Mit Genehmigung des Verlages entnehmen wir der amerikanischen Zeitsdirift „FOREIGN AFFAIR S“ (Januar 1954) den folgenden Artikel des anonymen Verfassers P ..
Während der Zeit des indischen Unabhängigkeitskampfes wurde Amerika von nationalistischer Seite als Freund betrachtet und die Sympathie für die indische Sache war in den Vereinigten Staaten weit verbreitet. In der Zeit unmittelbar nach der Herstellung der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 blieben diese Beziehungen weiterhin freundschaftlich und nach und nach schauten die führenden Persönlichkeiten Indiens nach Amerika, um Hilfe und Rat für die vor ihnen liegenden schwierigen Probleme zu finden. Aber heute wird niemand leugnen, daß sich die beiden Länder auseinandergelebt haben, daß große und einflußreiche Gruppen in den Vereinigten Staaten die indischen Beweggründe verdächtigen und Indien als pro-kommunistisch bezeichnen. Gleicherweise neigen die meisten Inder zu der Annahme, daß die Vereinigten Staaten Indien bei jeder Gelegenheit vorsätzlich entgegentreten und eine antiasiatische Politik betreiben mit dem Ziel, die neuen Länder in Asien in den Zustand politischer Abhängigkeit zurückzuversetzen.
Wenn die großen europäischen Nationen die amerikanische Führung bereitwillig annehmen und der Politik der Vereinigten Staaten folgen, so ist es für die USA natürlich schwierig zu begreifen, warum Indien, Burma und Indonesien, die ihre Unabhängigkeit vor so kurzer Zeit erst erhielten, und die vom militärischen und wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen schwach sind, nicht nur zögern, den Vereinigten Staaten zu folgen, sondern ihnen in wichtigen Fragen sogar direkt entgegentreten. Es ist für Amerika um so schwieriger, diese Haltung zu verstehen, als es in so großzügiger Weise eifrig bestrebt ist, diesen Ländern finanziellen und technischen Beistand angedeihen zu lassen, um sie in den Stand zu setzen, ihre wirtschaftliche Schwäche zu überwinden und — wenn notwendig — sogar ihre militärischen Kräfte zu verstärken. Niemand in diesen Ländern hat Amerika des Imperialismus oder selbstsüchtiger Motive bezichtigt. Warum also, so fragen die Amerikaner, bringt man uns soviel Mißtrauen entgegen und warum stößt unsere Politik, die doch das Wohl der gesamten freien Welt anstrebt, auf Widerstand, wenn alles, was wir wünschen, allein auf die Verbesserung der materiellen Bedingungen dieser Gebiete hinzielt, und wir ihre Freundschaft und ihren Beistand suchen, um die gemeinsame Bedrohung durch den Kommunismus abzuwenden?
Für diese Entwicklung wird Indien in erster Linie verantwortlich gemacht, denn es ist zweifellos richtig, daß es die führenden indischen Persönlichkeiten sind, die der süd-asiatischen Denkungsweise Ausdrude verliehen haben, und es ist Indien, wo man diese Ansichten am weitesten verbreitet findet. Aber in Burma und Indonesien und in geringerem Maße vielleicht auch in Ceylon und Pakistan ist es nicht viel anders. Aus diesem Grunde muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß zwischen der südasiatischen Auffassung und der der Vereinigten Staaten eine zunehmende Gegensätzlichkeit in Bezug auf die Angelegenheiten der Weltpolitik zu verzeichnen ist. Wenn diese Tendenz sich nicht ausbreiten und sich zum Schaden beider Parteien auswirken soll, ist es von allergrößter Bedeutung, daß man das Problem offen analysiert und daß von beiden Seiten der Versuch gemacht wird, den Standpunkt des anderen zu verstehen.
