Im folgenden veröffentlichen wir den Wortlaut einer Rede, die der Vorsitzende der US-Atomenergiekommission, Lewis L. Strauss, am 5. August 1954 vor der Jahresversammlung des Amerikanischen Kriegsveteranenverbandes in Philadelphia gehalten hat „Idi empfinde die Einladung als große Ehre, hier vor den Mitgliedern dieses Kriegsteilnehmerverband. es zu sprechen, die einzeln und in der Gemeinschaft ihrem Vaterland so hervorragende Dienste geleistet haben. Die US-Regierung setzt ihr besonderes Vertrauen in jene Amerikaner, die ihrem Lande in Kriegszeiten gedient haben. Sie haben jedes Recht, stolz auf ihre Leistungen als Verteidiger und Hüter unseres freiheitlichen Erbes zu sein. Ich erachte es als eine besondere Auszeichnung, Ihnen hier meinen Gruß entbieten zu dürfen.
Vermutlich haben Sie mich eingeladen, vor Ihnen zu sprechen, weil Sie wünschen, daß ich zu der in der Öffentlichkeit jüngst stark beachteten Handhabung der Sicherheitsvorschriften der Atomenergiekommission und der langen Senatsdebatte über einige der geplanten Abänderungen des Atomenergiegesetzes vom vergangenen Monat Stellung nehme. Da diese Dinge aber im wesentlichen schon der Vergangenheit angehören und inzwischen andere Themen von größerer Tragweite und stärkerem Tagesinteresse im Vordergrund stehen, werde ich mich, mit Ihrem Einverständnis heute abend mit den letztgenannten Fragen befassen.
Wie Sie sicher wissen, sieht die gegenwärtig dem Vermittlungsausschuß unterbreitete Vorlage zum Atomerergiegesetz gewisse entscheidende Änderungen des ursprünglichen Gesetzes von 1946 vor, auf Grund dessen die Atomenergiekommission eingesetzt wurde und das als Richtschnur für deren Arbeit galt. Es kommt mir nicht zu, diese Änderungen zu einem Zeitpunkt zu erörtern, an dem sie noch dem Kongreß zur Beratung vorliegen. Glücklicherweise herrschen bezüglich der in der Änderungsvorlage enthaltenen . Erklärung über die einzuschlagende Politik* keinerlei Meinungsverschiedenheiten. Der Gesetzentwurf beginnt zunächst einmal mit einer Erklärung der künftigen Politik der Vereinigten Staaten: a) Entwicklung, Verwendung und Kontrolle der Atomenergie sollen darauf gerichtet sein, den größtmöglichen Beitrag zum allgemeinen Wohl zu leisten, jederzeit dem obersten Ziel untergeordnet, einem maximalen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung und Sicherheit zu leisten; und b) Entwicklung, Verwendung und Kontrolle der Atomenergie sollen darauf gerichtet sein, den Weltfrieden zu fördern, der Allgemeinheit zu dienen, den Lebensstandard zu heben und den freien Wettbewerb der privaten Wirtschaft zu stärken'.
Diese Erklärung ist eine Bekräftigung der vom Kongreß im ursprünglichen Atomenergiegesetz ausgesprochenen politischen Zielsetzung. Die Ziele unserer Politik bleiben demnach die gleichen. In beiden Fassungen des Gesetzes wird das erstgenannte Ziel — Gewährleistung der gemeinsamen Verteidigung und Sicherheit — ausdrücklich als vordringlich bezeichnet. Das zweite Ziel des Gesetzes in der neuen Fassung aber ist die Sicherung des Weltfriedens, die in der ursprünglichen Fassung erst an letzte/Stelle aufgeführt worden war. Wie Sie sehen, besteht der Unterschied nur in einer Akzentverschiebung, nicht in einer Änderung der Grundgedanken.
