„Wenn auch die Gewalt der äußeren Ereignisse unser Leben in Bruchstücke schlägt wie die Bomben unsere Häuser, so soll doch möglichst noch sichtbar bleiben, wie das Ganze geplant und gedacht war, und mindestens wird immer noch zu erkennen sein, aus welchem Material hier gebaut wurde oder gebaut werden sollte . . .'
Dietrich Bonhoeffer, an seine Eltern, am 20. Februar 1944
Einleitung und Problemstellung
Unser Wissen über die deutsche Opposition gegen Hitler ist in den letzten Jahren wesentlich erweitert worden. Umfang, Schichtung, Charakter und Bedeutung der Opposition sind vor allem durch die Werke von Hans Rothfels und Eberhard Zeller hell ins Licht getreten. Jede zukünftige Arbeit — die eigentlich nur noch der Erhellung einzelner Phasen dienen kann —, wird auf der hier gelegten Grundlage weiterbauen müssen. Auch diese Studie weiß sich beiden Werken, insbesondere dem von Hans Rothfels, verpflichtet; ihm verdankt sie — außer persönlichem Erleben — Anregung und Zielsetzung. Aufgabe nachfolgender Untersuchung ist die Klärung der Zusammenhänge, Pläne und Aktionen der deutschen Opposition zwischen Polen-und Frankreichfeldzug. Diese Periode des „Krieges im Zwielicht“ wie Chamberlain sie treffend nannte, ist im Hinblick auf den aktiven Widerstand gegen Hitler bisher nur in schwachen Konturen erkennbar. War diese Zeit nach der Eroberung Polens nur eine Stille, die den Sturm des Krieges dann um so gewaltiger entfesselte, oder barg sie auch Kräfte, die gegen den Urheber dieses Krieges leidenschaftlich um den Frieden kämpften? Wir wissen, daß damals im deutschen Volke bis in seine alten Führungsschichten hinein — übrigens in Frankreich und England ebenso, ganz zu schweigen von den neutralen Ländern — die lebendige Erinnerung an den letzten Krieg dem Willen zum Frieden kräftige Nahrung gab. Die Kriegsleidenschaft war noch nicht entbrannt, die Gegner waren noch nicht ineinander verbissen, die Kriegsfurie konnte vielleicht noch gebändigt werden, ehe sie endgültig entfesselt war. Weiterhin ist uns bekannt, daß neben den politischen Oppositionsgruppen die deutsche Heeresführung und eine Reihe bedeutender Generale die —ursprünglich schon für den November 1939 angesetzte — Westoffensive für ein unverantwortbares Unternehmen ansahen, dessen Ende nur eine deutsche und europäische Katastrophe sein konnte. Schon der Angriff auf Polen hatte sie mit schwersten Bedenken erfüllt. Viele dieser führenden Generale waren keine Anhänger des nationalsozialistischen Regimes, manche von ihnen aus der Einsicht in die dämonische Gestalt Hitlers sogar erbitterte Gegner. Sie alle waren nun in den unausweichlichen Konflikt zwischen soldatischem Gehorsam gegenüber der „legalen“ Staatsmacht und der politischen Verantwortung für das Schicksal der Nation gestellt. Schon einmal, in der Tschechenkrise des Jahres 1938, hatte sich ein Teil von ihnen zu dem Entschluß durchgerungen, Hitler und sein System durch einen Staatsstreich zu beseitigen, um damit den Frieden zu retten. Alle notwendigen Vorbereitungen waren damals getroffen, selbst der Befehl zur Auslösung durch den Generalstabschef Halder schon gegeben, als Chamberlain nach München flog und damit dem Umsturz die Voraussetzungen entzog. Beim Angriff auf Polen waren nun die Westmächte entgegen den Voraussagen Hitlers und Ribbentrops nicht mehr zurückgewichen. Die gefürchtete Katastrophe des Krieges, der sich zum Weltkrieg ausweiten mußte, war da. Wiederum war jetzt der höheren militärischen Führung die Frage ihrer politischen Verantwortung für das Schicksal der Nation — und dringlicher als je — gestellt. Noch gab es die Chance, den Frieden vor der Eröffnung der blutigen Auseinandersetzung im Westen wiederzugewinnen. Nachdem sich schon Anfang Oktober gezeigt hatte, daß mit Hitler an der Spitze Deutschlands der Weg zum Frieden endgültig versperrt war, gab es nur noch eine Möglichkeit — den Staatsstreich durch Einsatz des
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Heeres. So stellt sich vor der Geschichte die Frage nach der Haltung der führenden deutschen Generalität. Vernahm sie den Ruf der historischen Stunde, wie folgte sie ihm? Aber nicht nur ihr, wenn auch ihr zuvorderst, gilt unsere Frage, wir richten sie ebenso an die oppositionellen Politiker. Was taten sie, um der militärischen Opposition den Weg zum Handeln freizumachen? Weiter: fanden sich beide Gruppen erneut, und nun vertieft, zu koordiniertem Handeln, wie erstmals 1938? Und schließlich stellt sich noch das Problem der Bereitschaft der Alliierten, einer tat-bereiten deutschen Opposition die Hände zu reichen. Wir besaßen bisher zur Geschichte der Opposition gegen Hitler zwischen Polen-und Frankreichfeldzug nur dürftiges Quellenmaterial. Von Gisevius lag ein zum Teil in Tagebuchform abgefaßter, dramatisierender Bericht vor, nach welchem der Umsturz — von den Politikern der Opposition und der oppositionellen Abwehrgruppe wiederholt vorbereitet — nur infolge mangelnder Verantwortungsbereitschaft und Entschlossenheit der führenden deutschen Generäle nicht durchgeführt werden konnte. Wie weit aber konnte man Gisevius noch trauen, nachdem sich wichtige Stücke seines Buches als unzuverlässig und irreführend erwiesen hatten? Erich Kordt brachte bemerkenswerte, teilweise doku-mentarisch unterbaute Beiträge. Sie wurden durch die scharfe Kritik des englischen Historikers Namier fragwürdig. Im übrigen gab es nur unzusammenhängende, an den verschiedensten Stellen verstreute Detail-nachrichten. Schon in ihren unscharfen Konturen ließ die zur Frage stehende Phase aus der Geschichte der deutschen Opposition eine solche Bedeutung erkennen, daß die Erschließung neuer Quellen, die ein wirkliches Urteil ermöglichen konnten, um so dringlicher wurde. Die Durchsicht der Akten und Dokumente der Nürnberger Verfahren, vornehmlich des noch kaum bearbeiteten OKW-und Wilhelmstraßenprozesses die Einsicht in das bisher unerschlossene Tagebuch von Halder die Auswertung persönlicher Mitteilungen wichtiger Überlebender sowie die erneute Bearbeitung des bereits bekannten Materials, insbesondere des Tagebuchs von Hassell, ließen es verantwortbar erscheinen, die anstehenden Fragen unter wissenschaftlichem Aspekt erneut aufzugreifen. Doch bleibt zu bedenken, daß, wo einige Quellen ergiebig fließen, andere aber noch verschlossen sind, jederzeit Korrekturen erforderlich werden können. So problematisch die Quellenlage also auch noch ist, so wird sich aber doch sagen lassen, daß — mögen auch vielleicht einige Akzente noch anders gesetzt werden müssen — eine völlige Veränderung des bisher gewonnenen Bildes kaum zu erwarten steht. Wenn wir im Folgenden den Versuch machen, mit Hilfe der neuen Quellen das Zusammenspiel zwischen militärischer und politischer Opposition, seiner Ziele, Möglichkeiten und Grenzen darzustellen, dann ist zuvor noch ein Wort grundsätzlicher Art notwendig. Wo das bloß legale Verhalten im Raum entfesselter dämonischer Gewalten weithin nur noch Mächten diente, die den Rechtsstaat zu zerbrechen im Begriff waren, konnte es zu der paradoxen Situation kommen, daß ein illegales Denken und Handeln die Welt des Legitimen wiederherzustellen sich bemühen mußte Wir rechnen unter diesem Aspekt nur diejenigen zur Opposition im eigentlichen Sinne, für deren Handeln — mochten auch mancherlei Antriebskräfte verschiedener Art hinzukommen — letztes und tiefstes Motiw die Bedrohung der Menschenwürde in ihren Fundamenten war. So verstehen wir auch mit Hans Rothfels die Verbindung der Opposition mit dem feindlichen Ausland als einen Ansatz zu einer „Internationalen des Menschlichen gegen das Unmenschliche“ und als einen „Durchbruch durch eine exklusiv oder konventionell . nationale“ Loyalität in zukunftsträchtigem Sinne" Der Ausbruch des Krieges, der scheinbar um die Korrektur von Versailles geführt wurde, vertiefte die inneren Konflikte der Oppositionsangehörigen. Aber schließlich entschied ihr Gewissen nicht anders als bisher: Die Erkenntnis des wirklichen Hitler, das Wissen um die wahren Zusammenhänge des Geschehens, die Einsicht in die furchtbaren Folgen forderten den Ungehorsam gegen die usurpierte Staatsgewalt aus der Verpflichtung eines höheren Patriotismus und eines höchsten sittlichen Gebotes.
Die Oppositionsgruppen bei Ausbruch des Krieges
Das Scheitern des Staatsstreichplans im Herbst 1938 hatte eine Umschichtung und Konzentration der Kräfte innerhalb der Opposition herbeigeführt. Nachdem Hitler wieder einmal entgegen allen Urteilen zuständiger Sachkenner Erfolg gehabt hatte, schied damals mancher an der Opposition Beteiligte, vom „Genie“ Hitlers überwältigt, aus. Mancher mochte jetzt — 1939 — angesichts des nun faktisch ausgebrochenen Krieges aus seinen Gewissenskonflikten nicht mehr herausfinden. In den eigentlichen Kerngruppen der Opposition war jedoch weder durch die Enttäuschung von 1938 noch durch den Kriegsbeginn 1939 der . Wille, Hitler und sein Regime zu stürzen, erlahmt. Unsere Untersuchung kann nur den eigentlichen Exponenten der Opposition gelten, ihre Tätigkeit ist aber nur dann richtig erfaßbar, wenn wir auch ihren Rückhalt kennen und den Boden, von dem sie sich getragen wußte. So müssen wir wenigstens die wichtigsten Namen aus der breiteren Oppositionsfront nennen. Viele davon sind schon aus anderem Zusammenhang bekannt. Doch haben wir uns ihrer erneut zu vergewissern. Wir müssen wissen, wer schon oder auch noch bei Ausbruch des Krieges zur aktiven Opposition gehörte. Es werden vornehmlich solche Männer hier aufgeführt, deren Wirken durch die spätere Verfolgung besonders augenfällig geworden ist. Die meisten von ihnen haben ihr Tun mit dem Tode besiegelt oder sind nur durch glückliche Zufälle der Hinrichtung schließlich entgangen.
