Der Aufsatz des amerikanischen Außenministers John Foster Dulles ist in der Aprilnummer der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" erschienen.
Seit dem zweiten Weltkrieg haben sich die Vereinigten Staaten der schwierigen Aufgabe gegenüber gesehen, politische Wege zu finden, die auf Sicherheit und Frieden gerichtet sein und gleichzeitig ihren Traditionen entsprechen sollten. Niemals zuvor hat eine große Nation ihre Denkweise und ihre Handlungen so radikal und in einem so kurzen Zeitraum berichtigen müssen.
Während des 19. Jahrhunderts lag die Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung weitgehend bei Großbritannien mit seiner Marine und dem System von Marinestüzpunkten, die es in die Lage versetzten, schnell und wendig in der ganzen Welt zu operieren. Durch angemessene Handels-, Investitions-und Geldpolitik trieben Großbritannien und andere Länder mit ihrem Kapitalüberhang den wirtschaftlichen Aufschwung in unterentwickelten Ländern voran. Die französische Revolution hatte die Menschen aufgerüttelt, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten zu respektieren und zu fördern. Auch die Vereinigten Staaten lieferten hierzu ihren Beitrag. Unser Volk widmete seine Energien weitgehend seinen inneren Angelegenheiten; nicht deshalb, weil es ihm an anderen Gelegenheiten gefehlt hätte, sondern weil es glaubte, daß das, was unsere Gründer die „Führung und das Beispiel“ der Freiheit nannten, überall einen befreienden Einfluß haben würde. Tatsächlich traf dies zu. Das „große amerikanische Experiment“ war eine Quelle der Hoffnung und der Anregung für alle Menschen und ganz besonders für diejenigen, die unter dem Despotismus leben. Unser dynamisches Beispiel der Freiheit hatte viele unseren Reihen zugeführt und andere in der alten und in der neuen Welt dazu gebracht, unserem Vorbild nachzueifern.
Alle diese Einflüsse trugen dazu bei, der Welt relativen Frieden und Sicherheit für die Dauer der 100 Jahre zwischen dem Ende der napoleonischen Kriege und dem Beginn des ersten Weltkrieges zu bringen. Während dieses Zeitraumes hat es manche Fortschritte hinsichtlich der Ausübung der politischen Freiheit gegeben. Und allgemein gab es in der ganzen Welt einen großen Aufschwung des materiellen und des sozialen Wohlstandes.
Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts und ganz besonders die beiden Weltkriege und ihre Folgen haben eine vollkommen neue Situation geschaffen. Die Vereinigten Staaten haben in weitem Maße eine Verantwortlichkeit für die Führung übernommen, in die sich in der Vergangenheit mehrere Nationen geteilt hatten. Heute lastet in einem einzigartigen Ausmaße eine dreifache Aufgabe auf uns. . Einmal besteht sie darin, die Sicherheit gegen einen neuen Weltkrieg herzustellen, zum zweiten die guten Früchte der Freiheit zu demonstrieren, die die Herrschaft der Despoten durch ihren Gegensatz untergraben und zum dritten einen sehr großen Teil der Anstrengungen zu übernehmen, die für das gesunde Wachstum der unterentwickelten Gebiete erforderlich sind.
Die Eisenhower-Regierung übernahm eine Politik der Sicherheit, die von Wert war Manches an dieser Politik hatte zwiespältigen Charakter.
Sie spiegelte eine nationale Erkenntnis der Gefahr wieder, der sich die zivilisierte Welt gegenüber sah, eine gemeinsame Entschlossenheit, ihr zu begegnen und die Annahme der Rolle der Führerschaft, die uns durch die Ereignisse zugefallen war. Wir hatten dabei geholfen, die durch den Krieg erschütterte Wirtschaft anderer Länder wieder aufzubaucn. Ferner hatten wir einen sehr großen Beitrag geleistet, indem wir der Aggression in Korea entgegentraten. Angesichts der sowjetischen Bedrohung waren wir verpflichtet, unsere militärische Stärke und die anderer freier Länder wiederaufzubauen. Diese und ähnliche Maßnahmen waren kostspielig. Aber sie waren notwendig für unsere Sicherheit. Allerdings haftete ihr viel von dem Charakter einer Notlage an. Mit dem Jahre 1953 ergab sich die Notwendigkeit, unsere Pläne für die Sicherheit nochmals zu überprüfen und unsere fortgesetzten militärischen Anstrengungen auf die übrigen Erfordernisse für eine wohl abgerundete, stetige Politik auszurichten.