Ich möchte Ihnen hier kurz schildern, was die Kommission in den rund acht Jahren ihres Bestehens, und insbesondere im vergangenen Jahr, geleistet hat. Ich werde versuchen, dieses Referat auf die einzelnen Punkte der genannten Erklärung über die politischen Grundgesetze abzustellen. Als Steuerzahler wollen Sie selbstverständlich in erster Linie wissen, ob die erzielten Erfolge in einem vernünftigen Verhältnis zu den dafür aufgewandten gewaltigen Summen stehen; ich werde deshalb zunächst auf die finanzielle Seite dieser Angelegenheit eingehen, damit Sie eine Vorstellung von dem LImfang unserer Atomforschungsprojekte gewinnen können.
Der Entwicklung von Atomwaffen wurde natürlich die höchste Dringlichkeitsstufe eingeräumt, und für sie wurden die größten Beträge aufgewandt. Erfindung, Entwicklung, Herstellung und Verwendung von Waffen sind einem so raschen Wandel unterworfen, daß die bestehenden Anlagen bereits vor dem kommunistischen Überfall auf die Republik Korea im Jahre 1950 dreimal erweitert werden mußten. Seitdem wurde unser Bauprogramm noch wesentlich erweitert. Durch die Geldbewilligungen vom Jahre 1952 waren die größten Aufwendungen für die Errichtung neuer Anlagen ermöglicht worden, und die Arbeiten gingen so rasch voran, daß einige der großen neuen Werke bereits den Betrieb aufnehmen konnten. Wir geben gegenwärtig monatlich rund 115 Millionen Dollar allein für Bauvorhaben aus, und die Betriebskosten übersteigen eine Milliarde Dollar im Jahr.
Wenn unser gegenwärtiges Konstruktionsprogramm abgeschlossen ist, wird sich der vom amerikanischen Volk für den Bau von Atom-werken aufgebrachte Betrag auf rund 8. 5 Milliarden Dollar belaufen. Wir verfügen über umfangreiche indrstrielle Anlagen, die, gemessen am heutigen Kaufwert des Geldes, wahrscheinlich schon mehr wert sind, als sie ursprünglich gekostet haben. Die wichtigsten dort gewonnenen Produkte, d. h. also das spaltbare Material für Atomwaffen, kann auch zur Energieerzeugung nutzt werden. Und dies wird geschehen, wenn die Lage — die weltpolitische Lage — dies erlaubt.
Das spaltbare Material ist praktisch unbegrenzt haltbar. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, kann man sagen, daß mit den aufgewandten Milliarden für den Bau von Betriebsanlagen und zur Vorratsbildung an Uran, Plutonium und anderen Materialien eine gewaltige Reserve angelegt wurde, die sich letztlich irgendwann einmal durch die Erzeugung nutzbringender elektrischer Energie bezahlt, ja wahrscheinlich mehr als bezahlt machen wird.
Im Anschluß an die finanzielle Übersicht, die ich Ihnen hier gegeben habe, möchte ich Ihnen einiges über unser Atomwaffenprogramm berichten. Gerade dieses Programm ist dazu bestimmt, den genannten maximalen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung und Sicherheit zu leisten, die „das oberste Ziel“ unseres Atomforschungsprogramms darstellt.
Seit dem ersten Atombombenversuch im Jahre 1945 in Texas sind mehr als 40 weitere Atombombenteste unternommen worden. Es gelang, eine ganze Reihe von Atomwaffen-Typen her-zustellen. Sie wurden den Erfordernissen aller Waffengattungen angepaßt und eignen sich für die Land-, See-und Luftkriegsführung. Unsere Vorräte wachsen ständig. Die zerstörende Gewalt der neuesten Atombomben beträgt gegenüber der ersten derartigen Bombe mehr als das Fünfundzwanzigfache. Dodt selbst die modernste Atombombe ist geradezu ein Zwerg gegenüber jener Waffe, die allgemein als thermonukleare „Super“ -oder auch Wasserstoffbombe bekannt ist.
