Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Gespräche | APuZ 20/1954 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 20/1954 Von Berlin nach Genf Die Vollmacht des Gewissens Die Gespräche

Die Gespräche

Wer es bei der Beurteilung der militärischen Opposition im Dritten Reich unterläßt, diese Werte zu prüfen, unterliegt einer Oberflächlichkeit, die ein begründetes Urteil ausschließt.

Die Partner der folgenden Gespräche über . Die Rechtslage im Tenor-staat', . Der Landesverrat", „Das Widerstandsrecht" und „Der Eid" wenden sich an einen jeden von uns; sie sprechen als die Stellvertreter eines Volkes, in dem der Widerstand die Fackel der Freiheit entzündete.

Ihre Erkenntnisse erhalten eine feste Stütze in den Gutachten berufener Interpreten der Gebote Gottes und des Sprechers eines Rechtes, das sich auf die von Gott gesetzte Ordnung gründet.

Sie legen Zeugnis ab für den Opfergang jener Männer, die wie Adolf Reichwein wußten, daß es in der Entscheidung keine Umwege gibt. Das Zeichen, das sie geben, gilt einer Generation, die das Vermächtnis der Toten erfüllen muß, wenn Deutschland leben soll.

Die Gesprächspartner: general der FLIEGER a. d. bogatsch , München GENERALMAJOR a. D. HASELOFF, AMBACH OBERSTAATSANWALT HÖLPER, MÜNCHEN PROFESSOR DR. KINDER, ERLANGEN DR. KRAUSNICK, MÜNCHEN PROFESSOR DR. KÜNNETH, ERLANGEN PATER PR 1BILLA S. J„ MÜNCHEN PATER RÖSCH S. J„ MÜNCHEN BUNDESRICHTER SAUER, KARLSRUHE OBERSTLEUTNANT a. D. SENDTNER, MÜNCHEN PROFESSOR DR. STADTMÜLLER, MÜNCHEN GENERAL DER INF. a. D. STAPF, MÜNCHEN REICHSMINISTER a. D. DR. TREVIRANUS, FRANKFURT-MAIN BUNDESGERICHTSPRÄSIDENT DR. WEINKAUFF, KARLSRUHE GENERALMAJOR a. D. v. WITZLEBEN, MÜNCHEN

Die Rechtslage im Terrorstaat

v. Witzleben: Während des Remer-Prozesses ist in Braunschweig der Satz geprägt worden: Das „Dritte Reidt war von Anfang an ein Unrechts-staat. Einem „Unrechtsstaat" fehlen natürlich alle Rechtsgrundlagen. Jede Handlung eines solchen Staates wäre nach meinem Gefühl ohnehin Unrecht. Darum geht es doch wohl, wenn wir feststellcn wollen, ob das Handeln der Widerstandskämpfer trotz der formalen Verletzung des geltenden Strafrechts gerechtfertigt war oder nicht.

Hölper: Es ist natürlich eine Frage der Rechtsphilosophie, bis zu welchem Grade man das „Dritte Reich" als Unrechtsstaat, wie es die Strafkammer in Braunschweig getan hat, bezeichnen kann oder will. Ich möchte für meine Person nicht sagen, daß man soweit gehen kann, das „Dritte Reich" von vornherein als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Es wird die Theorie vertreten — es ist das wohl die herrschende Auffassung —, daß ein Usurpator, der sich die Macht in einem Staat verschafft, in diesem ubergangsstadium noch kein Recht setzt, noch keinen Rechtsstaat schaffen kann. Wenn sich aber in der weiteren Entwicklung auf dem Wege über eine Revolution — mag sie nun legal erfolgt sein oder nicht — tat-sächlich so etwas ähnliches wie ein Rechtsstaat entwickelt, der auch von anderen Staaten als solcher anerkannt wird und den die anderen Staaten dadurch, daß sie diplomatische Beziehungen mit ihm aufnehmen, anerkennen, dann kann man vielleicht sagen, de jure ist er vielleicht kein vechtsstaat, aber de facto ist er ein Rechtsstaat. Immerhin — und darauf ommt es meines Erachtens an — hat das „Dritte Reich", wenn man cs aueh nicht von vornherein als illegalen Staat bezeichnen kann, im Laufe der Zeit 50 viele Gesetze erlassen, die LInrecht waren, daß es dadurch mählich zum Unrechtsstaat wurde. (Es hat in seinem Endergebnis den ntergang des Reiches herbeigeführt). Ausschlaggebend scheint mir zu ein daß in einem totalitären Staat die Spitze allein die Verantwortung ägti auch Hitler hat immer erklärt: „Ich bin verantwortlich für alles , v. Witzleben: Kann man — unter diesen Umständen — von einem Volksnotstand sprechen? War es der Beginn eines Reichsnotstandes, der die ersten Regungen der Opposition hervorrief? Ich denke dabei an die Tatsache, daß die Morde im Jahre 1934 legalisiert wurden; damals erklärte der Justizminister Gürtner persönlich, das, was geschehen war, für rechtens. " Hölper: Es steht zweifellos fest, daß das „Dritte Reich“ im Laufe der Jahre sehr viel Gesetze, Anordnungen und Hitlerbefehle erlassen hat, die vom rechtlichen, vom naturredifliehen Standpunkt aus, offensichtlich Unrecht waren. Ich brauche nur die Judenliquidierung zu nennen. Alles das war Unrecht.

Sendtner: Das Braunschweiger Gericht hat mit „Unrechtsstaat“ zweifellos nicht sagen wollen, daß damit alles, was dieser Staat an Recht setzte, Unrecht war und daher nicht hätte befolgt werden müssen. So war das natürlich nie gemeint. Man wollte in einem allgemeinen, populären Sinne einen Staat kennzeichnen, für den eben nur das Recht war, was den Machthabern paßte. v. Witzleben: Aber bringen Sie das Wort „Unrechtsstaat“ auf die Straße, — was kann der sogenannte „kleine Mann“ mit dem Begriff . Un-rechtsstaat" anfangen?

Sendtner: Herr General, wenn wir ein Recht zum Widerstand gegen diesen Staat anerkennen und zwar ein Recht zum Widerstand mit Mitteln, die allein einen Erfolg verbürgen, zu denen unter Umständen auch das Attentat gehört, dann müssen, meines Erachtens, als Voraussetzung dafür doch gewisse Kriterien angenommen werden, die wiederum nur auf dem Gebiet des Rechts oder, deutlicher gesagt, des Naturrechts, liegen. Die entsprechenden Tatbcstandsmer. kmale waren, wie Sie schon sagten, gegeben; 1934 fing es an. Und wem das, was am 30. Juni geschah, nicht schon genügt hatte, der mußte im Jahre 193 5, als die Nürnberger Gesetze erlassen wurden, stutzig werden, um dann in den Jahren bis 1943 eine wahre Kettenreaktion von Rechtsverstößen zu beobachten. Denken Sie bloß daran, mit welchem Zynismus Nichtangriffspakte mit Staaten wie Dänemark abgeschlossen wurden, während man bereits entschlossen war, den neuen Vertragspartner im Laufe der nächsten sechs Wochen zu überfallen! Gipfelte nicht die völlige Mißachtung der verfassungsmäßigen Grundlagen schließlich in Hitlers Ausspruch: „Was ich bestimme, ist Recht!“?

Hölper: Hier geschah tatsächlich Unrecht, es wurde gegen das Naturrecht verstoßen und überhaupt gegen alle Naturgesetze, die nun einmal in der abendländischen Kulturwelt gelten. Wenn einer zum Widerstand gegen dieses Reich schritt, in der festen Absicht, diesen Unrechtsstaat zu ändern, dann hat er meiner Auffassung nach eben nicht unrechtmäßig gehandelt. v. Witzleben: Er hat gegen das Recht dieses Staates, der ein Unrechts-staat war, aber nicht gegen das primäre Naturrecht als solches gehandelt.

Hölper: Es hat — wenn ich jetzt die moderne Entscheidung des Bundes-gerichtshofes zitieren darf — der Opposition das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gefehlt. Also war sie vom subjektiven Standpunkt aus nach unserer Auffassung überhaupt straffrei.

Stadtmüller: Selbst wenn es rechtswidrig gewesen wäre?

Hölper: Ja, selbst wenn es rechtswidrig gewesen wäre. v. Witzleben: Diese Feststellung ist mir gerade deswegen wertvoll, weil sich auch heute noch ein Mann wie der Generaladmiral Boehm ausdrücklich auf den Standpunkt stellt: Landesverrat ist Landesverrat, für jeden Soldaten; da gibt es garnichts zu debattieren.

Hölper: Nach meiner Auffassung war der Widerstand rechtlich zulässig und zwar nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv. Denn dadurch, daß das „Dritte Reich“ so und so viel Unrecht geschaffen hatte, war es nach allgemein gültigem Naturgesetz gutes Recht, ja sogar Pflicht, den Versuch zu unternehmen, diesen Staat zu beseitigen.

Haseloff: Herr Oberstaatsanwalt, kann man es nicht auch umgekehrt formulieren? Kann man nicht sagen: Dieser Staat, der soviel Unrecht getan hatte, besaß kein Recht mehr, sich auf das überkommene Recht zu berufen? -

Hölper: Auch das kann man sagen. Schließlich kommt man doch immer zu dem Ergebnis, daß der Widerstand, objektiv gesehen, rechtmäßig war. Das möchte ich unter allen Umständen aufrecht erhalten.

Der Ausnahmecharakter der Zeit Krausnick: Meine Herren, ich glaube, hier sind wir am entscheidenden Problem angelangt. In den bisherigen Publikationen ist dieser Gesichtspunkt kaum beachtet worden. Deshalb braucht es uns auch nicht zu wundern, daß die Widerstandskämpfer heutzutage fast mehr in eine moralische Defensive geraten sind als diejenigen, die Deutschland ins Verderben geführt haben.

Dies soll keine propagandistische, sondern eine rein sachliche Feststellung sein. Daß ich sie treffen muß, ist natürlich ein trauriges Zeichen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn junge Menschen nach einem Maßstab suchen, der ihnen — sollte sich wieder einmal eine solche Situation ergeben — die Stellungnahme erleichtert und wenn sie sich fragen: Haben denn die Männer richtig gehandelt, kann ich das billigen und mir eines Tages auch für mich selbst als Richtschnur nehmen? Wird eine solche Frage aus einer rechtschaffenen Gesinnung heraus gestellt, dann diskutiere ich mit solchen Leuten. Meistens wird diese Frage jedoch böswillig gestellt. Man erkennt hier den Versuch, den Maßstab normaler Zeiten an eine Zeit zu legen, die nicht normal war. Urteilen kann man aber nur aus der Zeit heraus, nichts erscheint mir unhistorischer, als den Ausnahmecharakter der Zeit, die durch das Phänomen Hitler bestimmt wurde, auch nur im geringsten zu verkennen. Schließlich muß man dabei von jener primitiven Formel ausgehen, die eine so tiefe Bedeutung hatte: „Hitler ist Deutschland, und Deutschland ist Hitler".

Für den Patrioten ist Hitler nicht Deutschland gewesen; für ihn sta , Deutschland über den Repräsentanten, wie es immer noch das ewi Deutschland war und ist, das der wahre Patriot liebt. Für Hitler endete Deutschland da, wo seine eigene Machtstellung aufhörte; deshalb folgerte Deut’d. er später: Geht der Nationalsozialismus zugrunde, kann auch land ruhig zugrunde gehen.

