Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

England und Amerika: Gemeinsame Ziele, verschiedene Wege | APuZ 6/1954 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 6/1954 England und Amerika: Gemeinsame Ziele, verschiedene Wege Spanien und USA

England und Amerika: Gemeinsame Ziele, verschiedene Wege

Clement R. Attlee

Mit dem folgenden Artikel von Clement R. Attlee, ehemaliger Premierminister, jetzt Oppositio.. cführer im Britischen Unterhaus, wird die Diskussion über das englisch-amerikanische Verhältnis fortgesetzt. Der Abdruck des Artikels, erschienen in der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" (Januar 1954), erfolgt mit Genehmigung des Verlages.

Idi wurde gebeten, midi über die Gründe für die Mißverständnisse zwischen dem englischen und dem amerikanischen Volk zu äußern. Dies ist ein ziemlich heikles Thema, denn jede Kritik an den Vereinigten Staaten könnte von Personen, denen nichts an einer Freundschaft zwischen den beiden Völkern liegt, aus dem Zusammenhang gerissen und als Beweis dafür verwendet werden, daß ich persönlich den Vereinigten Staaten mit unfreundlichen Gefühlen gegenüberstände. Das ist ganz falsch. Idi halte es daher für angebracht, erst einmal festzustellen, daß die große Nation jenseits des Ozeans immer meines aufrichtigen Wohlwollens sicher war und daß ich dankbar den großen Beitrag Amerikas während und nach dem Kriege zur Förderung jener demokratischen Ideale anerkenne, die beiden Ländern teuer sind. Außerdem habe ich viele amerikanische Freunde, unter denen sich sowohl Demokraten als auch Republikaner befinden.

Viele Jahre vertrat ich die Ansicht, daß eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Zweigen englishsprechender Völker von wesentlicher Bedeutung für den Frieden der Welt und für die Verteidigung der Demokratie ist. Ich weiß, daß diese Ansicht vom größten Teil des englischen Volkes ungeachtet seiner politischen Überzeugung geteilt wird. Diese Zusammenarbeit hängt nicht nur von dem Einvernehmen zwischen den Regierungen, sondern von dem gegenseitigen Verstehen der Völker ab, denn in beiden Ländern ist die öffentliche Meinung auf die Dauer gesehen der entscheidende Faktor.

Selbst da, wo weitgesteckte Ziele sich decken, ist es unvermeidlich, daß hin und wieder auf internationalem Felde in besonderen Fragen Meinungsverschiedenheiten zwischen Verbündeten aufkommen müssen, und dies geschah zwischen England und den Vereinigten Staaten. Im allgemeinen wurden die Meinungsvershiedenheiten beigelegt, wenn es auch manchmal nicht ohne Reibungen abging, zurück bleibt aber eine gewisse Gereiztheit und ein Gefühl des Bedauerns darüber, daß die eine Partei nicht den Standpunkt der anderen teilen kann. In solch einem Stadium werden alte Erinnerungen wieder wach und alter Streit wieder lebendig, gerade so als ob zwei Völker Unstimmigkeiten miteinander haben, und in ihrem Verlaufe bringt jeder wieder den alten Verdruß vor, von dem der andere hoffte, er wäre in Vergessenheit geraten.

Aus diesem Grunde lohnt es sich, die Ursahen für diese Mißstimmigkeiten näher anzushauen. Es würde natürlich von mir anmaßend sein zu versuhen, über die Gefühle der Amerikaner aus-zusagen, doh muß ih wenigstens zu erkennen geben, daß ih mir ihrer bewußt bin, sonst würde der Artikel den Eindruck hervorrufen, als stelle er nur eine Aufzählung englisher Klagen dar.

Wir sollten uns zuerst darüber klar werden, was die Völker voneinander erfahren. Um sih darüber zu unterrihten, halte ih es für das beste, sih davon zu überzeugen, was in der Schule gelehrt, was im Kino gezeigt und in den Zeitungen geshrieben wird.

Wenn die amerikanishe Geshihte auh nicht die Kolonialperiode vernahlässigt, so hält sie sie doh nur für ein vorbereitetes Stadium für das Entstehen der Vereinigten Staaten als selbständiger Staat. Sie neigt dazu, erst mit der Bostoner Tee-Gesellschaft, mit der amerikanishen Revolution, mit Georg dem Dritten und dieser ganzen Periode zu beginnen. Das Bild, das sih der junge Amerikaner von England mäht, beginnt mit diesem Kampf eines freiheitliebenden Volkes gegen eine tyrannishe imperialistishe Kolonialmacht.

Für den Engländer jedoh, dessen Geshihte mindestens bis auf das Jahr 1066 und auf alle damit zusammenhängenden Ereignisse zurückgeht, ist der Aufstand der amerikanishen Kolonien eine bedauerlihe Episode. Er lernt, daß Georg der Dritte und seine Minister dumm waren und Unreht hatten. Lord North wird verurteilt und Chatham gepriesen. Er lernt, daß der Verlust Amerika Shule gemäht hat wie die folgende Entwicklung des englichen Commonwealth in einem Verband gleichberehtigter freier Staaten bewiesen hat. Für ihn ist die amerikanishe Revolution eine alte unglückselige Geshihte, die weit zurückliegt, für den Amerikaner jedoh ist sie als Geburtsstunde einer Nation immer noh lebendig. Völker vergessen die unerfreulihen Ereignisse gerne. Der Durchschnittsengländer würde gern einige Perioden seiner Geshihte vergessen, besonders die räuberischen Phasen des britishen Imperialismus, gerade ebenso wie wohl die Amerikaner sih niht gerne an den mexikanishen Krieg erinnern.