Können Sie sich die zerstörende Kraft der uns heute zur Verfügung stehenden thermonuklearen Waffen vorstellen? Ich für meinen Teil habe dabei Schwierigkeiten. Um halbwegs eine Vorstellung davon zu gewinnen, rufe ich mir immer ins Gedächtnis zurück, was sich im Jahre 1917 im Hafen von Halifax bei der Explosion des Munitionsdampfers Mont Blanc ereignete. Die Mont Blanc hatte , nur‘ etwas mehr als 2500 t Munition für herkömmliche Waffen geladen — Sprengstoffe also aus der Zeit des ersten Weltkrieges — und dennoch belief sich die Zahl der Toten und Verletzten auf über 10 000, und die Sachschäden in Halifax waren ungeheuer. Nun nehmen Sie einmal zehn solcher Schiffe, die alle mit dem heute üblichen Sprengstoff TNT beladen sind: das etwa ist die Größenordnung der Explosionsgewalt einer Atombombe aus den ersten Jahren ihrer Herstellung. Wenn Sie sich eine ganze Flotte solcher mit TNT beladenen Schiffe vorstellen, die, in Kiellinie fahrend, über zwanzig Meilen lang ist, dann haben Sie eine ungefähre Ahnung von der zerstörenden Gewalt einer Wasserstoffbombe von nur einer Megatonne, das ist das Äquivalent von einer Million Tonnen TNT. Und eine Megatonne ist natürlich nicht die oberste Grenze für die in unserem Besitz befindlichen furchterregenden Waffen.
Präsident Eisenhower hat in seiner großen Rede vor den Vereinten Nationen darauf verwiesen, daß „die zerstörende Wirkung der Atomwaffen, über die die Vereinigten Staaten heute bereits verfügen und deren Zahl natürlich täglich zunimmt, um ein Vielfaches die Wirkung aller Bomben und Granaten übertrifft, die auf sämtlichen Kriegsschauplätzen des zweiten Weltkrieges zusammen abgeworfen bezw. abgefeuert wurden“.
Einige der besten unserer Bürger haben ihren Unwillen darüber geäußert, daß es gerade unser Land ist, welches sich im Besitze von Waffen mit derartigen zerstörerischen Gewalten befindet. Dieser Unwille ist ein Zeichen ihrer Anständigkeit und kann nur in einem freien Lande frei dargelegt werden. Niemand, der die Möglichkeiten der Atomwaffen genau kennt, wird sie ohne innere Vorbehalte betrachten. Wer jedoch solche Bedenken hegt, sollte sich einmal die Lage vor Augen führen, in der wir wären, wenn diese Atomwaffen sich in den Arsenalen der Sowjetunion und nicht der Vereinigten Staaten befänden. Es war niemand geringerer als Premierminister Sir Winston Churchill, der erklärte, daß die Überlegenheit der USA auf dem Gebiete der Atomwaffen in den neun Jahren nach der Beendigung des zweiten Weltkrieges zu den Faktoren gehört habe, die den Ausbruch eines neuen Krieges verhindern halfen. Was mich betrifft, so wünsche ich nichts sehnlicher, als daß wir auch in Zukunft eine Überlegenheit auf dem Gebiete der Atomwaffen und ihrer Anwendung haben mögen, und daß diese so lange ein aufschiebbarer Faktor bleibe, bis sich alle Nationen auf eine Formel für eine praktisch durchführbare internationale Kontrolle für Waffen aller Art geeinigt haben.
Dienst an der Allgemeinheit
Die Regierung der Vereinigten Staaten verfolgt im Hinblick auf die Atomenergie zwei Ziele: sie will der Allgemeinheit dienen und den allgemeinen Lebensstandard heben. Im allgemeinen gesehen, sind diese zwei Ziele einander ähnlich und können hier als eines behandelt werden. Obwohl noch nicht einmal zwölf Jahre vergangen sind, seitdem man sich zum ersten Male die Atomkraft mit Hilfe von Reaktoren zunutze machen konnte, haben wir riesige Fortschritte in Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft, Chemie, Metallurgie, Biologie, Medizin und auf anderen wissenschaftlichen und technisch-industriellen Gebieten gemacht. Darüber hinaus sind wir Zeuge geworden, wie sich der Horizont unseres Wissens um die grundlegenden Fakten enorm geweitet hat; und ich bin zuversichtlich, daß uns noch neue Entdeckungen bevorstehen, die genau so großartig wie die bisherigen sind und das Leben aller Menschen noch mehr bereichern werden. Wir haben den Zenit des Atomzeitalters noch nicht erreicht — wir stehen erst im Morgen-grauen einer neuen Epoche.