Wenn wir bei Oster und bei anderen auf Handlungen stoßen, die wir heute schwer begreifen können, so muß man eben die Atmosphäre der Zeit berücksichtigen und darüber hinaus in Betracht ziehen, daß das, w Hitler tat, an die tiefsten Tiefen des Menschlichen rührte.

Mir scheint nun, daß es zwar angezeigt ist, die Beweggründe festzustellen, aus denen heraus Oster als „anständiger Patriot" gehandelt haben kann. Aber wenn wir nicht versuchen, den historischen Rahmen deutlich zu machen, werden wir niemals den Widerstand verstehen können. Nach meiner Ansicht hat Hitlers menschliche Haltung Grenzen berührt, an denen so etwas wie der „spezifische Patriotismus" aufhörte, weiterhin gültig zu sein. v. Witzleben: Gerade was Sie zuletzt sagten, Herr Dr.

Krausnick, gibt uns die Richtung an, die wir einzuschlagen haben.

Die Schwäche des Anfangs Pater Pribilla: Bei der Beurteilung des 20. Juli sind natürlich die subjektive und die objektive Seite scharf zu unterscheiden. Die subjektive Seite macht für den, der die geschichtlichen Vorgänge und ihre Träger wirklich kennt, keine Schwierigkeiten, weil es ganz offenbar ist, daß die führenden Männer der Widerstandsbewegung von den lautersten Motiven beseelt waren und für die Rettung des deutschen Volkes ihr Leben eingesetzt haben. Bei der Beurteilung der objektiven Seite empfiehlt es sich, die denkwürdigen Worte Proudhons in seinen „Bekenntnissen eines Revolutionärs“ (Paris 1849, S. 61) vor Augen zu haben: „Es ist erstaunlich, daß wir bei unseren politischen Fragen in der Tiefe immer auf die Theologie stoßen“. Das bewahrheitet sich auch im Hinblick auf den 20. JulilEben weil hier religiöse und weltanschauliche Fragen im letzten Grunde berührt werden, scheiden sich die Geister. Niemand kann daher über den 20. Juli so schreiben, daß alle ohne Ausnahme zustimmen. Wer nicht an Gott und eine persönliche Verantwortung vor ihm glaubt, wer sich ganz der herrschenden Gewalt verschreibt und keinerlei Gewissens-bedenken anerkennt, wird auch keinen Einspruch gegen den Satz erheben: „Recht ist, was dem deutschen Volke nützt"; was aber dem deutschen Volke nützt, entscheidet einzig und allein der „Führer“. Dann ist jeder, der sich dagegen stemmt, eo ipso ein Landesverräter oder Hochverräter und des Todes schuldig. Eben weil es sich hier um einen Grenzfall handelt, der die sorgfältige Prüfung vieler Voraussetzungen erfordert, können wir das Urteil über den 20. Juli nicht zu einer Evidenz erheben, die jeden zur Zustimmung zwingt. Weiterhin werden wir gut daran tun, beim 20. Juli das Hauptaugenmerk nicht auf das hervorstechende Symptom end die einzelnen Vorgänge zu richten, sondern in ihm die letzte Folgerungder leidigen Tatsache zu sehen, daß es im deutschen Volke an politischer Schulung fehlt und daß somit der Deutsche gegenüber dem Phänomen „Nationalsozialismus“ politisch versagt hat. Generaloberst Bede hat den Kommandierenden Generalen schon 1938 gesagt, was ihre Pflicht Seh aber die Kommandierenden Generale und der Oberbefehlshaber des Heeres haben trotz theoretisch richtiger Erkenntnis daraus nicht den not wendigen Schluß gezogen. Die Schwäche des Anfangs hat in der Folg immer weiteres Nachgeben gezeitigt, und dem deutschen Widerstand wat es später nicht mehr möglich, das Schicksal des deutschen Volkes zu Wen den. Aber durch ihren Untergang mahnen uns die Männer des 20-u daß in der politischen Erziehung des deutschen Volkes etwas sehr Wesentliches fehlt. v. Witzleben: Wir müssen, glaube ich, dabei immer bedenken, daß 1 scs Offizierkorps oder doch zum mindesten das ältere führende Ofiz" L korps sich plötzlich in eine Zeit hinein und eine Umwelt gesetzt S 'deren Sprache es nicht mehr verstand.

Sie können das bei Fritsch beobachten. Fritsch war in seiner gmnd Prozeßführung ungeschickt, er sprach in eine Umwelt hinein, die > " . aus einer anderen Welt stammte, überhaupt nicht mehr verstau deren Töne ihm auch fremd waren. Das war die letzte, tiefste Tragik des Generalobersten v. Fritsch.

Pater Pribilla: Mir sagte vor kurzem ein Kommandierender General, der eine bedeutende Rolle gespielt hat: Wenn wir Generale im Anfang des Krieges vor Hitler hingetreten wären und gesagt hätten: „Das tun wir nicht, es geht jetzt auf Leben und Tod!“, dann wären so und so viele vielleicht noch umgebracht worden, wir hätten eine Wendung der Dinge aber vermutlich erzwungen.

Hölper: Meine Herren, ich halte es vor allen Dingen für notwendig, das Handeln der Widerstandskämpfer irgendwie rechtlich zu erfassen und auf diese Weise auch einen Rechtsboden für die Zukunft zu gewinnen. Die rechtliche Beurteilung Bei der Frage des Landesverrats ist in erster Linie davon auszugehen, daß Beurteilung in der rechtlichen zwischen Krieg und Frieden unterschieden werden muß. Im Frieden deckt sich der juristische Tatbestand des Landesverrates mit dem, was der Laie im allgemeinen unter Landesverrat versteht, nämlich mit dem Verrat von Staatsgeheimnissen, insbesondere militärischen Geheimnissen.

Landesverrat begeht, wer mit dem Vorsatz, das Wohl des Reiches zu gefährden, das Staatsgeheimnis an einen anderen, insbesondere an eine ausländische Regierung oder an jemand, der für eine ausländische Regierung tätig ist, gelangen läßt, desgleichen der, welcher es öffentlich mitteilt. Für den Widerstand vor Kriegsausbruch bedarf es also meines Erachtens keiner vielen Ausführungen mehr, nachdem ja immer wieder festgestellt worden ist, aus welchen ideellen Motiven heraus die Widerstandskämpfer gehandelt haben, nämlich zum Wohl des Reiches! Daß hier also subjektiv kein Landesverrat vorlag, wenn auch vor Kriegsausbruch Staatsgeheimnisse oder militärische Geheimnisse an ausländische Regierungen mitgeteilt wurden.

Anders wird die Sache dann im Kriege. Denn hier kommt der berühmte § 91 b, der nun alles — wenn ich mich so ausdrücken darf —, nämlich Hoch-und Landesverrat, in einen Topf wirft. An und für sich steht meines Erachtens zu LInrecht in diesem Abschnitt Landesverrat, denn es handelt sich um nichts anderes als um Feindbegünstigung, und diese Feind-begünstigung geht ja nun erheblich weiter als die eigentliche hochverräterische Handlung, nämlich der Verrat von Staatsgeheimnissen und vor allem militärischer Geheimnisse. Darunter fällt alles, was während eines Krieges geeignet ist, der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder der Kriegsmacht des Reiches oder seiner Bundesgenossen einen Nachteil zuzufügen. Daraus, daß diese Verurteilung nach § 91 b wegen Landesverrat erfolgte, sind viele Mißverständnisse entstanden und zwar auch deshalb, weil das Militärstrafgesetzbuch einfach kurz und bündig im § 57 erklärt: »Wer im Felde einen Landesverrat nach § 91 b des Strafgesetzbuches begeht, wird wegen Kriegsverrat mit dem Tode bestraft". Der § 91 b wird also als Landesverrat bezeichnet. Das kann man aber im engeren Sinne nicht mehr sagen: denn Landesverrat ist alles — wie ich schon ausgeführt habe —, was irgendwie geeignet ist, dem Reich während des Krieges zu schaden.

Um es deutlicher zu machen, darf ich Ihnen vielleicht einige Beispiele dafür nennen, was alles unter diesen Begriff fiel: So war z. B. die Zerstörung inländischer Feldfrüchte bereits Landesverrat, nicht anders als die Begünstigung der Flucht feindlicher Kriegsgefangener. Ein Briefträger, der einen Gestellungsbefehl zerrissen und nicht abgeliefert hatte, ist wegen § 91 b (Landesverrat) zum Tode verurteilt worden. Also das muß man meines Erachtens einmal ganz klar herausstellen, daß sich dieser Begriff „Landesverrat" im Kriege nach § 91 b gleich Kriegsverrat im Sinne des § 51 des Militärstrafgesetzbuches jedenfalls mit der Vorstellung des aien vom Landesverrat nicht mehr deckt. Denn der Laie sieht im Lan-

esverrat ja nur den Tatbestand des Verrats militärischer Geheimnisse.

Nach § 91 b wird jeder bestraft, der weiß, daß sein Handeln irgendwie der Kriegsführung nachteilig ist oder dem Feinde Vorschub leistet. Da kommt man mit dem subjektiven Gesichtspunkt, das Wohl des Reiches werde gefährdet, nicht mehr durch. Das ist die allgemein anerkannte Lehre gewesen und diese Auffassung wurde auch im Braunschweiger Urteil Vertreten.

Also bleibt dann nur noch der Weg über den sogenannten Staatsnotstand. Entwickelt wurde der Begriff des Staatsnotstandes aus dem § 54 des Strafgesetzbuches. Eine Handlung, die außer im Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstand zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen wurde, ist nicht strafbar. Hier hat man nun so argumentiert: Der Staat befindet sich in einem Notstand; es besteht die Gefahr, daß die Staatsführung ihn zugrunde richtet und damit das Leben aller Staatsbürger oder eines großen Teiles von ihnen aufs Spiel setzt. Wenn unter solchen Umständen jemand, der an dieser Lage kein Verschulden trägt, versucht, den Notstand in letzter Konsequenz eben dadurch zu beseitigen, daß er diese Regierung, die gegen das Wohl des Volkes handelt, aus dem Wege räumt, so bleibt er straffrei. Und damit kommt man dann auch zu einer Beurteilung einer begangenen Handlung. Bei der Notstandslehre ist immer davon auszugehen, daß die Handlung, die der Täter vollzieht, um diesen Notstand zu beheben, die Gefahr beseitigt. Es muß das letzte Mittel sein; eine andere Möglichkeit ist nicht mehr vorhanden. Die Beurteilung, ob die Handlung das letzte Mittel war, bleibt eine Tatfrage; sie wird immer von subjektiven — und im Rückblick — von historischen Erwägungen abhängen.

Um auf das praktische Beispiel, das Verhalten des Generals Oster, zu kommen: War diese Handlung das letzte Mittel, die Gefahr, die dem Deutschen Reich drohte, zu bannen? Danach wird man das Verhalten Osters juristisch beurteilen müssen. Daß es nach seiner Auffassung das letzte Mittel war, um das zu verhindern, was er hat kommen sehen, ist klar. Aber an seine Handlung muß ein objektiver Maßstab gelegt werden; und das hat der Jurist in diesem Falle dem Historiker zu überlassen. Dieser wird entscheiden müssen, ob die Tat als ein letztes Mittel geschichtlich gerechtfertigt war.

