Mit freundlicher Genehmigung des Verlages entnehmen wir dem OBSERVER (11., 18. und 25. Oktober) eine Artikelfolge seines militärischen Korrespondenten Chester Wilmot, dem Verfasser des Buches „Kampf um Europa“ über die Raketen-Kriegsführung.
Das zentrale Thema dieser Artikel ist die Feststellung, daß die Entwicklung der Raketen, des Düsenantriebes und der Atom-und Wasserstoffbomben das Wesen der Luftmacht von Grund auf umgeformt hat. In einem neuen Kriege wird der Vorteil auf der Seite des Angreifers sein. Das überleben Großbritanniens und seiner Alliierten wird daher vermutlich in erster Linie von der Fähigkeit abhängen, der akuten Bedrohung durch diese Waffen wirksam entgegentreten zu können.
Abbildung 5
Abbildung 5
In dem ersten Artikel „Offensive Bedrohung“ analysiert Chester Wilmot die seit dem Kriege im Westen sowie in der Sowjet-Union bei der Entwicklung der Raketen und anderer von den Deutschen erfundenen Geschosse erzielten Fortschritte.
In dem zweiten Artikel „Die defensive Abwehr" untersucht der Verfasser die Frage, inwieweit die in den Vereinigten Staaten und England entwickelten gelenkten Geschosse wieder das Gleichgewicht zu Gunsten der Verteidigung herzustellen vermögen und welche Rolle Verteidigungsraketen in einem künftigen Luftkrieg spielen werden.
In dem abschließenden Artikel „Die Aussichten zu überleben" werden die weitergehenden politischen und strategischen Konsequenzen behandelt, die eine Raketenkriegsführung mit sich bringen würde und die Aufgaben untersucht, die sich zwangsläufig durch diese Entwicklung in Bezug auf die Richtlinien für die britische und die westliche Verteidigung stellen.
Offensive Bedrohung
Abbildung 1
Abbildung 1
Am 13. Juni 1944 — dem gleichen Tage, an dem zum ersten Mal fliegende Bomben mit Düsenantrieb auf London niedergingen — wurde in Deutschland eine weitere geheimnisvollere und noch geheimgehaltene Waffe abgeschossen. Es war eine Raketenbombe, die versuchsweise von der deutschen ForschungsAnstalt in Peenemünde abgefeuert wurde. Sie ging durch Zufall in Südschweden nieder. Die wichtigsten Teile dieser Rakete, die die Schweden aus einem Sumpf geborgen hatten, wurden unter Geheimhaltung zur Untersuchung durch britische Wissenschaftler nach London geflogen.
Auf Grund des Expertenberichtes wußten die englischen Generalstabschefs noch bevor die erste V-2 Rakete am 8. September 1944 bei Chiswick niederging mit Sicherheit, daß Deutschland eine Waffe erfunden hatte, gegen die es keine direkte Abwehr gab.
Bis zum Kriegsende gingen 1050 Raketen auf England nieder, davon fast die Hälfte auf London; da die V-2 jedoch ein verhältnismäßig ungenaues Geschoß war und nur eine Tonne hochexplosiven Materials enthielt, war sie weder in bezug auf ihre Wirksamkeit noch auf ihre Wirtschaftlichkeit als eine militärische Waffe anzusehen. In strategischer Hinsicht war die V-2 ebenso wie die V-l ein Versager, diese Tatsache konnte jedoch nicht die historische Bedeutung der Verwendung von Raketen und Düsengeschossen für Kriegs-zwecke verschleiern.
Im August 1945, als dieser Entwicklung die Explosion einer Atombombe über Hiroshi-man folgte, mit der mit einemal 20000 TNT zur Explosion kamen, wurde es offensichtlich, daß sowohl in der Schlagkraft von Luftkampfmitteln als auch hinsichtlich ihrer Anwendungsmöglichkeiten eine fundamentale Umwälzung stattgefunden hatte. Um das Ausmaß dieser Umwälzung zu unterstreichen, war eine weitere Entwicklung erforderlich. Die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben waren so schwierig zu handhaben und von so großem Umfang, daß sie nur in großen und verhältnismäßig langsamen Superfestungen transportiert werden konnten. Die Manöver nach dem Kriege zeigten, daß Bombenflugzeuge mit Otto-Motoren ohne weiteres von den neuen Düsen-jagdflugzeugen angegriffen werden können. Es wurde jedoch klar, daß die Bedrohung durch die Luftmacht unendlich größer werden würde, sobald die Wissenschaftler einen Atom-Sprengstoff erfinden könnten, klein genug, um ihn in einem ferngelenkten Geschoß oder in einem Düsenbomber, der fast mit Schallgeschwindigkeit fliegt, unterzubringen. Dies ist nun geschehen.
Wandel der Verteidigungsgrundsätze Kein anderes Land wurde durch diese Erfindungen so ernsthaft betroffen wie England, denn durch diese wurden die Grundlagen der traditionellen Richtlinien für die Verteidigung stark gefährdet. Die Beherrschung der Meere oder das Halten von Kampffronten auf dem Lande kann kaum von Nutzen sein, wenn seine Städte und Häfen für einen Angriff durch Raketen mit Atomexplosivstoffen offen liegen. In einem Krieg, in dem mit derartigen Waffen gekämpft wird, könnte England schwer angeschlagen und vielleicht besiegt werden, ohne daß ein Schiff oder ein Soldat auf einer der beiden Seiten in Bewegung gesetzt wird. Für England ist die kritische Tatsache die, daß das in Erscheinungtreten von Raketen und Düsenflugzeugen den Vorteil in der Luftkriegsführung stark zugunsten der Offensive gewendet hat. Es kann keine Wiederholung von 1940 geben. Innerhalb der nächsten Jahre sollten ferngelenkte Raketen für die Verteidigung gegen Düsenflugzeuge zur Verfügung stehen. Jedoch kann selbst das wirksamste Verteidigungssystem keine vollständige Antwort auf den Bomber geben, der fast so schnell wie der Schall ist. Trotz des Beschüsses durch Flugabwehrraketen, die von der Erde oder aus der Luft abgeschossen werden, wird einigen Bombern der Durchbruch gelingen. Auch gibt es keine Verteidigung gegen Raketen vom Typ V-2, noch sind Aussichten hierfür vorhanden, außer der Möglichkeit, ihren Abschuß zu verhindern.
Englands erhöhte Verwundbarkeit Im Falle eines Krieges zwischen der Sowjetunion und dem Westen würde es für die Russen leichter — und anfänglich auch nützlicher — sein, ihre Atomwaffen zunächst gegen England anstatt gegen Amerika einzusetzen. Die britischen Inseln liegen innerhalb einer bequemen Reichweite von Flugplätzen und Abschußbasen, die bereits im sowjetischen Machtbereich liegen, und die große Zusammenballung der Industrie und Bevölkerung Großbritanniens sind die verwundbarsten und wertvollsten Ziele für eine russische Bombardierung. Darüber hinaus laden die britischen Inseln zu einem Angriff ein, da sie die beste Basis darstellen, von der aus die anglo-amerikanischen Luftstreitkräftc eine Gegenoffensive gegen die Sowjetunion starten oder direkte Unterstützung für Land-operationen in Westeuropa geben könnten. Die Entfernung sichert den Vereinigten Staaten noch immer ein beachtliches Maß an Schutz, wenn auch nur darum, weil sie die Tiefräumigkeit der Luftverteidigung bietet. Wenn jedoch England in einen Krieg mit Rußland verwickelt wird, könnte London mit Raketen angegriffen werden, wobei für eine Vorwarnung höchstens zehn Minuten bleiben würden. Bei Ende des letzten Krieges, als Deutschlands Raketengeheimnisse der Welt bekannt wurden, waren sowohl die Vereinigten Staaten auch die Sowjetunion in der Lage, ihre Forschungen aus dem Stadium heraus weiterzuführen, das Deutschland erreicht hatte. Einige deutsche Raketenforscher — darunter Dr. Wernherr von Braun, der geniale Geist hinter der V-2 und technische Di-rektor in Peenemünde — gingen nach den Vereingten Staaten; die meisten von ihnen jedoch und die Station Peenemünde selbst fielen in russische Hände. Da viele von -die sen Wissenschaftlern gegenwärtig für die Sowjetunion, sowohl in Peenemünde als auch in der U. d. S. S. R.selbst arbeiten, muß angenommen werden, daß die Sowjets eine weitreichende Rakete entwickelt haben, die besser als die V-2 ist. Die Amerikaner haben das offenbar getan, und wir haben aus den Erfahrungen der Atomforschung gelernt, daß die Fähigkeit der russischen Wissenschaft und Technik nicht unterschätzt werden sollte. London unter V-2-Beschuß Das von den Deutschen im Jahre 1945 noch ungelöste Problem bestand darin, wie die Reichweite, die Genauigkeit und die Wirkung der Ladung der V-2 noch erhöht werden könnte und sie gleichzeitig verhältnismäßig einfach in der Konstruktion für den Transport und Abschuß zu halten. Die A-4, wie die V-2 in Deutschland technisch bezeichnet wurde, war 14 m lang, hatte einen Durchmesser von fast 1, 70 m und wog mit voller Ladung 12 to. Sie erforderte keine ausgebaute Basis oder Abschußplattform wie die V-l, sondern konnte von jeder festen Erdoberfläche, wie einer Betonstraße, abgefeuert werden, nachdem sie einmal auf ihren eigenen vier Flossen stehend in senkrechte Stellung gebracht worden war.