Die verfügbare Zeit gestattet es mir nur, mich mit den wenigen vorstehend erwähnten Gebieten zu befassen. Der Verlockung, wenigstens bei einigen auf nähere Details einzugehen, gilt es zu widerstehen. Es gibt jedoch ein Programm, welches ich besonders gern darstellen möchte und das ich Ihnen gern eingehender schildern möchte. Es handelt sich hier um ein Programm zur Bekämpfung der schlimmsten Geißel unserer Generation — des Krebses. Die Atomenergie--Kommission hat in ihrer Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet drei Wege eingeschlagen: 1. Wir verschicken radioaktive Isotope zum Selbstkostenpreis oder darunter an hunderte von Krankenhäuser, medizinische Fakultäten und Kliniken. So werden zum Beispiel in allen Kriegsversehrten-Krankenhäusern Radioisotope zur Lokalisierung von Hirntumoren und krebsartigen Geschwülsten vor Anwendung der Röntgentherapie oder einem chirurgischem Eingriff verwandt. 2. Nach Maßgabe eines Gremiums hervorragender Ärzte vergeben wir Gelder zur Förderung von Krebs-Forschungsprojekten. 3. Wir haben vier eigene Krebsforschungs-Krankenhäuser aufgebaut, deren größtes das Argonne-Krankenhaus in Chikago ist. Es wurde mit einem Kostenaufwand von 4 Millionen Dollar erstellt, eine bisher zu diesem Zwecke noch nie aufgebrachte Summe.
Um den wissenschaftlichen Fortschritt, den wir in der inneren Medizin'und Chirurgie gefördert haben, eingehend demonstrieren zu können, habe ich ein vollständiges, transportables Röntgengerät mit hierhergebracht. Es ist etwa so groß wie ein Litermaß und wiegt rund 18 Pfund. Es wurde in unserem Argonne-Laboratorium entwickelt und kann anstelle eines 100 000-VoltRöntgengerätes zu diagnostischen Zwecken benutzt werden. Dieser Apparat leistet die gleiche Arbeit wie jedes andere konventionelle Röntgen-gerät, das um ein Vielfaches größer und schwerer ist. Man benötigt zu seiner Benutzung keine fremde Energiequelle und es kann auf Verbands-plätzen, Erste-Hilfe-Stationen usw. verwandt werden. Höchstwahrscheinlich ist es auch für die Industrie von großem Nutzen.
In gleicher Weise unterstützen wir auch die Herzheilkunde und Kreislaufforschung, um neue Mittel und Wege zur Bekämpfung chronischer Krankheiten zu finden, die die Quelle vielen menschlichen Leidens sind. Es wäre unendlich segensreich, gelänge es uns, Herr über den Krebs oder eine der anderen erwähnten Krankheiten zu werden; bestimmt ließe sich ein solcher Erfolg nicht nach Geldeswert bemessen. Wir sind aber auf dem Wege zu diesen Zielen.
Die Verwertung der Atomenergie für friedliche Zwecke soll aber nicht unter Ausschluß aller übrigen Anwendungsgebiete, wo ihre Segnungen ebene notwendig wie realisierbar sind, der Medizin und der Industrie allein vorbehalten bleiben. So unterstützen wir z. B. tatkräftig Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Viehzucht sowie Versuchsprojekte zur Verbesserung von Kunstdünger und Insektenvernichtungsmitteln, zur Erhaltung der Fruchtbarkeit des Bodens und zur Steigerung der Ernteerträge.
