An der strahlenden Krippe des Heilandes „Das Volk, das in der Finsternis wandelt, schaut ein großes Licht. Unter diesem lebendigen Bild kündete Isaias’ prophetischer Geist (Is. 9, 1) im voraus das Kommen des göttlichen Kindes, des Vaters der Zukunft und Fürsten des Friedens. Mit dem gleichen Bild, in der Fülle der Zeiten trostbringende Wirklichkeit geworden für die in einer Welt voll des Dunkels sich ablösenden Menschengeschlechter, möchten Wir, geliebte Söhne und Töchter des katholischen Erdkreises, Unsere Weihnachtsbotschaft beginnen und euch damit wieder hinführen zur Wiege des neugeborenen Erlösers, der leuchtenden Quelle des Lichtes.
Licht, das in der Finsternis leuchtet Licht, das die Finsternis zerteilt und überwindet, ist in der Tat die Weihnacht des Herrn in ihrer wesentlichen Bedeutung, wie sie der Apostel Johannes zusammenfassend darbot im einleitenden Hohenlied seines Evangeliums, einem Echo des feierlichen Tones der ersten Seite des Schöpfungsberichts, als das erste Licht aufschien. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“ (Jo 1, 14). Leben und Licht in sich selbst, strahlt Er auf in der Finsternis und gibt allen, die ihm Auge und Herz öffnen, die ihn aufnehmen und an ihn glauben, die Macht, Kinder Gottes zu werden (Vgl. Jo. 1, 12).
Doch trotz des strahlenden Scheins des göttlichen Lichts, das von der kleinen Krippe ausgeht, ist dem Menschen die erschreckende Möglichkeit belassen, in der alten, durch die Ursünde verursachten Finsternis zu versinken, da, wo der Geist verkommt in Werken, die Elend und Tod bringen. Für solche, die durch Verlust oder Minderung des Glaubens freiwillig Blinde geworden sind, hat Weihnachten nur noch den Reiz eines rein diesseitigen Festes, aufgelöst in dürftige Stimmungen und rein irdische Erinnerungen, häufig zwar noch mit trauter Zärtlichkeit umkleidet, aber eben wie eine Hülle ohne Inhalt und eine Schale ohne Kern. Im Umkreis der strahlenden Wiege des Erlösers bestehen also noch Zonen der Finsternis, bewegen sich noch Menschen, deren Augen erloschen sind für den himmlischen Glanz, nicht etwa, weil der menschgewordene Gott kein Licht hätte, freilich geheimnisvolles, um jeden zu erleuchten, der in diese Welt kommt; vielmehr deshalb, weil viele, vom Eintagsglanz der menschlichen Ideale und erke geblendet, ihren Blick auf den Bereich des Geschaffenen beschränken, unfähig wie sie sind, ihn zum Schöpfer zu erheben, zum Ursprung, C rdner und Ziel alles Seienden.
Der „technische Fortschritt“
Diese Menschen der Finsternis möchten Wir hinweisen auf das „große Licht“, das von der Krippe ausstrahlt, und sie einladen, zunächst die Ursache zu erkennen, die heute blind und unempfindlich macht für das Göttliche. Es ist die übertriebene, zuweilen ausschli eßliche Wertschätzung des sogenannten „technischen Fortschritts". Dieser, zuerst Er kommt von Gott und führt an sich zu Gott als allmächtiger und glückbringender Mythus geträumt, dann mit allem Einsatz vorangetrieben bis zu den kühnsten Errungenschaften, hat sich als letztes Menschheits-und Lebensziel in weitem Ausmaß des Bewußtseins bemächtigt und damit an die Stelle jeder Art von religiösen und geistigen Idealen gesetzt-Mit immer größerer Klarheit sieht man heute, daß seine ungebührliche Verherrlichung die Augen der modernen Menschen blind, ihre Ohren taub gemacht hat, so daß sich an ihnen bewahrheitet, was das Buch der Weisheit an den Götzendienern seiner Zeit geißelte (Weish. 13, 1): Sie sind unfähig, von der sichtbaren Welt auf den Seienden zu schließen und den Werkmeister in seinem Werke zu entdecken. Und mehr noch bleibt heute für jene, die in der Finsternis wandeln, die Welt des Übernatürlichen und das über jegliche Natur erhabene, durch Jesus Christus vollbrachte Werk der Erlösung in völliges Dunkel gehüllt.
