdeler, Popitz, Hassell von der Wiederaufrichtung der Monarchie das Heil erwartete, wobei zeitweise wohl gar an den Kronprinzen, in der Hauptsache allerdings an dessen mit einflußreichen Amerikanern in guten Beziehungen stehenden Sohn Louis Ferdinand gedacht wurde. Wenn dabei nun auch nur eine beschränkte konstitutionelle Monarchie nach englischem Muster beabsichtigt war, so meinte doch selbst der gewiß nicht zu den Sozialisten rechnende Hassell, daß der als künftiger Reichs-kanzler vorgesehene Goerdeler allzusehr in unmodernen, ja reaktionären Anschauungen sich bewegte, und auch einem Mann wie Schlange-Schöningen, der im Sommer 1943 durch Moltke unterrichtet wurde, schienen Goerdelers innenpolitische Pläne teils phantastisch, teils Rudimente einer überlebten Vergangenheit. So schlimm sind nun die bisher bekanntgewordenen Verfassungsentwürfe aus Goerdelers Nachlaß nicht.

Vor allem aber bleibt zu beachten, daß man hinsichtlich dessen, was nach einer Übergangsregierung zur Herstellung der Ordnung in Deutschland gestaltet werden sollte, noch in der Diskussion begriffen war, in der nicht nur die alten Gewerkschaftsführer, sondern vor allem die jüngere Generation des Kreisauer Kreises mit Entschiedenheit sozialistische Ideen vertrat. Um die Jahreswende 1942/43 ist es im Hause des Grafen Yorck in Lichterfelde zu einer großen Aussprache, nach dem LIrteil des überlebenden Gerstenmaier einem der interessantesten Ereignisse in der Vorbereitung des Staatsstreichs gekommen, in dem die Kreisauer, vor allem Trott, Moltke und Gerstenmaier in scharfer Form ihre von Goerdelers Programm abweichende sozial-und wirtschaftspolitische Auffassung formuliert haben. Zweifellos hat zwischen Moltke und den übrigen Oppositionsgruppen übrigens auch insofern ein Gegensatz bestanden, als Moltke das Attentat, ja auch die Erhebung gegen Hitler überhaupt für abwegig hielt. „Lassen Sie ihn leben", so äußerte er bei einem Besuch in Paris 1943 zu einem Angehörigen des Stülpnagelkreises, „er und seine Partei müssen bis zum Ende die Verantwortung für das verhängnisvolle Schicksal tragen, das sie dem deutschen Volk bereitet haben, nur so läßt sich die nationalsozialistische Ideologie ausrotten." Man hat aus Wendungen gegen Goerdeler, die Moltke noch im Gefängnis wiederholte, schließen wollen, daß gerade der geistig hochstehende Kreis der Hitlergegner mit dem 20. Juli nichts zu tun hatte. Aber wenn dies vielleicht bei Moltke selbst, der schon Anfang 1944 verhaftet wurde und daher gar nicht mehr mithandeln konnte, zutrifft, so ist die Beteiligung der übrigen Kreisauer, und zwar vor allem der Sozialisten an der Vorbereitung der Tat evident, und Freisler, der furchtbare Vorsitzende des Volksgerichtshofs, hatte gar nicht so unrecht, wenn er behauptete, daß der wahre Motor des 20. Juli weniger in Goerdeler, als in diesen jungen Männern steckte. Und evident ist auch, daß schließlich zwar keine Gleichschaltung der Meinungen, wohl aber eine weitgehende Übereinstimmung von rechts und links erzielt worden ist. Jakob Kaiser versichert sogar, daß Goerdeler unter dem Einfluß des Arbeiterflügels demokratische und soziale Einsichten gewonnen habe und in der Endphase von der Notwendigkeit einer künftigen demokratischen und radikalen Ordnung überzeugt gewesen sei. Jedenfalls, das bezeugen alle Quellen, war man sich einig nicht nur in dem negativen Ziel der Liquidierung von Nazismus und Krieg, sondern auch in der positiven Forderung der Errichtung eines freiheitlichen Rechtsstaaats auf christlicher und demokratischer Grundlage. Sie tritt uns ebenso deutlich in den Plänen und Briefen Goerdelers wie in den Reichsreformvorschlägen aus dem Kreise um Popitz, Jessen und Schulenburg, wie in den Vorschlägen Wirmers zur Neuordnung der Justiz wie endlich in den in Kreisau ausgearbeiteten staatsrechtlichen und sozialpolitischen Grundlagen für ein föderatives Deutschland und Europa entgegen.