Vorweg möge jedoch schon ein Punkt hervorgehoben werden. Obwohl die Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und Indien zweifellos wichtig sind und in der Öffentlichkeit vielfach diskutiert wurden, besteht vielleicht eine größere Gemeinsamkeit im politischen Denken und im geistigen Empfinden zwischen ihnen als überhaupt zwischen zwei Ländern außerhalb des britischen Commonwealth. Beide sind fest von den demokratischen Einrichtungen und Methoden, den staatsbürgerlichen Freiheiten, der Freiheit des Denkens, der Meinungsäußerung und jeder legitimen Tätigkeit des Menschen überzeugt. Beide glauben an die Prinzipien der moralischen Überzeugungsfähigkeit und regieren sich auf dieser Basis. Beide bemühen sich um die Verbesserung der materiellen Grundlage ihrer Völker, ohne dabei die Rechte und Freiheiten des Menschen einzuengen. Und was noch wichtiger ist: beide lassen sich in ihren politischen Handlungen von einer tiefen geistigen Empfindung leiten. Dies wird allgemein verstanden. Tatsächlich hat das State Department kürzlich eine Broschüre herausgegeben, die allgemein von dieser Auffassung Zeugnis ablegt. In Indien gibt es ebenfalls niemanden, der die moralische Größe, die wirtschaftlichen Leistungen und das erstaunliche Bestreben, der Welt zu dienen — wie es Amerika symbolisiert — leugnet. Und doch bestehen diese Differenzen und scheinen größer zu werden. Es kommt uns daher zu, das Problem unparteiisch zu untersuchen.
Politische Kontroversen
Es gibt drei politische Aspekte, welche von den Vereinigten Staaten und Indien nicht in demselben Licht angesehen werden. Sie sind 1) die Haltung gegenüber der Bedrohung durch den expansiven Kommunismus; 2) die Kolonialpolitik der europäischen Nationen; und 3) China. Alle drei sind grundsätzliche Faktoren des gegenwärtigen komplexen internationalen Problems und während eine Meinungsverschiedenheit über einen dieser Punkte ausreicht, um Mißverständnisse zu schaffen, wächst sich eine unterschiedliche Auffassung von allen drei Fragen zu einem größeren Meinungskonflikt aus.
Wenn man zunächst die Frage des Kommunismus betrachtet, die zweifellos die wichtigste ist, so ist es wahrscheinlich überflüssig zu sagen, daß es keinen Meinungsunterschied der Vereinigten Staaten und Indiens in Bezug auf dieses internationale Problem gibt. Die indische Regierung hat den Kommunismus in Indien mit aller Macht bekämpft und keinerlei Schwäche gegenüber seinen vielfältigen Auswüchsen gezeigt. Der ansehnliche Erfolg Indiens in diesem Kampf ist auch weit und breit anerkannt worden.. Warum denn diese unterschiedliche Auffassung von der äußeren Bedrohung durch den Kommunismus? Erstens einmal ist es für Indien nicht gewiß, ob eine solche äußere Bedrohung überhaupt existiert. Sowohl China wie die Sowjetunion sind Indiens Nachbarn, und doch hat Indien — trotz beträchtlicher Anstrengungen Amerikas, es davon zu überzeugen — keine Bedrohung seiner Existenz durch das Vorhandensein dieser beiden riesengroßen kommunistischen Staaten an seinen Grenzen gesehen. Mag sein, daß wir dumm sind oder vollkommen blind, aber wo wir keine Bedrohung sehen, können wir nicht so tun, als ob sie doch vorhanden wäre, bloß weil zweifellos klügere Leute sie uns einreden.
Des weiteren kann Indien nicht vergessen, daß vor noch nicht allzu langer Zeit Amerika und England sich beide als Freunde der Sowjetunion bezeichneten. Es ist nicht so, daß die Sowjetunion im Jahre 1942 anders war. Man weiß heute über die kommunistische Politik oder die kommunistischen Ambitionen nichts, was nicht schon 1942 bekannt war! Trotzdem haben sich Amerika und England nicht nur mit der Sowjetunion alliiert, die Briten gingen sogar so weit — wenigstens in Indien —, daß sie die Kommunisten gegen die Nationalisten unterstützten. Damals, wie auch jetzt, trat der Indische Nationalkongreß unter der Führung Mahatma Gandhis und Jawaharlal Nehrus den Kommunisten entgegen; es war die britische Regierung, die diesen dazu verhalf, die Kontrolle über die Gewerkschaften zu gewinnen und sie als Vertreter des eigentlichen indischen Standpunktes behandelte. Welche Stärke die kommunistische Partei in Indien auch immer gewann — sie war das Resultat dieser unseligen Allianz.