Unter unseren gegenwärtigen Lebensbedingungen ist es nicht leicht, eine vollkommene Ausgewogenheit zwischen den militärischen und den nicht-militärischen Bemühungen zu erreichen und diejenige Art der militärischen Anstrengung auszuwählen, die uns am besten dient. Das Wesentliche ist, zu erkennen, daß eine zwingende Notwendigkeit dafür besteht, unter Berücksichtigung der Sicherheit die militärischen Ausgaben auf ein Mindestmaß zu beschränken, so daß ein Höchstmaß an Freiheit als eine dynamische Kraft gegen den Despotismus wirksam werden kann. Dies ist das Ziel unserer Politik.
Die uns drohende Gefahr ist nicht solcher Art, daß man ihr mit Notmaßnahmen allein wirksam begegnen könnte. Es ist eine Gefahr, die lange Zeit bestehen bleiben kann. Wir müssen unser Handeln danach richten. Die sowjetische Bedrohung spiegelt nicht die ehrgeizigen Pläne eines einzigen Herrschers wider und ihre Größe kann nicht an dessen Lebenserwartung gemessen werden. Es gibt keinen Beweis, daß die Politik der Sowjets seit dem Tode Stalins fundamentale Wandlungen erfahren hat, und in der Tat stellte die Berliner Konferenz vom Februar einen positiven Beweis für das Gegenteil dar.
Die Aktiva, die hinter dieser Bedrohung stehen, sind gewaltig. Der Block der von Kommunisten beherrschten Länder — eine neue Form imperialistischer Kolonialherrschaft — stellt eine riesige, zusammenhängende Landstädte mit einer 800 Millionen zählenden Bevölkerung dar. Ungefähr zehn Millionen Männer stehen in den aktiven Truppen-teilen unter Waffen und dazu kommen weiter viele Millionen ausgebildete Reservisten. Die strategische zentrale Position dieser Landstreitkräfte ermöglicht einen Angriff auf jedes von etwa 20 Ländern entlang einer Linie von über 30 000 Kilometern. Ergänzt werden diese Boden-truppen durch immer stärker werdende Luftstreitkräfte, die mit Atomwaffen ausgerüstet sind, und deren Aktionsradius, bis über die nördlichen Gebiete der Arktis hinausgehend, unsere Industrie-Zentren in die Gefahr eines plötzlichen Angriffs bringt.
Die Bedrohung ist nicht nur militärischer Art. Die sowjetischen Machthaber verfügen in der ganzen Welt über den Partei-Apparat des internationalen Kommunismus. Er wird mit ausgebildeten Agitatoren und einer machtvollen Propaganda-Organisation unterhalten. Er nützt jede Art der Unzufriedenheit aus, gleichgültig ob es sich um politische Unzufriedenheit über das „Kolonialsystem“ oder um soziale Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen Bedingungen handelt. Er versucht, die bestehende Ordnung durcheinander zu bringen und den Weg für politische Coups zu ebnen, durch die von Kommunisten geführten Gruppen zur Macht verhelfen werden soll.
Mit den verschiedensten Manövern und Drohungen, militärischer und politischer Art, versuchen die sowjetischen Machthaber, die freie Welt zu spalten und zu schwächen. Weiterhin versuchen sie, die politischen Maßnahmen der freien Nationen als gescheitert erscheinen zu lassen, indem sie diese zu starken Belastungen aussetzen, die — wie Lenin es ausdrückt — „über ihre Kraft" gehen. „Dann“, sagt Lenin, „ist unser Sieg gewiß“. „Dann“, sagte Stalin, „ist der Augenblick für den entscheidenden Schlag gekommen".
Es ist nicht leicht, politische Maßnahmen zu finden, mit denen dieser so starken und ungeheuren, so vielseitigen und anhaltenden Gefahr begegnet werden kann. Die Lösung liegt nicht darin, daß man den Schein der Freiheitsfackel durch den Glanz des Stahls ersetzt.
Gemeinsame Verteidigung Der Eckpfeiler der Sicherheit für die freien Nationen muß ein kollektives Verteidigungssystem sein. Es ist ganz klar, daß sie einzeln keine Sicherheit erzielen können. Keine einzelne Nation kann für sich selbst eine Verteidigungsmacht von ausreichendem Umfang und ausreichender Beweglichkeit aufbauen. Ein solcher Versuch würde — ohne die notwendige Sicherheit zu geben — jede Nation zum Garnison-Staat werden lassen.