Und doch bräuchte eine solche Verirrung nicht stattzuhaben, und auch diese Unsere Klage möge nicht aufgefaßt werden als Verurteilung des technischen Fortschrittes an sich. Die Kirche liebt und begünstigt den menschlichen Fortschritt. Unleugbar kommt der technische Fortschritt von Gott; darum kann und soll er zu Gott führen. Wenn der Gläubige die Eroberungen der Technik bewundert, wenn er sich ihrer bedient, um tiefer in die Kenntnisse der Schöpfung und der Naturkräfte einzudringen und sie vermittels Maschine und Apparatur besser zu beherrschen, um sie in den Dienst des Menschen zu stellen, zur Bereicherung des irdischen Lebens, so geschieht es tatsächlich sehr häufig, daß er sich mit Macht getrieben fühlt, den Geber jener Güter, die er bewundert und benutzt, anzubeten, wohl wissend, daß der ewige Sohn Gottes „der Erstgeborene vor aller Schöpfung ist, weil in ihm alles erschaffen wurde, was im Himmel und was auf Erden ist, Sichtbares und Unsichtbares“ (Kol. 1, 15— 16). Weit also davon entfernt, sich getrieben zu fühlen, die Wunder der Technik und ihren rechtmäßigen Gebrauch zu leugnen, findet der Gläubige sich durch sie vielleicht noch bereiter, das Knie vor dem göttlichen Kinde in der Krippe zu beugen, tiefer bewußt seiner Dankesschuld gegenüber Dem, der Einsicht und Fülle gab, mehr angeregt, die Werke der Technik selbst einzureihen in den Chor der Engel zum Hymnus von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe“! (Luk. 2, 14). Er wird es sogar ganz natürlich finden, dem Gold, dem Weihrauch und der Myrrhe, die dem göttlichen Kind von den Weisen dargebracht wurden, auch die modernen Errungenschaften der Technik beizufügen. Maschinen und Zahlen, Laboratorien und Erfindungen, Kraft und Naturschätze. Ja, diese Festgabe ist wie die Darbietung des Werkes, das Er selbst befohlen hat und das heute mit Erfolg ausgeführt, wenn auch noch nicht vollendet ist. „Bevölkert die Erde und macht sie euch untertan“ (Gen-1, 28), sagte Gott zum Menschen, als er ihm die Schöpfung zu vorläufigem Erbe überließ. Welch langer und schwerer Weg von damals bis heute, wo die Menschen gewissermaßen sagen können, den göttlichen Befehl ausgeführt zu haben! Die heutige Technik auf der Höhe ihres Glanzes und ihres Ertrages Die Technik verhilft in der Tat dem heutigen Menschen zu einer nie dagewesenen Höhe der Beherrschung der materiellen Welt. Die moderne Maschine gestattet eine Weise der Erzeugung, die die menschliche Arbeitskraft ersetzt und ins Riesenhafte steigert, sich überhaupt vom Einsatz der organischen Kräfte loslöst und ein Höchstmaß an extensiver und intensiver Energie, zugleich aber auch, an Genauigkeit sichert. Wenn man mit einem Blick die Ergebnisse dieser Entwicklung überschaut, so scheint es, als sei in der Natur selbst eine befriedigende Zustimmung zu greifen für das, was der Mensch in ihr gewirkt hat, und ein Antrieb, voranzuschreiten in der Erforschung und Nutzbarmachung ihrer außerordentlichen Möglichkeiten. Nun ist es aber klar, daß jede von der Technik unternommene Erforschung und Entdeckung von Naturkräften schließlich zur Erforschung und Entdeckung der Größe und ordnenden Weisheit Gottes hinführt. Wenn man die Technik so ansieht, wer könnte sie dann mißbilligen und verurteilen?
Die Gefahr eines großen geistigen Schadens — Die „technische Gesinnung“.
