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Deutsche Orientpolitik heute | APuZ 10/1954 | bpb.de

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APuZ 10/1954 Kommunismus und Islam Deutsche Orientpolitik heute Siegt Atatürk über das Grab hinaus?

Deutsche Orientpolitik heute

Abdel Megid Amin

ger, wie ich sagte. Aber er durchdringt kraftvoller Leben und Gedanken seiner Anhänger. Fromme Moslems—und die meisten Moslems sind fromm — dulden nicht lange weder einen atheistischen Glauben noch einen, der ihre traditionellen religiösen moralischen Grundsätze verletzt, die von westlichen Betrachtern nur zu gerne übersehen werden, weil sie nicht mit den unsrigen übereinstimmen. Der gegenwärtige Aufstand der Moslems gegen die Unmoral und den Opportunismus ihrer eigenen und einiger westlicher Führer könnte für die Kommunisten mit ihrer in Erscheinung tretenden selbstlosen Hingabe an ein Ideal günstig sein, aber er wird sich gegen den Kommunismus richten, wenn die Moslems die Wirklichkeit hinter der Propaganda begreifen lernen. Hoffen wir, daß sie dazu nicht allzu lange Zeit brauchen.

In jedem Falle können wir nicht viel zu der Sache tun. Zweifellos ist unsere öffentliche und politische Moral besser als die der Kommunisten, doch ist der Unterschied offensichtlich nicht genügend groß oder auffallend, um auf die übrige Welt einen nennenswerten Eindruck zu machen. Die Menschen, die die westliche Demokratie in ihren Verbindungen zum Islam vertreten, sind sicher ehrenwerte Männer, die eine wichtige und verdienstvolle Arbeit leisten, aber als Förderer einer moralischen und religiösen Wiedergeburt sind sie nicht überzeugend. Wir Westler können viel zur Förderung des materiellen Wohlstandes tun und den materiellen Lebensstandard der islamischen Länder heben. Wir können vielleicht auch dazu beitragen, eine positive Einstellung gegenüber uns, unseren Ideen und Zielen hervorzurufen, und das heißt zu rechtfertigen. Aber in der gegenwärtigen Krise muß der Islam aus sich selbst heraus die moralische Kraft und die seelische Stärke finden, um der großen weltlichen Häresie unserer Zeit zu widerstehen. Wir können nur abwartend beiseite stehen.

Mit Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, veröffentlichen wir die in der Zeitschrift AUSSENPOLITIK (Heft 1/54) erschienenen Aufsätze von Abdel Megid Amin und Alfred Joachim Fischer. Wir übernehmen auch ausdrücklich die nachstehende Vorbemerkung der AUSSENPOLITIK:

„Unserer Informationspflicht folgend, veröffentlichen wir diese freimütigen Darlegungen des Kairoer Publizisten über den arabischen Standpunkt.“

Im Jahre 1209 christlicher Zeitrechnung, als noch in Nordamerika die rothäutigen Eingeborenen des Landes frei durch die endlosen Jagd-gefilde ihrer Heimat streiften und im dämmerigen, kühlen Nordeuropa die Sendboten der Römischen Kirche in ihren Kathedralen, Klöstern und Schulen der einheimischen Bevölkerung die christlichen Heilslehren und auch noch einiges Wissen aus der griechisch-römischen Antike vermittelten, diskutierte unter einem klareren Himmel, im goldenen Palermo auf Sizilien, ein 15jähriger deutscher Fürst aus dem Geschlechte der Hohenstaufen mit den Philosophen des Landes die damals in islamischen Kreisen beliebte Frage: „Ist Gott oder ist Gott nicht?" Wie wir wissen, in einem glänzenden Arabisch: der Knabe verdankt den größten Teil seiner Erziehung und Bildung jenen arabischen Gelehrten, die damals im arabisch zivilisierten Sizilien, an dieser Schwelle vom Morgen-zum Abendland, über das universalste Bildungsgut ihrer Zeit verfügten. Kein Wunder also, daß der junge sizilische Staufer-fürst unter der Obhut seiner weltoffenen und hochgebildeten Erzieher später als Kaiser Friedrich II. auf dem Gebiete der deutsch-orientalischen Verständigung für alle Zeiten Vorbildliches geleistet hat.

