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Kommt es in Asien zu einer Entzweiung Englands und Amerikas? | APuZ 1/1954 | bpb.de

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APuZ 1/1954 Weihnachtsbotschaft 1953 Kommt es in Asien zu einer Entzweiung Englands und Amerikas?

Kommt es in Asien zu einer Entzweiung Englands und Amerikas?

G.F. Hudson

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnehmen wir der Zeitschrift 1953) den folgenden Artikel von G. F. Hudson.

Die unterschiedliche Art, wie Engländer und Amerikaner an die Fernost-Probleme herangehen, entstammt nicht dem Einfall von Fanatikern oder Böswilligen, sondern ist geographisch und historisch bedingt. Obgleich sie die jüngste Bedrohung der Solidarität der freien Welt darstellt, ist sie nicht neu. Im Wesentlichen handelt es sich immer noch um den gleichen Unterschied wie zwischen Vasco da Gama und Kolumbus. Schließlich hat sich die Form der Kontinente und Ozeane in den 500 Jahren nicht geändert, und selbst heutzutage, wo das Reisen im Flugzeug die Grenzen zwischen Land und See verwischt, bleibt es von entscheidender Bedeutung, ob man nach Osten und Westen reist, um Indien zu erreichen. Der nach Tokio reisende Engländer fährt von Hafen zu Hafen — über Suez, Colombo und Singapur — oder auf dem Luftwege via Kairo und Karachi; der Amerikaner überquert auf dem See-oder Luftwege von San Franzisko oder Seattle aus direkt den Pazifik. Das ist nicht nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, wie man von einem Ort zu einem anderen gelangt, es entspricht der immer währenden Verschiedenheit im geographischen Standort und den verschiedenartigen Auffassungen, die sich in Jahrhunderten entwickelt haben.

Die Bezeichnung „Ferner Osten" sagt schon aus, wie sich der Europäer zum Fernen Osten einstellt. Nach Ansicht der alten Griechen und Tömer gehörten die Länder, aus denen die Seide und die Spezereien kamen, die Nord-und Süd-chinesen, das goldene Chersones und Cattigara, zum fernsten Osten; die nur theoretisch gebildeten Geographen sagten, man würde zu ihnen gelangen, wenn man immer westwärts segeln würde, aber niemand hatte bisher diesen Weg eingeschlagen. Als im 15. Jahrhundert die geographische Wissenschaft und der Forschungsdrang eine Wiederbelebung erfuhren, zog der Zauber des Orients die Karavellen zu neuen Entdeckungen an; Prinz Heinrich, der Seefahrer, blickte von seinem Observatorium auf Kap Sagres (Portugal) südwärts nach den tropischen Meeren und hoffte, die moslemischen Besitzer Ägyptens durch einen Seeweg nach Indien rund um Afrika umgehen zu können. Als Kolumbus sich anschickte, den Ozean zu überqueren, hatten sich die Portugiesen schon in Guinea festgesetzt und waren am Kap der Guten Hoffnung vorbeigesegelt-Aber Kolumbus hatte weniger Interesse an Indien als den von Marco Polo beschriebenen Reichtümern von Cathay und am sagenhaften Gold von Cipango, wobei er sich in seinen Berichten auf die unzuverlässigen Quellen von Kublai Khans Nachrichtendienst stützte. Nach Cipango mußte man nicht rund um Afrika, sondern von den Kanarischen Inseln aus westwärts segeln. Wären bei der Berechnung der Entfernungen nicht Fehler unterlaufen und hätte sich der amerikanische Kontinent nicht hindernd in den Weg geschoben, so hätte es gut passieren können, daß Kolumbus als Gast des japanischen Shogun im Goldenen Pavillon von Kyoto seinen Tee getrunken haben würde.

Magellan jedoch vollendete, was Kolumbus geplant hatte; spanische Schiffe unter seinem Kommando umsegelten Südamerika, überquerten den Pazifischen Ozean und erreichten jene Gewässer Asiens, zu denen die Portugiesen schon durch den Indischen Ozean gelangt waren. Von all den seefahrenden Mächten Europas hielt Spanien allein seine asiatischen Besitzungen für eine westliche Ausdehnung seines Reiches. Als sich die Vereinigten Staaten in Oregon und Kalifornien festsetzten, traten sie das Erbe Spaniens im Pazifik an und folgten damit der Tradition der Acapulco-Galleonen. Amerika ergriff die Initiative, um Japan für den Verkehr mit den ausländischen Mächten zu erschließen, weil es für sie nicht wie für die europäischen Händler eine Endstation jenseits Chinas war, sondern ein Land auf dem Wege zwischen San Franzisko nach Shanghai.