Obwohl solche Registrierungen mißlich sind, sei zwecks vorläufiger Orientierung die Einteilung der Männer des Widerstands in folgende drei Gruppen gestattet:
Ernst von Weizsäcker, als Staatssekretär der leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, ist als Mitglied der Opposition im weiteren Sinne anzusehen 1). Über seine besondere Stellung wird noch zu sprechen sein. Nach Ausbruch des Krieges deckte er mit seinem Namen die vom Gesandten Erich Kordt, dem Chef des Ministerbüros, inspirierte, der Situation des Krieges angepaßte Neuorganisation der diplomatischen Oppositionsgruppe. Mit konspirativen Aufträgen wurden versetzt:
Der Botschaftsrat Theo Kordt, bisheriger deutscher Geschäfts-träger in London, an die Gesandtschaft nach Bern; E. von Selzam an die Gesandtschaft nach Den Haag, die vom Grafen Zech geleitet wurde; der Vortragende Legationsrat Dr. Hasso von Etzdorf als Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes zum OKH nach Zossen; der Legationsrat Albrecht von Kessel zu Generaloberst von Hammerstein-Equord; der Generalkonsul vonjansonzu General von Blaskowitz; der Gesandte Otto Kiep in die Abwehrabteilung; der frühere Mitarbeiter von E. Kordt, S p i t z y in den Stab Osters, der die Zentral-abteilung der Abwehr leitete. (Die Verbindung zwischen Oster und Kordt wurde durch frühe Morgenbesuche Spitzy’s in Kordt's Wohnung gehalten.)
Einer der aktivsten Oppositionellen aus dem Ausw. Amt war Adam von Trott zu Solz, der im Oktober 1939 Kontakt mit der amerikanischen Regierung auf einer Amerikareise aufzunehmen versuchte.
In konspirativem Sinne waren bereits tätig der Legationsrat Freiherr von der Heyden-Rynsch, der Leiter des Referates Pol I M, und sein Mitarbeiter, Legationsrat Gottfried von Nostiz. Die Aufgabe dieses Amtes war neben der Bearbeitung von Waffenattache-Angelegenheiten der Kontakt mit dem Amt Ausland-Abwehr im OKW. Man tauschte gegenseitig Informationen aus. Mit Kriegsausbruch wurde diese Verbindung in konspirativem Sinne stark intensiviert, täglich wurde mit Oster konferiert, und sehr häufig fanden auch Unterredungen mit dem Admiral Canaris statt. Das Ziel dabei war, ständig ein unverfälschtes Bild der Lage zu haben, das als Grundlage für den Kampf gegen das Regime eine wichtige Voraussetzung war.
Mitglieder der Opposition im Auswärtigen Amt waren ferner E. Kordt's Mitarbeiter, der Legationsrat Brücklmeier und Kordt's Sekretär, Dr. Georg Viktor Bruns.
An der Brüsseler Botschaft wirkte im Sinne der Opposition der Botschafter Bülow-Schwante, der nach einem Besuch Goerdelers Ende Oktober 1939 das bekannte Vermittlungsangebot des beigischens Königs und der holländischen Königin veranlaßte.
Als Kern dieser Gruppe haben zu gelten die Gebrüder Kordt, H. v. Etzdorf und Trott zu Solz; E. Kordt und von Etzdorf waren an den konkreten Staatsstreichvorbereitungen im Herbst 1939 aktiv und führend beteiligt.
Ulrich von Hassell, von 1932— 1937 deutscher Botschafter in Rom und seither nicht mehr im Amt, nahm eine Zwischenstellung zwischen dieser und der folgenden Gruppe ein
Dr. Carl Friedrich Goerdeler, ehemaliger Oberbürgermeister von Königsberg und Leipzig und zeitweise Reichskommissar für die Preisbildung, von Schlabrendorff „das Herz der deutschen Widerstandsbewegung“
Hinter dem Berliner Kreis mit ehemals (bis 1933), führenden Vertretern der Ar
Hinter dem Berliner Kreis mit ehemals (bis 1933), führenden Vertretern der Arbeiterbewegung standen in der Provinz weitere Widerstands-kreise aus Männern der Arbeiterschaft. Die süddeutsche Gruppe wurde geführt von Josef Ersing, die südostdeutsche hatte in Franz Leuninger (vormals Generalsekretär des christlichen Metallarbeiter-verbandes) einen ihrer entscheidendsten Leute; zur westdeutschen gehörten: Prälat Otto Müller, Heinrich Körner (Landes-geschäftsführer der christlichen Gewerkschaften, 1926— 1933), Karl Arnold (seit 1948 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen), BernhardDeutz, JohannesAlbers, NikolausGross (Redakteur der „Ketteier Wacht“), Peter Busen und Dr. Paul Franken. Ebenfalls bestand Verbindung mit einem Wiener Kreis, den Jakob Kaiser, Leuschner und auch Goerdeler wiederholt aufsuchten. 7)
Der Goerdeler-Kreis hatte seinerseits durch einzelne Mitglieder Verbindung mit Andreas Hermes (Reichsminister a. D. 1920— 23), OttoLenz, Dr. Otto John (seit 1951 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz), Klaus Bonhoeffer (ehemals Chefsyndikus der Lufthansa) und Prinz Louis Ferdinand von Preußen 8).
D r. L e h r (Bundesinnenminister von 1951— 53), der bis 1933 Ober-bürgermeister von Düsseldorf gewesen war, gehörte ebenfalls einer rheinischen Widerstandsgruppe an, aus der noch die Namen von D r. Forschbach, einem Kölner Rechtsanwalt, Dr. Franken, D r. W. Hensel, seit 1949 Oberstadtdirektor von Düsseldorf, und Franz Etzel'), seit 1952 Vizepräsident der Montanunion, bekannt sind. Über Körner und Arnold bestand Kontakt zur rheinischen Arbeiter-führung. Dr. Lehr hatte schon Ende 1936 den ihm befreundeten früheren Chef der Heeresleitung, Generaloberst von Hammerstein, von der Existenz dieses rheinischen Kreises in Kenntnis gesetzt; es ließ sich jedoch nicht ermitteln, ob und mit welchen Persönlichkeiten der Bendlerstraße bei Ausbruch des Krieges direkte Verbindung bestand.
Eine bedeutsame Rolle spielte in der deutschen Widerstandsbewegung ferner der preußische Finanzminister ProfessorPopitz.
Diese Namen mögen für viele andere stehen, die noch genannt werden müßten, wenn hier eine vollständige Liste angestrebt würde. Auch die angegebenen Querverbindungen bezeichnen nur einige Grundlinien. Die Gruppen und Kreise überschnitten sich vielfach, sie waren wie ein Netz, das aus Bindung und Rückbindung seine Ausdehnung und Festigkeit erhält. Die Knoten dieses Netzes bildeten oft ehemals führende Parteipolitiker, christliche oder sozialdemokratische Gewerkschafter. Man würde aber fehl gehen, wollte man aus dieser Tatsache auf politische Richtungen und Rivalitäten alter Art schließen. Man hatte sich in der engen Tuchfühlung der Illegalität besser verstehen und schätzen gelernt. In dem Maße, in dem die Bedeutung der Persönlichkeiten an Gewicht gewann, nahm die Präponderanz der Doktrinen ab. Im Kampfe für das humanum galten die ursprünglichsten menschlichen Werte als das zu-allererst Wichtige. Das machte den Blick füreinander und für die gemeinsame Sache frei, und das führte weit über die nur negative Interessengemeinschaft der Verneinung des Bestehenden hinaus.
Der Kriegsausbruch verstärkte in den verschiedenen Widerstandsgruppen das Bestreben, enger zusammenzurücken. Vor allem war es wichtig, an diejenigen heranzukommen, die allein noch die Macht hatten, den Sturz Hitlers zu vollziehen. Denn dazu bedurfte es militärischer Machtmittel. Im Hinblick auf die auslösende Aktion hatten die genannten Gruppen die politische und geistige Vorarbeit zu leisten und sich bereit zu halten für die Stunde nach dem vollzogenen Staatsstreich. In dieser Feststellung liegt keinesfalls ein Werturteil, sie bezeichnet nur eine chronologische Ordnung. Der Staatsstreich war ja nur zu verantworten, wenn die zum Handeln berufenen militärischen Führer eine starke zivile Gruppe hinter sich wußten. Ein Entschluß zur Tat, der Wille zum Handeln, bedurften einer breiten geistig-politischen Rückendeckung. Die folgende Untersuchung wird erweisen müssen, inwieweit mangelnde Geschlossenheit der einzelnen Gruppen, unzureichender Kontakt untereinander — vor allem zwischen militärischer und ziviler Opposition — dazu beigetragen haben, den Absprung zu erschweren.
