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Die Militäropposition gegen Hitler und das Widerstandsrecht | APuZ 17/1954 | bpb.de

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APuZ 17/1954 Die Militäropposition gegen Hitler und das Widerstandsrecht Der Eid nach der Lehre der Katholischen Moraltheologie Die evangelisch-lutherische Theologie und das Widerstandsrecht

Die Militäropposition gegen Hitler und das Widerstandsrecht

Hermann Weinkauff

Im Frühjahr 1952 wurde in München auf Anregung des Generalmajors a. D. Hermann von Witzleben unter der Bezeichnung . EUROPÄISCHE PUBLIKATION“ eine Arbeitsgemeinschaft von Offizieren, Historikern, Juristen und Theologen gegründet, die sich das Ziel setzte, die Geschichte der militärisdien Widerstandsbewegung gegen das nationalsozialistische Herrschaftssystem an Hand der bereits greifbaren Unterlagen und von Befragungen noch lebender Zeugen zu erforschen und darüber eine zusammenfassende Darstellung vorzulegen.

INHALT DIESER BEILAGE:

Der erste Band dieser Darstellung, der die Zeit bis zum Beginn des Westfeldzuges (Frühjahr 1940) umfaßt, gliedert sich in folgende Abschnitte:

1. Einleitung (Prof. Dr. Georg Stadtmüller, München), 2. Vorgeschichte der militärischen Widerstandsbewegung bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges (Dr. H. Krausnick, Institut für Zeitgeschichte, München), 3. Die militärische Widerstandsbewegung vom Ausbruch des 2. Weltkrieges bis zum Beginn des Westfeldzuges (Oberstleutnant a. D. Kurl Sendtner), 4. Forschungsbericht über die bisherigen Veröfientlichungen (Prof. Dr. Georg Stadtmüller, München)

5. Die Vollmacht des Gewissens, Gespräche zu einer grundsätzlichen Erörterung des Widerstands-rechtes,

6. Drei Gutachten zum Widerstandsrecht.

Da sich in diesem Jahre zum 10. Male der Tag jährt, an dem das . andere Deutschland“ am 20. Juli 1944 einen letzten Versuch zur Rettung des Reiches machte, werden die Beilagen der Wochenzeitung „Das Parlament“ die wichtigsten Teile des ersten Bandes der . Europäisdien Publikation“ zum Abdruck bringen, um das anläßlich dieses Erinnerungstages sicher wieder stärker einsetzende Gespräch über die Fragen des Widerst^ndsrechts auch ihrerseits zu befruchten.

Wir beginnen heute mit . Europäische Publikation’ Nr. 1, 2 und 3. (Drei Gutachten zum Widerstandsrecht Bd. 1, Abschnitt 6.)

I.

Die Widerstandsakte der militärischen Widerstandsbewegung nach dem zur Zeit ihrer Begehung geltenden positiven Strafrecht.

Dieses Gutachten setzt die schweren Rechtsbrüche als bekannt voraus, die das nationalsozialistische Regime während der Dauer seines Bestehens beging und gegen die sich die militärische Widerstandsbewegung wandte. Sie werden im Abschnitt 11 des Gutachtens, der sich mit der rechtlichen Begründung des Widerstandsrechts befaßt, im Zusammenhang überblicksweise dargestellt. Ebenso setzt das Gutachten die Widerstandsakte der militärischen Widerstandsbewegung von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende als bekannt voraus. Für die Zeit von 1933 bis Mitte 1940, mit der sich diese Veröffentlichung befaßt, wird dabei'verwiesen auf die kurze zusammenfassende Darstellung der Europäischen Publikation, die den Titel trägt: „Die militärische Opposition im Dritten Reich bis Mitte 1940.“

Prüft man die Widerstandsakte der militärischen Opposition in diesem ersten Zeitraume anhand des damals geltenden positiven Strafrechts nach, so kommt man zu folgenden Ergebnissen, die übrigens in allem Grundsätzlichen auch für den späteren Zeitraum bis zum 20. Juli 1944 in gleicher Weise gelten.

Eine Straftat ist nur vorhanden, wenn der Täter tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handelt, d. h. wenn er den in einer Strafvorschrift des Gesetzes beschriebenen Tatbestand verwirklicht, wenn dieses Handeln gegen die Rechtsordnung verstößt und wenn ihm dieses tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tun rechtlich zur Schuld, zum Vorwurf angerechnet werden kann. 1.

Dem äußeren Tatbestände nach haben die Männer der militärisdien Widerstandsbewegung verschiedene gegen Hochverrat, Landesverrat und Kriegsverrat gerichtete Vorschriften des damaligen Strafgesetzbuches verletzt.

Soweit sie sich mit dem Ziele zusammengeschlossen hatten, Hitler und seine Werkzeuge gewaltsam aus der Macht zu setzen, soweit sie dies organisatorisch vorbereitet hatten, soweit sie insbesondere im September 1938 militärische Vorbereitungen zur Besetzung der Reichskanzlei und der Parteiämter und zur Festsetzung Hitlers getroffen hatten, soweit sie nach Ausbruch des Krieges über die Römischen Gespräche Verbindung mit England angeknüpft hatten, um den im Innern geplanten Umsturz gegen Störungen von außen zu sichern, und soweit sie danach strebten, Hitler bei einem Frontbesuch festnehmen zu lassen, haben sie äußerlich gegen den § 82 Abs. 1 und 2 und gegen den § 83 Abs. 2 StGB in Verbindung mit den §§ 80 und 81 StGB verstoßen, a) indem sie sich miteinander verabredeten, den gewohnheitsrechtlich gewordenen nationalsozialistischen Verfassungsstand gewaltsam zu ändern und Hitler und seine Regierung mit Gewalt zu nötigen oder zu hindern, ihre Befugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinn auszuüben, b) indem sie weiter zur Vorbereitung dieses Unternehmens zu einer ausländischen Macht in Beziehungen traten, und c) indem sie endlich auch durch sonstige Mittel den gewaltsamen Umsturz vorbereiteten.