Es ist shwer den Einfluß dessen abzushütteln, was man in der Kindheit gelernt hat. Ih habe sehr gebildete Amerikaner kennengelernt, die die Entwicklung des Britishen Empire zum freien Commonwealth niht verstanden. Vor gar niht langer Zeit hielt einer meiner Freunde einen Vortrag vor New Yorker Geshäftsleuten und wurde dabei gefragt, wieviel Steuern Kanada an England zahle. Noh immer ist diese Auffassung von England als einer imperialistishen Kolonial-mäht, die große Teile der Welt ausbeutet, weit-verbreitet. Sie ist der Anlaß zu Mißtrauen, das der ganzen englishen Politik entgegengebracht wird. Ih glaube, daß selbst Präsident Roosevelt niht ganz frei von diesem Vorurteil war.

Der Brite jedoh erlebte die ständig wahsende Zahl sih selbst regierender Staaten in den überseeishen Gebieten, zuerst der Kolonien, die von Leuten europäisher Herkunft bewohnt wa-ren, dann der großen asiatischen Länder, Indien, Pakistan und Ceylon, dann schrittweise der afrikanischen Kolonien wie der Goldküste und der Inseln im Karibischen Meer. Er weiß, daß viele dieser Kolonien jahrelang nur mit Verlust für das Mutterland regiert wurden. Er kam dazu, die Kolonialvölker nicht als Ausbeutungsobjekte sondern als Subjekte einer treuhänderischen Verwaltung zu betrachten, und er hat das Gefühl, mißverstanden zu werden. Tatsächlich wird er manchmal durch ein, wie er meint, gewisses Maß an Selbstgerechtigkeit von Leuten verärgert, die keine Verantwortung zu tragen haben.

Er ist geneigt daran zu erinnern, daß das Britische Empire in den alten Kolonialtagen amerikanischen Händlern und Missionaren offenstand, während England die Last an Blut und Gut trug, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und um für die Einrichtung einer geordneten Regierung zu sorgen. Er fühlt, daß England in diesen Angelegenheiten doch wohl über eine außerordentlich große Erfahrung verfügt und daß der Durchschnittsamerikaner manchmal Grundsätze geltend macht, ohne die entsprechenden Kenntnisse zu haben. Nach seiner Ansicht glaubt mancher Amerikaner, daß alle Kolonialvölker das gleiche Stadium erreicht haben wie einst die 13 nordamerikanischen Kolonien, nämlich, daß sie reif für die Selbstregierung seien.

Die Amerikaner jedoch können ihrerseits den vollkommen gerechtfertigten Vorwurf erheben, daß die englischen führenden Schichten, oder wenigstens ein Teil von ihnen, sich den Amerikanern gegenüber herablassend und überlegen gebärdeten, was zweifellos sehr aufreizend wirkte. Diese Einstellung ist aus Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert ersichtlich. Die gleichen Leute waren natürlich nicht weniger erzürnt über die Ansprüche ihrer eigenen Landsleute aus den arbeitenden Klassen. Seit jener Zeit haben sich die Dinge weitgehend geändert, aber nur langsam stirbt die Legende vom edlen englischen Lord. Gleiche Fehler werden auch hier in England gemacht. Es gibt Leute in der Labour-und sozialistischen Bewegung, die ernsthaft davon überzeugt sind, daß die gesamte amerikanische Politik von Wall Street aus diktiert wird. Hinter jeder Bewegung auf dem internationalen Schachbrett wird der verborgene Einfluß der amerikanischen Finanzwelt vermutet. Ich glaube, das entspringt der menschlichen Neigung, Feinde als teuflisch klug und gewissenlos auszumalen, die im Geheimen Böses schmieden. Der Wall Street-Bande gut angezogener Kapitalisten, die den Untergang des Arbeiters planen, entspricht das Bild von den blutdürstigen „Roten“ der Labour-Partei. Man könnte einwenden, daß nur Unwissende diese Fehler begehen, aber sie sind ein Stüde des allgemeinen Bildes.

Ein ähnlicher Mythos rankt sich um die englische Diplomatie, ja sogar um jedes Mitglied einer europäischen diplomatischen Mission. Sie gelten als außergewöhnlich klug und erfahren, bereit, dem unschuldigen Amerikaner ein X für ein U vorzumachen. Die Parallele hierzu ist die englische Ansicht vom amerikanischen Geschäftsmann, der unserem heimischen Produzenten weit überlegen sei und bestimmt vom klugen Yankee überspielt werde.

