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Der Friede ist unser Ziel. Rede des britischen Ministerpräsidenten Sir Winston Churchill in der Unterhaussitzung vom 25. Februar 1954 | APuZ 9/1954 | bpb.de

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APuZ 9/1954 Der Friede ist unser Ziel. Rede des britischen Ministerpräsidenten Sir Winston Churchill in der Unterhaussitzung vom 25. Februar 1954 Die geistige und soziale Entfremdung zwischen Ost und West

Der Friede ist unser Ziel. Rede des britischen Ministerpräsidenten Sir Winston Churchill in der Unterhaussitzung vom 25. Februar 1954

Winston Churchill

Der Führer der Opposition leistete hier einen treffend formulierten, staatsmännischen Beitrag zu einer Frage, die in allen Parteien und im ganzen Lande viel ernstes Nachdenken auslöste. Ich habe verschiedentlich dem verstorbenen Außenminister Bevin, dem jetzigen Oppositionsführer und anderen Mitgliedern der Arbeiterpartei meine Hochachtung für ihre Handlungen in der durch Rußlands Ehrgeiz und Aggressionen nach dem Kriege heraufbeschworenen Krise ausgedrückt. Sie haben uns geholfen, unseren Kopf über Wasser zu halten. Wenn die Gemütsverfassung der heutigen Außenseiter (in der Arbeiterfraktion) die Politik der britischen Regierung zwischen 1947 und 1951 maßgeblich bestimmt hätte, wäre die Sache der freien Nationen höchstwahrscheinlich verloren gegangen, und es ist eine offene Frage, ob in solchem Fall hätte der Frieden bewahrt bleiben können. Alles in allem haben wir die Politik der vorhergehenden Regierung fortgesetzt. Wir haben sie den wechselnden Umständen angepaßt, aber grundsätzlich gibt es nichts, worauf sie uns und sich selbst nicht festgelegt hätten. Aus diesen Erwägungen heraus können wir, wie auch die Stimmung des Hauses zeigt, die Frage als eine überparteiliche betrachten — als eine Frage nationaler Politik außerhalb der gewöhnlichen gesunden Parteigegensätze.

Inhalt dieser Beilage:

Rußland beendete den Krieg in der Gloriole seiner Waffen und des Patriotismus seiner Bevölkerung. Es war unsere Hoffnung, daß Rußland in den Vereinten Nationen eine führende Rolle spielen und der Geist der Gemeinschaft unter den Siegermächten die Welt leiten würde. Der Kurs, den die Sowjets in den letzten acht Jahren unter Stalins Herrschaft verfolgt haben, brachte ihnen ungeheuere Ergebnisse; Rußland gewann die Macht, um Europa und seine Hauptstädte bis zum Eisernen Vorhang unter seine Gewalt zu bringen. Dieser Eiserne Vorhang verlief zuerst von Stettin bis zum südlichen Ausgang des adriatischen Meeres. Die Ereignisse in Jugoslawien haben den südlichen Teil des Vorhangs zurückgeschoben, aber niemand kann annehmen, daß, was in Polen und der Tschechoslowakei geschehen ist, in Rumänien, Bulgarien und Ungarn andauern wird. Österreich, über das ich später sprechen werde, ist in einer gänzlich anderen Kategorie; für die anderen unterworfenen Staaten ist im Augenblick keine Lösungsmöglichkeit in Sicht. Wir haben die Anwendung von Gewalt als Lösungsmittel verworfen. Es mag sein, daß die Jahre andere Heilmittel bringen, über die unsere Generation nicht verfügt. Die Kräfte des menschlichen Geistes und des nationalen Charakters leben in allen diesen Ländern und können auch nicht schnell durch Umsiedlung der Bevölkerung oder Massenerziehung der Kinder ausgelöscht werden. Die Welt der Gedanken ist in ständiger Bewegung und durchdringt alles; die Hoffnung ist hartnäckig und anfeuernd. Das ungeheure territoriale Imperium mit der Vielfalt von Untertanen, das die Sowjets in der Stunde des alliierten Sieges an sich rissen, stellt den Hauptgrund dar für die heute unter den zivilisierten Nationen bestehende Spaltung.

