Mit Genehmigung des Verlages entnehmen wir der amerikanischen Zeitschrift . FOREIGN AFFAIRS“ (Juli 1954) den folgenden Artikel von Hugh Gaitskell:
Gute Beziehungen zwischen Großbritannien und Amerika gehören zu den wesentlichsten Bedingungen für den Weltfrieden. Eine wirkliche Spaltung zwischen uns würde, so glaube ich, den Weg zum Kriege freimachen und möglicherweise zur Niederlage der westlichen Demokratie führen. Solange aber andererseits Amerika und Großbritannien eng verbunden und freundschaftlich gesinnte Partner bleiben, ist die Gefahr eines Krieges ziemlich fern. Dies ist gewiß eine Lektion, die wir — mit großem Kostenaufwand — während der letzten dreißig Jahre gelernt haben.
Aber es besteht auch kein Zweifel darüber, daß die anglo-amerikanisehen Beziehungen in letzter Zeit sehr gespannt gewesen sind. Es lohnt sich, sich ganz kühl die Gründe dafür zu überlegen, in der Hoffnung, daß aus einer solchen Überprüfung ein besseres Verständnis und aus diesem Verständnis bessere Beziehungen erwachsen werden.
Viel ist in der letzten Zeit geschrieben worden über die Ursachen — politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art — die allgemein Grund zu den Reibungen zwischen Großbritannien und Amerika gegeben haben. Dies war das Hauptthema von Mr. Attlees bewundernswertem Artikel in „Foreign Affairs" vor einigen Monaten
Zunächst seien jedoch zwei Punkte vorweggenommen. Die neue Weltlage hat Großbritannien und Amerika in ein viel engeres Verhältnis zueinander gebracht als dies jemals zuvor der Fall war. Dies führt zu Problemen, die sich einfach nicht ergaben, solange die Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch loser waren. Eine so viel größere Anzahl von Fragen müssen gemeinsam diskutiert werden. Eine so viel größere Anzahl von Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden. Je mehr man sich bemüht, Übereinstimmung zu erzielen, umso eher wird es möglich, diese Übereinstimmung zu erreichen. Es ist genau so wie wenn zwei Familien, die früher in verschiedenen Städten lebten, jetzt das gleiche Haus teilen müssen.
Selbst während des Krieges gab es Reibungen, aber sie wurden zum größten Teil um der notwendigen Geheimhaltung willen bemäntelt und stark reduziert durch die Tatsache, daß wir Seite an Seite in der leidenschaftlichen Atmosphäre eines heißen Krieges kämpften. Heute muß die*) ses Bündnis aufrechterhalten werden ohne jene Atmosphäre. Die Belastungen sind viel größer.
Zweitens müssen wir dieses Bündnis unter demokratischen Bedingungen aufrechterhalten. Hier hat der totalitäre Kommunismus einen großen Vorteil. Die Länder hinter dem Eisernen Vorhang tragen ihre Meinungsverschiedenheiten nicht öffentlich aus. Mit Ausnahme von China disputieren wahrscheinlich die anderen Länder überhaupt nicht mit Rußland. Der Kreml trifft die Entscheidung. In den Demokratien dagegen gibt es nicht nur dauernd Meinungsverschiedenheiten, sondern sie werden auch häufig genug öffentlich ausgetragen, mit allen den sich dabei ergebenden Möglichkeiten, Verstimmungen zu verschärfen und böses Blut zu machen.
Demagogen in Amerika wie in Großbritannien nützen ihre Freiheit voll aus, um die gegenseitigen Vorurteile, die in beiden Ländern bestehen, bis zum’Letzten auszuschöpfen. Sie tun es oft nicht aus bösartigen Motiven sondern aus innerpolitischen Gründen. Wenn ein amerikanischer Kongreßabgeordneter Großbritannien angreift, oder wenn ein Sozialist des linken Flügels Amerika schlecht macht, so geschieht das hauptsächlich, weil sie glauben, sie werden dadurch populär, es bringt ihnen Stimmen ein oder stärkt ihre Stellung in der Partei. Aber Reden dieser Art, die begierig von der Presse in beiden Ländern ausgenommen werden, weil sie „news“ sind, können viel Unheil im guten Verhältnis unserer beiden Länder anrichten und können manchmal, da die öffentliche Meinung beeinflußbar ist, eine direkte Auswirkung auf unsere Außenpolitik haben« Ein weiteres Handicap ist die Beschränkung, die die Demokratie ihren Führern bei der Durchführung ihrer Politik gegenüber anderen Ländern auferlegt. Wenn Molotow zu einer internationalen Konferenz fährt, kann er selbst seine Richtlinien wählen ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Als Außenminister hat er, solange er sich der Unterstützung des mächtigen Diktators gewiß ist, nichts zu fürchten. Wie so ganz anders ist die Lage auf der demokratischen Seite! Selbst in Großbritannien, wo Jank des Zweiparteiensystems und der Parteidisziplin die Regierung im allgemeinen sicher damit rechnen kann, sich durchzusetzen, muß sie doch immer die Reaktion der Öffentlichkeit beobachten und den Gedanken an die nächste Wahl im Auge behalten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten sieht sich noch viel größeren Schwierigkeiten gegenüber. Obgleich die Regierung weder eine Niederlage zu befürchten braucht, noch aufgelöst werden kann, ist ihre Position auf Grund ihrer besonderen Beziehungen zum Kongreß doch oft sehr schwach. Ein Außenstehender könnte den Eindruck gewinnen, als ob diese Schwäche in der Verfassung begründet sei, nach der die Ministerien nicht die ganze Regierung darstellen, sondern nur ihre Exekutive bilden. Außerdem ist die Legislative, die technisch die Verantwortung der Regierung teilt, eine unabhängige Körperschaft, die für sich in Anspruch nimmt, eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Politik zu spielen und die trotzdem nicht durch straffe Parteidisziplin an die Regierung gebunden ist, wie das britische Unterhaus. Es ist außerordentlich schwierig für eine Regierung, die die volle Kontrolle über ihre eigene Legislative ausübt, eine Außenpolitik in Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu entwickeln. Unendlich viel schwieriger wird es, wenn die Gewißheit fehlt, daß eine solche Kontrolle wirklich vorhanden ist. Außerdem ist es nicht immer klar, -wo die Verantwortung für die Außenpolitik liegt. Die Mitglieder des Kongresses — besonders der Senat — geben Erklärungen von sich, denen oft große Bedeutung beigemessen wird, obgleich sie häufig ohne Kenntnis der teilweise geheimen Informationen gemacht zsein scheinen, auf denen die Außenpolitik basieren muß. Es ist daher nicht verwunderlich, daß uns in Europa die amerikanische Politik oft recht zusammenhanglos erscheint.