Es sei in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, daß ein Widerstreit auf Grund der verschiedenen Orientierung nach Westen oder nach Osten — zu den Verfechtern der letzten sollen angeblich Stauffenberg und Trott zu Solz gehört haben — nicht nachzuweisen ist. Es kann kein Zweifel sein, daß die Verschwörer des 20. Juli den politischen Ideen des Westens näher standen, als dem Bolschewismus, den sie ebenso ablehnten wie den Nationalsozialismus. Manche mögen in ihren außen-politischen Überlegungen wohl die kühle, ja ablehnende Haltung der Westmächte gegenüber eigenen Sondierungen und demgegenüber die russische Gründung eines Nationalkomites Freies Deutschland bedacht haben, deshalb aber sich dem Osten in die Arme zu werfen, waren sie kaum geneigt. Und Stauffenberg, dessen geistige Beeinflussung durch das Christentum und die Ideale des Georgekreises bezeugt ist, war gewiß kein Nationalbolschewik. Nur zögernd hat man sich daher auch noch in letzter Stunde bereit gefunden, Fühler zu den Kommunisten auszustrekken, um auch sie in die Einheitsfront des Widerstandes einzureihen, ein Versuch, der durch den Verrat eines in die kommunistischen Zellen ein-geschmuggelten Gestapospitzels zur Verhaftung der von beiden Seiten Beteiligten führte. Von der vielleicht nicht einmal eigentlich kommunistischen, aber jedenfalls nach Rußland orientierten Widerstandsorganisation im Luftfahrtministerium um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack haben Beck, Goerdeler, Hassell usw. erst etwas erfahren, als diese Aktion, im August 1942 entdeckt, in einer großen Zahl von Blut-urteilen zerschlagen wurde. Während von dieser Seite übrigens entschlossen auch Sabotage getrieben und den Kriegsgegnern geheime Nachrichten zugeleitet wurden, hat der eigentliche Kreis der Männer des 20. Juli daran nicht im entferntesten gedacht. Am weitesten ist der am 20. Juli selbst nicht beteiligte Oster gegangen, indem er vor den Angriffen auf Norwegen und Holland im Frühjahr 1940 diesen bis dahin neutralen Ländern Warnungen zugehen ließ.

Gründe des Mißerfolges Woran ist nun aber die deutsche Resistance gescheitert, mußte sie vielleicht scheitern, hattte sie überhaupt Aussicht auf Erfolg? Daß sie scheiterte, daran hatte einmal sicherlich der Zufall, die von Hitler gepriesene Vorsehung, die ihn immer wieder den Attentaten entgehen ließ, einen gewichtigten Anteil. Es läßt sich dann wohl auch sagen, daß die führenden Männer der Aufgabe, zu der sie ihr Gewissen trieb, nicht in jeder Beziehung gewachsen waren, daß keiner von ihnen das Format eines wirklichen Revolutionärs besaß. „Wenn man", so hat Ende April 1944 Ernst Jünger in seinem Pariser Tagebuch notiert, „Stülpnagel, Popitz und Jessen kennt, dazu noch Schulenburg und Hofacker, dann hat man ein Bild der Fronde im totalen Staat. Man sieht dann auch, daß die moralische Substanz zum Zuge drängt, nicht die politische." Den General Beck hat Friedrich Meinecke, der ihn während des Krieges kennenlernte, als einer jener wenigen Offiziere bezeichnet, die als die echten Erben Scharnhorsts gelten können, nicht nur als straffe und energische Soldaten, sondern auch als hochgebildete, weitblickende Patrioten. Einhellig ist das Urteil über seine vornehme Gesinnung und seine bedeutenden Fähigkeiten, aber er war doch wohl zu sehr Theoretiker, ein Mann des Studierzimmers, ein Clausewitz ohne einen Schuß Blücher oder Yorck, wie Hassell vielleicht übertreibend geurteilt hat, und es kann nicht bestritten werden, daß er in den entscheidenden Stunden am 20. Juli versagt hat. Wenn bei ihm nach der Meinung von Popitz viel Taktik, weniger Wille dominierte, so besaß umgekehrt Goerdeler viel Willen, aber keine Taktik. Er war überaus aktiv, aber er war dabei stets zu optimistisch, voll von Illusionen, allzu geneigt zum Vereinfachen der Probleme, im Grunde aber mehr Verwaltungsmann als Politiker, außen-politisch trotz vielseitiger Auslandskenntnis ohne sicheres Augenmaß. Ein feinerer und klarerer Geist war Popitz, aber auch er weist professorale und zugleich bürokratische Züge auf, er neigte im übrigen im Gegensatz zu Goerdeler einer autoritären Führung zu. Von den Jüngeren widerstrebte der wohl reichste Geist, Helmuth Moltke, wie wir sahen, einer Tat.