Soweit sie vor Ausbruch des Krieges die englische Regierung zweimal vor den Kriegsvorbereitungen Hitlers warnen ließen, die nach ihrer inzwischen durch den Gang der Geschichte bestätigten Auffassung zum Weltkrieg und damit zum Untergang Deutschlands führen mußten, soweit sie nach Kriegsausbruch über die Römischen Gespräche mit der englischen Regierung in Verbindung traten, um Einverständnis über folgende Punkte hcrzustellen:

Beseitigung der Hitler-Regierung, Nichtangriff im Westen, rascher Friedensschluß, östliche Grenzen Deutschlands wie 1914, Verbleiben des Sudetenlandes bei Deutschland, Volksabstimmung in Österreich, und soweit einer aus diesem Kreis nach Kriegsausbruch der Gegenseite Nachrichten über die gegen Belgien und Holland geplanten Kriegsmaßnahmen und über den schließlichen Angriffstermin zukommen ließ, um das nationalsozialistische Regime sicherer zu stürzen und einen frühen Ausgleichsfrieden zu erzwingen, können sie, ganz oder teilweise, äußerlich verstoßen haben gegen die §§ 89, 90, 91, 91b, 92 StGB und gegen § 57 MilStGB, a) indem sie es unternahmen, Nachrichten, deren Geheimhaltung vor einer ausländischen Regierung für das Wohl des Reiches, insbesondere im Interesse der Landesverteidigung erforderlich war, mit dem Vorsätze, das Wohl des Reiches zu gefährden, an einen anderen, insbesondere an ejne ausländische Regierung oder an jemanden, der für eine ausländische Regierung tätig war, gelangen zu lassen, b) indem sie sich Staatgeheimnisse zu diesem Zwecke verschafften, c) indem sie mit dem Vorsatze, schwere Nachteile für das Reich herbeizuführen, zu einer ausländischen Regierung oder zu jemandem, der für eine ausländische Regierung tätig war, in Beziehungen traten, d) indem sie es im Inlande oder als Deutsche im Auslande unternahmen, während eines Krieges gegen das Reich oder in Beziehung auf einen drohenden Krieg der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder der Kriegsmacht des Reiches einen Nachteil zuzufügen, und e) indem sie sich miteinander zu solchen Handlungen verabredeten oder sie im Felde begingen.

Für einen Teil dieser Straftatbestände ist es zweifelhaft und streitig, ob sie auch nur dem äußeren Tatbestände nach durch die Widerstands-akte der militärischen Widerstandsbewegung erfüllt wurden; nämlich für alle diejenigen Tatbestände, die fordern, daß die Tat mit dem Vorsatze begangen werde, „das Wohl des Reiches zu gefährden", oder „schwere Nachteile für das Reich herbeizuführen", oder „der Kriegsmacht des Reiches einen Nachteil zuzufügen", oder die als Staatsgeheimnisse nur solche Nachrichten bezeichnen, deren „Geheimhaltung vor einer ausländischen Regierung für das Wohl des Reiches, insbesondere im Interesse der Landesverteidigung erforderlich war“. Es handelt sich hier um den überwiegenden Teil der landesverräterischen Tatbestände, während die hochverräterischen Tatbestände solche tatbestandsmäßigen Einschränkungen nicht kennen, aber auch der landesverräterische Tatbestand des § 91b StGB eine solche Einschränkung insoweit nicht kennt, als er schlechthin Deutsche bestraft, die „während eines Krieges gegen das Reich der feindlichen Macht Vorschub leisten". Ebenso kennen die von der Widerstandsbewegung später vorbereiteten, versuchten oder vollendeten Tötungshandlungen solche tatbestandsmäßigen Einschränkungen nicht.

Die Zweifel rühren daher, daß die Träger des militärischen Widerstandes zweifellos im Endergebnis das Wohl des Reiches nicht gefährden und dem Reich keinen Nachteil zufügen wollten, ja daß sie im Gegenteil über die Beseitigung des Regimes und einen frühen Ausgleichsfriedcn hinweg dem Reich gerade unermeßliche Nachteile ersparen und seinem wahren Wohle dienen wollten. Daraus würde sich dann weiter ergeben, daß gerade nicht die Geheimhaltung sondern umgekehrt die Preisgabe gewisser an ausländische Stellen gegebener Nachrichten für das wahre Wohl des Reiches erforderlich war. Diese Rechtsmeinung kann sich auf ein Urteil des Reichsgerichts (RGSt 60, 422, 430 ff) berufen, das die Teilnahme des späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert an einem Munitionsarbeiterstreik im 1. Weltkrieg unter dem Gesichtspunkt des Landesverrats rechtlich zu prüfen hatte, eine Teilnahme, die erfolgt war, gerade um den Streik und seine ungünstigen Wirkungen auf die Kriegslage des Reiches abzukürzen und ihm einen drohenden revolutionären Charakter zu nehmen. Hier wurde schon der äußere Tatbestand des Landesverrats mit Recht verneint, weil die Aktion darauf abzielte, über einen unvermeidlichen geringeren Nachteil hinweg gerade einen jenen Nachteil weit überwiegenden Vorteil für die Kriegsführung des Reiches herbeizuführen. Dieser Fall liegt aber anders als die Widerstandsakte der militärischen Hitler-Opposition im 2. Weltkrieg. Jene Aktion richtete sich nicht gegen das herrschende Regime und zielte im Ergebnis auf eine Stärkung der Wehrkraft des im Kriege befindlichen Reiches ab. Diese Widerstandsakte bezweckten den gewaltsamen Sturz des Regimes, und zwar zum Teil während des Krieges, und mußten dabei zunächst mil tärische Nachteile für die Kriegsführung notwendig in Kauf nehmen. Die Frage stellt sich also dahin: Können die positiven Bestimmungen des Strafgesetzbuches gegen Hochverrat und Landesverrat, was den äußeren Tatbestand angeht, so ausgelegt werden, daß sie den Umsturz des Regimes und die Beeinträchtigung seiner Machtstellung nach außen, insbesondere die Beeinträchtigung der Wehrkraft, die sie zu schützen bestimmt sind, dann erlauben wollen, wenn die Täter diesen Umsturz und diese Beeinträchtigung um ihrer politischen Fernziele willen, die sich für sie mit dem wahren Wohl des Reiches decken, vornehmen? Oder erschöpft sich der positiv-rechtliche Sinn der Strafbestimmungen gegen Hochverrat und Landesverrat darin, daß sie das herrschende Regime und die ihm dienende Wehrkraft gegen alle unmittelbaren Angriffe zu schützen haben und deswegen die rechtliche Möglichkeit nicht kennen und nicht anerkennen, daß der gewaltsame Sturz des Regimes und die Beeinträchtigung seiner Machtstellung nach außen, insbesondere seiner Wehrkraft, dem wahren Wohl des Reiches dienen könnte? Man wird in bezug auf den äußeren Tatbestand der Strafbestimmungen gegen Hochverrat und Landesverrat wohl die letzte Auslegung wählen müssen, wenn man den positiv-rechtlichen Sinn dieser Bestimmungen nicht unzulässig überfordern und umformen will. Bei dieser Auslegung tritt auch die entscheidende Rechtsfrage, um die es in Wirklichkeit geht, viel klarer und richtiger hervor. Die Frage, ob die Männer der Militäropposition dem Hitler-Regime zu Recht oder zu Unrecht Widerstand entgegensetzten, kann nicht auf dem Umwege gelöst werden, daß man den äußeren Tatbestand der Strafbestimmungen gegen Hoch-und Landesverrat entgegen ihrem nächsten Sinne preßt. Sie entscheidet sich vielmehr danach, ob dieser Widerstand, obwohl er den äußeren Tatbestand der Strafdrohungen gegen Hoch-und Landesverrat verletzte, nicht gleichwohl rechtmäßig und schuldlos war.