Das ewige Drängen des Heiligen Vaters in Rom, doch nun endlich den schon längst fälligen fünften Kreuzzug nach dem Heiligen Lande Palästina zur Eroberung der Heiligen Stätten zu unternehmen, lehnte Friedrich II. mit überlegener Handbewegung ab. Auch die daraufhin erfolgenden, weit durch Europa hallenden beiden Bannflüche rührten ihn ebensowenig wie die zahllosen Verleumdungen, die ihn durchaus als Anhänger des Islams kennzeichnen wollten. Souverän entschied er den Zeitpunkt für „seinen" Kreuzzug, schiffte eines Tages seine Truppen in Süditalien ein, legte sie an der palästinensischen Küste in Quartiere, verbot ihnen, sich in betrunkenem Zustand in der Öffentlichkeit zu zeigen oder sich um fremde Frauen zu kümmern, und ritt mit seiner Begleitung nach Jerusalem, um dort den Herrn der Heiligen Stätten, Sultan Kamil von Ägypten, zu treffen.

Stundenlang spielten die beiden Fürsten Schach, scheinbar ihre Hauptbeschäftigung; nebenbei kam ein gentlemen’s agreement zustande, das den deutschen Kaiser auf lange Zeit verpflichtete, für den Schutz aller in Jerusalem befindlichen heiligen Stätten des Christentums, Islams und Judentums Sorge zu tragen, so wie es die islamischen Fürsten jahrhundertelang voiher gehalten hatten. Daß sich bei dieser Gelegenheit Kaiser Friedrich II. in Jerusalem die siebente Krone aufs Haupt setzte, störte den Sultan und die ägyptisch-islamische Generalität in Jerusalem nicht weiter: die Deutschen machten — Truppe wie Führer — einen sympathischen und vor allem zuverlässigen Eindruck, und das genügte. Dank der weltoffenen, ritterlichen Politik dieses unter Arabern ausgewachsenen deutschen Kaisers erreichte das „Erste Reich", trotz der gigantischen Opposition der Römischen Kirche, unter Friedrich II.seine größte Ausdehnung: Deutschlands Grenzen reichten in den Jahren 1229— 1244, einmalig und unwiederbringlich, von Hamburg bis Jerusalem.

Betrachtet man nun Friedrich II. und seine Orientpolitik durchaus unromantisch, so ist nichts Mystisches, Unfaßbares oder Märchenhaftes in der Tatsache zu finden, daß hier — einmalig in der Geschichte der Deutschen — ein deutscher Kaiser das seltene Schicksal hatte, in zwei ganz verschiedenen Welten aufzuwachsen, und daß er nicht nur die Verpflichtung verspürte, sondern auch die Fähigkeit besaß, diesen Erfahrungsschatz aus beiden Welten erfolgreich für sein Land und zu gleicher Zeit auch für eine bessere Verständigung zwischen dem christlichen Europa und dem islamischen Orient nutzbar zu machen. Daß also Jerusalem einstmals, zur Freude des gesamten damaligen Abendlandes, ohne einen Schwertstreich deutsch wurde, war ausschließlich der einmaligen Haltung und Leistung dieses außerordentlichen Mannes zu verdanken — eines Mannes, der in der Geschichte der Menschheit einen hervorragenden Platz unter den großen Versöhnern zwischen der Welt Europas und der Welt Asiens und Afrikas einnimmt: Kaiser Friedrich II. aus dem Geschlecht der Hohenstaufen, ausgewachsen zwischen Morgen-und Abendland — gleich Wolfgang von Goethe das Idealbild eines universalen Deutschen.

Noch länger als 500 Jahre, nachdem Jerusalem und Palästina schon längst von den Deutschen geräumt waren, führten deutsche Kaiser des Römischen Reiches Deutscher Nation den Titel eines Königs von Jerusalem, und zwar bis zum Jahre 1806. Erst unter dem „Zweiten Reich" der Hohenzollern, unter dem Deutschlands Ansehen in der Welt, vornehmlich im ganzen Orient, außerordentlich groß war, betrat ein deutscher Kaiser wieder den Boden Palästinas und verkün-dete bei seinem Staatsbesuch in Jerusalem im Jahre 1898 — eingedenk der Orientpolitik des großen Hohenstaufenkaisers vor mehr als 600 Jahren — feierlich vor türkischen Regierungskreisen und der arabischen Bevölkerung: „Ich bin der Freund aller Muhammedaner!“ Diese Worte des Herrschers einer der bedeutendsten Nationen Europas fanden damals in der ganzen islamischen Welt starken Widerhall. Denn hinter diesen Worten standen jahrzehntelange deutsche Leistungen — daheim wie im ganzen Orient — zugunsten einer besseren Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Ländern des Orients: solide deutsche Exportwaren, gute Fachkräfte, deutsche Schulen, Hospitäler, Institute und gemeinnützige Einrichtungen in allen größeren Städten des Orients, Lehrstühle für klassisches Arabisch an fast jeder deutschen Universität und schließlich eine Fülle von Vorträgen und Publikationen über die verschiedensten Fragen des Orients.