Der Schleier riß
Aber nur diese Schwierigkeiten allein erklären nicht die Veränderungen in den anglo-amerikanischen Beziehungen, und insbesondere nicht die zunehmenden Reibungen, die sich in den letzten Monaten angebahnt haben. Ich glaube, daß diese Reibungen hauptsächlich auf grundsätzliche Mißverständnisse über divergierende Auffassungen in den beiden Ländern zurüdezuführen sind, deren sie sich erst bewußt wurden, als durch den Lauf der Ereignisse schließlich der Schleier riß. Am besten ist es, Unstimmigkeiten existieren gar nicht — aber wenn sie bestehen, und einige sind unvermeidlich — wird der Schaden, den sie anrichten, stark herabgemindert, wenn man sie im voraus erkennt und ihrer voll Rechnung trägt. Eine Schockwirkung entsteht dann, wenn man feststellt, der Partner ist nicht so wie man ihn sich vorgestellt hat.
Eine Gefahr dieser Art besteht sogar im Zusammenhang mit dem anerkanntesten Prinzip gemeinsamer Außenpolitik — der Idee der „kollektiven Sicherheit“, und unklare und auseinanderklaffendeVorstellungen über dieses Thema bestehen nicht nur in dem einen Lande, sondern existieren in beiden.
Es gibt zwei verschiedene Auffassungen. Da existiert zunächst die Vorstellung, daß man Recht und Ordnung, wie sie in irgend einem Staate bestehen, auf die internationale Ebene übertragen könne. Das sieht ungefähr so aus, daß die verbrecherische Nation, die die Aggression vom Zaune gebrochen hat, von allen anderen Nationen zur Rechenschaft gezogen wird. In seiner einfachsten und abstraktesten Form bedeutet es eine Art von Gerichtsverfahren, ausgeführt von einem neutralen Gremium und einer „internationalen Polizeistreitmacht“.
Solche Vorstellungen finden noch viel Beifall in Großbritannien. WWenn man davon spricht, daß man darauf vertraut, daß die Vereinten Nationen den Frieden aufrechterhalten werden, dann schwebt ungefähr etwas derartiges vor. Unglücklicherweise kann man diese Vorstellungen auf die bestehenden heutigen Probleme nicht sehr gut anwenden. Bei den Vereinten Nationen bedeutet dasExistieren des Vetorechts, daß dem Sicherheitsrat jedesmal die Hände gebunden sind, wenn eine der Großmächte selbst der . vermeintliche Aggressor ist, oder auf der Seite des vermeintlichen Aggressors steht. Das Problem würde auch nicht gelöst werden, wenn man einfach das Vetorecht fallen ließe. Denn das würde nicht bedeuten, daß jeder sich einem Mehrheitsbeschluß fügen würde. Eine solche Entscheidung hätte einige Berechtigung, wenn die Mehrheit groß genug wäre, aber sie würde nicht den Eindruck der absoluten Aufrichtigkeit erwecken, die die frühere Vorstellung von der kollektiven Sicherheit verköperte, als sie einstimmig behandelt wurde.
Wegen der offensichtlichen Schwächen und der Wirklichkeitsfremdheit dieser früheren Vorstellungen ist jetzt eine neue Auffassung entstanden. Im großen und ganzen nehmen Großbritannien und Amerika diese neue Auffassung hin, aber sie weichen in ihrer Einstellung dazu etwas voneinander ab. Die offizielle britische Meinung über die Vereinten Nationen ist die, daß sic jetzt wirklich ein Forum sind, und daß sie dem entsprechend für jedermann zugänglich sein sollten, daß das Vetorecht aufrechterhaltcn werden muß und daß man die Vereinten Nationen wirklich nicht als ein wirksames Instrument der kollektiven Sicherheit ansehen kann. Eine solche Sicherheit findet man stattdessen in regionalen Verteidigungspakten, die in der Charta vorgesehen sind, wenn sie auch selbst nicht ein Teil des Apparates der Vereinten Nationen sind.