Trotzdem scheint es unleugbar, daß gerade die Technik, die in unserem Jahrhundert den Gipfel des Ruhmes und Ertrages erreicht hat sich durch von außen kommende Umstände in eine schwere geistige Gefahr verwandelt. Sie scheint dem modernen Menschen, der sich vor ihrem Altar zu Boden wirft, ein Gefühl des Sichselbstgenügens, der Erfüllung seines Verlangens nach grenzenloser Erkenntnis und Macht zu verleihen. Mit ihrer vielfachen Anwendung, dem uneingeschränkten Vertrauen, das sie einflößt, den unerschöpflichen Möglichkeiten, die sie verspricht, eröffnet die Technik um den Menschen von heute eine so weite Schau, daß sie von vielen mit dem Unendlichen verwechselt wird. Infolgedessen wird ihr eine unmögliche Autonomie zugeschrieben, die sich ihrerseits in einem bestimmten Denken in eine irrige Weltanschauung umwandelt, die man mit dem Namen „Technische Gesinnung“ bezeichnet hat. Aber worin besteht sie genau? Darin, daß man es für den höchsten Wert des Menschen und des Lebens hält, den größtmöglichen Nutzen aus den Kräften und Grundstoffen der Natur zu ziehen, daß man sich die technisch möglichen Methoden mechanischer Erzeugung vor aller anderen menschlichen Betätigung zum Ziele setzt, und daß man in ihnen die Vollkommenheit der Kultur und des irdischen Glückes erblickt.
Sie sucht den Blick des Menschen einzuengen nur auf die Materie ...
Vor allen Dingen liegt in dieser vom Geist der Technik dargebotenen verkehrten Weltanschauung ein fundamentaler Irrtum. Die Gesamtschau — auf den ersten Blick grenzenlos — die die Technik vor den Augen des modernen Menschen entfaltet, bleibt doch nur ein Teilentwurf des Lebens auf die Wirklichkeit, so ausgedehnt er auch sein mag, weil er sie, die Wirklichkeit, nur in ihrer Beziehung zur materiellen Welt erfaßt: ein blendendes Panorama, das den an die Unermeßlichkeit und Allmacht der Technik zu leicht glaubenden Menschen am Ende in ein zwar weiträumiges, aber begrenztes Gefängnis einschließt, das deshalb dann auf lange Sicht für seine echte Geistigkeit unerträglich wird-Sein Blick, weit davon entfernt zur unendlichen Wirklichkeit vorzudringen, die eben nicht nur Materie ist, wird sich peinvoll beengt fühlen von den Schranken, die diese ihm notwendig entgegensetzt. Daher stammt auch die geheime Qual des heutigen Menschen, der blind geworden ist, weil er sich freiwillig mit Finsternis umgeben hat. .... sie macht blind für religiöse Wahrheiten Noch viel schwerer sind die Schäden der „technischen Gesinnung“ für den von ihr berauschten Menschen auf dem Felde der eigentlich religiösen Wahrheit und seiner Beziehungen zum Übernatürlichen. Das sind auch die Finsternisse, auf die der hl. Evangelist Johannes anspielt, die das fleischgewordene Wort Gottes zu zerstreuen gekommen sind und die das geistige Verständnis der göttlichen Geheimnisse verhindern.
Nicht als ob die Technik in sich folgerichtig die Leugnung der religiösen Werte fordere. Nein, sie führt, wie Wir gesagt haben, im Gegenteil zu ihrer Entdeckung. Aber es ist die „technische Gesinnung", die den Menschen in einen Zustand versetzt, der dem Suchen, Sehen und Annehmen der übernatürlichen Wahrheiten und Werte ungünstig ist. Der Geist, der sich verführen läßt von der „technischen Lebensauffassung“, bleibt unempfindlich, nicht angesprochen und schließlich blind gegenüber den Werken Gottes, die wie die Geheimnisse des christlichen Glaubens ihrer Natur nach von der Technik ganz verschieden sind. Das Heilmittel, das in einem verdoppelten Bemühen bestünde, den Blick über die Schranken der Finsternis hinauszurichten und in der Seele das Verlangen nach den übernatürlichen Wirklichkeiten zu fördern, wird schon am Ausgangspunkt von eben dieser „technischen Gesinnung“ unwirksam gemacht; denn sie nimmt dem Menschen den kritischen Sinn für die eigenartige Unruhe und Oberflächlichkeit unserer Zeit: ein Versagen, das als eine ihrer Folgen leider auch die zugeben müssen, die wirklich und aufrichtig den Fortschritt der Technik billigen.