Bald nach Kriegsausbruch wurde „auf Anregung von Klaus Bonhoeffer durch Dohnanyi und die Mitarbeit von Ernst von Ha rna ck, JuliusLeber, Jakob Kaiser und Josef Wirmer die Verbindung zwischen Wilhelm Leuschner und Beck“ hergestellt
Worin bestand die Widerstandstätigkeit der hier genannten Gruppen und Kreise? Nach den Berichten der Überlebenden — Dokumente sind aus naheliegenden Gründen nicht vorhanden — läßt sich zusammenfassend sagen: man versuchte die Lehren aus dem Vergangenen zu ziehen, weckte die Skepsis anderer, versuchte Zellen zu bilden, trieb illegale Propaganda und arbeitete an den Prinzipien einer neuen Staatsordnung, die mehr sein mußte als ein bloßes Anknüpfen an den Bruchstellen von 1933
Darüberhinaus versuchten schon im Winter 1939/40 die genannten ehemaligen Gewerkschaftsführer, Verbindungen nach allen wichtigen Arbeiterzentralen zu knüpfen, um einem Militärputsch, möglichst auch eine aktive Mitwirkung der Arbeiter zu sichern. Geld für solche Vorbereitungen stellte damals der Industrielle Bauer zur Verfügung
Der frühere Chef der Heeresleitung, Generaloberst von Hamm er-stein-Equord, war bereit zu handeln, sobald ihm wieder ein Truppenkommando übergeben würde. Der „rote General" hatte schon seit langem Kontakt mit Gewerkschaftsführern aller Richtungen. An se
Der frühere Chef der Heeresleitung, Generaloberst von Hamm er-stein-Equord, war bereit zu handeln, sobald ihm wieder ein Truppenkommando übergeben würde. Der „rote General" hatte schon seit langem Kontakt mit Gewerkschaftsführern aller Richtungen. An seiner Entschlossenheit bestand nicht der geringste Zweifel. „Er sei ein Mann ohne Nerven, der sich, wenn es so weit sei, eine Brasilzigarre anzünden, sich in seinen Sessel setzen und den Befehl zum Feuern geben werde", hatte Brüning im Frühjahr 1939 in London zu Pechel gesagt 13). Jetzt bekam er das Kommando über die Armee-Abteilung A, die die Grenzen gegen die neutralen Staaten bis Wesel zu sichern hatte. Über die Einzelheiten seines Planes, Hitler noch während des Polenfeldzuges zu einem Besuch an der Westfront zu verlocken, um sich dann seiner zu bemächtigen, waren keine näheren Angaben zu ermitteln; vor allem ist nicht zu erkennen, wie man sich den weiteren Gang der Dinge nach der Verhaftung oder Beseitigung vorstellte, und welche Persönlichkeiten
Die führenden Oppositionellen im OKH, General der Artillerie Franz Halder und General Karl Heinrich Stülpnagel, waren während des Polenfeldzuges mit der Leitung der Operationen derart in Anspruch genommen, daß an einen Staatsstreich schon deswegen nicht gedacht werden konnte. Zu der führenden militärischen Oppositionsgruppe gehörten noch: im OKH Oberst Wagner, die rechte Hand des Generalquartiermeisters (General Eugen Müller; später wurde W. mit diesem Amt betraut), im OKW der Admiral Canaris als Leiter der Abwehr mit Oberst Oster, dem Chef seiner Zentral-abteilung, General Thomas als Leiter des Heereswaffenamtes und General F e 1 1 g i e b e 1 als Chef des Heeresnachrichtenwesens, um nur die wichtigsten Namen zu nennen. AIs erbitterter Feind Hitlers stand Generaloberst vo n Wi t zl eb en als Führer der 1. Armee im Westen zur Deckung der Linie Rhein-Luxemburgisdie Grenze (von Karlsruhe nach Norden), und im Oktober stieß dann auch der Generaloberst R i t -tervonLeeb, bis dahin Chef der Heeresgruppe West und anschließend der Heeresgruppe C, zur aktiven Opposition
Die militärische Opposition -Vorbereitungen zum Staatsstreich
1. Der Entschluß Hitlers zur Offensive und die Stellung der militärischen Führung Die Operationen in Polen verliefen so glänzend, daß der amerikanische Militärattache in der Attacheabteilung des OKH spontan seinen Glückwunsch aussprach. Ein ungewöhnlicher Schritt, der dann als solcher auch sofort an den Chef des Generalstabes gemeldet wurde! 1). Hitler konnte triumphieren, weil er wieder einmal gegen alle Befürchtungen der Fachleute recht behalten hatte: die Alliierten hatten den Angriff im Westen nicht gewagt.
Gamelin begründete das Ausbleiben des französischen Durchbruchs durch den Westwall mit der späten Verwendungsbereitschaft seiner schweren Artillerie. Im Hinblick darauf sei an einen Angriff frühestens erst am 20. September zu denken gewesen 2). Wenn Hitler aus politisch-psychologischen Gründen keinen militärischen Angriff erwartete, so traf das den Sachverhalt richtiger. Die militärische Passivität der Franzosen, ihr Verharren in der Maginotlinie war „im Grunde auch Ausdruck einer rein defensiven Gesellschaftspolitik“ 3). So fand weder der gefährliche, vom deutschen Generalstab seit Jahren studierte und gefürchtete Stoß in den „weichen deutschen Unterleib“ zwischen Rhein und Mosel 4), noch irgendeine andere ernsthafte französische Operation statt, und es begann jetzt eine Phase des Krieges, die von den Franzosen als „dröle de guerre“, von Neville Chamberlain als „the twilight war“ 5) bezeichnet wurde.
Ein „komischer Krieg“ war es nur für die „Sitzkrieger“ in der Maginot-Linie, und es ist sehr bezeichnend, daß gerade die Franzosen, die in ihrer Stagnation buchstäblich sitzen blieben und im Gegensatz zu den Engländern und Deutschen in den Herbst-und Wintermonaten auch kaum etwas zur Vervollkommnung ihres Ausbildungsstandes taten, diesen Ausdrude „dröle de guerre“ prägten. Sehr präzise dagegen traf die Bezeichnung „Krieg im Zwielicht“ die Situation: noch mochte es scheinen, daß der Krieg nach der Vernichtung Polens nun seinen eigentlichen Grund verloren habe, aber schon reiften in den scheinbar friedensträchtigen Wochen die eigentlichen Kriegsentscheidungen heran.
Aus der Betrachtung ex post facto verliert die damalige Situation allerdings weitgehend ihren ambivalenten Charakter, wenn man weiß, daß die führenden Engländer, auf die es ankam, eine unwiderrufliche Entscheidung getroffen hatten. Das gilt nicht nur für Churchill, der als First Lord of the Admiralty ins Kriegskabinett berufen war, sondern in besonderer Weise für den Premierminister, der jetzt umso unerbittlicher war, als er, der Appeasement-Politiker, vorher bis an die Grenzen des möglichen Zugeständnisses gegangen war. (Die psychologische Frage, ob diese LInerbittlichkeit nicht wenigstens zu einem Teil aus der persönlichen Enttäuschung entsprang, ist hier unerheblich). Jetzt kannte er Hitler und er ließ keinen Zweifel daran, daß dieser Krieg nicht mehr um Polen, sondern zur Vernichtung des NS-Regimes geführt wurde, das den unerträglichen Zustand ständiger Bedrohung geschaffen hatte. Nicht nur seine Reden im September und Oktober, vor allem seine gewichtigen Briefe an die Schwestern geben Zeugnis davon
B Die Umstellung ist nach folgenden Richtlinien durchzuführen: 1 .) Schaffung einer bodenständigen Befehls-organisation im Westen 17) 2 .) Umstellung der kämpfenden Truppe: a) I n f. D i v. e n 1. — 4. W e 11 e Die Umgliederung der Infanterie nach der von mir getroffenen Entscheidung ist durchzuführen. c) Die 4 Inf. -Div. (mot.) werden in 4 mot. Brigaden, die als bewegliche Reserven erhalten bleiben, umgestellt .... Die durch die Umstellung freiwerdenden Teile werden zur Auffüllung der Pz. -Div. verwendet (siehe d) d) Panzer-und leichte Divisionen: Die Panzer-und leichten Divisionen bleiben erhalten und sind unter Rückgriff auf die Inf. Div. en (mot.) infanteristisch auf 4 Btlne. aufzufüllen. h) Artillerie (mot.) Die Mot. -Heeresund Korps-Artl. wird in der Masse auf eine bedingte Beweglichkeit abgesetzt. i) Die Kraftfahrzeugausstattung muß allgemein auf das für den Abwehrkrieg notwendige Maß gekürzt werden." Nur wenige Tage später entwarf der Oberquartiermeister K. H. Stülpnagel im Auftrage des Generalstabschefs, General Halder, eine Denkschrift, in der dargelegt wurde, daß das deutsche Heer vorerst noch nicht in der Lage sei, einen Angriff auf die Maginotlinie zu wagen. Als Argumente wurden vor allem der Mangel an Munition, an schweren Kampfwagen und schwerer Artillerie angeführt. Außerdem wurde darauf verwiesen, daß die im Polenfeldzug stark beanspruchten schweren Panzer längere Zeit zur Überholung brauchten, und die leichten Panzer sich überhaupt als unzulänglich erwiesen hätten. Von einer möglichen Aussparung der Maginotlinie mit Hilfe einer durch Belgien und Holland geführten Offensive war in der Denkschrift überhaupt keine Rede 18). Diese Denkschrift wurde Warlimont zugänglich gemacht. Wahrscheinlich hat auch Hitler auf dem Wege über das OKW Kenntnis von ihr bekommen; seine eigene am 9. Oktober dem Oberbefehlshaber des Heeres und Halder verlesene Denkschrift kann als Antwort auf sie und die auch sonst gespürten Widerstände gelten 19). Halder hatte zum ersten Mal am 25. September eine Orientierung über Hitlers Angriffsabsichten im Westen über Warlimont, der einen Tag im Führerhauptquartier in Zoppot gewesen war, erhalten