Dies trifft für die Vereinigten Staaten zu. Ohne die Unterstützung der Alliierten würden wir sogar nicht in der Lage sein, eine wirkungsvolle Vergeltung gegen die Rüstungsindustrie einer angreifenden Nation durchzuführen. Dazu bedarf es der internationalen Zusammenarbeit. Ohne sie verliert unsere Luftstreitmacht viel von ihrer Schlagkraft: mit ihr wird die strategische Luftmacht das, was Sir Winston Churchill „das größte Abschreckmittel" nennt. Ihm schrieb er die Sicherheit Europas während der letzten Jahre zu. Solche Macht stellt zwar jetzt einen ausschlaggebenden Faktor dar, aber es könnte sein, daß ihr die gleiche Bedeutung nicht für alle Zeiten zukommt. Außerdem sind massiv geführte Vergeltungsmaßnahmen mit Atom-und Wasserstoffbomben nicht Machtmittel solcher Art, die unter allen Umständen am wirkungsvollsten angewandt werden können.
Die Sicherheit der freien Welt hängt demnach eher von dem weiteren Ausbau der gemeinsamen Sicherheit und der gemeinsamen Streitkräfte ab als von dem Kräftepotential einzelner Nationen. Jede Nation, die an dieser Sicherheit teilhat, sollte daher je nach ihren Kräften und Möglichkeiten das Ihre dazu beitragen. Der inter-amerikanische Beistandspakt (Riopakt) von 1947 war das erste Nachkriegsbeispiel eines Paktsystems, nach dem jeder bewaffnete Angriff gegen eines der Mitglieder als Angriff gegen alle angesehen wird. Der Nordatlantikpakt ist auf denselben Grundsätzen aufgebaut. Die an diesem Vertrag Beteiligten sind sogar viel weiter gegangen, indem sie im Rahmen eines integrierten Sicherheitssystems gemeinsame Streitkräfte aufgestellt und allen zur Verfügung stehende Verteidigungsmöglichkeiten geschaffen haben. Die NATO erstellt bedeutende Luft-und Marinestützpunkte, zu deren Ausbau alle Mitgliedstaaten — jeder nach seinen Mitteln und Möglichkeiten, — Beiträge leisten kennen. Die Nordatlantik-Gemeinschaft liefert außerdem die Flugzeuge, Schiffe und Waffen, die von diesen Stützpunkten aus eingesetzt werden können. Sie schafft viele Positionen, von denen aus ein Angreifer auf die verschiedenste Art und Weise bedrängt werden kann, so daß er es aus Gründen der Klugheit kaum wagen dürfte, seine Kräfte auf ein einzelnes Opfer seines Angriffs zu konzentrieren.
Während in der Nordatlantikpakt-Gemeinschaft das Konzept der kollektiven Sicherheit bereits verwirklicht ist, ist es in anderen Gebieten erst im Stadium der Entwicklung begriffen, zur Zeit noch in einer etwas rudimentären Form. Ein Beispiel dafür ist der westliche Pazifik, wo die Vereinigten Staaten eine Reihe von Verträgen zur kollektiven Sicherheit abgeschlossen haben, die nunmehr Australien, Neuseeland, die Philippinen, Japan und Korea einschließen. Eine andere Verteidigungsgemeinschaft gruppiert sich zur Zeit im Mittleren Osten um den Kern Türkei-Pakistan. Diese Entwicklungen zeigen, daß dieses Konzept der kollektiven Sicherheit immer mehr Anhänger gewinnt.
Die Vereinten Nationen sind bestrebt, der kollektiven Sicherheit eine Basis zu geben, die mehr umfaßt als einzelne Gebiete. Schöpfer der Idee des gemeinsamen Handelns waren die Vereinten Nationen, und mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder haben sich diesem Prinzip angeschlossen, darunter die 16 Staaten, die bewaffnete Streitkräfte nach Korea entsandten, um die Aggression abzuwehren. Die Resolution über die „Vereinigung für den Frieden“, die im November 1950 von der Generalversammlung akzeptiert wurde, war ein Ergebnis dieser Erfahrungen. Diese Resolution ermöglicht es den Mitgliedern der Vereinten Nationen, gegen zukünftige Aggressionen ähnliche gemeinsame Maßnahmen zu treffen, ohne von dem Veto der Sowjetunion daran gehindert zu werden.