Einer der Gründe für die Mißverständnisse kommt seltsamerweise von der Tatsache, daß wir die gleiche Sprache sprechen. Beide, der Engländer und der Amerikaner, erwarten, daß sie einander viel ähnlicher sind, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Unterschiedliche Tradition und Umgebung sorgen für eine wachsende Verschieden-artigkeit in vielen Gesichtspunkten, aber jede Seite zeigt sich darüber leicht überrascht und verletzt. Der Engländer neigt dazu zu vergessen, daß sehr viele Amerikaner, die perfekt Englisch sprechen, kontinentalen Ursprungs sind — nämlich aus Deutschland, Polen oder woher sie auch kommen. Sie kamen in den amerikanischen Schmelztiegel und wurden gute Amerikaner, aber sic schauen zurück nach anderen Ländern — nicht nach England.

Nicht nur der geographische Standpunkt ist ein anderer, sondern auch, wie ich glaube, der ideologische und der historische. Neulich begegnete ich einem interessanten Beispiel, das bewies, wie die gleiche Tatsache zwei Völkern in ganz verschiedenem Lichte erscheinen kann. Ich erhielt einen Schmähbrief von einem Amerikaner, der mich undankbar nannte, weil ich Amerika kritisierte, während ich doch Amerika gegenüber voll demütiger Dankbarkeit sein müsse, weil es innerhalb zweier Kriege England rettete, nachdem dieses viel verpfuscht hätte. Ich verstand seinen Standpunkt, aber ein Engländer gleichen geistigen Niveaus würde einem Amerikaner entgegnet haben: „Ist Ihnen denn nicht klar, daß wir in zwei Kriegen zur Verteidigung der Zivilisation die Wucht der ersten Angriffe aushielten und die Festung verteidigten, bis Ihr bereit wart einzugreifen?“

Konkrete Probleme englisch-amerikanischer Beziehungen

Ich möchte mich jetzt mit einigen praktischen Problemen der englisch-amerikanischen Beziehungen befassen. Da ist zuerst das Problem der Handelsbeziehungen. Die industrielle Struktur Englands, die während des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, macht den Außenhandel zu einer Lebensnotwendigkeit. England hat eine außerordentlich mannigfaltige Industrie und muß sich seine Absatzmärkte in der ganzen Welt suchen. Es muß immer neue Wege finden, weil die Industrialisierung jüngerer Länder die alten Wege blockiert. England muß seine Erzeugnisse und Dienste im Auslande verkaufen, um Nahrungsmittel und die wichtigsten Rohstoffe einzukaufen. Die Vereinigten Staaten hingegen sind eine kontinentale Madit mit ungeheueren Rohstoffquellen. So groß auch ihr Außenhandel ist. so hat er doch an der industriellen Produktion nur einen geringen Anteil.

Es ist schwer für einen Durchschnittsamerikaner, glaube ich, die Lage Englands klar zu erfassen; noch s-hwerer dürfte es sein, die katastrophalen Auswirkungen zweier Kriege auf die englische Wirtschaft zu erkennen. Ich war Premier-Minister, als der Pacht-und Leihvertrag plötzlich beende*-wurde. Unsere ganze Wirtschaft war für die Kriegsproduktion von Munition auf Hochtouren gebracht und auf Zusamenarbeit mit der amerikanishen Wirtschaft abgestimmt worden. Wir mußten unseren Überseehandel vernachlässigen. Innerhalb einer sehr kurzen Frist änderte sich die ganze Sachlage. Wir waren den Vereinigten Staaten und Kanada für die großzügige Hilfe dankbar, aber wir hatten die Absicht, uns von den Schulden zu befreien und unser Leben selbst zu verdienen. Der einzige, uns hierzu verbleibende Weg war der, unsere Waren und die Erzeugnisse der Commonwealth und des Empire zu verkaufen, aber hier stießen wir auf die protektionistische Wirtschaft Amerikas.

Uns will es scheinen, als ob die Amerikaner, obgleich sie mit uns darüber einig sind, daß wir Handel und keine Hilfe wollen, uns doch nicht helfen, dieses Ziel zu erreichen. Ich bin mir natürlieh der Schwierigkeiten bewußt, denen jede Regierung in der traditionellen protektionistischen Atmosphäre der Vereinigten Staaten begegnet, wenn sie sich den Forderungen nach Protektionismus widersetzt, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß für uns die Lage schwierig ist. Auch die dauernd an die Europäer gerichteten Beschwörungen, sich zusammenzuschließen und alle Handelshindernisse zu beseitigen, scheinen mir dazu in einem gewissen Widerspruch zu stehen. Wir sind geneigt zu denken: „Arzt, heile dich selbst.“