Im 18. Jahrhundert wurde der Chinahandel durch die ostindischen Kompanien europäischer Nationen betrieben. Die Engländer hatten eine vorherrschende Stellung im Kantonhandel. Sie betrachteten ihn als eine Fortsetzung ihres Handels mit Indien. Wenn die ostindische Kompanie nicht selbst direkte Geschäfte mit China machte, versorgten die sogenannten „Country" -Schiffe den Markt, die von Indien aus unter Lizenz segelten. Politisch wurde Indien mit seinen Einflußsphären über das Meer hinaus als ozeanische und imperiale Macht zum Angelpunkt englischer Politik. In Englands über Europas Grenzen hinausgehender Diplomatie und Strategie standen Indien und der indische Ozean im Vordergrund des Interesses; China, Japan und der Pazifik wurden dagegen in den Hintergrund geschoben.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte England allerdings ein sehr wesentliches wirtschaftliches Interesse am Femen Osten, und die Fernost-Angelegenheiten waren einige Jahre lang für die englische Außenpolitik von höchster Wichtigkeit. Das russische Vordringen in der Mandschurei nach 1895 ließ in London Befürchtungen entstehen, China könnte unter russische „FOREIGN II.

AFFAIRS" (Juli Herrschaft fallen, und England verließ zum ersten Mal seine Politik der „splendid isolation" und schloß mit Japan ein Bündnis, um die russische Expansion im Fernen Osten aufzuhalten. Es ist jedoch dabei zu berücksichtigen, daß die zu jener Zeit in Erscheinung tretende anglorussische Rivalität im Fernen Osten lediglich einen weiteren Zusammenstoß von Interessen darstellte, von denen schon die Türkei, Persien und Afghanistan erfaßt waren; und der Alarm um China war vornehmlich ein Ausdruck des englischen Schwächegefühls in diesem Teil der Welt. Das anglo-japanische Bündnis sollte das sich sonst ganz zu Gunsten Rußlands verlagernde regionale Gleichgewicht der Kräfte wieder herstellen, indem eine Nation Unterstützung erhielt, die fähig und bereit war, in ihrem Rahmen gegen Rußland vorzugehen. Der Krieg vom Jahre 1904 zügelte schließlich Rußlands Vordringen; danach aber begann Japan seinerseits aggressive Tendenzen zu zeigen. Da England in steigendem Maße mit den in Europa aufkommenden Spannungen beschäftigt war, mußte es Japans Aktionen, die die englischen Interessen in China schädigten, mehr und mehr stillschweigend dulden. Noch 1914 zahlte sich das japanische Bündnis für England aus, denn Japan trat in den Krieg gegen Deutschland ein und säuberte den westlichen Pazifik von deutschen Blockade-brechern. Aber als 1915 England in einen tödlichen Kampf mit seinem europäischen Feind verwickelt war, mußte es ohne Einspruch die „einundzwanzig Forderungen“ hinnehmen, die fast der Errichtung eines japanischen Protektorates über China gleichkamen.

Die Richtlinien englischer Fernostpolitik zwischen 1905 und 1918 wurden seitdem zweimal wieder angewandt, einmal gegenüber Japan zwischen 1931 und 1941 und noch einmal gegenüber dem kommunistischen China seit 1949. Es ist englisches Grundprinzip, selbst mit großen Opfern an Interessen und Prestige jede Einmischung in einen fernöstlichen Konflikt zu vermeiden, der eine Abzweigung britischer Kräfte aus Gegenden ausschlaggebender Wichtigkeit fordern würde.

Die Außenpolitik und die Strategie Englands werden letzten Endes von einer bestimmten Reihenfolge von Prioritäten bestimmt, in der Europa und das Mittelmeer die erste, der Mittlere Osten und der Indische Ozean die zweite und der Ferne Osten Lei weitem die dritte Stelle ein-nehmen. Wenn in einer Krisenzeit Interessen über Bord geworfen werden müssen, um die Fracht zu erleichtern, so werden die Interessen jenseits Singapurs zuerst geopfert werden müssen und die Interessen östlich von Suez folgen dann; aber niemals kann das dringende Sicherheitsbedürfnis in Europa geopfert werden, weil jegliche Existenz Englands als Nation davon abhängt-Der Fall Singapurs im letzten Krieg bedeutete nicht das Ende Englands; selbst der Einzug Rommels in Kairo hätte England nicht den Todesstoß versetzt; wenn aber Hitlers Armee in der Lage gewesen wäre, den Kanal im Jahre 1940 zu überqueren, so würde es schlechterdings das Ende für das englische Volk gewesen sein.