Andererseits hatte Stalins Auswertung seines Triumphs auch andere Ergebnisse, die länger andauern werden und ohne den sowjetischen Druck und die sowjetische Drohung in unserer Aera nicht möglich gewesen wäre. Nur Stalin und nur die Haltung Rußlands unter seiner Herrschaft konnten den Bund der englisch sprechenden Länder, von dem die Existenz der freien Welt abhängt, so schnell und so fest zusammenschmieden. Nur die Furcht vor dem Rußland Stalins konnte den Gedanken eines Vereinten Europas aus dem Reich der Träume in das Vorfeld der modernen Ge-dankenweit tragen. Nur die Politik der Sowjets und Stalins konnte die Grundlage schaffen für die tiefe und dauernde Bindung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, zwischen Deutschland und Großbritannien, und, wie ich glauben möchte, zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Dinge werden leben und wachsen, während die Beute militärischer Macht und politischer Schikane sich bestimmt verflüchtigen oder neue und andere Fromen annehmen wird.

Diese Tatsachen, ob gut oder böse, müssen auf beiden Seiten begriffen werden, und wir dürfen auch keine Angst haben, sie einander vorzuhalten. Ich bin davon überzeugt, daß solche intelligenten Köpfe wie die Herrscher Sowjetrußlands sich nicht nur über die von ihnen mit der Stalin-Politik eingeheimsten Werte im klaren sind, sondern auch über den Preis, den sie dafür bezahlen mußten. Ich bin weiter davon überzeugt, daß sie sich bei der Betrachtung der Lage nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie zwar viel an Macht gewonnen, aber dafür auch viele Möglichkeiten verloren haben. Unter diesen Umständen ließ das Ende der Stalin-Herrschaft und das Erscheinen neuer Männer im Kreml uns alle hoffen, daß in Rußland ein Umschwung eintreten und für alle Völker, und nicht zuletzt für das arbeitsame tapfere russische Volk selbst ein neuer Tag heraufdämmern würde.

Ich möchte zurückblicken auf das, was geschehen ist, seit ich im Mai vorigen Jahres hier zum letzten Mal zur Außenpolitik sprach. Damals schlug ich eine kleine Konferenz der Regierungschefs vor, eine Konferenz ohne Tagesordnung, ohne Presse und ohne Kommuniques, auf der wir offen und freimütig sprechen konnten, ohne daß jedes Wort geprüft und analysiert würde und ohne daß jedes Wort mißverständlich ausgelegt und aus seinem Zusammenhang gerissen, für die Zwecke einer hochorganisierten Propagandamaschine mißbraucht werden könnte. Ich war der Auffassung, daß solch ein einfaches, primitives Zusammentreffen, zumindest als Vorstufe, das beste Mittel sein würde, um eine Antwort auf die Frage zu finden, die sich damals jeder vorlegte, die aber heute nur noch wenige von uns stellen: Auf die Frage nämlich, ob seit dem Tode Stalins in der russischen Politik ein entscheidender Wandel eingetreten sei?

Aus Gründen, über die ich keine Gewalt hatte, war ich nicht in der Lage, die für den vergangenen Juli in Bermuda geplante Dreimächtekonferenz zu besuchen. Stattdessen trafen sich Vertreter der gleichen Mächte in Washington. Dort wurde vorgeschlagen, die Sowjetunion zu einer Konferenz der Außenminister über Deutschland und Österreich mit einer etwas starren Tagesordnung einzuladen. In dem folgenden Notenwechsel stellte sich allmählich heraus, daß etwas mehr Beweglichkeit wünschenswert sein würde und diese Beweglichkeit wurde auch zugestanden. Gewiß waren wir nicht in der Lage, ohne Gefährdung unserer Sicherheit auf die EVG oder die NATO oder ein Zwischending zu verzichten, und es schien wenig wahrscheinlich, daß die Russen ihrerseits, mit ihrer ungeheuren Überlegenheit an militärislcher Stärke, bereit sein würden, ihre Eroberungen in Europa aufzugeben. Wie groß die vor uns liegenden Hindernisse waren, kann jedermann ermessen.

