Regimes keine milderen Mittel anwenden, ohne die Aussicht auf Erfolg schwinden zu sehen. Insbesondere bestand Mitte 1944 praktisch keine Möglichkeit mehr, Deutschland auf andere Weise als durch die Tötung Hitlers wenigstens vor dem Äußersten zu bewahren. Das Unternehmen konnte auch gar nicht anders durchgeführt werden, als daß zu seiner Sicherung und zur Rettung Deutschlands vor und nach Kriegsausbruch mit dem Auslande Verbindung gesucht wurde.
Einer gesonderten Betrachtung bedarf aber jener Widerstandsakt, den ein Mitglied der Militäropposition in den ersten Monaten des Jahres 1940 dadurch beging, daß es den Kriegsgegner über die gegen Belgien und Holland geplanten Kriegsmaßnahmen und über die in Aussicht genommenen Angriffstermine unterrichtete. Der Betreffende tat dies, weil er der Meinung war, das Hitler-Regime müsse um des Rechtes und um Deutschlands willen auf jeden Fall beseitigt werden; der von ihm begonnene ungerechte Krieg müsse sich zum Weltkriege ausweiten und dann Deutschland erst millionenfache Verluste und schließlich den Untergang bringen. Er wollte durch sein Vorgehen ersichtlich dazu beitragen, die militärische Entscheidung in der Schwebe zu halten, um so den inneren Umsturz und einen frühen Ausgleichsfrieden eher möglich zu machen. Der Konzeption kann eine äußerste Folgerichtigkeit und Geschlossenheit nicht abgesprochen werden. Von der äußerst weitgehenden, folgen-und opferreichen Maßnahme, die hier ein Einzelner ergriff, konnte erwartet werden, sie werde dazu beitragen, die Beschränkung des Krieges auf den Westen zu erzwingen. Bei der ungemeinen Härte des hier aufgebrochenen und durchgestandenen, mehr als tragischen Pflichtenwiderstreites und bei der ungemein objektiven Schwere der Entscheidung wird man jedoch nicht wagen dürfen, dem Handelnden abzusprechen, daß er auch hier noch an sein Recht zum Widerstand glauben durfte.
Eine weitere Zweifelsfrage, die allerdings nicht mehr in den von diesem Gutachten unmittelbar angesprochenen Zeitraum fällt, sei zum Schlusse ebenfalls noch berührt. Es ist die Frage, wie sich der Umstand rechtlich auswirkt, daß bei den geplanten und den durchgeführten Anschlägen auf das Leben Hitlers u. U. auch Unbeteiligte und Unschuldige, etwa Ordonnanzen oder Flugzeugführer oder am politischen Geschehen unbeteiligte Offiziere, geopfert werden mußten. Machte das den Widerstandsakt etwa ganz oder doch teilweise rechtswidrig? Hier wird man unterscheiden müssen: So weit sich die Anschläge unmittelbar gegen Hitter, Himmler, oder ähnlich zu beurteilende Personen richteten, waren sie auch unter solchen Umständen zweifellos durch das Widerstandsrecht gedeckt. Die Täter handelten hier im übergesetzlichen Notstand und deswegen rechtmäßig. Das heißt: sie befanden sich in der überaus tragischen Konfliktslage, daß das rechtlich übergeordnete Ziel — die Befreiung des Volkes, des Staates, ja der Welt von ihren Verderbern — auf keine andere Weise als durch die gleichzeitige Opferung Unschuldiger erreicht werden konnte, insoweit muß das im übergesetzlichen Notstand ausgeübte Widerstandsrecht durchgreifen. Die Frage ist jedoch die, ob es in einer solcien Lage die Tat auch noch insoweit zu rechtfertigen vermag, als sie sich nicht gegen die Schuldigen sondern notgedrungen auch gegen die Unschuldigen richtete. Das ist eine überaus schwere Frage, die die Grenzen des menschlichen Rechtes aufzeigt. Wie auch immer man sie beantworten mag; ja selbst dann, wenn man sie dahin beantwortet, rechtlich könne die Tat nicht aufgespalten werden, sie werde vielmehr einheitlich durch das im übergesetzlichen Notstand ausgeübte Widerstandsrecht gerechtfertigt, so ist doch klar: Diesen Widerstreit vermag überzeugend nicht mehr das Recht, sondern nur noch die Gnade, die menschliche und die göttliche zu lösen.
Karlsruhe, den 10. September 1953
Ich bin gebeten worden, über den Eid nach der Lehre der katholischen Moraltheologie zu sprechen. Die Eidfrage spielt ja auch beim 20. Juli eine große Rolle, und daher ist es wichtig, die Prinzipien, die hier in Anwendung kommen, klar zu erkennen. Einleitend möchte ich bemerken, daß diese Frage schon in den Gutachten behandelt wird, die im Remerprozeß von dem katholischen Moraltheologen Rupert Angermair (Freising) und den beiden evangelischen Theologieprofessoren Iwand und Wolf erstattet wurden. (Sie finden sich abgedruckt in der Sondernummer der Wochenschrift „Das Parlament" vom 20. Juli 1952; eine Neubearbeitung erschien 1953 im Verlag Giradet, Hamburg.)