Die Amerikaner haben notwendigerweise eine andere Reihenfolge von Prioritäten. Die Vereinigten Staaten, zwischen zwei Weltmeeren liegend, sehen sich nicht den gleichen strategischen Sicherheitsproblemen gegenüber, die eine Voraussetzung englischer Außenpolitik sind. Bis in die neueste Zeit hinein hielten viele Amerikaner die „Isolation“ für eine sichere und nützliche Politik Amerikas in den weltpolitischen Angelegenheiten. Aber in gleichem Maße wie Amerika aus der „isolation" heraustrat und an den historischen Entwicklungen jenseits der Ozeane teilnahm, wurde es in die trans-pazifische und trans-ozeanische Politik hineingezogen. Obgleich der Pazifik größer als der atlantische Ozean ist, wendeten die Erwerbungen von Hawaii und Alaska und die vier Jahrzehnte währende Souveränität über die Philippinen die amerikanischen Interessen tatsächlich mehr Asien als Europa zu. In einem Teil der Welt hatten die Amerikaner, ganz allgemein gesprochen, geringe oder keine Interessen, das war der Mittlere Osten, Indien und der Indische Ozean, die für die Engländer von viel größerem Interesse waren und noch sind als die im Pazifik liegenden Länder.

Die Erfahrungen des letzten Krieges bestätigten und bekräftigten noch die Verschiedenheit der beiden Gesichtspunkte. Der Krieg gegen Japan war für die Engländer ein Nebenkriegsschauplatz verglichen mit dem Kampf in Europa. Den Amerikanern jedoch waren beide Kriegs-schauplätze von annähernd gleichwertiger Bedeutung; wenn auch die Generalstabschefs immer die strategische Priorität der europäischen Fronten betonten, so war das amerikanische Volk mit seinem Herzen mehr in Guadalcanar und Okinawa als in Sizilien und in der Normandie. Für die Engländer bedeutete der Sieg in Europa das tatsächliche Ende des Krieges, besonders als während der letzten Kriegstage noch Raketen auf London fielen; für die Amerikaner jedoch konnte die von den vier Alliierten gemeinsam entgegengenommene Kapitulation Deutschlands niemals den gleichen Triumph bedeuten wie die an Bord eines amerkanischen Kriegsschiffes von einem amerikanischen Ober-befehlshaber entgegengenommene Kapitulation Japans. Tatsächlich lassen die Umstände der Beendigung des zweiten Weltkrieges, wonach sich die Vereinigten Staaten mit England, Frankreich und Rußland in der Besetzung Deutschlands und Östereichs teilten, während in Japan die Vereinigten Staaten im Wesentlichen die alleinige Verantwortung trugen, erkennen, daß Amerika als Nation mehr mit fernöstlichen als mit europäischen Angelegenheiten befaßt war.

Ein weiterer Unterschied, der die englische und amerikanische Politik in Asien voneinander trennte, und der eng mit dem grundsätzlichen Unterschied in den geographischen Gegebenheiten zusammenhängt, war die Bedeutung, die man Indien und China beimaß. Weder die charakteristische englische Sorge um Indien noch die ebenfalls charakteristische amerikanische Sorge um China läßt sich einfach mit materiellen Interessen oder Machtpolitik erklären; in jedem Falle kommt noch ein gefühlsmäßiger Komplex hinzu, ein Gefühl der Verantwortlichkeit und ein sentimentales Zugehörigkeitsgefühl, das gern erwidert werden möchte-Die historischen Beziehungen sind in beiden Fällen auf den ersten Blick allerdings grundsätzlich verschieden, denn während die Engländer Indien als Empirestaat regierten, übten die Amerikaner niemals eine Regierungsgewalt in China aus, ja, sie sind sogar die einzige Nation unter allen großen westlichen Staaten, die niemals chinesisches Gebiet gepachtet oder annektiert hatten.

Amerikanischer Idealismus erwärmte sich besonders für China und dokumentierte sich über einen langen Zeitraum in intensiver Missionstätigkeit und Philantropie, was eine ähnliche Einstellung Amerikas bewirkte wie die Englands gegenüber Indien, die geformt worden war durch die während vieler Generationen geübte Empire-Vormundschaft. Die beiderseitigen Vorlieben machten sich in den unterschiedlichen Auffassungen während des Krieges bemerkbar, als es darum ging, ob es wünschenswert sei, China den Status einer Großmacht als eine der großen Fünf in den Vereinten Nationen und in den erhofften Friedenskonferenzen zu geben. Die Vereinigten Staaten waren sehr besorgt darum, China diesen Status zu geben (schließlich setzten sie sich durch!), während die Engländer nicht der Ansicht waren, daß es zweckdienlich sei, eine außergewöhnliche internationale Verantwortung einer Nation aufzuerlegen, die es vor 1937 noch nicht zu einem wirklich vereinten modernen Staat brachte und die von da an durch die japanische Invasion das Opfer einer völligen Zerrüttung geworden war. Würde jedoch die Zahl der Bevölkerung als Maßstab für den Rang einer Großmacht angesehen werden, waren die Engländer geneigt, die Ansprüche Indiens zu fördern, dessen Bevölkerung (zu diesem Zeitpunkt zählte die Bevölkerung von Pakistan noch dazu) an Stärke der Chinas gleichkam und dessen Industrie und Verwaltungswesen entwickelter waren.