Die Vereinigten Staaten andererseits setzen mehr Hoffnungen in die Vereinten Nationen zumindest als ein mögliches Instrument kollektiver Sicherheit, allerdings nur auf der Grundlage derMehrheitsbeschlüsse. Diese Bevorzugung einer zum wenigsten „altmodischen" Einstellung hat sicher ihren Grund darin, daß die amerikanische öffentliche Meinung sie bevorzugt, obwohl abzuwarten ist, ob dies nach Korea auch noch der Fall ist. Es gibt viele Leute in England, die auch dafür sind, daß die kollektive Sicherheit durch die Vereinten Nationen gewahrt werden soll, aber Mehrheitsbeschlüsse befriedigen sie nicht ganz. Sie haben eher die schwache Hoffnung, daß irgendwie die ursprüngliche Auffassung der kollektiven Sicherheit wiederhergestellt werden kann. Sie hassen die Vorstellung, daß eine Gruppe gegen die andere, eine Alliance gegen die andere steht. Sie wollen zumindest ein gerichtsähnliches neutrales Element in die Prozedur einbeziehen. Deswegen treten sie so oft dafür ein, daß die sogenannten neutralen Staaten mit herangezogen werden, denn gerade wegen ihrer Neutralität bringen sie die Vorstellung eines neutralen Urteils und nicht die des Zusammenpralls von Weltstreitkräften mit.
Auch die meisten Engländer haben die Notwendigkeit von regionalen Verteidigungsabkommen eingesehen. Die englischen Linksparteien gewöhnten sich durchaus seit 1935 an diese Vorstellung, als es nach dem Fiasko von Abessinien ganz offensichtlich wurde, daß der Völkerbund als ein Instrument zur Aufrechterhaltung des Friedens wertlos war. In der Nachkriegszeit ist das Prinzip der NATO in Großbritannien fast von niemandem angezweifelt worden, außer von der unbedeutenden kommunistischen Partei, und es ist weitgehendes Verständnis dafür zu finden, welch eine Bedeutung der Stärkung des Westens beizumessen ist, um Ruß-land von weiterem aggressiven Vorgehen in Europa abzuschrecken.
Das deutsche Problem
Man kann wirklich ohne weiteres sagen, daß auf dem Gebiete der kollektiven Sicherheit die NATO ein wirklicher Erfolg gewesen ist. Die einzige ernstliche Quelle für damit verbundene Reibungen kommt aus der Behandlung des deutschen Problems. Es lohnt sich, eine kurze Pause zu machen und sich die Gründe zu vergegenwärtigen.
Das Problem mußte außergewöhnlich schwierig zu lösen sein, einmal wegen seiner Kompliziertheit, zum anderen wegen der starken Leidenschaften, die es auslöst. Die verschiedensten Gründe, die in fast allen europäischen Ländern für oder gegen eine deutsche Wiederbewaffnung und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geltend gemacht werden, haben sichtbar Raum gelassen für gefühlsmäßige Reaktionen. Aber konnte man das nicht voraussehen?
Wenn man zurückblickt, haben viele von uns das Gefühl, daß es ein ungünstiger Ausgangspunkt war, an das Problem eines wiedererstarkten Deutschland und seine Beziehungen zu Westeuropa auf dem Wege über die Wiederaufrüstung hcranzugehen. Das Jahr 1950 war gefährlich und es war nur eine natürliche Folge, daß die Bedrohung Europas durch eine sowjetische Aggression zu der Forderung nach einer Wiederbewaffnung Deutschlands führte. Die Weigerung der amerikanischen Verteidigungschefs ist verständlich, sich für den Einsatz amerikanischer Truppen in Europa zu verpflichten, ohne daß ganz klar festgelegt wurde, daß sie gegebenenfalls von deutschen Streitkräften unterstützt würden. Zugleich kann man nicht umhin, den Eindruck zu gewinnen, daß in Amerika für die wahrhaft traumatische Bedeutung zu wenig Verständnis gezeigt wurde, die eine deutsche Wiederaufrüstung für Millionen von Menschen in Frankreich und Großbritannien hat. Wenn amerikanische Politiker das gewußt hätten, hätten sie vielleicht das militärische Problem nicht so sehr in den Vordergrund geschoben. Wie sich die Dinge entwickelt haben, macht dieses Problem heute nicht sehr viel Eindruck. Denn dreieinhalb Jahre später sind noch keine deutschen Truppen aufgestellt, die Spannung in Europa hat nachgelassen und die Stärke des Westens erheblich zugenommen.
Aber weil die ursprünglichen Argumente für eine deutsche Wiederbewaffnung so völlig in Mißkredit gekommen sind, ist das ganze Problem entsprechend unwichtig geworden. Rein durch Ideenassociation, wenn auch 'vielleicht nicht durch streng logisches Denken, ist der Vorschlag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft selbst schwer unterminiert.
Vielleicht wäre heute die Chance für die Annahme des EVG-Vertrages weit größer, wenn sich das Problem erhoben hätte, nicht weil die Vereinigten Staaten die Initiative ergriffen haben, die anderen Teilnehmer der NATO zu beeinflussen, einer deutschen Wiederbewaffnung zuzustimmen, sondern weil Deutschland, das sich bereits vom Kriege erholt, die Initiative in die Hand nahm, um von den Alliierten seine Unabhängigkeit und Freiheit zurückzuerbitten. Man hätte dann über eine Art der Lösung verhandeln können, wie sie tatsächlich der EVG vorschwebt. Das übrige Europa hätte gewußt, daß die Alternative wahrscheinlich eine deutsche Nationalarmee in der nahen Zukunft gewesen wäre. Es hätte dann vielleicht eingesehen, — wie dies heute nicht der Fall ist — daß, wenn es nicht bereit ist, Deutschland für immer eine untergeordnete Stellung zuzuweisen, man sich entscheiden muß: entweder Deutschland die Freiheit zu geben sich eine Nationalarmee aufzubauen, oder sich freiwillig in irgendeine Form von europäischem System einzugliedern. Es ist möglich, selbst wenn die Franzosen die EVG ablehnen, daß sich eine zweite Chance ergeben wird, das Problem von dieser Seite her anzupacken. Sollte es der Fall sein, so ist es äußerst wichtig, daß diese Chance genutzt wird. Sie sollte nicht dadurch vertan werden, daß die Vereinigten Staaten vorzeitig auf der Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO bestehen.