Durch einen Raketenmotor mit doppeltem Treibsatz, in dem eine Mischung von flüssigem Oxygen und Alkohol zur Verbrennung gelangte, angetrieben, erhob sich die A-4 zunächst langsam, entwickelte dann jedoch innerhalb von 70 Sekunden eine Geschwindigkeit von 5800 Stundenkilometern. Dann waren die 8% Tonnen Kraftstoff verbraucht, und die Rakete flog durch die Höhe ihrer eigenen Geschwindigkeit weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie vertikal aufgestiegen; um jedoch Werte zu erreichen, wurde sie automatisch auf einen Flugwinkel von 45 Grad abgelenkt und mit Hilfe des Kreiselsystems in ihre vorgeschriebene Flugbahn eingesteuert. Nachdem die Rakete eine Höhe von 100 bis 112 km erreicht hatte, setzte sie auf dem absteigenden Arm der Parabel ihren Weg fort, -verlor — nachdem sie die dichteren Schichten der Atmosphäre erreicht hatte — an Geschwindigkeit, war jedoch im Fallen auf ihr Ziel immer noch zweimal so schnell wie der Schall. Auf diese Weise waren die Deutschen imstande, eine Tonne Explosivstoff über eine Entfernung von 320 km zu befördern und so konnten sie London von Den Haag aus bombardieren.
Deutsche Pläne für Flügelraketen Da die V-2 einen begrenzten Radius hatte, endete die Beschießung Londons, als die Deutschen ihre Basen in Holland verloren, heute wäre es aber eine gefährliche Annahme, daß die Rote Armee erst Westeuropa erobern müsse, bevor England mit russischen Raketen beschossen werden könnte. Während des Krieges planten die Deutschen die Reichweite der A-4 zu verdoppeln, indem sie diese mit Delta-Flügeln versahen und sie so tatsächlich zu einem Ueberschallsegler machten. Der Prototyp dieses Geschosses wurde im Dezember 1944 erfolgreich versuchsweise in Peenemünde zum Abschuß gebracht, und da die deutsche Forschungsanstalt unter sowjetische Kontrolle geriet, sind dort weitere Versuche mit einer Flügel-V-2 unternommen worden. Wenn die Russen die Leistung dieses deutschen Prototyps nun um 20% verbessert haben, kann London mit Raketen erreicht werden, die östlich der Elbe abgeschossen werden.
In Anbetracht des in den Vereinigten Staaten aufgrund der deutschen Experimente erzielten Fortschritts ist es nicht unvernünftig damit zu rechnen. Auf dem Versuchsgelände von „hite Sands" in New Mexico die haben Amerikaner in den vergangenen fünf Jahren 68 in Deutschland geborgene V-2-Raketen zum Abschuß gebracht. Davon haben einige eine Höhe von über 160 Kilometern erreicht. Eine Rakete vom Typ Viking — die länger und dünner als die V-2 ist und für die amerikanische Marine konstruiert wurde — flog bis in eine Höhe von 210 km, also doppelt so hoch wie die A-4 aus dem Kriege. In diesen Versuchen haben sich die Amerikaner in erster Linie mit der Höhenforschung befaßt, die erreichten Höhen geben jedoch Hinweise auf die Entfernungen, die sogar mit Einstufenraketen erreicht werden können. Durch den Einsatz einer Zweistufenrakete (wo zum Beispiel eine Rakete zum Abschuß einer weiteren verwendet wird) beabsichtigten die Deutschen eine Super V-2 zu konstruieren, mit der man von Europa Amerika erreichen könnte. Dieses Projekt, das die Bezeichnung A-9/A-10 trug, wurde in der Planung schon bis in Einzelheiten entwickelt, jedoch ist nur ein einziges Exemplar der A-9 gebaut worden. Dies war die bereits erwähnte Flügelrakete. Der Plan bestand darin, daß sie mit Hilfe einer starken Trägerrakete, die 68 Tonnen wog, abgeschossen und von dieser bis in eine Höhe von 24. 4 km hoch-getrieben werden sollte, ehe der Düsenantrieb einsetzte. Die A-9 sollte durch ihren eigenen Raketenantrieb weiter steigen, bis sie eine Geschwindigkeit von über 11 000 Stundenkilometer bei einer Höhe von 160 km erreichte.
Ein deutscher Traum Mit dieser Geschwindigkeit und in dieser Höhe, so rechneten die Deutschen, könnte die Flügelrakete 4800 km weit fliegen. Die Rakete würde in der dünneren oberen Atmosphäre, wo ihre Flügel keine aerodynamische Bedeutung haben würden, einer ballistischen Flugbahn folgen und im Fallen eine Geschwindigkeit von fast 13 000 Stundenkilometer erreichen. Bei dem erneuten Eindringen in die dichteren Luftschichten würde sie in ein Gleiten übergehen über die höheren und Schichten der Atmosphäre rutschen, wie ein abprallender Stein über das Wasser hüpft, jedoch ständig an Höhe und Geschwindigkeit verlieren bis die transatlantische Ueberquerung beendet ist. Dies war der deutsche Traum, und Dr. von Braun, der jetzt für die amerikanische Regierung arbeitet, hat ihn nicht vergessen. Heute sieht er es als wohl möglich an, eine zweistufige Rakete mit einer Reichweite von 8000 km zu bauen, und bei einem der Projekte für ferngelenkte Raketen, an denen er gegenwärtig für die amerikanische Armee arbeitet, handelt es sich um eine Rakete dieser Art. Amerikanische Wissenschaftler erwarten nicht, daß dieses Projekt innerhalb von weiteren 7 bis 10 Jahren zur Lösung gelangt, der Trend der Entwicklung ist jedoch bereits festgelegt. Im Vergleich hierzu ist das Problem, eine Rakete zu erfinden, die mit Genauigkeit von einer Entfernung von 800 oder 900 km gegen die Britischen Inseln gelenkt werden kann, verhältnismäßig einfach, und eine solche Rakete würde genau so schwer zu bekämpfen sein wie die V-2. Mit einem guten Radar-system könnten die Abwehrkräfte vielleicht innerhalb von 10 Minuten anstatt von 5 Minuten gewarnt werden, bevor jedoch eine Antiraketen-Rakete entwickelt worden ist, würde sie genau so wirkungslos wie in den Jahren 1944/45 sein. Da die V-2 nicht von einer Steuerung durch Radio oder Radar abhängig ist, könnte sie nicht abgclenkt oder durch Elektronen-gegenmaßnahmen vorzeitig zur Explosion gebracht werden, wie das vergeblich versucht wurde. Die Lenkung für den Flug der V-2 wurde vor dem Abschuß an den Instrumenten des Geschosses eingestellt und während des Fluges durch ein Kreiselsystem und einen Beschleunigungsmesser, die ihrerseits die aerodynamische Steuerung betätigen, stabilisiert und auf Kurs gehalten. Durch dieses Lenkungssystem wurde die V-2 nicht ausreichend genau eingestellt, um bestimmte Ziele zu treffen, aber die Streuung von etwa 8 km wäre in einer mit einem Atomsprengkopf versehenen Rakete, die als Waffe für Flächenzerstörung gegen Städte wie London, Birmingham oder Glasgow eingesetzt würde, nicht allzu wichtig. Zukunftsprobleme Es gibt keinen technischen Grund dafür, daß solche Angriffe nicht durchgeführt werden könnten, da wir annehmen müssen, daß die Russen in der Lage sind, in der wissenschaftlichen Entwicklung mit dem Westen Schritt zu halten. Die Vereinigten Staaten haben bereits einen Atomsprengkopf hergestellt, der klein genug ist, um in eine 28 cm-Granate eingebaut zu werden, und der wesentlich weniger als % to wiegt. Dieser mag zwar nicht die Wirkung der „Standard bombe“ haben, die Hiroshima zerstörte, die Amerikaner haben aber den Umfang dieser Bombe so verkleinert, daß sie jetzt mit dem schnellsten Düsenjäger transportiert werden kann.