Stadtmüller: Kann sich nicht jeder heute auf den § 88 berufen und sagen: „Mein Handeln war nicht etwa darauf gerichtet, dem Staate einen Nachteil zuzufügen, sondern ich wollte ja nur das Beste für den Staat".?, z. B.der Kommunist, der heute in der Bundesrepublik irgend-weihe, nah unserer Ansiht hohverräterishen Umtriebe mäht, um zu erreihen, daß das System der Ostzonenrepublik in Westdeutshland durhgeführt wird? Das läuft doh auf die Lehre vom subjektiven Inhalt des Handelns hinaus. Ist es da niht selbstverständlich, daß man eine allgemeine Norm finden muß, von der man auszugehen hat?

Hölper: Diese allgemeine Norm muß meines Erahtens — und das hat auch der Bundesgerihtshof in zahlreihen Entscheidungen vertreten — das Rehtsempfinden des Menshen sein, der dem abendländishen Kulturkreis angehört.

Ih darf Ihnen vielleicht dafür ein ziemlih deutlihes Beispiel geben. Das deutshe Strafgesetzbuh stellt die Bigamie unter Strafe. Es könnte nun einer kommen und sagen: „Ih habe zwar eine zweite Frau geheiratet, ehe meine erste Ehe geshieden war, aber mir hat absolut das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit dabei gefehlt; denn es gibt ja so und so viele Staaten, z. B. orientalishe, in denen das niht verboten ist“.

Auh hier sieht man ganz klar, daß es immer auf das Rehtsempfinden ankommt, das dem Kulturkreis, dem der betreffende Täter angehört, eigen ist. Und dem entspriht auh die Norm, die man bei der Frage anwenden muß. Wann handelt jemand zum Wohl oder zum Nahteil eines Staates im Sinn des § 88 Abs. 2? Er wird sih niemals als Kommunist darauf berufen können, daß er zum Wohle des Staates handelt, wenn der Staat, den er anstrebt, in seiner ganzen Struktur gegen das abendländische Rehtsdenken verstößt; wenn er an die Stelle eines Kulturstaates mit all seinen Voraussetzungen einen Staat setzen will, der dem absolut entgegengesetzt ist, der — um ein Beispiel zu nennen — die Freiheit, die freie Willens-und Meinungsäußerung beseitigt, der die Unabhängigkeit der Rehtspflege beseitigt, der den Menshen der Willkür, der Staats-maschinerie ausliefert usw. Alles das wird doh die Norm sein, die mir die Feststellung erlaubt: Er kann sih niht darauf berufen, daß er hier etwas shaffen will, was dem Wohle seines Volkes dient.

Auh der Bundesgerihtshof — ih darf noh einmal darauf hinweisen — hat in sehr vielen Entsheidungen, gerade in der letzten Zeit, diese Gesichtspunkte immer wieder herausgestellt, wenn es sich um die Fragen der Rechtswidrigkeit gehandelt hat.

Auf den Einwand, jeder Staat habe gewisse nationale Interessen und diesen nationalen Interessen gebühre in einem Krieg auf jeden Fall der Vorrang gegenüber der Feindmacht, — bin ich natürlich gefaßt. Das ist es auch, was immer wieder gegen einzelne Widerstandskämpfer und besonders gegen General Oster ins Feld geführt wird: Ganz gleichgültig, welche Regierung nun an der Macht ist, wenn sich ein Staat im Kriege befindet, gibt es keinen Verrat militärischer Geheimnisse. Dafür gibt es keine Entschuldigung. — Das kann aber nicht gelten, wenn der Staat sich durch das von ihm begangene Unrecht außerhalb des abendländischen Kulturkreises gestellt und damit das Recht verwirkt hat, daß seine Angehörigen ihn auch noch im Kriegsfall achten und schützen. Diese Auffassung stützt sich auf den § 54 des Strafgesetzbuches.

Generalklausel des Rechtsempfindens hätte Stadtmüller: Dazu ich noch Fragen.

War es für den General Oster wirklich das letzte Mittel, als er den Termin an die Westmächte bekanntgab? Ich glaube. Sie richtig zu verstehen, Herr Oberstaatsanwalt, daß Sie auf das Adjektiv, das „letzte“, in diesem Zusammenhang offenbar nicht entscheidenden Wert legen. Ich möchte vorschlagen, daß wir sagen: War es ein wirksames Mittel! Es muß nicht unbedingt das letzte gewesen sein, das äußerste. Ich glaube, es genügt durchaus — ich sehe es nun vom Ethischen, vom Prinzipiellen, nicht vom Rechtlichen her, wie es im Gesetz festgelegt ist —, wenn es ein wirksames Mittel war.

Und nun meine zweite, ausgesprochen grundsätzliche Frage. Wir gingen doch von dem Einwand aus, der sich einem aufdrängt: „Ja, wie verhält es sich z. B. mit den Jüngern Moskaus, die in der Bundesrepublik oder sonstwo in aller Welt einen rechtmäßigen Staat unterwühlen und sich natürlich vor jedem Gerichtshof darauf hinausreden, daß sie das selbstverständlich tun, um das Gemeinwohl zu fördern, indem sie das Volk möglichst bald in das rote Paradies einführen".

Wenn ich Sie recht verstanden habe, hilft sich das Bundesgericht in einem solchen Falle mit der Generalklausel des Rechtsempfindens.

Hölper: Ja, richtig.

Stadtmüller: Nun, von Generalklauseln sollte man einen äußerst sparsamen Gebrauch machen. Ich glaube, wir können und müssen sie in unserer Argumentation vermeiden, um den Bereich des Subjektiven möglichst einzuschränken. Schlagworthaft vergröbert, möchte ich es so ausdrücken: Wenn eine Regierung gesetzmäßig ist, dann darf ich keinen Verrat üben. Ist sie aber nicht gesetzmäßig, dann kann ich ja gar keinen verüben, einerlei was ich auch tue. Da ist das Motiv überhaupt nur von zweitrangiger Bedeutung.

Von primärer Bedeutung scheint mir die Ausgangsbasis zu sein, die Rechtsgewalt des Staates. Wenn ein Staat dadurch, daß er planmäßig an entscheidenden Punkten die moralischen Grundlagen, die Grundlagen des Rechtsstaates und damit diegegenseitigeTreuepflicht von Staatsvolk und Staatsregierung verletzt, so verwirkt er s e i -nenAnspruchaufdenGehorsamdes Staatsvolkes. Hat die Staatsregierung aber diesen Anspruch verwirkt, dann kann es grundsätzlich ja gar keinen Hoch-und Landesverrat mehr geben.

Hölper: Sie werden aber immer wieder auf die allgemein gültigen Gesetze abendländischer Staaten zurückkommen müssen; denn es wird sich in jedem Falle die Frage erheben, worauf Sie denn fußen, wenn Sie beurteilen wollen, ob diese Regierung gegen das Gesetz verstößt oder nicht.

Stadtmüller: Ich bestreite aber entschieden, daß es in dem Sinne ein abendländisches Rechtsempfinden gibt. Das, was uns hier beschäftigt, ist eine Frage, die so prinzipieller Art ist, daß sie über das Abendländische hinausgreift. Sehen Sie, ich habe ein tiefes Mißtrauen, und mir wird unbehaglich zumute, wenn General-klauseln eingeführt werden.

Hölper: Sie müssen aber irgendeine Grundlage schaffen.

Stadtmüller: Ja, die G r u n d 1 a g e ist für mich das Natur-Von meinem weltanschaulichen Standpunkt, das e h r i s 11 i ch, Mt turrecht. Das ist nämlich etwas durchaus Faßbares, viel faßb “ der Kautschukbegriff „abendländisches Rechtsbewußtsein“.

Digteras zwar eine historische Realität, aber eine nicht annähernd so um st und konkretisierte Realität wie das christliche Naturrecht mit 00 5nzte >cinen tun damentalen-Sätzen, -we. lche die . sitt-lichen Grenzen der Amuisuirlu, ng d, er Staatsgewalt seit altersher umschreiben.

Die höhere Pflicht gegen Gott Trcviranus: Herr Oberstaatsanwalt, nach welchem Strafgesetzbuch wird, wenn die Europäische Verteidigungsgemeinshaft in Kraft getreten ist, über einen künftigen Konflikt entschieden werden, nach dem Code biennale in Frankreih, nah dem Bonner Recht, nah dem holländischen belgishen Reht? Ih fürhte, wir geraten bei dem Versuh, eine Rechts-konstruktion zu finden, die auh rückblickend eine ganz klare, endgültige Antwort gibt, ins Uferlose. Für mich, der ih es ablehne, die Hitlerragi. rung für legitim zu halten, ist es denkbar einfach. Alle anderen aber, die verpflichtet worden sind, haben vor sih selbst keine andere Möglichkeit, als eine Lehre daraus zu ziehen, im Bewußtsein der sittlichen Verpflichtung des einzelnen, vor seinem Herrgott zu bestehen, wenn er zur letzten Verantwortung geholt wird.

Aber wie soll in fünfundzwanzig Jahren, nachdem diese Europäische Verteidigungsgemeinshaft gearbeitet hat, irgendein Oberreichsanwalt oder Kriegsrihter entscheiden, wenn der Mann, der desertierte, sagt: Idi bin zu den Russen übergelaufen, weil alle meine Brüder dort drüben kämpfen. Das ist für mih kein Überlaufen, sondern ih suche mir meinen LInterstand da, wohin mih mein Gewissen treibt. — Ih sehe niht, wie wir mit dem Versuh einer Konstruktion weiterkommen, und ih glaube, am Ende läuft alles auf die Frage hinaus: Wie kann der einzelne, wie muß er vor sih und seinem Gewissen und dem Herrgott entsheiden?

Pater Pribilla: Kann die Frage des Widerstandsrehts überhaupt im Rahmen einer positiven Gesetzgebung gelöst werden? Jeder Staat, der eine Verfassung oder ein Gesetz aufstellt, setzt doh voraus, daß seine Gesetzgebung rehtens ist; es gibt keinen Gesetzgeber, der sagt: „Ihr müßt das und das tun; wenn ih aber etwas Unrechtes befehlen sollte, dann habt Ihr das Reht des Widerstandes". Das gilt erst in einen Staat, in dem — wie in Deutshland — die Juristen im Geist des Rechts-positivismus erzogen sind, aus dem sie sih kaum lösen können. Es er sheint daher schwierig oder gar unmöglih, den Widerstand gegen den Mißbrauh der Staatsgewalt nah positivem Reht zu begründen. Es mag aus moralischen oder geshihtlihen Gründen ein Rcht zur Revolution geben, aber die positive Gesetzgebung weist dazu keinen Weg. biet handelt es sih eben um ein überstaatlihes, der positiven Gesetzgeoung vorgegebenes Reht, das im äußersten Notfall das geshriebene Reht beiseite shiebt, weil die höhere Pfliht gegen Gott und das Gemeinwohl die positive Norm überragt. Eine solhe Tat wie die des 20. Juli kann sidh daher niht auf äußere Legalität berufen, sondern nur auf den Beseh, des Gewissens, das sih weigert, einer Verbreherregierung das Schicksal d entrechteten Volkes auszuliefern. Es ist die harte, aber unvermeidlide Folge des Konflikts zwischen staatlihem und überstaatlichem Recht 3 in j e d e m Staat ein mißlungener Aufstand als Hoh-und Landesvert bestraft wird. Wer immer gegen die herrshende Mäht sih erhebt 15 mit Rcht oder zu Unrecht — wagt es mit Gefahr für sein Leben.