Die Amerikaner jedoch sahen die Inder als Kolonialvolk an, die noch nicht ihr Yorktown gewonnen hatten und die in keiner Weise mit dem ruhmreichen, uneroberten China verglichen werden konnten.

Ein Beobachter der internationalen Bühne im Jahre 1945 würde ganz folgerichtig zu dem Schluss gekommen sein, daß die Zukunft der chinesisch-amerikanischen Beziehungen wesentlich aussichtsreicher als die britisch-indischen sein würden. In Indien herrschten starke Spannungen, die Kongreßpartei befand sich in gewaltlosem Widerstand gegen die britische Regierungsgewalt, die nicht bereit war, den Rest ihrer Macht aufzugeben. Nach Ansicht vieler trieb die Lage einer Katastrophe entgegen. In China hingegen war die Nationalregierung auf dem besten Wege, nach dem vollständigen Sieg über den japanischen Eindringling wieder in ihre Hauptstadt zurückzukehren — ein Sieg, der mit entscheidender Hilfe der Vereinigten Staaten errungen war — und es schien, als beginne nun eine Ära engster und freundschaftlichster Zusammenarbeit zwischen Washington und Nanking. In den folgenden fünf Jahren wurden diese Aussichten geradezu ins Gegenteil verkehrt. England entschloß sich schließlich, in Indien die Souveränität ohne jedes Blutvergießen zwei unabhängigen Nachfolgestaaten zu übergeben, sehr freundschaftliche Beziehungen bahnten sich mit beiden an und beide Staaten beschlossen, freiwillig im freien Verbände des Commonwealth zu bleiben. In China brachte unterdessen ein Bürgerkrieg eine Partei an die Macht, die als Grundprinzip ihres politischen Glaubensbekenntnisses eine bittere Feindschaft gegenüber den Vereinigten Staaten auf ihre Fahnen geschrieben hatte-Wenn die englischen Kapitalinvestierungen in China umfangreicher gewesen wären als die amerikanischen und wenn das neue „anti-imperialistische" an Rußland gebunden Regime nicht nur diese Investierungen, sondern auch Hongkong und indirekt Malaya bedroht hätte, darf angenommen werden, daß beim Sieg der Kommunisten in China England aufgeregter und auf-gestörter gewesen wäre als Amerika. Aber gerade das Gegenteil war der Fall, und die Gründe hierfür liegen nicht weit. Seit einem Jahrzehnt hat sich England mehr und mehr aus den chinesischen Belangen zurückgezogen, und Amerika hat sich in steigendem Maße engagiert. Die Amerikaner sind sich wohl bewußt, in einen großen Krieg in erster Linie deshalb verwickelt worden zu sein, weil sie sich weigerten, Chinas Unabhängigkeit preiszugeben. Wenn die Vereinigten Staaten Japan erlaubt hätten, einem China, das bereits die wichtigsten Städte an den Eindringling verloren hatte, den Frieden zu diktieren, so hätte es vermutlich gar keinen japanisch-amerikanischen Krieg gegeben. Als der Krieg ausbrach, zielte jedenfalls die amerikanische Strategie als grundsätzliches Kriegsziel auf eine Befreiung Chinas. Für England diente der Krieg gegen Japan vor allem zur Verteidigung Indiens und für die Wiedererlangung der eroberten britischen Gebiete Burma und Malaya. Die über den Pazifik von Insel zu Insel vordringenden amerikanischen Streitkräfte zielten in Richtung des ostchinesischen Meeres. Als die Amerikaner Okinawa einnahmen, waren sie Schanghai näher als Tokio. Unterdessen bildete der in amerikanischen Flugzeugen transportierte Nachschub (wenn die Flugzeuge auch von bri-tischem Gebiet starteten) die einzige Hilfe für das blockierte China, und der chinesische Generalissimo erhielt einen amerikanischen Generalstabschef zugeteilt. Schließlich fand hier ein amerikanischer Feldzug auf chinesischem Boden statt, und die Kapitulation der ungeschlagenen japanischen Armee in China, mit Ausnahme in der Mandschurei, war eine Folge der von den amerikanischen Luftstreitkräften Japan selbst zugefügten harten Schläge. Zweifellos aber waren die Vereinigten Staaten entscheidend an der Befreiung Chinas beteiligt. Am Tage der japanischen Kapitulation würde es jedem Amerikaner vollkommen unglaubwürdig erschienen sein, daß innerhalb eines halben Jahrzehnts chinesischen Kindern gelehrt würde, die Niederlage Japans sei ein Werk der Guerillatruppen Chu Teh's in Verbundenheit mit der unbesiegbaren sowjetrussischen Armee gewesen.

