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Atomwaffen und die Politik Amerikas | APuZ 50/1953 | bpb.de

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APuZ 50/1953 Atomwaffen und die Politik Amerikas Raketen-Kriegsführung

Atomwaffen und die Politik Amerikas

J. Robert Oppenheimer

Der Beitrag von Prof. Oppenheimer, einem der führenden amerikanischen Atomwissenschaftler, erregte bei seinem Erscheinen in USA durch die erstmalige Forderung nach Lockerung der Geheimhaltung auf dem Gebiet der Atomwaffe Aufsehen. Er wurde im Juliheft der „FOREIGN AFFAIRS" veröffentlicht, mit deren besonderer Genehmigung wir den Artikel im Folgenden unseren Lesern zugänglich machen. Die Übersetzung wurde mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlagsahstalt, Stuttgart, der Zeitschrift . AUSSENPOLITIK" (Heft 11/1953) entnommen.

Es ist möglich, daß im großen Licht der Geschichte die Atombombe sich nicht sehr anders ausnehmen wird, wie im blendenden Licht ihrer ersten Explosion. Teils auf Grund der Zeitstimmung, teils in ziemlich klarer Voraussicht der technischen Entwicklung, hatten wir damals den Eindruck, daß dieses Ereignis nicht nur das Ende eines furchtbaren Krieges, sondern das Ende der Kriege überhaupt für die Menschheit bedeuten könnte. Zwei Jahre später schrieb Stimson in den „Foreign Affairs": „Die Atomspaltung wird — ohne Kontrolle — für uns alle zu einer wachsenden Bedrohung werden . . Er fuhr fort: „Friede und Freiheit können auf die Dauer nur gesichert werden, wenn die Welt den notwendigen Weg zu einer übernationalen Gesamtregierung findet." Vorher schon, bald nach Kriegsende, hatte die Regierung der Vereinigten Staaten im gleichen Sinne einige bescheidene Anregungen vorgebracht, wie man sich über das Atom in freundlicher, offener Zusammenarbeit einigen könnte. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, ob diese Vorschläge von vornherein totgeboren waren. Nur wenige waren jedenfalls davon überrascht, daß sie lange, lange Zeit tot blieben. Offenheit, Freundlichkeit und Zusammenarbeit schienen nicht eben das zu sein, was die Sowjetregierung auf dieser Erde am höchsten schätzt. Auch weniger freundliche Angebote zu erdenken, hätte unseren Scharfsinn kaum überstiegen. Die mannigfachen Gründe, aus denen solche Angebote nicht gemacht wurden, brauchen wir hier nicht aufzuführen. Stattdessen begannen wir, uns mit massiven Beweisen der sowjetischen Feindseligkeit und wachsenden Beweisen ihrer Macht auseinanderzusetzen. Zugleich traten uns die tragische, aber oft unvermeidliche Schwäche und Uneinigkeit dessen, was wir uns gewöhnt haben die Freie Welt zu nennen, entgegen. Im Rahmen dieser Sorgen wurde der Atomwaffe eine einfache Rolle zugewiesen, und auch die Politik, die wir trieben, war ziemlich einfach. Die Atomwaffe bildete den Teil eines Schildes, der zum anderen Teil in Amerikas industrieller Überlegenheit bestand, ferner in der militärischen und mehr noch der politischen Schwäche der Sowjetunion. Für das Atom galt der Leitsatz: „Bleiben wir an der Spitze. Seien wir sicher, daß wir unsern Vorsprung vor dem Feinde wahren."

So einleuchtend diese Gesichtspunkte und diese Politik sein mögen, so dürften sie doch heute schwerlich ausreichen. Man begreift es, sobald man den Rhythmus der Entwicklung der Atomwissenschaft bei uns und UdSSR. anderen mit dem wahrscheinlichen Rhythmus tiefgreifender politischer Veränderungen vergleicht.

Man hat gut sagen: „Betrachten wir das Wettrüsten." Ich muß darüber sprechen, ohne positive Angaben machen zu können. Ich muß seine Natur enthüllen, ohne eigentlich etwas enthüllen zu dürfen. Ich will es versuchen. Drei Völker sind zu diesem Rennen gestartet: Das Vereinigte Königreich — von dem wir nur bedauern, daß es, uns durch Überlieferung und Geschichte so nahe verbunden, seine reichen Gaben und Möglichkeiten getrennt von uns entwickelt —, wir selber und die Es ist unlängst offiziell erklärt worden und kann daher mit offizieller Erlaubnis wiederholt werden, daß die UdSSR drei Atomexplosionen zustandegebracht hat und spaltbares Material in beträchtlicher Menge herstellt. Gerne würde ich den Beweis hierfür antreten; ich kann es nicht. Hier ist eine Warnung am Platze: dieser Augenschein könnte sehr wohl eher der Augenschein dessen sein, was die Regierung der UdSSR möchte, daß wir glauben, als die Wahrheit. Immerhin kann ich eine vielleicht etwas rohe Schätzung darüber beibringen, in welchem Verhältnis die UdSSR zu uns auf dem Gebiet der Atomrüstung steht. Ich schätze, daß die UdSSR auf diesem Gebiet um etwa vier Jahre hinter uns zurück ist. Und ich halte das Ausmaß ihrer Produktion nicht für so groß, wie unseres vor vier Jahren war. Es mag etwa halb so groß sein. Dies entspricht den Tatsachen, die uns bekannt sind, kann aber nicht als bewiesen unterstellt werden.