Die von der „technischen Gesinnung" durchsetzten Menschen finden nur schwer noch jene Ruhe, Klarheit und Innerlichkeit, die Vorbedingung sind, wenn man den Weg zum menschgewordenen Gottessohn finden soll. Sie werden soweit kommen, den Schöpfer und sein Werk schlecht zu machen, indem sie die Menschennatur als Fehlkonstruktion bezeichnen, wenn die notwendig begrenzte Leistungsfähigkeit des Gehirns und der anderen menschlichen Organe die Verwirklichung technologischer Berechnungen und Pläne verhindert. Noch weniger vermögen sie die tiefen Geheimnisse des göttlichen Lebens und Heilswirkens zu verstehen und zu werten, wie etwa das Weihnachtsgeheimnis, in dem die Verbindung des Ewigen Wortes mit der Menschennatur noch ganz andere Wirklichkeiten und Größen schafft als die von der Technik ins Auge gefaßten. Ihr Denken folgt anderen Wegen und anderen Methoden unter dem einseitigen Einfluß jener „technischen Gesinnung“, die als Wirklichkeit nur anerkennt und schätzt, was sich in Zahlenverhältnissen und Nützlichkeitsberechnungen ausdrücken läßt. Sie glauben so die Wirklichkeit in ihre Elemente aufzulösen, aber ihr Erkennen bleibt an der Oberfläche haften und bewegt sich nur in einer Ebene. Es leuchtet ein, daß die Anwendung der technischen Methode als einzigen Mittels der Wahrheitssuche darauf verzichten muß, etwa in die tiefen Wirklichkeiten des organischen und mehr noch des geistigen Lebens einzudringen, in die lebendigen Wirklichkeiten des Einzelmenschen und der menschlichen Gesellschaft, weil diese sich ja nicht in Mengenverhältnisse auflösen lassen. Wie soll man von einer solchen Einstellung Zustimmung und Bewunderung für die gewaltige Wirklichkeit erwarten, in die wir durch Jesus Christus', seine Menschwerdung und sein Erlösungswerk, seine Offenbarung und seine Gnade emporgehoben sind? Auch abgesehen von der religiösen Blindheit als Folge der „technischen Gesinnung“, bleibt der von ihr besessene Mensch verkümmert in seinem Denken, gerade insofern er ein Ebenbild Gottes ist. Gott ist die unendlich umfassende Erkenntniskraft, während die „technische Gesinnung" alles tut, im Menschen das freie Ausstrahlen des Erkennens zu hemmen. Dem lehrenden wie dem lernenden Menschen der Technik, der sich vor dieser Geistesverkümmerung retten will, muß man nicht nur eine tiefgehende geistige Erziehung, sondern vor allem auch eine religiöse Bildung wünschen, die ganz im Gegensatz zu geläufigen Behauptungen der beste Schutz der Erkenntnis gegen einseitige Lenkung ist.
Dann wird die Enge seines Erkennens gesprengt; dann offenbart sich ihm die Schöpfung in all ihren Ausmaßen, besonders wenn er vor der Krippe zu begreifen sucht, was es ist um die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und die Erkenntnis der Liebe Christi (vgl. Eph. 3, 18 bis 19). Sonst wird das technische Zeitalter die Ungeheuerlichkeit vollbringen, den Menschen zum Riesen der physischen Welt zu machen — auf Kosten seines Geistes, den sie zum Zwerg der Welt des Übernatürlichen und Ewigen einschrumpfen läßtDer Einfluß der „technischen Gesinnung“ auf die natürliche Lebensordnung der heutigen Menschen und ihre gegenseitigen Beziehungen, . . .
Aber der Einfluß des technischen Fortschritts macht hier noch nicht halt, wenn er einmal in das Bewußtsein als etwas Autonomes, als Selbstzweck ausgenommen ist. Niemandem entgeht die Gefahr einer „technischen Lebensauffassung", d. h.der Haltung, das Leben ausschließlich zu betrachten unter der Rücksicht seiner technischen Werte, als technischen Stoff und als technische Kraft. Sie wirkt sich aus auf die Lebensweise der modernen Menschen und ihre gegenseitigen Beziehungen.