Zuweilen wird die Rechtsmeinung vertreten, gewaltsamer Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime könne schon deswegen nicht gegen die Strafbestimmungen wider Hoch-und Landesverrat verstoßen haben, und zwar noch nicht einmal dem äußeren Tatbestände nach, weil der nationalsozialistische Staat als „Unstaat" oder als „Unrechtsstaat“ überhaupt keinen gültigen Strafrechtsschutz gegen Angriffe auf seinen inneren und äußeren Bestand hätte haben können, weil also die zu seinem Schutz erlassenen Strafvorschriften gegen Hoch-und Landesverrat schlechthin rechtsunwirksam gewesen seien. So wird die Frage jedoch rechtlich nicht richtig gestellt. Zwar hat sich der nationalsozialistische Staat während seines ganzen Bestehens ständig durch schwerstes von ihm selbst gesetztes Unrecht und durch furchtbarste von ihm selbst begangene Verbrechen befleckt. Trotzdem kann ihm der Staatscharakter nicht einfach abgesprochen werden. Denn er hielt eine bestimmte Ordnung des staatlichen und gesellschaftlichen Gefüges auf-recht, die sich sogar auf weiten, ihn politisch nicht besonders berührenden Gebieten noch im Rahmen des überkommenen Rechtes hielt, und diese seine Ordnung — soweit wird man gehen müssen — wurde von großen Teilen, vermutlich sogar von dem überwiegenden Teil des Staatsvolkes, als rechtlich bindend hingenommen. Man würde ja auch ein von niemandem mehr zu beherrschendes, völlig unerträgliches rechtliches Chaos herbeiführen, wenn man dem nationalsozialistisch beherrschten Staat für die ganze Dauer seines Bestehens den Staatscharakter absprechen würde. Jeder Staat hat aber um der von ihm vollbrachten Ordnungsfunktion willen grundsätzlich das Recht, sich durch Strafdrohungen gegen gewaltsame Angriffe auf seinen inneren und äußeren Bestand zu schützen. Bei einem Staat vom Typus des nationalsozialistischen ist die rechtlich entscheidende Frage daher nicht die, ob er sich überhaupt durch Strafdrohungen gegen Hoch-und Landesverrat schützen darf, sondern die, ob sich Widerstandsakte, die sich gegen das von diesem Staat gesetzte grobe Unrecht wenden und dabei die Hoch-und Landesverratsbestimmungen äußerlich verletzen, insoweit nicht durch ein höheres, den Strafdrohungen vorausliegendes Recht zum Widerstand gerechtfertigt sind und deswegen nicht Hoch-und Landesverrat sein können. 2.

Damit ist die entscheidende Frage gestellt, ob die Widerstandsakte der Militär-Opposition rechtswidrig oder rechtsmäßig waren. Es ist nicht so, daß die willentliche und wissentliche Verwirklichung eines im Strafgesetz nach seinen allgemeinen Merkmalen beschriebenen Tatbestandes für sich allein genommen schon immer notwendig eine rechtswidrige schuldhafte Straftat sein müßte. Ein solches Tun kann vielmehr durchaus — und das kommt nicht selten vor — durch besondere sogenannte Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt und deswegen im Einklang mit der Rechtsordnung, rechtmäßig (und nicht etwa nur nicht strafbar) sein. Wenn ich etwa einen mich hart am Leben bedrohenden Angreifer niederschieße, weil mir kein anderes Mittel bleibt, mich seiner zu erwehren, so habe ich keinen Totschlag begangen, obwohl ich den äußeren Tatbestand des Totschlags verwirklicht habe, sondern ich habe in berechtigter Notwehr rechtmäßig gehandelt. Wenn ein Soldat im Kriege, und sei es aus dem Hinterhalt, einen Kriegsgegner tötet, so begeht er keinen Mord oder Totschlag, obwohl er vielleicht ihren äußeren Tatbestand verwirklicht; sein Handeln ist vielmehr als eine legale Kriegshandlung gerechtfertigt, also rechtmäßig. Die durchaus entscheidende Frage ist daher die, ob die Widerstandsakte der Militär-Opposition, obwohl sie äußerlich gemeines Recht brachen, durch ein höheres Recht, etwa durch das Recht der Notwehr oder Nothilfe oder durch ein in äußerster Lage gegen äußerstes staatliches Unrecht gegebenes besonderes Widerstands-recht gerechtfertigt, rechtmäßig waren. Mit dieser Frage befaßt sich der Abschnitt II des Gutachtens. 3.

Aber selbst wenn jemand objektiv rechtswidrig einen strafbaren Tatbestand verwirklicht hat, liegt eine Straftat doch dann nicht vor, wehn ihm dieses tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tun strafrechtlich nicht zum Vorwurf gemacht, zur Schuld angerechnet werden darf. Das ist nach der neuen Rechtsprechung dann nicht der Fall, wenn der Täter nicht das Bewußtsein hatte, rechtswidrig zu handeln, und wenn er dieses Bewußtsein trotz Anspannung seines Gewissens und seiner Erkenntnis-kräfte auch nicht zu haben brauchte. Nun haben die Männer der militärischen Widerstandsbewegung zweifellos das in harten Gewissenskämpfen errungene Bewußtsein gehabt, durch ein höheres Recht zu ihrem Vorgehen ermächtigt, ja dazu gefordert und gerufen zu sein. Die Frage, ob sie bei gehöriger Anspannung ihres Gewissens und ihrer Erkenntniskräfte dieses Bewußtsein haben durften, hängt aber eng zusammen mit der Frage,'ob sie objektiv das Widerstandsrecht hatten. Deswegen ist die erste, die entscheidende Frage immer die, ob die Widerstandskämpfer in der Tat das Recht zum Widerstand hatten. Hatten sie das, dann tritt die Frage überhaupt nicht mehr auf, ob sie etwa deswegen nicht Hoch-oder Landesverrat begangen haben, weil sie an ihr Recht zum Widerstand glauben durften. Wenn sie dieses Recht nach der objektiven Rechtsordnung hatten, dann war ihr Tun schon um deswillen rechtmäßig.

II.