Gewöhnlich wird zur Rechtfertigung dieser Politik vorgebracht, daß der Faschismus damals eine größere Gefahr darstellte, und es deshalb zweckmäßig erschien, alle Anti-Faschisten, ganz gleich welcher politischen oder moralischen Einstellung, zur Bekämpfung dieser Gefahr zu vereinigen. Wenn der Zusammenschluß mit den Kommunisten in den Jahren 1942 bis 1946 aus Zweckmäßigkeitsgründen durchgeführt wurde, welche Garantie haben wir dann, daß der Widerstand gegen den Kommunismus und das Bündnis mit dem Faschismus in Spanien und mit der wiederbewaffneten kaiserlichen Regierung in Japan, die von den Vereinigten Staaten und anderen Westmächten proklamiert werden, nicht ebenfalls in Zweckmäßigkeitserwägungen und einer Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen begründet sind? Kann es ferner als sicher angenommen werden, daß, wenn Rußland eine Entspannungspolitik verfolgen und den Westmächten in einigen ihrer Forderungen entgegenkommen würde, die europäischen Nationen, und mit ihnen die Vereinigten Staaten, ihre Politik, nach welcher der Kommunismus der Herd alles Bösen ist, ändern und nach und nach eine Politik des „Nebeneinander-Bestehens“ akzeptieren würden? In seiner Ausgabe von Oktober 1953 veröffentlichte FOREIGN AFFAIRS einen sehr aufschlußreichen Artikel unter der Über-schrift: „Die Große Allianz zögert“ ) *. Er zeigt klar und deutlich auf, daß einige der Partner der Großen Allianz spüren, daß es zweckdienlich sein dürfte, ihren unerbittlichen Widerstand gegen den Kommunismus zu dämpfen, und sich eventuell darauf vorzubereiten, die Doktrin des Neben-*) In der Beilage der Wochenzeitung . Das Parlament" veröffentlicht in B 49, Ausgabe 9. Dezember 1953 einander-Bestehens zu akzeptieren. Politische Denker in Indien, Burma und Indonesien fragen sich nun, warum sollten wir, gegen unser besseres Wissen, aufgefordert werden, uns in die Front einer anti-kommunistischen Politik einzureihen?
Es mag für amerikanische Ohren fremd klingen, aber es ist trotzdem eine Tatsache, daß die führenden Persönlichkeiten Indiens und Burmas und vielleicht auch anderer südasiatischer Länder (mit Ausnahme von Siam) sich nicht vom Kommunismus bedroht fühlen. Sie stellen befriedigt fest, daß der Kommunismus keine Anziehungskraft auf ihr Volk besitzt, daß er — mit Ausnahme eines Bündnisses mit dem Nationalismus — keine Macht oder Lebensfähigkeit in der asiatischen Gesellschaft besitzt. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre in Burma, Ceylon, Indien und Indonesien haben zu ihrer Befriedigung bewiesen, daß, wo nationale Regierungen bestehen und eine unabhängige Politik befolgen, d. h. ihren Nationalismus verteidigen, der Kommunismus keinerlei Unterstützung gewinnen kann. Der markanteste Fall ist der von Burma. Man wird sich erinnern, daß in den Jahren 1949 und 1950, als die Kommunisten das chinesische Festland bis zu den Grenzen von Burma besetzten, Burma durch ein inneres kommunistisches Problem ernsthaft bedroht war. Es wäre für die chinesischen Kommunisten leicht gewesen, der sogenannten burmesischen Befreiungsarmee, die gerade damals auf der Höhe ihrer Macht stand, inoffiziell durch Bereitstellung von Führung und Waffen zu helfen; und doch geschah nichts dergleichen. Den burmesischen Kommunisten wurde nicht nur keine Hilfe zuteil, sondern das kommunistische Regime jenseits der Grenze hielt sich gewissenhaft von jeder Einmischung in die Kuomin-tang-Partisanen-Streitkraft unter Li-Mi, die sich innerhalb der burmesischen Grenzen verschanzt hatte, fern. Ohne jede militärische Hilfe von außen hat die Nationalregierung Burmas langsam aber sicher die kommunistischen Kräfte innerhalb des Staates vernichtet.
Von einigen hervorragenden amerikanischen Beobachtern ist erklärt worden, daß Burma von einer chinesischen Intervention verschont blieb, weil China sich in Korea schwer engagiert hatte und daß, wenn es dort nicht gebunden gewesen wäre, es höchstwahrscheinlich den burmesischen Kommunisten geholfen hätte. Diese Auffassung übersieht zwei Haupt-tatsachen. Erstens einmal erbaten die Kommunisten in Burma lediglich geschulte Anführer und einige Waffen, um in jenem Zeitpunkt die entscheidende Wendung herbeizuführen. Ein größeres Eingreifen wäre gar nicht nötig gewesen. Die Chinesen waren in Korea nicht so unabkömmlich, daß sie es sich nicht hätten leisten können, für ihre Freunde irgendwo einige Kommissare und Waffen abzuzweigen. Tatsächlich ist die chinesische Armee in Yunnan, an der Grenze von Burma, immer eine große Macht gewesen. Die zweite Tatsache ist, daß die Chinesen schon Monate vor dem Beginn des Korea-Krieges der burmesischen Regierung feierlich versicherten, daß sie keinen Versuch machen würden, die innerhalb des burmesischen Gebietes illegal formierten Kuomintang-Kräfte anzugreifen und daß sie die bestehenden Grenzen respektieren würden — ein Versprechen, daß sie aufs Peinlichste gehalten haben trotz der ernsthaften Herausforderung des Generals Li-Mi und seiner Leute.