Stadtmüller: Wir wissen, daß die Frage nah der Erlaubtheit des WU Standes am Ende nur theologish beantwortet und verständlich 8emia werden kann. Aber es ist ein Unterschied, ob ih darum weiß oder ° , die Aufgabe habe, das in voller Breite darzulegen. Wir müssen uns allem darüber klar sein, daß wir niht in dem Sinne ein Ergebnis, " normative Theorie erarbeiten können. Das ist ausgeschlossen, d " anstreben müssen, ist, glaube ih, Evidenz für jeden, der von der E naturrchtliher Normen überzeugt ist. Entshuldigen Sic, wenn i* Diskussion immer wieder auf den Punkt lenke, der mir als der aK dishe ersheint. Wir wollen versuhen, die historische Darstellunvo Militäropposition mit einem wertenden, ethishen, naturrechtlichenlste zeihen zu versehen, und zwar aus der Verantwortung für die n politishe Zukunft. Sendtner: Ich möchte das Kriterium für die Beurteilung des Landes-verrats nicht darauf beschränken, zu sagen: Was kann der einzelne vor seinem Gewissen, vor Gott, verantworten? Allein schon deswegen nicht, weil niemand dieses Gewissen und den lieben Gott oder die Vorsehung so sehr mißbraucht hat wie Hitler in seiner blasphemischen Art. Denn dadurch hat er doch Millionen irregeführt, die auch das Wort „gottgläubig" ernst genommen haben, während es in Wirklichkeit ja nur die Umschreibung für gottlos gewesen ist.

Idi glaube, wir kommen nicht daran vorbei, uns an gewisse objektive Rechtsmerkmale zu halten und zwar auf der Grundlage des Naturrechts. Auch wenn es sich dabei im wesentlichen um ethische und moralische Gesichtspunkte handelt, haben wir es doch mit einem Rechtsbegriff zu tun.

Hölper: Auch ich bin der Überzeugung, daß man die Dinge nicht positivistisch rechtlich sehen darf, zumal wenn es die Wahl des „letzten Mittels“ zu beurteilen gilt.

Man sollte doch, und ich möchte das nochmals wiederholen, einen festen rechtlichen Boden für diese Betrachtungen suchen und die einzelnen Handlungen aus rein tatsächlichen und historischen Gesichtspunkten heraus bewerten.

Idi glaube, man wird nicht umhin können, den Begriff des Staatsnotstandes zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dieser Begriff ist auch keineswegs positivistisch. Denn er ist ja im Naturrecht begründet. Das deutsche Strafgesetzbuch enthält ihn gar nicht. Er wurde aus der Notwendigkeit entwickelt, etwas zu schaffen, was sich eben in das Gesetz überhaupt nicht hineinbringen ließ, aber aus’ der historischen Entwickhing heraus als unumgänglich erwies.

Von diesem Gesichtspunkt also müßte man, meines Erachtens, — jedenfalls was die rechtliche Beurteilung betrifft — ausgehen; denn dann gelangt man auch zu dem Gesichtspunkt, den ich zuerst noch nicht bei dieser Frage des Notstandes erwähnt habe, nämlich dem Gesichtspunkt der Güterabwägung. Das Reichsgericht sagt in einer Entscheidung, es müsse das letzte Mittel sein, fügt aber dann hinzu, der Notstand müsse auf andere Weise nicht beseitigt werden können. In diesem Rahmen wird sich dann eben auch die Frage nach der Abwägung der einzelnen Güter erheben, nicht anders, als es beim Notstand des einzelnen zur Abwendung einer Gefahr eine Abwägung der Güter gibt, d. h. daß er nicht jemanden über den Haufen schießen darf, wenn es nicht unbedingt notwendig, sondern ein anderes Mittel noch möglich ist. Genau so wird man dann auch alle einzelnen Handlungen der Widerstandskämpfer, nun ganz objektiv historisch gesehen, von diesem Gesichtspunkt her würdigen müssen.

Als Jurist möchte ich darauf hinweisen, daß gerade, wenn man einen Rechtsboden sucht, der Staatsnotstand die Grundlage für eine historische Betrachtung des ganzen Ablaufs der Geschehnisse bietet.

Mit Recht wird von allen Völkern der Landesverrat verurteilt. Vor allem wird kein Soldat zu ihm je eine Brücke linden. Wir können in der deutschen Geschichte weit zurückblättern, kaum irgendwo werden wir entdecken können, daß es im deutschen Ofiizierskorps Landesverräter gab. Um so dringender erhebt sich die Frage, wie es denn möglich war, daß hohe deutsche Oitiziere Landesverräter wurden.

Mit dem Landesverrat verbinden wir in unserer Vorstellung den klingenden Lohn, der dieses Verbrechen so besonders schmutzig macht. Dem Landesverräter kommt es nicht aui das Wohl seines Volkes und Landes an. Indem wir dies leststellen, bedrängt uns die Frage nach den Motiven der iormalen Landesverratslälle im Dritten Reich und zwingt uns zur Untersuchung. Warum verstießen Angehörige alter Soldatengeschlechter, in deren Geschichte nie ein Landesverrat vorgekommen war, gegen dieses Gesetz? Dem folgenden Gespräch, das uns auf diese Fragen Antwort zu geben sucht, werden wir entnehmen, daß es in Wahrheit nur einen Verräter gab. Er hieß Hitler. •

Der Landesverrat

v. Witzleben: Wenn wir uns über den Begriff des Landesverrates im Dritten Reich klar werden wollen, erscheint es ratsam, vom Leipziger Kommentar 1944 zum Reichsstrafgesetzbuch, 6. Auflage, Berlin 1944, auszugehen, dem ich folgende Feststellungen entnehme: »Die subjektive Voraussetzung der Verratshandlung ist der Vorsatz, das Wohl des Reiches zu gefährden. Der Täter muß bei dem Gelangenlassen eines Staatsgeheimnisses an einen anderen die Gefährdung des Reichswohles bewußt wollen oder jedenfalls für möglich halten und in Kauf nehmen. Aus welchen Beweggründen der Täter han-

delt, ist unerheblich. Der Volksgerichtshof hat in seinen Urteilen (1936 und 1937) ausgesprochen, daß der Vorsatz des Täters beim Landesverrat entsprechend der Natur des landesverräterischen Verbrechens darauf gerichtet sein muß, das äußere Wohl des Reiches, besonders seine militärische Machtstellung, zu beeinträchtigen und zu gefährden. Der Be-8riff „Wohl des Reiches" bezeichnet in der Gesetzsprache die äußere rechtliche oder politische Machtstellung des Reiches, also sein Verhält-nis zu anderen Staaten".

Zu diesem Punkt möchten wir gern die Auffassung des Juristen hören.

ie Frage lautet: Wo liegt die Grenze der Verantwortlichkeit des ein-seinen seinem Volke, seinem Lande und Gott gegenüber? Kann man as ganze Handeln der Menschen, die zu jener Zeit in der Opposition -fanden, rechtlich so sehen, daß sie dem Reiche nicht schaden, sondern em Reiche nützen wollten?

Ich hatte gestern abend eine Besprechung mit General Stapf, dem Generaladmiral Boehm u. a. geschrieben hatte, General Oster sei in den Augen des deutschen Offiziers ein Landesverräter gewesen, der zu Recht den Tod verdient habe.

Dürfen wir Sie, Herr Oberstaatsanwalt, bitten, sich dazu zu äußern?

Hölper: Ich glaube, man kann auch hier auf das Urteil des Landgerichts Braunschweig Bezug nehmen. Eines gilt es in aller Klarheit zu erkennen: Wenn sich herausstellt, daß nach gesunden Rechtsauffassungen der Staatsführer ein Verräter am deutschen Volke war, so kann es auch juristisch gesehen gegenüber einem Verräter doch wohl keinen Verrat geben. Das ist meine Auffassung!

Uns allen sind ja aus Speers zweifellos wahrheitsgetreuer Aussage in Nürnberg die letzten Äußerungen Hitlers bekannt: „Das deutsche Volk ist reif zum Untergang. Die Besten sind an und für sich gefallen. Es hat sich einfach seiner geschichtlichen Bewährungsprobe nicht gewachsen gezeigt". Da fiel die Maske, und es wurde deutlich, wer nun eigentlich das Volk verraten hat. v. Witzleben: Hitler hat klar zum Ausdruck gebracht, daß das deutsche Volk mit ihm untergehen müsse.

Stadtmüller: Das hieß: „Es war seiner nicht würdig"!

Hölper: Wörtlich hat es geheißen: „Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das deutsche Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlage, die das Volk zu einem primitiven Weiterleben braucht. Rücksicht zu nehmen". Darum, meine Herren, geht es in Wirklichkeit aber gar nicht. Das wird auch von denen, die heute auf der anderen Seite stehen, durchaus anerkannt. Sondern es geht um die entscheidende Frage: Kann man während eines Krieges Versuche unternehmen, das System zu beseitigen? Zwingt nicht der Krieg, in dem sich die Nation befindet, ein Kampf um Sein oder Nichtsein, dazu, alle Bedenken zurückzustellen und einer, wenn auch schlechten Sache zu dienen, selbst dann, wenn hundertprozentig feststeht, daß diese Sache schlimm ausgeht und schließlich zum Untergang des Volkes führt? — Dies ist die Frage, die an das Hauptproblem heranführt! Es geht ja nicht um die Zeit von 193 3— 1939. sondern es geht um die Zeit von 1939— 1945, und hier erst, im Kriege türmen sich die Probleme. v. Witzleben: Das Problem taucht doch aber auch schon früher auf.

Im Jahre 193 8 hat Generaloberst Halder in seiner Eigenschaft als Chef des Generalstabes den Herrn Böhm-Tettelbach, den Bruder des Generals gleichen Namens, nach London geschickt mit der Bitte, die englische Regierung möge intervenieren, weil Hitler zum Kriege treibe.

Ich hatte neulich Herrn v. Gersdorff hier, den bekannten Mittäter am Tresckow-Flugzeugattentat, und habe ihn nach seiner Meinung darüber gefragt. Er antwortete mir: „Das war Landesverrat. Aber dieser Landesverrat war berechtigt".

Sendtner: Die Verpflichtung zum Widerstand beginnt dort, wo man erstens das Verbrechen und den Katastrophenweg erkennt und zweitens die Möglichkeit hat, irgend etwas dagegen zu tun. v. Witzleben: Aber doch nur, solange kein Kriegszustand besteht, also noch im Rahmen des Hochverrats und nicht des Landesverrats.

Sendtner: Hoch-oder Landesverrat? Ich sehe die Initiative des Generalobersten Halder im Jahre 193 8 bei den Engländern: „Bitte, jetzt trumpft mal ordentlich auf, sonst kommt es zum Krieg“!, auch als Landesverrat an. .

Haseloff: Landes-oder Hochverrat? Würden Sie, Herr Oberstaatsanwalt, uns hierüber einmal juristisch belehren? Welches sind die Unterschiede im Frieden und im Kriege?

Sendtner: Herr General, es handelt sich hier darum, daß den Engländern gesagt wird: Der deutsche oberste Befehlshaber treibt zum Kriege. Damit hat man ihnen immerhin von führender Stelle eine nicht ganz uninteressante Information zukommen lassen. Das ist doch Landesverrat.