Der Anwendungsbereich der Radioisotope in der Industrie wächst in so raschem Tempo, daß diese Entwicklung allein die Ausgabe der Milliarden Dollar, die wir bereits in die Kernforschung gesteckt haben, letztlich rechtfertigen dürfte. Beschießt man in normalem Zustand die stabilen Elemente wie Natrium, Kobalt, Kupfer und Eisen in einem Kernreaktor mit Neutronen, so sind sie danach mit unstabilen Atomen aufgeladen, die eine ganz bestimmte Strahlungsintensität besitzen. Die von diesen Atomen ausgehende Energie kann ermittelt, verfolgt und gemessen werden, wo immer sie in Erscheinung tritt. Die Kommission hat die Industrie bisher mit 150 verschiedenen Sorten dieser vielseitig verwendbaren Isotope beliefert, die jetzt in etwa 860 privaten Forschungslaboratorien benutzt werden.
Diese radioaktiven Indikatoren werden von der Industrie in zunehmendem Maße zur Kontrolle von Fertigungsprozessen benutzt, so in der Petroleumindustrie zur Kontrolle des Ölstroms in den Rohrleitungen und zur Feststellung des Abnutzungsgrades von Kolbenringen bei Motoren. In größerem Umfang benutzt man sie als Strahlenquelle für Dickenmeßlehren, zum Aufspüren von Fehlern in Gußteilen und für buchstäblich Dutzende anderer Zwecke. Dadurch wurden in der amerikanischen Industrie bereits beträchtliche Einsparungen möglich. So hat beispielsweise eine der 700 von uns belieferten Fir-men im vergangenen Jahr durch diese neuen Verfahren annähernd lOOOOO Dollar eingespart. Eine andere Firma berichtete, daß sie heute für bestimmte Testverfahren dank der Verwendung von Radioisotopen nur noch 35 000 Dollar ausgeben müsse, während die Kosten bei Anwendung der bisher üblichen Methoden 1 Million Dollar betrugen. Die Erprobung, die sich früher über zehn Jahre erstreckte, ist heute in wenigen Wochen zu bewältigen. Die Verwendung von Isotopen nimmt Monat für Monat zu. Im vergangenen Jahr sind von Oak Ridge über 12 000 Einzelsendungen an Isotopen verschickt worden.
Unter den Verwendungsmöglichkeiten der Atomenergie für friedliche Zwecke steht unmittelbar hinter dem militärischen Programm die Entwicklung eines Verfahrens zur Gewinnung von Energie aus dem Atom. Ich meine damit die Verwendung der bei der Atomspaltung entstehenden großen Hitze zur Erzeugung von Dampf, der seinerseits wiederum in Turbinengeneratoren zur Erzeugung von Elektrizität benutzt wird. Unsere ersten Erfolge auf diesem Gebiet hatten wir im Dezember 1951 zu verzeichnen, als wir bewiesen, daß die in einem Kernreaktor erzeugte Hitze ohne große Gefahr abgeleitet und zur Erzeugung elektrischen Stroms verwertet werden kann. Daraufhin wurde ein Kernreaktor anderen Typs gebaut und im Februar 1953 in Betrieb genommen. In diesen beiden Fällen war die erzeugte Energiemenge nicht so groß, daß sie kommerziell auszuwerten gewesen wäre; aber schon wenige Monate später, im Sommer vergangenen Jahres, wurde das erste große Atomkraftwerk fertiggestellt und mit seiner vollen Kapazität in Betrieb genommen. Dieser Reaktor diente als Vorbild für den jetzt in das erste mit Atomenergie betriebene U-Boot, die „Nautilus", eingebauten Kernreaktor.
Die Stärke des Atommotors der „Nautilus“ wird geheim gehalten. Es ist Ihnen jedoch sicher ohne weiteres klar, daß jedes moderne Unter-seebot, das mit der Flotte auf hoher See zusammen operieren soll, mit einer zuverlässigen und sehr leistungsfähigen Maschine ausgestattet sein muß.
Unser nächster großer Fortschritt war die Unterzeichnung eines Kontrakts mit der Duquesne Light Company, die zu den Bewerbern um den Bau und Betrieb eines Kraftwerks mit einer Kapazität von 60 000 KW gehörte. Dieses Kraftwerk soll in der Nähe von Pittsburgh errichtet werden; in die Kosten werden sich die Gesellschaft und die Atomenergie-Kommission in einer für die Regierung äußerst günstigen Weise teilen.