Die Wahrscheinlichkeit, daß die weitreichenden Raketen der Zukunft Atomladungen haben werden, macht das Problem, eine wirkungsvolle Abwehr zu finden, noch dringender und schwieriger. Es wird vielleicht noch möglich sein, eine ferngelenkte Rakete zu erfinden, die eine feindliche Rakete ausmacht und zerstört, der stürzende Atomsprngkopf könnte jedoch immer noch großes Unheil anrichten. Die Bombardierung durch Geschosse vom Typ V-2 stellt nur eine der Gefahren dar, die sich aus der Entwicklung des Raketen-und Düsenantriebs ergeben haben. In einem neuen Weltkrieg müßte England auf viele verschiedenartige Angriffe vorbereitet sein, sowohl aus der Luft durch fliegende Bomben und ferngelenkte Raketen, die von Träger-flugzeugen abgeschossen werden, als auch durch Düsenbomber und Düsenjäger mit Atombomben.
Die Offensive durch fliegende Bomben im Jahre 1944 wurde durch die gemeinsamen Anstrengungen der Jagdeinheiten der RAF und der Flugabwehr vereitelt. Weniger als eine von vier gegen London abgeschossene V-1-Raketen erreichten ihr Ziel, diese Erfahrung ist jedoch kein Maßstab für die Zukunft. Die V-l mit einer Höchstgeschwindigkeit von nur 640 Stundenkilometern war leicht durch Angriffe von Jägern oder Geschützen verwundbar, der Düsenmotor steckte jedoch damals in den Kinderschuhen, und es würde heutzutage verhältnismäßig leicht sein, eine fliegende Ueberschallbombe mit wesentlich größerer Reichweite und Genauigkeit als die V-l zu produzieren. Die Abwehr hiergegen würde äußerst schwierig sein, besonders, wenn es sich um Angriffe aus niedriger Höhe handelt. Die Amerikaner jedenfalls bezeichnen die fliegende Bombe nicht als eine veraltete Waffe. Die amerikanische Marine produziert gegenwärtig eine wesentlich verbesserte V-l unter dem Decknamen „Regulus", die für weitreichende Bombardierung von der See aus bestimmt ist, und zwei amerikanische Kreuzer „Boston“ und „Canberra“ sowie mehrere Unterseebote werden gegenwärtig für den Abschuß ferngelenkter Geschosse umgebaut. Die amerikanischen Luftstreitkräfte hatten zwei unbemannte Bombengeschwader aufgestellt, die den „Matador“ einsetzen werden, eine ferngelenkte Bombe mit Düsenantrieb und einer Reichweite von einigen 100 Kilometern und fast Schallgeschwindigkeit. Die amerikanischen Luftstreitkräfte entwickelten ferner einen ferngelenkten Ueberschallbomber, der nach dem Fabeltier von Lewis Caroll „Snark“ genannt wurde.
Die Bedrohung durch ferngelenkte Bomben In den Vereinigten Staaten, in England und vermutlich auch in der Sowjetunion werden außerdem Bomben geringerer Reihweite erprobt, die von Trägerflugzeugen abgeschossen und während des Fluges gesteuert werden. Die Deutschen stellten während des Krieges verschiedene Geschosse dieser Art her — diese wurden in der Luft abgeschossen, hatten Raketenantrieb und wurden drahtlos gesteuert — und mit einer dieser Bomben versenkten sie das italienische Schlachtschiff „Roma“, das sich 1943 den Alliierten ergeben hatte. Diese ferngelenkten Bomben würden eine sehr ernsthafte Gefahr gewesen sein, wenn die deutsche Luftwaffe über Bombenflugzeuge verfügt hätte, die diese innerhalb der Reichweite von verwundbaren Zielen hätten zum Abschuß bringen können, denn dadurch wurde die Schlagkraft der Trägerflugzeuge beachtlich erhöht. Die deutsche ferngelenkte Bombe mußte in einer Entfernung von höchstens 10 Kilometern vom Ziel abgeschossen werden, die amerikanischen Luftstreitkräfte hatten jedoch ein unter der Bezeichnung „Rascal" bekanntes Geschoß konstruiert, das eine wesentlich größere Reihweite besitzt und einen Atomsprengkopf trägt. Der militärishe Vorteil solcher-Waffen besteht darin, daß die Bombenflugzeuge angreifen können, ohne in den Bereih der Bodenabwehr zu kommen. Durch die Verwendung von ferngelenkten Raketen-bomben könnten feindlihe Flugzeuge von der See aus London belegen.
Das amerikanishe strategishe Luftkommando hat eine neue Tehnik für den Atombombenabwurf entwickelt, damit die Bombenflugzeuge aus siherer Entfernung aus indirekte Angriffe fliegen können. Hierbei wurden die Reihweite des Interkontinentalbombers vom Typ B 36 und die Geshwindigkeit des Ueberschalljagdbombers F 84 ausgenutzt. Bei den kürzlihen Flugmanövern — dem amerikanishen Gegenstück zu Farnborough — bewies eine B 36 ihre Fähigkeit, eine F 84 unter ihrem Bombenshaht zu transportieren und sie im Flug zu starten. Im Kriege würde eine B 36 bis auf wenige 100 Kilometer an das Ziel heranfliegen und dann die F 84 ausklinken. Der Jagdbomber könnte dann seinen Angriff mit einer Geshwindigkeit führen, die ihn vor Gegenmaßnahmen shützt, es sei denn, daß die Boden-und Luftabwehr mit LIebershallraketen ausgerüstet wäre. Da die F 84 eine Atombombe mit. sih führen kann, birgt diese Methode große Möglihkeiten in sih. Es verbleibt jedoh noh ein Luftkampfmittel, das in seinem gegenwärtigen Entwicklungsstadium nur durh Bomber verwendet werden kann, die direkt auf das Ziel zufliegen. Das ist die Wasserstoffbombe. Da nun die Russen eine dieser schrecklichen Waffen zur Explosion gebraht haben, stellt die möglihe Methode für ihren Einsatz eine vordringlihe Angelegenheit dar. Da die Wasserstoffbombe durh eine Aromexplosion zur Detonation gebraht werden muß, darf man wohl mit Siherheit sagen, daß diese zurzeit zu groß ist, um in einer Rakete oder in einem Düsenjäger transportiert werden zu können. Wahrsheinlih ist ein Flugzeug von der Größe einer B 36 oder gar der noh größeren B 52 erforderlih, die die Amerikaner gegenwärtig produzieren. Bis daher der Umfang der Wasserstoffbombe einmal beahtlih verkleinert sein wird, werden bemannte Bombenflugzeuge eine lebenswichtige Rolle in einem Kriege spielen, und die Verteidigung Englands muß darauf eingerichtet sein. Die Verbindung zwischen Raketenantrieb und atomexplosivcm Material hat das Problem der Verteidigung Englands ernsthaft in den Vordergrund gerückt. In gewissem Umfang mag die in dieser Verbindung liegende Bedrohung durh die Entwicklung von Raketenwaffen für die Abwehr abgeshwäht wer-den, die erzielten Fortshritte mögen sih je-. doh shon zu weit zugunsten des Angriffs entwickelt haben, als daß sie durh Gegenmaßnahmen bekämpft werden können, die rein defensiver Natur sind.