Mittlerer Osten — Südostasien
Nach diesem kurzen Kommentar zu dem spezifischen Problem Deutschland kehre ich zu den allgemeinen Fragen der kollektiven Sicherheit zurück. Was besonders auffällt, ist, daß die kollektive Sicherheit außer in, der NATO noch nirgendwo sonst angewandt worden ist. Da gibt es die 16-Nationen-Erklärung über Korea. Da gibt es ferner die Reihe von Pakten, die die Vereinigten Staaten im westlichen Pazifik abgeschlossen haben, einschließlich des ANZUS-Paktes. Aber es gibt keine Abkommen über kollektive Sicherheit für die zwei gefährlichsten Gebiete außerhalb von Europa: den Mittleren Osten und Südostasien. Erst jetzt, da man eine blasse Vorstellung von den Folgen der kommunistischen Herrschaft südöstlich und südwestlich von Indochina bekommt, haben die Westmächte angefangen, sich ernstlich zu überlegen, was man in Südostasien tun sollte. Im Mittleren Osten ist der einzige erzielte Fortschritt in dieser Richtung der Türkisch-Pakistanische Pakt, der nach militärischen Maßstäben gemessen recht unbedeutend ist.
Es fällt nicht schwer festzustellen, warum solche Verzögerungen bei der Ausdehnung des Systems der kollektiven Sicherheit auf diesen Teil der Welt eingetreten sind. Erstens sind die Völker des Mittleren Ostens und Südasiens weder untereinander noch mit dem Westen so eng verbunden wie die Völker von Westeuropa. Es ist sehr viel schwieriger sie zu überreden, sich in Bündnissen zusammenzuschließen und — aus einer Reihe von Gründen — noch schwieriger einige von ihnen zu überreden, sich eng mit den westlichen Demokratien zu verbünden.
Zweitens kann man diese Gebiete eigentlich als „Kolonialgebiete“ bezeichnen. Sie umfassen ausgesprochene Kolonialgebiete wie Malaya, Borneo und Indochina; Gebiete, die noch vor kurzem Kolonien waren wie Indonesien, Indien und Pakistan; und Gebiete — besonders im Mittleren Osten, wo die Beziehungen des betreffenden Landes zu einer oder mehreren Westmächten denen einer Kolonie gleicht oder glich. Das Bestehen dieser kolonialähnlichen Beziehungen erschwert es, eine kollektive Sicherheit in diesen Gebieten aufzubauen, teils weil in einigen Fällen die Bewohner aktiv um ihre Unabhängigkeit kämpfen, teils weil sie selbst wenn sie ihre Unabhängigkeit schon besitzen, Argwohn gegen ihre frühere Kolonialmacht hegen. Außerdem ist die augenblickliche oder frühere Kolonialmacht recht wenig geneigt, ihreVerantwortung und ihren Einfluß mit anderen zu teilen. Aus all diesen Gründen war es schwer für Großbritannien, für eine französische Kolonie wie z. B. Indochina zu garantieren, während die Franzosen selbst sehr lange wenig davon begeistert waren, wenn andere Mächte dort auftauchten. Für den Mittleren Osten schlug Großbritannien ein gemeinsamesVorgehen vor, aber nur sehr widerwillig und nach ziemlich viel Widerstand aus seinen eigenen militärischen und diplomatischen Kreisen, die nicht sehr erfreut darüber waren, daß Amerika eine aktive Rolle in einem Gebiet spielen wollte, das so lange britisches Einflußgebiet war.
Indien
Besonders erwähnt werden muß das Problem Indien. Obwohl die Gewährung der Unabhängigkeit gerade zur rechten Zeit kam, um freundschaftliche Beziehungen zwischen Indien und Großbritannien möglich zu machen und damit die Aufrechterhaltung wichtiger Verbindungen zwischen den beiden Ländern, ist die indische Regierung — und das trifft auch auf Pakistan und Ceylon zu — im Prinzip gegen das, was sie „Kolonialherrschaft" nennt. Ihre Freundschaft zu Großbritannien und möglicherweise auch ihre größere Kenntnis der wahren Probleme bewirkt es, daß ihre Kritik im Falle Malaya etwas anders liegt und sich umsomehr auf andere Kolonialmächte wie Frankreich und Holland konzentriert.
Diese Opposition gegen Kolonialherrschaft ist im Falle Indien kombiniert mit einer neutralistischen Außenpolitik. Da es erst vor so kurzer Zeit seine Unabhängigkeit gewonnen hat, nimmt sich Indien ein Beispiel an den Vereinigten Staaten und möchte gern die Monroe-Doktrin für das asiatische Festland angewandt wissen. Es will im Kalten Krieg keine Partei ergreifen. Es will seine wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben ohne die schwere Bürde der Verteidigung tragen zu müssen. Indien hat das Gefühl, daß es sich darauf verlassen kann, daß die riesigen Berggrenzen und die Wüsten, die den größten Teil seiner Grenzen umsäumen, einen ausreichenden Schutz bieten und es neigt dazu, die Absichten des kommunistischen China viel optimistischer als die Westmächte zu beurteilen. Für Großbritannien bedeutet das ein Problem besonderer Art. Wenn das Commonwealth seine Einigkeit behalten soll, kann Großbritannien nicht so einfach eine Politik in Südasien betreiben, gegen die Indien stark Stellung nimmt. Andererseits bedeutet dies nicht, daß Indien ein Vetorecht bezüglich irgendwelcher Sicherheitsmaßnahmen haben sollte, auf die man sich einigt.