Weiterhin scheint es mir inkonsequent zu sein, Zölle und andere protektionistische Maßnahmen wie den Battle Act aufrecht zu erhalten bei gleichzeitiger Forderung an England, seine Preferenzzölle innerhalb des Commonwealth und der Kolonien aufzugeben, zu dem geheiligten Zwecke, den Handel von allen Fesseln zu befreien. Wir vermögen nicht einzusehen, daß die einfache Tatsache, daß die Teile des englischen Commonwealth durch das Meer voneinander getrennt sind, während die amerikanischen Staaten dagegen Teile einer einzigen Landmasse sind, den ganzen Unterschied ausmacht. Wenn wir jedoch den Standpunkt Amerikas anerkennen, daß Schutzzölle für es unerläßlich sind, dann wenden wir uns eben der übrigen Welt zu. Viele Leute werfen uns vor, daß wir die freie Welt verraten, wenn wir mit den Ländern hinter dem . Eisernen Vorhang'Handel treiben. Obgleich wir nun aber die von den Vereinten Nationen gestellten Bedingungen strikt einhalten wie zum Beispiel in der Frage der Versorgung Chinas mit Munition, werden wir angegriffen, weil wir den Handel in nicht-kriegswichtigen Gütern fortsetzen. Auf diese Weise sehen wir uns vom Westen und vom Osten abgeschnitten. Japan und andere Staaten jedoch treiben Handel mit China, ohne daß deshalb Lärm geschlagen wird. Aber hiermit rühre ich an die chinesische Frage, auf die ich später eingehen möchte.

Ich bin der Überzeugung, daß jedermann in England anerkennt, mit welcher Großzügigkeit die Vereinigten Staaten uns und auch anderen Ländern, die unter dem Kriege gelitten haben, geholfen haben, doch waren manchmal mit der Hilfe „Beschränkungen" verbunden, die wohl im Interesse Amerikas auferlegt worden waren. Daher das Gerede in gewissen Kreisen vom soge-nannten „Dollar" -Imperialismus, womit der Einfluß der wirtschaftlichen Macht Amerikas auf die Politik anderer Länder gemeint wird. Dies scheint manchem Amerikaner eine ganz natürliche Sache zu sein. Er sagte: „Diese Leute sind uns durch unsere Anleihen verpflichtet, warum sollten wir daran keine Bedingungen knüpfen?“ Hier aber ergehen sich Widersprüche zwischen der wirtschaftlichen Praxis und den internationalen Beziehungen. Die Lage des Hilfegewährenden und des Hilfeempfangenden ist schon bei Einzelpersonen immer schwierig; sie ist viel schwieriger bei Staaten. Ich glaube, daß es manchmal an Takt gefehlt hat.

Europäische Belange

Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden gibt, der unterschätzt, was die Vereinigten Staaten im Kriege leisteten und was sie dazu beitrugen, die Welt in der Nachkriegsperiode zu stabilisieren. Der Marshall-Plan ist hierfür ein Beispiel. Die Beteiligung Amerikas an der NATO ein weiteres. Es bestand tatsächlich die Gefahr, daß sowjetischer Imperialismus ganz Europa überrennen würde, so wie er schon zum Diktator Ost-europas geworden war. Es darf jedoch offen gelassen werden, ob nicht ein größerer Teil Europas vom russischen Joch hätte gerettet werden können, wenn die Personen, die die Politik der Vereinigten Staaten kontrollierten, eine größere Kenntnis der europäischen Lage gehabt hätten.

Jeder kennt die Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Amerika über strategische Fragen gegen Ende des Krieges. Diese Meinungsverschiedenheiten bezogen sich nicht nur auf die militärischen Theorien sondern auch auf die internationale Politik. Nadi unserer Ansicht war der Vormarsch von Italien aus nach Österreich hinein ein vernünftiger Vorschlag und zwar nicht allein aus strategischer Sicht, sondern um die mittel-und osteuropäischen Staaten davor zu bewahren, sowjetrussische Satelliten zu werden. Tatsächlich aber war es so, daß Rußland in die Lage versetzt wurde, die Rolle als Befreier Un-garns.der Tschechoslowakei und anderer Staaten von den Deutschen zu spielen, und den Kommunisten wurde die Möglichkeit gegeben, sich zu Herren dieser Länder zu machen. Ich glaube nicht, daß sich die amerikanischen Staatsmänner dieser Gefahr in genügendem Maße bewußt waren. Sie waren, wie ich in Potsdam erlebte, nur zu gerne bereit zu glauben, mit Rußland zu einer Übereinkunft kommen zu können. Ich bin davon überzeugt, daß einige Amerikaner sogar der Ansicht waren, daß der englische Plan von imperialistischen Gedanken bestimmt wurde.

Ich glaube, es fehlte etwas an Verständnis für die europäischen Belange, was begreiflich ist. Denn schließlich bemühten sich die Vereinigten Staaten während einer langen Zeit, sich von Europa zu distanzieren und sich aus seinen wirren Verhältnissen herauszuhalten, während uns unsere geographische Lage und der Verlauf unserer Geschichte enger an den Kontinent banden. So wurden zum Beispiel verschiedene Pläne für die europäische Integration befürwortet — auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet — und gelegentlich zeigte sich Ungeduld, als europäische Staaten sich sträubten, ihre Souveränität miteinander zu verschmelzen. Nach meiner Ansicht werden hier die lange geschichtliche Entwicklung dieser Staaten und die großen Unterschiede zwischen ihnen außer Acht gelassen. Natürlich gibt es auch große Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten Nordamerikas, aber der Unterschied zwischen, sagen wir, Virginia und Pennsylvania ist nichts im Vergleich zu dem zwischen Frankreich und Deutschland oder Holland und Italien. Es ist schwer, die Verschmelzung der Souveränitäten von mehreren Staaten zuwege zu bringen, und ihr Vorteil könnte durch den Verlust der charakteristischen Eigenarten, die die europäische Szene so mannigfaltig erscheinen lassen, ausgehoben werden. Ich möchte nicht unterlassen hinzuzufügen. daß auch die Engländer oft dem gleichen Fehler verfallen und glauben, daß die öffentliche Meinung in den östlichen Staaten repräsentativ ist für die Meinung des Mittleren Westens, der Südstaaten und Kaliforniens.

