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Das Militär in der amerikanischen Demokratie | APuZ 34/1954 | bpb.de

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APuZ 34/1954 Anglo-amerikanische Politik. Eine Untersuchung Das Militär in der amerikanischen Demokratie

Das Militär in der amerikanischen Demokratie

Helmut Bohn

Man kann sich den Beginn der Geschichte nicht einfach genug vorstellen: Es gab gar keinen Staat für die Pioniere der Neuen Welt, keine Staatsgewalt und darum auch kein Militär. Es gab nichts als den entschiedenen Willen von Individuen, sich zu behaupten. Alle Aufgaben mußten persönlich oder von kleineren menschlichen Gemeinschaften bewältigt werden: Die Rodung des Landes, der Bau von Häusern, die Bestellung der Felder. Auch die Sicherung gegen Störenfriede, gegen Indianer und vagabundierende Abenteurer, war eine lokale Aufgabe. Ohne entferntere Ziele, ohne dynastische, staatspolitische, weltanschauliche oder andere Haupt-und Nebenabsichten. Es gab keinen besonderen Stand, der einen militärischen Auftrag aus Geburt und grauen Vorzeiten herleitete — und bei dessen Aktionen man nie der Ursachen sicher ist. Keineswegs wirkten bei der Lösung des Sicherheitsproblems Abstraktionen wie Pazifismus und Militarismus mit. Die Wehrverfassung der amerikanischen Siedler gründete sich wie nach einem Lehrbuch über die ersten Menschen darauf, daß jeder fest entschlossen war, sich zu wehren. Neben dem Acker lagen die Flinte und das Pulverhorn griffbereit. Nicht, daß der amerikanische Raum in diesen ersten Zeiten ohne militärische Auseinandersetzungen im bekannten Sinne gewesen wäre: Die europäischen Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts führten in den amerikanischen Kolonien zu Nebenaktionen. Sie waren die Angelegenheit des Militärs, mit der die Siedler noch bedeutend weniger zu tun hatten als die europäischen Bürger und Untertanen in ihren Bereichen.

Man kann sich die Geschichte, wie sie heute erkennbar wird, nicht kompliziert genug vorstellen. Das, obwohl das amerikanische Volk die Frage nach seiner Sicherheit noch immer nicht mit metaphysischen Komplexen — mit „nationaler Ehre“, „Ethik des Soldatentums“ — oder mit dem Ehrgeiz machthungriger Politiker und Militärs verquickt hat. Es geht immer noch nur um die „Freiheit" — in einem sehr persönlichen, sehr konkreten Sinne. Aber allein von der technisch-materiellen Entwicklung her hat sich angesichts einer Sicherheitskrise von weltweiten Ausmaßen das militärische Element so sehr in den Vordergrund geschoben, daß die Frage auftaucht, was von der Demokratie, das heißt von der Bürgerfreiheit, noch übrigbleibt, wenn die Anforderungen total werden ). Daß die amerikanischen Streitkräfte heute mehr Mann zählen als je im Frieden zuvor, bedeutet für diese Bürger einen weitgehenden Verzicht auf persönliche Freiheiten. Es hat sich niemals ein Amerikaner der Vorstellung hingegeben, daß in einer Armee andere Gesetze als die militärischen, undemokratischen von Befehl und Gehorsam herrschen können. Die Versorgung dieser Streitkräfte mit Waffen und anderem Material drückt schwer auf das Volksvermögen. Der einzelne Bürger kann zwar das Geld für die eigene Büchse und das Pulverhorn sparen. Aber die Summe, die er statt dessen als Beisteuer für den allgemeinen Wehretat aufbringen muß, wächst ins Unermeßliche. 1913 waren es nur 3 Dollar, die der amerikanische Bürger im Durchschnitt für den Wehr-etat bereithalten mußte. (In Deutschland waren es in diesem Jahr 32 Mark und 34 Pfennig.) Das war bedeutend weniger als ein Siedler im 17. Jahrhundert für seine Sicherheit, d. h. für Waffen und Munition, für Palisaden und ähnliche Befestigungen ausgeben mußte. 1930 waren es ungefähr 7 Dollar. 1947 wären es rund 250 Dollar gewesen, wenn die Forderungen der drei Wehrmachtsteile erfüllt worden wären. Nach Korea nimmt der Wehretat im Gesamthaushalt 50 Prozent ein. Das schlimmste dabei ist, daß ungeachtet dieses absolut hohen Preises — an dem hier nur eine, die finanzielle Seite gestreift wurde — dennoch keine ausreichende Sicherheit für den Bürger erworben wurde. Jedes Haus müßte einen Atombunker erhalten, sollten seine Bewohner wenigstens vor dem überraschenden ersten, so naheliegenden Angriff geschützt werden ...

Niemand kann sich den Konsequenzen entziehen, so lange die Bedrohung von außen anhält. Mit der wachsenden Geschwindigkeit im friedlichen Verkehr der Völker vergrößerten sich auch die Gefahren kriegerischer Annäherungen. Der moderne Krieg ist total nach seinen geographischen Ausmaßen, r ist total nach seinen sozialen und wirtschaftlichen Ansprüchen, die sich kaum noch durch freiwilliges Entgegenkommen der Bürger erfüllen lassen — trotz bester Einsicht nicht — sondern innenpolitisch totalitäre Praktiken begünstigen. Das Bedrükkendste ist, daß selbst zur Abwehr eines solchen Krieges, zu einer defensiven Vorbereitung, auch die Zeit in Beschlag genommen werden muß, die als Frieden gilt. Es handelt sich also nicht nur um die Totalität des Raumes und der Mittel, sondern auch der Zeit. Der moderne Krieg erweist sich immer mehr nicht als die ultima ratio, sondern als ultra rationem, die sich der menschlichen Kontrolle zu entwinden sucht. Wenn es in dieser Situation eine Hoffnung gibt, dann liegt sie dort, wo die bisherige Geschichte militärischer Tätigkeit nach menschlichen, d. h. bürgerlichen und zivilen Absichten gestaltet und gesehen worden ist. Wem alles ein willkommener, ihn ethisch erhöhender „Dienst" ist, gleichgültig wieviel Zeit, Arbeit, Opfer an Gut und Blut er dafür aufwenden muß, der wird die Totalität neuzeitlicher militärischer Ansprüche eher begrüßen als verabscheuen.