Groß wahr auch im Kaiserreich die Zahl der deutschen Gelehrten, die sich in stiller Forscher-tätigkeit ein Leben lang mit dem Studium der verschiedensten Gebiete der Orientalistik be-faßten. Auch dürfen die Taten und Abenteuer deutscher Diplomaten während des ersten Weltkrieges im Orient nicht vergessen werden: wie der deutsche Konsul Wassmus in Südpersien, allein und abgeschnitten von allem, die dortige Bevölkerung neutralisiert, und wie es Dr. von Hentig, dem jetzigen deutschen Botschafter in Indonesien, in diplomatischer Sondermission gelang, durch eine 11000 Mann starke anglo-russische Sperrkette in Persien durchzustoßen, auftragsgemäß nach Afghanistan zu gelangen und von dort in abenteuerlicher Flucht um die andere Hälfte des Erdballs sich eines Tages wieder im Auswärtigen Amt in Berlin einzufinden. Es hat also sowohl im Ersten wie im Zweiten Reich zahlreiche hervorragende Männer gegeben, die — jeder auf seinem Arbeitsgebiet — ihre Lebensarbeit der Verständigung zwischen Deutschland und dem Orient gewidmet und im übrigen Erhebliches zu einer aktiven und erfolgreichen Orientpolitik beigetragen haben. Die Weimarer Republik bemühte sich, die sehr positive Orient-politik des Kaiserreiches langsam weiter auszubauen. Wie stand es nun mit der Orientpolitik unter Hitler?

Die Stellungnahme Hitlers

Im Jahre 1928 schlug eine Gruppe arabischer Studenten dem Parteiführer der Nationalsozialisten und späteren Regierungschef Adolf Hitler in München die Gründung eines „Bundes der unterdrückten Völker“ vor — als Gegengewicht gegen den weltweiten Druck der alliierten Mächte. Die jungen Leute hatten Deutschland, Irland, Indien, und die arabischen Länder im Sinne. Hitler wehrte heftig ab: Irland, das sei eine englische Angelegenheit, Indien sei zu schwach und unkriegerisch und die arabischen Länder, ja, die seien „rassenfremd“, und im übrigen sei das ganze Projekt realpolitisch nicht durchführbar. Worauf sich die jungen Araber in ihrer unzerstörbaren Deutschlandbegeisterung an General Ludendorff wandten, der ihnen in seinem Tannenbergbund Gelegenheit gab, in Vorträgen und Artikeln für ihren Freiheitskampf zu werben. "

Ungefähr ein Dutzend Jahre später waren die Araber sowie der übrige Orient für Hitler nicht mehr so rassenfremd wie vordem und eine Zusammenarbeit schien ihm jetzt realpolitisch sehr wohl durchführbar. Diese Wandlung war in der Hauptsache der Tatsache zu verdanken, daß der bekannteste arabische Nationalist, der Großmufti von Jerusalem, Amin al Hussein!, von Persien quer durch die Türkei, Albanien und Italien nah Deutshland fliehen mußte, das für ihn unter den obwaltenden Umständen als einzige Zufluhtsstätte für längere Zeit in Frage kam. Hitler nutzte diese arabishe Chance in seiner Art aus, mit dem Endergebnis, daß er zwar noh heute im Orient als der große „Führer“ angesehen wird, niht jedoh als ausgesprohener Freund der Araber und der islamishen Welt in der Weise, wie es die beiden Herrsher des Ersten und Zweiten Reihes, die Kaiser Friedrih II. und Wilhelm II., einst feierlih verkündet und durh ihre Taten bewiesen hatten. Immerhin genoß Hitler während des zweiten Weltkrieges — und niht etwa nur auf Grund seiner proarabishen Rundfunkpropaganda — in der arabischen Welt ein unbegrenztes Vertrauen, und zwar trotz seiner Rassentheorien und seiner inneren Abneigung gegenüber der Welt des Orients und trotz seiner vollkommen mangelhaften Unterstützung des um Hilfe flehenden Iraks. Und dieses Vertrauen konnte auch nicht durch die sehr intensive Gegenpropaganda der Alliierten erschüttert werden. So erklärte z. B. das Staatsoberhaupt eines arabischen Staates, das man infolge seiner bekannten proalliierten Einstellung bestimmt nicht als ausgesprochenen Deutschen-freund bezeichnen könnte, in einer privaten Unterhaltung im Herbst 1940 auf die Frage, ob er nicht bei einer eventuellen Besetzung seines Landes durch die deutschen Nationalsozialisten die Anwendung der Nürnberger Rassengesetzgebung auf die Araber fürchte, ohne Zögern: „Ich glaube, daß Hitler sich in diesem Falle als Staatsmann erweisen und von einer Anwendung der deutschen Rassengesetze auf die Araber Abstand nehmen wird." Im ganzen gesehen kann man also sagen, daß die Orientpolitik des Dritten Reiches unter Hitler zwar der Kraft der inneren Überzeugung sowie ausreichender Mittel entbehrte, jedoch an dem Tatbestand der traditionellen guten Beziehungen zwischen Deutschland und dem Orient nichts änderte, was jedoch keineswegs das ausschließliche Verdienst Hitlers war.