Die Atomenergiekommission beginnt jetzt ein umfangreiches Fünfjahresprogramm zur Erzeugung von elektrischer Energie aus dem Atom, dessen Kosten sich auf annähernd 200 Millionen Dollar belaufen. Im Rahmen dieses Programms werden fünf verschiedene Versuchs-Atomkraftwerke gebaut werden, jedes nach anderen technischen Prinzipien. Da diese Kraftwerke klein sein werden und lediglich Versuchsstationen darstellen sollen, wird keines elektrischen Strom auf kommerzieller Basis erzeugen. Selbst die eifrigsten Verfechter einer Energieversorgung mit Hilfe der Atomkraft glauben nicht, daß diese schon in unmittelbarer Zukunft an die Stelle der bisher üblichen Kraftquellen treten werde. Einige Ingenieure aus der Wirtschaft meinen, voraussagen zu können, daß bis zum Jahre 1960 — in sechs Jahren — vielleicht 10 Prozent der neuen Kraftwerke, die heute erst auf dem Zeichenbrett existieren, an Stelle der mit Kohle, Öl oder Gas geheizten Dampfkessel Spezialkernreaktoren verwenden werden. Die gleichen Fachleute erklären, bis zum Jahre 1980 würde etwa die Hälfte der neuen Kraftwerke spaltbares Material als Brennstoff benutzen. Ich persönlich glaube aber, daß diese Prophezeiungen allzu vorsichtig gehalten sind.
Stärkung des freien Wettbewerbs in der Privatwirtschaft
Ein weiteres Ziel unserer Politik zur praktischen Nutzbarmachung der Atomenergie ist die „Entwicklung, Verwendung und Kontrolle der Atomenergie, um den freien Wettbewerb in der privaten Wirtschaft zu stärken".
Dies ist eine völlig überparteiliche Feststellung, die erstmals im Jahre 1946 durch einen demokratischen Kongreß zum Gesetz erhoben und in diesem Jahr von einem republikanischen Kongreß gebilligt wurde.
Natürlich ist bereits die Frage erhoben . worden, wer die Atomwerke besitzen und betreiben soll, die innerhalb der nächsten zwei oder drei Jahrzehnte in immer größerer Zahl errichtet werden. Gegenwärtig befindet sich die ganze mit der Gewinnung der Atomenergie zusammenhängende Industrie im Besitze des Staates. Dieses Abgehen von dem in unserem Lande für Industrieunternehmen üblichen Status geschah nicht aus der Absicht heraus, unsere Institutionen irgendwie zu ändern. Es wurde für notwendig erachtet, um damals, im Jahre 1946, dem einmaligen und neuartigen Charakter der Atomenergie gerecht werden zu können. Ein weiterer Grund war, daß ihre Produkte damals fast ausschließlich in unsere Rüstungsarsenale wanderten.
Das Atomenergiegesetz vom Jahre 1946 sah ausdrücklich vor, daß das Gesetz durch Zusätze abgeändert werden solle, sobald ausreichende Erfahrungen auf diesem Gebiete vorliegen. In dieser Zeit überwiegend friedlicher Anwendung der Atomenergie diese Industrie völlig in staatlicher Regie zu belassen — was überdies einen grundlegenden Wandel im gegenseitigen Grund-verhältnis von Regierung und Statsbürger mit sich bringen würde —, könnte eine Änderung unserer Gesellschaftsstruktur bedeuten, radikaler als jede andere, die sich eventuell aus der Existenz jener technischen Novität, der Atomkraft, ergeben könnte.
In Übereinstimmung mit der von uns offiziell verfolgten Politik, „den freien Wettbewerb in der privaten Wirtschaft zu stärker", meine ich, daß die Kernenergie, sobald sie sich Wirtschaft-liehnutzen läßt, in die Energiewirtschaft unseres Volkes eingeschaltet werden sollte. Auch sollten Erzeugung und Verteilung über die vorhandenen privaten und öffentlichen Kraftwerke erfolgen, nicht über die Atomenergiekommission.