III.

Der Abschluß des pazifischen Krieges bedeutete nicht das Ende der amerikanischen Interessen in China, sondern vermehrte sie noch-Die Vereinigten Staaten leisteten dem vom Krieg verwüsteten China in der Nachkriegszeit wirtschaftliche und militärische Hilfe. Vor allem beförderten sie auf dem See-und Luftwege chinesische Regierungstruppen in die. von den Japanern besetzten Gebiete, um sie wieder zu übernehmen; andererseits tat die amerikanische Regierung alles, um nicht in den Bürgerkrieg, der zwischen Chiang-Kai-shek und den Kommunisten ausgebrochen war, verwickelt zu werden. Durch das Bemühen, den Bürgerkrieg zu beenden, wurde Amerika jedoch viel tiefer in die internen Belange Chinas hineingezogen, als wenn es nur die anerkannte chinesische Regierung mit Waffen unterstützt und ihr erlaubt hätte, in der Unterdrückung innerer Unruhen fortzufahren. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, zu untersuchen, ob Marshalls Vermittlung zusammen mit dem auferlegten Waffenstillstand und dem nachfolgenden Waffenembargo nur ein reiner Akt der Humanität waren, um China Frieden zu bringen, oder ob diese Maßnahmen teilweise jedenfalls einen heimlichen kommunistischen Einfluß auf die amerikanische Außenpolitik zu jener Zeit widerspiegeln. Für den Historiker ist es nur wichtig, daß Amerika sich für die Ordnung der chinesischen Angelegenheiten verantwortlich fühlte.

Obgleich amerikanisches Verhalten Ende 1945 zur Folge hatte, daß die Nationalregierung ihrer einzigen Siegeschance beraubt wurde, mußte der Ausgang des Bürgerkrieges Chinesen und Amerikanern als ein kommunistischer Triumph nicht nur über die Kuomintang, sondern auch über die Vereinigten Staaten erscheinen. Der Kelch der Niederlage schmeckte den Amerikanern gerade wegen der traditionellen guten Freundschaft zwischen beiden Ländern besonders bitter.

Die Tatsache, daß in den letzten zweieinhalb Jahren eine chinesische Armee amerikanische Soldaten tötete, verletzte das amerikanische Volk als ganzes genommen weniger als die empörenden Entstellungen über amerikanisches Verhalten im Fernen Osten und die als „kulturelle Aggression“ bezeichnete Verunglimpfung früherer einem rückständigen China geschenkter Wohltaten auf dem Gebiet der Medizin und des Erziehungswesens. Die chinesischen Kommunisten sind nicht nur eine marxistisch-leninistische Partei, die nun auch noch in einem anderen Lande die Macht an sich gerissen hat; sie sind vor allem anti-amerikanisch; sie entfremdeten dem chinesischen Volk seinen besten Freund. Aus diesem Grunde ist Amerika grundsätzlich nicht bereit, das als unwiderrufliche Entscheidung hinzunehmen, was sich in China zugetragen hat, oder die Volksrepublik als Vertretung des chinesischen Volkes anzuerkennen. Die Engländer jedoch teilen diese Auffassung nicht, und auf Grund ihrer verschiedenartigen Beziehungen zu China in den letzten Jahren haben sie größte Mühe, sie auch nur zu verstehen. Seit 1945 betrachtete England China mit den Augen eines unbeteiligten Beschauers, der sich völlig außerhalb des Spieles fühlt. Ihnen fehlt das Gefühl für einen Fehlschlag, weil sie gar nicht versucht hatten, etwas zu erreichen; sie sind nicht übermäßig enttäuscht, weil sie sich niemals einbildeten, die Verhältnisse in Nachkriegschina würden stabil sein; sie schätzen das neue Regime nicht, aber sie sind der Ansicht, daß es sich nun mal durchgesetzt hat und daß es als eine vollendete Tatsache hingenommen werden muß.