Achtet einmal darauf, wie sie daran ist, sich im Volk breit zu machen, und erwägt besonders, wie sie den menschlichen und christlichen Begriff der Arbeit umgewandelt hat; dann, welchen Einfluß sie ausübt in Gesetzgebung und Verwaltung. Das Volk hat mit gutem Recht den Fortschritt begrüßt, weil er die Last der Arbeit erleichtert und ihre Ergiebigkeit erhöht. Man muß aber offen sagen, daß, wenn diese Haltung nicht innerhalb der rechten Grenzen bleibt, der menschliche und christliche Begriff der Arbeit notwendig Schaden leidet. Gleicherweise führt die falsche technische Lebensauffassung und darum auch eine solche von der Arbeit dazu, die Freizeit als Selbstzweck zu betrachten, anstatt sie anzusehen und auszunützen als Erholung und Kräfte-sammlung, wesentlich gebunden an den Rhythmus-eines geordneten Lebens, in dem Ruhe und Arbeit sich in eins verflechten und gegenseitig ebenmäßig ergänzen. Noch deutlicher wird der Einfluß der „technischen Gesinnung“ auf die Arbeit, wenn dem Sonntag seine einzigartige Würde cis Tag der Gottesverehrung und der leiblichen wie seelischen Ruhe für den einzelnen wie für die Familie verloren geht, und wenn er statt dessen lediglich einer der durch die Woche gleitenden freien Tage wird, für jedes Glied der Familie vielleicht ein anderer, nur nach dem größeren Gewinn, der sich von der technischen Kombination materieller und menschlicher Energie erhoffen läßt; oder wenn die Berufsarbeit so in den Gang der Maschine und Apparatur eingeschaltet wird, daß der arbeitende Mensch schnell verbraucht wird, wie wenn ein einziges Jahr der Berufsausübung die Kraft von zwei oder mehr Jahren eines normalen Lebens verbraucht hätte. . . . auf ihre persönliche Würde und ebenso auf die Weltwirtschaft . . .
Wir wollen nicht weiter darauf eingehen, wie dieses System, das ausschließlich auf technische Gesichtspunkte achtet, gegen alle Erwartung ein Raubbau ist an den materiellen Hilfsquellen, wie ebenso an den vornehmsten Energiequellen — zu denen sicher der Mensch zu rechnen ist — und sich folgerichtig auf die Dauer als kostspielige Belastung der Weltwirtschaft herausstellen muß. Wir können aber nicht umhin, auf die neue Form des Materialismus aufmerksam zu machen, den die „technische Gesinnung" in das Leben hineinträgt. Es mag genügen anzudeuten, daß sie das Leben seines Inhalts beraubt, denn die Technik ist ausgerichtet auf den Menschen und die Gesamtheit der geistigen materiellen Werte, die seiner Natur und seiner menschlichen Würde zukommen. Wo die Technik uneingeschränkt herrschte, würde sie die menschliche Gesellschaft in eine farblose Masse umwandeln, in etwas Unpersönliches und Schematisches, im Gegensatz also zum deutlichen Zweck der Natur und zur Absicht des Schöpfers. .... und auf die Familie Ohne Zweifel sind große Teile der Menschheit noch nicht erfaßt von der sogenannten „technischen Lebensauffassung“; aber es steht zu befürchten, daß überall, wo der technische Fortschritt ohne Sicherungen eindringt, auch bald die Gefahr der angezeigten Unordnungen auftaucht. Wir denken mit besonderer Sorge an die Gefahr, die der Familie droht. Die Familie ist im sozialen Leben die sicherste Grundlage der Ordnung, insofern sie in ihren Gliedern eine täglich sich wiederholende Fülle persönlicher Dienste zu wecken weiß, sie mit Banden des Gemüts an Haus und Herd fesselt und in der Erzeugung wie im Bewahren von Dingen des Gebrauchs in jedem von ihnen die Liebe zur Familientradition weckt. Wo aber die technische Lebensauffassung eindringt, verliert die Familie das persönliche Band ihrer Einheit, es schwindet ihre Wärme und ihre Beständigkeit. Sie bleibt Einheit nur, insoweit die Erfordernisse der immer stärker zunehmenden Massenproduktion es erzwingen. Die Familie bedeutet nicht mehr ein Werk der Liebe und eine Zuflucht der Herzen, sondern je nach den Umständen eine trostlose Sammelstelle von Arbeitskräften für jene Erzeugung oder von Verbrauchern der erzeugten materiellen Güter.