Defensiver Widerstand
Abbildung 2
Abbildung 2
Neueste Berihte von beiden Seiten des Atlantik haben den Eindruck hervorgerufen, als ob England und die Vereinigten Staaten die Raketen für Verteidigungszwecke so nutzbringend entwickelt hätten, daß sie auf dem besten Wege wären, das Problem zu lösen, welches sih durh die gegenwärtige, beträhtlihe Ueberlegenheit des Angriffs gegenüber der Verteidigung im Luftkriege gestellt hat. Während des vergangenen Jahres sind nah einer Mitteilung des Versorgungsministeriums „weitere, bemerkenswerte Fortshritte in der Entwicklung von ferngelenkten Raketen erzielt worden, die Bomber treffen können, welche so schnell oder noch schneller als die Schallgeschwindigkeit in einer Höhe von mehr als 15 000 m fliegen können, und die durch kein von Piloten gesteuertes Flugzeug je unwirksam gemäht werden können“ * Diese Raketen sind nah einer früheren offiziellen Versiherung „in der Lage, gut mit einer Geshwindigkeit von mehr als 3200 Stundenkilometern zu fliegen und in eine Höhe aufzusteigen, die viel größer ist als sie wahrsheinlih je von irgendeinem Bomber in den kommenden Jahren erreiht werden wird“. Beinahe gleichlautende Behauptungen sind von General Omar Bradley, dem in den Ruhestand getretenen Vorsitzenden der Chefs des gemeinsamen Generalstabs der Vereinigten Staaten, hinsihtlih der neuen amerikani-schen ferngelenkten Luftabwehrgeschosse aufgestellt worden, die — vielleicht ein wenig optimistisch — nach der griechischen Siegesgöttin Nike benannt worden sind. Diese ermutigenden Feststellungen mögen durchaus gerechtfertigt sein, aber sie beziehen sich ausschließlich auf die Frage, wie man einem Angriff bemannter Flugzeuge begegnet. In England und in den Vereinigten Staaten wird offiziell zu der kritischen Frage geschwiegen, die sich in dem Zeitabschnitt vor einem Raketenkriege stellt: Welche Abwehr gibt es gegen die weitreichenden, gelenkten Raketen, die aus der V-2 entwickelt wurden?
Die russische Raketenproduktion Derartige Raketen sind bestätigte Waffen, und sie würden zweifellos wieder gegen England eingesetzt werden, falls es zum Kriege zwischen Rußland und dem Westen kommen sollte. Deutsche Techniker, die aus Rußland geflohen sind, geben an, daß die Sowjetunion „eine verbesserte V-2 bei außerordentlich einem Ausstoß von 2000 Stück monatlich“ herstellt und daß sie eine Zweistufenrakete mit einer Reichweite von rund 3000 km entwickelt hat. Diese Behauptungen entbehren der Grundlage und sollten mit Vorsicht behandelt werden. Aber es wäre unvernünftig anzunehmen, daß die Russen • nicht guten Nutzen aus der Arbeit ziehen, die deutsche Raketen-Wissenschaftler jetzt für sie leisten. Die Gefahr für England ist größer als sie am Vorabend der V-2-Angriffe war. Aber die Antwort darauf scheint noch in gleicher Ferne zu liegen wie im Jahre 1945. Die einzige Gegenmaßnahme damals war es, die Abschußbasen in Holland und die Eisenbahnen, mit denen die Raketen nach vorn gebracht wurden, zu bombardieren. Aber diese Gegenmaßnahmen könnten in einem neuen Kriege weniger wirksam sein. Die Deutschen stellten die Bestandteile der V-2 in weit verstreuten Fabriken her und beabsichtigten, sie in unterirdischen Werkstätten in der Nähe der Abschußbasen zusammenzubauen. Wenn die Russen sich an den gleichen Plan halten würden, so würde die Möglichkeit, den Angriff im Keime zu ersticken, sehr begrenzt sein, weil der Vorgang des Abschusses nur einige Stunden in Anspruch nimmt und keine verwundbaren Einrichtungen erfordert. Theoretisch ist es möglich, ein Geschoß zu erfinden, welches so gelenkt werden könnte, daß es den Flug einer weittragenden Rakete unterbricht, aber die praktischen Schwierigkeiten sind sehr beachtlich. Nach siebenjähriger Forschungsarbeit ist es britischen und amerikanischen Wissenschaftlern gelungen, ein gesteuertes Geschoß zu entwickeln, welches ein Bombenflugzeug, das mit 1100 Stundenkilometern in einer Höhe von 15 000 m fliegt, treffen kann; jedoch fliegen Raketen vom Typ V-2 drei-oder viermal so schnell und zehnmal so hoch wie das heutige Düsenflugzeug.
Erstes Problem der Verteidigung Das erste Problem für die Verteidigung ist der Aufbau eines Radarsystems, das die feindliche Rakete zu einem frühen Zeitpunkt seines Fluges feststellen, seinen Kurs verfolgen und sein Ziel im voraus angeben kann. Obwohl die deutschen Abschußbasen durchaus in Reichweite lagen, konnte die englische Radarabwehr im Jahre 1945 — auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit — nur 48% der abgefeuerten Raketen feststellen und bei nicht mehr als 31% der festgestellten mit einiger Sicherheit den Aufschlagsort angeben.
Raketen von größerer Reichweite, die beispielsweise ostwärts der Elbe zum Abschuß gelangen, würden sich länger im Flug befinden als die V-2, mindestens zehn Minuten lang anstatt fünf — aber dies würde der Verteidigung nur dann wesentlich helfen, wenn die Abschußbasen innerhalb der Reichweite des Radarnetzes lägen. Um eine angemessene Warnung gegen zukünftige Raketenangriffe zu gewährleisten, braucht Englands Luftverteidigung deshalb möglicherweise ein neues Feststellungsverfahren, welches nicht wie Radar — durch die Krümmung der Erdoberfläche — auf niedrige Höhen beschränkt ist. Zum zweiten würde eine sehr starke Explosion notwendig sein, um eine Rakete vom Typ V-2 zu zerstören oder sie von ihrem vorbestimmten Kurs abzulenken, selbst für den Fall, daß die Fragen der Geschwindigkeit und der Steuerung gelöst werden und bei einem hohen Prozentsatz die Unterbrechung des Anfluges sichergestellt werden könnte. Es scheint also, daß die Rakete, die mit einem Atomsprengkopf ausgerüstet ist, nur durch einen direkten Treffer oder durch eine Explo-sion in unmittelbarer Nähe, die stark genug ist, den Zündmechanismus außer Tätigkeit zu setzen, unschädlich gemacht werden kann.