Amerikanische Traditionen

Auf dem Konvent von Philadelphia im Mai 1787 stand die Frage nach einer gemeinsamen Verteidigung für die dreizehn Staaten durchaus nicht im Hintergrund. An allen Grenzen drohten die Indianer, aber auch die alten Kolonialmächte Spanien, Frankreich und England. Viele Delegierte hatten im Unabhängigkeitskrieg genügend militärische Erfahrungen sammeln können, allen voran George Washington, der der neuen Bundesregierung eine ausreichende Verfügungsgewalt über Truppen und Gelder einräumen wollte, nachdem sich erwiesen hatte, daß die Milizen der einzelnen Staaten im Notfall nicht genügend schnell verfügbar und gegenüber den Truppen der möglichen Gegner nicht stark genug waren. Aber die Abneigung gegen ein stehendes Heer war erheblich.

Diese Abneigung kam zunächst noch aus den Erfahrungen in England während des Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert. Dinge, wie die zwangsweise Einquartierung von Truppen bei Bürgern, die Aufhebung der Zivil-gerichtsbarkeit, die Verhängung des Standrechtes, die Erzwingung von Geldabgaben, wenn das Parlament sich weigerte, die vom König geforderten Steuern zu erheben, gehörten während dieser Zeit in England zu den hauptsächlichen Eingriffen in die Rechte der Bürger. — Die alten Erinnerungen an Zustände, deretwegen die späteren Pioniere ausgewandert waren, hatten sich erhärtet, als in den Kolonialkriegen gegen Frankreich die britischen Berufsoffiziere sich vielfach durch ihre Arroganz bei den unbeholfenen, aber im Felde nicht weniger tapferen Milizsoldaten unbeliebt gemacht hatten. Die Abneigung gegen ein stehendes Heer war den Amerikanern so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß es während des Unabhängigkeitskrieges auf der eigenen Seite zu gefährlichen Erscheinungen kam: Viele verhielten sich so, als ob sie ihre eigenen Truppen ebenso fürchteten wie die englischen. Als der Krieg gewonnen war, sollen sich bei den „jüngeren Jahrgängen" Tendenzen gezeigt haben, die man eben erst für alle Zeiten in Gestalt eines fremden Militärs nieder-gerungen zu haben glaubte. In dem Brief der Gattin eines Politikers in Massachusetts heißt es: „Hinzu kommt eine ganze Schar von Mitgliedern des Cincinnatusordens", — einer Vereinigung von Offizieren — „die mit aller Macht einen Adelsstand erstreben, den Adler auf der Brust baumeln lassen und sich Auszeichnungen und Titel zulegen, die hierzulande neu sind. Diese Leute bilden schreckliche Gruppen. Sie sind bereit, sich wieder dem Zepter eines Königs zu beugen, wenn sie nur dabei die Lords spielen, faulenzen und sich auf Kosten der schwer arbeitenden Bauern und Handwerker einen guten Tag machen können. Sie predigen die Notwendigkeit eines stehenden Heeres, um die paar Widerspenstigen zum Schweigen zu bringen, die noch jenen Geist der Freiheit hochhalten, der allein die geistige Entwicklung des Menschen fördert und wirkliche Leistungen hervorbringt." — Nimmt man hinzu, daß im gleichen Jahr, in dem dieser temperamentvolle Brief geschrieben wurde und der Konvent in Philadelphia zusammentrat, eine Bewegung entstanden sein soll, die eine Militärdiktatur mit General Washington als ersten Regierungschef errichten wollte (Washington lehnte übrigens empört ab), so kann man sich ausmalen, daß die neue Verfassung sich recht ausführlich mit dem Militärwesen beschäftigte.

Die militärischen Bestimmungen der Verfassung

Als die Verfassung 1789 formuliert wurde, geschah das in einem außerordentlich fruchtbaren Moment: Die Delegierten brachten nicht nur den Wunsch der Bürger nach möglichst viel persönlicher Freiheit mit — ein Wunsch, der leicht zu einem Statut führen konnte, wie es in einem Paradies des ewigen Friedens angemessen sein mag. Während der Revolutionskriege war an den militärisch unmöglichen Bestimmungen, wonach nahezu jeder Offizier unmittelbar von der permanent tagenden Volksvertretung seine Befehle bekam, deutlich geworden, daß der Krieg mehr als alle anderen Regierungsgeschäfte Leistungen verlangt, die am besten gewährleistet sind, wenn die Exekutivgewalt in einer Hand liegt. Die Väter der Verfassung entwickelten ein System der Gewaltenteilung, das vorzüglich den Hauptproblemen eines jeden Staates zu allen Zeiten gerecht wird und das die Verfassung verhältnismäß unverändert über die Jahrhunderte in Kraft lassen konnte.

Die militärischen Einrichtungen wurden ebenfalls dem Prinzip von der Teilung der Staatsgewalten unterworfen. Die Verfassung sah eine umfangreiche und wirksame demokratische Kontrolle vor, die auch das noch übertraf, was hundert Jahre zuvor in England von besorgten Bürgern auf diesem Gebiet festgelegt wurde.