Hölper: Grundsätzlich kann man das auf einen sehr einfachen Nenner bringen. Hochverrat ist alles, was sich nach innen richtet, und Landesverrat ist — im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen — alles das, was sich außerhalb der Landesgrenzen abspielt, was also über die Grenzen des Landes hinausgeht. Ob das nun Verrat von Staatsgeheimnissen ist oder die Aufnahme von Verbindungen mit einer ausländischen Macht, — fällt alles das ja letztlich unter den Begriff Landesverrat. v. Witzleben: Demnach hätte also Generaloberst Halder im Herbst 1938 Landesverrat begangen?

Hölper: Ja, seine Handlung fällt unter den Begriff Landesverrat. Derartige Absichten, die ihm als Chef des Generalstabes damals bekannt geworden sind, stellten doch schließlich Staatsgeheimnisse dar; und wenn ich einer ausländischen Macht Staatsgeheimnisse mitteile, so ist das im Sinne des Strafgesetzbuches Landesverrat. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben.

Jetzt kommt das zweite. Ich hatte bisher die Zeit vor dem Kriege absichtlich ausgeklammert; denn in dem Augenblick, in dem sich ein Staat im Kriege befindet, gibt es strafrechtlich überhaupt keine Trennung mehr zwischen Hoch-und Landesverrat. Im Kriege ist Hochverrat gleich Landesverrat. Beides wird nach dem Militärstrafgesetzbuch unter dem Begriff „Kriegsverrat" zusammengefaßt. Die Attentäter des 20. Juli waren im Sinne der damaligen Auffassung des Strafgesetzbuches genau so Hoch-verräter, wie sie Landesverräter waren.

Stadtmüller: Ist diese Zusammenfassung beider Tatbestände in dem Tatbestand „Kriegsverrat" eine Neufassung des „Dritten Reiches", oder ist sie in der Strafrechtsgeschichte älteren Datums?

Hölper: Die Formulierung „Kriegsverrat" enthält nur das Mi-Strafgesetzbuch. Der Kriegsverrat ist nichts anderes als eben Lant verrat im Kriege. Ich darf Ihnen das vielleicht einmal an Hand der ggt liehen Bestimmungen erklären. Der berühmte § 91 b des Strargest buches lautet: „Wer im Inland oder als Deutscher im Ausland“ nimmt, während eines Krieges gegen das Reich oder in Beziehung au einen drohenden Krieg der feindlichen Macht Vorschub zu leisten od der Kriegsmacht des Reiches oder seiner Bundesgenossen einen Nachtei] zuzufügen, wird mit dem Tode oder lebenslangem Zuchthaus bestraft'

Unter diese Bestimmung läßt sich natürlich im Kriege jeder Hochverrat bringen. Denn wenn ich heute z. B. im Inland Sabotageaktebegehe, dann wird der Nichtjurist dies an und für sich niemals als Landesverrat bezeichnen. Aber nach diesem § 91 b, der ja unter dem Abschnitt • „Landesverrat" im Strafgesetzbuch steht, ist es Landesverrat, weil ja die Kriegsmacht des Reiches geschädigt wird, indem ihr ein Nachteil erwächst; wenn ich den obersten Kriegsherrn beseitigen will -im „Dritten Reich“ nannte man diesen bekanntlich den „genialen Feldherrn“

füge ich ja auch der Kriegsmacht des Reiches einen ganz entscheidenden Nachteil zu, indem ich dieses Genie beseitige.

Haseloff: Das ist ein alter Paragraph, Herr Oberstaatsanwalt, nicht im „Dritten Reich" geschaffen?

Hölper: Im „Dritten Reich“ geschaffen, aber vor dem Kriege. Im Militärstrafgesetzbuch heißt es in der Fassung von 1940: „Wer im Felde einen Landesverrat nach § 91 b des Strafgesetzbuches begeht, wird wegen Kriegsverrat mit dem Tode bestraft".

Für jeden, der Soldat war oder zu der Zeit, als er die Tat beging, der Wehrmacht angehörte, auch wenn er dann ausgestoßen wurde, wat die Bestimmung des § 57 des Militärstrafgesetzbuches maßgebend, die im Felde die Todesstrafe vorsieht. „Im Felde" heißt nach § 9 des Militärstrafgesetzbuches: „Die diesem Gesetz für strafbare Handlungen im Feldt gegebenen Vorschriften, Kriegsgesetze gelten für die Dauer des mobilen Zustandes der Wehrmacht oder eines ihrer Teile“.

Bogatsch: „Während des Krieges" heißt also grundsätzlich „imFelde 1

Hölper: Ja. Daher sind auch — um auf den Huppenkothen-Prozebz kommen — nach der Behauptung von Thorbeck sämtliche fünf Angeklagten „wegen Hoch-und Landesverrat" zum Tode verurteilt worden. v. Witzleben: Wie Sie wissen, entschloß sich Generaloberst Beck im ersten Stadium des Krieges, auf dem Wege über General Oster den Dr. Müller zu beauftragen, in Rom zu sondieren und die Gespräche zu führen, die uns ja allen bekannt sind. Natürlich wird auch diese Tat von Leuten, die an einer einseitigen Beurteilung interessiert sind, weiterhin als „Landesverrat" hingestellt im Sinne einer moralischen und strafrechtlichen Diffamierung.

Angesichts der Handlungen, die das Wirken des Widerstandes kenn zeichneten, bedarf es wohl einer besonderen Prüfung der Frage, ob 51 Soldat unverantwortlich und gewissenlos handelt, wenn er sich mit R-! sicht auf die hoffnungslose Lage seines Volkes und Landes innerlich h rechtigt fühlte, gegen einen Staat, der kein Rechtsstaat mehr war C den er als solchen nicht mehr anerkennen konnte, zu handeln, oder 866 den aufzustehen, der — wie Hitler — vorgab, den Staat zu vertreten, U sagte: „Deutschland bin ich“!

Die Aporie der inneren Situation Hölper: Nach meiner Auffassung bedeutet es hier eigentlich kp Unterschied, ob Landes-oder Kriegsverrat im Sinne technisehers Stimmungen des Strafgesetzbuches begangen wird. Denn wenn i Recht zum Widerstand bejahe und sage: Die Leute haben recht ge a sie hatten sogar eine moralische Verpflichtung zum Handeln angcäda des Unrechts, das in diesem Staate geschah, — so kommt es jo nuna auf an, welche Formen ich wähle, um das Ziel zu erreichen, das " ‘ strebe, nämlich die Beseitigung des Terrorstaates.

Hierzu muß man sagen, daß sich die Formen des Widerstandes,? ^ gegen einen totalitären Staat, nach den Methoden richten mu 5 dieser Staat selbst anwendet. Damit kommt man wohl zu dem, liehen Kernpunkt des Problems, nämlich dahin, daß der KamP 8 ’ einen totalitären Staat nur dann mit Erfolg geführt werden kann, wenn man folgendes berücksichtigt:

Im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen steht hinter den Widerstandleistenden keine Masse des Volkes; denn in einem totalitären Staat gibt es keine starken Volksteile, die -wie etwa zu Zeiten der französischen Revolution — ihre Unzufriedenheit dokumentieren können. Es sind ja alle mehr oder weniger in dem ganzen System eingefangen und als Masse überhaupt nicht mehr ansprechbar. Innerhalb eines totalitären Staates gibt es überhaupt keine Möglichkeit, sie anzusprechen. In einem totalitären System muß man primär die Spitze beseitigen, um den Staat zu ändern.

Und damit gelangt man zu dem, was man in der Philosophie die Aporie der inneren Situation nennt, die Ausweglosigkeit: Im Kampfe gegen einen totalitären Staat wird man immer gezwungen sein, dessen eigene Methoden anzuwenden, wenn man das letzte Ziel erreichen will. Um durch ein faktisches Beispiel für den 20. Juli zu sprechen: Goebbels durfte niemals nur gefangengesetzt werden. Man mußte ihn aufhängen und zwar sofort. Bei all dem, was geschehen war, mußte mit den gleichen robusten Methoden gearbeitet werden, die das „Dritte Reich" nicht anders als jeder totalitäre Staat — gegenüber seinen Gegnern, die es rücksichtlos vernichten wollte, anzuwenden pflegte.

Daraus ergibt sich das Dilemma, in dem sich jeder befindet, der an einem Widerstand teilnimmt. Er ist gezwungen, wenigstens für einen kurzen Zeitraum des Übergangs, gerade das zu verletzen, worum er kämpft: das Recht und die Freiheit; er muß zumindest für eine kurze Übergangszeit genau so handeln, wie ein totalitärer Staat, wie eine Diktatur gegenüber ihren Gegnern arbeitet. Nur dann hat ein Widerstand überhaupt einen Sinn und Aussicht auf Erfolg.

Damit leite ich aber für mich den Schluß ab, daß derjenige, der diesen Kampf führt und, um ihn erfolgreich zu führen, gezwungen ist, im natur-rechtlichen Sinne oder im Sinne des göttlichen Rechts Unrecht zu tun, dann wohl das Opfer zu bringen hat, bei dem Neuaufbau des Staates in den Hintergrund zu treten. Er muß die Aufgabe, die fortan zu bewältigen ist, den Leuten überlassen, die nicht aus dieser inneren Not heraus gezwungen waren, Unrecht zu begehen, und sich, sagen wir, die Hände mehr oder weniger rein halten konnten. Derjenige, der gezwungen war, sich in der Weise aufzuopfern, daß er handeln mußte, wie er nicht hätte handeln dürfen, verliert damit das Recht, noch weiter zu wirken. Er hat seine Rolle ausgespielt und seinem Vaterlande gegenüber die höchste Pflicht erfüllt. Irgendwie aber hat er auch eine Schuld auf sich geladen.

Pater Rösch: Natürlich liegt hier im Grunde die allertiefste Problematik und auch die allerschwerste Entscheidung. Aber, Herr Oberstaatsanwalt, ich habe doch ein großes Bedenken, wenn Sie sagen: Ich setze mich ins Unrecht und muß mindestens, sagen wir einmal, transitorisch, übergangsmäßig, de facto ein Unrecht begehen. — Ich fürchte hier die allerernsteste Konsequenz: Wenn diese Revolution nicht gelingt, gebe ich dem anderen das Recht, mich zu verurteilen, weil ich ja selber sage, daß ich Unrecht begangen habe.

Hier drängt sich doch die Frage auf, ob ich durch das Verhalten des Terrorstaates nicht zur Notwehr gezwungen wurde; denn ich kann, darf und muß vielleicht in der Notwehr handeln, ohne daß ich selbst subjektiv und objektiv ein Unrechtsstadium durchschreite. Ich glaube, wir müssen unbedingt einen Weg gehen, der uns unter keinen Umständen das Ge-fühl suggeriert, daß ich sogar davon überzeugt war, LInrecht zu tun.

Wenn ich mich in die Situation versetze, in der wir uns befanden, da hat man doch außerordentlich lange gerungen, bis man sich allmählich persönlich darüber klar wurde: So geht es nicht; das ist zumindest auf vielen Gebieten kein Recht mehr. -

Sicher ist es heute außerordentlich schwer simplicite generatim uniVersale zu sagen, der Staat sei ein absoluter Unrechtsstaat oder zum mindesten kein Rechtsstaat mehr gewesen. Denn in einem Unrechtsstaat gibt es kein echtes Gericht, also auch keine Gerichtsentscheidung mehr, ort gilt auch das zivile Recht nichts mehr; das ist also im Grunde genommen

eine außerordentlich schwierige Rechtsfrage. Aber ich glaube, t Konsequenzen muß man immer durchdenken. Es kann sich einer verP ichtet fühlen zu sagen: Dieser Staat ist nicht in Ordnung, — aber wird t jeder Revolutionär sagen: Es ging nicht mehr so weiter; folglich ist P° facto meine Revolution begründet.