Im OKH — und dort nicht nur bei den nachher aktiven Männern der Opposition — war man entsetzt über diese Wendung der Dinge. Die gleiche Reaktion erfolgte auch im Auswärtigen Amt. Man erschrak nicht nur über den beabsichtigten abermaligen Bruch der eben erst erneut garantierten Neutralität Belgiens, Luxemburg und Hollands, man hielt auch aus guten Gründen eine solche Offensive für unverantwortlich. Nicht nur, daß strategische Gründe (einschließlich rüstungswirtschaftlicher Überlegungen) ernsthaft dagegen sprachen, mit der Eröffnung einer Westoffensive — dazu unter Bruch der Neutralität — war jeder Weg aus dem Krieg abgeschnitten. Wollte man diese Flucht nach vorn nicht mitmachen, dann gab es nur noch eines: die Offensive mußte verhindert werden. Die empörten Gewissen drängten zur Tat. Doch'blieben in den nächsten 10 Tagen die Dinge noch in der Schwebe. Hitler sprach am 30. September, wie Halder über die Führer-besprechung um 16. 00 in sein Tagebuch notierte, von „Friedensbereitschaft und äußerster Entschlossenheit"; im OKH gl
Es läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, ob eine solche Argumentation aus Hitlers tatsächlicher Überzeugung kam oder nur dazu gebraucht wurde, um den Generalstab in seiner Grundkonzeption zu erschüttern. 2. Die Entwicklung zur aktiven Opposition Beim Studium des Halder-Tagebuches dieser Wochen sieht man die Dinge in ihrer Entwicklung, man erkennt, wie weder Hitler noch das OKH zunächst klare Vorstellungen von dem, was weiter geschehen mußte, hatten, wie sich dann auf beiden Seiten feste Ideen abzuklären begannen und Entscheidungen reiften 25). Die von Hitler tunlichst vermiedene Erörterung der Dinge wurde notgedrungen nachgeholt, aber so. daß man nicht etwa miteinander ins Gespräch kam, sondern von vornherein gegeneinander sprach. Dabei profilierten sich die Fronten langsam scharf, so daß Jodl schon am 4. Oktober 1939 schreiben konnte, eine Krise schlimmster Art sei im Anzuge. „Mißtrauen. Erbittert darüber, daß Soldaten ihm nicht folgen", notierte Halder über Jodl’s Äußerungen zu Hitlers Einstellung in sein Tagebuch 26). Dem Betrachter dieser ersten Oktobertage 1939 bietet sich bei der obersten militärischen Führung ein Bild wachsender Widerstands-gesinnung. Zur Empörung der Gewissen kamen ganz nüchterne Überlegungen über den zu erwartenden Ablauf der Dinge. Thomas hatte schon am 29. September Halder die bedenkliche wehrwirtschaftliche Lage dargelegt: es fehlten in Deutschland monatlich 600 000 Tonnen Stahl, eine größere Steigerung in der Pulvererzeugung sei erst 1941 möglich, innerhalb des Kapazitätsrahmens des Heeres könne die Munitionsherstellung kaum gesteigert werden, auch wenn Stahl vorhanden sei. Wenn wir angriffen, müßte die Luftwaffe gedrosselt werden. In 1/e — 3/Jahr sei eine Besserung zu erwarten 27). Schniewind erklärte Halder am 4. Oktober, daß mit einer U-Boot-Steigerung praktisch erst von 1941 ab zu rechnen sei. Dann würden monatlich 30 U-Boote zusätzlich in Dienst gestellt werden können, so daß Ende des Sommers 1941 dann ständig 100 U-Boote an der Front seien und 100 in den Häfen überholt werden könnten 28). Am 8. Oktober trug der Generalquartiermeister vor; im Hinblick auf die Munitionslage könne eine Operation angesetzt werden für nur Vs der deutschen Divisionen und zwar für 14 Kampftage so, daß dann noch eine Reserve für weitere 14 Kampftage bereit liegen könnte. Der laufende Munitionszuschuß betrüge einen Kampftag für Vs der Divisionen 29). Und schließlich stellte sich in einer Besprechung mit General Fromm, dem Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef H-Rüst, am 9. Oktober heraus, daß bis zum 10. November 1939 an schnellbeweglichen Kräften nur 5 Pz. -Divisionen, 2 leichte Divisionen und 3 mot. Divisionen voll verwendungsbereit gemacht werden könnten, und das auch nur auf Kosten anderer dringender Erfordernissen 30). Jodl schrieb am 30. Oktober in sein Tagebuch: „Mot. Truppen bringen nur 75°/gegen 1. September auf die Beine.“
Dazu kamen die Erfahrungen, welche die Heeresgruppenkommandeure in den ersten Kriegswochen mit dem Einsatzwillen und Ausbildungsstand ihrer Truppen gemacht hatten, die keineswegs ihren Höchstforderungen entsprachen. So teilte Generaloberst von Bock, der im Polenfeldzug die Heeresgruppe Nord geführt hatte, dem OKH mit: die Infanterie von 1914 sei auch nicht annähernd erreicht. Der Impuls der vorderen Linie falle aus, alles basiere auf den Führern, daher die hohen Offiziersverluste. Die Maschinengewehre in vorderer Linie hätten vielfach geschwiegen aus Furcht, sich zu verraten
Mochte Daladiers Rundfunkansprache am 10. Oktober die Aussicht auf einen Frieden noch nicht ganz verdunkeln — Mussolini meinte, die Franzosen fingen an, schwach zu werden
Als Hitler am 16. Oktober dem Oberbefehlshaber des Heeres erklärte, daß er nunmehr endgültig die Hoffnung auf eine Verständigung mit Großbritannien begraben habe und die Offensive im Westen baldmöglichst durchführen wolle, war das nichts Neues mehr. Der zunächst in Aussicht genommene Zeitpunkt zum Antreten zwischen dem 15. und 20. November 1939 wurde dann in den nächsten Tagen auf den 12 Novembervorverlegt, weil die Verwendungsbereitschaft der Panzerundmot. Divisionen nach neuester Meldung schon bis zum 10. November hergestellt werden konnte. Gemäß der vom OKH erbetenen Vorwarnung 7 Tage vorher, wollte Hitler die letzte Entscheidung am 5. November fällen
Aus der inneren Ablehnung der Pläne Hitlers, von denen man eine deutsche und europäische Katastrophe befürchten mußte, erwuchs allmählich der Wille zur tätigen Gegenwirkung. Diese war auf verschiedene Weise möglich. Mit den Mitteln des Ressorts kämpfte eine größere Zahl von Generälen gegen Hitlers Vorbereitungen, zu aktiver Opposition mit der Bereitschaft zu absoluter Auflehnung konnten sich nur wenige, jedoch mit zentralen Führungsstellen betraute Männer durchringen. Diese allein rechnen wir im engeren Sinne zur Widerstandsbewegung. Im Ausland sieht man selbst in dieser Auflehnung vielfach noch immer nur den Widerstreit verschiedener strategischer Konzeptionen
Unter solchem Gesichtspunkt ist auch das Tagebuch Halders zwar eine hervorragende — bisher nicht ausgewertete — Quelle zur Geschichte der Operationsvorbereitungen der militärischen Spitzengruppe, über die Tätigkeit der sich in den ersten Konturen abzeichnenden aktiven Opposition jedoch bringt es nur sehr wenig. Für Namier wäre das ein weiterer Beleg für seine feststehende Meinung: „The primary aim for which they worked was Germany's victory, and next, reinsurance in case of defeat“
Selbst wenn man bedenkt, daß ein Truppenführer seine untergebenen Offiziere auf Entschlossenheit einstellen muß und vor dem Kampf nicht in innere Zweifel führen kann, ist man überrascht von der Tatsache, daß ein deutscher General Hitlers Argumentation in noch simplifizierterer Form weitergeben konnte. Daß solch eine naive Gläubigkeit bei einem hochgestellten deutschen Offizier in dieser Form überhaupt möglich war, ist nicht nur ein Zeichen für die dämonische Wirkung Hitlers, sondern erschreckendes Signal der Krise, in der sich auch die Berufsgruppe der militärischen Führer neben so vielen anderen führenden Gruppen Deutschlands befand. Es mag hier vorweggenommen sein, daß das Scheitern der Staatsstreichvorbereitungen zu einem Teil hier seinen Grund hat. Allerdings muß man sich bewußt halten, daß 1. das zitierte Beispiel ein sehr extremer Fall ist und 2. die Schicht der Offiziere es keineswegs allein war, die infolge jahrzehntelanger überstarker Spezialisierung die Welt nur noch aus dem Winkel einer verengten Geistigkeit zu betrachten vermochte. Was für die Intelligenz überhaupt gilt — wenn eine solch rohe Skizze überhaupt gestattet ist —, wurde natürlich im Kriege in der deutschen Offiziersschicht in besonderer Weise bedeutungs-und verhängnisvoll