Bedrohung durch Düsenbomber Diese Ueberlegungen weisen darauf hin. daß die heutigen weittragenden Raketen nach dem Abschuß so unverwundbar wie Artilleriegeschosse sind, jedoch haben sie bisher weder die Genauigkeit, bestimmte militärische Ziele zu treffen, noch die Kapazität, die außerordentlich starken Atomladungen zu tragen. Dementsprechend müssen die britischen Luftabwehrpläne der Möglichkeit Rechnung tragen, daß die britischen Inseln im Falle eines Krieges innerhalb der nächsten 15 oder 20 Jahren von bemannten Flugzeugen ebenso wie von ferngelenkten Geschossen angegriffen werden und daß Angriffe von Düsenbombern eine noch ernsthaftere militärische Bedrohung darstellen würden. Deswegen hat man im englischen Raketenforschungsprogramm denjenigen Waffen Priorität gegeben, die zur Abwehr der herkömmlichen Flugzeuge entworfen wurden. Die Entwicklung der Düsenbomber, die beinahe mit Schallgeschwindigkeit fliegen und die mit Hilfe von Radar aus Höhen von mehr als 15 000 m genau Bomben werfen können, hat ein vollkommen neues Problem für die Luftverteidigung geschaffen. Der hoch-fliegende Düsenbomber befindet sich außerhalb der Reichweite der existierenden Flugabwehrgeschütze und ist außerordentlich schwer aufzuhalten. Der schnellste Düsenjäger kann nicht die erforderliche Radarausrüstung mit sich führen, um eine Feindberührung bei unsichtigem Wetter oder bei Nacht herbeizuführen, und der Allwetterjäger, der mit A. I. (Aircraft Interception) -Radar ausgerüstet ist, wird keine ausreichende Ueberlegenheit hinsichtlich seiner Geschwindigkeit haben, um seinen Angriff mit leichten oder schweren Bordwaffen erzwingen zu können.
Radarmethoden Die Erfahrung aus kürzlichen Luftübungen in England, Kanada und den Vereinigten Staaten lehrt, daß man dieser Bedrohung nur wirksam begegnen kann, wenn die Luft-und Bodenabwehr mit ferngelenkten Geschossen, wie sie sich jetzt in der Entwicklung befinden, ausgerüstet ist. Auf dem Gebiet dieser Verteidigungswaffen wie auch in anderer Hinsicht der Raketenkriegsführung hielt Deustchland im Jahre 1945 die führende Stellung in der Welt. Zu dieser Zeit erprobten die Deutschen eine fern-gesteuerte Flugzeugabwehrrakete, die unter der Bezeichnung „Wasserfall“ bekannt war. Es handelte sich um eine kleine V-2, die voll beladen vier Tonnen wog, eine Höchstgeschwindigkeit von annähernd 2500 Stundenkilometern und eine maximale Höhe von 18 000 m erreichte. Man beabsichtigte, diese Rakete visuell auf ihr Ziel einzurichten und sie durch drahtlose Kontrolle auf ihrem Kurs zu halten — ein System, das offensichtliche Schwächen hatte. Einige dieser Schwächen hätte man durch die Anwendung eines Steuerungssystems durch Leitstrahlen beseitigen können, wobei die Rakete der Bahn eines auf das Ziel gerichteten Radarstrahles zu folgen hatte, ohne davon abzuweichen. Auch dieses hat seine Grenzen, denn der Strahl breitet sich bei großen Höhen und bei weiten Entfernungen aus und das Geschoß hat die Tendenz abzuweichen, weil es einer veränderlichen Flugbahn folgen muß, wenn der Leitstrahl sich mit dem Ziel bewegt. Um die Nachteile des „Wasserfall" auszugleichen, hatten die Deutschen den Plan, ihn mit einem „Komm-richtig-an" -Gerät auszurüsten, das die Steuerung des Geschosses in der letzten Flugphase übernehmen sollte, indem es von den durch das Zielflugzeug ausgesandten magnetischen oder infraroten Ausstrahlungen angezogen werden sollte. Passive Geräte dieser Art sind jedoch nur bei verhältnismäßig kurzen Entfernungen wirksam, und als der Krieg zu Ende ging, stellten die Deutschen Versuche mit Fernsteuerungssystemen an, die das aktive Wirkungsvermögen von Radar ausnutzten. Seit dem Kriege sind diese deutschen Forschungen von Wissenschaftlern in England und in den Vereinigten Staaten beträchtlich vorangetrieben worden, und beide Länder entwickeln Systeme der Fernsteuerung. In einem dieser jetzt der Prüfung unterliegenden Systeme verzeichnet ein Radar-Gerät den Weg des anfliegenden Bombers und ein anderes verfolgt den Flug des aufsteigenden Geschosses. Die Ergebnisse der beiden Radarröhren werden an eine elektrische Rechenmaschine weitergegeben, die ausrechnet, welchem Kurs das Geschoß folgen muß, um den Zusammenstoß herbeizuführen. Dieses Resultat wird automatisch durch einen Sender der Rakete zugeleitet, die auf diese Steuerung bis zum erfolgten Zusammenprall anspricht. Dieses System ist wirkungsvoll für Raketen geprüft worden, die von der Erde in die Luft geschossen werden, aber es ist zu umständlich für Geschosse, die von Jagdflugzeugen aus abgefeuert werden müssen. Jedoch sind mit Geschossen, die nur im Luftraum verwandt werden, ermutigende Versuche durchgeführt worden, sowohl mit aktiven als auch mit semi-aktiven Vorrichtungen zur Endsteuerung in das Ziel. Im Falle des aktiven Endsteuerungsgerätes führt das Geschoß seinen eigenen Radar-Sender und Empfänger mit sich und kann auf diese Weise das Ziel anstrahlen und sich selbst ohne Unterstützung von außen steuern. Diese Einrichtung hat den Vorteil, automatisch und selbständig zu sein, aber wenn das Geschoß nicht unlenksam groß sein soll, so muß ein außerordentlich komplizierter Elektronen-Mechanismus in einen sehr kleinen Raum hineingepreßt werden. Das semi-aktive Endsteuerungsgerät kann leichter und viel weniger kompliziert sein, denn der steuernde Radarsender wird im Jagdflugzeug befördert und das Geschoß braucht lediglich den Empfänger mitzuführen, mit dem es die Impulse empfängt, die vom Ziel reflektiert werden. In jedem Fall muß das Jagdflugzeug, um imstande zu sein, aus jeder Lage und unter allen Licht-vnd Wetterbedingungen anzugreifen, mit A. L-Radar und einem Kursberechner ausgerüstet sein, damit die Geshosse genau in Richtung des Zieles abgeschossen werden können.Diese beiden Endsteuerungsverfahren sind von höchst empfindlichen und komplizierten Radargeräten abhängig, bis zu deren Vervollkommnung voraussichtlich noch einige Zeit vergehen wird. Deshalb erscheint es möglich, daß die ersten Geschosse, die ausschließlich im Luftraum verwendet werden sollen, die einfacheren, dem Leitstrahl folgenden sein sollten, und eine Rakete dieses Typs, unter dem Decknamen „Sparrow" bekannt, befindet sich in der Fertigung für Jagdflugzeuge der IIS-Marine, die vom Flugzeugträger aus zum Einsatz gelangen. Bezüglich der technischen Planung dieser verschiedenen Geschosse und Steuerungssysteme ist es unvermeidlich, daß die Wissenschaftler gegensätzliche Faktoren aufeinander abstimmen. Je größer die geforderte Rasanz und je größer die Reichweite, desto größer das Gewicht des Geschosses und desto langsamer die Schußfolge. Die maximale Genauigkeit und das maximale Anpassungsvermögen könnten nur mit einem Steuerungssystem sichergestellt werden, das so empfindlich und so kompliziert ist, daß es unzuverlässig sein könnte, weil ein einziger elektronischer Fehler oder Irrtum an einer Stelle innerhalb des Kontrollverfahrens das gesamte System außer Betrieb setzen könnte. Ein typisches Beispiel der Schwierigkeiten für den Konstrukteur ist in der Frage zu suchen, ob es besser sei, sich um ein höchst genaues Steuerungsverfahren zu bemühen, mit dem damit verbundenen Vorteil, einen kleinen, mit einfachem Aufschlagzünder versehenen Sprengkopf verwenden zu können, oder sich mit einer weniger genauen Steuerung zufrieden zu geben und sich darauf zu verlassen, daß ein tödlicher Schuß in die Nähe, durch die Explosion eines großen Sprengkopfes vermittels eines Radar-gestcuten Annäherungszünders, mit Sicherheit erreicht wird. Im gegenwärtigen Entwicklungsstadium neigen die Auffassungen mehr zu der zweiten technischen Lösung, obwohl diese das Gewicht des Geschosses erheblich erhöht.