Ich schreibe dies nicht, um spitzfindige Kritik zu üben, sondern ich versuche, einige der unvermeidlichen Folgen aus geschichtlichen und geographischen Gegebenheiten aufzuzeigen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Für einen Amerikaner ist es, glaube ich, unmöglich, ganz die Gefühle des französischen Volkes hinsichtlich Deutschlands zu verstehen. Im Verlaufe von nur 80 Jahren machten die Franzosen drei große Kriege mit Deutschland durch mit langen Besatzungsperioden. Diese Tatsachen können sie nicht vergessen. Lin vermeidlich begegnen sie jeder Anregung auf Wiederbewaffnung ihres alten Feindes mit dem größten Mißtrauen. Belgien ergeht es nicht anders und in einem geringeren Maße auch Holland und den Skandinavischen Ländern. Selbst in England, das keine Invasion erlebte, erinnern wir uns noch sehr lebhaft des „Blitzkrieges", und wir sehen in London und in vielen anderen Städten von Bomben verwüstete Teile und Ruinen, die uns immer daran erinnern, was wir gelitten haben. Ich kenne die großen Opfer an Menschen, die Amerika auf den westlichen und östlichen Kriegsschauplätzen brachte, sehr genau, aber weder wurde der Boden Amerikas von einer Invasion betroffen, noch wurden seine Häuser zerstört. Dieser Erfahrungsunterschied bestimmt zweifellos die Standpunkte der beiden Völker mit.

Wenden wir uns einem anderen Gebiet zu — und zwar dem Mittleren Osten und im besonderen der mohammedanischen Welt. Jahrhunderte hindurch waren wir eng mit der Türkei, mit Ägypten, den arabischen Ländern und mit Pakistan verbündet. Viele von uns haben in diesen Ländern gelebt. Es gibt englische Familien, die mit pakistanischen seit Generationen befreundet sind. Es ist ganz natürlich, daß wir viel Verständnis für diese Völker haben und daß sie ihrerseits uns verstehen. Selbst den besten Willen vorausgesetzt ist es denjenigen, die diese enge Verbindung nicht hatten, unmöglich, die Dinge im gleichen Lichte zu sehen. Amerikaner äußerten die Ansicht, daß die moslemische Welt eine Einheit wäre, wobei sie die Differenzen zwischen den Sunniten und Schiiten und die lange Geschichte der türkisch-arabischen Beziehungen außer Acht ließen. Ich hatte manchmal den Eindruck, als ob die englisch-amerikanischen Meinungsverschiedenheiten über die in diesem Gebiet einzuschlagende Politik ihren Ursprung in der Ansicht mancher Amerikaner haben, daß der englische Standpunkt von imperialistischen Auffassungen bestimmt wird, während er jedoch sehr oft seine Wurzeln in der ausgedehnten Kenntnis von der Vergangenheit und der Gegenwart der Völker in jenem Teil der Welt hat.

Es fällt noch eine andere etwas heikele Tatsache ins Gewicht. Die amerikanische Nation setzt sich aus vielen Rassen zusammen, aber nicht alle Rassen sind zu gleichen Teilen vertreten. Es gibt zum Beispiel mehr Italiener als Jugoslawen, sehr viele Juden und praktisch keine Araber. Es ist nur natürlich, daß Italiener und Juden in Amerika mehr Einfluß haben mögen als ihre Rivalen. In der Zeit der Wahlen sind sie in der Lage, ihren Ansichten Gehör zu verschaffen, und es ist unvermeidlich, daß die Parteiführer auf sie hören. Die Wahlen sind nahe und die internationalen Verwicklungen weit entfernt, so dürften interne Überlegungen vor denen der auswärtigen Beziehungen den Vorrang erlangen.

Die chinesische Frage

Wenden wir uns nun dem Fernen Osten und im besonderen der chinesischen Frage zu. Auch hier müssen wir in Betracht ziehen, wie Meinungen durch geschichtliche und geographische Erwägungen beeinflußt werden. Wir haben seit langem Handelsbeziehungen mit China; und viele Chinesen leben unter der englischen Flagge in Malaya und in anderen Gebieten. Viele Jahre haben wir asiatische Völker regiert. Die Amerikaner ihrerseits sandten Jahre hindurch viele Missionare nach China und gewährten dem chinesischen Volk große materielle Hilfe. Es ist da noch ein anderer Punkt, den die Engländer meistens nicht richtig einzuschätzen wissen, nämlich, daß der Westen Amerikas über den Pazifik, nur über ein paar verstreute Inseln hinweg, nach China schaut. Es kommt noch hinzu, daß die Amerikaner im Kriege gegen Japan die schwerste Last trugen und die Erinnerung an Pearl Habour haben. Daher sind sich die Amerikaner in größerem Maße der Gefahr einer starken feindliche« Macht an der Ostküste des Pazifik bewußt.