Umschwung der amerikanischen Politik
Die Vereinigten Staaten selbst hielten sehr lange damit zurück, irgendwelche Verpflichtungen auf dem asiatischen Festland mit Ausnahme von Korea zu übernehmen. Z. B. wurde Großbritannien aus dem ANZUS-Pakt ausgeschlossen, nicht weil etwa Australien und Neuseeland irgend etwas dagegen einzuwenden hätten, sondern weil — wäre Großbritannien eine Signatarmacht geworden — sich die Vereinigten Staaten automatisch zur Verteidigung Malayas, Hongkongs und aller anderen Kolonien in dem einbezogenen Gebiet verpflichtet hätten. Zweieinhalb Jahre später ist die amerikanischePolitik anscheinend vollkommen umgeschwenkt zu einer Politik der allumfassenden kollektiven Sicherheit, die fast alle Teile des Festlandes von Süd-und Südostasien umschließt. Die Tatsache, daß dieser Umschwung erst kürzlich erfolgte, verursacht jedoch notwendigerweise ein wenig Argwohn bei einigen der anderen in Betracht kommenden Partner, ob die amerikanische öffentliche Meinung diesem Umschwung wirklich zugestimmt hat.
Im Lichte dieser Entwicklung ist es wirklich kaum verwunderlich, wenn, sollten in diesem Gebiet Schwierigkeiten entstehen, das Bündnis sich nicht so gut bewährt. Als sich die Lage in Indochina verschlechterte, befanden sich die westlichen Alliierten in einer Lage, in der auch nicht das geringste vorbereitet war, in der man glaubte keine Verpflichtungen eingegangen zu sein, in der eine Politik der Hoffnung und des sich Treibenlassens fast absichtlich verfolgt worden war und in der demzufolge ein weites Feld für Mißverständnisse bestand. Genau die gleiche Situation würde fast sicher eintreten, wenn es den Kommunisten gelingen würde, Unruhe im Mittleren Osten zu stiften. Wenn zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt, was sehr wahrscheinlich gewesen wäre, Persien langsam unter kommunistsche Herrschaft gekommen wäre, wäre es mehr als zweifelhaft gewesen, ob irgendeiner der Alliierten rechtzeitig gehandelt hätte, um den Verlust des Gebietes zu verhindern, was schwere Folgen für die gesamte strategische Situation im Mittleren Osten und in der Tat für das zukünftige Kriegspotential des Westens gehabt hätte. Andererseits, hätten die Länder und die betroffenen Regierungen diese Möglichkeiten erwogen und sich mit ihnen auseinandergesetzt, so schiene es wenigstens möglich zu sein, daß man zu vernünftigen Sicherheitsabkommen gekommen wäre — obwohl sich dies auf alle Fälle schwieriger gestaltet hätte als die Errichtung der NATO.
Zwei Vorschläge
Hinter all diesen Erscheinungen verbirgt sich ein viel grundlegenderes Problem, mit dem sich die Demokratien noch nicht wirklich auseinander-gesetzt haben, nämlich: welche Richtlinie bzw. Richtlinien sind die Westmächte bereit, in ihrer Politik der Eindämmung der kommunistischen imperialistischen Aggression zu verfolgen, und können sie die Verpflichtung übernehmen, diese Politik in einer Art und Weise zu üben, der die öffentliche Meinung in ihren Ländern zuzustimmen bereit ist? Diese grundlegende Frage kommt klar zum Ausdruck in der großen Debatte, die während der letzten zwei Jahre in den Vereinigten Staaten dauernd im Gange war — etwas ähnliches hat sich auch in Frankreich und Großbritannien abgespielt. In allen drei Ländern sind die Regierungen sehr unter Drück gesetzt, eine Politik zu finden, die den Menschen, die sie wählten, beides gestattet — „ihren Kuchen zu behalten und ihn auch zu essen".
Allgemein herrscht der Wunsch, der kommunistischen Aggression Einhalt zu gebieten. Aber außerdem bemüht man sich, die Steuern zu senken, was nur erreicht werden kann, wenn man das Verteidigungsprogramm kürzt. Man ist jetzt noch weniger bereit, amerikanische Truppen in einem Gebiet außerhalb von Europa und dem amerikanischen Kontinent einzusetzen. Vertragen sich diese beiden Dinge?
Bei dem Versuch, dieses Problem zu lösen, haben die Amerikaner kürzlich zwei Vorschläge vorgebracht. Der eine ist der, daß die Asiaten ihre eigenen Kriege führeh sollten, allerdings mit großen Hilfsmaßnahmen vom Westen in Gestalt von Munition und Ausrüstung. Außerhalb von Korea ist diese Idee nirgendwo mit Begeisterung ausgenommen worden. Außerdem läßt dieser Vorschlag ein zu weites Feld für die kommunistische Propaganda, da er als ein amerikanischer Plan hingestellt werden könnte, asiatische Söldner zu benutzen, um Amerikas eigene Schlachten gegen den Kommunismus zu kämpfen. Es ist äußerst zweifelhaft, ob eine solche Politik Aussicht auf Erfolg hat, wenn sich nicht die antikommunistische Einstellung in Asien viel stärker entwickelt als dies bis jetzt der Fall war.
Der zweite Vorschlag, der noch neueren Datums ist, ist der der „Massenvergeltung". Er besagt, daß, sollte eine Aggression stattfinden, die Vereinigten Staaten in den Kampf eingreifen würden, aber nur mit Atom-angriffen. Diese Politik hat eine noch geringere Chance als die erste. Sie könnte aus geographischen und praktischen Gründeh in einigen Gebieten nicht durchgeführt werden, wofür Indochina ein offensichtliches Beispiel ist, außer es würde bedeuten, daß ein totaler Atomkrieg gegen ganz China geführt werden würde.