Die Verschiedenartigkeit der Einstellungen entspringt in erster Linie dem Gefühl, sie entspricht aber auch der andersgearteten strategischen Auffassung, die wiederum sich durch die besonderen nationalen Interessen erklärt. Das Ende des pazifischen Krieges bescherte Amerika im westlichen Pazifik eine strategische „Grenze" von Alaska über die Aleuten, Japan und Okinawa zu den Philippinen gegen den russisch-chinesischen Machtblock auf dem asiatischen Fest-lande. Dieses Defensivsystem ist das pazifische Gegenstück zum atlantisch-europäischen Verteidigungssystem mit seinen Grenzen von Norwegen bis zur Türkei, in welchem Amerika als Mitglied der NATO teilhat. Im Falle eines Krieges zwischen der Sowjetunion und den NATO-Mächten würde unvermeidlich eine Kampffront von Beginn an sowohl im nördlichen Pazifik wie in Europa und im Atlantik vorhanden sein. Die Lage ist heute ganz verschieden von der im zweiten Weltkrieg. Es gab da auch letzten Endes einen Krieg im Pazifik und einen in Europa, aber die Kampfgebiete waren geographisch getrennt;

Deutschland besaß im Fernen Osten keine territorialen Basen; und Japan blieb trotz seiner Feindseligkeiten in China über zwei Jahre nach Kriegsausbruch im europäischen Krieg neutral.

Die Sowjetunion jedoch sitzt rittlings auf Europa und Asien, so daß jede Krise, die die Vereinigten Staaten in einen bewaffneten Konflikt in Europa hineinziehen würde, auch einen russisch-amerikanischen Krieg auf der anderen Seite der Welt bedeuten würde.

Im einzelnen muß Amerika bei seiner strategischen Planung drei Gefahrenpunkten Rechnung tragen. Erstens: Sibirien ist an der engsten Stelle weniger als 100 Meilen von Alaska entfernt. Das ist das einzige Gebiet, wo es für Ruß-land am günstigsten wäre, einen Einfall in den nordamerikanischen Kontinent zu versuchen; solch ein Angriff dürfte nur geringes militärisches Gewicht haben, aber die psychologischen Auswirkungen einer Maßnahme, die „den Krieg auf den amerikanischen Kontinent trägt“ würde so groß sein, daß es notwendig wäre, diesem Angriff erfolgreich zu begegnen. Zweitens: Obgleich Rußlands Seemacht geringer ist als die Japans im Jahre 1941, würden russische U-Boote wahrscheinlich von sibirischen Basen aus den Pazifik heimsuchen und weitreichende, mit Raketen ausgestattete Luftstreitkräfte würden von Kamschatka aus Hawaii und Seattle treffen. Drittens: Rußland würde wahrscheinlich eine Invasion Japans versuchen, um die Kontrolle über seine Industriekapazität und seine Facharbeit für Kriegszwecke zu gewinnen. Die ganze Last der Verteidigung gegen alle diese möglichen strategischen Bedrohungen (die in einem hypothetischen Krieg mit Rußland liegen, ob China als kriegführende Macht auftritt oder nicht) müssen die Vereinigten Staaten und Kanada tragen wobei das japanische nationale Sicherheitskorps bei der Verteidigung Japans eine örtliche Hilfe leisten kann. Im atlantischen Felde dagegen stehen England und Frankreich bei einem Konflikt mit Rußland in der ersten Verteidigungslinie, und auf dieser Seite besitzen die Russen keine dem amerikanischen Kontinent nahegelegene Landbasis-Obgleich innerhalb der NATO-Staaten die Ansicht herrschen mag, daß Europa der hauptsächliche und entscheidende Kriegsschauplatz sein würde, ist Amerika feindlichen Maßnahmen vielmehr von der pazifischen als von der atlantischen Seite her ausgesetzt und es ist beim Ausbau der pazifischen Front ohne jegliche Hilfe der europäischen Nationen nur auf Kanada als Bundesgenossen angewiesen. Diese Tatsache muß amerikanisches Denken über die Fernostfragen beeinflussen, um so mehr als Amerikas europäische Bundesgenossen im nördlichen Pazifik gar nicht in Erscheinung treten, sondern sich auch gar nicht darüber klar zu sein scheinen, daß hier ein strategisches Problem vorhanden ist. Für England und Frankreich würde sich die fernöstliche Gefahr in einem Weltkrieg in einem feindlichen China darstellen, wobei Hongkong, Hanoi, Saigon und Singapur Angriffen ausgesetzt sein würden; der sowjetische Ferne Osten tritt überhaupt nicht in Erscheinung oder etwa Gebiete östlich oder nördlich von Hongkong, wo die strategischen Interessen ihr absolutes Ende finden. Für Amerika jedoch würden feindliche Handlungen Chinas an erster Stelle eine nach Süden gerichtete Ausweitung des sibirisch-alaskisch-japanischen Kriegsschauplatzes bedeuten, und China würde nicht nur als Absprungbasis für Luftangriffe und Luftlandeoperationen gegen Kyushu, Okinawa und Luzon gefährlich sein. In diesem Zusammenhang ist auch Formosa strategisch wichtig; es schirmt Okinawa und Luzon gegen Annäherungen vom chinesischen Festland ab. Es schirmt jedoch in keiner Weise Hongkong, Indochina oder Malaya ab, und daher ist sein Schicksal in dem begrenzten anglo-französischen Blickwinkel fernöstlicher Verteidigung uninteressant.