Noch immer im Versuchsstadium In der Endphase dieser Entwicklung könnte der Düsenjäger mit einer vollautomatischen und unfehlbaren Rakete bewaffnet werden, aber selbst die vorläufigen Geschosse, die gegenwärtig für die RAF ausprobiert werden, versprechen, die Zerstörungskraft ihrer Jagd-flugzeuge um 400% zu steigern. Diese Waffen werden dringend gebraucht, jedoch ist von keiner einzigen anzunehmen, daß sie über das Versuchsstadium hinaus gediehen ist. Das Problem ist, daß es sich nicht nur darum handelt, ein Geschoß mit der notwendigen aerodynamischen Vollkommenheit zu entwerfen, sondern auch darum, ein vollständiges Steuerungsverfahren zu konstruieren, welches in allen seinen Stufen einer genauen Prüfung im voraus unterzogen worden sein muß. In den letzten acht Jahren hat die Regierung der Vereinigten Staaten annähernd 3 Millionen Dollar für die Forschung auf dem Gebiet der ferngelenkten Geschosse ausgegeben, jedoch hat der Minister für die Luft-streitkräfte kürzlich erklärt, daß, obwohl sich bei der US-Waffe einige ferngelenkte Geschosse in begrenzter Produktion befinden, noch keine davon für die Massenproduktion reif sei. Auf dem Gebiet der von der Erde aus wirkenden Flugabwehrwaffen haben die Amerikaner jedoch Fortschritte erzielt und die US-Armee legt große Lager von „Nikes“ als Flugabwehrwaffen an. Aber diese und andere vom Boden aus einzusetzenden Geschosse, wie sie jetzt in den Vereinigten Staaten und England erprobt werden, sind nicht als Ersatz, sondern als eine Ergänzung für die Jagdabwehr gedacht. Wissenschaftler auf beiden Seiten des Atlantik stimmen darin überein, daß es mindestens noch 10 oder 15 Jahre dauern wird, ehe die Verteidigung gegen Luftangriffe ausschließlich ferngelenkten Geschossen überlassen werden kann. Die Vereinigten Staaten werden dieses Stadium wesentlich eher als England erreichen, da ihre Luftverteidigungsprobleme viel einfacher gelagert sind. Die geographische Lage allein gewährleistet, daß die Amerikaner eine ausreichende Radarwarnung vor jedem Angriff erhalten können, und sie macht es unwahrscheinlich, daß die Vereinigten Staaten durch irgendwelche anderen Flugzeuge als durch weitreichende Strato-Bomber angegriffen werden können. England auf der anderen Seite muß bereit sein, sich nicht nur mit ballistischen Raketen und hochfliegenden Düsenbombern zu befassen, sondern auch mit tieffliegenden Jagdbombern, minenlegenden Flugzeugen und fliegenden Bomben. Außerdem muß Englands Abwehr darauf eingerichtet sein, Angriffe von allen Seiten und aus jeder Höhe zwischen der Meeresoberfläche und etwa 18 km Höhe oder noch mehr abzuschlagen. Die ersten zur Verfügung stehenden Geschosse, die vom Boden in die Luft abgefeuert werden, können wenig mehr als eine Art von „Super-Flak" sein, gerade für den örtlichen Schutz von verwundbaren Gebieten geeignet. Wesentlich weitergehende Forschungen müssen durchgeführt werden, ehe ein ferngelenktes Geschoß mit einer Reichweite und einer Anpassungsfähigkeit konstruiert werden kann, um alle Bedrohungen abwehren und die britischen Inseln von wenigen zentralgesteuerten Abschußbasen aus gegen einen Einfall aus der Luft schützen zu können. Auf diesem Gebiet stehen Englands Verteidigungsspezialisten folgendem Problem gegenüber: Entweder Konzentration auf die Produktion eines gelenkten Geschosses verhältnismäßig einfacher Art mit kurzer Reichweite und begrenzter Leistung sowie die Tatsache, gewaltiges Kapital in den Aufbau eines dichten Netzwerkes von Batterien und Kontrollstationen für alle verwundbaren Gebiete zu stecken und die Bereitstellung eines großen Vorrates an Raketen an jeder Abschußbasis; oder die Entwicklung eines weitreichenden Geschosses vielseitiger und kostspieliger Konstruktion, jedoch großer Leistungsfähigkeit abzuwarten, welches von wenigen strategisch ausgesuchten Basen abgeschossen werden kann. Die zweite Alternative würde noch ein ausgeklügeltes Radarnetz für Warnung und Kontrolle erfordern, sie wäre aber mit weniger Batterien, weniger Menschen und kleineren Vorräten möglich und daher sparsamer.
England hat die Wahl Die Antwort scheint zugunsten der zweiten Alternative auszufallen, da angenonemen werden muß, daß die Entwicklung ferngelenkter Waffen fortschreitet, und einige Wissenschaftler sind der Ansicht, daß das Problem der großen Reichweite dann gelöst sein wird, wenn die Einrichtungen für die Waffen mit kleinerer Reichweite vollendet sein werden. Diese Lösung mag in der Zwischenzeit einige Gefahren in sich bergen, die wirtschaftlichen Kosten für den Aufbau von Raketenbatterien, die alle lebenswichtigen Gebiete mit dem Feuer kurzreichender Waffen bestreichen können, werden jedoch wahrscheinlich hinderlich sein. Das gelenkte Geschoß mag schließlich eine vollständige Antwort auf das bemannte Flugzeug geben, die Mittel, um die weiterreichende ballistische Rakete abzuwehren, müssen jedoch noch erfunden werden. In der Zwischenzeit scheint Englands Sicherheit ebenso vom ständigen Vorhandensein eines mächtigen Abschreckungsmittels gegen den Krieg in Form einer offensiven Luftstärke wie vom Aufbau eines Raketenabwehrsystems abhängig zu sein.
Die Aussichten zum Überleben
Abbildung 3
Abbildung 3
Die klassische militärische Annahme, daß „der Angriff die beste Verteidigung" sei, bezieht sich mit besonderer Betonung auf die Raketenkriegsführung, denn in dem augenblicklichen Stadium der wissenschaftlichen Entwicklung gibt es keine direkte Verteidigung gegen weitreichende Raketen nach dem Vorbild der deutschen V-2. Diese Tatsache ist im Parlament niemals offen ausgesprochen worden, sie ist jedoch von den militärischen und wissenschaftlichen Beratern der britischen Regierung privat zugegeben worden und beeinflußt in starkem Maße die Verteidigungspolitik Großbritanniens und seiner Verbündeten. In Washington, London und Paris herrscht Uebereinstimmung darüber, daß die Westmächte, trotzdem der Nordatlantik-Pakt rein defensiver Natur ist, zu allen Zeiten eine beträchtliche offensive Stärke mit dem schließlichen Ziel wahren müssen, jeden Angreifer abzuschrecken oder einen sofortigen Gegenangriff zu starten, falls die abschreckenden Maßnahmen versagen sollten. Es herrscht ferner Uebereinstimmung darüber, daß der bedeutendste Faktor dieser Offensive in der strategischen Luftmacht liegt, da der mögliche Gegner, die Sowjetunion, weder durch eine Landinvasion noch durch eine Seeblockade verwundbar ist. Darüber hinaus kann die beste Antwort für ein so verwundbares Land wie Großbritannien auf die Gefahr einer Atombombardierung — gleichgültig, ob durch ferngelenkte Raketen oder durch Flugzeuge — in der Bedrohung durch Vergeltungsmaßnahmen gleicher Art liegen. In ihren Bestrebungen, ein Abschreckungsmittel in Form der Ueberlegenheit in strategischer Luftmacht beizubehalten, waren die Vereinigten Staaten und Großbritannien anfangs im Vorteil, denn die Sowjetunion verfügt bis jetzt über keinen Düsenbomber, der im Einsatz vergleichbar mit denen ist, die der Westen besitzt oder produziert. Die Amerikaner verfügen über eine Streitmacht von über 500 Vierdüsenbombern (B 47), die in der Lage sind, Rußland von Flugplätzen in England aus anzugreifen, und ihre gegenwärtigen Interkontinental-Bombenflugzeuge (B 36) werden mit Beginn des kommenden Jahres durch den weitaus stärkeren Acht-düsenbomber vom Typ B 52 ersetzt, von denen mindestens 250 bereits in Auftrag gegeben wurden.