Auf solchen Gleisen bewegte sich der Widerstand des Oberbefehlshabers. Die historische Gerechtigkeit gebietet, diesen Einsatz nicht zu unterschätzen. Auf dem Hintergründe dieses Kampfes, den der Ober-befehlshaber des Heeres gegen die Offensive führte, muß auch seine Verfügung über die weltanschauliche Erziehung des Heeres vom 7. Oktober 1939 verstanden werden
Greiners Ausführungen, Brauchitsch habe bis zum 5. November den Willigen gespielt, um in einer günstigen Atmosphäre seine Argumente mit besserem Erfolg durchsetzen zu können, sind nur bedingt richtig
Dafür brachte er aber seine Heeresgruppenkommandeure und Armee-führer jetzt ins Spiel. Rundstedt bekam sogar den direkten Auftrag, Hitler seine Pläne auszureden
Im vierten und letzten Abschnitt stellt die Denkschrift schließlich die Vorteile einer abwartenden Haltung heraus. Die Argumentation gipfelt in dem entscheidenden, für die Erkenntnis der tieferen Motive wieder sehr aufschlußreichen Satze: „Endlich, und das ist wohl das wesentlichste, behält die Führung des Reiches die Armee völlig intakt als größten Machtfaktor für jede weitere Verhandlung in der Hand. Sie kann zu keinen ungünstigen Friedensbedingungen gezwungen werden“
Als in den auf diese Denkschrift folgenden drei Wochen die Angriffs-vorbereitungen nicht nur nicht abgestoppt wurden, sondern der Angriffs-termin selbst in bedrohliche Nähe rückte, ging Leeb noch einen wesentlichen Schritt über seine Denkschrift hinaus. Er schrieb am 31. Oktober genannten dem Oberbefehlshaber des Heeres den schon Brief
Ich bin bereit, in den kommenden Tagen mit meiner Person voll hinter Ihnen zu stehen und jede gewünschte und notwendig werdende Folgerung zu ziehen. Stets Ihr ergebener gez. Leeb“
Namier würde in dem Satz, „daß eine Vernichtung Englands und Frankreichs nicht möglich ist", nur eine Bestätigung seiner These sehen; man wird jedoch in diesem Satz, wie auch in den Bemerkungen zur Prestigeempfindlichkeit Hitlers nur Argumente ad hominem zu sehen haben. Das Zugeständnis einer Autonomie der Tscheche! und eines Restpolen entspricht genau den Vorstellungen der politisch-diplomatischen Oppositionsgruppe. Der letzte Satz allein könnte jeden Zweifel an der vollen Zugehörigkeit Leebs zum Kern der deutschen Opposition beseitigen, wenn es nicht schon andere Beweise dafür gäbe. Die Zusage Leebs an Stülpnagel, von der noch zu sprechen sein wird, wie auch die Erklärung an Halder persönlich: „Sie sind jünger als ich, das stört mich nicht. Weil ich Sie kenne, folge ich Ihnen auf jedem Schritt, den Sie tun“
Bock-rundstedt:
Während Generaloberst von Bock, der Befehlshaber der Heeresgruppe B, schon vor dem 11. Oktober, zu einem Zeitpunkt, als über die offensive Lösung noch nicht entschieden war, eine Denkschrift an Brauchitsch geschickt hatte mit der Warnung vor einer Verletzung der Neutralität Belgiens, Luxemburgs, Hollands
Die nach der zitierten Einleitung folgenden militärischen Gedanken sind in den wichtigsten Punkten denen Leebs ähnlich, ein anderer Geist spricht jedoch aus dem Schluß: „Der Oberbefehlshaber der 12. Armee, Generaloberst List, ist vor einigen Tagen mit der gleichen Auffassung und der Bitte sie zu vertreten an mich herangetreten. Ich stelle anheim, auch ihn zu hören. Den Oberbefehlshaber der 16. Armee habe ich dienstlich mit diesen Erwägungen nicht befaßt, weil angesichts der befohlenen Operation der Gedanke des Zweifels an ihrer Zweckmäßigkeit in keiner Weise nach unten in Erscheinung treten darf. Die Verantwortung der höchsten mil. Befehlshaber zwingt aber m. E. dazu, so schwerwiegende Bedenken zur Sprache zu bringen. Die Erfolge in Polen erheben das Heer und seine Führung über den Verdacht, nicht das Höchste wagen zu können, oder nicht mit vollstem Einsatz an jede Aufgabeheranzugehen." Über die Fixierung dieser militärischen Bedenken und Warnungen und über taktische Manöver zur Verschleppung des Angriffsbeginns hinaus waren von Bock und Rundstedt zu keinen weiteren Handlungen bereit. Sie verharrten in einer militärischen Tradition, für die es Auflehnung und tätigen Widerstand gegen das Staatsoberhaupt nicht geben konnte. Obwohl beide den Usurpator und sein Regime innerlich ablehnten, dienten sie dem Staate weiterhin. Da aber ihre Treue so schließlich nur noch einem Abstraktum galt, besteht die Frage zu recht, ob diese Treue nun nicht ihren ursprünglichen Sinn verfehlte. Daß von Bock und Rund-stedt dann auf die Sondierungen Stülpnagels und auf die Vorschläge Leebs (am 10. November) negativ reagierten, ist natürlich nur eine logische Konsequenz aus ihrer Einstellung. L e e b begnügte sich keineswegs mit seinem ungewöhnlichen Brief an den Oberbefehlshaber des Heeres, er versuchte außerdem eine in seinem Sinne gemeinsame Front der drei Heeresgruppenführer im Westen herzustellen. In seinem Auftrag arrangierte sein Chef des Stabes, General von Sodenstern, für den 10. November eine Zusammenkunft der drei Heeresgruppenbefehlshaber im Hauptquartier der Heeresgruppe A in Koblenz, bei der unter sechs Augen frei und offen gesprochen werden konnte
Während Leebs Auffassung der Lage im wesentlichen von den anderen geteilt wurde, gab es einen Unterschied der Ansichten bei der Erörterung der zu ziehenden Konsequenzen. Leeb schlug ein gemeinsames Vorgehen der drei Heeresgruppenbefehlshaber vor: man solle geschlossen vor Brauchitsch hintreten und diesen mit solcher Rückendeckung zu einer entscheidungsuchenden Auseinandersetzung mit Hitler bewegen. Sollte auch so der Angriffsplan nicht vereitelt werden können, müsse man zusammen von den Ämtern zurücktreten. Dieser Vorschlag Leebs wurde abgelehnt, Bock äußerte „das ginge doch etwas zu weit"
Nach der Rückkehr in sein Frankfurter Hauptquartier trug sich Leeb auf Grund seiner erfolglosen Versuche zunächst mit dem Gedanken, den Befehl über seine Heeresgruppe niederzulegen. Auf den Rat seines Stabschefs, der ihm die Nutzlosigkeit eines solchen Schrittes vor Augen hielt, besonders aber auf Grund des auch jetzt noch fortbestehenden Gefühls soldatischer Verpflichtung dem Vaterland gegenüber, hat er diesen Schritt dann doch nicht tun zu dürfen geglaubt
Schon während der Tschechenkrise sollte sich zeigen, daß Halder sein Wort wahrzumachen gedachte. Er fand sich bereit, den unter Witzleben militärisch vorbereiteten Staatsstreich auszulösen und sich dafür notfalls auch gegen Brauchitsch durchzusetzen. Es darf als gesichert gelten, daß die einleitenden Vorbefehle tatsächlich auch von ihm gegeben wurden
Generaloberst Beck gilt als die „geheime Mitte“ oder „gefühlte Mitte“ der Opposition, wie z. B. Zeller seine Stellung umreißt
Wir werden die hier zutage tretende Haltung bewundern und sie als verpflichtendes Vermächnis ansehen können und doch zugleich feststellen müssen, daß in ihr die letzte Konsequenz noch nicht enthalten war, die Beck kurze Zeit darauf wiederholt von seinem bisherigen Oberquartiermeister und Nachfolger im Amt forderte. Jetzt war auch Beck zum letzten entschlossen, aber nun war er entlassen und ohne die Möglichkeiten seiner früheren Stellung.
Seit dem Abgänge Becks lag die Last einer schweren Verantwortung auf den Schultern Halders und er gedachte sich ihr keineswegs zu entziehen. Aber die Geschichte des preußischen Generalstabs hatte bis dahin noch keinen Revolutionär gesehen. Die Tradition verpflichtete — und sie belastete zugleich. Wenn Halder auch aus dem Glauben des Christen ein grundsätzlicher Gegner des Nationalsozialismus war und den Willen zu aktivem Widerstand besaß, so mußte die Freiheit von der Geschichte, die unverbrüchliche Treue zum Staatsoberhaupt zu fordern schien, doch immer wieder neu errungen werden. In welchem Lichte Halder in der Stellung des Generalstabschefs, in der Nachfolge eines Moltke und Schliessen, seine Verantwortung sah, mag die im Jahre 1938 mit Witz-leben getroffene Abrede beleuchten, — nach gelungenem Staatsstreich von ihren Ämtern abzutreten.
Diese Problematik kann hier nur angedeutet werden, sie bedürfte zu ihrer Lösung einer umfassenderen Studie, (die heute wohl noch nicht voll geleistet werden kann) — sie muß aber angedeutet werden, um den Entschluß Halders, den Staatsstreich im Herbst 1939 noch einmal in die Wege zu leiten, voll zu würdigen, die Größe des inneren Konfliktes zu kennzeichnen und die Nichtauslösung auch von dieser Seite her historisch zu begreifen.