Aber dieser Vorschlag stellt noch klarer den zweiten großen Gegeneinwand heraus: die Befürchtung nämlich, daß eine Massenvergcltung durch die Vereinigten Staaten an China eine Massenvergeltung Rußlands und Chinas veranlassen würde, die sich gegen alle Alliierten der Vereinigten Staaten und möglicherweise gegen die Vereinigten Staaten selbst richten würde. Diese Befürchtung, die natürlich sehr verstärkt worden ist durch die Explosion der Wasserstoffbombe, macht es für die Alliierten der Vereinigten Staaten vollkommen unmöglich, diese Politik zu unterstützen. Es ist in der Tat äußerst zweifelhaft, ob das amerikanische Volk selbst, wenn es sich wirklich dieser Alternative gegenübersieht, diese Alternative ernstlich erwogen hätte. Aber allein nur die Ankündigung einer solchen amerikanischen Politik, die man so schnell wieder fallen lassen mußte, fiel schon schwer ins Gewicht und verschlechterte Amerikas Beziehungen zu seinen Alliierten. Diese Ankündigung erschreckte die Alliierten bestimmt mehr als die Feinde. Wenn man sich ein wenig mehr beraten hätte, wäre diese Wirkung vermieden worden.
Kollektive Diplomatie
Wenn es schon schwierig war, eine kollektive Sicherheit außerhalb Europas zustandezubringen, so haben sich noch größere Schwierigkeiten für die Alliance auf dem Gebiete der „kollektiven Diplomatie“ -wie man es nennen könnte — ergeben. Damit sind Verhandlungen seitens der westlichen Demokratien als geschlossene Gruppe mit den kommunistischen Nationen gemeint. Die im Zusammenhang damit bestehenden Komplikationen, denen sich eine Reihe von Nationen gegenübersieht, — die zwar durch Verteidigungsbündnisse eng miteinander verbunden sind —, als eine geschlossene Gruppe mit den monolithischen totalitären Diktaturen zu verhandeln, werden stark vermehrt durch gewisse grundsätzliche Unterschiede zwischen Amerikanern und Engländern. Die amerikanische Haltung den kommunistischen Mächten gegenüber ist zum Beispiel äußerst feindlich. In den Vereinigten Staaten gibt es direkt einen antikommunistischen Kreuzzug. Wahrscheinlich war eine Abkehr vom Isolationismus nur auf dieser Grundlage für die amerikanische Öffentlichkeit annehmbar, wobei es nicht so leicht sein mag, diese Einstellung unter „normaleren" Friedensverhältnisse aufrechtzuerhalten.
Zweifellos jedoch spielte der Krieg in Korea eine wichtige Rolle, um die öffentliche Meinung aufzuwiegeln. Während die Kämpfe andauerten, und große amerikanische Verluste eintraten, war es nur natürlich, die chinesischen Kommunisten als den Feind hinzustellen und leicht genug, diese Auffassung auch auf ganz Sowjetrußland und seine Satelliten auszudehnen. Ich wurde vor ein oder zwei Jahren in Amerika gefragt: Warum bestehen Sie darauf, mit dem Feind Handel zu treiben? Meine Antwort, daß weder Großbritannien noch die Vereinigten Staaten sich offiziell mit irgendjemand im Kriege befänden, ganz gewiß nicht mit Rußland, wurde mit einem verständnislosen Blick quittiert. Bei einer solchen Einstellung muß jeder amerikanische Außenminister sich einem Plan, mit den Kommunisten zu verhandeln, äußerst behutsam nähern. Er muß um jeden Preis vermeiden, den Eindruck bei der amerikanischen Öffentlichkeit zu erwecken, daß er weich sei oder dem Feind gegenüber nachgebe. Außerdem wird es genügend Leute in prominenten Stellungen geben, die alle Hebel in Bewegung setzen, um ihn daran zu hindern, indem sie Türen knallen und Fenster zuschlagen noch ehe die Verhandlungen beginnen. Zusätzlich zu all dem hegt man auch einigen Argwohn gegen die Diplomatie an sich, was nur natürlich ist in einem Lande, das so lange isolationistisch eingestellt war. Die alte traditionelle Furcht, daß die Ausländer zu schlau sein werden und daß „Onkel Sam“ durch Intrige und Betrug hintergangen wird, klingt noch mit.
In Großbritannien andererseits war die gleiche antikommunistische Einstellung niemals so stark oder so weit verbreitet. Man erkennt kühl die Gefahr der kommunistischen Aggression an und im Lande nehmen sowohl die Labour Partei als auch die Gewerkschaften eine feste Haltung ein, um die kommunistische Infiltration zu verhindern. Es istVerständnis dafür vorhanden, daß wir den Kommunismus in Malaya bekämpfen und es wurde allgemein unterstützt, daß wir uns-an dem Krieg in Korea beteiligten. Aber da nur eine sehr kleine Anzahl von britischen Truppen am Kriege teilnahm, wurde Korea in Großbritannien niemals als ein heißer Krieg angesehen. Vielleicht hätte es zur Verbesserung der anglo-amerikanischen Beziehungen beigetragen, wenn die britischen Streitkräfte in Korea verstärkt worden wären und die amerikanischen Truppen einen Teil der Verantwortung Großbritanniens in anderen Teilen der Welt übernommen hätten.