Es ist oft behauptet worden, besonders in der amerikanischen Presse, daß die Erzwingung der chinesischen Oberhoheit über Tibet einen Akt der Aggression darstelle, über den Indien aus seiner chinesenfreundlichen Einstellung heraus hinweggesehen habe und daß dies klar und deutlich die chinesischen Expansionsgelüste beweise. Zweifellos dringt der Kommunismus durch die Einbeziehung Tibets in die chinesische Politik nun bis zu den äußeren Gebirgsketten des Himalaya vor. Aber es ist seltsam, daß Amerika dies als einen Angriffsakt betrachtet, denn noch im Jahre 1948 hat das State Departement einer tibetanischen Delegation, die zum Besuch in den Vereinigten Staaten weilte, unumwunden erklärt, daß es Tibet als einen Teil von China betrachte. Natürlich bezog sich dies auf das China der Kuomintang-Regierung. Die Abordnung, deren vorgegebener Zweck es war, in Amerika einen Absatzmarkt für Yakrindschwänze zu finden, kehrte enttäuscht zurück. So tauchte die Frage der Expansion nicht auf, als die Kuomintang-Regierung ihrerseits die Oberherrschaft über Tibet beanspruchte, obgleich man Indien jetzt der Duldung beschuldigt.
Ein anderes oft als eine klare Demonstration der kommunistischen Expansionspolitik erwähntes Moment ist der seit sieben Jahren dauernde Krieg in Indochina. Indien im besonderen wird beschuldigt, blind gegenüber den Folgerungen dieser nach Süden gerichteten Bewegung des Kommunismus zu sein. Die politischen Führer Indiens, Burmas und Indonesiens selbst sehen die Lage in Indochina in einem anderen Licht. Sie unterstreichen die unbestrittene Tatsache, daß der unter kommunistischer Führung stehende Kampf der Viet-Minh gegen Frankreich in eben der Zeit begann, als die Sowjets noch mit den westlichen Nationen verbündet waren, daß er sich versteifte, bevor die Kommunisten Macht in China gewannen und daß schließlich, möge die Bewegung auch kommunistisch sein — und sie steht sicherlich unter kommunistischer Führung — weder Russen noch Chinesen in Indochina kämpfen, wohingegen die der Bewegung feindlichen Kräfte noch immer vorwiegend französische sind. Zweifellos ist das Regime Bao-Dai‘s unter amerikanischem Druck mit größerer Macht ausgestattet worden, aber die Haltung der Franzosen der Idee der Unabhängigkeit Vietnams gegenüber kann am besten beurteilt werden, wenn man an die heftige Reaktion der Pariser Regierungsstellen auf die kürzliche Entschließung der vietnamesischen Nationalversammlung (bestehend aus von Bao-Dai ausgesuchten Führern) denkt, mit welcher das Recht der Loslösung aus der französischen Union proklamiert wurde. Und dabei ist das Recht auf Loslösung die wahre Probe auf die Unabhängigkeit. Ist es daher verwunderlich, daß die asiatischen Völker, die ihre Unabhängigkeit neu gewonnen haben, zögern, bevor sie den französischen Versicherungen Glauben schenken, Frankreich kämpfe in Indo-china für die Rettung der Unabhängigkeit der Vietnamesen? Den Indern klingt diese Behauptung besonders ironisch, wenn Frankreich vorgibt, seine Verfassung hindere es daran, Indien die kleinen kolonialen Besitzungen im Süden Indiens (Pondichery, usw.) zurückzugeben. Pondichery ist auf diese Weise zum Symbol des französischen Kolonialgedankens geworden, und ausgehend von der Haltung Frankreichs gegenüber der Freiheitsbewegung in diesen Landstrichen können die Inder nicht getadelt werden, wenn sie in der französischen Position in Indochina lediglich den hartnäckigen Wunsch sehen, bis zum letzten Mann für die Aufrechterhaltung der Stellung Frankreichs im Fernen Osten zu kämpfen.