Der Kongreß erhielt die Macht, für die gemeinsame Verteidigung Steuern festzusetzen und einzuziehen sowie Armeen aufzustellen und zu unterhalten. Auch die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt bei ihm. Er erläßt die Gesetze für das Heer, die Flotte und die Milizen — die während des ganzen 19. Jahrhunderts als die den einzelnen Staaten gehörenden Truppen die Hauptmasse des amerikanischen Militärwesens bildeten —, soweit diese in Bundesdiensten stehen. Gegen die Einrichtung eines stehenden Heeres, das sich leicht selbständig machen konnte, hatte man sich durch die Bestimmung gesichert, daß alle Gelder für das Heer immer nur für zwei Jahre, für keinen längeren Zeitraum, vom Kongreß bewilligt werden können. Alle zwei Jahre ist also mit der Überprüfung des Wehretats auch eine Überprüfung der Militärpolitik verbunden. Diese Begrenzung, die angesichts umfangreicherer und langfristiger Militär-programme heute nicht mehr dieselbe freiwillige Entscheidungsmöglichkeit in sich birgt wie in den Zeiten der Verfassungsschöpfung — galt und gilt nicht in dem Maße für die Flotte. Einmal hielt man schon im 18. Jahrhundert eine ständige Flotte für unumgänglich notwendig, weil sich die mächtigsten Feinde jenseits des Meeres befanden und also von dieser Seite die größte Gefahr drohte. Dann war es aber auch schon damals nicht möglich, eine Flotte etwa wie eine Armee „aus dem Boden zu stampfen". Sie brauchte für ihre Bauten erhebliche längere Zeit. Die amerikanischen Bürger befürchteten verständlicherweise von der Flotte, die an die See und die Küste gebunden war, weniger die Errichtung einer Diktatur als von der Armee, deren Element der Bereich des Bürgers, das Land, ist. Falls die öffentliche Sicherheit es erfordert, kann der Kongreß vorübergehend die Habeas Corpus Akte außer Kraft setzen. Anfang und Ende eines Ausnahmezustandes, bei dem Zivilisten unter die Militärgerichtsbarkeit kommen, können nur durch den Kongreß verfügt werden.

Während es Sache des Kongresses ist, Armeen aufzustellen und auszurüsten, eine Flotte zu schaffen und zu unterhalten sowie die Militär-gesetze zu erlassen und den Krieg zu erklären, trägt der Präsident als das Oberhaupt der Exekutive die Verantwortung für die Führung der Streitkräfte in Krieg und Frieden. Er ist der Oberbefehlshaber und kann die Streitkräfte praktisch überall einsetzen: Er kann sie im eigenen Land einsetzen, um den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Er kann sie zur Teilnahme an militärischen Aktionen abkommandieren, ohne daß Krieg herrscht. Er ist zwar für die Verwendung des Militäretats verantwortlich, aber er kann nicht einen Dollar, den der Kongreß für einen bestimmten militärischen Zweck bewilligt hat, anderweitig verwenden. Er ernennt die Offiziere und bestimmt ihre Verwendung. Die Ernennung bedarf aber der Zustimmung durch den Senat, das eine Haus des Kongresses. Um zu verhindern, daß die militärische Führung statt auf die Nation, die der Präsident repräsentiert, auf seine Person vereidigt ist, müssen alle Offiziere den Treueid auf die Verfassung leisten. Der Präsident hat auch das Recht, in eroberten Gebieten Militärregierungen einzusetzen, die weder an die Verfassung oder die Gesetze der Vereinigten Sttaaten, noch an die Gesetze des eroberten Landes gebunden sind. Der Präsident als Ober-befehlshaber kann dort alle wesentlichen Regierungsfunktionen ausüben, ganz gleich, ob sie zur Exekutive, Legislative oder Gerichtsbarkeit gehören. Die Verfassung übertrug dem Präsidenten auch die Kontrolle über die leitenden Beamten der einzelnen Ministerien, die nicht Ministerien im europäischen Sinne sind — mit eigener Verantwortung vor dem Parlament — sondern Hilfsämter des Präsidenten. So große Rechte der Präsident auch als Oberbefehlshaber hat, sein Amt erlischt selbst während mentswahlen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden können, kann es in den Vereinigten Staaten mitten im Kriege zu Wahlen kommen, denen sich auch ein noch sö mächtiger Präsident zu beugen hat.

Während in politischer und verwaltungsmäßiger Hinsicht die zivile Kontrolle des Militärs in erster Linie Sache des Präsidenten und des Kongresses ist — beide sind unmittelbar oder mittelbar vom Volke gewählt, blickt das Volk seit dem Inkrafttreten der Verfassung auf das Oberste Bundesgericht als die höchste Instanz, wenn es sich darum handelt, militärische (oder nichtmilitärische staatliche) Stellen daran zu hindern, die Freiheitsrechte des Volkes anzutasten. In Zeiten des Friedens und wenn keine Sicherheitskrise droht ist diese Verantwortung leicht zu tragen. Bedeutend schwieriger ist die Sadie im Falle eines Krieges. Die HauptSchwierigkeit besteht darin, daß der Ausbruch eines Krieges Umfang und Inhalt der verfassungsmäßigen Vollmachten der Regierung wie auch der Rechte und Pflichten der Bürger erheblich ändert. Trotz der großen Macht, die das Oberste Bundesgericht dadurch besitzt, daß es die Verfassung interpretiert, wäre es ein Irrtum zu glauben, daß seine Autorität gegenüber den Regierungsstellen unbegrenzt ist. Der Gerichtshof hat keinen eigenen Apparat, um seine Urteile zu vollstrecken. Er ist darauf angewiesen, daß die anderen Gewalten im Staate dafür sorgen, daß seine Entscheidungen befolgt werden. Eine weitere Beschränkung seiner Macht bildet die Tatsache, daß über seine Zuständigkeit in den meisten Fällen der Kongreß bestimmt. Alle Wehrmachtsangehörigen unterstehen nicht nur den allgemeinen Bundes-und Staatsgesetzen, sondern außerdem einem besonderen Militärgesetz. Die Kontrolle darüber liegt fast völlig in den Händen der Wehrmacht. Die zivile Kontrolle besteht hier hauptsächlich darin, die Gesetze und die Verfahrensordnung zu schaffen, die die Militärgerichte ihrer Tätigkeit zugrunde legen müssen. Da die Kriegsgerichte ein Gerichtssystem für sich bilden, fehlen bei der Militärgerichtsbarkeit die ordentlichen Revisionsverfahren vor den höheren Bundesgerichten völlig. Das von höherer militärischer Stelle bestätigte Urteil eines Militärgerichts ist endgültig. Die Selbständigkeit der Kriegsgerichte ist darauf zurückzuführen, daß für militärische Vergehen ausschließlich die militärische Kommandogewalt zuständig sein muß. damit nicht durch die Langwierigkeit der Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zum Nachteil der nationalen Sicherheit die Disziplin untergraben und die Kommandogewalt beeinträchtigt wird. Das Recht des Obersten Bundesgerichts, Fragen des Gerichtsbarkeitssystems zu entscheiden, garantiert jedoch ausreichend, daß die Militärgerichte ihre Machtbefugnisse gegenüber Soldaten und Zivilisten nicht überschreiten. Wenn dagegen die Militärgerichte die Reichweite ihrer Befugnisse ungehindert selbst bestimmen könnten, dann wären sowohl Militär-wie Zivilpersonen der Gefahr militärischer Gewalt und Willkür ausgesetzt.