Halder hat in starker Sensibilität an seiner Verantwortung sichtlich schwer getragen. Nicht nur, daß er ihr für sich nicht ausweichen wollte, er hat auch ständig seinem Oberbefehlshaber für den täglichen Kampf mit Hitler den Rücken stärken müssen. Halder hat dem ObdH oft genug entgegengerufen: „Quo-usque tandem . . .!" Aber seit der Nacht des 30. September, in der er Brauchitsch um seine Entlassung bat, weil nur einer führen könne, Hitler, Brauchitsch oder er, war Halder Brauchitsch verpflichtet: beide hatten sich in die Hand versprochen, wenn der Augenblick kommen sollte, nur gemeinsam zu gehen. Die Einheit nach außen sollte gewahrt bleiben. Vorausgegangen war die in starker Bewegung und mit feuchten Augen gesprochene Bitte Brauchitsch's: „Halder, Sie dürfen mich nicht allein lassen, was tue ich ohne Sie gegen Hitler!“
Als sich in der Unterredung am 14. Oktober zeigte, daß dabei nicht sicher auf Brauchitsch gerechnet werden könne, entschloß sich Halder, selbständig und auf eigene Verantwortung Vorbereitungen für einen Staatsstreich zu treffen. Es muß jedoch betont werden, daß damit noch keineswegs die Entscheidung für den Staatsstreich selbst gefallen war; zunächst wurde lediglich ein „Aufmarsch" und „generalstabsmäßiger Operationsplan“ vorbereitet. Diese aus der militärischen Welt stammenden Begriffe wurden gewählt, um den Tatbestand möglichst präzise zu umgreifen: so wie ein generalstabsmäßig erarbeiteter Operationsplan noch keineswegs den Entschluß zu seiner Durchführung implizieren muß, so gab es vergleichsweise auch hier eine Zäsur zwischen Staatsstreichvorbereitungen und den Entschluß zur Auslösung des Staatsstreichs selbst. c) Der Auftrag an Großkurth zur Staatsstreichplanung Der aus dem Amt des Admirals Canaris stammende Oberstleutnant i. G. Großkurth, der seit einer Weile als z. b. V. -Offizier bei Halder Dienst tat — nach Kriegsbeginn taucht sein Name im Halder-Tagebuch zum ersten Male am 26. September 1939 auf —, wurde mit der generalstabs-mäßigen Ausarbeitung eines Staatsstreichplanes beauftragt. Seine unmittelbaren Gehilfen waren Major Schrader und Hauptmann Fiedler
Erich Korth schreibt in seinem Buche „Nicht aus den Akten“ auf Seite 356/57 von diesen Vorbereitungen: „Der Plan begann nun zum ersten-mal nach Kriegsausbruch wirklich Form anzunehmen. Man schien sich im Generalstab keinen Illusionen mehr darüber hinzugeben, was die höhere militärische Führung erwartete, wenn sie Hitlers Befehlen folgte und bei der Offensive im Westen scheiterte. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß Hitler bei einem Mißerfolg die ganze Volkswut auf die verantwortlichen Generale lenken würde“. Eine solche Auslegung, die als Motiv hier nichts als erbärmliche Angst zu sehen vermag, ist nur cum ira et Studio möglich und kann nicht den Anspruch erheben, ernst genommen zu werden. Die politische Seite der Staatsstreichvorbereitungen im OKH lag wesentlich in der Hand Hasso von Etzdorfs, der als Verbindungsmann zwischen Weizsäcker und Halder seit Kriegsbeginn im OKH Dienst tat und mit der Unterstützung von Erich Kordt an den notwendigen Aufrufen arbeitete. Halder beschäftigte sich schon deswegen nicht mit politischen Vorbereitungen, weil er diese in größerem Rahmen bei Bede und seiner Gruppe (mit Goerdeler und anderen) in guter Hand wußte. Das fertige Konzept eines Staatsstreichs im Panzerschrank hat mehr als die indifferente Existenz eines beliebigen Papiers im Sinne des „was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“. Es wirkt durch die Panzerwände hindurch. Aber solches Stimulanz war nicht einmal notwendig, wo die von Halder in jenem Gespräch vom 14. Oktober skizzierte krisenhafte Entwicklung ihrem Kulminationspunkte näherrückte. Am 5. November wollte Hitler endgültig entscheiden, ob der von ihm befohlene 12. November als Angriffstag festgesetzt bliebe. Es gab keinerlei Anzeichen, daß Hitler sich noch in letzter Minute anders entschließen würde; im Gegenteil, er forcierte die Vorbereitungen durch ständiges persönliches Eingreifen. Der Augenblick des Angriffsbefehls mußte aber auch die Zündung eines Staatsstreichs werden, er schuf die psychologisch geeignete und notwendige Situation zur Aktion. Bei den eingeweihten Widerstandsgruppen wuchs die Spannung, die Zivilisten drängten Halder; von Etzdorf und Kordt versuchten durch eine eilig entworfene Denkschrift auf das OKH Einfluß zu nehmen
Das waren ernstzunehmende Fragen; man hat es sich in der Literatur nach 1945 mit ihnen etwas zu leicht gemacht“
Z u 1 : Stülpnagel, der temperamentvoll für den Staatsstreich eintrat, war überzeugt, daß die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen sich von Halder würden mitreißen lassen. Halder selbst, nicht so impulsiv und zunächst skeptischer, zweifelte daran und bat Stülpnagel, auf einer Reise die Westfront entlang die Bereitschaft der Heeresgruppenführer zu erkunden und gegebenenfalls deren Mitwirkung sicherzustellen. Die Beteiligung dieser Männer mußte von ausschlaggebender Bedeutung für ein Gelingen über den ersten Stoß, der den beiden bereitgehaltenen Panzerdivisionen zugedacht war, hinaus sein. Wohl kannte man im OKH die dem National
Sozialismus feindliche Einstellung der Gruppenbefehlshaber, aber aus dem Bereich des Denkens in den Bereich der Tat war noch ein weiter Weg. Auch blieb zu bedenken, daß Halder als Generalstabschef keine Befehls-gewalt besaß, und es war sehr zweifelhaft, ob von ihm unterschrieben Befehle im Zusammenhang eines Staatsstreichs befolgt werden würden. Zu bedenken waren auch Imponderabilien, wie etwa die persönlichen Spannungen zwischen von Bock und dem Chef des Generalstabes. Stülpnagels Sondierungen Ende Oktober
Von der Heeresgruppe C, deren Oberbefehlshaber Generaloberst von Leeb war, erhielt Stülpnagel dagegen eine rückhaltlose Zusage
Daß Generaloberst von Kluge, der Befehlshaber der 4. Armee, trotz seiner unverhohlenen Ablehnung des Regimes nicht für einen aktiven Einsatz zu haben war, wußte Halder ohnehin.
Wenn schon nicht mit einer aktiven Mitwirkung der wichtigsten Heeresgruppen gerechnet werden konnte, mußte die Haltung des Ersatzheeres um so bedeutsamer werden. Doch lehnte Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, Anfang November seine Beteiligung Halder gegenüber ebenso ab, wie er sie schon während der Tschechenkrise 193 8 abgelehnt hatte
Brauchitsch, mit dem Halder dieses Ergebnis besprach, lehnte unter solchen LImständen einen Staatsstreich neuerlich kategorisch ab. — An Truppen blieben für einen Staatsstreich Halder also nur die beiden Panzerdivisionen zur Verfügung, die er, ohne Brauchitsch über solche Verwendungspläne zu unterrichten, zum Zwecke der Zernierung Berlins zurückbehalten hatte. Z u 2 :
Würde die Masse des deutschen Volkes, würde vor allem die Arbeiterschaft einen Staatsstreich verstehen und billigen? Auf verschiedenen Wegen versuchte Halder sich dessen zu vergewissern. Eine seiner besten Quellen war dabei der Vater seines Fahrers, der Obersteiger im Ruhrgebiet war und früher einer christlichen Gewerkschaft angehört hatte. Außerdem nutzte er andere in Münster angeknüpfte Beziehungen aus und hatte auch Beobachter in den Waffenfabriken. Alle derartigen Erkundungen führten zu dem Ergebnis: die Masse der Arbeiterschaft, die von der nationalsozialistischen Konjunktur, deren Hintergründe sie nicht kannte, profitiert hatte, war noch nicht reif für einen gewaltsamen Umsturz.
Daß der höchste deutsche Generalstabsoffizier, der in militärischer Tradition ausgewachsen und durch die Schule der Reichswehr unter Seeckt gegangen war, auf einen solchen Befund empfindlicher und anders reagierte, als das die Politiker der deutschen Opposition taten, ist ein bedeutsames Charakteristikum der damaligen deutschen Widerstandsbewegung gegen Hitler. Das deutsche Heer und seine Führung war in seiner Struktur konservativ und auf Beharrung eingestellt; die von Seeckt nachhaltig bestimmte Einstellung der Reichswehr im Weimarer Staat hatte solche Tendenzen noch verstärkt und eine politische Abkapselung herbeigeführt.
Halder hatte allerdings längst ebenso wie Beck das Dogma der Trennung von militärischer und politischer Verantwortung überwunden; dennoch mußte sich ihm, der unter den gegebenen Umständen allein die Möglichkeit zur Staatsumwälzung hatte und für sie die oberste Verantwortung übernehmen mußte, die Frage stellen, ob er in einer Lage, in welcher die Staatsführung sich noch von der Zustimmung der überwiegenden Mehrheit des Volkes getragen wissen durfte, überhaupt zu einem solch radikalen Eingriff berechtigt sei. Ferner mußte er sich fragen, ob ein Eingriff nicht dann geratener und durchgreifender sei, wenn das Prestige Hitlers die ersten Stöße erhalten habe. Daß man auf diese Weise in einen Teufelszirkel geriet, war damals noch nicht voll abzusehen.
Die führenden politischen Köpfe der zivilen Opposition waren durchweg ganz anderer Meinung. In der bewegteren Atmosphäre täglicher politischer Entscheidungen ausgewachsen und gewohnt, die öffentliche Meinung selbst zu bilden, waren sie entschlossen, notfalls auch gegen die augenblickliche Stimmung weiter Kreise zu handeln. Zu den hier aufgeworfenen schwerwiegenden Fragen sei es gestattet, einmal ausführlicher Dietrich Bonhoeffer zu zitieren, der wie kein anderer aus der Opposition hinabgelotet hat auf den Grund der Probleme
Da es uns darum geht, das Gesicht der deutschen Opposition unter mannigfachen Verschüttungen gerade auch n seinen widersprechenden Zügen zu erkennen, stellen wir diese beiden Standpunkte einander gegenüber, ohne ihre Diskrepanz zu verschleiern. Wir halten es für falsch, mit dem Gewicht der Auffassung der Politiker die Schlußfolgerungen der Militärs zu bagatellisieren. Mag auch in letzteren ein Moment der alten Trennung der Verantwortungsbereiche mitwirken, so kann man die Auffassung Halders und Stülpnagels jedoch keinesfalls als Abschirmung eines Rückzuges aus der Verantwortung deuten. Die letzte Entscheidung über die Richtigkeit der einen oder der anderen These hätte nur der Erfolg oder Mißerfolg eines durchgeführten Staatsstreiches fällen können.
Z u 3 :
Gewiß, es war die Intention des Staatsstreichplanes, die Staatsgewalt durch blitzschnellen Zugriff, in wenigen Stunden, in die Hand zu bekommen, dabei die militärische Kraft der deutschen Wehrmacht ungebrochen und ungespalten zu erhalten und mit ihrem Gewicht in Friedensverhandlungen einzutreten. Da man aber auch einen länger dauernden Bürgerkrieg ins Auge fassen mußte, erhob sich die Frage, was in den kritischen Tagen die an der Westgrenze aufmarschierten feindlichen Heere tun würden.
Schon die primitivste militärische Logik mußte die Ausnutzung eines solchen deutschen Schwächemomentes erwarten. Gab es politische Sicherheiten, die ein „Gewehr bei Fuß" des Gegners garantiert hätten? Bisher hatten weder Engländer noch Franzosen konkrete Beweise gegeben, die eine tatbereite deutsche Opposition hätten ermutigen können. 1938 hatte man es in London nicht einmal für notwendig gehalten, Theo Kordt in gleicher Offenheit entgegenzutreten; München war der deutschen Opposition ein Schlag ins Gesicht gewesen.