Die „technische Lebensauffassung“ als besondere Form des Materialismus Die „technische Lebensauffassung“ ist also nichts anderes als eine besondere Form des Materialismus, insofern sie als letzte Antwort auf die Frage nach dem Dasein eine mathematische Formel und eine Nützlichkeitsberechnung bietet. Deshalb offenbart die heutige Entwicklung der Technik, wie wenn sich bewußt der Finsternis, die sie umhüllt, Unruhe und Angst, sie melden sich besonders in den Maßnahmen derer an, die sich in der fieberhaften Suche nach immer verwickelteren und gewagteren Systemen abmühen. Eine so gelenkte Welt kann nicht behaupten, erleuchtet zu sein von dem Licht, noch belebt von dem Leben, die beide den Menschen zu bringen, das Wort, der Abglanz der Herrlichkeit Gottes (vgl. Hebr. 1. 3), in seiner Menschwerdung gekommen ist.
Ernst der gegenwärtigen Stunde, besonders für Europa
Und nun, da Wir in steter Sorge am Horizont nah Zeihen einer beständigen Aufhellung (wenn auh niht nah Zeihen des vollen Lihts, von dem der Prophet spriht) suhen, bietet sih statt dessen Unserem Blick noh immer die trübe Shau eines Europa in Unruhe, in dem der Materialismus, von dem Wir sprahen, die mit dem Frieden und der Ordnung der ganzen Welt eng verbundenen grundlegenden Probleme, statt sie zu lösen, nur noh shwieriger gestaltet.
In Wahrheit bedroht der Materialismus diesen Kontinent niht mehr als die anderen Weltteile. Wir glauben sogar, daß den angedeuteten Gefahren stärker ausgesetzt sind und in ihrem sittlih-seelishen Gleihgewiht besonders ershüttert jene Völker werden, die spät und ganz unerwartet der erstaunlih rashe Fortshritt der Technik erfaßt; denn die an sie herangetragene Entwicklung verläuft niht gleihmäßig, sondern in ungeregelter Sprunghaftigkeit, und findet keine Kräfte des Widerstandes, der Korrektur und des Ausgleihs, weder in der Reife des einzelnen noh in der überlieferten Kultur.
Und doh hat Unsere shwere Sorge um Europa ihren Grund in den unaufhörlihen Enttäushungen, in denen nun shon seit Jahren der sehnlihe Wunsh seiner Völker nah Frieden und Entspannung gerade durh die materialistishe Ausrihtung der Friedensfrage Shiffbruh leidet. Wir denken besonders an die, für die der Friede eine Frage der Tchnik ist, und die das Leben der einzelnen wie der Nationen nur unter tehnish-wirtshaftliher Rücksicht betrahten. Diese materialistishe Lebensauffassung droht zur Rihtshnur geshäftiger Friedensmaher und das Rezept ihrer Friedenspolitik zu werden. Nah ihrer Meinung liegt das Geheimnis der Lösung darin, allen Völkern materielle Wohlfahrt durh ständige Erhöhung der Ergiebigkeit der Arbeit und der Lebenshaltung zu geben, genau wie vor hundert Jahren eine andere ähnlihe Losung das unbedingte Vertrauen der Staatsmänner fand: durh Freihandel zum ewigen Frieden.
Der geeignete Weg zum Frieden Aber kein Materialismus war je ein geeigneter Weg zum Frieden, da dieser vor allem eine Geisteshaltung ist und erst in zweiter Linie ein ausgeklügeltes Gleihgewiht äußerer Kräfte. Es ist also ein Grund-irrtum, den Frieden dem modernen Materialismus anzuvertrauen, der den Menshen in seiner Wurzel verdirbt und sein persönlihes wie gei-stiges Leben erstickt. Zu demselben Mißtrauen führt übrigens ebenso die Erfahrung, die auch für unsere Zeit den Beweis liefert, daß das kostspielige Potential technischer und wirtschaftlicher Kräfte, wenn es sich mehr oder weniger gleichmäßig auf beide Seiten verteilt, zur gegenseitigen Abschreckung dient. Was herauskäme, wäre ein Friede der Furcht, nicht aber der Friede einer gesicherten Zukunft. Das ist unaufhörlich zu wiederholen, und die im Volk sind davon zu überzeugen, die sich leicht den Irrtum vorspiegeln lassen, der Friede bestehe im Überfluß an Gütern, während doch der sichere und beständige Friede vor allem eine Frage seelischer Einheit und sittlicher Gesinnung ist. Er verlangt bei Strafe einer neuen Katastrophe der Menschheit, daß man die trügerische Autonomie der materiellen Kräfte aufgebe, die sich in der modernen Zeit wenig von den eigentlichen Kriegswaffen unterscheiden. Die augenblickliche Lage wird keine Wendung zum Besseren nehmen, wenn nicht alle Völker die gemeinsamen geistigen und sittlichen Ziele der Menschheit anerkennen, wenn sie sich nicht helfen, sie zu verwirklichen, und sich infolgedessen nicht gegenseitig dazu verstehen, dem zersetzenden Mißverhältnis entgegenzutreten, das unter ihnen in Sachen der Lebenshaltung und der Produktivität der Arbeit herrscht.