Die militärpolitische Praxis im Kongress

In den Verfassungen der Einzelstaaten ist in den meisten Fällen festgelegt, daß die militärische Gewalt der zivilen untersteht. Die Bundesverfassung kennt zwar diese ausdrückliche Bestimmung nicht, läßt aber bei der Abgrenzung ziviler und militärischer Instanzen dieselbe Tendenz erkennen. Niemals hat es in der Geschichte der Vereinigten Staaten den Versuch eines Militärbefehlshabers gegeben, eine Militärdiktatur zu errichten. Wohl aber hat es zwischen der zivilen Spitze der Streitkräfte, dem Präsidenten als Oberbefehlshaber, und dem ebenso zivilen Kongreß häufig Reibungen in den militärischen Fragen gegeben, die nicht nur diese beiden Staatsgewalten, sondern den gesamten Staat, ja das Volk betreffen mußten. Daß diese Differenzen im Kriege auftraten, nicht im Frieden, ist leicht zu begreifen.

Schon die Frage, wer den Krieg erklärt — de facto —, ist trotz der Bestimmung der Verfassung, wonach dieses Recht beim Kongreß liegt, strittig. Der Präsident kann durch sein Monopol in der Außenpolitik und durch seinen Oberbefehl über die Streitkräfte mit Leichtigkeit die Nation in eine Lage manövrieren, die einen Krieg unausweichlich macht. Der Kongreß kann dann nur noch feststellen, daß ein Kriegszustand besteht. Aber der Kongreß kann auch in einem solchen Fall mit Hartnäckigkeit verfolgen, wo die Ursache liegt. Das mußte zum Beispiel Präsident Polk 1845 beim Ausbruch des mexikanischen Krieges erfahren. Am Tage der Kriegserklärung rief ein Abgeordneter im Kongreß: „Unser eigener Präsident hat diesen Krieg angefangen!" Verständlicherweise versuchte der Präsident daraufhin die Opposition als Verrat zu brandmarken. Aber da die amerikanischen Volksvertreter in solchen Fällen nur schwer mit unmotivierten Schlagworten von der „Einmütigkeit der Nation" zu beruhigen sind, kann man sicher sein, daß kein Präsident, wenn er nicht nur sein Amt, sondern auch seinen guten Ruf als „erster Bürger“ des Landes verlieren will, wagen kann, leichtfertig einen Krieg zu beginnen.

Obwohl die Kriegführung nach der Verfassung eindeutig Sache des Präsidenten ist, hat der Kongreß seit den ersten Tagen immer wieder in militärische Angelegenheiten eingegriffen. Dabei hat er sich nicht etwa auf grundsätzliche Dinge beschränkt, sondern sich — und zwar durch seine verschiedenen Militärausschüsse — auch sehr um Einzelheiten gekümmert. Während vor der Verfassungserklärung, zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, die Exekutiv-und nie Legislativgewalt im Kontinentalkongreß vereinigt waren — dem auch durch eine Unzahl von Unterausschüssen die unmittelbare Kriegführung oblag —, besann sich der Kongreß auf seine alte Gewohnheit, als es 1791 an der Nordwestgrenze zu einer militärischen Niederlage gekomraen war. Der Kongreß beschloß »eine Kommission zu ernennen, die die Ursachen für die Niederlage erforschen sollte, und zu ermächtigen, Personen, Dokumente und Akten anzufordern, die für die Untersuchung möglicherweise von Nutzen sein konnten". Diese erste Untersuchung eines Kongreßausschusses führte zur völligen Entlastung des beschuldigten Generals St. Clairs, wurde aber zu einem wichtigen Präzedenzfall. Zunächst und auch in den folgenden Jahrzehnten, besonders vor dem Krieg von 1812, wurde noch häufig behauptet, daß diese Untersuchungskommissionen nicht verfassungsmäßig wären, da die Streitkräfte unmittelbar dem Präsidenten unter-ständen. Aber schließlich setzte sich doch ein Gedanke immer mehr durch, dem ein Abgeordneter folgenden Ausdruck gegeben hatte: „Wenn wir die Zustände in der Armee nicht untersuchen können, so folgt daraus, daß die Armee dem Präsidenten und nicht der Nation gehört. Es folgt daraus, daß wir an der Armee, nachdem sie erst einmal aufgestellt ist, nichts mehr ändern können, es sei denn, daß wir sie völlig auflösen!“ Dieses Recht, das dem Bürger als selbstverständlich erscheinen mag, muß jedoch dort zweifelhaft sein, wo militärische Geheimnisse auf dem Spiel stehen. Während des schon genannten mexikanischen Krieges von 1845 wurde schließlich vom Kongreß anerkannt, daß es Grenzen der Untersuchungstätigkeit gibt. Wo diese Grenzen liegen, d. h. wo es berechtigt ist, aus militärischen Gründen auch Kongreßmitglieder von der Kenntnis militärischer Geheimnisse auszuschließen, hängt sicher nicht zuletzt von der Dynamik der zuständigen Kongreßmitglieder ab — und von ihrer Verschwiegenheit. In wie starken Maße heute die demokratische Kontrolle — deren Untersuchungsergebnisse unweigerlich die Tendenz haben, sich von dem untersuchenden Ausschußmitglied auf das Plenum, auf die Organe der öffentlichen Meinung auszubreiten — durch Geheimhaltungsbestimmungen eingeschränkt werden kann, ist klar: Eines der wesentlichen Symptome der modernen Kriegsführung ist, daß es an ihr viel zu verraten gibt. So erfuhr z. B. im zweiten Weltkrieg der langjährige Vorsitzende des Senatsausschusses für das Verteidigungsprogramm, Harry Truman erst, als er beim Tode Roosevelts selbst Präsident und Oberbefehlshaber wurde, von Kriegsminister Stimson, daß seit drei Jahren ein Atombombenprogramm in Vorbereitung wäre, für das bereits zwei Milliarden Dollar verausgabt worden waren.