Die Wasserstoffbombe England wird schließlich seinen Beitrag zu dieser strategischen Schlagkraft leisten, wenn die Flugzeuge vom Typ Valiant, Vulcan und Victor verfügbar werden. Es handelt sich hierbei um mittlere Vierdüsenbomber mit einer derartigen Geschwindigkeit, daß sie nur durch Ueberschalljäger angegriffen werden können. Die Russen scheinen in der Produktion von Bombern dieser Klasse zur Operation in Europa nicht über das Anfangsstadium herausgekommen zu sein, und es liegt kein Beweis vor, daß sie einen Interkontinental-bomber entwickeln, der die Vereinigten Staaten angreifen und dann wieder zurückkehren könnte. Der beachtliche Vorsprung des Westens in bezug auf den Bau strategischer Flugzeuge ist für den Augenblick zwar beruhigend, angesichts der kürzlichen Entwicklung in der Sowjetunion sollte darin jedoch nicht allzuviel Vertrauen gesetzt werden. Die beunruhigende Tatsache ist die, daß auf dem Gebiete der Kernspaltung die Russen eine Wasserstoffexplosion nur neun Monate später als die Amerikaner und wesentlich früher als erwartet zur Auslösung brachten. Dies läßt, wie der Vorsitzende der amerikanischen Atomenergiekommission (M. Cole) kürzlich in Washington sagte, vermuten, daß „die Sowjets sich bereits sehr früh in ihren Arbeiten entschlossen, bestimmte Entwicklungsschritte in der Herstellung von Waffen mit spaltbarem Material zu überspringen und ihre Bemühungen hauptsächlich auf die Schaffung der Wasserstoffbombe zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu lenken.“ Wenn diese Auslegung richtig ist, so läßt sie vermuten, daß die Russen eine ähnliche Politik in der Entwicklung der Mittel zum Einsatz für die Wasserstoffbombe eingeschlagen haben könnten. Nachdem sie einen mittleren Düsenbomber hergestellt haben, könnten sie den nächsten Schritt — den . Interkontinentalbomber — überspringen und sich direkt mit der transatlantischen Rakete befassen, wobei sie die Forschungen ausnutzen, mit denen sich die Deutschen in bezug auf die zweistufige Rakete, die A-9/A-10, befaßten. Es ist richtig, daß die Wasserstoffbombe in ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstadium zu groß ist, um durch irgendeine bekannte Rakete transportiert werden zu können, in 10 oder 20 Jahren mag diese Schwierigkeit jedoch nicht mehr unüberwindlich sein.
Der geographische Vorteil Falls es zur Raketenkriegsführung kommen sollte, würde die Sowjetunion in jedem Fall geographisch in einer sehr günstigen Lage sein. So lange die Russen im Besitz von Basen in Ostdeutschland sind, können sic Paris und London mit Raketen von einer Reichweite von 500 bis 1000 Kilometern bombardieren; die Westmächte können jedoch nicht unter den gleichen Bedingungen gegen Moskau Vergeltung üben, ehe sie nicht eine Rakete mit mehr als doppelter Reichweite produziert haben. Eine Leistung in diesem Umfang würde vom Westen die Schaffung einer wissenschaftlichen und technologischen Führung erfordern, die wesentlich größer als heute ist, und selbst, falls dies erreicht werden könnte, würden die Russen immer noch über einen Vorteil verfügen, dem man nicht ohne weiteres begegnen könnte.
Fernbeschießungen sind, wie jeder Artillerist weiß, von genauem Kartenmaterial abhängig. Die Karten von England und Amerika zeigen genau die Ziele, die die Russen anzugreifen hätten, die Karten von Rußland entsprechen jedoch weder in geodätischer Hinsicht denen von Westeuropa, noch sind sie wirklich zuverlässig genug für eine genaue Lenkung von weitreichenden Geschossen. Darüber hinaus können zahlreiche der wichtigsten militärischen Ziele in der Sowjetunion auf den dem Westen gegenwärtig zur Verfügung stehenden Karten nicht genau lokalisiert werden.
Es hat daher den Anschein, daß es im Falle eines Krieges schwierig sein würde, eine wirksame Raketenbombardierung Rußlands durchzuführen — selbst wenn die Waffen zur Verfügung stehen — bis die Aufklärungsflugzeuge der NATO umfassende Luftaufklärung bis tief in sowjetisches Gebiet hinein durchführen können. Da die atlantischen Mächte nicht in der Lage sein würden, eine Raketenoffensive gegen die Sowjetunion mit ihren gegenwärtigen Hilfsmitteln durchzuführen, ist es daher umso wichtiger, daß sie ihre Fähigkeit wahren, mit Langstrcdccn-Flugzeugen Vergeltung zu üben. Das tatsächliche Vorhandensein dieser Fähigkeit sollte einen Krieg weniger wahrscheinlich machen, denn sie sollte das sowjetische Oberkommando zwingen, in seiner militärischen Planung der Verteidigung den Vorrang zu geben. Je mehr die Russen Grund haben, eine Atombombardierung zu fürchten, desto mehr werden sie sich auf Jäger und Verteidigungsraketen konzentrieren müssen, als auf Bomber und offensive Raketen, und desto weniger werden sie darauf vertrauen, sich auf irgendeine Aggression großen Stiles einlassen zu können.
Die Verteidigung unserer Küsten Soweit es jedoch England betrifft, ist die Beibehaltung von Abschreckungsmitteln nicht nur von den anglo-amerikanischen Luftstreitkräften abhängig, die in der Lage sind, einen Atomgegenschlag zu führen, sondern auch von der Schaffung einer ausreichenden Verteidigung für die britischen Inseln gegen bemannte Flugzeuge und fliegende Bomben.
Es besteht kaum Zweifel darüber, daß die Russen versuchen, neben weitreichenden Raketen auch gelenkte Bomben mit Raketenantrieb zum Abschuß von ihren neuen mittleren Düsenbombern zu entwickeln. Es muß daher erwartet werden, daß sie eine Vielzahl von Waffen aus der Luft gegen die britischen Inseln einsetzen werden, besonders wenn eine Möglichkeit besteht, England lahmzulegen und die europäischen Mitglieder der NATO mit einem einzigen verheerenden Angriff einzuschüchtern, ehe die anglo-amerikanischen strategischen Luft-streitkräfte zurückschlagen könnten.
Die Pläne für die zukünftige Verteidigung Englands schließen die Bereitstellung von Raketen, die von der Erde in die Luft geschossen werden, ein, die schließlich die gegenwärtigen mittleren und schweren Flugzeugabwehrgeschütze und die von Jägern abzuschießenden Luftraketen ersetzen werden. Es erscheint jedoch, daß während der kommenden 10 bis 15 Jahre die wirtschaftlichste und wirksamste Methode für den Einsatz von Raketen darin bestehen wird, sie aus der Luft abzuschießen . Die wesentlichste Aufgabe der Verteidigung in der Abwehr von Angriffen durch Düsenflugzeuge mit Atombomben muß jedoch in der Zerstörung der Bomber liegen, ehe diese die Küste erreichen. Mit den bisher erprobten Raketen, die vom Boden in die Luft geschossen werden, könnte. dieses Ergebnis nur dadurch untermauert werden, wenn ein Ring von Raketenbatterien entlang der Küste zum Einsatz gegen die See vorhanden ist, da diese Raketen eine verhältnismäßig kurze Reichweite haben.