Das von der freien Welt errichtete Stützpunkt-System gehört zu den Maßnahmen für die kollektive Sicherheit. Herr Molotow hat diese Stützpunkte während der Berliner Vier-Mächte-Konferenz wiederholt als Beweis für Aggressionsabsichten angegriffen. Tatsächlich verkörpern diese Stützpunkte auf Territorien anderer souveräner Länder nichts anderes als einen Teil des kollektiven Sicherheitssystems. Sie wurden nur auf Ansuchen dieser Länder hin errichtet und von ihnen hängt es ab, wann und wie sie benützt werden dürfen. Die Zustimmung zur Benützung würde niemals gegeben werden, solange dies nicht in Antwort auf eine offene Aggression geschähe und durch die Art und Reichweite dieses Angriffs zu rechtfertigen wäre. Dadurch wird die Funktion dieser Basen als gemeinsame Aktionspunkte gewährleistet.
Die Strategie der Verhinderung eines Angriffs Es bleibt die Frage: Wie soll die freie Welt ihre Verteidigung aufbauen, um mit minimalem Kosteneinsatz ein Maximum an Sicherheit zu erzielen? Der Kern des Problems liegt jetzt darin, den Angriff zu verhindern. Dazu ist es unserer Meinung nach nötig, daß wir einer angreifenden Macht keinen Zweifel darüber lassen, daß die Verluste, die sie durch den Angriff erleiden würde, eventuelle Gewinne überwiegen würden.
Wenn die freie Welt versuchen würde, den starken Verbänden der kommunistischen Streitkräfte an jedem Punkt, an dem sie angreifen, Verbände von gleicher Truppen-und Materialstärke entgegenzusetzen, würde dies selbst mit Hilfe kollektiver Maßnahmen nicht gewährleistet sein. Dem sowjetisch-chinesischen Blöde mangelt es nicht an Truppen und er verschwendet sein Menschenmaterial wie billige Ware. Wenn ein Angreifer sicher wäre, daß er die Kampfbedingungen vorschreiben und uns in Kämpfe verwickeln könnte, bei denen es hauptsächlich auf die Truppen-zahl ankommt, könnte dies zu einer Aggression ermutigen. Er könnte versucht sein, uns mit solchen Mitteln und an solchen Stellen anzugreifen, wo seine überlegene Truppenstärke den Gang der Kampfhandlung ent-scheiden und wo er uns mit geringen Kosten große Lasten auferlegen könnte. Wenn sich die freie Welt diese Strategie aufdrängen ließe, führte sie sich selbst zum Bankrott und würde lange Zeit keine Sicherheit erlangen können.
Die freie Welt muß zu ihrer Verteidigung eine bessere Taktik ausarbeiten, die sich auf die Mittel stützt, in denen sie sich überlegen weiß. Die Stärke der freien Welt liegt hauptsächlich bei den Luft-und Seestreitkräften, bei den Atomwaffen, die jetzt auf vielerlei Gebieten eingesetzt werden können, und nicht mehr allein bei der Bombardierung strategisch wichtiger Punkte, sondern auch in der Gefechtshandlung eine bedeutende Rolle spielen. Die freie Welt muß neue Einsatzmöglichkeiten für die abschreckenden Eigenschaften dieser Waffen finden und das Kräftepotential der kollektiven Sicherheit voll ausnützen. Richtig eingesetzt könnte sie eine starke Verteidigung aufbauen, die imstande ist, sofort und wirksam jede Aggression zu vergelten.
Im Hinblick auf die Verhinderung eines Angriffs ist es wichtig, daß man die Beweglichkeit und die strategischen Möglichkeiten besitzt, die verschiedene Abwehraktionen gewährleisten. In vielen Fällen würde ein offener kommunistischer Angriff einen allgemeinen Krieg auslösen. Aber die freie Welt muß die Mittel besitzen, um Ort und Zeit ihrer Gegenmaßnahmen selbst zu bestimmen. Sie darf sich nicht in eine Lage drängen lassen, in der es keine andere Antwort mehr gibt als den allgemeinen Krieg. Wesentlich ist dabei, daß sich eine angreifende Macht im vorhinein darüber im klaren ist, daß sie durch einen Angriff mehr einbüßen würde als sie möglicherweise damit gewinnen könnte. Das aber erfordert den Aufbau eines Verteidigungssystems, in dem die örtliche Verteidigung jederzeit durch beweglichere, abschreckende Einsatzkräfte verstärkt werden kann. Wie dieses System im einzelnen auszusehen hat, hängt von der Beschaffenheit der verschiedenen Gebiete ab.