Wenn Kongreßausschüsse das Recht haben, militärische Einrichtungen und Geschehnisse zu untersuchen, liegt es nahe, daß sie mit dem Ergebnis ihrer Untersuchung auch das Rezept zur Abhilfe eines gefundenen Mißstandes an die Exekutive geben. Das hat — am stärksten während des Bürgerkrieges und der folgenden Zeit, etwa von 1861 bis 1880 — dazu geführt, daß die Militärpolitik bis in die letzte taktische Entscheidung auf dem Schlachtfeld von der Legislative, ja einem Teil von ihr, nämlich einem Ausschuß beherrscht wird. Wie wenig eine solche Verlagerung der Gewalt im Sinne des Bürgers sein kann, läßt sich an dem Beispiel des Joint Committee on the Conduct ot the War — dem Gemeinsamen Kriegsführungsausschuß — zeigen. Die Arbeit des Ausschusses läßt sich in eine prüfende, beratende und leitende Tätigkeit unterteilen. Die „Jakobiner“ — Bezeichnung für die extremen Gegner der Sklaverei im Kongreß —, die den Ausschuß beherrschten, versuchten planmäßig, die volle Herrschaft über die Armee zu erlangen. Sie suchten alle höheren Offiziere, die nicht ihren Vorstellungen von Kriegführung entsprachen, aus der Armee zu entfernen. Der Ausschuß zog die Republikaner unter den Generalen den Demokraten vor, die Radikalen den Gemäßigten, die blindwütigen Draufgänger den vorsichtigen Meistern der Manövrierkunst und die Offiziere, die den Süden „erobern“ wollten, denjenigen, die die „abtrünnigen Brüder“ lediglich zur Ordnung rufen wollten. Das Wirken dieses Ausschusses mit seinen unbewiesenen Unterstellungen, seinen persönlichen Verunglimpfungen in aller Öffentlichkeit, gegen die sich niemand zur Wehr setzen durfte, die Unterdrückung jeder Äußerung, die nicht mit den offiziellen Kriegsthesen harmonierte, die Gerichtshofsatmosphäre und die Mißachtung aller Regeln der Fairneß war totalitär. Seine Einmischung in die Kriegführung kostete unnötige Opfer an Gut und Blut. Das ewige, mit großem Getöse verbundene Drängen des Ausschusses führte dazu, daß man sich Hals über Kopf in Schlachten stürzte, die nicht genügend vorbereitet waren. Es hieße, die Beantwortung der Frage nach den Ursachen des Versagens eines der wichtigsten demokratischen Mittels zu leicht nehmen, wollte man sagen, daß Volk oder doch die von ihm gewählte herrschende Partei habe versagt. Das Volk ist durchaus in der Lage, die Demokratie abzuschaffen — wie in Deutschland das Heraufkommen der nationalsozialistischen Bewegung bewiesen hat. Aber es lassen sich auch im einzelnen Fehler im System und im Verfahren nachweisen. Während des amerikanischen Bürgerkrieges war der Auftrag, den der Ausschuß vom Kongreß erhalten hatte, zu allgemein und nicht klar genug. Dazu faßte der Ausschuß seine Aufgabe viel zu weit. Es ist auch bezeichnend, daß in jener Zeit, im März 1863, der Kongreß zum erstenmal die Habeas Corpus Akte außer Kraft setzte. Man schätzt, daß im Laufe dieses Krieges mehr als 13 OOO Personen ohne Haftbefehl vor ein Militärgericht gestellt wurden.

Wenn die Kriegsausschüse des Kongresses — soweit sie sich nicht auf die bloße Untersuchung, sondern auch auf die Leitung ausgedehnt haben — nach einem solchen Versagen im Bürgerkrieg, ja nach einer Pervertierung der Demokratie, nie wieder die gleiche Bedeutung erlangt haben wie das Joint Committee on the Conduct of the War, dann haben seitdem die ständigen mit Wehrangelegenheiten befaßten Ausschüsse um so größeres Gewicht erhalten. Seitdem 1946 jedes der beiden Häuser des Kongresses nur noch einen Ausschuß für Marine-und Heeresangelegenheiten hat, ist der Wehrausschuß des Repräsentantenhauses von zentraler Bedeutung geworden. Mit militärischen Fragen müssen sich aber auch die außenpolitischen Ausschüsse und die Unterausschüssee für Wehrmachtsangelegenheiten befassen, die den Billigungsausschüssen des Kongresses angegliedert sind. Man darf in ihnen nicht nur ein Instrument des Kongresses sehen, seine Autorität über die Wehrmacht auszuüben. Sie bieten umgekehrt auch der Wehrmacht erhebliche Chancen, den Kongreß zu beeinflussen. Es ist eine wichtige Aufgabe des Verteidigungsministers — und der Staatssekretäre für die drei Wehrmachtsteile — vor diesen Ausschüssen zu erscheinen, um Auskünfte zu erteilen und den Kongreß um irgendwelche Maßnahmen zu ersuchen. Da man von einem Minister kaum erwarten kann, daß er über die Dinge bis in alle Einzelheiten Bescheid weiß, müssen viele seiner zivilen und militärischen Mitarbeiter ebenfalls dort erscheinen. In neuerer Zeit ist es sogar eine ständige Einrichtung geworden — und zwar auf Ersuchen des Kongresses — jedem Wehrausschuß Offiziere beizugeben. Das schließt nicht aus, daß auch andere Wehrmachtsangehörige — mit Erlaubnis des zuständigen Ministers — vor den Ausschuß zitiert werden können. Die Vorsitzenden dieserAusschüsse gehören zu den mächtigsten Männern im Kongreß. Ihre Stellung ist mit der des Präsidenten, des Verteidigungsministers und der Stabschefs dem Range nach durchaus zu vergleichen. Eugene Hale brachte es um die Jahrhundertwende auf eine dreißigjährige Amtszeit als Vorsitzender des Senatsausschusses für Wehrmachtsangelegenheiten. Er pflegte von „meiner Marine zu sprechen und hatte in allen Fragen der Flottenpolitik das letzte Wort. Carl Vinson hatte im Repräsentantenhaus eine ähnliche Position von 1931 bis 1946 inne. Er war schon 1916 in den Marine-Ausschuß eingetreten und hat, wie Admiral Leahy in seinen Memoiren feststellt, in den gefährlichen Jahren von 1935 bis 1946 nach dem Präsidenten das meiste für die nationale Verteidigung geleistet.