Zusammenfassend ist also festzustellen, daß seit mehr als 1100 Jahren freundschaftliche Beziehungen zwischen den Deutschen und der Welt des Orients bestehen: angefangen von dem feierlichen Empfang der arabischen Gesandtschaft aus Bagdad am Hofe Karls des Großen zu Aachen über den fließend Arabisch sprechenden deutschen Kaiser Friedrich II., den ersten deutschen König von Jerusalem, über den größten deutschen Dichter Wolfgang von Goethe, der noch in seinem Alter Arabisch lernte und den „WestÖstlichen Diwan“ schrieb, über die große Zahl pflichtbewußter deutscher Offiziere und Reorganisatoren der türkischen Armee von Graf Helmuth von Moltke bis zum Freiherrn von der Goltz Pascha, über den „Freund aller Muhammedaner", den orientbegeisterten Förderer der Bagdadbahn Kaiser Wilhelm II., der dem türkischen Volk einen schönen Marmorbrunnen in Konstantinopel schenkte, über die Taten deutscher Offiziere und Diplomaten wie Wassmus und von Hentig, über die große Zahl deutscher Gelehrter, die sich der Orientalistik widmeten bis zur zweckbestimmten Rundfunkpropaganda Hitlers, die in allen Sprachen des Orients den ganzen Orient von Marokko bis Turkestan und Indien zur Befreiung vom alliierten Einfluß aufrief und mit ihren Kurzwellenrichtstrahlern selbst noch die Auslandsaraber in Nord-und Südamerika ansprach.

Aber auch auf der anderen Seite gab es Mut, Tapferkeit, Vertrauen, beharrliche Arbeit und Zielstrebigkeit: angefangen von der arabischen Gesandtschaft, die unermüdlich die kostbaren Geschenke für Kaiser Karl den Großen von Bagdad bis Aachen durch unbekannte Länder schleppte, über das Vertrauen, das Sultan Kamil von Ägypten dem Hohenstaufenkaiser Friedrich II. entgegenbrachte, über die zahllosen Angehörigen aller Länder des Orients, die in zwei Weltkriegen auf deutscher Seite kämpften, über die große Zahl von Studenten aus allen Ländern des Orients bis zu den Vorkämpfern für die arabische Freiheit, Hadsch Muhammed Amin al Husseini, dem Großmufti von Palästina und seinen Mitarbeitern, die — ohne furchtsam in ein neutrales Land auszuweihen — zusammen mit der deutschen Bevölkerung den Krieg bis zum bitteren Ende miterlebten.

Das deutsch israelische Wiedergutmachungsabkommen

Männer, Taten und Opfer auf beiden Seiten im Dienste der Verständigung und Freundshaft zwishen Deutshland und der Welt des islamishen Orients seit mehr als einem Jahrtausend! Dieses Vermächtnis ausgezeihneter deutschorientalisher, insbesondere deutsh-arabischer und deutsh-türkisher Beziehungen verpflihtet auch die Nahfahren, verpflihtet jede gegenwärtige und jede kommende deutshe Regierung, das Erbe ihrer Väter zu ahten und zu bewahren — auh die heutige westdeutshe Bundesregierung, was immer für zeitlih begrenzte Einzelentsheidungen sie auf dem Gebiete der Orientpolitik auh treffen mag.

Nun ist allerdings die westdeutshe Bundesrepublik erst sei wenigen Jahren wieder in der Lage, eine eigene Außenpolitik zu treiben. Das entshuldigt manhes, aber keineswegs alles.