Dazu kommt die allgemeine Erwägung, daß, wo drei oder vier Groß-mächte zusammenarbeiten, keine von ihnen damit rechnen kann, daß sie sich immer oder in allen Punkten durchsetzt. Jede Macht muß sich mit dem begnügen, was sie erreichen kann und nicht mit dem, was sie sich wünscht. Was mich selbst betrifft, so war ich aus einer entscheidenden Erwägung heraus für die Einladung an Rußland: Ich war der Ansicht, daß jedes Zusammentreffen mit Vertretern der Sowjetregierung unter dem neuen Regime gar keinem Zusammentreffen vorzuziehen sei. Das ist auch heute noch meine Meinung. Ich bedauere keineswegs den Entschluß der drei Mächte in Washington und bin angesichts der Ereignisse in Beilin überzeugt davon, daß er durchaus zweckmäßig war. Seit dem Treffen in Washington vor sieben Monaten ist manches geschehen, das die allgemeine Lage erleichterte. Die Frage der Tagesordnung sowie andere mit dem Konferenzverlauf zusammenhängende Angelegenheiten wurden so geregelt, daß sie kein Hindernis für die Erörterung der eigentlichen Konferenzthemen bildete. Herr Eden entwickelte einen durchaus fairen Plan zur Lösung der deutschen Frage auf der Grundlage freier Wahlen wie wir sie verstehen. Der Geist von Locarno, den ich im Mai vergangenen Jahres heraufbeschwor, fand seinen Ausdruck in feierlichen Garantien für Ruß-land gegen jede Form der Aggression. Der einzige Grund, aus dem diese Garantien Rußland nicht begehrenswert erschienen, war die Tatsache, daß seine militärische Stärke in herkömmlichen Waffen so viel größer ist als die der NATO-Mächte, daß sie derartige Garantien für die voraussehbare Zeit entbehren zu können glaubte. Nichtsdestoweniger freue ich mich darüber, daß diese Garantien angeboten wurden. Unser Angebot bleibt nach wie vor gültig und hat, wie ich glaube, zur Milderung der Spannungen beigetragen.

Wenn Herr Eden hier im Zusammenhang mit der Berliner Konferenz das Wort „Enttäuschung“ gebrauchte, so war das zweifellos eine natürliche Reaktion auf seine mit soviel Geschick und Erfahrung gemachten langen Anstrengungen. Aber auch wenn uns manches enttäuscht hat und nur wenig gewonnen wurde, so gab es doch bestimmt einige wirkliche Erfolge. Ich muß sagen, daß die Konferenz höchst bemerkenswert war. Nach einigen unseligen Beispielen hat sie das Prestige solcher Treffen wieder hcrgestellt. Es war gewiß eine bemerkenswerte Konferenz, wo alle Argumente über soviele schwierige Punkte mit Geschick und Zähigkeit ausgetauscht wurden, ohne daß jemand beleidigt wurde. Dazu kommt, daß auf verschiedenen Ebenen neue Beziehungen zwischen wichtigen Persönlichkeiten angeknüpft werden, konnten. Ich glaube sagen zu kennen, daß die persönlichen Beziehungen und das Verständnis für den Standpunkt des anderen sich im Laufe der großen Auseinandersetzung ständig verbessert haben. Die Konferenz war nicht nur kein Fiasko und noch weniger eine Katastrophe, sondern hat vielmehr die Erörterung aller Fragen leichter und weniger gefährlich gemacht. Weitere Treffen zwischen den beteiligten Mächten wurden in keiner Weise unmöglich gemacht. Im Gegenteil — eine Konferenz, deren Aussichten hoffnungslos erschienen, wurde bereits festgelegt. Am 26. April werden sich in Genf alle durch die fernöstliche Entwicklung direkt berührten Mächte treffen. Dabei werden auch Vertreter des kommunistischen Chinas und der Vereinigten Staaten von Amerika auf einer hohen Ebene zusammenkommen.

Ich habe stets Verständnis gehabt für die ausgeprägte Abneigung in den Vereinigten Staaten gegen die Aufnahme des kommunistischen Chinas in den Rat der Vereinten Nationen zu einem Zeitpunkt, in dem dieses China in einen Krieg gegen die Entscheidungen der Vereinten Nationen verwickelt war — einen Krieg, dessen Lasten zu Neunzehnteln von den Vereinigten Staaten getragen wurden. Die Aufnahme Chinas in die Vereinten Nationen zu diesem Zeitpunkt wäre gleichbedeutend gewesen mit der Billigung eines Aktes, der von den Vereinten Nationen als ein Akt der Aggression angeprangert worden war, und diese Billigung wäre noch gekommen ehe der Frieden geschlossen worden wäre. Es überrascht mich keineswegs, daß die Amerikaner, die diese großen Blutopfer brachten und noch immer eine große Armee in Korea unterhalten müssen, die Aufnahme des kommunistischen Chinas in die Vereinten Nationen bis zum Friedensschluß hinausgezögert wissen wollen. Andererseits wäre es von den Alliierten höchst unklug, nicht mit den Führern des kommunistischen Chinas über den Abschluß eines Friedens zu verhandeln. Auch wenn die Waffen noch sprechen, liegt nichts Ungehöriges darin, wenn kriegführende Mächte miteinander verhandeln. Es gibt dafür in der Geschichte zahllose Präzedenzfälle. Ich habe stets gehofft, daß es zu einer Konferenz der direkt an Korea und dem Fernen Osten interessierten Mächte kommen würde. Nunmehr ist eine solche Konferenz vorgesehen. Die Vereinbarung darüber wurde auf der Konferenz in Berlin getroffen und die Konferenz selbst, die in ein paar Wochen stattfinden wird, hat bessere Aussichten als sie die Berliner Konferenz hatte. Hier zumindest ist ein hoffnungsvolles Ergebnis der Arbeiten der Berliner Konferenz, für das wir dankbar sein können.