Die mit der Ausnutzung der Kernenergie verbundenen Möglichkeiten werfen auch Probleme der Kontrolle auf, die eine ungewöhnlich weitgehende Einschaltung des Bundes verlangen. Dennoch bin ich überzeugt, daß es gelingen wird, die unumgänglichen Beschränkungen und Sicherungen, die die Gesellschaft bei der Nutzbarmachung der Atomenergie fordern muß, mit der Freiheit zur Initiative seitens der Privatindustrie in Einklang zu bringen. Meiner Auffassung nach können die besonderen Probleme der Atomenergie ohne Risiko für die nationale oder persönliche Sicherheit, ohne unbillige Bevorzugung irgendeiner Gruppe und in Übereinstimmung mit den normalen Beziehungen zwischen Staat und Bürgerschaft gelöst werden.
Ich glaube, daß es durch gemeinsame Verhandlungen zwischen der Atomenergiekommission und Privatfirmen möglich sein wird, die Erteilung von Lizenzen in völlig fairer Weise zu regeln und Verträge abzuschließen, durch die die enorme Kostenlast für die künftige Forschung, Entwicklung und den Bau neuer Anlagen zum Teil von den Schultern des Steuerzahlers genommen -wird. Ich kann Ihnen versichern, daß die Atomenergiekommission, so wie sie heute besteht, und ihre Mitarbeiter in den Büros, Laboratorien und Werksanlagen in den ganzen Vereinigten Staaten bei allen Verhandlungen und Vereinbarungen mit der Privatindustrie das öffentliche Interesse in vollem Umfange wahren werden. Da ist ferner der gemeinsame Atomenergieausschuß des Kongresses — er setzt sich aus Männern zusammen, die in unserer Arbeit wohlbewandert sind und laut Gesetz darüber laufend und uneingeschränkt informiert werden müssen. Sie sind jetzt — und zweifellos auch in Zukunft — wachsame Hüter des öffentlichen Interesses. Eigentlich erübrigt es sich, Ihnen zu sagen, daß zu den Mitgliedern dieses Ausschusses auch Captain James E. Van Zandt gehört, der dreimal Vorsitzender Ihrer Organisation gewesen ist und heute als Abgeordneter von Pennsylvanien in hohem Ansehen steht.
In meinen Bemerkungen zum Thema Atomenergie habe ich mich auf die Aussichten zu ihrer weiteren Entwicklung in unserem eigenen Lande beschränkt. In vielen anderen Ländern besteht jedoch ein weit dringenderer Bedarf an zusätzlichen Energiequellen als in den USA.
Der immer größer werdende Energiehunger und der steigende Brennstoffbedarf im Transportwesen und in der Industrie stellen immer höhere Ansprüche an die Energiequellen vieler Staaten. Zu den Nationen, die noch nicht einmal die Hälfte ihres Verbrauchs an Kohle und Öl aus eigenen Quellen decken können, gehören Italien, Portugal, Griechenland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Argentinien, Algerien, Französisch-Marokko, Ceylon und Pakistan. Angesichts der potentiellen Bedeutung der Kernenergie als zusätzliche Quelle für die Energieversorgung der ganzen Welt kann der Fortschritt, der hinsichtlich der entsprechenden Entwicklungsarbeiten in den Vereinigten Staaten erzielt worden ist, sowohl für andere Nationen als auch für Amerika selbst sehr wichtig sein.