Wie beeinflußt dies Indiens Haltung Amerika gegenüber? Diese wird in erster Linie dadurch beeinflußt, daß Indien fühlt, daß ohne die finanzielle und materielle Unterstützung Amerikas sowie dessen, zwar widerwillige, Zustimmung zur französischen Politik, die Franzosen ihre Steilung im Fernen Osten und ihren Kolonialbesitz in Indien nicht halten könnten. Zweitens verliert hierdurch in den Augen Indiens und anderer gleichdenkender asiatischer Länder der Anspruch an Boden, der Zusammenschluß mit Amerika an der Spitze sei ein Bündnis der freien Welt. Wie kann man von uns verlangen, uns mit einer freien Welt zu verbünden, von der e i n führendes Mitglied immer noch Kolonialbesitz in Indien hat, und ein anderes (Portugal) mit unbewußter Ironie behauptet, ein integrierendes Gebiet Indiens (Goa) sei ein unabtrennbarer Teil von Portugal? Die Politik Frankreichs und Portugals beruht klar auf der Kolonialidee. Worüber Indien enttäuscht ist, ist, daß die Amerikaner nicht begreifen, daß, solange ein Zoll indischen Bodens koloniales Besitztum bleibt, Indien sich niemals — sei es auch nur indirekt — mit diesen Staaten verbünden wird.
Wenn die Völker Asiens und deren Führer aus diesem Grunde die kommunistische Expansion nicht fürchten, so sollte ihre Weigerung, der großen Allianz beizutreten, verstanden und akzeptiert werden. Auf Grund früherer Erfahrungen verdächtigen sie diese Allianz, daß sie auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen und den Nationalinteressen der westlichen Staaten fußt. Mag sein, daß die Asiaten Unrecht haben, daß sie ihre eigenen Interessen nicht einmal erkennen, es kommt jedoch nichts Gutes dabei heraus, sie zu diffamieren oder ihnen anzuhängen, sie wären heimliche Kommunisten.
Der zweite Punkt, der die Kluft zwischen Amerika und Indien noch tiefer aufreißt, ist die schwankende Haltung, die Amerika in der letzten Zeit in der Kolonialfrage eingenommen hat. Amerikas traditionelle Haltung in puncto Kolonialpolitik und seine Erfolge auf den Philippinen werden in Indien voll und ganz anerkannt. Was aber weder Indien noch irgendeine andere asiatische Macht versteht, ist die bequeme, immer mehr um sich greifende Ansicht, daß der Kolonialgedanke der Vergangenheit angehöre, daß wir in Indien seinen Überbleibseln zu viel Bedeutung beimessen, und daß wir im Grunde gegen Schatten kämpfen, wenn wir diesen zum Angelpunkt der Unterschiedlichkeit zwischen uns und dem Westen machen. Eine kurze Betrachtung zeigt, daß, wenn auch die alte Kolonial-ideedes Ländereibesitzes und der abwesenden Gutsherren tot ist, doch ein neuer und gefährlicherer Kolonialgedanke in Afrika in der Entwicklung begriffen ist. Die Umrisse dieser neuen Phase der europäischen Ausbeutung zeichnen sich in Kenya, Zentralafrika und in den nordafrikanischen Ländern ziemlich deutlich ab. Es ist ein klarer Versuch, kleine europäische Gemeinschaften zu entwickeln, politische und wirtschaftliche Rechte in diesen zu verankern, die eingeborene Bevölkerung der Nutznießung großer Landstriche zu berauben, sie zu Sklavenarbeitern zu machen und somit „weiße“ Kolonialstaaten zu gründen, deren Prototyp das Südafrika Malans ist. In Kenya wird diese Politik mit einer Unbarmherzigkeit durchgeführt, die wenige Parallelen in der Kolonialgeschichte aufweist. Es ist zweifellos wahr, daß die Reaktion der Kikuyu auf diese Politik der Unterdrückung der Eingeborenen von primitiver Wildheit gewesen ist, aber wieviele Grausamkeiten die Mau-Mau auch begangen haben möge — sie können nicht die Tatsache verdecken, daß England versucht hat, eine kleine Gemeinschaft von Ansiedlern, die außergewöhnliche wirtschaftliche Rechte genießt und ein Gebiet im Hochland für sich in Anspruch nimmt, mit politischer Macht auszustatten. Auch die kürzlich gegründete Zentralafrikanische Föderation kann als nichts anderes als ein Versuch angesehen werden, die europäische Herrschaft nach Zentralafrika zu verpflanzen. Besteht irgendein Unterschied in der Politik Frankreichs in Tunesien und Marokko? Alle die sogenannten Reformen, die Frankreich eingeführt hat, haben einen einzigen hervorstechenden Zweck — den französischen Ansiedlern die Rechte zu bewahren, die den Landeskindern gehören.