Die rechtliche Begründung und Abgrenzung des Widerstandsrechtes Das Recht des Widerstandes gegen den das Recht brechenden staatlichen Gewalthaber war im abendländischen Rechtskreis so gut wie immer und überall anerkannt. Auch in der deutschen Rechtsentwicklung. In den Staaten des germanischen Rechtes, also in den ersten Anfängen der deutschen Rechtsgeschichte, im Lehensstaat und im Ständestaat, wurde das Widerstandsrecht in wechselnden Formen geübt und anerkannt. Es war nur zum Teil ein Ausfluß des gerade geschichtlich geltenden positiven Rechts. So war es insbesondere im Ständestaat, der keine oberste einheitliche Staatsgewalt im modernen Sinn kannte, in dem vielmehr die Staatsgewalt vertragsartig zwischen dem Fürsten und den Ständen aufgeteilt war. Wo über die rechtliche Begründung des Widerstandsrechts nachgedacht wurde, wurde es immer darauf gegründet,'daß es eine elementare Ordnung des Rechts gäbe, die auch den Herrscher binde, daß dieser seine Herrschermacht nur unter der Bedingung habe, daß er das Recht achte und dem Wohle des Volkes diene, und daß der Widerstand gegen ihn erlaubt sei, wenn er dem entgegen handele. Im deutschen Rechtsgebiet erlosch erst im 17. Jahrhundert, nachdem sich der absolute Fürstenstaat durchgesetzt hatte, praktisch die Ausübung des Widerstandsrechtes. Theoretisch wurde es auch im deutschen Raum noch Jahrhunderte danach anerkannt. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor sich im Bereich des deutschen Rechts auch die theoretische Anerkennung des Widerstandsrechts. Von da an kannte und anerkannte man es nicht mehr. Das hing mit zweierlei zusammen: einmal mit dem Aufkommen des Rechtspositivismus, für den nur noch das staatlich gesetzte Recht Recht war, und dann damit, daß in dem juristisch gesicherten, nach den Grundsätzen der formalen Demokratie aufgebauten Rechtsstaat des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts kein Raum und kein Anlaß für ein Widerstandsrecht mehr vorhanden zu sein schien. Als sich daher unter dem Nationalsozialismus der Einbruch des Bösen, des Unrechts und des Verbrechens in den staatlichen Raum vollzog, und zwar des vom Staate selbst veranlaßten und befohlenen Unrechts und Verbrechens, dem die ausgeklügelte Technik des Rechtsstaats und formale Demokratie nichts entgegenzusetzen hatte, stand das deutsche Volk, standen die deutschen Theologen und Juristen, Politiker und Offiziere zunächst ratlos und hilflos vor dieser Erscheinung. Mit den zuletzt überkommenen Wertvorstellungen „Gesetz ist Gesetz" und „Befehl ist Befehl" war ihr ersichtlich nicht beizukommen: die Befolgung dieser Grundsätze beschleunigte und unterstützte vielmehr den Sturz in den Abgrund der Rechtlosigkeit und des Verbrechens. Jetzt zeigte es sich, daß das Widerstandsrecht eine elementare Frage des Rechts ist, die man nur mit der Gefahr des eigenen LIntergangs ausklammern und vernachlässigen kann. Im außerdeutschen westlichen Rechtskreis war dagegen das Widerstandsrecht über den Krisenpunkt des absolutistischen Staates hinweg in ständiger Anerkennung bis zur Gegenwart geblieben; ja es war dort unlösbar in das allgemeine Bewußtsein eingegangen.

Die Frage nach dem Widerstandsrecht ist eine andere als die Frage nach dem Recht der Revolution. Revolutionäre Gewaltakte sind rechtswidrig. wenn der Staat, gegen den sie sich richten, sich noch im Bereich der naturrechtlichen Ordnung hält, wenn also Revolution nur gemacht wird, um ein soziales Ideal gegenüber einem bestehenden zu verwirklichen, das sich jedoch noch im Rahmen der übergesetzlichen Ordnung hält. Das gilt mindestens dann, wenn die Staatsverfassung die Möglichkeit läßt, das revolutionär erstrebte Ziel auch rechtmäßig durch erlaubte Einwirkung auf die Willensbildung der Staatsbürger zu erreichen. Das Widerstandsrecht hat es mit etwas anderem zu tun, wenn es auch in Grenzfällen mit dem Recht zur Revolution verschmelzen kann. Es will zunächst nicht eine als besser angesehene soziale Ordnung gegenüber einer bestehenden verwirklichen, sondern es will gegen ein schweres, an die äußerste Grenze gehendes Unrecht ankämpfen, das von dem staatlichen Gewalthaber selbst ausgeht, sei es, indem dieser die Staatsgewalt rechtswidrig an sich reißt, sei es, indem er die unrechtmäßig oder rechtmäßig erlangte Staatsgewalt zu einem schweren Bruche des Rechts mißbraucht. Bei dem Widerstandsrecht handelt es sich um ein äußerstes letztes Mittel, das gegen äußerstes, sonst nicht zu bekämpfendes staatliches Unrecht eingesetzt wird. Deswegen ist es schwer, die Voraussetzungen, den Inhalt und die Grenze des Widerstandsrechts von vorn-herein allgemein gültig und berechenbar festzulegen. Im organisierten Rechtsstaat, der in sich selbst ein System rechtlicher Abhilfen gegen staatliches Unrecht enthält, tritt das Widerstandsrecht zurück. Im terroristischen Einparteienstaat des 20. Jahrhunderts, der in sich selbst keinerlei Rechsschutz gegen das Übermaß des staatlich gesetzten Unrechts gewährleistet, tritt es in seiner ursprünglichen Schwere und Bedeutung hervor. 1.

Das Widerstandsrecbt gegen den staatlichen Gewalthaber selbst, der schweres, das Volks-und Staatsganze bedrohendes und die Rechtsordnung in Frage stellendes Unrecht tut, bedarf einer besonderen, der Eigenart dieses Tatbestandes angepaßten rechtlichen Begründung. Die bloße entsprechende Anwendung verwandter Rechtsgedanken wie der Notwehr oder der Nothilfe auf diesen Sachverhalt reicht offenbar nicht aus. Zwar ist das Widerstandsrecht sicher mit dem Rechte der Notwehr und insbesondere mit dem Rechte der Nothilfe verwandt. Notwehr und Nothilfe sind elementare, jeder Rechtsordnung zugrundeliegende Rechtsgedanken, die sich in den entsprechenden Bestimmungen der staatlichen Strafgesetz-bücher nur beispielhaft niedergeschlagen haben. Der § 53 Abs. 2 des deutschen Strafgesetzbuches erklärt als rechtmäßige Notwehr diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren. Hier handelt es sich um die auf das Strafrecht beschränkte Anwendung eines allgemeineren übergreifenden Rechtsgedankens. In einem weiteren Sinne liegt eine solche rechtmäßige „Nothilfe" auch dann vor, wenn von den Staatsbürgern ihr eigener Staat, ihr eigenes Volk gegen schwere rechtswidrige Angriffe verteidigt werden, die der staatliche Gewalthaber selbst, indem er das Recht grob bricht, gegen diesen Staat und gegen dieses Volk richtet. Ein verwandter, ebenfalls einer allgemeineren Anwendung zugänglicher, wenn auch nicht im selben Maße grundlegender Rechtsgedanke findet sich in dem § 330 c StGB, der denjenigen für strafbar erklärt, der bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies (bei richtiger Betrachtungsweise) seine Pflicht wäre. Auch mit dieser allgemeinen Pflicht zur Hilfeleistung bei gemeiner Not ist das Widerstandsrecht bis zu einem gewissen Grade verwandt. Immerhin bedarf es über die bloße Heranziehung dieser rechtlichen Analogien hinaus einer besonderen eigenen Begründung.