Auf dem Sektor der Orientpolitik ist festzustellen, daß die neue deutshe Orientpolitik nah dem zweiten Weltkrieg die traditionellen freundshaftlihen Beziehungen zum arabishen Orient gleich zu Beginn mit einer schweren Hypothek belastet hat, nämlich mit dem deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommen, das am 18. März 1953 im Bonner Bundestag fast mit 2/3 Mehrheit, mit Einschluß der sozialdemokratischen Stimmen, angenommen wurde und dessen vertragliche Durchführung dem Staate Israel eine klare militärische Überlegenheit im ganzen Orient sichern würde, die allerdings die arabischen Staaten niemals ohne entsprechende Gegenmaßnahmen hinnehmen könnten.

Die westdeutsche Bundesregierung und die westdeutsche Presse haben als offiziellen Grund für die Unterzeichnung und Ratifizierung dieses Abkommens angegeben, daß sich das deutsche Volk zu dieser Wiedergutmachung an den von dei deutschen nationalsozialistischen Regierung geschädigten Juden moralisch verpflichtet fühle. Zweifellos ist gegen einen Entschluß, Schäden und Unrecht wiedergutmachen zu wollen, von keiner Seite etwas einzuwenden, natürlich auch nicht von arabischer Seite. Wenn also die westdeutsche Bundesregierung grundsätzlich die einzelnen geschädigten Juden bzw. ihre Hinterbliebenen persönlich entschädigt — und sie tut dies bereits laufend seit acht Jahren, d. h.seit Kriegsende bis zur Stunde — so haben, wie gesagt, die Araber nichts dagegen zu sagen. Wenn jedoch die westdeutsche Bundesregierung darüber hinaus nicht etwa dem einzelnen geschädigten Juden, sondern dem Staate Israel als solchem Waren und Gelder im Werte von 3, 45 Milliarden DM liefert, und der 1948 gegründete Staat Israel damit seinen Staashaushalt besser ausgleichen und sein Rüstungspontential außerordentlich erweitern kann, so dürfte es begreiflich sein, daß die arabischen Staaten hierin eine Gefahr für ihre staatliche und volkliche Existenz sehen. Und diese Bedrohung ihrer Existenz müssen die Araber nun nicht etwa von imperialistischer Seite, sondern ausgerechnet von seifen ihrer besten Freunde, den Deutschen, erleben, mit denen sie eine mehr als tausendjährige Freundschaft verbindet und die sie als einzige große westliche Nation nach wie vor aufrichtig verehren und lieben.

Die arabische Öffentlichkeit ist grundsätzlich der Meinung, daß es für die Deutschen auch noch andere Mittel einer „moralischen Wiedergutmachung am Judentum“ gibt, als enorme Reparationslieferungen im Werte von 3, 45 Milliarden DM an den Staat Israel sowie an die jüdischen Weltorganisationen. Dies ist ein Standpunkt, der bekanntlich von allen selbstbewußten jüdischen Kreisen in Israel geteilt wird und der zu wiederholten tumultuarischen Protesten in-und außerhalb des israelischen Parlaments geführt hat.

Nun ist in arabischen Kreisen wiederholt die Frage aufgeworfen worden, wie es überhaupt zu dem Entwurf, der Unterzeichnung und der Ratifizierung dieses deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens hatte kommen können. So wurde behauptet, daß ein entsprechender Drude von seifen der USA und Englands auf die westdeutsche Bundesregierung ausgeübt worden sein soll. Auf eine solche Anfrage äußerte sich der stellvertretende Generalsekretär der Arabischen Liga Ahmad el Schukeiri auf der Pressekonferenz der Liga am 19. September 1952: „Es existieren viele Berichte, die besagen, daß ein solcher Druck auf Deutschland ausgeübt worden sein soll, doch dürfte es für die arabische Seite schwer sein, dies so einwandfrei festzustellen, wie man etwa seine Hand auf ein unwiderlegbares Beweisstück legen kann." Andere arabische Kreise haben behauptet, daß die westdeutsche Bundesregierung vollkommen frei in ihren diesbezüglichen Entschlüssen gewesen sei. Auch wurde gesagt, daß weite Kreise des deutschen Volkes ehrlich überzeugt sein sollen, durch dieses Wiedergutmachungsabkommen einen Teil ihrer moralischen Schuld abtragen zu können.

Wie dem auch sei, fest steht jedenfalls, daß weder die Deutschen noch die Juden innerhalb und außerhalb Israels, noch interessierte alliierte Kreise die Wirkungen und Folgen dieses Abkommens übersehen haben.