Es war die Frage, ob diese Menschen, nach einem Wort Jüngers, die letzten Ausläufer, die der deutsche Idealismus in diese Wüste getrieben hat, jemals fähig sein konnten, mit der diabolischen Kraft eines Hitlers fertig zu werden. Man hat im Hinblick darauf gemeint, daß es bei nüchterner Überlegung überhaupt nur eine wirkliche Chance gab, daß nämlich die Erhebung aus den Kreisen der Partei und der SS selbst emporwuchs. Nun hat es innerhalb der Verschwörung selbst ehemalige Nationalsozialisten gegeben, wie den Grafen Helldorf und den Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt Nebe, und von Popitz und Himmler zu spinnen, um — nach einem in anderem Zusammenhänge gebrauchten Bilde Jüngers — den Haifisch durch den Kraken oder den Teufel durch Beelzebub zu packen. Aber wie Helldorf und Nebe doch nur am Rande wirken konnten, wenn die ganze Bewegung vor der Welt nicht diskreditiert und um ihr Ziel, das Vorhandensein eines anderen Deutschland zu beweisen, gebracht werden sollte, so hätte vollends die Opposition ihre moralische Bedeutung gerade in der auch von ihr in jenen letzten Jahren als unabwendbar erkannten Niederlage eingebüßt, wenn sie im Gefolge eines Putsches der SS zum Zuge gekommen wäre.

Anders hätten sich die Dinge schon entwickeln können, wenn dieMacht-und Waffenträger außerhalb der Partei, die Heerführer also, sich zum Einschreiten gegen dies auch von ihnen meist verurteilte System von Macht-rausch und Gewalt hätten entschließen können. Hier liegt sicher ein wichtiger Faktor für den Fehlschlag. Sie beriefen sich auf Eid und vaterländische Pflicht, wohl auch darauf, daß die von der Unfehlbarkeit des Führers überzeugte Truppe ihnen nicht folgen werde, und beides war gewiß nicht nur eine Ausrede. Brauchitsch und Halder, Kluge und Man-stein machten dann auch ihr Verhalten von Zusicherungen des Auslandes hinsichtlich eines ehrenhaften und erträglichen Friedens abhängig. Und auch hierin darf man einen Grund für das Scheitern sehen. Es hat keineswegs an der Unterrichtung der kriegführenden Mächte über das Bestehen und die Absichten der Verschwörung gefehlt. Goerdeler hat sich ebenso darum bemüht wie Hassell und Trott zu Solz, über den Vatikan, über die Schweiz und über Schweden sind mannigfache Berichte, Hinweise und Mahnungen nach London und New York gegangen, aber wenn vor Kriegsausbruch das Paktieren der Staatsmänner des Westen mit Hitler den deutschen Widerstand beeinträchtigen mußte, so haben ihm während des Krieges zunächst kühle Zurückhaltung und schließlich die Casablanca-Erklärung Roosevelts und Churchills vom Januar 1943 über die bedingungslose Übergabe, die jede Verhandlung auch mit einer Regierung des anderen Deutschland ausschloß, die Waffen, mit denen im Innern der Katastrophenpolitik Hitlers entgegengespielt werden konnte, aus der Hand geschlagen. Für die Verschwörer selbst mußte damit der Entschluß zur Tat schwerer werden: es kann kein Zweifel sein, daß sie zu ihr schritten in der vollen Erkenntnis, daß bei einem Erfolg auch sie die Kapitulation nicht vermeiden konnten, in der Hoffnung nur, daß ihr moralisches Gewicht der Nation in dem militärisch-politischen Zusammenbruch wenigstens von einigem Nutzen sein werde.