Koordinierung -die große Aufgabe

Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn die Sicherheit eines Volkes im demokratischen Sinne als gewährleistet gelten soll: Die militärische Stärke muß der Bedrohung von außen entsprechen; die Führung muß zweckmäßig handeln; Stärke, Einrichtung und Führung müssen einer demokratischen Kontrolle unterstehen, die letzten Endes dem einzelnen Bürger verantwortlich ist, der — mag er Uniform tragen oder nicht — mit dem Wahlzettel die Regierung bestimmt. Solange die „Kriegführung eine Kunst war, die jeder amerikanische Bürger in drei Wochen lernen kann“, war die auch militärisch zweckmäßige Kontrolle des Kongresses um so leichter möglich, als vielfach die Abgeordneten in Zeiten des Krieges selbst ein militärisches Kommando ausübten. Nachdem die Krieg-führung ein immer komplizierteres Geschäft geworden ist, mußte das Führungsorgan, nämlich das Amt des Präsidenten, gewaltig anwachsen.

Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Präsident nach der Verfassung das Recht hat, selbst das militärische Kommando zu übernehmen. Präzedenzfälle sind zwar spärlich, aber immerhin vorhanden. Washington und Lincoln haben verschiedentlich in die militärischen Operationen persönlich eingegriffen. Aber allgemein gilt doch, daß der Präsident, wenn er seine militärischen Führer einmal ausgewählt hat, ihnen bei ihren Operationen freie Hand läßt. Es ist äußerst aufschlußreich, daß die Militär-befehlshaber in der Demokratie während des zweiten Weltkrieges bedeutend größere Vollmachten hatten als diejenigen, die einer Diktatur zu dienen hatten. Dennoch erfordert die oberste Kriegführung mit ihrer Entwicklung der strategischen Pläne, der Berücksichtigung der militärischen Mittel, eine ins einzelne gehende Kenntnis, die nicht mehr von einem Mann allein aufgebracht werden kann. Schon im Jahre der Verfassungsgebung war dem Präsidenten in einem Kriegsminister ein Gehilfe — wenn man so sagen soll — beigegeben, der neben der Verwaltungsarbeit auf dem militärischen Gebiet auch die militärischen Führungsaufgaben im Sinne des Präsidenten als Oberbefehlshaber wahrnahm. Ehe es Ende des 19. Jahrhunderts unter Root zu einer Neuorganisierung des gesamten Militärwesens der Vereinigten Staaten kam, herrschten jedoch sehr konfuse Ansichten über die Vollmachten dieses Ministers im Hinblick auf die Befehlshaber der Truppe. Für den Marineminister galt das Entsprechende im Hinblick auf die Flottenchefs. Mit der Reform, die durch den Spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 dringend notwendig geworden war, wurde ein Stabschef des Heeres Mittelpunkt der Kommandogewalt unter dem Minister.

Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die in und nach dem zweiten Weltkrieg zu folgender Organisation für das militärische Kommando führte. Militärischer Berater des Präsidenten in den strategischen und operativen Fragen ist das Amt der Vereinigten Stabschefs, Joint Chiefs of Staff. Es besteht aus den Generalstabschefs des Heeres und der Luftwaffe und dem Chef der Operationsabteilung der Marine. Ein vom Präsidenten eingesetzter Vorsitzender hat kein Stimmrecht. Während des zweiten Weltkrieges, als dieses Amt entstanden war, galt es als unabhängig von den Ministern, da es auf höherer Ebene als jeder der drei Wehrmachtsminister arbeitete und es zudem schon häufig in der amerikanischen Geschichte vorgekommen war, daß sich der Präsident als Ober-befehlshaber über den Kopf des Ministers an die Befehlshaber gewandt hatte. Viele führende Militärs hielten es für einen beachtlichen Fortschritt in der Stärkung der militärischen Schlagkraft der Vereinigten Staaten, daß die Stabschefs dem Präsidenten unmittelbar verantwortlich waren und nicht dem Minister. Es wurden aber auch andere Befürchtungen laut, daß eine solche Regelung nicht nur die zivile Vorherrschaft über die Wehrmachtsteile — der Minister muß nach dem Gesetz ein Zivilist sein — gefährden müßte, sondern daß auf diese Weise der Einfluß des Militärischen in der Regierung überhaupt zu stark werden würde. Während des Krieges, unter dem Drude der Ereignisse an den Fronten, einigten sich die Joint Chiefs of Staff fast immer sehr schnell, so daß sie nur einige Male den Präsidenten anrufen mußten, weil für ihre Beschlüsse sonst Einstimmigkeit notwendig war. Nach dem Kriege gab wahrscheinlich die Marine den Ausschlag, als es nicht dazu kam, daß ein einziger Stabschef über alle drei Wehrmachtsteile gesetzt wurde. Die Marine befürchtete mit Recht, daß sie diesen Stabschef angesichts ihrer schwindenden Bedeutung nur in den seltensten Fällen stellen würde, war aber nicht gewillt, sich einem General des Heeres oder der Luftwaffe zu unterstellen. Sie erreichte es, daß die Institution, die aus den Stabschefs bestand, in derselben Form wie im Kriege beibehalten wurde. Da aber eine Koordinierung der Wehrmachtsteile notwendig wurde — wobei im Frieden der Partikularismus der einzelnen Waffengattungen, die nicht automatisch auf eine engste Zusammenarbeit verwiesen wurden, wieder aufleben mußte — wurde ein Verteidigungsministerium geschaffen, in dem die bisher selbständig neben-und manchmal gegeneinander arbeitenden drei Ministerien für Armee, Marine und Luftwaffe lediglich nur noch Abteilungen waren. Dem Verteidigungsminister unterstehen auch die Stabschefs, obwohl sie auch unmittelbar mit dem Präsidenten als Oberbefehlshaber zusammenarbeiten können. Nach dem Gesetz von 1949 sind die Stabschefs „die ersten militärischen Berater des Präsidenten und des Verteidigungsministers. Weitere Aufgaben können ihnen vom Präsidenten und vom Verteidigungsminister oder durch Gesetz zugewiesen werden.“