Die Einigung der Völker Europas All dieses kann geschafft werden, ja es muß vordringlich verwirklicht werden in Europa, durch die kontinentale Einigung seiner Völker, die zwar unter sich verschieden sind, aber geographisch und geschichtlich Zusammenhängen. Eine starke Ermutigung zu solcher Einigung ist der offenbare Zusammenbruch der entgegengesetzten Politik und die Tatsache, daß die Völker selbst in ihren unteren Schichten ihre Verwirklichung erwarten, sie für notwendig und durchführbar halten. Die Zeit scheint also reif, die Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Deshalb ermahnen Wir zur Tat vor allem die christlichen Politiker, die man nur daran zu erinnern braucht, daß jede Art friedlicher Einigung der Völker immer eine Aufgabe des Christentums war. Warum noch zögern? Das Ziel ist klar, die Nöte der Völker liegen vor aller Augen. Wer im voraus eine absolute Gewähr des Erfolges verlangte, müßte sich antworten, daß es sich gewiß um ein Wagnis handelt, jedoch um ein notwendiges; ein Wagnis, aber nicht hinaus über die heutigen Möglichkeiten; ein vernünftiges Wagnis. Es braucht zweifelsohne behutsames Vorangehen, ein Vorangehen in wohlüberlegten Schritten. Aber warum gerade jetzt Mißtrauen hegen gegen den hohen Stand der politischen Wissenschaft und Praxis, die doch genugsam die Hindernisse vorauszusehen und die Gegenmittel anzuwenden wissen? Zur Tat dränge vor allem die gefahrdrohende Stunde, in der Europa sorgenvoll steht: für Europa gibt es keine Sicherheit ohne Wagnis. Wer unbedingte Sicherheit verlangt, beweist nicht den guten Willen zu Europa.
Echte christliche Soziallehre Immer dieses Ziel im Auge, ermahnen Wir die katholischen Politiker auch zur Tat im Inneren ihrer Länder. Wenn die Ordnung nicht im inneren Leben seiner Völker herrscht, ist es vergeblich, die Einigung Europas und die Sicherung des Friedens in der Welt zu erwarten. In einer Zeit wie der unsrigen, in der die Irrtümer leicht in Katastrophen umschlagen, darf kein christlicher Politiker — heute weniger denn je — die inneren sozialen Spannungen noch vergrößern, indem er sie dramatisiert, das Positive übersieht und den nüchternen Blick auf das vernünftigerweise Mögliche vermissen läßt. Von ihm fordert man Zähigkeit in der Durchführung der christlichen Soziallehre, mehr Zähigkeit und Vertrauen, als die Gegner für ihre Irrtümer aufbieten. Wenn die christliche Soziallehre seit mehr als hundert Jahren sich entwickelt hat und fruchtbar gemacht wurde in der praktischen Politik vieler Völker — leider nicht aller —, so haben jene, die zu spät gekommen sind, heute keinen Grund zur Klage, daß das Christentum auf dem sozialen Gebiete eine Leere lasse, die nach ihrer Meinung auszufüllen sei durch eine sogenannte Revolution der christlichen Gewissen-Die Leere besteht nicht im Christentum, sondern im Denken seiner Ankläger.
Der christliche Politiker dient also nicht dem inneren und folglich auch nicht dem äußeren Frieden, wenn er die feste Grundlage der sachlichen Erfahrung und der klaren Grundsätze aufgibt, sich gleichsam in einen charismatischen Verfechter einer neuen sozialen Welt verwandelt und dadurch beiträgt zu noch schlimmerer Verwirrung der schon unsicheren Gemüter. Dessen macht sich schuldig, wer glaubt, mit der sozialen Ordnung Experimente anstellen zu können, und besonders wer nicht entschlossen ist, in allen Schichten die rechtmäßige Autorität des Staates und die Einhaltung der gerechten Gesetze zur Geltung zu bringen. Muß man vielleicht noch beweisen, daß die Schwäche der Autorität mehr als alle anderen Schwierigkeiten die Festigkeit eines Landes untergräbt, und daß die Schwäche eines Landes die Schwächung Europas nach sich zieht und den allgemeinen Frieden in Gefahr bringt?