Die allgemeinen Grundsätze, die nach katholischer Lehre für den Eid gelten, sind in dem Kirchlichen Gesetzbuch, dem Codex Juris Canonici, in den Canones 1316 bis 1321 kurz zusammengefaßt. Darin ist gesagt, was der Eid ist, wie er bindet und wie er gelöst werden kann. Die darin entwickelten Grundsätze sind nicht etwas spezifisch Katholisches, sondern gelten der Sache nach für alle Menschen, die überhaupt ein Recht und Gewissen anerkennen. Ich berücksichtige besonders jene Bestimmungen, die im Hinblick auf den 20. Juli von Bedeutung sind. Der Eid, von dem die Moraitheologie spricht, ist die Anrufung Gottes als Zeugen der Wahrheit. Ein solcher Eid kann und darf — Anspielung auf Jeremias 4, 2 --nur geleistet werden: „in veritate, in iudicio et in iustitia", d. h.der Eid muß, da er im Angesichte Gottes geleistet wird, der Wahrheit und der Gerechtigkeit entsprechen und darf nur nach reiflicher Überlegung abgelegt werden. Voraussetzung für die Gültigkeit eines Eides ist einerseits eine innere Gesinnung, den Eid leisten zu wollen, andererseits eine äußere Kundgebung, die den Eid offenkundig macht.
Gott kann im Eid angerufen werden als Zeuge für die Wahrheit einer Aussage oder für die Aufrichtigkeit eines Versprechens. Danach unterscheidet man den Aussage-Eid und den Versprechungs-Eid. Da der Fahneneid ein Versprechungseid ist, kommt nur dieser hier in Frage.
Zu beachten ist, daß der Versprechungseid die beschworene Verpflichtung weder begründet noch erweitert, sondern feierlich in religiöser Form bekräftigt. Der Inhalt der durch den Eid übernommenen Verpflichtung ist also auszulegen nach seinem Wortlaut und im Rahmen des für den Menschen allgemein geltenden Sittengesetzes; der Eid löscht weder die Rechte der menschlichen Persönlichkeit aus noch entbindet er den Menschm von der Verpflichtung gegenüber seinem Gewissen. Audi wenn der Soldat etwa — wie im Hitlereid — einen „unbedingten“ Gehorsam gelobt oder einen „körperlichen" Eid schwört, so kann das vernünftigerweise nicht bedeuten, daß er nun dem Befehlenden rückhaltlos verfallen sei. Einen im strengen Sinne unbedingten Gehorsam gegenüber einem Menschei — wer immer er sei — kann und darf es nicht geben. Es gibt unaufhebbar eine Grenze, weil man Gott mehr gehorchen muß als Menschen (Apg. 5,29)
Im Anschluß hieran möge die Frage eingeschoben werden, warum auch Diktatoren, die persönlich nicht an Gott glauben und sich um dessen Gebote nicht kümmern, trotzdem von ihren Soldaten einen „heiligen" Eid vor Gott fordern oder entgegennehmen. Sie erinnern sich aus der Darstellung bei Foertsch („Schuld und Verhängnis“), daß, als General v. Reichenau den Eid auf Hitler diktierte, der Adjutant — es war Foertsch selbst — stockte und sagte: „Ja, Gott, heiliger Eid und Nationalsozialismus -das verträgt sich doch nicht!".
Da hat v. Reichenau gesagt:
„Ein Eid ohn Gott ist kein Eid“ und hat den Eid in der uns bekannten Form diktiert Warum das? Warum hat Hitler so oft auf die Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit des Eides hingewiesen und dadurch Soldaten wie Offiziere an seine Person gebunden? Der Eid soll den Menschen bis in die Tiefe seines Gewissens ergreifen und ihn auch dort binden, wo er nicht mehr durch Menschen kontrolliert werden kann oder irgendeine menschliche Strafe zu fürchten hat. Der Gewissenlose will den Gewissenhaften ganz in seine Gewalt bekommen, nicht nur sein äußeres Handeln, sondern auch seine innere Gesinnung. Rousseau, der sich etwas aufs Revoltieren verstand, bemerkt in seinem „Contrat social" (I 3):
„Der Mächtige ist niemals mächtig genug, um immer Herr zu sein, wenn es ihm nicht gelingt, seine Macht in Recht und den Gehorsam in Pflicht zu verwandeln."
Die treibende Kraft in ihm ist Furcht und Mißtrauen, weil auch der größte Terror nicht als genügende Stütze empfunden wird. Dazu kommt, daß manche im Volk bestehende Unklarheit über die Tragweite des Eides dem gewissenlosen Machthaber den Mißbrauch des ihm geleisteten Eides ermöglicht. Um so notwendiger ist, daß über Wesen und Grenzen auch des Soldateneides völlige Klarheit herrscht oder geschaffen wird.