Echtes Vertrauen zu Deutschland

Was können nun die Deutschen tun, um die Folgen dieses Abkommens für die westliche Welt zu paralysieren und die schwere Hypothek, mit der die Orientpolitik der westdeutschen Bundesregierung gleich bei ihrem Start belastet wurde, zu tilgen?

Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß die deutsche Orientpolitik heute — im Zeichen der Europagemeinschaft und des Altantikpaktes — keine zweiseitige Angelegenheit mehr zwischen Deutschland und den Ländern des Orients ist, wie es einst vor dem ersten, ja selbst noch vor dem zweiten Weltkrieg — im Zeitalter der nationalen Staaten — der Fall war. Zu jener Zeit befand sich die Rivalität der europäischen Großmächte um die wirtschaftliche, politische und kulturelle Vorherrschaft in den Ländern des Orients auf dem Höhepunkt.

Bereits der erste Weltkrieg, der doch eine rein westliche Angelegenheit war, wurde von den europäischen Mächten zu einem erheblichen Teil in den Orient und in fast alle Teile Afrikas hineingetragen. Auf der anderen Seite überschwemmten Truppenteile aus Angehörigen fast aller Völker Asiens und Afrikas die europäischen Kriegsschauplätze. Damit begann jene Entwicklung in den Beziehungen zwischen der westlichen Welt und dem asiatisch-afrikanischen Blöde, die dazu geführt hat, daß heute nicht nur in ganz Asien, sondern bereits auch in dem größten Teil Afrikas die Anwesenheit und die Tätigkeit der Europäer von der einheimischen Bevölkerung mit kritischen, teilweise sogar mit sehr kritischen Augen betrachtet wird. Heute ist das Ansehen der westlichen Welt, trotz ihrer ungeheuren technischen und organisatorischen Überlegenheit, in Asien und Afrika so gesunken, daß sehr ernste Gefahren für die Zukunft ganz Europas heraufbeschworen worden sind. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß deshalb das Ansehen Sowjetrußlands in der nicht-westlichen Welt entsprechend gestiegen sei. Für den asiatisch-afrikanischen Block, der stimmungsmäßig eine offensichtliche, nicht mehr wegzuleugnende Tatsache ist, organisatorisch jedoch noch in den Kinderschuhen steckt, sind sowohl die einzelnen westlichen Großmächte wie auch die Sowjetunion so lange unerwünschte Partner, als die asiatischen und afrikanischen Völker gezwungen sind, allen diesen Ländern mit Mißtrauen zu begegnen. Und so lange dieses Mißtrauen nicht verschwindet, so lange es nicht zu einer ehrlichen, freien und fruchtbringenden Zusammenarbeit zwischen den asiatisch-afrikanischen Völkern und der westlichen Welt kommt, darf sich niemand wundern, daß die asiatischen und afrikanischen Länder an dem Schicksal Europas sowie Sowjetrußlands nur wenig Anteil zu nehmen geneigt sind. Dies ist den westlichen Staatsmännern immer wieder in unzähligen Varianten von verantwortlicher Seite im ganzen Orient klargemacht worden.

Nun gibt es heute — noch! — eine einzige westliche Großmacht in der Welt, der man im ganzen Vorderen Orient nach wie vor noch echtes Vertrauen entgegenbringt, und das ist Deutschland (von den kleineren europäischen, sogenannten neutralen Staaten wie den skandinavischen Ländern und der Schweiz sowie Österreich sei hier im Augenblick abgesehen).

Das ist keine Behauptung, sondern eine Tatsache, von der sich jeder in islamischen Ländern selbst überzeugen kann: keinem anderen Europäer kommt man im Orient bei der ersten unvermittelten Begrüßung mit so viel aufgeschlossener Herzlichkeit entgegen wie dem Deutschen, der als solcher erkannt wird. Gibt es einen schlagenderen Beweis für die Beliebtheit der Deutschen im Orient? Dieses Vertrauen, das der Orient den Deutschen bis zur Stunde immer noch entgegenzubringen gewillt ist, das jedoch seit der Ratifizierung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens langsam aber sicher abzubröckeln beginnt, verpflichtet die Deutschen, die Hoffnungen der arabischen und islamischen Welt auf eine wesentliche Hilfe und Unterstiitzung von deutscher Seite im Kampfe um die Sicherung ihrer Existenz nicht zu enttäuschen. Deutschland ist heute die letzte westliche Großmacht, deren Anwesenheit im Orient noch grundsätzlich gern gesehen wird. Das ist eine ungeheure Chance, nicht nur für Deutschland, sondern auch für die gesamte westliche Welt, deren sie sich zur Hebung ihres Ansehens im Orient bewußt und konsequent bedienen sollte.