Das Widerstandsrecht gegen den staatlichen Gewalthaber, der das Recht bricht, Verbrechen begeht und das Volk in das Unglück führt, gründet sich rechtlich auf folgendes. Kein staatlicher Gewalthaber, kein menschlicher Gesetzgeber ist rechtlich allmächtig. Es gibt vielmehr so etwas wie eine rechtliche Urordnung, die unabhängig von der menschlichen und staatlichen Rechtsetzung gilt und die auch den staatlichen Gewalthaber streng bindet.

Diese naturrechtliche Urordnung gebietet, den Rechtsgenossen als Menschen, als Person, als Geschöpf Gottes zu achten und seinen menschlichen Adel nicht anzutasten, der darin besteht, daß er sich aus eigener Verantwortung und deswegen notwendig frei zu dem Gesellten bestimmen kann. Deswegen ist der weite Kreis der menschlichen Grund-und Freiheitsrechte, deswegen sind Leben, Freiheit, Gewissen, Würde, Selbstbestimmung, Personhaftigkeit und Habe des Menschen für den staatlichen Gewalthaber schlechterdings unantastbar. Nur vorübergehend und ausnahmsweise, nur bei dringendem Notstand und nur in der Form eines allgemeinen Gesetzes darf er diese Rechte einschränken. — Wenn daher der staatliche Gewalthaber selbst planmäßig Leben, Freiheit und Eigentum der Rechtsgenossen bedroht und vernichtet, wenn er sie zur Sklavenarbeit zwingt, wenn er sie von der Bildung des Staatswillens ausschlicßt, wenn er Gewalt und Gesinnungszwang übt, wenn er eine Atmosphäre des Schreckens, der Furcht, der Drohung und der lügnerischen Hetze schafft, um seine Gewalt aufrechtzuerhalten, so handelt er zutiefst rechtswidrig.

Das übergesetzliche Recht gebietet ferner, diejenigen Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens zu achten, die göttliche Schöpfung oder Stiftung sind, insbesondere die Kirche, die Familie, das Volkstum und die Heimat. Wenn daher der staatliche Gewalthaber die Freiheit der Kirche und ihrer Verkündigung antastet, wenn er die Kinder von den Eltern zu lösen strebt, wenn er die Ehe zum Gestüt erniedrigt, wenn er Einzelne oder Gruppen wegen ihrer Rasse, ihres Volkstums oder ihres Glaubens satanisch der überlegten kalten Vernichtung preisgibt, wenn er fremdes Volkstum unterjocht oder ausrottet, wenn er die Menschen wie Vieh aus ihrer Heimat treibt, so handelt er zutiefst rechtswidrig.

Die übergesetzliche Ordnung gebietet weiter, daß der Staat für alle Rechtsgenossen Rechtsschutz und Rechtsfrieden gewährleistet. Das ist seine vornehmste und seine unabdingbarste Aufgabe. Auf ihrer Erfüllung beruht seine Vollmacht und sein Anspruch auf Gehorsam. — Wenn daher der staatliche Gewalthaber selbst die Rechtsordnung bricht, wenn er die Rechtsgenossen oder Teile von ihnen rechtlos stellt, wenn er selbst fortgesetzt schwerste Verbrechen und Greuel gegen Einzelne oder Gruppen begeht oder veranlaßt, wenn er die Gerichte knebelt, wenn er das ganze Volk unter die immerwährende Drohung seiner Konzentrationslager und ihrer Untaten stellt, wenn er es schutzlos und rechtlos dem Willkür-zugriff seiner verbrecherischen geheimen Polizei preisgibt, um Schrecken, Furcht und zersetzendes Mißtrauen aller gegen alle zu verbreiten und so seine Herrschaft aufrechtzuerhalten, so handelt er zutiefst rechtswidrig.

Der Staat muß, wie auch immer er geschichtlich entstanden sein mag, im Rechtssinne gedacht werden als der freie Zusammenschluß der sittlich freien und selbstveranwortlichen Bürger, die ihn bilden. Das ist durchaus mit der christlichen Lehre vereinbar, daß der Staat als göttliche Stiftung seinem schöpfungsmäßigen Sinne nach eine wohltätige Ordnungsmacht ist, die deswegen Achtung und Gehorsam fordern darf. Denn: Einmal wird der Staat nur durch Menschen gebildet und gehandhabt; er fällt nicht als ein fertiges Gebilde aus Himmelshöhen. Und dann unterliegt, der Staat wegen der starken Machtzusammenballung, die in der Hand seiner Träger liegt oder doch liegen kann, in ganz besonderem Maße der Gefahr der Entartung in das Nichtseinsollende, in das Böse, ja in das Teuflische. Ist er so entartet, dann ruht die göttliche Sanktion, die ihn sonst trägt und rechtfertigt, nicht mehr auf ihm; dann gewinnt das Widerstandsrecht der Staatsbürger gegen ihn Raum.

Der Inhaber der Staatsgewalt leitet im Rechtssinne seine Gewalt davon her, daß die freien Staatsbürger sie ihm übertragen haben. Sie wird aber nicht bindungslos übertragen. Volk und Träger der Staatsgewalt unterstehen nach wie vor der übergesetzlichen Ordnung. Auch der Übertragungsakt selbst untersteht dieser Ordnung. Die Übertragung der Staatsgewalt geschieht daher nur unter der unaufhebbaren Bedingung, daß der oder die Träger der Staatsgewalt sich innerhalb der übergesetzlichen Ordnung halten, die gesetzliche Ordnung schützen und achten und ihre Gewalt in strenger Verantwortung vor Gott und den Menschen zum Wohl des Volkes und im Rahmen des Rechts ausüben werden. Selbst wenn das Staatsvolk seine staatsbildende und rechtsetzende Gewalt einem Einzelnen sklavenhaft in vollem Umfang und zu seiner völlig freien und bindungslosen willkürlichen Verfügung übertragen wollte und das aus-spräche, so könnte es das gültig nicht tun. Ein solcher Akt der völligen Selbstaufgabe freier, aber sittlich gebundener Menschen verstieße zutiefst gegen die übergesetzliche Ordnung; er wäre rechtlich nichtig. Gerade weil die Staatsbürger als selbständige Freie unter das Gebot der göttlichen Ordnung auch im Raum des Staatlichen gestellt sind, kann ihnen niemand die Verantwortung dafür abnehmen oder rauben, können sie sich selbst der Verantwortung dafür niemals entschlagen, daß im Bereich ihres staatlichen Zusammenschlusses das Recht gewahrt, die übergesetzliche Ordnung geachtet und nur in strenger Verantwortung vor dem Recht zum Wohle des Volkes gehandelt wird.

