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Änderung der amerikanischen Außenpolitik | APuZ 37/1954 | bpb.de

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APuZ 37/1954 Die Ost-West-Spannung in der Weltpolitik Änderung der amerikanischen Außenpolitik

Änderung der amerikanischen Außenpolitik

James Reston

Unter dieser Überschrift veröffentlichte James Reston in der NEW YORK TIMES, Ausgabe 20. 8. 1954, einen Artikel, der mit Genehmigung der Redaktion nachstehend im Wortlaut wiedergegeben wird: „Die Vereinigten Staaten unterziehen gegenwärtig ihre Politik einer Veränderung, die viel rapider ist, als er der amerikanischen Bevölkerung und dem Ausland zum Bewußtsein kommt. Innerhalb der letzten Wochen hat sich folgendes ereignet:

1. Der Nationale Sicherheitsrat, das die Politik der Regierung bestimmende Gremium, hat die allmähliche Zurückziehung von vier USA-Divisionen aus Südkorea gebilligt. Das bedeutet die Zurückziehung von insgesamt 6 amerikanischen Divisionen aus der Halbinsel seit dem Abschluß des koreanischen Waffenstillstandsabkommens.

2. Der Rat hat zumindest für den gegenwärtigen Zeitpunkt jede Garantie für Formosa, den Sitz der Regierung Tschiang Kai-schek, abgelehnt.

3. Der Wirtschaftskrieg gegen den kommunistischen Teil der Welt mit Ausnahme Rot-chinas ist durch eine wesentliche Kürzung der Liste der strategischen Güter, deren Ausfuhr nach den Ostblockländern untersagt ist, gemildert worden.

4. Die USA -Regierung hat Frankreichs Wunsch, in den Kampf um Dien Bien Phu mit amerikanischen Streitkräften einzugreifen, nicht entsprochen und einer Teilung Vietnams zugestimmt, durch die mehr als 12 Millionen Menschen unter die Herrschaft des Kommunismus gekommen sind.

5. Präsident Eisenhower hat sich entschieden gegen die Wortführer eines antikommunistischen Präventivkrieges oder einer Zurückziehung aus den Vereinten Nationen und einer Lockerung der Beziehungen zu Amerikas Alliierten ausgesprochen.

Dies bedeutet allerdings nicht, daß Washington zu einer Politik der Bildung einer „Festung Amerika“ umschwenkt. Aus den angeführten Tatsachen geht jedoch hervor, daß man die Umgruppierung der amerikanischen Streitkräfte in sorgfältig zusammengesetzte strategische Reserven fortsetzt.

Präsident Eisenhower wies darauf hin, daß dies seine Politik im vergangenen Dezember war, als er die Zurückziehung der ersten beiden Divisionen aus Korea ankündigte. Nach einer Unterbrechung durch die Indochina-Kriege wird diese Politik gegenwärtig wesentlich schneller in die Tat umgesetzt, als man seinerzeit vorausgesehen hatte.

Verstärkte Bedeutung erhält jetzt die Verteidigung der Inselkette: Japan, Okinawa, Formosa und Philippinen. Mindestens eine der Divisionen wird nach Hawai zurückverlegt werden und eine andere wahrscheinlich nach Okinawa. Die Streitkräfte der Republik Korea sollen stärker bewaffnet werden. Japan, das amerikanischen Regierungskreisen in wachsendem Maße Kopfzerbrechen bereitet, soll mit amerikanischer Hilfe in die Lage versetzt werden, sich selbst zu verteidigen. Die Ausbildung und die Stationierung der amerikanischen Luftstreitkräfte werden einer Überprüfung unterzogen.

Selbstverständlich bleibt die Politik der letzten Jahre in ihren Grundzügen unverändert: Offener kommunistischer Aggression wird mit Gewalt, jedoch nicht notwendigerweise am Ort dieser Aggression begegnet werden. Die Vergeltung für jede kriegerische Handlung der Kommunisten wird schnell erfolgen, wie der Abschuß von zwei rotchinesischen Flugzeugen vor Hainan demonstrieren sollte.