Fehlende Bereitschaft bei der Wehrmacht wie im Volke Alle diese Momente haben ein-und mitgewirkt, entscheidend für die Ohnmacht der deutschen Widerstandsbewegung ist freilich etwas anderes gewesen, nämlich daß, wie einer der Beteiligten scharf formuliert hat, „sie weder bei der Wehrmacht noch im Volke die Bereitschaft und Gefolgschaft gefunden hat, die erforderlich gewesen wäre, um das Schicksal Deutschlands zu wenden, als die Möglichkeit dafür noch gegeben war, daß der Widerstand die Angelegenheit einer Minderheit blieb, die zu klein war, um sich durchzusetzen." Man darf sich in der Beziehung keinen Illusionen hingeben, es ist so, daß es bis zum bitteren Ende in unserem Volke nicht nur einen erheblichen Bestandteil überzeugter, ja begeisterter Nationalsozialisten gegeben hat, die entschlossen waren, jeder Auflehnung entgegenzutreten, sondern daß auch die große Masse der Nationalsozialisten an die Propaganda von der Genialität des Führers, von den nationalen Zielen der Partei und von der Gewißheit des Sieges glaubte, daß sie sich immer wieder gewinnen ließ und sich zu loyalem Gehorsam schon aus vaterländischer Gesinnung verpflichtet glaubte. Erstaunlich ist die faszinierende Wirkung, die von der Persönlichkeit des Diktators auch noch in einer Zeit ausging, in der bei vernünftiger Betrachtung der Lage an seinem Untergang eigentlich nicht mehr gezweifelt werden konnte. Mit Recht hat im März 1944 einer seiner entschlossensten Gegner, der Vertraute Stülpnagels, Cäsar von Hof-acker, seine Beseitigung als absolute Voraussetzung für eine Wendung damit begründet, daß, wenn man den Burschen nicht hindere, ans Mikrophon zu springen, er in jedem Falle die Massen in 5 Minuten wieder umwerfe. Es bleibt aber selbst dann durchaus fraglich, ob bei seinem Tode am 20. Juli eine Regierung der Opposition sich durchgesetzt hätte, da nicht nur die SS, sondern auch große Teile von Volk und Truppen ihren Anordnungen kaum gefolgt wären. Nur das ist freilich gewiß, daß bei der eintretenden Verwirrung der Krieg ein rascheres Ende gefunden hätte und damit manches Leid verhindert worden wäre. Darf man nun deshalb den Stab über d i e Deutschen brechen, die den Widerstand ablehnten, entweder in Unkenntnis der wahren Zusammenhänge und des Ausmaßes begangener Verbrechen oder in einem Gewissenskonflikt zwischen der Ablehnung der Parteiherrschaft und dem, was sie auf Grund geschworener Eide, angesichts auch der Ankündigungen von London und New York und der Einblicke in bolschewistische Zustände, für geboten hielten? Gewiß nicht, denn wie ungeheuer schwer war es für jeden Einzelnen, darüber eine Entscheidung zu treffen, ob man einen Eid brechen, ob man zu einem Umsturz mitten im Kriege schreiten durfte, wie ungeheuer schwer war es, vorauszusehen, welches die Folgen dieses Handelns für das eigene Volk sein würden. Die Männer der französischen Maquis, die Partisanen, die reichlich unterstützt zudem von außen gegen den fremden Eroberer sich erhoben, brauchten einen solchen Gewissenkonflikt nicht zu durchkämpfen, der auch den erbittersten Feinden Hitlers in Deutschland nicht erspart worden ist. Nirgends, so wird man sagen können, war es schwerer und gefährlicher, sich gegen das Hitlertum zu erheben, als hier, nirgends hat daher aber auch der Widerstand, wenn er aus moralischen, christlichen, freiheitlichen, aus menschheitlichen und gerade aus patriotischen Überzeugungen erwuchs, größeres Verdienst.