Wenn sich daher der Träger der Staatsgewalt über diese strenge und unaufhebbare Grenze seiner Macht und Vollmacht frevelhaft hinwegsetzt, wenn er zum Tyrannen wird, wenn er sich staatsstreichartig der gesamten und uneingeschränkten Gewalt über Menschen und Dinge bemächtigt, wenn er mit den Mitteln des Schreckens, der Lüge und einer sklavenhalterähnlichen Staatsorganisation eine Zwingherrschaft über das eigene Volk errichtet, wenn er die Rechtsordnung außer Geltung setzt, indem er sie seiner persönlichen Willkür unterstellt, wenn er Greuel über Greuel, Untaten über Untaten gegen Teile des Staatsvolkes begeht oder veranlaßt, wenn er, er als einzelner, aus eigenem angemaßtem Recht den Angriffskrieg und den Eroberungskrieg vom Zaun bricht, wenn er frevelnd und spielerhaft in der Haltung des Glücksritters den Weltkrieg herausfordert und entzündet, der auf die Dauer sein eigenes Volk vernichten muß, wenn er in diesem Krieg maßlose Greuel gegen die anderen Völker begehen läßt, die den Namen des eigenen Volkes mit Schmach und Schande bedecken, wenn er den Krieg bis zum Weißbluten fortsetzt, wenn er ihn fortsetzt, nachdem er schon längst verloren ist, wenn er der ungeheueren sinnlosen und nutzlosen Opfer nicht achtet, die der so fortgesetzte Krieg dem eigenen Volk und den anderen Völkern auferlegt, wenn er das eigene Volk bewußt in seinen persönlichen Untergang hineinzureißen strebt, wenn er es als Schlacke auf seinem eigenen infernalischen Scheiterhaufen verbrennen lassen will, dann, wahrlich, hat er jedes Recht auf Gehorsam und Unterordnung tausendfach verwirkt; dann tritt die eigene Verantwortung des Staatsvolkes für die geschändete Rechtsordnung unbezwingbar hervor, dann ist Widerstand erlaubt und gefordert, leidender und tätiger und, wenn es sein muß, gewaltsamer Widerstand. Dann ist, wenn kein anderes Mittel mehr offensteht, auch die Tötung des Tyrannen erlaubt. Hier hat sie, wenn irgendwo, nicht den rechtlichen Charakter des Mordes, sondern den Charakter der rechtmäßigen Hinrichtung eines Frevlers.

Gewiß drückt sich methaphysisch die Gefallenheit der Schöpfung und die unentrinnbare menschliche Schuldverstrickung darin aus, daß auch dieser Kampf um das Recht nicht ohne Bruch des gemeinen Rechts geführt werden kann. Rechtlich ist aber derjenige gerechtfertigt, der, um das höhere alles umfassende Recht wiederherzustellen, niedereres Recht im Einzelfall brechen muß. Wer echtes Widerstandsrecht übt, handelt auch dort rechtmäßig, wo er gemeines Recht brechen muß.

Das Unrecht, das die nationalsozialistische Staatsführung beging, ist im übrigen von solcher Art, daß es die rein rechtliche Betrachtung sprengt. Es handelt sich hier greifbar um einen Einbruch des Satanischen in den Raum des Staatlichen. Deswegen war jedermann zum äußeren Widerstand berufen und aufgerufen. Doch soll diese Seite der Sache hier nicht weiter verfolgt werden. 2.

Wer sind nun die Träger solchen Widerstandsrechtes? Da alle Staatsbürger kraft ihrer sittlichen Freiheit die Verantwortung dafür tragen, daß in ihrem Staat das Recht gewahrt und dem Unrecht und Verbrechen gesteuert werde, und da sie alle berufen sind, an der Bildung des Staats-willens mitzuwirken, sind sie grundsätzlich alle zum Widerstand berechtigt.

Das hat man in der Geschichte nicht immer anerkannt. So hat man beispielsweise das Widerstandsrecht im Ständestaat meist nur den Ständen, im mittelalterlichen englischen Königtum zeitweilig nur einem besonderen Rat der Baronie zugestanden. Man hat es also nur gewissen Organen oder Amtsträgern zugesprochen, die das Volk, wie sonst überall, auch in der Ausübung seines Widerstandsrechts vertreten sollten. Das sind geschichtliche Besonderheiten, die nur möglich sind, wo wirklich solche machtvollen, funktionsfähigen, von allen anerkannten Vertretungskörperschaften des Volkes bestehen und wo sie, wie beispielsweise im Ständestaat oder im mittelalterlichen englischen Königtum, ihr Widerstandsrecht praktisch durchzusetzen vermögen. Aber auch sie handelten nicht aus eigenem Recht, sondern aus dem von ihnen wahrgenommenen Rechte des Volkes.

Gegenüber dem durchorganisierten Gewalt-und Schreckensregiment des Nationalsozialismus, das jede freie Regung maschinenmäßig erdrückte und dessen Zwingherrschaft lückenlos schloß, kann eine Beschränkung des Widerstandsrechtes auf „Amtsträger“, auf Vertretungskörperschaften des Volkes nicht anerkannt und nicht durchgeführt werden. Es gab ja gar keine solchen Amtsträger, die das Widerstandsrecht des Volkes kraft Vollmacht ihres Amtes hätten ausüben können. Es gab nur die Organe der Zwingherrschaft selbst, die Partei, die SS, die Geheime Staatspolizei usf., die dem Zwingherrn in sklavischem Gehorsam unterworfen und die jederzeit bereit waren, seine verbrecherische Politik zu vollstrecken. Insbesondere gab es keine gegenüber dem Zwingherrn selbständigen politischen Vertretungskörperschaften des Volkes, denen bei einem anderen Staatsaufbau naturgemäß zunächst die Wahrnehmung des Widerstandsrechtes des Volkes obliegen würde. Das Beamtentum und das Offizierkorps waren zersetzt, ohnmächtig, zu jeder einheitlichen Aktion unfähig. Die Partei befahl in der Tat dem Staat. Wo Offiziere oder Beamte Widerstand leisteten, taten sie es wahrlich nicht kraft ihres Amtes und konnten es gar nicht tun, da sie im Amt überall von Verrat umlauert waren, sondern sie taten es als kühne, von ihrem Gewissen getriebene Einzelne, sie taten es als die Edelsten der Nation, die nur kraft ihres persönlichen Mutes und ihres persönlichen Opfers, nicht kraft einer äußeren Amtsstellung das Widerstandsrecht des Volkes ausübten. Es ist durchaus bezeichnend, daß die Männer der militärischen Widerstandsbewegung in dem Zeitpunkt, in dem sie vorwiegend Widerstand leisteten, meist gar nicht mehr im Amte waren. Gerade weil im modernen Terror-staat vom Typ des nationalsozialistischen der Widerstand gegen das Regime so ungeheuer erschwert und fast aussichtslos ist wie noch niemals zuvor in der Geschichte, gerade deswegen muß man hier jedem Einzelnen, dem das Widerstandsrecht kraft seiner sittlichen Verantwortung für Staat und Volk und kraft seines Rechts, an der staatlichen Willensbildung mitzuwirken, zukommt, auch die Ausübung dieses Rechts zuerkennen und darf ihn nicht durch fiktive Amtsträger mediatisieren lassen.