In den Vorstellungen Londons und Paris'ist der Ferne Osten vor allem „fern". Er ist weiter entfernt, als sich in Meilen auf der Oberfläche des Globus messen läßt. Denn viele Länder liegen dazwischen, und psychologisch erscheint der mit bevölkerten Ländern ausgefüllte Raum viel größer als das leere Meer, das sich zwischen Seattle und Tokio dehnt. Aber die sowjetische Armee an der Elbe ist bedrückend nahe. England und Frankreich haben innerhalb 40 Jahren zweimal einen europäischen Krieg aus nächster Nähe erlebt, und ihr ganzes politisches und strategisches Denken wird durch diese Erfahrung bestimmt. Wenn zu den alten Offensivwaffen jetzt noch Atomwaffen und die weiterentwickelten Raketen und ferngelenkten Geschosse hinzukommen, muß England in jedem zukünftigen Krieg mit schrecklichen Verwüstungen rechnen. Daher muß das Hauptziel seiner auf kriegerische Verwicklungen mit Rußland gerichteten Strategie darin bestehen, die Front so nahe wie möglich an der Elbe aufzubauen, um einen Einbruch in Holland, Belgien und Nordfrankreich zu verhindern. So lebensnotwendig ist dieses Vorhaben für England und Frankreich, daß fast alles andere auf dieser Welt ihnen dagegen von ganz geringer Bedeutung erscheint. Ihre Regierungen wünschen die größtmögliche Konzentration der Verteidigungskräfte in der NATO (die amerikanischen einbegriffen) gegen einen möglichen russischen Vorstoß nach Westeuropa, und sie fürchten angstvoll, irgendein Konflikt in einem anderen Teil der Erde mache es notwendig, wesentliche Streitkräfte von der europäischen Front abzuziehen. Das war das Grundmotiv des europäischen, und insbesondere des englischen auf die Vereinigten Staaten ausgeübten Druckes, von einer Ausdehnung des koreanischen Krieges durch direkte Aktion gegen das kommunistische China Abstand zu nehmen.

Bei einer jener politischen Entwicklungsstadien, die Menschen mit den verschiedensten Zielen und Ansichten veranlassen, eine einzige politische Linie zu unterstützen, war der englische Entschluß, das Risiko einer strategischen Ablenkung im Fernen Osten zu verringern, unglücklicherweise so untermischt mit Sympathien gewisser linksgerichteter Kreise für das neue China — Wunschträume, daß Mao-Tse-tung zu einem Tito wird und Hoffnung auf eine Belebung des Chinahandels — daß viele Amerikaner die englische Haltung in den Fernostangelegenheiten nur für Prokommunismus und Geldgier halten.

Die Vergangenheit Sir Winston Churchills sollte wahrhaftig jedem gerecht denkenden amerikanischen Bürger die Garantie bieten, daß die englische Regierungspolitik weder im Kreml gemacht noch von den Hongkonger Kaufleuten diktiert wird. Aber es steht außer Frage, daß das Problem der Beziehungen zu China nach Beendigung des zweiten Weltkrieges Anlaß zu ernsthaften Reibungen zwischen England und den Vereinigten Staaten gab. Trotz der in London und Washington vorherrschenden Tendenz, (die nicht neu ist), verschiedene Standpunkte in der Frage des internationalen Gesetzes der de jure Anerkennung einzunehmen, besteht hier aber keine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit; Kernpunkt des Problems ist, daß die Engländer instinktiv fühlen, daß ungeachtet der Stärke der Provokation ein Krieg mit China vermieden oder in Grenzen gehalten werden muß, während die Amerikaner im Bewußtsein ihrer gerechten Sache kein Risiko darin sehen, eine siegreiche Beendigung des Koreakrieges anzustreben. Denkt der Engländer an den Yalu, so vergißt er dabei nie die Elbe; für den Amerikaner jedoch ist es nur zu leicht, trotz der NATO die Elbe zu vergessen.