Die zahlenmäßig begrenzten Landstreitkräfte der Vereinigten Staaten werden jedoch nicht in der Nähe der kommunistischen Streitkräfte auf dem asiatischen Festland massiert werden, wo sie durch einen kommunistischen Großangriff vernichtet werden könnten. Um ihre Beweglichkeit zu erhöhen, werden sie zurückverlegt und neu ausgebildet werden; sie werden bereitgehalten, um gegebenenfalls jede der ständig wachsenden politischen Verpflichtungen der Vereinigten Staaten einzulösen.

Die „Fähigkeit zu massiven Vergeltungsmaßnahmen", wie Außenminister Dulles es nannte, wird nicht nur erhalten, sondern verstärkt werden. Man ist sich jedoch hier neuerdings darüber klar geworden, daß neue Mittel und Wege gefunden werden müssen, um der Gefahr kommunistischer Subversion und örtlich begrenzter Kriege wie beispielsweise in Indochina begegnen zu können und darüber hinaus die Fähigkeit zu bewahren, ein Land durch strategische Luftangriffe zu lähmen.

Deshalb wird hier, ohne daß an eine Schwächung der strategischen Luftstreitkräfte gedacht ist, mehr und mehr vom Ausbau kleinerer und beweglicherer Landeinheiten gesprochen, die mit der Taktik von Kommandounternehmen vertraut sind.

Nach all dem Gerede von einem auf Vergeltung mit Atomwaffen beruhenden militärischen „new look" gewinnen ironischerweise die „Fußsoldaten“ im Pentagon mit ihrer Ansicht an Boden, daß die notwendige Ergänzung zur „Fähigkeit einer massiven Vergeltung“ der militärische „old look“ sei, der auch mit begrenzten Kriegen fertig werden könne.

Es ist bemerkenswert, daß seit Dien Bien Phu nur sehr wenige kriegerische Äußerungen aus dem Pentagon kemmen. Man hört kaum noch etwas von einer „Befreiung“ der Satellitenstaaten, und Angehörige des State Departments sollen in dieser Woche sogar wieder auf die “ Politik der Eindämmung“ verwiesen haben.

Der veränderte Ton, die neue Betonung der wirtschaftlichen Hilfe und die Politik der Zurückziehung der Truppen auf strategische Reservestellungen werden allgemein dem Präsidenten zugeschrieben. Er hat der gesamten Regierung bekanntgegeben, daß er sich jeder Aggression widersetzen werde, aber er ist gegen Abenteuer und Provokation.

Wie bei der Kontroverse über die Zweckmäßigkeit „den Yalu zu überschreiten“ war die Diskussion innerhalb der Regierung sehr lebhaft, doch trugen die vom Präsidenten angeführten gemäßigten Elemente den Sieg davon.

Anmerkung Ministerialrat Dr. Bernhard Wegmann, geboren 18. 7. 1902 in Bad Neustadt a. d. Saale, Unterfranken. Studium der Staatswissenschaften in Würzburg und Wien. 1929— 1933: Wissenschaftlicher Hilfsreferent im Statistischen Reichsamt (Referat: Internationaler Finanzvergleich). 1934— 1945 Referent bzw. Abteilungsleiter in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der I. G. Farbenindustrie, Berlin I, ab 1940 in Wien (Südosteuropa, Rußland, Ostasien, zeitweise British Commonwealth). Zwischen 1943 und 1945 ausgeliehen an Deutsche Handelskammer in Kroatien als Hauptgeschäftsführer. 1945— 1949 im Dienste des bayerischen Wirtschaftsministeriums (ab 1947 als Regierungsdirektor), zeitweise im Dienste des Länderrates in Stuttgart. 1949 Hauptreferent für den Marshallplan im Länderrat der Doppelzone, Frankfurt, als Ministerialrat. Ab 1950 im gleichen Rang als Sekretär der Ausschüsse des Bundesrates für Auswärtige Angelegenheiten und Gesamtdeutsche Fragen, Bonn, Bundeshaus. Die hier vorliegende Veröffentlichung . Die Ost-West-Spannung in der Weltpolitik" ist, weitgehend identisch, auch in den von der Bundeszentrale für Heimatdienst für die Hand des Lesers herausgegebenen INFORMATIONEN ZUR POLITISCHEN BILDUNG (Septemberfolge), erschienen.

Fussnoten

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