Unsere abweichende Einstellung China gegenüber ist bekannt. Es gibt nicht wenige, die, bereit, China zu verdammen, weil es in den Krieg in Nordkorea eintrat, ehrlich der Meinung sind, daß General McArthurs Vormarsch zum Yalufluß ebenso eine Ursache für diesen Eintritt in den Krieg war wie die bevorstehende Niederlage der nordkoreanischen Streitkräfte. Abgesehen von den Zweifeln über die Bedeutung der chinesischen Aggression ist die Hoffnung vorhanden, daß China von Rußland losgelöst werden könnte, oder daß zumindest zwischen China und Rußland Rivalität entstehen wird, wobei es die Aufgabe der Westmächte wäre, diese Rivalitäten bis zum letzten auszunutzen.
Außerdem ist man überzeugt, daß, wie sehr wir auch die kommunistische Diktatur verabscheuen mögen, wir doch nicht dazu übergehen sollten, der Welt die Demokratie aufzudrängen; daß ein Krieg um etwas derartiges zu erzielen, in der Tat nichts ausrichten würde und daß, wie bedauerlich es auch aus einigen Gründen sein mag — besonders für die unglücklichen Menschen, die hinter dem Eisernen Vorhang leben — wir doch ein Nebeneinanderleben mit den kommunistischen Mächten hinnehmen müssen. Aus dieser Einstellung heraus wird der britische Staatsmann, um die öffentliche Meinung zu beruhigen, nicht zeigen, daß er hart sein kann, sondern im Gegenteil, daß er wirklich versucht, zu einem Übereinkommen mit den kommunistischen Mächten zu kommen.
Unsere Einstellung gegenüber der Diplomatie ist ebenfalls ganz anders. Wir mußten sie jahrelang in der Praxis ausüben. Wir wissen, daß sie notwendig ist und daß es sich um eine ziemlich heikle Angelegenheit handelt. So erklärt man sich ziemlich weitgehend bereit, der Regierung Bewegungsfreiheit zu geben, vorausgesetzt, daß keine grundsätzlichen Unstimmigkeiten über die Politik herrschen.
Schließlich scheint es für uns auf der Hand zu liegen, daß Verhandlungen nötig sind und daß wir uns nicht einfach hinstellen können und uns weigern können zu reden, nicht nur aus den erwähnten Gründen sondern aus zwei weiteren: Erstens sind dort, wo direkte Kämpfe stattfinden oder auszubrechen drohen, Verhandlungen nötig, wenn wir nicht bereit sind, für eine rein militärische Lösung einzutreten, sei es aus dem Grunde, daß wir nicht stark genug sind, um zu siegen, oder sei es daß, selbst wenn wir siegen, damit keine Regelung erzielt wird. Zweitens müssen wir verhandeln, wenn die bestehende recht unbeständige Situation anhält und unannehmbar für unsere Freunde ist. Man muß ihnen das Gefühl des Vertrauens geben, daß wir unser Möglichstes tun, um ihnen zu helfen. Deswegen können wir uns nicht einfach weigern, z. B. über Deutschland, Österreich oder Triest zu verhandeln. Wir müssen unsere Freunde beruhigen und wir müssen Schwierigkeiten vorausahnen.
Lektionen der Vergangenheit
Bei all diesen Schwierigkeiten scheint das Erstaunlichste zu sein, nicht, daß das Verhältnis zwischen Amerika und Großbritannien manchmal gespannt ist, sondern daß das Bündnis überhaupt weiterbesteht. Es wäre jedoch ein großer Fehler, zufrieden zu sein. Den Hauptverdienst für die Beständigkeit der anglo-amerikanischcn Partnerschaft hat der Kreml. Wenn die sowjetische Politik klüger, besser informiert, geduldiger würde, — und dafür gibt es jetzt einige Anzeichen — so könnte diese Partnerschaft bis zu einem gefährlichen Punkt geschwächt werden. Es lohnt sich deshalb, zu überlegen, was getan werden könnte, um dem entgegenzuwirken. Welche Lektionen haben wir aus den Erfahrungen der letzten fünf Jahre gelernt? Ich wähle nur zwei, die beide wichtig sind.
Erstens müssen beide Regierungen unbedingt mehr im voraus denken und zwar zusammen. Selbst wenn sich dabei Schwierigkeiten ergeben, so ist es viel besser, daß sie jetzt an die Oberfläche geholt werden als daß sie später auftauchen. Schlimmstenfalls wird das Vertrautsein mit ihrer Existenz den Schaden reduzieren, den sie den guten Beziehungen zufügen. Und bestenfalls könnte eine Diskussion darüber zu dem Verschwinden der Schwierigkeiten beitragen. Es sollten daher dauernd gemeinsame Beratungen über eine langfristige Politik stattfinden. Diese Beratungen sollten zunächst vollkommen privat sein. Sonst wäre die Befürchtung, von der öffentlichen Meinung mißverstanden zu werden, ein stark behindernder Faktor. Sie sollten über „normale diplomatische Kanäle" geführt werden durch vertrauenswürdige erfahrene Beamte und Botschafter, die in ständiger Verbindung mit ihrer Regierung sind und deren Meinung wiedergeben könnten. In einem späteren Stadium dürften vielleicht Gespräche auf „ministerieller Ebene“ erforderlich sein; und, was vielleicht noch wichtiger ist, könnten sie die Vorbereitung der öffentlichen Meinung für einen wichtigen politischen Vorstoß einschließen. Denn auf dem Gebiete der Außenpolitik ist es ganz besonders die Pflicht der Regierungen, den Vorurteilen des Tages zu steuern und ihnen nicht unterwürfig zu folgen.
Was für Themen sollten diskutiert werden? Es wäre leicht, eine lange Liste aufzustellen. Aber vier Fragen scheinen meiner Meinung nach eine gemeinsame Untersuchung dringend zu verlangen.