Manche Gebiete sind so lebenswichtig, daß ein besonderer Schutzwall um sie herum gebildet werden sollte und gebildet werden kann. Westeuropa ist ein solches Gebiet. Seine Industrieanlagen sind von so großer Bedeutung für das wirtschaftliche Gleichgewicht in der Welt, daß ein Angreifer zu der Ansicht gelangen könnte, es sei ein kluger Schachzug sich seiner zu bemächtigen — sogar auf die Gefahr hin, sich selbst dabei erhebliche Verletzungen zuzuziehen. In dieser Hinsicht ist Westeuropa einzigartig. Glücklicherweise haben die westeuropäischen Länder sowohl eine militärische Tradition als auch ein großes Militärpotential, so daß sie durch eine europäische Verteidigungsgemeinschaft und mit Unterstützung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens eine ausreichende Verteidigung des Kontinents schaffen können.
Die meisten Gebiete innerhalb der Reichweite eines Aggressors bieten ihm weniger als der Verlust beträgt, den er durch wohldurchdachte Vergeltungsmaßnahmen erleiden würde. Jedoch selbst in solchen Gebieten wird die lokale Verteidigung stets wichtig sein. In jedem gefährdeten Gebiet sollten geeignete Abwehrkräfte zur Aufrechterhaltung der Ordnung bei Umsturzgefahr und zur Abwehr anderer Formen indirekter Aggression und unerheblicher Aggression von Seiten der Satellitenstaaten vorhanden sein. Diese Abwehrkräfte sind notwendig; sie bekunden den Willen zum Widerstand und zwingen jeden Angreifer seine wahre Absicht durch einen Kampf zu erkennen zu geben, der ihn vor der ganzen Welt brandmarkt und sofortige kollektive Maßnahmen auslöst. Etwaige Aggressoren haben wenig Respekt vor Völkern, die nicht gewillt sind, für ihre eigene Sicherheit zu kämpfen oder die Opfer zu bringen, die notwendig sind um diesem Kampf Bedeutung zu verleihen. Sie wissen ebenso, daß solche Völker keine Verbündeten finden, die für ihre Sache zu kämpfen bereit sind. Aus all diesen Gründen ist die lokale Verteidigung wichtig. In solchen Gebieten muß jedoch das Schwergewicht auf der Macht der freien Gemeinschaft liegen, die mit starker Kraft Vergeltung üben kann und zwar mit den Mitteln und auf den Schauplätzen, die sie bestimmt. Ein etwaiger Aggressor wird zögern, eine Aggression zu starten, wenn er im voraus weiß, daß er hierbei nicht nur die Kräfte aufs Spiel setzt, die er in seinem Angriff einsetzen will, sondern auch seine übrigen Machtmittel ihres „geheiligten“ Status'beraubt. Das bedeutet nicht, daß jeder lokale Krieg einen Weltkrieg entfesselt. Es bedeutet auch nicht, daß im Falle eines kommunistischen Angriffs auf irgendein Gebiet in Asien notwendigerweise Atom-oder Wasserstoffbomben auf die großen Industriezentren Chinas oder Rußlands geworfen werden. Es bedeutet vielmehr, daß die freie Welt die kollektiven Mittel aufrechterhalten und gewillt sein muß, sie so wirksam zur Anwendung zu bringen, daß eine Aggression hierdurch zu gewagt und kostspielig wird um verlockend zu erscheinen.
Es wird manchmal behauptet, daß dieses System unzulänglich sei, da es einem besetzten Land lediglich garantiert, daß es schließlich befreit und der Eindringling bestraft wird. Diese Ansicht trifft nicht den Kernpunkt. Es ist vielmehr so, daß ein etwaiger Angreifer höchstwahrscheinlich keinen Überfall wagen wird, wenn er glaubt, daß der mögliche Verlust und der zu erwartende Gewinn einander die Waage halten. Ein System, das die etwaigen Aggressoren zwingt, sich diese Tatsache vor Augen zu führen, bildet die unerläßliche Ergänzung eines lokalen Verteidigungssystems.
Praktische Anwendungen Die ersten Anzeichen der Nutzanwendung dieser Politik lassen sich bereits beobachten.