Die Autorität des Staates Es ist also notwendig, der irrigen Meinung entgegenzutreten, als ob das rechte Behaupten der Autorität und der Gesetze notwendig der Tyrannei den Weg bahne. Wir selbst haben vor einigen Jahren beim gleichen Anlaß wie heute (am 24. Dezember 1944), als Wir von der Demokratie sprachen, darauf hingewiesen, daß in einem demokratischen Staat, nicht weniger als in jedem anderen wohlgeordneten Staat, die Autorität wahr und wirksam sein muß. Die Demokratie will zweifellos das Ideal der Freiheit verwirklichen, ideal ist aber nur jene Freiheit, die sich von jeder Zügellosigkeit fernhält, jene Freiheit, die mit dem Bewußtsein des eigenen Rechts die Achtung vor der Freiheit, der Würde und dem Recht der anderen verbindet und sich der eigenen Verantwortung für das allgemeine Wohl bewußt ist. Natürlich kann solche echte Demokratie nur leben und gedeihen in einer Atmosphäre der Ehrfurcht vor Gott und der Beobachtung seiner Gebote, wie der christlichen Solidarität oder Bruderliebe.
Schlußwort
So, geliebte Söhne und Töchter, wird das Werk des im Glanz der Nacht von Bethlehem den Menschen verheißenen Friedens sich schließlich in dem guten Willen jedes einzelnen vollenden, aber es hebt an in der Fülle der Wahrheit, die das Dunkel der Geister verscheucht. Wie bei der Schöpfung „das Wort am Anfang war", nicht die Dinge, nicht ihre Gesetze, nicht ihre Kraft und ihr Überfluß, so muß in der Durchführung des geheimnisvollen, vom Schöpfer der Menschheit anvertrauten Auftrags das gleiche Wort, seine Wahrheit, seine Liebe und seine Gnade an den Anfang gestellt werden, und dann erst die Wissenschaft und die Technik. Diese Ordnung wollten Wir euch darlegen, und Wir ermahnen euch, sie wirksam zu schützen. Uns zur Seite steht die Geschichte, von der ihr wißt, daß sie eine gute Lehrmeisterin ist. Es scheint jedoch, daß ihrer Lehre gegenüber jene, die sie nicht verstehen und darum geneigt sind, neue Abenteuer zu wagen, zahlreicher sind als die anderen, die das Opfer der Torheit jener werden. Wir haben im Namen dieser Opfer gesprochen, die noch an nahen oder fernen Gräbern weinen und schon fürchten müssen, daß sich neue Gräber öffnen, die noch unter Ruinen hausen und schon neue Zerstörungen im Anzug sehen; die noch auf Gefangene und Vermißte warten und schon wieder für ihre eigene Freiheit fürchten. Die Gefahr ist so groß, daß Wir an der Wiege des Ewigen Friedensfürsten ernste Worte sprechen mußten, selbst wenn Wir dadurch noch lebhaftere Befürchtungen hervorrufen sollten. Man kann ja immer vertrauen, daß es mit der Gnade Gottes eine heilsame und nachhaltige Furcht sein werde, die zur Einigung der Völker und damit zur Stärkung des Friedens führt.
Unsere Besorgnisse und Wünsche möge die Mutter Gottes und Mutter der Menschen hören, Maria die Unbefleckte, vor deren Altären in diesem Jahr sich die Völker der Erde in besonderer Andacht nieder-werfen, damit sie ihre mütterliche Vermittlung zwischen der Erde und dem Throne Gottes einsetze-Mit diesem Wunsche auf den Lippen und im Herzen, erteilen Wir euch allen, geliebte Söhne und Töchter, euren Familien, und zumal den Kleinen, den Armen, den Unterdrückten, den um ihrer Treue zu Christus und seiner Kirche willen Verfolgten, aus der Fülle des Herzens Unseren väterlichen, Apostolischen Segen.