Die eindeutigste Enttäuschung in Berlin war selbstverständlicn der Fehlschlag des Versuchs, Österreichs Befreiung durch die Unterzeichnung des Staatsvertrags zu erreichen. Kein Volk hat sein hartes Schicksal so wenig verdient wie die Österreicher. Die Sowjets hätten klug gehandelt und ihrem eigenen Interesse gedient, wenn sie sich zu der Geste der Menschlichkeit entschlossen hätten. Von einem militärischen Standpunkt gesehen hätten sie sich das auch leisten können, und zwar besonders im Hinblick auf die weitreichenden Garantien der westlichen Welt gegen eine Erneuerung der deutschen Aggression. Ich glaube jedenfalls nicht, daß diese Tür endgültig zugeschlagen wurde und möchte in dieser Frage das „Nein" nicht als Antwort betrachten. Hier geht es nicht um einen Kuhhandel, sondern um eine Demonstration moralischer Stärke seitens Rußlands, die ihm von ungeheurem Nutzen sein könnte. Ich selbst halte es in solchen schwierigen Fällen immer für nützlich, mich in die Seele des anderen hineinzuversetzen und das Problem mit seinen Augen zu sehen. Aus diesen Erwägungen heraus muß ich sagen, daß ich noch immer Hoffnungen habe; gleichzeitig hoffe ich aber auch, daß man nicht glaubt, ich täusche mich selber oder wolle das Unterhaus mit wilden Ideen zum Narren halten . . .

Auch andere Vorteile, die wir in Berlin erzielten, mögen sie auch noch so gering sein, dürfen nicht weggeworfen werden. Wenn der Friede der Welt auf dem Spiel steht, darf es nie an Geduld und Ausdauer mangeln. Selbst wenn wir noch durch eine ganze Dekade des Kalten Krieges, unterbrochen von ergebnislosen Konferenzen, hindurch müßten, wäre das immer noch den unvorstellbaren Scheußlichkeiten vorzuziehen, die die Alternative darstellen. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, jede sich uns bietende Möglichkeit zu benutzen; so wenig wie wir die für unsere eigene Stärke und Sicherheit notwendigen devensiven Maßnahmen vernachlässigen sollten. Es besteht kein Gegensatz zwischen dem Aufbau der EVG und der NATO unter Einbeziehung des starken deutschen Verteidigungsbeitrags auf der einen Seite und auf der anderen dem Bemühen um eine Verständigung mit dem russischen Volk und seiner Regierung.