Nun hat er Revolution gemacht — das taten im Laufe der Geschichte sehr viele —, und er hat, sagen wir einmal, Glück gehabt. Wenn er nun dabei unrecht getan hätte, und ein neuer Revolutionär geht — südamerikanisch gedacht — gegen den gestern Erfolgreichen mit einem neuen revolutionären Akt vor und hat seinerseits Glück, dann hat dieser den jetzigen Status geschaffen.

Ich meine: Das Recht zum Revoltieren endet, wenn das bonum commune dies erfordert. Die Revolution hört auf, ein de facto-Rechtsstaat ist da. Wenn dieser nun nicht seinerseits Unrecht als Prinzip setzt, dann wiid er auch de jure ein Rechtsstaat werden, sonst kommen wir aus der ewigen Revolution überhaupt nie heraus. Wenn ich die Überzeugung habe: ich handle recht, mag ich auch scheitern, und mir bewußt bin, daß ich ja auch vor meinen Herrgott treten muß, dann will ich mich keine Minute im Unrecht gefühlt haben.

Hölper: Geht es nicht letztlich darum: Ist der Landesverrat beim Widerstand gegen einen totalitären Staat ein zulässiges Mittel, den Staat zu bekämpfen, auch wenn dieser sich gerade im Kriege befindet? Hier stoßen wir doch auf den Einwand, der immer wieder geltend gemacht wird. Dem Wort „Landesverräter" haftet nun mal ein sehr übler Beigeschmack an. Denn landläufig versteht man doch unter einem Landesverräter den, der um Geld sein Vaterland verrät. Das ist der vulgäre Begriff des Landes-verrats, wenn ich so sagen darf. v. Witzleben: Außerdem, Herr Oberstaatsanwalt, hat es in der ganzen deutschen Geschichte bis zum Jahre 1933 Landesverrat nicht gegeben, 1870-71 nicht, selbst im Zusammenbruch des Jahres 1806 nicht, geschweige denn 1914-18.

Haseloff: Doch, York. v. Witzleben: York ist — wenn man so will — der einzige Landesverräter gewesen; denn er hat — zwar in bester Absicht — mit dem Feinde paktiert. Aber im Kriege 1914-18 hat es das nicht gegeben. Es ist unter Herrn Hitler das erste Mal geschehen, daß preußische Offiziere Landesverräter wurden. Und warum? Da bedrängt einen immer wieder diese Frage nach dem „Warum?“. Denn mit dem dummen Schlagwort: „Landesverrat gleich Landesverrat" ist dieses Problem nicht aus der Welt zu schaffen.

Deswegen kann ich auch die nicht recht verstehen, die unken: Jetzt, am Vorabend der deutschen Wiederbewaffnung, um Gottes willen nicht an diese Dinge rühren! — Nein, gerade diese Dinge müssen geklärt werden, um nach allem, was geschehen ist, dem neuen Soldaten ein sittliches Fundament zu geben. Das ist immer wieder der Grund, weshalb wir fragen, wie Sie, Herr Oberstaatsanwalt vom Rechtsstandpunkt, vom Naturrecht her, diese Dinge sehen, und ob wir da zu einer klaren Beurteilung gelangen.

Wer ist berufen?

Bogatsch: Meiner Ansicht nach hat Herr Oberstaatsanwalt Hölper eben den für unsere ganze Argumentation entscheidenden Punkt berührt: Welches Recht und welche Möglichkeiten habe ich, gegen eine Diktatur vorzugehen? Verfolge ich ein solches Ziel, so öffnen sich mir nur wenige schmale Wege. Das nüchtern zu erkennen, halte ich für ausschlaggebend.

Haseloff: Wer ist überhaupt dazu berufen, diese Art von Landesverrat zu begehen? Ich möchte meinen, daß der Personenkreis, der dafür in Frage kommt, sehr eng begrenzt ist. Wie wenige wußten um die verbrecherischen Handlungen des Regimes und wie wenige waren überhaupt in der Lage, den verbrecherischen Charakter von Führerbefehlen zu erkennen! Der einfache SS-Soldat, der vielleicht 300 Juden auf Befehl umlegte, hatte gar nicht das Bewußtsein, daß das Unrecht war. Aber der Minister oder der Chef des Generalstabes oder wer es sonst sein mochte, der kraft seiner Stellung und dank seiner Bildung und großen Verantwortung das Unrecht erkennen konnte, ist völlig anders zu beurteilen.

Stadtmüller: Da muß ich Ihnen, Herr General, unbedingt zustimmen. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Zahl derer, die zu einer solchen Widerstandstätigkeit im letzten Sinne sittlich berechtigt sind, nicht allzu groß ist. Denn das sind jene Männer, die Einsicht in den Ablauf des Geschehens haben und die Möglichkeit besitzen zu handeln. Hölper: Meiner Ansicht nach liegt das Schwergewicht auf der Frage „Landesverrat" und zwar in erster Linie „Landesverrat im Kriege". Das ist doch der eigentliche Vorwurf, der immer wieder erhoben wird. Es geht einem Soldaten einfach irgendwie gegen den Strich, ganz gleich aus welchen Motiven, mit dem Feind in Verbindung zu treten.

Hierzu muß ich sagen: Wenn ich von vornherein diese Möglichkeit verneine, also Landesverrat im juristischen Sinne, dann schließe ich überhaupt die Möglichkeit aus, während das Volk sich im Kriege befindet, gegen das System Widerstand zu leisten. Das ist der Schluß, den man unbedingt ziehen muß. Denn es ist doch selbstverständlich — ich habe es auch zuerst erwähnt —: Im Kriege ist Hochverrat gleich Landesverrat. In dem Augenblick, in dem ich die Regierung oder das Oberhaupt eines im Kriege stehenden Volkes stürzen will, ist dies in jedem Fall auch Landesverrat: denn ich schwäche doch die Widerstandskraft des Volkes, ich schwäche seinen Wehrwillen.

Will ich andererseits den Widerstand mit Erfolg führen, dann kann ich schon zwangsläufig nicht bloß innerhalb meiner Grenzen bleiben. Gerade wenn ich den Kampf deshalb führe, wieder einen Staat des Rechts an die Stelle jenes Staates zu setzen, der unrechte Gesetze erlassen hat, muß ich meinem jetzigen Gegner sagen: Wir wollen ja gerade das beseitigen, was der Grund dafür ist, daß wir mit Euch im Kriege stehen. Wir wollen erreichen, daß wir innerhalb der europäischen Völkerfamilie wieder als Kulturnation angesehen werden können. Eben dieser Gesichtspunkt wird immer außer acht gelassen, sobald man z. B. auf'den sogenannten Verrat der Westoffensive zu sprechen kommt.

Haseloff: Darf ich Ihre Gedanken um eine Nuance weiterführen. Gerade wenn ich weiß oder mir sagen kann, daß der Gegner sich entschlossen hat: mit einem Hitler an der Spitze des Reiches gibt es nur einen Kampf bis zur Kapitulation, aber mit einer anständigen Regierung werden wir andere Modalitäten finden können, dann untermauert das ein Recht zu dieser Handlungsweise noch stärker.

Hölper: Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, daß, wenn man den Widerstand überhaupt bejaht, während sich ein Volk im Krieg befindet, es dann nicht notwendigerweise auch erforderlich sein kann, etwas zu tun, was sich mit dem § 91 b des Strafgesetzbuches deckt, also nach der Bestimmung eben dieses Gesetzes Landesverrat darstellt.

Pater Rösch: Ich glaube, daß auch jetzt schon in der gesamten Überlegung folgende Frage außerordentlich wichtig ist: Wenn ich nämlich eine Revolution hervorrufen, einen Landesverrat begehen wollte, aber gleichzeitig erkennen müßte, daß der äußere Feind, mit dem mein Volk im Kriege steht, davon nur Nutzen hätte und in gar keiner Weise darauf Rücksicht nähme, was bei mir geschehen ist, wenn ich also einsähe, daß meine Widerstandshandlung ohne jeden Einfluß auf die Haltung der Feinde gegen mein Volk bleiben wird, dann glaube ich nicht, daß ich mit dem Feind verhandeln könnte.

Sendtner: Wie wird denn das subjektive Merkmal des Landesverrates eingeschätzt, also der Wille, dem Reich zu schaden? Ich habe beinahe den Eindruck gewonnen, daß diese sehr wesentliche Bestimmung doch eigentlich graue Theorie ist.

Hölper: Da bin ich insofern anderer Meinung, als es ja gerade das Charakteristikum eines Rechtsstaates ist, daß er bei einem Täter auch die innere Willensrichtung berücksichtigt und sich eben nur dann zu einer Verurteilung entschließt, wenn dieser Täter aus dem Bewußtsein, Unrecht zu tun, gehandelt hat. Es gibt hier den Begriff des sogenannten Überzeugungstäters, den natürlich nur ein Rechtsstaat kennt; ein totalitärer Staat wird ihn nicht kennen und kann ihn niemals anerkennen, weil ja der Gesinnungsgegner im totalitären Staat der Staatsfeind Nr. 1 ist; infolgedessen ist in einem totalitären Staat eine derartige Vorsatz-lehre Null und nichtig. Das ist selbstverständlich.

Ich darf Sie vielleicht an jene schönen Veröffentlichungen in der „Revue“ erinnern, in denen Herr Huppenkothen am Schluß erklärt, er habe das Gefühl, daß hier in einem Rechtsstaat nun wirklich Recht gesprochen worden sei; denn man habe berücksichtigt, daß er als ehemaliger SS-Angehöriger und Regierungsdirektor im RSHA immerhin der Über-zeugung sein konnte, alles, was Herr Hitler anordne, sei rechtmäßig.

Sendtner: Herr Oberstaatsanwalt, unsere alten Monarchien w zweifellos Rechtsstaaten. Aber wenn nun einer Landesverrat begänrf hat im Zusammenwirken, sagen wir einmal mit der Sowjetunion, eben der Überzeugung war, daß das Wohl des Reiches unter allen I ständen die Einführung der Räterepublik, nach Möglichkeit in engsn Anlehnung an Moskau, verlange, dann konnte ihm auch dieser staat unmöglich die Absicht zugestehen, er habe ja eigentlich dem Stlt nützen wollen und infolgedessen keinen Landesverrat begangen

Hölper: Dazu darf ich auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes verweisen, der nun nicht in jedem Falle sagt, daß das mangelnde Gefühl der Rechtswidrigkeit Straffreiheit zur Folge hat. Sondern jene gmnd. legende Entscheidung sagt ja ausdrücklich, daß sich das Gefühl, das der Betreffende hat, mit dem allgemeinen Rechtsgefühl decken mu Es geht doch nicht an, daß jemand sagt: Ich habe nicht das Gefühl, unrecht zu handeln, und er steht damit im Widerspruch zu allen gültigen Rechtsvorschriften. Der Bundesgerichtshof sagt ausdrücklich: Er ms wenn er handelt, sein Gewissen anspannen. Er muß erforschen, ob sein Tun recht oder unrecht ist. Und kommt er auch dann zu der Auffassung, recht zu tun, so geht er trotzdem nicht frei aus, wenn wir ihm nachweis«, daß er es fahrlässig versäumt hat, sein Gewissen so anzuspannen, daU das Unrechte seines Handelns erkennen mußte.