Die schließliche Antwort mag darin liegen, eine Flugzeugabwehrrakete mit einer Reichweite von 160 bis 230 Kilometern herzustellen, dem stehen jedoch ernsthafte technische Schwierigkeiten gegenüber, die noch nicht gelöst worden sind. Die Wissenschaftler, die an diesen Projekten arbeiten, befinden sich in einem Rennen gegen die Zeit: Ein Rennen zwischen denen, die versuchen, ein gelenktes Geschoß herzustellen, das den weitreichenden Atombombenträger zerstören kann und jenen, die versuchen, eine von einer Rakete angetriebene Bombe zu erfinden, die von einem Düsenflugzeug noch außerhalb der Reichweite der vom Boden aus wirkenden Raketenabwehr abgeschossen werden kann. Da für die gelenkte Bombe keine solche präzise Genauigkeit wie für das Flugabwehrgeschoß erforderlich ist, und da diese gegen feste Ziele eingesetzt werden würde, sind einige Forscher der Ansicht, daß die Bombe mehr Aussichten hat, zuerst entwickelt zu werden.
Falls dies richtig sein sollte, werden die Abwehrjagdflugzeuge von noch größerer Bedeutung als heute sein. Denn bis zum Auftauchen der weitreichenden Geschosse, die vom Boden in die Luft abgefeuert werden, wird nur das Düsenjagdflugzeug in der Lage sein, den Angriff zu vereiteln, ehe der Trägerbomber den Punkt erreicht, wo er die gelenkte Bombe abstößt. In der Zwischenzeit wird das von der Erde in die Luft abgefeuerte Geschoß mit kleinerer Reichweite seinen Platz im Verteidigungssystem finden, besonders zum ausreichenden Schutz bestimmter verwundbarer Gebiete — und hierdurch sollten ausreichende Erfahrungen für die Technik der Anwendung von Abwehrraketen zur Verfügung stehen. Die Annahme wäre jedoch gefährlich, daß die Waffen, die in der Vergangenheit so große Publizität erhielten, mehr nur eine Zwischen-und Teillösung für Englands Luftverteidigungsprobleme darstellen. Aus diesen verschiedenen Erwägungen geht hervor, daß die Erfindung der gelenkten Bombe das Düsenjagdflugzeug mehr und nicht weniger wichtig machen und sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, Englands zukünftige Jagdflugzeuge in erster Linie so zu bauen, daß sie Raketen auslösen können. Die herkömmlichen Tagesjagdflugzeuge sind bereits überholt, denn sie können nicht die Radarausrüstung aufnehmen, die ihnen das Auffinden ihrer Ziele in schlechtem Wetter ermöglicht und sie sind auf jeden Fall auf Operationen bei Tageslicht beschränkt. Sie wurden nicht zur Beförderung von Raketen hergestellt, außer in Außenbordgestellen und diese verursachen aerodynamische Schwierigkeiten, die ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen müssen. Das neue Allwetterjagdflugzeug, der zweidüsige Javelin, besitzt die Möglichkeit, ein A. I. (Aircraft-Interception) -Radargerät und den Elektronenkursberechner mitzuführen, der für die lenkfähigeren und beweglicheren Geschosse, die aus der Luft in den Luftraum abgefeuert werden, erforderlich ist, aber auch müssen die Raketen außenbords mitgeführt werden.
Zweimal so schnell wie der Schall Es ist daher zweifelhaft, ob diese Überschalljagdflugzeugc — wenn sie mit Raketen belastet sind — eine ausreichende Geschwindigkeitsüberlegenheit über die fast so schnell wie der Schall fliegenden Bombenflugzeuge haben werden, denen sie wohl begegnen werden. Das mit Raketen bewaffnete und mit Radar ausgerüstete Jagdflugzeug der Zukunft wird daher voraussichtlich in der Lage sein müssen, eine Maximalbeschleunigung von 1, 6 oder sogar von 2 — doppelte Schallgeschwindigkeit — zu erreichen. In Anbetracht dieser Erfordernisse geben einige Mitglieder des Luftstabes zu, daß an die Frage des Baues von Jagdflugzeugen von neuem herangegangen werden muß. In der Vergangenheit war die Bewaffnung eine der geringeren Sorgen der Konstrukteuere. Die Richtlinien gingen im allgemeinen dahin, zuerst über den Motor zu entscheiden und dann die Zelle zur Verkleidung des Triebwerkes zu konstruieren. In der Zukunft, so wird be-merkt, wird dieser Prozeß umgekehrt vonstatten gehen müssen. Es wird voraussichtlich notwendig sein, zunächst zu überlegen, welche gelenkten Geschosse befördert werden müssen und welche Ausrüstung für das Steuerungssystem benötigt wird und dann ein Jagdflugzeug zu bauen, das tatsächlich gleichzeitig eine Raketenabschußbasis und eine Elektronenkontrollstation sein wird. Die Kritiker der früheren Auffassung betonen, daß wenn dieses Verfahren bereits auf den Panther, Swift und Javelin angewendet worden wäre, diese Flugzeuge besser ausgerüstet sein würden, um den Erfordernissen zu entsprechen, die an sie voraussichtlich gestellt werden. Die Erfindung von Raketenwaffen hat das Problem der Verteidigung der britischen Inseln wesentlich mehr in den Vordergrund gerückt. Das Ausmaß der Umgestaltung hinsichtlich der strategischen Situation Englands zeigte sich bisher weder im Rahmen seiner Verteidigungsausgaben noch in der Gliederung seiner militärischen Streitkräfte.
Im laufenden Haushaltsjahr wird das Verteidigungssystem Englands sich auf 1650 Millionen Pfund belaufen. Von dieser enormen Summe werden kaum 10% für Forschung und Entwicklung ausgegeben, und nur ein kleiner Teil davon ist für die Arbeit an gelenkten Geschossen bestimmt. Obwohl England vorsichtig sein muß, um die Fehler der Deutschen zu vermeiden, als diese in ihrer Aufmerksamkeit auf die herkömmliche Luftverteidigung nachließen, ehe die neuen Raketen-und Düsenflugzeuge für den Einsatz bereit waren, scheint die Bedrohung aus der Luft für die britischen Inseln so ernst zu sein, daß die hierfür erforderliche Verteidigung die erste Stelle im Budget einnehmen sollte. In diesem Jahr wird jedoch kaum ein Drittel des gesamten Verteidigungssystems für die Luftmacht ausgegeben. Die englischen Verteidigungspolitiker befinden sich heute in einem ernsthaften Dilemma. England mußte, um seinen Verpflichtungen im Kalten Krieg nachzukommen, wesentlich stärkere militärische Streitkräfte herkömmlicher Art mobilisieren als jemals in Friedenszeiten. Die Waffen jedoch, mit denen diese Streitkräfte ausgerüstet sind, haben verhältnismäßig geringen Wert, und zwar weder für die Aufrechterhaltung strategischer Abschreckungsmaßnahmen gegen einen Krieg noch für den Einsatz in der lebenswichtigen Schlacht — der Luftschlacht — falls ein heißer Krieg ausbrechen sollte. Der Fernbomber, der Überschalljäger und die gelenkte Rakete sind die wesentlichen Elemente der Abschreckung, und sie können die entscheidenden Waffen in einem neuen Weltkrieg sein, sie sind jedoch zwecklos im Einsatz gegen kommunistische Guerillas in Malaya und sie verringern nicht wesentlich die militärischen Verpflichtungen, die England durch die Notwendigkeit der Unterhaltung erheblicher Bodentruppen in Westdeutschland und in anderen angreifbaren überseeischen Gebieten auferlegt wurden.
Innerhalb der Grenzen des gegenwärtigen Budgets gibt es offenbar keinen Weg, der aus diesem Dilemma herausführt, außer durch Verminderung unserer internationalen Verpflichtungen und hierdurch Einsparungen an herkömmlichen Waffen, herkömmlichen Streitkräften und besonders in der Marine. Welche Lösung auch immer eingeschlagen werden sollte, England kann es sich nicht leisten, sich treiben zu lassen, denn die kurz bevorstehende Verschmelzung der Atom-sprengstoffe mit 'dem Raketenantrieb stellt einen Anschlag auf seine Sicherheit dar, den man nicht ignorieren darf.