Es besteht immerhin eine weithin sichtbare Möglichkeit zur Entwicklung nützlicher Beziehungen und Verbindungen. Je stärker der Handelsaustausch zwischen Großbritannien und Sowjetrußland und seinen Satelliten durch den Eisernen Vorhang hindurch wird, desto mehr werden die Aussichten auf ein Zusammenleben in wachsendem Wohlstand zunehmen. Wenn soviel Prosperität in Reichweite oder in Sicht ist, muß der Austausch von Gütern in wachsendem Maße Nutzen bringen. Je enger die zwei großen, voneinander geteilten Gebiete in fruchtbarem Handelsaustausch einander sich nähern, desto stärker wird das Gegengewicht zu iein militärischen Erwägungen, die in den menschlichen Gehirnen durch andere Gedanken verdrängt werden. Freundschaftliche Infiltrierung kann immer nur zum Guten führen. Wir haben keine Ursache, sie zu fürchten, und wenn das kommunistische Rußland sie ebenfalls nicht fürchtete, so wäre das ein gutes Zeichen. Aus diesem Grunde war ich höchst befriedigt über die von britischen Geschäftsleuten in ihren Besuchen in Moskau vor kurzem erzielten Erfolge. Ich möchte nicht dahin verstanden werden, daß jetzt schon die Zeit gekommen ist, um Sowjetrußland mit militärischem Material einschließlich von Werkzeugmaschinen für die Herstellung schwerer Waffen zu beliefern. Aber zweifellos wäre es von erheblichem Wert, wenn die Bestimmungen für die Belieferung von Gebrauchswaren, Rohmaterialien, die vor drei oder vier Jahren unter gänzlich anderen Voraussetzungen erlassen wurden, erheblich gemildert würden. Wir überprüfen gegenwärtig die Embargolisten und werden diese Frage mit unseren amerikanischen Freunden erörtern. Ich denke hierbei hauptsächlich an den Handel mit China, bis es gelingt in Korea oder vielleicht noch in einem weit größeren Gebiet Frieden zu schließen. Aber das ist eine Aussicht, zu der, wie ich hoffe, die Konferenz in Genf den Weg freimachen wird.

Ich komme nun zu dem Hauptthema der Debatte — der Frage, ob Deutschland wieder aufrüsten soll und in welcher Form das geschehen kann . . . Deutschland hat im ersten Weltkrieg nur wenig gelitten. Kaum ein Quadratmeter seines Territoriums wurde mit der Waffe erobert und seine Armeen töteten oder verwundeten zwei-oder dreimal soviele Soldaten als sie selbst verloren. Diesesmal dagegen hatte Deutschland einen schrecklichen Preis zu bezahlen. Schon vor Kriegsende übertrafen seine Verluste durch Bombardierungen aus der Luft und andere Formen der Kriegsführung unsere eigenen bei weitem, und auch die Verluste seiner Zivilbevölkerung waren sehr viel größer als die der unserigen. Deutschlands Städte wurden zerstört, große Teile seiner Zivilbevölkerung wurden getötet, sein Boden wurde Meile um Meile zertrampelt und seine Industrien und seine Schiffahrt wurden zerstört.

Seit mehr als 40 Jahren habe ich im Bewußtsein der deutschen Macht gelebt und die Entwicklung des furchtbaren Dramas von mannigfaltigen und günstigen Punkten aus verfolgt. Es ist heute meine aufrichtige Über-zeugung, daß die Schrecken des Krieges sich tief in den deutschen Geist eingegraben haben und das die Furcht vor, und der Haß gegen die Sowjet-herrschaft noch tiefer sitzt. Wie Herr Eden bereits betonte, besteht kein Grund, warum wir aus diesem Zweig der europäischen Familie Aussätzige machen sollten. Der Oppositionsführer hat diese Seite der Frage bereits mit Nachdrude und Verständnis behandelt. Wie so viele andere habe auch ich den Vorschlag zur Schaffung eines vereinigten neutralisierten und entwaffneten Deutschlands sorgfältig in Betracht gezogen. Der Vorschlag erscheint voller ernster Gefahren zu sein. Der Außenminister sprach bereits in überzeugenden Sätzen von diesen Gefahren. Ich bin darüber erstaunt. daß jemand sich auch nur vorstellen kann, daß das lebensfrohe und elastische deutsche Volk sich in einer Art europäischem Niemandsland mit dem Status von Aussätzigen begnügen könnte, ständig der Gefahr einer sowjetischen Invasion und der Infiltration mit kommunistischen Ideen ausgesetzt. Es ist hier von allen Seiten des Hauses gesagt worden, daß die Deutschen entweder sich eine nationale Armee schaffen oder, in unendlich vergrößertem Maßstab, das Los der Tschechoslowakei teilen würden. Es gibt ein weiteres Argument gegen die Lösung der Verbindungen mit Deutschland, an deren Zustandekommen wir solange gearbeitet haben. Ich wundere mich nicht darüber, daß die Abgeordneten der Arbeiterpartei, die als Mitglieder der Regierung solange daran gearbeitet haben, es als unvereinbar mit ihrer Ehre betrachten, Dr. Adenauer die Treue zu brechen. Der Bundeskanzler ist nach meiner Auffassung einer der größten Männer, die Deutschland seit Bismarck hervorgebracht hat. Er ist ein aufrichtiger und überzeugter Freund der westlichen Demokratien. Er hat das deutsche Volk aus dem Abgrund der Zerstörung und des Chaos, in den es gefallen war, herausgeführt, und es erscheint fraglich, ob es ohne ihn herausgekommen wäre. Er ist ein überzeugter Verfechter des europäischen Gedankens, in dessen Dienst er die Mehrheit des deutschen Volkes dazu überredet hat, die so oft aus dem Schmerz der Niederlage erwachsenden extremen nationalistischen Konzeptionen zu verwerfen. Er steht und fällt mit der Sache Deutschlands in Europa. Wenn wir ihn heute im Stiche ließen, wäre das nicht nur höchst unfair, sondern würde sich auf das Denken des deutschen Volkes in der Zukunft in einer Weise auswirken, die sich von niemandem begrenzen lassen würde.