So liegt es, wenn man unter „Amtsträgern“ nur Personen versteht, die ein herausgehobenes Amt in der staatlichen Hierarchie innehaben. Sollte dagegen mit der Behauptung, nur Amtsträgern komme das Widerstandsrecht zu, gemeint sein, die Ausübung des grundsätzlich jedem zustehenden Widerstandsrechts sei an gewisse Voraussetzungen gebunden, in diesem Sinne müsse man zum Widerstand „berufen" sein, so trifft die Behauptung zu. 3.

In der Tat darf nicht jeder auf jede Weise blindlings, ungeordnet, in jeder Form und nach seinem bloßen Belieben Widerstand leisten. Die Ausübung des Widerstandsrechts ist vielmehr der Natur der Sache nach an gewisse Voraussetzungen gebunden, die allerdings wechseln können und wechseln je nach der geschichtlichen Lage und vor allem je nach der Tragweite des Widerstandsaktes für das Volksganze und je nach dem Maße, in dem der Widerstand Leistende zur Erreichung seines übergeordneten Zieles selbst entgegenstehendes gemeines Recht brechen muß.

Es gilt bei der Ausübung des Widerstandsrechts wie überall sonst im Recht zunächst der Grundsatz der Güterabwägung. Wenn ich bei dem Unternehmen, das verbrecherische Regime zu stürzen und die wahre Rechtsordnung wieder heraufzuführen, die Wahl habe zwischen einem Mittel, das das gemeine Recht in geringerem Grade verletzt, und einem Mittel, das es im höheren Grade verletzt, und wenn das erste Mittel ebenfalls zum Ziele zu führen verspricht, dann darf ich nur das erste Mittel anwenden; dann wäre der Gebrauch des zweiten Mittels rechtswidrig. Wenn ich etwa den Tyrannen schon dadurch ausschalten kann, daß ich ihn gefangensetze, so darf ich ihn nicht töten. Wenn ich während eines Krieges den um höherer Zwecke willen notwendigen Umsturz durchführen kann, ohne die allgemeine Wehrkraft wesentlich zu gefährden, dann darf ich ihn nicht auf eine Weise durchführen, die die Wehr-kraft vermeidbar schädigt. Im einzelnen Fall handelt es sich hier um Tat-fragen; von allgemeiner rechtlicher Bedeutung ist nur der Grundsatz der Güterabwägung selbst.

Weiter muß ich, um von Rechts wegen Widerstand leisten zu dürfen, ein klares und sicheres Urteil darüber haben und mir zutrauen dürfen, daß und warum die Staatsführung, gegen die ich angehe, so sehr gegen Recht und Pflicht verstößt, daß der gewaltsame Widerstand dagegen erforderlich und unerläßlich ist, sowie ein Urteil darüber, in welchem Grade der Widerstand notwendig ist. Ich darf nicht blindlings, gefühls-trunken, ohne klare Kenntnis und Erkenntnis der Lage und ohne auf das ernsteste um den schweren Entschluß zum Widerstand gerungen zu haben, Widerstand leisten. Dies alles gilt wiederum in je höherem Grade, je weitgehender, folgenreicher und verantwortungsvoller der Widerstandsakt ist, den ich vorhabe, und je mehr er die Brechung gemeinen Rechts fordert. Wenn ich etwa meinen Widerstand darauf gründe, daß die Staatsführung einen verbrecherischen Angriffskrieg führt, der auf die Dauer zur Vernichtung des eigenen Volkes führen muß, so darf ich Widerstand nur leisten, wenn ich das wirklich beurteilen kann und meiner Sache sicher sein darf.

Ich darf weiter im allgemeinen Widerstand nur leisten, wenn ich einigermaßen die gegründete Hoffnung haben darf, daß mein Widerstand die Sache zum Besseren wenden wird. Aliqua spes eventus wurde von der Widerstandslehre immer gefordert. Der tiefere Grund dafür liegt im Folgenden. Der gewaltsame Widerstand gegen den staatlichen Gewalthaber wird durch die bloße Betrachtung: „hie Recht, hie Unrecht“ nicht erschöpft. Er ist vielmehr immer zugleich auch ein Eingriff in den geschichtlichen Ablauf, ein Griff in das Rad der Geschichte. Deswegen untersteht er auch dem Gebot der geschichtlichen Verantwortung. Auch das gilt wiederum in umso höherem Grade, je folgenreicher und schwerwiegender der Widerstandsakt sich auf das Volksganze auswirken kann und in je stärkerem Maße er gemeines Recht brechen muß. Widerstands-akte wie die der Geschwister Scholl, die nur auf die Weckung der Gewissen und auf die Sammlung von Gesinnungsfreunden abzielten, die andere nicht zu opfern brauchten, und die nur die von dem Regime ohne inneres Recht in Anspruch genommenen Hochverratsbestimmungen äußerlich verletzten, fordern beispielsweise, um rechtmäßig zu sein, in beiden Richtungen weit weniger als der Widerstandsakt des 20. Juli, der das Schicksal des Ganzen zu wenden und ungeheuere Wirkungen auszulösen strebte und der dabei um seiner höheren Ziele willen vor einer starken, äußeren Verletzung des gemeinen Rechts, der Tötung des Tyrannen, nicht zurückschreckte. Die ersten hatten ihren den Widerstand rechtfertigenden Erfolg schon, wenn überhaupt Gewissen geweckt wurden; der zweite mußte in verzweifelter Lage die Möglichkeit der Wendung zum Besseren für das allgemeine Schicksal in sich bergen.

Besonders gesteigert wird die Verantwortung, wenn sich der Widerstandsakt im Kriege vollzieht und wenn der gewaltsame Umsturz das Schicksal des Volksganzen, auch seiner kommenden Geschlechter, aufs Spiel setzen kann. Das gilt selbst dann, wenn derjenige, gegen den sich der Widerstand richtet, den Krieg selbst rechtswidrig heraufgeführt und das Schicksal des Volkes selbst frevelhaft aufs Spiel gesetzt hatte. Das bedeutet aber nicht, daß man im Kriege um des Krieges willen niemals Widerstand leisten dürfe. Hier kommt es wieder auf die Güterabwägung an. Die Beseitigung eines verruchten Regimes kann das frühere Hinnehmen der ohnehin unvermeidbaren äußeren Niederlage an rechtlichem Wert weit überwiegen, besonders wenn dadurch unerhörte und nutzlose Opfer auf allen Seiten erspart werden können.

In äußersten Ausnahmefällen kann der Widerstand allerdings auch dann rechtmäßig sein, wenn die Hoffnung auf äußeren Erfolg unsicher, ja gering ist. In äußerster Lage kann das bloße Ausrichten eines Fanales, eines weithin leuchtenden Zeichens dafür den Widerstand rechtfertigen, daß sich überhaupt noch Kräfte des Guten, des Mutes und der Selbstaufopferung gegen die Herrschaft des Bösen zu erheben wagten, und so die Ehre des eigenen Volkes retteten. Das kann in solcher äußerster Lage Erfolg genug sein. Auch ein solcher Erfolg vermag geschichtlich ins Weite zu wirken.