Dieses neue Kolonialsystem, das auf der Lehre der rassischen Überlegenheit und der wirtschaftlichen Ausnutzung aufgebaut ist, wird mit passiver Duldung, wenn nicht sogar mit aktiver Unterstützung der Vereinigten Staaten entwickelt. Die Debatten über Tunesien und Marokko vor der UNO lassen klar zu Tage treten, das Amerika aus Zweckmäßigkeitsgründen — wenn es auch vielleicht nicht mit der Politik seiner Bundesgenossen einverstanden ist — ein stiller Teilnehmer und Bundesgenosse ist in dem großangelegten Schema der kolonialen Mächte, Afrika „aufzurufen“ (wie Canning es bei einem geschichtlichen Anlaß von Südamerika sagte), um das durch den Verlust der Kolonien in Asien gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen.
Es taucht oft die Frage auf, warum Indien und andere asiatische Länder so heftig gegen die europäische Kolonialherrschaft protestieren, während sie über die Kolonialherrschaft der Sowjets kein Wort verlieren. Die Antwort ist einfach. Die Sowjets haben niemals den Anspruch erhoben, sie verkörperten die freie Welt. Sie haben niemals Indien oder irgendein anderes Land aufgefordert, seine Macht mit der ihrigen zu vereinigen. Sic haben eine andere Ideologie, und so lange sie uns ihre Meinung nicht aufzwingen, werden wir ihnen die unsrige nicht aufzwingen. Aber im Falle der Freien Welt handelt es sich um etwas anderes. Wenn wir uns weigern, uns mit der freien Welt gleichzuschalten, so heißt es, daß wir moralisch tadelnswert handeln und eine schlechte Politik verfolgen. Aus diesem Grunde ist es für uns wichtig zu wissen, was die freie Welt darstellt. Eine derartige Frage erhebt sich nicht in Bezug auf die Sowjetunion, da wir wissen, was Kommunismus bedeutet, und wir ihn selbst bekämpft haben, während andere mit Moskau fraternisierten.
Das Problem China
Schließlich ist da noch das wichtige Problem China — der Hauptpunkt in der Gegensätzlichkeit zwischen den Vereinigten Staaten und Indien. Der indische Standpunkt ist wohl bekannt und oftmals umrissen worden. Er besagt, daß das Regime von Peking, welches das gesamte Festland unbestritten beherrscht, einen berechtigten Anspruch auf den China durch die Charta der Vereinten Nationen gegebenen Sitz hat, und weiter, daß jede Politik, welche die Tatsache leugnet, daß die Zentrale Volks-regierung die wirkliche Regierung Chinas darstellt, äußerst unrealistisch ist und nur zu weiteren Verwicklungen in den internationalen Beziehungen führen kann. Nach einer Periode der Unsicherheit nimmt Amerika den Standpunkt ein, China befinde sich in einem fortdauernden Bürgerkrieg und von den zwei Parteien repräsentiere Tschiang Kai-Schek und seine Gruppe auf Formosa die legitime Regierung und habe deshalb Anspruch auf die Rechte, welche China zugestanden werden müssen. Ferner wird vorgebracht, daß, selbst wenn man einräumt, das Regime von Peking sei dadurch, daß es die Kontrolle über das gesamte Festland ausübt, die wirkliche Regierung Chinas, dieses sich selbst des Rechtes auf Mitgliedschaft in der UNO begeben habe, indem es sich eines Aktes der Aggression schuldig gemacht und gegen die Streitkräfte der Vereinten Nationen gekämpft habe. Über den ersten Punkt braucht nicht viel gesagt zu werden. Die meisten Länder Asiens, mit Ausnahme von Siam, Südkorea und der Philippinen, erkennen das Regime von Peking als die einzige legitime Regierung Chinas an. Nicht nur Indien, Burma und Indonesien sondern auch Ceylon, Pakistan und Afghanistan erkennen die Pekinger Regierung an. Nach der in Asien vorherrschenden Auffassung gibt es also keinen fortdauernden Bürgerkrieg in China. Für ein besseres Verständnis der Gegensätzlichkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Indien in Bezug auf das Eingreifen Pekings ist jedoch eine eingehende Untersuchung des indischen Standpunktes erforderlich.