Soweit der Engländer überhaupt bereit ist, wesentliche Streitkräfte aus Europa abzuziehen, würde er dies nie zu Gunsten des Fernen Ostens und des Pazifiks, sondern nur für den Mittleren Osten und den Indischen Ozean tun. Im Jahre 1940 übernahm Churchill das Risiko, Verstärkungen nach Ägypten zu schicken, obgleich über England immer noch die Gefahr einer Invasion schwebte. Fünf der unabhängigen Commonwealthländer und weitere zum englischen Empire gehörende Gebiete liegen um den Indischen Ozean herum — im Osten Australien, im Norden Malaya, Ceylon, Indien, Pakistan und die englisch-arabischen Protektorate und im Westen Kenya und Südafrika. Hier liegen auch im Mittleren Osten die englischen Ölinteressen, deren völliger Verlust eine lähmende Katastrophe für England als Großmacht bedeuten würde. Diese Sphäre englischer Politik ist Europa untergeordnet, aber allen Gebieten jenseits Singapurs weitaus übergeordnet-Die hohe Einschätzung der Bedeutung des Indischen Ozeans bewirkte außerdem einen starken indischen Einfluß auf die englische Politik, was zu weiteren Meinungsverschiedenheiten zwischen England und Amerika Anlaß gab. Seit Indien die Unabhängigkeit erhielt, bemüht sich England, die englische Asien-politik, wenn immer nur angängig, mit Indien abzustimmen und in Delhi jeden Anlaß zu einem Mißtrauen zu vermeiden, als ob Indien im Felde der Außenpolitik nicht als voll-souveräner Staat angesehen würde. In den Vereinigten Staaten jedoch, in denen es früher eine so weitverbreitete Sympathie für den Kampf des indischen Nationalismus gegen die englische Oberherrschaft gab, hat die gegenwärtig vom unabhängigen Indien verfolgte Politik einen sehr unerfreulichen Schock verursacht und war der Anlaß zu erheblichem Ärger. Nehrus demonstrative Neutralität im „Kalten Krieg", Indiens Sympathien für das kommunistische China und Indiens Führung im sogenannten Block der asiatischen und arabischen Staaten in den Vereinten Nationen: alles dieses trägt dazu bei, Spannungen zwischen Indien und den Vereinigten Staaten hervorzurufen, die wieder Rückwirkungen auf die englisch-amerikanischen Beziehungen haben, weil England beharrlich versucht, Indien auszusöhnen und dem indischen Standpunkt in vollem Umfange gerecht zu werden. Es lassen sich sicher gute Gründe für den Wert einer solchen Haltung im Interesse der freien Welt anführen; so hatte z. B. die Tatsache, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen die von Indien angestrebte Entschließung über die koreanischen Kriegsgefangenen annahm, die moralische Isolierung des kommunistischen Blocks zur Folge. Nichtsdestoweniger birgt die besondere Bindung Englands an Indien, das von allen nicht-kommunistischen Ländern am meisten für das kommunistische China Partei ergriff, augenscheinliche Gefahren für ein harmonisches englisch-amerikanisches Verhältnis.

Die Ereignisse der letzten fünf Jahre haben gezeigt, daß die Zunahme des kommunistischen Druckes in Europa England und Amerika näher zusammenbringt, während zunehmender Druck im Fernen Osten sie trennen kann. Der Kreml müßte also aus diesen Umständen die Lehre ziehen, daß es klug wäre, in Europa vorsichtig zu agieren, aber im Fernen Osten den Topf am Kochen zu erhalten. Obgleich es noch zu früh zu einem endgültigen Urteil ist, gibt es einige Anzeichen dafür, daß die „neue“, seit Stalins Tod eingeschlagene russische Politik sich als Hauptziel gesetzt hat, England und Amerika zu entzweien. Soweit überhaupt eine tatsächliche Entspannung beabsichtigt ist, wird sie sich auf Europa beschränken. Sollte sich die russische Diplomatie bei der gegenwärtig in England und Amerika herrschende Stimmung auf das gefährliche Problem konzentrieren, dem kommunistischen China einen Sitz in den Vereinten Nationen zu geben, könnte es ihm glücken, das ganze, seit 1947 für die Sicherheit der freien Welt mit so viel Mühe errichtete Gebäude der Bündnisse zu zerstören.

Angesichts der in letzter Zeit über den Atlantik hinweg gemachten gegenseitigen Beschuldigungen dürfte sich Stalin vor Neid auf seinen Nachfolger noch im Grabe herumgedreht haben.

Sicherlich ist es nicht einfach, englische und amerikanische Politik in Fernostfragen miteinander abzustimmen. Je weiter das Verständnis in jedem Lande für die grundsätzlichen geographischen und geschichtlichen Gegebenheiten geht, die die verschiedenartigen nationalen Einstellungen zu diesen Problemen bestimmen, um so mehr werden sich die Aussichten auf ein Übereinkommen verbessern und gefühlsmäßige Momente werden ausgeschaltet, die keinen Unterschied darin sehen, ob man Cathay aus westlicher oder östlicher Richtung ansteuert.

Fussnoten

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