Werden alle diese Gesichtspunkte beachtet, so läßt sich im Einzelfall mit ausreichender rechtlicher Sicherheit auch dann angeben, wann Widerstand gerechtfertigt ist und wann nicht, wenn man anerkennt, daß das Widerstandsrecht allen Staatsbürgern zusteht. Daß die Abgrenzung trotzdem schwierig bleibt und viele und schwere Grenzfragen aufwirft, liegt in der Natur der Sache und ist unvermeidbar, weil es sich hier um ein äußerstes, rechtlich im voraus nicht völlig zu normierendes Mittel gegen äußerstes Unrecht handelt.

So können beispielsweise Desertionen oder Gehorsamsverweigerungen einzelner Heeresangehöriger, die im Kriege mit der Begründung vorgenommen werden, es handele sich um einen ungerechten Krieg oder um einen notwendig zum eigenen Untergang führenden Krieg, in der Regel nicht als rechtmäßige Widerstandsakte anerkannt werden. Oft wird es schon an der sicheren, sich auf gewisse und ausreichende Unterlagen stützenden und unter ernsten Gewissensqualen errungenen Erkenntnis fehlen, daß es wirklich ein klar ungerechter oder ein klar zum eigenen Untergang führender Krieg sei. Vor allem aber kann die einzelne Desertion oder der einzelne militärische Ungehorsam in aller Regel gar nicht den Erfolg haben, das Schicksal des Ganzen zu wenden. Widerstand ist, da er immer zugleih ein verantwortungsbeladener Eingriff in den geschichtlichen Ablauf ist, nur gerechtfertigt, wenn er das Schicksal des Ganzen, nicht wenn er das Schicksal des Einzelnen wenden soll und das voraussichtlich auch zu tun vermag. Gerade deswegen stellt sich der Gewissenskonflikt und der Pflichtenkonflikt zwischen dem soldatischen Gehorsam und der Pflicht zur Unterstützung des eigenen, in einen Existenzkampf verstrickten Volkes einerseits und dem gewissensmäßigen Ruf zum Widerstand andererseits anders für den auf sich gestellten einzelnen Heeresangehörigen und anders für eine Gruppe, die durch überlegtes, geplantes, opferreiches und aussichtsvolles Widerstehen u. U das Schicksal des Ganzen zu wenden vermag. Das bloße Auseinander-laufen einzelner Wehrmachtsangehöriger würde die verbrecherische Staatsführung gewiß nicht beseitigen, also die Niederlage herbeiführen, ohne das Ziel des echten Widerstandes zu erreichen. Das wäre kein rechtmäßiger Widerstand.

Die Frage nach der Verweigerung des Waffendienstes aus Gewissens-gründen liegt rechtlich auf einer anderen Ebene und wird in diesem Gutachten nicht erörtert.

III.

Waren die Widerstandsakte der Militäropposition durch ein Recht gerechtfertigt? zum Widerstand Diese Frage ist für den Großteil der Widerstandsakte der Militär-opposition im ersten Zeitraume des Widerstandes (bis Mitte 1940), übrigens auch für die noch weit schwereren Widerstandsakte im zweiten Zeiträume des Widerstandes (bis zum 20. 7. 1944) ohne weiteres zu bejahen. Das ergibt sich unmittelbar aus den Darlegungen des Abschnitts 11 des Gutachtens.

Die gehäuften und systematischen ungeheuerlichen Rechtsbrüche und Verbrehen des nationalsozialistischen Regimes, die bis zur praktischen Außerkraftsetzung der Rehtsordnung gingen, die mit den Mitteln des Terrors über das eigene Volk aufgerihtete Zwingherrshaft, die Vorbereitung und Führung eines verbreherishen Angriffskrieges, der auf die Dauer überdies das eigene Volk in den Untergang reißen mußte, gaben das Reht zu dem Versuche, dieses Regime gewaltsam aus der Macht zu setzen und dabei auh mit den Kriegsgegnern zu dem Zweck in Verbindung zu treten, daß sie der Befreiung Deutshlands von diesem Regime nicht in den Weg traten und daß sie sih dann auf einen frühen Ausgleichsfrieden einließen. Insbesondere waren auh alle Versuhe gerehtfertigt, den drohenden ungerehten und verhängnisvollen Krieg durch rechtzeitige Einwirkung auf das Ausland überhaupt niht ausbrehen zu lassen.

Die militärishe Widerstandsgruppe, mit der es dieses Gutahten zu tun hat, war auh durchaus in der Lage, die ganzen Verhältnisse und insbesondere die Art und den voraussichtlichen Ausgang des (erst geplanten und dann geführten) Krieges rihtig zu erkennen und zu beurteilen. Ja sie war dazu kraft ihrer besonderen Sahkenntnis in ganz besonderem Maße befähigt. Ihre Einshätzung der Lage hat sih durh die spätere tragische geshihtliche Entwicklung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise als rihtig erwiesen.

Diese Gruppe konnte kraft ihrer Zusammensetzung auh mit demjenigen Grad von Wahrsheinlihkeit auf einen dem Volksganzen förderlichen Erfolg ihres Unternehmens hoffen, der in solhen äußersten Lagen allein gefordert werden kann. Sie setzte dort an, wo das Regime überhaupt noh einigermaßen verwundbar war, wenn sie über die oberste Führung der Wehrmacht den Staatsstreih durhzuführen suhte. Der Versuh konnte gelingen. Die Gruppe umfaßte auh genug Männer, die in der Führung des Staates und des Heeres erfahren und dazu lauteren Herzens und in der Lage waren, das geshändete Reht wiederherzustellen. Sie durfte hoffen, nah dem Staatsstreih die Lage in der Hand zu behalten und alles zum Besseren zu wenden.

Sie konnte zwar in den späten Zeiten des Widerstandes niht mehr damit rehnen, die kriegerishe Niederlage von Deutshland abzuwenden.

Das hätte damals niemand mehr gekonnt. Sie durfte aber die Hoffnung hegen, Deutshland (und übrigens auh den anderen Völkern) wenigstens ungeheuere nutzlose Opfer zu ersparen und auh einen früheren Frieden herbeizuführen, bei dem die deutshen Aussichten mindestens günstiger sein konnten als nah der endgültigen, ungeheuer opferreihen, völligen, kriegerishen Niederwerfung des Hitlerstaates. Sie durfte insbesondere erwarten, daß sie im innerdeutshen Bereih die Herrschaft des Rehtes wieder aufrihten könne.

Die Mittel, die die Gruppe anwandte, waren unter dem Gesichtspunkt der Güterabwägung angemessen. Sie konnte angesihts der Shwierigkeit ihrer Aufgabe und angesihts der ungeheueren Härte und Brutalität des

Fussnoten

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