Wie der Präsident im Kriege als Oberbefehlshaber sich bisher häufig unter Umgehung des Wehrministers an die Befehlshaber der Front gewandt hat, so hat er auch als Präsident und oberster Verwaltungschef sich in Krisenzeiten nicht nur des Wehrministers und anderer Kabinetts-mitglieder bedient. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint in erster Linie das Kabinett für die Bewältigung der mannigfachen Verwaltungsarbeit zuständig zu sein, wie sie eine Sicherheitskrise und vor allem ein Krieg mit sich bringen. Aber das war in fast allen Zeiten seit der Gründung der Vereinigten Staaten nicht so. Obwohl die Kabinettsmitglieder vom Präsidenten ausgesucht werden, sind sie nicht unbedingt seine vertrauten Mitarbeiter oder Persönlichkeiten, mit denen er sich gern berät. Vielfach wurden die Mitglieder mit Rücksicht auf Parteigruppierungen ausgewählt. Oft sind Kabinettsmitglieder, die im Frieden vorzüglich im üblichen Schema arbeiten, unter den besonderen Verhältnissen eines militärischen Notstandes nicht zu gebrauchen. Außer den in der Verfassung festgelegten Rechten hat der Präsident zahlreiche Kriegsvollmachten vom Kongreß erhalten, die nach Hunderten zählen. Im zweiten Weltkrieg erhielt Präsident Roosevelt auf Grund des ersten und zweiten Kriegsermächtigungsgesetzes und zahlreicher anderer Bewilligungen des Kongresses praktisch eine vollständige Kontrolle über die gesamte Kriegswirtschaft und den Neuaufbau des staatlichen Verwaltungsapparates. Das Executive Office des Präsidenten umfaßt die verschiedensten überministeriellen Stäbe, die im Auftrage des Präsidenten die Entwicklung der Politik, die Untersuchung der Programme im einzelnen und die Koordinierung und die Kontrolle der gesamten Verwaltung übernommen hatten. Darüber hinaus war der Präsident von zahlreichen persönlichen Helfern und Beratern umgeben, die sozusagen einen Teil der Person des Präsidenten bildeten. Es gab äußerst mächtige Behörden, die nicht in das übliche Verwaltungschema paßten, die jedoch auch der Kontrolle des Kongresses und dem Obersten Bundesgericht unterstanden. Einige davon waren: das Office of Price Administration, zur Kontrolle der Preise; die War Manpower Commission, zur Erfassung der Arbeitskräfte; das Office of Civilian Defense, für zivile Verteidigung;

den War Production Board, für Rüstungsproduktion;

das Office of War Information, für Propaganda;

das Office of Censorship, für Zensur.

Wenn diese Stellen in ihrer Amtszeit auf den Krieg beschränkt waren, so brachte die Unsicherheit der Nachkriegsverhältnisse doch ein Fortbestehen vieler dieser und ähnlicher Behörden mit sich. Das um so mehr, als man erkannte, daß zumindest eine Planung der wichtigsten außerordentlichen Kriegsbehörden möglichst schon früh aufgestellt werden müßte. In der National Security Act von 1947 wurde eine umfassende Neuordnung der Verwaltung auf dem Gebiet der nationalen Verteidigung geschaffen. Außer dem schon erwähnten Verteidigungsministerium wurde ein Nationaler Sicherheitsrat — National Security Council — gebildet, dem als obersten zivilen Koordinierungsorgan der Präsident der Vereinigten Staaten, der Vizepräsident, der Außenminister, der Verteidigungsminister und andere Ressortchefs angehören. Andere wichtige überministerielle Koordinierungsstellen sind die Atomenergie-Kommission, der Zentrale Nachrichtendienst — Central Security Organization — und das Amt für Mobilisierung — Defense Mobilization Hoard.

Eine unbedingte Garantie, daß der Präsident in einem künftigen Krieg als Oberbefehlshaber der Wehrmacht und oberster Chef der Verwaltung immer imstande sein wird, den Forderungen der Demokratie den Vorrang vor den dringendsten Kriegsnotwendigkeiten einräumen kann, — gibt es nicht. Die Fähigkeiten eines Präsidenten, die Kräfte des Volkes für den Krieg zu mobilisieren, seine Verwaltung entsprechend den Anforderungen, die der Krieg stellt, neu aufzuziehen, für die Politik, Strategie und Verwaltung Lösungen zu finden, die sowohl dem militärischen wie auch dem demokratischen Standpunkt gerecht werden — das alles ist auch ein Prüfstein für die Lebensfähigkeit der demokratischen Idee. Und zwar nicht nur in einem Lande, sondern in einer Welt, die voller Gefahren, Wechselwirkungen und Probleme ist, die über das Vorstellungsvermögen der Gründer der Vereinigten Staaten weit hinausgehen. Das Streben nach Einheit in der Kriegführung hat Einrichtungen geschaffen, die die Grenzen des Landes in großem Maße aufheben. Im Weltkrieg ist es das Amt der Combined Chiefs of Staff, d. h.der Stabschefs der Alliierten, nach dem Krieg das Europäische Hilfsprogramm und der Nordatlantikpakt, die als sichtbarer Beweis für die Koordinierung auf internationaler Ebene wirken. Auch in der UNO, und zwar nicht nur in ihrem Militärischen Stabsausschuß — Military Staff Committee, sondern auch in vielen anderen wichtigen Organen nicht unbedingt militärischer Natur, kommt die Tendenz zur Vereinheitlichung zum Ausdrude, die auf die Unteilbarkeit des Friedens und des Krieges zurückzuführen ist.