Sendtner: Taucht da nicht wieder der Begriff des „gesunden Volks, empfindens" auf, diese gefährliche Giftpflanze, deren sich doch die so-genannte Rechtssetzung im „Dritten Reich“ immer wieder bedient hat?

Hölper: Ich möchte nicht behaupten, daß diese Pflanze an sich so gefährlich ist; sie ist nur im „Dritten Reich“ mißbraucht worden. Von dem gesunden Rechtsempfinden, das innerhalb eines Volkes lebendig ist muß man nun einmal ausgehen, denn aus ihm entspringt doch schließlich jede Rechtssetzung.

Pater Rösch: Darf ich hier eine Frage anknüpfen, die mir eine gewisse Bedeutung zu haben scheint: Wenn ich recht orientiert bin, hat der Generaloberst Halder gewissermaßen davor gewarnt, jetzt überhaupt zum Thema „Landesverrat“ Stellung zu nehmen. . v. Witzleben: Jawohl, er sagt, er halte es in diesem Zeitpunkt, d. h unmittelbar vor der Bildung einer neuen Wehrmacht, nicht für opportun.

Haseloff: Generaloberst Halder schreibt: „Meine Auffassung über & Vor-und Nachteile einer Publikation über die militärische Opposition habe ich mir schon in einem früheren Brief erlaubt anzudeuten. Ich sehe mehr Gefahren in einem solchen Beginnen als Vorteile. Abgesehend von, daß es nahezu unmöglich ist, die psychologische Situation so 7 rekonstruieren, in der sich die Handelnden damals befanden, glaube i daß das Thema der Berechtigung zum Hochverrat und zum Bruch d militärischen Eides gerade in dem geistigen Ringen um das neue deutS 1 Soldatentum nicht vorauszusehende Wirkungen auslösen kann . v. Witzleben: Ich bin genau gegenteiliger Ansicht.

Pater Rösch: Wenn die neue Wehrmacht, wie immer wir sie ne" 2d wollen, wirklich das sein will, was sie sein soll, dann glaube ich 2 alle Offiziere, zum mindesten die, die auf die Kriegsschule gehenW den und in deren Hand die Bildung der übrigen liegen wird, über 18 Problem, so weit das menschlich möglich ist, Klarheit haben müssen v. Witzleben: Diese Klarheit haben Sie heute noch nicht!

Pater Rösch: Gewiß nicht. Ich war ein kleiner Kompanieführ " ersten Weltkrieg, und doch wurden auch wir vor GewissensfragenI stellt. Ich erinnere mich, daß einmal ein Divisionskommandeur zn kam, der sah -es war auf der Vimy-Höhe der Angriff mach, a schritte, lobte uns und befahl: „Gefangene werden nicht gemacht war damals sogar erst Unteroffizier. Meine Leute hörte ich in dem blick halblaut sagen: „Kommt gar nicht in Frage! Wir wollen auc umgclegt werden“. _ aa Dieser Entscheidung können wir, glaube ich, unter keinen Umst a aus dem Wege gehen. Denn es kann die umgekehrte Gefahr komm die neuen Soldaten vielleicht ganz große Fehler machen werden, man sie nicht vorher aufklärt. Das Problem Oster Bogatsch: Wenn Herr Oberstaatsanwalt Hölper sagt, daß nach den im Kriege geltenden Gesetzen Hoch-und Landesverrat unter dem Begriff „Kriegsverrat“ zusammenfallen, so bedrückt mich dies besonders im Hinblick auf Osters Handlungsweise. Ich sage ganz ehrlich: So sehr ich die Handlungsweise der anderen Persönlichkeiten verstehe und billige, das Handeln von Oster verstehe ich nicht in vollem Umfange. Hier liegt irgendwo eine Grenze, und ich frage mich oft, ob das Wollen. Handeln und Denken des Generalobersten Beck mit dem Vorgehen des Generals Oster, der Beck fraglos sehr nahe stand, wirklich im Einklang war.

V. Witzleben: Dieser Frage müssen wir unter allen Umständen bis in die tiefsten Wurzeln nachgehen. Wir müssen sie auch deswegen prüfen, weil ich persönlich auf dem Standpunkt stehe, daß Oster im ersten Weltkrieg als Oberleutnant ganz bestimmt nicht, auch wenn er damals Oberst gewesen wäre, Landesverrat begangen hätte.

Es ist doch auffallend, daß sich in Familien, die durch Generationen deutsche Offiziere gestellt haben, zum ersten Male in der deutschen Geschichte Landesverratsfälle häufen. Wir müssen den Dingen nachspüren bis vor die Zeit von 193 3, wenn'wir überhaupt Erkenntnisse gewinnen wollen. Daß General Oster Kriegsverrat begangen hat, darüber gibt es gar keinen Zweifel. Aber es gilt, die Gründe zu untersuchen, die das Handeln dieses Mannes und der mit ihm verbundenen Opposition bestimmten.

Stapf: Meine Herren, für den Soldaten handelt es sich vor allem um die Frage: Hat der Betreffende sein Gewissen geprüft und berücksichtigt, daß ein derartiger Schritt das Leben vieler Kameraden aufs Spiel setzen kann? Das ist die Einstellung, die ein Soldat zunächst zu dieser Frage einnimmt, wobei es natürlich klar ist, daß man das Motiv der Tat prüfen muß.

Hören wir dazu einmal die Stimme eines jungen Mannes, der mir folgendes sagte: „Dieser Landesverrat war zweifellos die ultima ratio, die sich den betreffenden Persönlichkeiten bot. Hatten diese Offiziere aber alle anderen Mittel ausgeschöpft, ehe sie sich zu diesem Schritt entschlosesn? D. h„ haben sie versucht, das Unglück auf anderen Wegen, sei es durch ein Attentat oder durch die Verhaftung Hitlers, abzuwenden“?

Diese Frage nehme ich sehr ernst. Die Jugend hat ein Gefühl für die Tragweite einer Tat, die ein ungeheures Risiko für die eigenen Kameraden einschloß. In diesem Zusammenhang verdient das Ergebnis einer Rundfrage des Bundes Deutscher Soldaten, bzw.des VDS/BVM bei den einzelnen Landesleitungen Beachtung. Hier ist es aufschlußreich zu lesen, wie fast allgemein die Ansicht vertreten wird, daß man Osters Entschluß nur aus der damaligen Zeit heraus beurteilen könne. Admiral Hansen schreibt mir: .. Zu diesem Beweis des Landesverrats darf ich die Beurteilung eines bedeutenden Rechtsphilosophen, der den zweiten Weltkrieg als Reserve-offizier mitgemacht hat, anführen: Der Landesverrat, der gleichzeitig Hochverrat ist und der Rettung des Vaterlandes dienen sollte, ist nicht anders zu beurteilen als der zum gleichen Zweck begangene Hochverrat, der zudem in seinen Wirkungen jedenfalls im letzten Kriege dem Landesverrat gleichkam".

Wesentlich ist, daß hier ein Schritt anerkannt wird, welcher der Reifung des Vaterlandes dienen sollte. Dieses Motiv ist aber, das glaube ich, auch für General Oster maßgebend gewesen.

Sendtner: Ich bin fest davon überzeugt, daß wir uns auf dieser Basis zu einem einheitlichen Votum zusammenfinden werden.

Was Osters Verhalten betrifft, so möchte ich sagen, daß ich persönlich es nicht fertig gebracht hätte, so zu handeln, wie er es tat. Aber ich bin weit davon entfernt, mir das als eine Tugend anzurechnen. Das stammt eben aus der Tradition, in der wir ausgewachsen sind. Nun darf man aber auch in diesem Zusammenhang, nämlich beim Verrat der Westoffensive an den holländischen Militärattache, die Beziehung zwischen Oster und eck nicht außer acht lassen. Wir können selbstverständlich niemals einen Nachweis dafür erbringen, daß der Generaloberst Beck einen entsPrechenden Auftrag gegeben oder die Handlungsweise Osters vorher sanktioniert hat., Aber eines steht für mich nach allen Ergebnissen unserer ntersuchungen außer jedem Zweifel, daß er sie hinterher durchaus gebilligt hat. Denn es ist ebenfalls eine unbestreitbare Tatsache, daß die sehr vertrauensvollen Beziehungen zwischen dem Generalobersten und General Oster so lange angedauert haben, als beide noch im Besitz ihrer Freiheit waren.

Im übrigen darf meines Erachtens Osters Tat nun nicht etwa losgelöst für sich betrachtet werden, als der Schritt eines hohen Offiziers, der plötzlich auf die Idee kam, noch kurz vor der Offensive der Gegenseite den Angriffstermin zu bezeichnen. Osters Vorgehen ist ja doch nur zu erklären aus der ganzen Aktion, die im September 1939 von der Gruppe Beck-Oster eingeleitet wurde und nicht zuletzt auch zu der Mission von Dr. Müller führte. Der Sinn dieser Aktion war, durch Verhandlungen mit dem Ausland die Basis für einen gerechten und dauerhaften Frieden, für eine wirkliche Befriedung Europas zu finden. Wenn diese Verhandlungen auch schließlich ergebnislos blieben, weil es nicht möglich war, eine der ersten Voraussetzungen für einen Friedensschluß zu erfüllen, nämlich den Sturz Hitlers, so habe ich doch volles Verständnis dafür, daß Dr. Müller nach Rom geschickt wurde. So ist auch Osters Verhalten aus dieser ganzen Folge von Handlungen zu erklären. Nachdem er durch den holländischen Militärattache schon die Fühlung mit der Gegenseite hatte, drängte es ihm, dem Mann zu sagen, so und so liegen die Dinge. Das, glaube ich, ist für die Beurteilung wesentlich. Mit Recht hat Herr General Stapf gesagt, daß bei jeder derartigen Handlung vor allem zu berücksichtigen ist, daß das Leben vieler Soldaten gefährdet werden kann. Indessen: Die Gegenseite hat darauf nicht reagiert, sie hätte es aber tun können. Das durfte Oster berücksichtigen, wenn er davon nach reiflichster Prüfung überzeugt war.

432 Aber das Entsetzliche der Situation aller jener Männer, die damals Schlüsselstellungen innehatten, war ja doch, daß sie durch den Widerstand gegen Hitler, unter Umständen durch das Attentat, durch den Sturz des Regimes, nicht bloß das Leben vieler Soldaten teils an der Front, teils in der Heimat aufs Spiel setzten, sondern daß sie, wenn sie nichts taten, mit Sicherheit Millionen von Soldaten opferten oder zur völlig sinnlosen Opferung dieser Menschenleben beitrugen. So unterscheidet sich natürlich jede Handlung, die diesem Dilemma entsprang, von irgendeiner anderen, die etwa im ersten Weltkrieg denkbar gewesen wäre.

Es ist die Frage gestellt worden, ob alles getan worden sei, um Hitler vorher auszuschalten. Ja, diese Frage ist natürlich heute leichter gestellt, als sie damals zu beantworten war. Darin bestand ja das Unglück der ganzen Situation, daß es eben nicht gelungen war, Hitler vorher auszuschalten.

Stapf: Der heroische Standpunkt, den solche jungen Leute einnehmen, äußert sich in der Frage: Hat der Betreffende sein Leben eingesetzt und zwar bewußt eingesetzt, um dieses Übel zu beseitigen, und hat er erst dann, als das nicht geglückt war oder er keine Möglichkeit dazu hatte, den nächsten Weg gewählt, den des Landesverrates?