Die Evans-Botschaft, die Theo Kordt Ende Oktober durch seine Frau nach Berlin bringen ließ und deren Problematik uns im nächsten Kapitel zu beschäftigen hat, ist nie in die Hände Halders gelangt. Das positive Ergebnis der Verhandlungen Dr. J. Müllers mit den Engländern, die von November 1939 ab über den Vatikan liefen, hat Halder erst im April 1940 und auch nur in entstellter Form erreicht
So blieb diese Frage für Halder offen, er war auf Vermutungen angewiesen. Daß er als Soldat ein militärisches Stillhalten des Gegners im Falle eines deutschen Bürgerkriegs für unwahrscheinlich hielt, wird man verstehen können.
Für die drei erörterten Fragen kam der Beantwortung der ersten ein besonderes Gewicht zu. Dafür haben wir in Generaloberst Beck den denkbar besten Gewährsmann. Seine zu diesem Punkte überlieferte Haltung ist bisher nicht beachtet worden. Beck versuchte in jenen Wochen über den ihm wie auch Halder eng verbundenen Stülpnagel Verbindung zur Widerstandsgruppe im OKH, speziell zu Halder, zu halten. In den ersten Novembertagen ließ er in einer Botschaft über Stülpnagel durchblicken, daß er, falls Brauchitsch nur für seine Person den Staatsstreich ablehne, bereit sei, zwecks Auslösung einer von oben einheitlich gesteuerten Aktion den Oberbefehl zu übernehmen. Dabei setzte Beck allerdings — und das ist der hier für uns entscheidende Passus — voraus, daß die drei Heeres-gruppenbefehlshaber zustimmten
Wir fassen zusammen: die Sondierungen der militärischen Widerstandsgruppe im OKH zeigten schließlich, daß der Boden unter den bereits angelaufenen Staatsstreichvorbereitungen sehr schwankend war.
Die zivile Opposition-Diplomatische Vorbereitungen
Man zog dann in Erwägung, trotz mannigfacher Bedenken, mit Göring eine Lösung zu versuchen. Goerdeler berichtete, daß sich auch Beck dazu durchgerungen habe. Als man nun aus Görings Umgebung an ihn herangetreten sei, habe er zugestimmt unter der Bedingung, daß Herstellung eines Rechtsstaates mit Übergangsbestimmungen und Kontrolle der Staatsführung durch ein berufsständisch gegründetes Organ garantiert würden.
Außenpolitisch, so entwickelte Goerdeler weiter, sei so vorzugehen, daß von der Gegenseite Hitler ein Friedensangebot gemacht werden solle. „Nehme er an, so würde die Entwicklung ihn fort-oder mitreißen, lehne er ab, so müsse man über ihn hinweggehen"
Man befand sich an diesem 11. Oktober 1939 in der zivilen Opposition also noch im Stadium allgemeiner Erwägungen. Die Konturen von Programm und Methode waren noch unscharf, die angedeuteten Möglichkeiten v
Acht Tage später gab Hassell nach Unterredungen mit Beck, Goerdeler, Weizsäcker, Raeder, Popitz, Hammerstein und Welczek in Berlin eine nüchterne und realistische Analyse der Situation, in der sich die zivile Opposition sehen mußte. Nicht alle erreichten damals schon den hohen Grad an Schärfe und Klarheit des Urteils wie Hassell. Wir könnten den Standort der einzelnen Männer geradezu dadurch bestimmen, daß wir ihren Abstand von der Mitte der Hasselschen Analyse festzulegen versuchten. Goerdelers Entfernung bestimmt sich in seinem oft unrealistischen Optimismus; die von Popitz liegt darin, daß er noch eine ganze Weile — noch am 30. Oktober sprach er davon — an ein Zusammengehen mit Göring glaubte; Beck beurteilte die Dinge ähnlich wie Hassell. Eine wirksame Verbindung zu den entscheidenden Generalen bestand nicht, man konnte über ihre Haltung nur Vermutungen äußern, selbst Beck hatte wenig Kontakt. „Man scheint ihn ziemlich liegen zu lassen (natürlich aus Angst)", schreibt Hassell über seine Besprechung mit Beck am 16. Oktober 8). Hassells Ausführungen sind so aufschlußreich, daß sie in ihren wesent-lichen Zügen wiedergegeben seien. Der Zustand, in dem sich mitten im Kriege die Mehrzahl der politisch klardenkenden und unterrichteten Leute befänden, sei geradezu tragisch. Sie könnten weder Sieg noch Niederlage wünschen, müßten einen langen Krieg fürchten und wüßten keinen „wirklich realen Ausweg“, da man kaum auf die Heeresführung rechnen könne. Brauchitsch verfüge nicht über die nötige Entschlossenheit. Halder habe zwar eine bessere Einsicht als Brauchitsch, aber in seiner Stellung als Generalstabschef weniger Macht; außerdem solle er „körperlich, das heißt mit den Nerven, nicht auf der Höhe sein". Auf Raeder und Göring sei schon gar nicht zu rechnen. Unter den Armeeführern seien jedoch ausgezeichnete Leute, wie Rundstedt, Blaskowitz, Bock, Leeb, Witzleben, List; nur seien sie „in ihren lokalen Stellungen nicht nahe genug am Ruder" 9). Goerdeler hatte seine „etwas wilden“ 10) Pläne revidiert, d. h. er war davon abgegangen, von außen innerpolitische Forderungen stellen lassen zu wollen. In der Methode, wie man eine Umwälzung bewerkstelligen sollte, schwankte er noch, am 19. Oktober hatte er seinen am 16. Oktober aufgegebenen Gedanken wiederaufgenommen, von außen Friedensvorschläge zu erreichen, über die Hitler gestürzt werden könne. Am klarsten war zunächst Popitz, der ein Durchdenken der Staatsstreich-pläne im kleinen Kreise befürwortete, um vorbereitet zu sein für die Aktion, die allerdings nur ein — jetzt noch fehlender — General durchführen könne. Nebenher sondierte Popitz allerdings immer noch die Möglichkeit Göring 11). Um die Monatswende war Hassell auf Einladung Goerdelers erneut in Berlin. Goerdeler, wie immer sehr optimistisch, entwickelte seine inzwischen etwas abgeklärteren Gedanken. Er glaubte jetzt, darin wohl beeinflußt durch seinen nunmehr ständigen Kontakt zu Oster und Dohnanyi von der Zentralabteilung der Abwehr, an die Möglichkeit, daß von militärischer Seite ein Staatsstreich in dem Augenblick ausgelöst werden würde, wenn Hitler den Angriffsbefehl gegeben habe. Er hielt Brauchitsch selbst zwar für unentschlossen, hoffte aber, daß er durch Mitwirkung Halders zur Duldung der Aktion gebracht werden könnte. Das eigentliche, noch ungelöste Problem sei allerdings die Persönlichkeit, die den Staatsstreich befehle; alles weitere, die Durchführung selbst, sei gesichert, weil genügend tatbereite Generale dafür vorhanden seien. Für den Fall, daß der Angriffsbefehl nicht zum Staatsstreich führe, müsse der erste Rückschlag in Hitlers Krieg zum Handeln ausgenutzt werden. Zwar seien dann die Voraussetzungen für einen Frieden ungünstiger, aber dafür könne dann die innere Reife als größer angesehen werden. Die Frage nach der inneren Reife taucht also bemerkenswerterweise außer bei der militärischen Widerstandsgruppe auch hier auf
In dem Gespräch mit Hassell am 30. Oktober, während eines Morgenspazierganges, erwähnte Goerdeler auch die von Hasso von Etzdorf und Erich Kordt ausgearbeitete und Brauchitsch, Halder, Stülpnagel und anderen, Ende Oktober übergebene Denkschrift, die uns erhalten geblieben ist
Die einzelnen Argumente sind zwar ad hoc, aber mit hohem Verantwortungsbewußtsein geschrieben und haben durchaus mehr als eine Augenblicksbedeutung. Der ad hoc-Charakter tritt am meisten bei der Darstellung von Punkt 1 und dort besonders unter b) und e) in Erscheinung; die „Bilanz der Hitlerschen Innen-und Wirtschaftspolitik" unter 2 würde auch heute kaum klarer gezogen werden können.
Unter C II wird die Durchführung eines Staatsstreichs auch gegen psychologische Schwierigkeiten gefordert: „Die Verkennung der Lage durch die deutsche Öffentlichkeit und das Unverständnis dafür, nach einem glänzenden militärischen Feldzuge Konzessionen machen zu müssen, sind begreiflich. Das debacle wird erst allgemein erkannt werden, wenn es da ist. Dann freilich wäre der Staatsstreich populär, aber er käme zu spät und würde das Unheil nicht mehr abwenden, in das wir alle, ob mit Hitler oder ohne ihn, und mitsamt unseren schönen polnischen Lorbeeren hineinstürzten. Denn die Kriegsfurie, einmal aus dem Kasten, ist mit Vernunft nicht wieder zurückzulocken: Der Krieg folgt seinen eigenen unerbittlichen Gesetzen, und jede Heeresleitung will vor allem siegen, d. h. heutzutage vernichten.
Die relative U n p o p u 1 a r i t ä t des Unternehmens muß daher mit dem nötigen Maß an Zivilcourage hingenommen werden. Sobald dem Publikum erst die Augen darüber geöffnet sind, was Deutschland aus der Hand eines Besessenen bevorstand, wird sich eine bessere Erkenntnis bald durchsetzen. Im übrigen schafft die nach anfänglichem Friedensoptimismus sich zunehmend verbreitende dumpfe LIngewißheit über den Ausgang des Krieges schon jetzt eine unseren Plänen entgegenkommende Stimmungslage, und man soll last not least auch mitberecliiien, wie sehr der Sturz des Hitler-Regimes „an sich" von vielen und nicht den schlechtesten Deutschen herbeigesehnt wird." Der Hitler geleistete Eid wird unter C III als nicht mehr bindend bezeichnet deswegen, weil er seiner Natur nach eine gegenseitige Verpflichtung sei, und Hitler sich anschicke, seinen Teil durch die geplanten überspannten Ziele zu brechen. „Die Neue Reichsgewalt“ war im Abschnitt D in drei Punkten abgehandelt; davon ist nur „I. Ehrenhafter Friede" erhalten. Der Haupt-gedanke dieses Punktes ist: ein ehrenhafter Friede sei nach einer militärischen Niederlage gefährdet, darum müßten die staatserhaltenden Kräfte handeln, solange das Gewicht einer intakten deutschen Wehrmacht in die Waagschale geworfen werden könne. Der Friede selbst sei etwa auf der Grundlage der Münchener Konferenz zu erstreben, so, daß die ethnographischen Grenzen Deutschlands nicht angetastet würden; d. h„ die Autonomie einer Resttschechei und eines Restpolens sollten wiederhergestellt werden. Von polnischem Gebiet solle lediglich das ostoberschlesische Industriegebiet zu Deutschland kommen, dazu eine Landverbindung nach Ostpreußen geschaffen werden. Der Schlußsatz heißt: „Ein solcher Friede würde auch England und Frankreich das Gesicht wahren, da beide Länder bei der Neugestaltung der Rest-Tschechei und von Rest-Polen mitsprechen können."