Sie haben die Fackel entzündet Und damit kehren wir zum Schluß nochmals zu der eingangs aufgeworfenen Frage zurück: was bedeutet der 20. Juli 1944? Kein Zweifel, daß er den Gang der Ereignisse, die Entwicklung des Krieges nicht nennenswert beeinflußt, daß er die Katastrophe Deutschlands weder beschleunigt und damit gemildert noch gar verhindert hat. Was Hitler und den Nationalsozialismus betraf, so bedeutete für sie das Ereignis, so sehr es sie inWut versetzte, zunächst eher eine Bestätigung und Festigung als eine Erschütterung. Wenn der zürn machtlosen Präsidenten der Republik von Sal herabgesunkene Mussolini, den Hitler noch am gleichen Nachmittag in die Trümmer der Explosionsstätte führte, in der Rettung seines Kumpans und Protektors ein Zeichen des Himmels sah und daraus neue Hoffnung schöpfte, so erweist die jüngst in ihrem Wortlaut bekanngewordene Rede, die Himmler am 3. August 1944 vor den Gauleitern in Posen hielt, wie befriedigt die Häupter des nationalen Terrors über die Erhebung waren, die es ihnen ermöglichte, letzten Selbständigkeitsbestrebungen in Heer und Land den Garaus zu machen und mit Galgen und Kugel wirkliche und mögliche Widersacher zu vernichten. Nichts hatte sich im Grunde durch den 20. Juli geändert, es war damit nur endgültig die Fortführung des totalen Krieges bis zum bitteren Ende gesichert, wobei zusätzlich zu den damit verbundenen furchtbaren Verlusten an Menschen und Gut die Austilgung einer Elite von Persönlichkeiten durch die nun in vollen Gang gesetzte Unterdrückungsmaschine kam.