Sendtner: Herr General, ein sehr idealer Standpunkt, eine Forderung, der man im Prinzip durchaus nicht widersprechen kann.

Stapf: Ich meine, dieser Standpunkt muß auch von uns gewürdigt werden.

Sendtner: Er verdient es, ohne Zweifel; in der Praxis des Lebens kann man aber eigentlich wohl kaum sagen, daß nur derjenige zu einer echten Widerstandstätigkeit berechtigt war, der eine Gelegenheit zu einem Attentat auf Hitler benützt hat.

Pater Rösch: Was für eine Wirkung kann General Oster eigentlich erwartet haben, als er mitteilte: „Es kommt eine deutsche Offensive"? v. Witzleben: Die römischen Gespräche waren doch an zwei Voraussetzungen geknüpft: Erstens die Beseitigung des Regimes, zweitens Nichtangriff im Westen. Da nun die Beseitigung des Regimes bis zu diesem 10. Mai nicht gelungen war und auch die zweite Forderung, Nicht-angriff im Westen, nicht erfüllt wurde, wäre es denkbar, daß Oster, wie so manchem anderen Offizier eine dritte Möglichkeit vorschwebte, nämlich die: Durch einen solchen Verrat die Westoffensive in ihren ersten Anfängen scheitern zu lassen. Oster wird sich gesagt haben: Wenn Hitler im Westen eine solche Abfuhr erhält, dann ergibt sich die Möglichkeit, durch einen solchen Rückschlag (denn alle Heerführer hielten ja den Franzosen für viel stärker, als er wirklich war) das nationalsozialistische System zum Wanken zu bringen.

Pater Rösch: Wäre cs nicht ebenso möglich, daß er sich gedacht hat: Der Angriff auf Holland und Belgien ist ja durch garnichts motiviert? Und wollte er nicht auch deshalb dem Angriff vorbeugen, weil er sich bewußt war, daß es ein ganz gewaltiges Unrecht ist mit unabsehbaren Folgen, wenn der Stärkere den Schwächeren überfällt?

Stapf: Ich glaube schon, daß dieses Moment bei Oster entscheidend niitgespielt hat. Bei Beck bin ich dessen sicher; gerade weil die Verletzung der Neutralität nach den Erfahrungen im ersten Weltkrieg besonders schwer ins Gewicht fiel.

Krausnick: Kann es nicht auch so sein, daß Oster sich sagte: Wenn die Offensive im Westen erfolgt, dann sind die Friedenschancen, die wir jetzt noch haben, durch die Ausweitung des Krieges völlig dahin, so daß fortan Deutscher und Nationalsozialist von den anderen nicht mehr unterschieden werden und es auch keinen Zweck mehr haben wird, Hitler zu stürzen, weil der Krieg Ausmaße annehmen muß, die ins Ufeilose gehen und zur endgültigen Katastrophe führen —?

Die Motive sind klar Stadtmüller: Ich glaube nicht, daß wir uns noch mit den Motiven der handelnden Personen auseinandersetzen müssen. Diese Motive sind klar.

Es ist keine Frage: Unter all den Männern, die zum Widerstand entschlössen waren, ist kein Eigensüchtiger gewesen. Das waren Idealisten.

Uns bewegt hier nicht die quaestio facti, sondern die quaestio iuris. Wir haben es auch nicht mit der Verteidigung der Männer zu tun, sondern mit der Erklärung und Wertung ihrer Taten. Wir müssen auf eine normative Theorie zusteuem, die objektive Kriterien erarbeitet. Denn subjektive Kriterien haben nur accidentiellen Wert und sind ständigem Mißbrauch ausgesetzt.

Wenn z. B. gesagt wird, verurteilungswerter Landes-bzw. Hochverrat unterscheidet sich von erlaubtem Hochverrat, was ja eine contradictio in adjecto ist, und mir scheint dieser Sprachgebrauch nicht glücklich zu sein, dadurch, daß der eine handelt, um das Wohl des Reiches zu wahren und der andere nicht, so frage ich: Ja, die Leute, die heutzutage in Deutschland den Herrn Reimann für einen deutschen Staatsmann halten und bereit sind, morgen die Bundesrepublik an Moskau auszuliefern, die werden alle der Überzeugung sein, daß sie dadurch das Wohl des deutschen Volkes fordern wollen. Also ich erwäge das als faustgroßes Exempel dafür, daß man im Grunde genommen mit diesen subjektiven Kriterien nicht weiterkommt, daß wir vielmehr hinzielen müssen auf das Objektive.

Nur eine Randbemerkung zu der Anschauung des jugendlichen Gesprächspartners: Jeder, der Hitler beseitigen wollte, hätte zunächst selbst ein Attentat begehen müssen. Ich kann dazu nur sagen, daß das ein Gesichtspunkt ist, der dem, der ihn äußert, alle Ehre macht.

Übrigens liefert die Geschichte der Widerstandsbewegung — wir können das bei Schlabrendorf und bei Zeller („Geist der Freiheit“) lesen — den Beweis, daß sehr viele Offiziere bereit waren, sich zu opfern. Aber praktisch war ja damit nicht viel zu gewinnen, weil gar nicht die Möglichkeit bestand.

Grundsätzlich ist der Gesichtspunkt nicht erheblich; erheblich dagegen ist der Gesichtspunkt, ob ein objektives Recht gegeben war, so zu handeln, und wann und in welchem Ausmaß und auf welches Ziel hin von diesem Recht Gebrauch gemacht werden konnte. Da, glaube ich, kommen wir immer wieder auf den archimedischen Punkt unserer Erwägung, daß dieser Staat die Grundlagen des Rechtsstaates aufgegeben hatte — und daß er im politischen, militärischen Bereich — gelinde gesagt — in keiner Weise mehr sachgerecht handelte, um nicht zu sagen, eine wahnsinnige Politik betrieb.

Treviranus: Ich habe mir lange überlegt: Wo hört die Verantwortung eines Offiziers auf, wo beginnt die Verantwortung eines Individuums, wo fängt die staatspolitische Verantwortung an, wenn jemand an einer so exponierten Stelle steht? Kann man überhaupt mit den Maßstäben des Soldatentums diesen Auffassungen und Anforderungen gerecht werden?

Ich bin von 1934— 1947 verhindert gewesen, in der Heimat zu sein. Es bedarf keines Wortes, daß ich um so eindringlicher, um so ernsthafter Tag und Nacht die Frage überlegt habe, was geschehen könne, um den Krieg, den ich seit 1935 kommen sah, zu verhindern. Im März 1939 teilte mir ein befreundeter Generalstabsoffizier mit, Anfang Mai • j mit zu rechnen, daß Hitler zu einer Weltenwende aufbredhe, 1" " 2 sofort Neville Chamberlain auf dem Wege über Sir Horace w:" , abe in Kenntnis gesetzt, nach meinem Dafürhalten bestehe Gefahr, dasi, in dem Glauben, von der englischen Regierung plein pouvoir zu LL 6 den Selbstmord Deutschlands und die Vernichtung des EouSni 6e "

. . 1 " unums in Europa gegenüber Asien vorhabe.

Ich habe einen sehr langen, erbitterten Kampf geführt, und als Kleist Schmenzin in London war und berichtete, daß nun der Ausbrudi de Krieges, auf Anfang September verschoben, unmittelbar vor der Tür stehe, habe ich diesen Versuch noch einmal über Lord Tyrell, den (rih. ren Privatsekretär von Sir Edward Gray, den ich seit langen Jahren persönlich kannte, gemacht. Dieser hatte immer meine These bestätigt und gesagt: „Wäre England 1914 unmittelbar nach Serajewo vor die gan klare Frage gestellt worden: Was werdet Ihr tun, wenn wir gezwungen werden, gegen Rußland zur Verteidigung unserer österreichischen Bun.desgenossen in den Krieg zu gehen?, so hätte Deutschland eine klare Antwort erhalten“. Er sagte, nur dadurch, daß alles wie eine Katz. -um den heißen Brei herumgegangen sei, seien allesamt in den Krieg hinein, geschlittert.

Ich habe damals nur eine Lehre für mich gezogen: Solange man also noch sehen und hören kann, soll man verhindern, daß ein ebenso voreiliges wie unvorsichtiges staatsmännisches Geschehen sih wiederholt Ich war zwar 1938 ohne mein Dazutun ausgebürgert worden. Nie habe ich das Gefühl gehabt, ich würde Landesverrat begehen, wenn mene Kenntnis von den drohenden Gefahren, die ich für das gesamte Reidh sah, zur Kenntnis der möglichen Gegner käme. Ich kann deshalb verstehen, daß der General Oster, den ich nie gekannt habe, genau las gleiche gedacht und empfunden hat, als er das Angriffsdatum an die Holländer weitergab.

Wie kann jemand, der die nordische Rasse so klar und eindeutig als Politikum hinstellt, ausgerechnet diese volksverbundenen Nachbarn über den Haufen rennen? Wie kann er überhaupt vor der Geschichte dann bestehen mit der Auffassung, daß es eben nicht das Recht des Stärkeren gegenüber den Artverbundenen gibt, sondern höchstens gegenüber den Fremdrassigen? Ich habe damals nicht das Gefühl gehabt, Hochverrat zu treiben, weil ich seit dem 30. Juni 1934, ganz unabhängig von meinem persönlichen Schicksal, den Usurpator, der erklärte: „Ich bin das Recht"

für den Hochverräter gehalten habe gegenüber dem ganzen deutschen Volke, der nämlich dem Volke — wie es sich nachher herausstellte tat sächlich das Rüdegrat gebrochen hat. Ich habe nicht verstanden, daß seitens der damaligen Heeresleitung — genau so wie alte Kameraden von mir, die in den Nächten, als ich vierzehn Tage in Berlin war, dauernd* 1 mir kamen — nicht eingeschritten wurde, — daß die obersten Richter nih einmütig erklärten: Das ist nicht mehr Recht, sondern Unrecht, und " l sind nicht in der Lage, einem solchen Kanzler, einem solchen Führer weiter zu dienen! Es ist mir unbegreiflich, daß das damals nicht geschah Ich kann verstehen, daß es Männer gab wie Oster, Dr. Müller ud andere, die den leidenschaftlichen Wunsch hatten, dieses Unrecht wid gutzumachen.

Infolgedessen konnte — genau wie Gräfin York es sagt — die 8 des Hoch-und Landesverrats für uns nicht mehr auftreten. v. Witzleben: Was Sie hier schildern, ist eine Parallele zu der Ha'1" Halders im Jahre 1938. Halder schickte Böhm-Tettelbach nach -0d mit dem ausdrücklichen Auftrag, dort zu erklären, die englische C rung möge intervenieren, weil Hitler zum Krieg treibe. Auch das n wie gesagt — Landesverrat, aber aus Motiven heraus, wie Sie, Herr ster Treviranus, sie eben ganz klar skizzierten. Daß der Chef es E sehen Generalstabes sich zu dieser Mission nach London veranla t war immerhin auch ein Novum in der deutschen Geschichte.

Haseloff: Wir sind, glaube ich, alle der Auffassung, daß andens tiven der Männer, die von Seiten der Wehrmacht Widerstan 8 i fü haben, in keinem einzigen Falle zu zweifeln ist. Darum kann _ meine Person einen grundsätzlichen Unterschied in der Han uneind eines Oster, eines Halder, eines Bede nicht erkennen. Es sin ‘Grena Ansicht nach, höchstens Unterschiede im Symptom, aber nie i satz.

Fussnoten

Weitere Inhalte