Der Koreakonflikt entstand in der letzten Juniwoche des Jahres 1950. Fast unmittelbar darauf dehnte Präsident Truman durch eine einseitige Erklärung das Schutzgebiet der 7. Flotte bis auf Formosa aus, mit anderen Worten, er mischte sich in den chinesischen Bürgerkrieg ein, indem er ein Gebiet unter amerikanischen Schutz stellte, in welchem eine der betroffenen Parteien ihr Hauptquartier errichtet hatte. Die Pekinger Regierung protestierte gegen diese Aktion, da sie einen Akt der Aggression darstelle und brachte die Angelegenheit vor den Sicherheitsrat. Es besteht kein Zweifel, daß das Vorgehen Amerikas nach der Auffassung vieler asiatischer Länder eine Einmischung in die Revolution bedeutete, und Peking schien es mit Recht als eine Agression zu betrachten, zumal die Vereinten Nationen die Handlungsweise Amerikas nicht unterstützten. Selbst da rührten sich die Chinesen noch nicht, sondern brachten die Angelegenheit lediglich vor den Sicherheitsrat. Der Krieg in Korea wurde ohne Intervention von Seiten der Chinesen fortgesetzt. Dann kam die Landung in Inchon und das Vordringen nach Norden. Als die UNO-Streitkräfte sich dem 38. Breitengrad näherten, kündigte die Regierung von Peking offiziell an, daß sie, falls nicht-koreanische Streitkräfte den 38. Breitengrad überschreiten würden, nicht müßig bleiben sondern mit Nachdruck intervenieren würde. Das Kommando der Vereinten Nationen entschied, nachdem es den Vorwurf der Aggression zurückgewiesen hatte, den Kampf auf feindliches Gebiet zu tragen. Die Chinesen sehen dies als einen weiteren Akt der Aggression an und griffen, als die UNO-Streitkräfte sich dem Yalufluß näherten, mit Truppenmacht — wie sie gedroht hatten — an und warfen die UNO-Armeen zurück.
In diesem Zusammenhang sind noch zwei andere Faktoren zu beachten. Der erste ist; der Besuch des Obersten Befehlshabers im Fernen Osten und Kommandeurs der UNO-Streitkräfte, General McArthur, bei Tschiang Kai-schek auf Formosa und die Verlautbarung über ihre Beratungen bezüglich einer gemeinsamen Verteidigung dieser Insel. Diese Veröffentlichung, die noch vor der chinesischen Intervention in Korea abgegeben wurde, unterstrich somit, wie eng in der Vorstellung Amerikas der Krieg und der angeblich andauernde Bürgerkrieg in China miteinander verquickt waren. Der zweite Faktor ist der Brief General McArthurs an die Vereinigung ehemaliger Kriegsteilnehmer, mit welchem er erklärte, die Kontrolle über Formosa sei von vitaler Bedeutung für die amerikanische Strategie im Pazifik. Hierdurch bestärkte er die Chinesen in der Über-zeugung, daß Trumans Befehl an die 7. Flotte eine bewußte Aggression gegen China war. Zwar wurde General McArthurs Brief zurückgezogen und das State Department distanzierte sich von seiner Handlungsweise, Formosa blieb aber weiterhin unter amerikanischem Schutz.
Die chinesische Aggression war daher für die meisten Asiaten eine stark in Zweifel zu ziehende Angelegenheit. Dies wurde klar, als die Resolution, China als Angreifer zu brandmarken, Ende Januar 1951 eingebracht wurde. Es ist seltsam, daß, obgleich die chinesische Einmischung im Oktober 1950 stattfand, die Vereinten Nationen bis Ende Januar 1951 warteten, um sich darüber klar zu werden, ob von Seiten Chinas eine Aggression vorlag oder nicht. Es ist ebenfalls bezeichnend, daß, als die Angelegenheit zur Abstimmung kam, die Resolution nicht die Unterstützung Indiens, Burmas, Indonesiens und anderer Länder Asiens fand. Die asiatischen Staaten waren offensichtlich nicht der Auffassung, daß China sich eines Angriffes schuldig gemacht habe. Obwohl die Resolution durchkam, wurde der Beschuldigung augenscheinlich keine große Bedeutung beigemessen, denn sonst hätten die Vereinten Nationen keine Verhandlungen mit den chinesisch-koreanischen Streitkräften aufnehmen können, weil dies bedeutet haben würde, einen Vergleich mit der Aggression zu schließen und die Grundsätze der Vereinten Nationen zu verraten. Ein Angreifer muß ex hypothesis bestraft werden, aber anstatt entsprechend zu handeln, sind die Vereinten Nationen, nachdem sie China bewußt als Aggressor gebrandmarkt haben, ebenso bewußt in Verhandlungen mit seiner Regierung eingetreten.