Zunächst, wie soll sich die Politik der Besatzungsmächte in bezug auf Deutschland gestalten, wenn Frankreich den EVG-Vertrag ablehnt? Man weiß sehr wohl, daß dieses Thema nicht öffentlich diskutiert werden kann, bis Frankreich seine Entscheiaung getroffen hat, um der Wirkung willen, die eine solche Diskussion vielleicht auf diese Entscheidung ausüben könnte. Aber diese Tatsache sollte nicht freimütige private Verhandlungen verhindern, die beabsichtigen, hier zu einer Art von Übereinkommen zu kommen. Ein Versagen könnte vielleicht zu Verwirrung, Verlegenheit und ernsten öffentlichen Auseinandersetzungen zu einem späteren Zeitpunkt führen.
Zweitens: Ist es wirklich unmöglich, eine gemeinsame Politik für den Mittleren Osten zu gestalten? Wir sehen alle die Schwierigkeiten ein, aber wir sollten auch die Gefahren nicht vergessen.
Drittens, wenn wir ein „Nebeneinanderleben" mit der kommunistischen Welt voraussetzen, wie soll sich unsere Politik China gegenüber gestalten? Diese Frage ist natürlich das explosivste Thema. Aber deswegen sollte das Thema nicht ignoriert, aber doch mit Vorsicht behandelt werden. LInter welchen Bedingungen z. B. würden die Vereinigten Staaten Rotchina anerkennen? Wie sieht eine langfristige Politik für Formosa aus? Welche Einstellung haben wir zu den Beziehungen, die sich zwischen Japan und China entwickeln? Welche Art von Beziehungen würden wir gern zwischen ihnen sehen?
Meine vierte Frage ist allgemeiner Art. Wenn die Politik der Eindämmung angenommen wird, welche Richtlinien sind wir dann wirklich bereit einzuhalten? Und was für Abkommen sind nötig, um sicher zu gehen, daß wir sie einhalten können.
Es wäre natürlich dumm zu erwarten, daß in solchen absolut wesentlichen Fragen, die wiederum zu weiteren Fragen führen, ein eindeutiges Übereinkommen leicht erzielt werden könnte. Aber der Versuch sollte trotzdem — und aufrichtig — gemacht werden. Ein paar zwanglose Unterredungen werden nicht ausreichen.
Meine zweite Schlußfolgerung ergibt sich eigentlich aus der ersten. Wenn Diskussionen über eine langfristige Politik erfolgreich sein sollen, dann müssen diejenigen, die daran teilnehmen, in der Lage sein, mit ausreichender Vollmacht zu sprechen. Dies setzt voraus, daß sowohl die Regierungen die erforderliche Macht haben, als daß auch die Außenpolitik eine gewisse Kontinuität aufweist. Keines der beiden Ziele ist unter demokratischen Bedingungen leicht zu erreichen. In der Theorie sind zum mindesten die Parlamente souverän und können ablehnen, was Regierungen vorschlagen. Und eine neue Regierung mag sich vielleicht den Verpflichtungen entziehen wollen, in die ihre Vorgängerin eingewilligt hat.
Trotzdem ist'das in Großbritannien kein großes Problem. Die Partei-disziplin und das Zweiparteiensystem bieten meistens Gewähr dafür, daß die Regierung die Legislative ausübt. Um sicher zu gehen, muß das Parlament informiert werden und eine Möglichkeit haben, Stellung zu nehmen. Und die Ansichten des Parlaments müssen von der Regierung berücksichtigt werden. Aufgrund dieser Sachlage besitzt die britische Regierung in Fragen der Außenpolitik ziemlich viel Vollmacht. Was die Kontinuität anbetrifft, so ist cs zur Tradition geworden, daß Verpflichtungen, die eine frühere Regierung auf sich genommen hat, weitergeführt werden müssen, obwohl dies nicht bedeutet, daß keine Änderungen in der Politik möglich wären. Es gibt keine „Zweiparteienpolitik“, die Opposition behält sich ihre Freiheit vor und wird dies auch in Zukunft tun. In der Praxis jedoch herrschte im Nachkriegsengland große Übereinstimmung. Die Konservative Regierung übernahm die Politik der Labour-Regierung und setzte sie fort. Und ihre Tätigkeit hat zum größten Teil die Zustimmung der Opposition gefunden, trotz der Tatsache, daß sie von den Konservativen ausgeübt wurde.
Über die Lage in den Vereinigten Staaten spreche ich nur mit großer Zurückhaltung. Für einen Ausländer scheint das Problem sehr viel schwieriger. In dem vorangehenden Teil des Artikels nahm ich Bezug auf die verfassungsmäßigen Gegebenheiten, und ganz besonders auf die Beziehungen zwischen Regierung und Kongreß. Diese Beziehung hat anscheinend gewiß in der letzten Zeit eine hindernde Wirkung auf die Bewegungsfreiheit des Präsidenten und von Mr. Dulles auf dem Gebiete der Außenpolitik ausübt. Man hat auch den Eindruck, daß die Hexenjagd von McCarthy die Mitglieder des auswärtigen Dienstes daran gehindert hat, ihre Ansichten über die Politik zu äußern. Es kommt einem Engländer nicht zu, den Amerikanern zu sagen, wie sie ihre eigenen politischen Probleme lösen sollen. Ich kann nur sagen, daß wir von unserem Standpunkt aus eine einheitlichere Linie in der amerikanischen Außenpolitik begrüßen würden, sowohl gedanklich als auch in ihrer praktischen Auswirkung und mein Eindruck ist der: Solange diese einheitlichere Linie nicht erreicht ist — zwischen Regierung und der Legislative und zwischen den Parteien — solange wird die Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik Großbritanniens und Amerikas weiterhin schwer behindert sein.