Bis noch vor kurzem war England eine große asiatische Macht und ist heute im englischen Commonwealth der auf gleicher Stufe stehende Partner dreier großer asiatischer Länder — Indiens, Pakistans und Ceylons. England hat noch koloniale Besitzungen in Asien. Daher ist es noch in gewissem Sinne in Asien verankert. Trotz seiner Verbindungen mit den Philippinen sind die Vereinigten Staaten keine asiatische Macht, doch da sie auf dem Nachbarkontinent leben, werden sie von allem, was sich in Asien ereignet, betroffen.

England wirft bei Betrachtung des chinesischen Problems seine Erfahrungen mit anderen asiatischen Ländern in die Waagschale. Nun ist eines der bedeutendsten Ereignisse dieses Jahrhunderts die Entstehung des asiatischen Nationalismus. Ich bin der Ansicht, daß die Entwicklung Japans zur Großmacht um die Jahrhundertwende einen der Antriebsfaktoren bildete; ein anderer war die Erziehung junger Asiaten auf europäischen und amerikanischen Universitäten, besonders aber auf letzteren, wo sie natürlich die Grundsätze der Unabhängigkeitserklärung in sich aufnahmen. Dies war der Beginn vom Ende des Kolonialismus in Asien. Die nationalistische Bewegung in Indien breitete sich kraftvoll aus; und schließlich erhielten vier große Länder in Asien unter einer englischen Labour-Regierung ihre Unabhängigkeit. Zwei große Kriege beschleunigten die Forderung nach Unabhängigkeit. Die Erfahrung hat bewiesen, daß, wenn dieser Forderung nicht rechtzeitig entsprochen wird, die vernünftigen Menschen beiseitegedrängt werden und die extremen Elemente das Steuer in die Hand nehmen. Gerade in einer solchen Situation findet der Kommunismus seine Chance. Der Kommunist ist immer bereit, sich der Sprache der Freiheit und der Demokratie zu bedienen, um die Völker umso besser versklaven zu können. Ich zweifele keinen Augenblick daran, daß der Kommunismus in Indien die Macht an sich gerissen hätte, wenn nicht rechtzeitig gehandelt worden wäre. Ich bin auch der Meinung,, daß die Holländer in Indonesien gerade zur rechten Zeit handelten. Idi glaube, daß die Franzosen in Indochina zu lange zögerten und nun hier durch einen langen und erschöpfenden Krieg bestraft werden.

Welche Bedeutung hat dies nun für die englisch-amerikanische Verständigung? Ich halte es von außerordentlicher Wichtigkeit im Hinblick auf die Haltung, die gegenüber der Volksregierung Chinas einzunehmen ist.

Der Kampf zwischen der Kuomintang-Parteiclique unter Chiang Kai-shek und den Kommunisten endete mit dem vollständigen Siege der letzteren. Was von Chiang’s Streitkräften übrig blieb, überlebte in Formosa, was sie nur dem Schutze der Vereinigten Staaten verdanken. Nach meinem Dafürhalten war der Sieg nur eine Folge der Korruption des alten Regimes und der Tatsache, daß der Kommunismus etwas zu bieten hatte, was die Masse des chinesischen Volkes ansprach. Die Anzeichen sprechen dafür, daß da, wo die Kommunisten im Verlauf des Bürgerkrieges an Boden gewannen, sie die Masse des Volkes mit neuer Hoffnung erfüllten. Schließlich war es klar, daß die Kommunisten die tatsächlichen Herrscher Chinas geworden waren, und die britische Regierung erkannte dies als Tatsache an, obgleich sie ganz und gar gegen den Kommunismus eingestellt ist. Die Vereinigten Staaten nahmen einen anderen Standpunkt ein, wozu sie durchaus berechtigt waren. Die Unstimmigkeiten zwischen England und den Vereinigten Staaten entstanden über der Frage derVergabe des Sitzes, der im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen China zugesprochen war. Es war in der Hauptsache Präsident Roosevelt zuzuschreiben, daß dieser Sitz China als einer Großmacht zugesprochen worden war. Zu jener Zeit war es sicherlich keine. Es war schwach und Wurde von inneren Kämpfen zerrissen. Ich hielt die Entscheidung damals für unklug. Jetzt, wo China mächtig geworden ist, wird der Sitz von dem Vertreter einer entmachteten Partei eingenommen. Der Volksregierung wurde dieses Recht verwehrt, weil es eine kommunistische Regierung war, und zwar noch bevor überhaupt nur die Rede von der Aggression in Korea war. Die unvermeidliche Folge davon war, daß die chinesische Regierung sich nur enger an Rußland, seinen alten Freund, anschloß, und die kommunistische Macht gestärkt wurde, weil der Kommunismus jetzt eine Stärkung durch den Nationalismus erfährt. Der Chinese fühlt sich beleidigt, weil Amerika China den ihm von Rechts wegen zustehenden Platz in den Gremien der Welt verwehrt.