Die letzten und ten Sicherungen

Wollte man graphisch darstellen, wie die Sicherheit des amerikanischen Volkes im Laufe seiner kurzen, aber aufschlußreichen — man möchte sagen: zusammengedrängten Geschichte vom zivilen oder vom militärischen Element abhing, so müßte man eine Wellenlinie zeichnen. Es begann damit, daß in den Siedlerzeiten jeder Amerikaner sein eigener Ober-befehlshaber war, dessen Lebensinteresse in ziviler Betätigung, in friedlicher Landeroberung lag. Dieses zivile, demokratische Element wirkte in den Milizen fort, wo jeder Bürger seine eigenen Waffen hatte, die militärischen Führer zumeist selbst wählte und so lange auf seine Bürgerfreiheit pochte, bis aus der Bürgertruppe eine Art Kriegerverein geworden war, ohne praktischen Nutzen für die Sicherheit Amerikas. Die Milizen bildeten auch keine Garantie dafür, daß die straffere Bundesarmee, in der die Berufsmilitärs dominierten, den demokratischen Organen ziviler Herkunft — dem Kongreß, dem Präsidenten und den Gerichten — untergeordnet bliebe. AIs die Milizen zu einer militärischen und bürgerlichen Karikatur geworden waren, hatte sich inzwischen der Schutz des Landes und seiner Bürger auf die Armee und Flotte verlagert, wo allein das Gesetz von Befehl und Gehorsam und nicht das demokratische Gesetz des Ausgleichs und des Kompromisses galt. Selbst im ersten Weltkrieg leisteten die Streitkräfte die Kriegsaufgaben ziemlich allein, ohne eine bedeutendere Mobilisierung ziviler Kräfte. Nachdem heute hinter jedem Soldaten etwa zehn oder zwanzig Arbeiter stehen und die Kriegsleistungen vielleicht nur zu einem Viertel von rein militärischer Seite, in der Hauptsache aber von einer Gemeinschaft von Wissenschaftlern, Technikern und Arbeitern der verschiedensten Gebiete — auch des psychologischen Bereichs — vollbracht werden, ist das zivile Element wieder entscheidend. Es ist nicht nur ein Symbol, daß die Atom-Energie ziviler und nicht militärischer Kontrolle untersteht.

Es war bisher für den Bürger in Zeiten, als die Grenzen seiner grünen Felder auch die Grenzen seiner Sicherheitszone waren, einfacher, wenn auch nicht immer müheloser, die richtige Entscheidung darin zu treffen, ob der Pflug wieder einmal mit der Flinte vertauscht werden sollte, ob also eine militärische Aktion notwendig war. Diese Frage ist heute ungleich komplizierter, nicht nur folgenschwerer. Aber so sehr auch die Politik das Geschäft von Experten geworden ist und so sehr auch das Sicherheitsproblem mit seinen totalen Konsequenzen das Schwergewicht bilden mag — die Teilnahme des Bürgers ist unerläßlich und auch vorhanden. Man hat vielfach die Abberufung General McArthurs durch Präsident Truman von seinem Kommando im Fernen Osten als den Beweis dafür angesehen, daß das amerikanische Militär fest in der Hand der zivilen Staatsführung ist. Der Fall wurde ein Muster für das Funktionieren der Demokratie: 25 Senatoren, 14 Demokraten und 11 Republikaner, setzten sich im Wehrmachtsausschuß und im Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten zusammen. Die verantwortlichen Leiter in den Ministerien und in den Stäben wurden als Zeugen und Sachverständige aufgerufen. Nur etwa ein Tausendstel der Aussagen wurde aus Geheimhaltungsgründen — man bedenke, Amerika führte Krieg in Korea — von der Zensur gestrichen und nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aufschlußreicher für das Funktionieren der amerikanischen Demokratie mag an diesem Fall aber eine andere Erscheinung sein: In den ersten beiden Tagen nach der Abberufung des eigenwilligen Generals liefen beim amerikanischen Präsidenten 18 OOO Telegramme und 50 000 Briefe ein, zustimmende und ablehnende. Innerhalb einer Woche erhielt der Kongreß 100 000 Telegramme.

Man wird einwenden können — und man hat es über die Abberufung McArthurs gerade in diesen Wochen amerikanisch-chinesischer Spannungen getan —, daß mit der Durchsetzung der demokratischen Kontrolle über militärische Einrichtungen und Personen keineswegs auch die Richtigkeit einer Entscheidung garantiert wäre. Das gilt schon für die Entscheidung der politischen Experten, die — obwohl Volksvertreter — nach ihrer Denkweise und Arbeitsmethode sich vielfach ebenso von der „amerikanischen Lebensweise“ entfernt haben wie die Berufsmilitärs. Um wie viel leichter muß der Mann auf der Straße zu Fehlentscheidungen neigen, wenn sich der Vorgang sowohl im politischen wie im militärischen Bereich im Dunkeln oder doch im Halbdunkeln abspielt. Aber der Mann auf der Straße hat einen Vorteil: Wenn sich der Experte schon einmal in einen Plan verrennt, je länger er damit beschäftigt ist, so daß er sich nicht wieder davon lösen kann, um so mehr ist der Mann auf der Straße — oder wie wir immer den amerikanischen Durchschnittsbürger nennen — in seiner Entscheidung von solchen Belastungen frei. Immer wieder gibt auch der komplizierteste politische und militärische Vorgang Durchblicke frei, in denen sich die Sache einfach, manchmal schrecklich einfach darstellt. In solchen Momenten redet der amerikanische Bürger dazwischen. Vielleicht ergibt sich daraus eine gewisse Zickzackbewegung der amerikanischen Politik, die sozusagen viele Lawinen zu Tale gehen lassen kann, ohne daß deshalb der Gipfel des amerikanischen Vermögens schon kahl ist. Wer behaupten will, die Freiheit des amerikanischen Bürgers — die Sicherheit vor Angriffen von außen und die Unterordnung des militärischen Elementes unter das zivile im Staate — wäre bisher weitgehend eine bloße Folge des Reichtums dieses großen Landes, möge sich darauf besinnen, daß es viele große Länder gibt — mit ebenso großen Bodenschätzen und Agrarflächen —, deren Bewohner dennoch in Unfreiheit und Unsicherheit leben.

Anmerkung Hugh Gaitkell, Parlamentarischer Ratgeber, Parlamentsmitglied, Schatzkanzler, 1950/51 in der Labour-Regierung, ehern. Minister für Brennstoff-und Stromversorgung und Wirtschaftsminister.

Helmut Bohn, freier Schriftsteller.

Fussnoten

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