Förderung des Weltfriedens
Es war der Glaube an die Realisierbarkeit eines Abrüstungsprogramms für Atomwaffen und an deren schließliche Abschaffung, der Präsident Eisenhower im Dezember vergangenen Jahres veranlaßte, der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Schaffung einer internationalen Atombank vorzuschlagen, bei der diejenigen Nationen, die normales Uran und spaltbares Material herzustellen in der Lage sind — einschließlich der Sowjetunion —, dieses deponieren sollen. Aufgabe der von ihm vorgeschlagenen internationalen Atomenergiebehörde wäre es, diese Materialien so zu verwenden, daß die segensreichen Kräfte des Atoms allen Menschen dienstbar gemacht werden, und die Kernenergie auch den in der Energieversorgung bisher benachteiligten Gebieten zugute kommt. Ich möchte an dieser Stelle Präsident Eisenhower selbst zitieren, denn seine Worte verdienen, immer und immer wieder ins Gedächtnis zurückgerufen zu werden:
„Die Vereinigten Staaten würden hierbei mehr als eine bloße Verminderung oder Abschaffung des für militärische Zwecke verfügbaren Atom-materials herbeizuführen suchen. Es genügt nicht, daß man diese Waffe aus den Händen der Soldaten nimmt. Sie muß in die Hände derer gelegt werden, die wissen, wie man sie ihres militärischen Charakters entkleidet und sie in den Dienst des Friedens stellt. Die Vereinigten Staaten wissen, daß die furchtbarste aller zerstörerischen Kräfte, die Atomenergie, zu einer großen, dem Wohlergehen der gesamten Menschheit dienenden Gabe werden kann, wenn es gelingt, die erschreckende Tendenz eines Atomwettrüstens inS Gegenteil zu verkehren. Die Vereinigten Staaten wissen, daß es kein Zukunftstraum mehr ist, aus der Atomenergie Kräfte für friedliche Zwecke zu gewinnen. Die erwiesene Möglichkeit dazu besteht jetzt — hier — heute. Wer könnte bezweifeln, daß diese Möglichkeit einer universalen, wirksamen und wirtschaftlichen Form der Atomenergienutz'ing rasch verwirklicht würde, wenn alle Wissenschaftler und Ingenieure der ganzen Welt ausreichende Mengen spaltbaren Materials zur Verfügung hätten, um damit ihre Ideen erproben und weiterentwickeln zu können.“
Der Vorschlag des Präsidenten war einfach und klar. Die von ihm konzipierte internationale Behörde kann der Welt zeigen, daß die Atomenergie dazu verwendet werden kann, den Lebensstandard der Völker einschließlich dem des amerikanischen Volkes zu heben.
Seit Dezember vorigen Jahres hat unsere Regierung geheime diplomatische Besprechungen mit anderen Nationen geführt. Die Haltung der Sowjetunion ist nicht ermutigend; angesichts der seit 1945 andauernden vergeblichen Bemühungen, mit dieser Regierung zu einer Einigung zu gelangen, ist dies nicht überraschend. Dennoch hat Präsident Eisenhower die Hoffnung auf die schließliche Annahme seines Vorschlages nicht aufgegeben. Erst gestern hat er auf seiner Pressekonferenz seinen Entschluß wiederholt, mit oder ohne sowjetische Beteiligung auf eine Lösung des Problems zu drängen.
Gegen den düsteren Hintergrund, den die derzeitige Weltlage abgibt, möchte ich diese Bemerkungen mit einem persönlichen Glaubensbekennt, nis abschließen: Nach meiner festen Überzeugung kann es nicht die Absicht des Schöpfers sein, daß sich die Menschheit durch die Jahrtausende hindurch bis zu diesem Zeitpunkt entwickelte, nur um etwas hervorzubringen, was allein zur Zerstörung allen Lebens auf dieser Erde dienen kann.
Im Gegenteil, ich habe den festen Glauben, daß die Freimachung der im Atom enthaltenen Energie durch die Anstrengungen und den Genius des Menschen nach dem Plan der Vorsehung dazu verwendet werden soll, den Frieden auf Erden und die Freundschaft unter den Menschen zu fördern. Wäre ich nicht immer fest davon überzeugt gewesen, daß die friedliche Anwendung der Atomenergie schließlich an Stelle ihrer Verwendung zu Zwecken der Zerstörung treten werde, dann hätte ich es abgelehnt, einen Beitrag zu diesem großartigen Werk zu leisten. Ich scheide von Ihnen in der Hoffnung, daß Sie diesen Glauben an die Entfaltung unseres Schicksals teilen".