Statt dessen ist der Westen jedoch im Begriff, die Position der „atlantischen Gemeinschaft“, die „Einheit des Westens“ in gefährlicher Weise zu schwächen, indem sie heute immer noch wie in alter Zeit den deutschen Einfluß im Orient zu diskreditieren sucht. Dazu gehört u. a. die Klausel im Schumanplan, die die Deutschen verpflichtet, sich in Gemeinschaftsunternehmungen an der Ausbeutung Nordafrikas mit Kapitalien und Spezialisten zu beteiligen, wodurch die Franzosen die Deutschen zu Handlangern des französischen, ganz Europa gefährdenden Kolonialimperialismus herunter-drücken wollen. Und aus letzter Zeit sind Bemühungen zv erwähnen, die deutschen Fachkräfte in Ägypten zu diskreditieren, indem man ihnen nationalsozialistische Propaganda unterstellt. Warum hat man Furcht, daß die ägyptische Regierung — was noch nicht sicher ist — die britischen Spezialisten in El Fajid, einer der größten Militärbasen der westlichen Welt, durch deutsche oder andere Fachleute neutraler Länder ganz oder teilweise ersetzen will? Als ob es heute im Zeitalter der Isolierung der westlichen Welt durch Asien und Afrika vom westlichen Standpunkt aus noch darauf ankäme, welcher westlichen Nation die Spezialisten angehören, die die militärischen Anlagen in El Fajid für die kommende Zeit instand halten sollen. Die Engländer und ihre Alliierten sollen froh sein, daß Deutsche — sowie Angehörige neutraler europäischer Länder — heute noch als Bindeglied zwischen dem Orient und dem Westen eine völlige politische und späterhin auch wirtschaftliche Isolierung des Westens zu verhindern in der Lage sind. Ob die Deutschen das noch morgen sein werden, hängt ausschließlich von ihrem — strikt neutralen — Verhalten ab.

In jedem Falle darf heute niemand mehr bezweifeln, daß man in ganz Asien und ebenso bereits in ganz Afrika entschlossen ist, sich von jeder unerwünschten Bevormundung von Seiten westlicher oder anderer Mächte zum mindesten durch passiven Widerstand zu befreien, da die augenblickliche geringe Entwicklung der Technik und Organisation in diesen Ländern einen aktiven Widerstand nur bedingt zuläßt. Unter diesen Umständen haben die Deutschen heute auf dem Gebiet der Weltpolitik eine Aufgabe von säkularer Bedeutung zu erfüllen: bei dem offenkundigen Versagen der anglo-amerikanischen Mächte sowie Frankreichs, die Isolierung der westlichen Welt im Orient sowie in ganz Asien und Afrika aufzuhalten, liegt es bei den Deutschen, das Vertrauen der asiatischen und afrikanischen Völker zur westlichen Welt durch eine klare und vernünftige politische Haltung zu erhalten und zu verstärken. (Dies gilt natürlich auch entsprechend von den kleineren und sehr viel schwächeren neutralen europäischen Staaten.)

Was not tut: Mehr Wissen voneinander

Warum glauben also die Deutschen, und vor allem ein großer Teil der deutschen Presse, heute die verhängnisvolle Orientpolitik der alliierten Mächte durchaus unterstützen zu müssen, die bisher als einziges positives politisches Ergebnis nur die Tendenz zur Bildung eines dritten neutralen Blockes in Asien und Afrika gezeitigt hat? Natürlich hat die Europa-Union und die atlantische Gemeinschaft zwangsläufig eine gemeinsame Außenpolitik gegen den Sowjetblock sowohl wie auch gegenüber dem asiatisch-afrikanischen Bloch zur Folge. Da aber innerhalb des asiatisch-afrikanischen Blockes, vor allem innerhalb der arabischen und islamischen Welt, nur noch die Deutschen erhebliches Vertrauen genießen, sollten logischerweise beide Parteien, die Alliierten sowohl wie die Deutschen, diese Tatsache entsprechend berücksichtigen: die Deutschen, indem sie ihre Orientpolitik nicht kritiklos nach der kompromittierten alliierten Politik im Orient ausrichten, und die Alliierten, indem sie die deutsche Position im Orient nicht durch irgendwelche Machenschaften erschüttern, sondern diese im Gegenteil nur unterstützen. Unter diesem Blickwinkel gesehen, fällt also heute den Deutschen eine der bedeutendsten Aufgaben des Jahrhunderts zu, die Isolierung der westlichen Welt durch den asiatisch-afrikanischen Block aufzuhalten.