In Korea waren die gegen die Aggression eingesetzten Streitkräfte so stark eingeengt, daß es ihnen sogar verboten war, feindliche Flugzeuge, die jenseits des Yalu-Flusses stationiert waren, zu verfolgen. Die Flugplätze, von denen aus die Angriffe gestartet wurden, waren tabu, ebenso die Nachschublinien und -lager. Die Kampfhandlungen wurden dort schließlich im Juli vergangenen Jahres unter Bedingungen abgebrochen, die bereits viele Monate vorher vorgeschlagen worden waren. Dieses Ergebnis wurde, zumindest teilweise, erzielt, da sich der Angreifer, dem territoriale Gewinne bereits verweigert worden waren, vor die Möglichkeit gestellt sah, daß die Kämpfe, sehr zu seiner eigenen Gefahr, sich bald über die von ihm festgelegten Grenzen und Methoden hinaus in Gebieten und unter Bedingungen abspielen könnten, die wir selbst bestimmen würden. Mit anderen Worten, das Prinzip der Anwendung von Methoden unserer eigenen Wahl stand nahe vor seiner Verwirklichung, und es half den Krieg zu beenden, den der Gegner begonnen und, gestützt auf die Theorie, daß es ein abgegrenzter Krieg auf Schauplätzen und unter Voraussetzungen seiner eigenen Wahl sei, geführt hatte.
Die 16 Mitglieder der Vereinten Nationen, die in Korea kämpften, haben das gleiche Prinzip verfolgt. Sie haben öffentlich bekannt gegeben, daß in dem Falle einer Verletzung des Waffenstillstandes und einer Erneuerung der Aggression durch die Kommunisten die Erwiderung des Kommandos der Vereinten Nationen sich nicht unbedingt auf Korea beschränken werde. Wenn daher die Aggression wieder fortgesetzt würde, hätte das UN-Kommando heute keinerlei Bedenken, dem Angreifer schwerste Vernichtungen auch außerhalb des Gebietes zuzufügen, das er gerade für seinen Angriff wählt. Das braucht nicht die Ausbreitung des Atomkrieges über ganz Asien zu bedeuten. Man sollte nicht vorher bereits die genauen Absichten der militärischen Handlungen im Falle einer neuen Aggression bekannt geben. Dies ist eine Angelegenheit, über die man den Aggressor besser im Unklaren lassen sollte. Aber er kann und soll wissen, daß im Lichte der gegenwärtigen Politik in einem solchen Falle nicht er, sondern wir bestimmen werden.
Bezüglich Indochina haben die Vereinigten Staaten öffentlich erklärt, daß eine offene Aggression der rotchinesischen Armee in diesem Gebiet „schwerwiegende Konsequenzen, die sich möglicherweise nicht auf Indochina beschränken“, nach sich ziehen würde.
Am 26. Dezember 1953 gab Präsident Eisenhower eine wichtige Erklärung ab, die klar unsere gegenwärtige Politik in bezug auf Asien reflektierte. Er kündigte einen progressiven Abzug amerikanischer Landstreitkräfte in Korea an. In seinen weiteren Ausführungen betonte er jedoch, daß die Militärstreitkräfte der Vereinigten Staaten im Fernen Osten nunmehr „hochbewegliche Marine-, Luft-und Amphibien-Einheiten“ besitzen werden; und er fügte hinzu, daß die Vereinigten Staaten auf diese Weise trotz des Abzuges einiger Landstreitkräfte über eine Kapazität verfügen werden, die jeder Aggression „sogar wirkungsvoller als bisher“ begegnen kann. Im gleichen Monat bekräftigten die Vereinigten Staaten abermals ihre Absicht, von dem uns durch den japanischen Friedensvertrag zugestandenen Recht Gebrauch zu machen und in Okinawa zu bleiben. Dieser Stützpunkt ist notwendig zur Sicherung wirkungsvoller Einsätze im Sinne der Erfüllung der Konzeption der kollektiven Sicherheit.
In Europa kommen unsere Ziele vor allem im Nordatlantikpakt zum Ausdruck. Im Anschluß an die Aggression in Korea vom Juni 1950 schritten die Mitglieder des Paktes zu einer aus der Situation notwendig gewordenen Verstärkung der militärischen Kräfte in Westeuropa. Diese in der Zeit zwischen 1950 und 1953 ausgebaute militärische Stärke hat sich zur Erhaltung des Friedens gut bewährt. 1953 schien es nicht mehr notwendig, diesen ursprünglich eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen.