Eine solche Klarheit wird am sicherten gewonnen, wenn man die Grenzfälle untersucht. Ein Grenzfall liegt vor, wenn der, der den Eid leisten soll oder ihn schon geleistet hat, in Konflikt zwischen Befehl und Gewissen gerät. Das kann schon vor Ableistung des Eides geschehen, wenn sich nämlich Zweifel über die Erlaubtheit des Eides oder über Teile seines Inhaltes erheben. In solchem Fall kann der Konflikt oft dadurch vermieden werden, daß vor Ablegung des Eides ein Vorbehalt oder eine Rechtsverwahrung erklärt wird. Aber auch dann, wenn ein solcher Vorbehalt nicht möglich ist oder zurückgewiesen wird, kann oft die Klausel „salva conscientia“ als selbstverständlich vorausgesetzt werden.
Dringender ist der Fall, wenn der durch den Eid Verpflichtete vor einem offenbar ungerechten und unerlaubten Befehl steht. Dann gilt die allgemeine Regel, die schon genannt wurde, daß die Nichtbefolgung eines solchen Befehls Pflicht ist, was auch immer die Folgen sein mögen. Das ist der sogenannte passive Widerstand, über den es zumal unter Christen keine Meinungsverschiedenheit geben kann. Es kann aber auch der Fall eintreten, und der ist im „Dritten Reich" eingetreten, daß nicht nur hier und da ein ungerechter Befehl erlassen wird, sondern der ganze Staatsapparat zerrüttet wird und sich in das Gegenteil seines Zweckes verkehrt, so daß der Gehorsam gegen diesen Staat direkt oder indirekt zum Verderben des Volkes ausschlägt. Ist es in diesem Fall erlaubt, über den passiven Widerstand hinaus zum aktiven Widerstand überzugehen, der die Beseitigung der ihre Macht mißbrauchenden Regierung zum Ziel hat? Voraussetzung eines solchen Widerstandes ist, daß alle friedlichen Mittel zur Abstellung der Mißstände erschöpft sind und eine moralische Aussicht für ein Gelingen der Erhebung vorliegt. Als entscheidendes Merkmal für die Zerrüttung des Staates kann allgemein gelten, wenn seine Regierung nicht mehr das Wohl des Volkes im Auge hat, sondern zur Parteiherrschaft entartet ist. So hat schon Plato geurteilt (Gesetze IV 715 B): „Solche Staatsverfassungen lassen wir nicht für eigentliche Staatsverfassungen und solche Gesetze nicht für richtige Gesetze gelten, die nicht um des allgemeinen Besten willen für den Staat als Ganzes gegeben werden; vielmehr nennen wir eine Gesetzgebung, die nur den Interessen einer Partei dient, Parteisache, nicht Staatssache, und dem durch sie bestimmten sogenannten Recht sprechen wir jeden Anspruch auf diesen Namen ab."
Verschärft wird diese Lage noch mehr, wenn die Parteiregierung ihre Gewalt zur Begehung schwerster Verbrechen mißbraucht.
Über das Recht zum aktiven Widerstand besteht seit Jahrtausenden eine hin-und herwogende Diskussion, die bis heute noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Eine große weit überwiegende Tradition bejaht für den äußersten Fall des staatlichen Notstandes dieses Recht, da es sinnlos erscheint, daß für die Launen eines verbrecherischen Gewalthabers das Volk geopfert wird. Auch der Treueid verliert dann seine Geltung, wenn der Inhaber der Gewalt von seiner Seite längst dem Volke die Treue gebrochen hat. Das Widerstandsrecht entspricht dabei auch dem von altersher übernommenen deutschen Recht. Das Recht zum aktiven Widerstand ist aber nicht unangefochten geblieben, und so gibt es unter den Staatsphilosophen, Juristen und Theologen auch eine Richtung, die sich gegen seine Erlaubtheit ausgesprochen hat. Die Folge dieser Kontroverse ist, daß man die Männer des Widerstandes rechtfertigen kann, ohne daß man deshalb den anderen, die den aktiven Widerstand nicht aus Feigheit, sondern aus Gewissensbedenken unterließen, schon deshalb einen Vorwurf machen müßte.
Eine spezielle theologische Frage möchte ich nur kurz berühren, ob nämlich ein aktiver Widerstand für den durch Eid Gebundenen ohne Schuld möglich ist oder ob hier ein unlösbarer Pflichtenkonflikt anzuerkennen ist. Die Untersuchung würde nähere theologische Ausführungen erfordern. Man möge darüber vergleichen: M. Pribilla, „Deutsche Schicksalsfragen“ (Frankfurt), S. 306, und Joh. Heckel, „Zur politischen Predigt“, S. 41.
Der 20. Juli und seine Voraussetzungen haben uns vor schwierige Fragen gestellt, besonders über Sinn und Grenzen des militärischen Gehorsams. Diese Fragen waren in ruhigen Zeiten verpönt und wurden scheu vermieden. Dieses Verschweigen war aber die Ursache vielfacher Unklarheit über die hier maßgeblichen Grundsätze, und aus der Unklarheit entsprang im furchtbaren Ernstfall die Unentschlossenheit.
Gewarnt durch die Vergangenheit, haben wir allen Grund, uns um die Überwindung dieser Unklarheit zu bemühen.