Ich halte die amerikanische Haltung für unklug. Sie ähnelt der kurzsichtigen Haltung der englischen Regierung nach dem ersten Weltkrieg, als diese Kolchak und die Reaktionäre gegen die Bolschewiken unterstützte und damit Lenin zur Unterstützung durch den russischen Nationalismus verhalf. In der Geschichte gibt es noch andere Vorbilder, wie zum Beispiel die Unterstützung der Emigranten gegen die französischen Revolutionäre, Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Man kann sich leicht ausmalen, was Amerika zur Zeit der Revolution gesagt hätte, wenn europäische Mächte eine feindliche Regierung in, sagen wir, Bermuda gegen Präsident Washington unterstützt hätte.

Ich halte es für möglich, daß der Koreakrieg nie begonnen worden wäre, wenn China seinen Sitz in den Vereinten Nationen erhalten hätte. In asiatischen Ländern spielt die Frage der Selbst-achtung oder der Wahrung des „Gesichts" eine außerordentliche Rolle. Die Weigerung, die tatsächliche Regierung Chinas anzuerkennen, beleidigte die Selbstachtung des chinesischen Volkes.

Wir in England erkennen ebenso klar wie das amerikanische Volk die Gefahr des Kommunismus, doch sind unsere Ansichten über den ihm gegenüber einzuschlagenden Weg verschieden. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß die Chinesen als altes Kulturvolk die ganze kommunistische Lehre schlucken. Noch weniger glaube ich, daß China bereit ist, ein gelehriger Satellit Rußlands zu werden. Je weitgehender China aus der westlichen Welt ausgeschlossen und gezwungen wird, sich mit Rußland zu verbünden, je größer ist der Machtzuwachs für seine kommunistischen Herren. Je intensiver der Kontakt mit der westlichen Welt ist, desto geringer ist die Gefahr einer Integration der großen asiatischen Masse in einen kommunistischen Block.

Ich bin der Ansicht, daß der Volksregierung der chinesische Sitz im Sicherheitsrat gegeben werden sollte, sobald sie mit der Unterstützung der Aggression aufgehört hat. Ich hoffe, daß dann der Versuch gemacht wird, die Fernostangelegenheiten wirklich zu regeln. Ich verstehe vollkommen die amerikanischen Befürchtungen, daß Korea und Formosa zu vorgeschobenen Stützpunkten für einen kommunistischen Angriff auf den amerikanischen Kontinent werden könnten; doch habe ich das gleiche Verständnis für den Standpunkt der chinesischen Regierung, die beide Gebiete für Stützpunkte hält, von denen aus eine feindliche Macht ihren Angriff auf China unternehmen könnte. Der Angriff Japans gegen die Vereinigten Staaten ist diesen noch in lebhafter Erinnerung, aber auch China erinnert sich noch des japanischen Krieges, der von eben diesen beiden Stützpunkten aus gestartet wurde. Nach meiner Ansicht gibt es nur eine Lösung, und das ist ihre Neutralisierung.

Ich bin überzeugt davon, daß es für den Frieden der Welt von wesentlicher Bedeutung ist, sorgfältig alles zu vermeiden, was Asien gegen den Westen aufbringen könnte. Der Kolonialismus ist tot, doch bleibt auch bei dem neuen Verhältnis zwischen den asiatischen Völkern und dem Westen noch unendlich viel Arbeit übrig, nämlich die Hebung des östlichen Lebensstandards. Nach meiner Ansicht ist dies der beste Weg, die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern.

Auch hier macht sich meiner Meinung nach ein gewisser Unterschied in den englischen und amerikanischen Ansichten bemerkbar. Die Amerikaner neigen dazu, die Dinge in schwarz und weiß zu sehen, während wir graue Schattierungen bemerken. Viele Amerikaner werfen zum Beispiel gerne alle linksgerichteten Bewegungen in einen Topf. Sie machen keinen Unterschied zwischen demokratischem Sozialismus und Kommunismus. Manche von ihnen blicken mit Abscheu auf eine Einstellung, die wir für einen sehr gemäßigten Liberalismus halten. Dieser absolute Standpunkt hat seine Parallele in der Haltung einiger links gerichteter Leute, die jede nicht sozialistische Regierung für faschistisch oder reaktionär halten. Links-und Rechtsextreme haben hier die gleiche Grundeinstellung; der eine hält alles, was ihm nicht paßt, für schwarz und der andere für rot.

Unglücklicherweise wird in der Presse den extremen Standpunkten so viel mehr Beachtung geschenkt als den vernünftigen Leuten. Amerika erfährt die anti-amerikanischen Ansichten eines englischen Schriftstellers oder Redners, ohne sich klar zu machen, daß er nur die Ansicht einer kleinen Minorität vertritt, während wir mit Nachrichten über die Rede irgendeines Senators überschüttet werden, der in seinem eigenen Lande nicht gerade sehr geschätzt wird.