Und doch ging man völlig in die Irre, wenn man jenem Höhe-und Endpunkt des deutschen Widerstandes gegen Hitler gar keine oder nur eine negative Wirkung zuerkennen wollte. Vor seiner Hinrichtung hat einer der Beteiligten geäußert, daß es nicht auf das Erreichen des Ziels, sondern allein darauf ankomme, daß man den richtigen Weg gegangen sei. Das war wohl im Hinblick auf den persönlichen Entschluß des Einzelnen gemeint, aber der Satz hat doch viel weiterreichende Bedeutung. Vielleicht hat gerade der völlige Mißerfolg den Aufstand zu einer historischen Tat gemacht, die nicht für die Gegenwart von damals, wohl aber für die Zukunft zu einer der Grundlagen für die Selbstbesinnung und den Wiederaufstieg des deutschen Volkes und für die Verständigung und Versöhnung zwischen den Völkern werden konnte und werden sollte. Wenn man aus mannigfachen Plänen, die jene Männer entwarfen, viel lernen kann, wenn viele ihrer Gedanken auch heute noch Beachtung verlangen und wenn die Fähigkeit und der Mut, mit denen sie unter schwierigsten Bedingungen die Vorbereitungen trafen, Bewunderung erwecken, so ist das doch nicht das Entscheidende: wer die komplizierte Vorgeschichte des Zusammenfindens, der inneren Auseinandersetzungen, der verschiedenen Anläufe, des Wechsels zwischen Enthusiasmus und Resignation zu klären sucht und wer endlich den Verlauf des schließlich doch unternommenen großen Vorstoßes verfolgt, der stößt andererseits ja gewiß auf menschliche Schwächen und sachliche Fehler, auf Irrwege und Versagen, und er wird das Bekenntnis des zu den klarsten und konsequentesten Köpfen der Verschwörung gehörenden Grafen Fritz Schulenburg bestätigt finden, daß das, was man tat, unzulänglich war. Und doch war Schulenburgs Zuversicht, daß das Gericht der Geschichte sie freisprechen werde, war seines Freundes Yorck Hoffnung auf eine Zeit, wo man nicht als Lump, sondern als Patriot und als Mahnender gewürdigt würde, berechtigt. Und dieser Freispruch, diese Anerkennung erfolgt weniger wegen ihres Handelns an sich, das zur Kritik herausfordert, sondern wegen der Motive, die gewiß nicht alle, wohl aber die meisten zu einer ihrem Wesen und ihrer Tradition'wahrhaftig nicht gemäßen Tat trieben. Sie mochten sicherlich auch hoffen, das schlimmste Verhängnis von ihrem Volk und Vaterland, an dem sie in reinem Patriotismus hingen, noch abzuwenden, sie dachten auch an sich und an ihre Zukunft, aber sie wollten zugleich der ganzen Welt zeigen, daß das deutsche Volk nicht so schlecht war, wie es schien, daß es in ihm Kräfte gab, die — nach Sätzen in einem der letzten Briefe des Grafen Moltke aus dem Gefängnis — bereit waren, alles einzusetzen, um den Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, diesen bösen Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Excesse, Rassenverfolgungen, Glaubenslosigkeit, Materialismus zu bekämpfen und zu überwinden. Daß sich in diesem Kampf Menschen der verschiedensten Herkunft und Anschauung, hohe Beamte und junge Offiziere, Aristokraten und Arbeiter, Traditionalisten und Sozialisten zusammenfanden und alles Trennende zurückstellten, mußte die moralische Wirkung dieses entschlossenen Protestes in die Zukunft tragen. Es war in der Tat weder ein militärisches Pronunciamiento noch eine bürgerliche oder sozialistische Klassenangelegenheit, es war gewiß auch keine wirklich umfassende Volkserhebung, es war vielmehr bei allem Mitwirken menschlicher Begierden und Befürchtungen in erster Linie eine sittliche Empörung gegen Unrecht und Unmenschlichkeit, getragen von Menschen, die sich immerhin als die Vertreter ihres Volkes in allen seinen Schichten fühlen konnten.

Das jüngsterschienene Buch über den deutschen Widerstand, in dem Annedore Leber in 64 Lebensbildern dieser Empörung ein ergreifendes Denkmal gesetzt hat, trägt den Titel: Das Gewissen steht auf. Man kann das, was am 20. Juli geschah, nicht besser bezeichnen. Wenn man da die Köpfe und Gestalten Leuschners und Lebers, Schulenburgs und Haeftens, Moltkes und Yorcks vor sich sieht, wie sie dem tobenden Freisler oder dem vernichtenden Urteilsspruch die Stirne bieten, packt einen wahrhaftig das Gefühl, daß hier das Gewissen aufgestanden ist, das gute Gewissen, das diesen Männern auch angesichts des schmachvollen Todes einen Ausdruck innerer Überlegenheit und sicherer Zukunftshoffnung gibt. Sie strebten ein besseres Deutschland, ein neues Europa, eine Welt der Gerechtigkeit, der Humanität, des Friedens an, sie sahen wohl auch, wie etwa Yorck, in dem Weg, den sie gingen, ein Sühneopfer, dargebracht, um die Gottesferne unserer Zeit zu verringern. Haben sie nicht zum mindesten für das deutsche Volk die Fackel entzündet, die dann andere weitertragen konnten und sollten? Darin liegt aber doch wohl etwas, was jener Tat des 20. Juli 1944 den Rang eines großen historischen Ereignisses verleiht.

Anmerkung:

Braubach, Max, Dr. phil. o. UProf. an der Universität Bonn, Lehrgebiet: Neuere Geschichte. Geb. 10. 4. 1899 in Metz.

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