Auf der Sitzung des Nordatlantikrates im April 1953 setzten die Vereinigten Staaten eine neue Konzeption fest, die heute als das „Programm auf lange Sicht" bekannt ist. Es bedeutet eine ständige Weiterentwicklung der defensiven Kraft, und zwar in einem Ausmaß, das der wirtschaftlichen Kraft unserer Alliierten ebenso wie unserer eigenen angemessen ist und sie nicht übersteigt. Diese Entwicklung würde unterstützt durch das Vorhandensein neuer Waffen mit ungeheuer gesteigerter Zerstörungskraft sowie durch den wirkungsvollen Einsatz von Luftstreitkräften von Stützpunkten aus, über die man sich auf internationaler Basis einigt. Präsident Eisenhower sucht nun durch einen Zusatz zu dem bestehenden Gesetz einen Weg zu einem freieren Austausch der Atom-informationen mit unseren NATO-Verbündeten zu finden. Als wir zu den Sitzungen des Nordatlantikrates vom vergangenen Dezember zurückkehrten, konnten wir eine allgemeine Zustimmung zu dem „Programm auf lange Sicht" fcststellen. Das Ergebnis ist, daß die meisten unserer NATO-Verbündeten nunmehr in der Lage sind, eine Budget-und Wirtschafts-Stabilität zu erreichen, ohne in stärkerem Umfang von unserer Wirtschaftshilfe abhängig zu sein.
Das erstarkende Verteidigungssystem der freien Welt, gestützt auf gemeinsame Bemühungen und gekoppelt mit entsprechenden Richtlinien für ihren Einsatz, spiegelt die bisher höchste Annäherung der Welt an das Ziel, eine wirkungsvolle Verteidigung mit einem Minimum an Kosten zu erreichen.
Das gegenwärtige Militärprogramm Eine der grundlegenden Aufgaben der neuen Regierung ist es gewesen, unser militärisches Programm im Lichte der früheren Politik zu überprüfen.
In den Jahren 1945— 53 waren unsere militärischen Programme starken Schwankungen unterworfen, welche eine ordnungsgemäße und wirksame Verwaltung behinderten. Während des ersten Abschnittes dieses Zeitraumes ging die Politik dahin, die Streitkräfte drastisch zu verringern. Während des späteren Teils dieses Zeitraumes lief die Politik dar-au’ hinaus, die militärische Stärke rasch zu erhöhen. Sowohl während der Demobilisierung als auch während der Verstärkung spiegelte das Militärbudget den Gedanken des sogenannten „Gleichgewichts der Heeresteile“ wider. Einfacher ausgedrückt, bedeutete das die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Mittel in drei einigermaßen gleiche Teile für die Armee, die Flotte und die Luftstreitkräfte.
Als die Regierung Eisenhower die Amtsgeschäfte übernahm, waren für die Durchführung unserer nationalen Sicherheits-Programme im In-und Ausland jährlich über 50 Milliarden Dollar erforderlich, und für das folgende Jahr waren dafür rund 55 Milliarden Dollar veranschlagt. Es ergaben sich Fehlbeträge im Budget in Höhe von 10 Milliarden Dollar, obgleich die Steuern denen der Kriegszeit vergleichbar waren. Inflationserscheinungen verringerten die Kaufkraft des Dollars. Unsere Verbündeten wurden in ähnlicher Weise belastet.
Das amerikanische Volk hat wiederholt bewiesen, daß es bereit ist, jegliche Opfer zu bringen, die notwendig sind, um unsere nationale Sicherheit zu gewährleisten. Es würde zweifellos Militärausgaben in der Höhe auf sich nehmen, die ihm seine Regierung als unerläßlich für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit bezeichnen würde, und zwar selbst um den Preis von Fehlbeträgen im Budget, von daraus sich ergebendem inflationistischem Drude und Steuersätzen, die den wirtschaftlichen Ansporn beeinträchtigen würden. Aber der patriotische Opferwille ist nicht etwas, das man ohne Not in Anspruch nehmen soll. Die Regierung hat die hohe Verpflichtung, unter Zuhilfenahme aller Mittel und ihrer ganzen Erfindungsgabe nach Wegen zu suchen, die Sicherheit, ohne gleichzeitige, das wirtschaftliche und soziale Wohl gefährdende Opfer, gewähren. Die Sicherheitspolitik, die wir hier beschreiben, ermöglicht die Aufstellung von Programmen, die hinsichtlich der Zusammensetzung der Streitkräfte und der Materialbeschaffung größere und wirksamere Möglichkeiten bieten.