Datierung: Augenscheinlich liegt die Botschaft von Conwell-Evans, die in den letzten beiden Oktobertagen in Berlin eingetroffen sein muß — der terminus post quem ist der 29. Oktober, an dem die letzte Unterredung zwischen Theo Kordt und C-Evans in Bern stattfand — später als die Abfassung der Denkschrift. Daß Goerdeler schon am 30. Oktober von der Denkschrift sprach, macht es wahrscheinlich, daß sie schon einige Tage früher abgefaßt wurde. 4. Die Sondierungen Theo Kordts. Am Abend vor dem Kriegsausbruch hatte Theo Kordt, als Botschaftsrat deutscher Geschäftsträger in London, eine letzte Unterredung mit Lord Vansittart, dem diplomatischen Hauptberater des britischen Außenministers. Seit August 1938 standen diese beiden Diplomaten in fast regelmäßigem Kontakt miteinander, der dem Austausch technisch-diplomatischer Informationen und dem gemeinsamen Ziele der Erhaltung des Friedens diente. Vor allem seit den außergewöhnlichen Schritten Theo Kordts am 6. und 7. September 193 8 — den Unterredungen mit Sir Horace Wilson am 6. September und mit Lord Halifax in der Downing Street
I cannot doubt that in so acting your brother took very great risk and in so doing gave very practical evidenc: of his active Opposition to the criminal policy of Hitler"
Die ursprünglich für den Entnazifizierungsprozeß Erich Kordts 1947 geschriebene Bestätigung von Lord Halifax, die für den Wilhelmstraßenprozeß dann noch eidesstattlich unterbaut wurde, enthält naturgemäß vor allem sein direktes Wissen über die Einstellung und Tätigkeit von Erich Kordt; daß er für Theo Kordt noch weitaus positiver hätte aussagen können, liegt auf der Hand. Die hier angezogenen Dokumenente: NG -5786, NG -5786 A und Exh. No. 453, Weizs. Dok. 496 aus Dok. Buch 10 der Weizsäcker-Vertg. sind im Anhang beigefügt; sie bedürfen keiner weiteren Interpretation.
Um so erstaunlicher ist es, wenn Namier ganz in den Vansittartschen Ton zurückfällt: „A diplomatic counterpart to „conspiratorial" activities was sought by the Kordt brothers in private Interviews with Lord Vansittart, mostly at the house of Mr. Conwell-Evans; and whatever Vansittart may have thought of them, he could hardly have refused meeting the Counsellor or Charge d'Affaires of the German Embassy and the chef de cabinet of Ribbentrop"
Wir können uns Einzelheiten über den vereinbarten Modus und das Zustandekommen der verabredeten Verbindungsaufnahme ersparen, da Erich Kordt in seinem Buche „Nicht aus den Akten“ eine ausführliche Darstellung darüber gegeben hat
Theo Kordt war von Weizsäcker, wie schon erwähnt, bald nach Kriegsausbruch in die Berner Gesandtschaft versetzt worden, um von der Schweiz aus, der Schutzmacht für Deutschland, die deutschen Interessen in den Feindländern zu vertreten. Das war sein offizieller Auftrag; seine zweite, weit wichtigere Aufgabe sollte die schnelle Wiederanknüpfung der Verbindung zur britischen Regierung sein. Weizsäcker lag daran, mit England im Gespräch zu bleiben, um jede sich bietende Friedenschance sofort ergreifen und ausbauen zu können. 5. Die Position Weizsäckers Weizsäcker handelte gegen Wissen und Willen Ribbentrops und Hitlers. Das war ein klarer Akt des Widerstandes. Mehr noch, Weizsäcker gab hier — wie auch bei vielen anderen Gelegenheiten — der diplomatischen Widerstandsgruppe den Start frei und deckte deren Tätigkeit unter dem Mantel offizieller Aufträge. Wir sind hier auf einen Fall gestoßen, an dem sich Weizsäckers Ort innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung präzise bestimmt. Er war im Vertrauen, und seine Handlungen waren die Handlungen eines Mannes, der dazu gehörte
Manches von dem, was er auch nach Kriegsausbruch tat und erhoffte, war im Hinblick auf Hitlers Reaktion eine Illusion. Weder die von ihm dirigierte Berichterstattung aus den neutralen Ländern
Weizsäcker kämpfte für den Frieden und gegen das Regime mit den Waffen der Welt, in der er ausgewachsen war. Er warf Sand in das Getriebe des diabolischen Systems, aber der Gang der zermalmenden Räder war so nicht aufzuhalten.
Stellt man die alte Frage nach Schuld und Verhängnis, so wird man nicht umhin können, Weizsäckers persönlichen Einsatz in hohem Maße zu würdigen. Wenn er den feindlichen Gewalten nicht gewachsen war, so ist das kaum eine persönliche Schuld zu nennen. So können wir uns in den wichtigsten Zügen der Charakteristik anschließen, die Attolico im Frühsommer 1939 C. J. Burckhardt gab
Ich frug noch: „Und wenn der Krieg losbricht er wird an seinem Posten bleiben, weil er der Einzige ist, der etwas kann. Wissen Sie, er ist ein württembergischer Beamter, er wird aushalten bis zuletzt, unendlich Vieles verhindern, Unzählige retten, ohne je mit seinem Namen zu signieren, und dann vor allem hält er es für nötig, da zu sein, wenn das Ende kommen wird"
On the contrary we believe that no effective remedy can be found foi the world’s ills that does not take account of the just Claims and needs of all nations and whenever the time may come to draw the lines of a new peace Settlement N C would feel that the future would hold little hope unless such a Settlement could be reached through the method of nego-tiations and agreement. 1t was therefore with novindictive purpose that we embarked on the war, but simply in defence of freedom.
We seek no material advantage for ourselves: we desire nothing from the German people which should offend their seif respect. We are not aiming only at victory but rather look beyond it to the laying of a foundation of a better international System which will mean that war is not the inevitable lot of every generation. I am certain that all peo-ples of Europe including the people of German long for peace, a peace which will enable them to live their lives without fear and to devote their energies and their gifts to the development of their culture, the pursuit of their ideals and the improvement of their national prosperity“.
Theo Kordt, der aus dieser Erklärung und dem von Conwell-Evans mündlich dazu gegebenen Kommentar auf die Bereitschaft der englischen Regierung schloß, mit einer vertrauenswürdigen deutschen Regierung zu verhandeln, eröffnete nun seinerseits seinem Gesprächspartner, daß die deutsche Opposition zur Zeit den Sturz des NS-Regimes vorbereite und voraussichtlich im November zur Aktion schreiten werde. Davon war er inzwischen von militärischer Seite — vermutlich durch Oster — unterrichtet worden. Durch seine Gattin ließ Theo Kordt die handschriftliche Erklärung und die dazu gemachten mündlichen Erläuterungen unverzüglich nach Berlin zu seinem Bruder bringen, der am nächsten Tage Oster unterrichtete und am darauffolgenden Tag gemeinsam mit Oster den Vorgang Generaloberst Beck in dessen Wohnung unterbreitete. Bede, dem Erich Kordt hier zum erstenmal unmittelbar gegenüberstand, war sichtlich beeindruckt: „Jetzt müßte es doch weitergehen. — Wir stehen vor einer großen Entscheidung. Natürlich darf die Armee nicht zerbrechen ... Ich habe die Herren wissen lassen, daß ich zur Verfügung stände, wenn man mich braucht. Es sollte aber bald gehandelt werden, denn nach einer neuerlichen Neutralitätsverletzung wird man auch mit uns keinen „Frieden ohne Rache" mehr schließen wollen, wie es in Ihrem Papier steht. Aber was kann ich tun als raten und mahnen"
Da auch Halder, der die ihm überreichte Ausfertigung des sogenannten X-Berichtes noch gut im Gedächtnis hat, sich nicht an die Evans-Botschaft erinnern kann
Unter dem 13. Februar 1940 findet sich in Hassell’s Tagebuch die Eintragung
In den Februar-Gesprächen mit Theo Kordt — vom 13. bis 17. Februar in Bern — forderte Conwell-Evans die Räumung Polens unmittelbar nach erfolgter Umwälzung in Deutschland als Unterpfand des ehrlichen Willens zur Verständigung mit England
Die vom 16. Februar 1940 datierte Botschaft, die Theo Kordt durch Conwell-Evans der englischen Regierung überbringen ließ, erwähnt eine von England gegebene Stillhaltezusicherung
Die Haltung Amerikas Über die bedeutsame diplomatische Aktion des Cecil Rhodes Stipendiaten von Trott zu Solz in Amerika hat Hans Rothfels ausführlich berichtet
Anmerkung Dr. Erich Kosthorst, geb. 1. Dezember 1920 in Bocholt/Westfalen. Arbeitsdienst und Wehrdienst von April 1939 bis Juli 1944. Von Juli 1944 bis Juli 1949 in russischer Kriegsgefangenschaft. Studium in Wien, Tübingen und Münster. Bei der in dieser und der folgenden Beilage veröffentlichten Arbeit handelt es sich um eine Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Münster/Westfalen. • Die umseitig abgedruckte Karte wurde mit Genehmigung des Athenäum Verlages entnommen: Tippelskirch, Kurt von, Geschichte des zweiten Weltkrieges, Bonn 1950. Zeichner: W. Materne.