Diese Umstände haben Indiens Auffassung nur noch bestätigt, daß es nämlich der größte politische Irrtum sei, die Regierung von Peking von den Vereinten Nationen auszuschließen und dies bleibt ein vitaler Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und Indien. Die anderen, weniger wichtigen Schwierigkeiten, wie die Weigerung Indiens, an dem von den Vereinigten Staaten geförderten Vertrag-mit Japan teilzunehmen, seine Weigerung, der amerikanischen Führung bezüglich des Handels mit China zu folgen, usw., entspringen aus dieser fundamentalen Gegensätzlichkeit.
Der „Neutralismus" Indiens
Im Lichte der vorausgegangenen Auseinandersetzung ist es nunmehr möglich zu erklären, was unter Indiens sogenanntem „Neutralismus“ zu verstehen ist. Indiens Verbindungen, seine Sympathien und ganz allgemein seine Berührungen mit der Welt sind alle auf die demokratischen Staaten gerichtet. Seine Beziehungen zu Großbritannien und einigen der Commonwealth-Länder sind sehr eng. Trotz der unterschiedlichen Politik unterhält es herzliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und auf sehr vielen Gebieten besteht zwischen den beiden Regierungen eine freundschaftliche Zusammenarbeit. Indiens Beziehungen zur Sowjetunion und China sind ganz anderer Art. Sie sind zweifellos freundschaftlich, aber weder auf wirtschaftlichem noch auf politischem Gebiet gibt es irgend etwas, was einer aktiven Zusammenarbeit gleichkäme. In umfassenderem Sinne lebt Indien daher mit und in der demokratischen Welt. Aber in dem, was der Kalte Krieg genannt wird, geht es mit den Vereinigten Staaten und dessen Freunden nicht konform, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es — wie wir gesehen haben — die Voraussetzungen, auf denen Amerikas Politik basiert, nicht gelten läßt. Indiens vorherrschendes Interesse gilt dem Frieden, was zweifellos auch auf die Vereinigten Staaten zutrifft; aber es ist fest davon überzeugt, daß dem Frieden durch die Politik, wie sie im Kalten Krieg ihren Höhepunkt erreicht hat, nicht gedient ist. Indien mag im Unrecht sein, aber es ist um keinen Preis bereit, sein selbständiges Urteil in solch einer wichtigen Angelegenheit aufzugeben.
Indien hegt genau so wie die Vereinigten Staaten die entschiedene Auffassung, daß der Kommunismus eine Gefahr ist, aber es glaubt, daß die Gefahr nur dann bedrohlich werden wird, wenn die freien Nationen in Asien unfähig sind, ihr wirtschaftliches und politisches Leben auf einer soliden und dauerhaften Basis zu organisieren. Der Streit zwischen Demokratie und Kommunismus muß in der inneren Struktur jedes Staates selbst ausgefochten und beigelegt werden. Wenn Indien und die Nationen Südasiens in der Lage sind, ihren Lebensstandard zu verbessern, ihre Gesellschaft zu modernisieren, ihre Hilfsquellen auf das vorteilhafteste auszunutzen, ihren Völkern Bildung und Gesundheit zu verschaffen, dann werden sie den Kommunismus überwinden können. Dies ist der Kampf, in den Indien verwickelt ist und es ist fest entschlossen, ihn nicht zu verlieren. Wenn die amerikanische Regierung auch die politischen Gegensätze, die uns trennen, bedauert, so hat sie doch die Bedeutung dieses Kampfes erkannt und uns in manch wichtiger Hinsicht reichliche Hilfe zuteil werden lassen. Indien begrüßt diese Hilfe und hofft, daß das Feld der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten sich mit der Zeit noch ausdehnen wird.
Wenn die politischen Kontroversen, die zwischen zwei selbständigan Ländern unvermeidbar sind, auf ihre wahren Proportionen zurückgeführt werden, so läßt sich erkennen, daß die Vereinigten Staaten und Indien auf vielen lebenswichtigen Gebieten praktisch zusammenarbeiten. Um diese Zusammenarbeit noch ergiebiger und umfassender zu gestalten, muß der eine den Standpunkt des anderen verstehen und die aus ehrenhaften Motiven herrührenden Meinungsverschiedenheiten tolerieren, selbst wenn sie im Augenblick hinderlich sind.