Man sagt, diese Aufgabe ginge über die geistigen und materiellen Kräfte der Deutschen. Das scheint auf den ersten Blick zu stimmen. Aber nachdem im Herbst 1952 der Paukenschlag der arabischen Boykottandrohung deutscher Waren die Deutschen zur Besinnung gebracht hatte, haben sie sich beeilt, bisher Versäumtes teilweise nachzuholen. Der Orienthandel erfuhr eine erhebliche Ausweitung, diplomatische Posten wurden im Orient endlich besetzt, und eine Fülle von Vertretern deutscher Firmen überschwemmte plötzlich die Länder des Orients. Ohne Zweifel ist jede Entwicklung der Handelsbeziehungen nur zu begrüßen, aber diese allein genügen keineswegs, um die alten freundschaftlichen Beziehungen Deutschlancs zum Orient wieder herzustellen oder zu erhalten. Denn im Notfall kann der deutsche Export nach dem Orient durchaus auf andere Länder umgeschaltet werden (Südamerika, Afrika, Rotchina), und der Orient kann die deutschen Waren, wenn auch weniger preiswert und gut, durch andere ersetzen. Handelsbeziehungen sind weder ein Maßstab noch ein Bindeglied für engere und dauerhafte Beziehungen zwischen zwei Völkern (man denke an den Westhandel mit dem Sowjetblock).

Als Grundpfeiler einer neuen deutschen, einer konstruktiven deutschen Orientpolitik sind nach allen bisherigen Geschehnissen jetzt zwei Erfordernisse wesentlich: mehr Mut zu einer eigenen deutschen Haltung in Orientfragen und dann eine weiter-und tiefergehende Beschäftigung der deutschen Öffentlichkeit mit den Vorgängen im Orient. Das aber ist in erster Linie die Aufgabe der deutschen Presse, die sich — gleich ob illustriert oder nicht — seit Kriegsende bis zum heutigen Tage mit wenigen Ausnahmen noch immer nicht zu einer eigenen Auffassung der Orientprobleme hat durchringen können, was ihr zum mindesten seit mehr als drei Jahren erlaubt — also möglich ist. Die Folgen einer solchen Haltung sind die Weiterungen, die sich aus der Ratifizierung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens ergeben und die deswegen nicht leichtgenommen werden dürfen, weil die arabische Liga bisher keine offiziellen „Gegenmaßnahmen" unternommen hat. Ganz offenbar gibt man den Deutschen — bewußt und mit einer Langmut ohnegleichen — von arabischer Seite immer noch eine Chance, Versäumtes nachzuholen und Beschlossenes umzugestalten, was jedoch als substantielle Schwäche der Araber auszulegen vollkommen abwegig wäre.

Wenn es der deutschen Publizistik — insbesondere der Presse, den Illustrierten, dem Film, dem Radio — nicht gelingt, der deutschen Öffentlichkeit das Wesen und die Probleme des Orients in unvoreingenommener und umfangreicherer Weise als bisher nahezubringen, wird von einer eigenen und positiven deutschen Orient-politik in Zukunft nicht die Rede sein können, und Deutschland wird sein immer noch großes moralisches Guthaben im Orient verlieren. Selbstverständlich werden auch die arabischen Staaten mehr Anstrengungen machen müssen, um den Deutschen ein klares Bild der Verhältnisse im Orient zu vermitteln — und dies so bald wie möglich, andernfalls das Interesse der deutschen Öffentlichkeit am Orient noch weiter abzusinken droht. Was not tut, ist mehr aktive Propaganda auf arabischer Seite, und vor allem mehr Wissen voneinander auf beiden Seiten. Mögen sich die Deutschen des Vertrauens, das sie heute noch im ganzen Orient genießen, würdig erweisen und zu einer ehrlichen und engeren, fruchtbringenden Zusammenarbeit mit allen Ländern des Orients gelangen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Abdel Megid Amin ist ein freier, arabischer Publizist, der in persönlicher Unabhängigkeit die Probleme der westlichen Kultur und Politik studiert und dessen Eintreten für eine engere, deutsch-orientalische Zusammenarbeit bekannt ist. Er lebt zur Zeit in Kairo.