Die neue Regierung hat sich bemüht, auf ordnungsmäßigem Wege das Programm für die militärischen Streitkräfte den Bedürfnissen wieder anzupassen. Bevor dies geschehen konnte, war es erforderlich, Klarheit darüber zu schaffen, in welchem Umfange wir uns auf die kollektive Sicherheit verlassen können; war es ferner notwendig, unsere grundlegende Strategie sowohl in Europa als auch in Fernost eindeutiger zu definieren; unsere Aktionsfreiheit in bezug auf die Zurückweisung künftiger Aggressionshandlungen zu behaupten; die Wirkungsmöglichkeiten neuer Arten von Waffen abzuschätzen; und schließlich die Zusammensetzung und den Umfang unserer sofort und künftig verfügbaren Streitkräfte in ein richtiges Verhältnis zu allen diesen Faktoren zu bringen.
Das alles hat Zeit in Anspuch genommen. Es war eine Reihe schwieriger grundlegender Entscheidungen von seifen des Präsidenten erforderlich unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Nationalen Sicherheitsrates und befürwortender Entscheidungen des Außenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Finanzministeriums. Es war notwendig gewesen, in einen Gedankenaustausch mit Führern des Kongresses und mit unseren Hauptverbündeten einzutreten und die Weltmeinung so zu’unterrichten, daß weder unsere Freunde noch unsere Gegner im Ausland unser Handeln falsch auslegen konnten. Jetzt aber ist der neue Kurs festgelegt und bildet die Richtschnur für unsere militärische Planung. Nunmehr erst ist es möglich, mit geringeren Ausgaben ein größeres Maß an fundamentaler Sicherheit zu haben und zu geben. Dies fand seine Bestätigung in dem Haushaltsplan, den der Präsident für das Rechnungsjahr 1955 unterbreitet hat. In diesem Plan betragen die Ausgaben für die nationale Sicherheit für das Rechnungsjahr 1955 45 Milliarden Dollar gegenüber 50 Milliarden Dollar für 1953 und 49 Milliarden Dollar für 1954.
Anfangs wurde diese Neugestaltung des militärischen Programms in verschiedener Hinsicht falsch ausgelegt. So meinten einige, daß die Vereinigten Staaten beabsichtigten, sich vollkommen auf den strategischen Bombenkrieg großen Ausmaßes als einziges Mittel zur Verhinderung und Abwehr einer Aggression zu verlassen. Diese irrige Ansicht sollte durch das, was bereits gesagt wurde, eindeutig widerlegt sein. Die Kräfte für einen massiven Einsatz werden immer in einem Zustand sofortiger Bereitschaft gehalten werden, und unser Programm läßt eine weite Skala von Möglichkeiten hinsichtlich der Mittel und des Umfanges offen, um einer Aggression zu begegnen. Andere interpretierten das Programm als eine Abkehr vom System der kollektiven Sicherheit. Das genaue Gegenteil ist, wie bereits aufgezeigt, der Fall. Unsere Politik basiert weitgehend auf einem System der kollektiven Sicherheit und der Erfolg hängt von ihrer Fortführung ab. Wieder andere fürchteten, daß wir im Interesse einer größeren Beweglichkeit beabsichtigen, unsere Truppen aus Über-see abzuziehen. Jetzt, nach Beendigung der Kampfhandlungen in Korea, werden unsere Streitkräfte im Fernen Osten, so wie wir es schon früher ankündigten, zahlenmäßig reduziert werden. Diejenigen Truppenkontingente jedoch, die auch weiterhin dort bleiben werden, verfügen über eine große Kampfkraft. Dieses Programm hat außerdem nicht den Abzug unserer Streitkräfte in Europa zum Ziel. Es ist natürlich wichtig, daß auch die Nationen des Kontinents ihrerseits eine harmonische Streit-macht im Rahmen eines gemeinsamen Verteidigungssystems aufstellen. Wenn sie dies tun, dann kann man auch von den Vereinigten Staaten erwarten, daß sie ihrerseits beträchtliche Kräfte in Europa behalten werden, und zwar sowohl in Unterstützung einer Strategie der vorgeschobenen Verteidigung als auch aus politischen Gründen.
Eine andere Auswirkung unserer neuen Politik ist, daß wir jetzt in der Lage sind, die Wirtschaftshilfe an unsere Verbündeten herabzusetzen. Das Programm für technische Hilfe wird fortgesetzt, und auch die Wirtschaftshilfe selbst wird nicht vollkommen eingestellt werden. Es gibt immer noch einige Gebiete nahe der sowjetischen Machtsphäre, wo die Regierungen der betreffenden Länder ohne unsere Hilfe nicht in der Lage sind, ausreichende Streitkräfte zu unterhalten. Das trifft