Ich möchte aufrichtig hoffen, daß diese Frage nicht zu einer Frage parteilicher Gegensätze und Wahlpropaganda in diesem Lande wird. Es wäre in der Tat sehr traurig, wenn die Arbeiterpartei oder auch nur ein wichtiger Teil der Partei versuchen würde, durch das Heraufbeschwören schrecklicher Erinnerungen der jüngsten Vergangenheit die Gegensätze in Deutschland zu verewigen. Jede Politik in der Welt birgt ihre Gefahren, aber es könnte keine nutzlosere Vermehrung solcher Risiken geben als den Versuch, aus den Tragödien der Vergangenheit einen bitteren Haß für die Zukunft zu brauen. Ich hoffe, daß wir die Vergangenheit hinter uns lassen und den schweren Wunden die Möglichkeit geben, unter heilenden Banden zu vernarben.

Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten besteht ein enges Verhältnis, aber auch wir werden sonderbarerweise in Deutschland geachtet. Vielleicht werden wir, in Frankreich sowohl wie in Deutschland, der Tatsache wegen geachtet, auf die wir selbst am stolzesten sind — wegen der Tatsache nämlich, daß wir allein gegen eine Übermacht einen hoffnungslos erscheinenden Krieg weiterführten.

Als ich im vergangenen Mai von dieser Stelle sprach, dachte ich an ein Treffen der Regierungschefs und ihrer Außenminister, wie wir es im Kriege durchzuführen pflegten, und ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß eine solche Möglichkeit nicht ausgeschaltet werden sollte. Man muß sich daran erinnern, daß wir im Mai nicht die Einzelheiten einer Regelung erörterten, sondern lediglich die Wiederbelebung der Kontakte mt den Führern der Sowjetunion zu einem Zeitpunkt, in dem sie der Welt eine neue Regierung präsentierten und in vielen Ländern neue Hoffnungen aufleben ließen. Ich möchte hoffen, daß wir die Möglichkeit eines Zusammentreffens der Staats-und Regierungschefs in Reserve halten. Ich bin davon überzeugt, daß schon etwas gewonnen ist, wenn die mit diesen großen Angelegenheiten befaßten Menschen miteinander sprechen. Gewiß sollte man diese letzte Möglichkeit nicht leichtsinnig einsetzen, denn es könnte vielleicht höchst gefährlich sein, sie vergebens zu gebrauchen.

Abschließend möchte ich betonen, daß mir kein Gegensatz zu bestehen scheint zwischen unserer Politik des Aufbaues der defensiven Stärke der freien Welt gegen kommunistischen Druck und die Möglichkeit einer sowjetischen Aggression einerseits und andererseits den Versuch, Bedingungen zu schaffen, unter denen Rußland mit uns unbekümmert und friedlich Zusammenleben kann. Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, daß Großbritannien und die übrigen Gliedsstaaten den Aufbau unserer militärischen Stärke unter so großen Opfern schwer empfinden würden, wenn sie nicht in jeder Weise davon überzeugt wären, daß alles, was in menschlichem Ermessen und in menschlicher Kraft steht, getan wird, um die große Katastrophe abzuwenden und andererseits Brücken und nicht Barrieren zwischen Rußland und der westlichen Welt zu errichten. Diese zweifache Politik des Friedens durch Stärke ist eine Politik sowohl der Klugheit wie der ehrenhaften Überzeugung. Der Friede ist unser Ziel und Stärke ist der einzige Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Wir dürfen uns nicht abschrecken lassen durch spöttische Behauptungen, daß wir versuchten, beide Wege zu gleicher Zeit zu gehen. Nur mit dieser Methode haben wir die Möglichkeit, überhaupt etwas zu erreichen.

Fussnoten

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