Die Haltung der Labour-Partei

Bisher bemühte ich midi, einen allgemeinen überblick über die Gründe für die Mißverständnisse zwischen den beiden Völkern zu geben, ohne dabei besondere Anspielungen auf irgendeine politische Partei zu machen. Doch jetzt möchte ich ein paar Worte über meine eigene Partei hinzufügen. Die Labour-Partei ist nicht anti-amerikanisch, und wenn einige Labour-Anhänger gegenüber den Vereinigten Staaten voreingenommen sind, so handelt es sich hier nur um eine kleine und unwichtige Gruppe; doch gebe ich zu, daß sich in letzter Zeit in den Reihen der Partei eine gewisse Unruhe bemerkbar macht.

Die britische Labour-Partei ist keine marxistische Partei. Ihre Anschauungen beruhen eher auf christlichen Grundsätzen als auf wirtschaftlichen Dogmen. Unter ihren Führern und Förderern befinden sich bekannte Vertreter aller Kirchen, die römisch-katholische Kirche einbegriffen. In der Labour-Regierung befanden sich drei Katholiken. Die Labour-Partei war immer demokratisch und, in weitestem Sinne, liberal. Es ist betrüblich feststellen zu müssen, daß mancher Amerikaner, und sogar Amerikaner in hohen Stellungen, nicht zwischen Kommunismus und demokratischem Sozialismus unterscheiden.

Die Labour-Partei ist sozialistisch und glaubt weitgehend an Staatseigentum und Kontrollen. Sie arbeitet auf eine klassenlose Gesellschaft und auf eine größere soziale Gerechtigkeit hin. Diese Anschauungen werden von den meisten Amerikanern nicht geteilt, die Anhänger des kapitalistischen Systems sind und die außerordentlich ungleichmäßige Verteilung der Güter nicht mißbilligen. Aber die verschiedenen Ansichten über soziale und wirtschaftliche Fragen hindern uns nicht daran, in unseren Auffassungen über den Wert der einzelnen Persönlichkeit, der Demokratie, der Freiheit und der absoluten moralischen Werte übereinzustimmen.

Beiläufig möchte ich erwähnen, daß die sozialistische Partei in einigen der demokratischen Länder Europas und Australiens stark ist — und in einigen Fällen an der Macht sitzt.

Die offensichtliche Härte des Senators McCarthy und derjenigen, die seinen intoleranten Standpunkt teilen, haben uns, und wie ich weiß auch viele Amerikaner, daher beunruhigt. Natürlich hat jeder Staat das Recht, sich selbst gegen Personen zu verteidigen, die seine Institutionen gewaltsam umstürzen wollen, oder die tatsächlich den Interessen einer feindlichen Macht dienen. Aber es besteht die Gefahr, daß diejenigen, die vorgeben, die Freiheit zu verteidigen, die Freiheit selbst opfern. Diejenigen, die wünschen, England und Amerika zu entzweien, sagen, „Ihr erklärt, in der Sache der Freiheit zusammenzuhalten, aber seht euch die Hexenjagd in Amerika an". Mancher Engländer fällt auf dieses Argument herein. 40 Jahre lang hat die Labour-Partei den Kommunismus in England bekämpft und trotz Krieg und wirtschaftlicher Depression hat der Kommunismus überhaupt keinen Erfolg zu verzeichnen.

Eine andere Schwierigkeit erblicken wir in der Unterstützung von Persönlichkeiten, die wir für undemokratische Reaktionäre halten, wie Chiang Kai-shek, Syngman Rhee und General Franco. Wir wissen, daß man auf dem internationalen Felde sich nicht immer die Verbündeten aussuchen kann, doch halten wir die Gefahr einer gewissen Geringschätzung demokratischer Bündnisse für gegeben.

Wie ich schon betonte, wünsche ich eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen England und Amerika. Ich habe die zwischen ihnen bestehenden Schwierigkeiten offen aufgezeigt, doch beeinträchtigen sie nicht ernsthaft ihre weitläufige Übereinstimmung. Im Gedankengut der Labour-Partei gibt es eine ganze Skala von Anschauungen, idealistische, anti-imperialistische, gegen Privilegien gerichtete und die soziale Reform betreffende, die von vielen Amerikanern geteilt werden. Diese Anshauungen entstammen tatsächlich der gemeinsamen Erbschaft der hristlichen Ethik. Schwierig ist es nur, den persönlihen Kontakt zwischen gleichgestimmten Personen herzustellen. Die Zahl der Labour-Anhänger, die Amerika besuchen können, war und ist zu jeder Zeit durch finanzielle Erwägungen sehr begrenzt, und die Dollar-Situation vermehrt noch die Schwierigkeit. Zweifellos trifft das gleiche, wenn auch in geringerem Maße, auf die Amerikaner zu. Doch kann eben nur durch gegenseitigen Besuch das wirkliche Verständnis zwischen den unpriviligierten Klassen erreicht werden. Ich bin überzeugt, daß das gegenseitige Verstehen von wesentlicher Bedeutung für die Erhaltung unseres demokratischen und freien Lebens ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung des Herausgebers: In der Ausgabe B IV/54 vom 3. Februar 1954 ist in dem Auisatz von Prof. Dr. Paul Egon Hübinger: „Abendland, Christenheit, Europa“ ein Druckfehler unterlaufen. Auf Seite 39, linke Spalte, Absatz 3, muß es heißen: „d o n aufwärts“ und nicht „d o n a u aufwärts“.