Das klingt leidlich beruhigend. Es klingt so, als hätten wir unsere Aufgabe, vorne zu bleiben, zur Zufriedenheit gelöst. Um uns aber über die Bedeutung dieser Annahme klar zu werden, müssen wir wissen, was vier Jahre zurück sein bedeutet, wie rasch die Lage sich ändern kann, und was es heißt, in der Produktion halb so groß zu sein wie wir. Wir haben Hiroshima mit einem einzigen Flugzeug bombardiert. Es gab keine Gegenwehr in der Luft. Wir flogen in mittlerer Höhe mit mäßiger Geschwindigkeit geradenwegs auf Hiroshima und warfen unsere Bombe, die der auslösenden Energiemenge etwa 15 OOO Tonnen Dynamit gleichkam. Sie tötete mehr als 70 000 Menschen, verwundete eine entsprechende Anzahl und zerstörte eine mittlere Stadt weitgehend. Das hatten wir im Sinn, wenn wir an die Atomwaffe dachten. Aber wir hatten auch im Sinn und sprachen es aus, daß es sich nicht nur um eine Bombe handelte. Ihre Zahl würde auf zehn, auf hundert, auf tausend steigen, vielleicht sogar auf hunderttausend. Wir wußten, oder hatten vielmehr guten Grund zu der Annahme, daß es nicht bei 10 000 Tonnen Dynamit bleiben, sondern zu hunderttausend, vielleicht zu einer Million Tonnen kommen würde, und weiter zu zehn, zu 100 Millionen Tonnen.

Wir sahen voraus, daß sich diese Munition nicht nur von einem langsamen mittleren Bomber in einem Raum, in dem wir die Luftüberlegenheit fast völlig besaßen, verwenden ließe, sondern daß moderne, elastischere Mittel des Einsatzes folgen würden, Transportmittel, die schwerer abzufangen und zum Kampf geeigneter sein würden.

Heutzutage ist all dies im Gange. Ich meine daher, daß wir alle zwar nicht ganz genau, aber doch im wesentlichen und vor allen Dingen von amtlicher Seite unterrichtet werden müßten, wo wir in dieser Hinsicht stehen; daß wir alle eine Vorstellung davon haben müssen, wie schnell die Lage sich geändert hat und wie sie sich in, sagen wir, d-ei, vier oder fünf Jahren — denn weiter läßt sich nicht voraussehen — gestalten wird. Auf die Gründe, weshalb ich es für wichtig halt, daß wir alle über diese Dinge Bescheid wissen sollten, werde ich zurückkommen. Über die Dinge selbst kann ich nicht schreiben.

Ich kann nur soviel sagen: Niemals habe ich mit Verantwortlichen, seien es Wissenschaftler oder Staatsmänner, Beamte oder Offiziere, kurz mit einer Gruppe, die ehe Tatsachen kennt, über diese Fragen offen gesprochen, ohne bei ihnen auf schwere Besorgnisse zu stoßen. Zum mindesten kann gesagt werden, daß es in zehn Jahren wenig trostvoll sein würde, zu wissen, daß die Sowjetunion um vier Jahre hinter uns zurück und nur halb so produktiv wie wir ist. Das mindeste, was wir dann folgern müßten, wäre, daß unsere zwanzigtausendste Bombe in keinem tieferen strategischen Sinn die zweitausendste der Sowjets ausgleichen könnte. Zum mindesten müssen wir sagen, daß, wie Mr. Gordon Dean betonte, eine Zeit kommen wird, wo die Kunst des Abwerfens der Atombombe und der Verteidigung dagegen militärisch wichtiger ist als die quantitative Überlegenheit.

Es gibt noch andere Aspekte des Wettrüstens; wenn sie auch schon bekannt sein mögen, sind sie doch erwähnenswert. Wir stellten die Atombombe unter dem Ansporn der Furcht her, daß die Deutschen sich damit beschäftigten. Wir berieten lange über ihre Verwendung gegen Japan; diese Beratungen wurden auf Außenminister Stimsons Initiative und unter seiner Leitung geführt. Wir beschlossen, sie anzuwenden. Wir haben unsere Atomaktivität äußerst entwickelt und verstärkt. So sehr diese Steigerung vom technischen Standpunkt aus natürlich ist, so wenig unvermeidlich war sie doch. Hätte der Kongreß hierfür keine Gelder bewilligt, wäre sie nicht erfolgt. Wir beschlossen, unsere Vorräte an Atomwaffen und ihre Wirkungskraft energisch zu erhöhen. Von Anfang an erklärten wir, daß es uns freistünde, von ihnen Gebrauch zu machen, und es ist allgemein bekannt, daß wir dies zu tun vorhaben. Ebenso bekannt ist, daß es zu diesem unseren Plan gehört, die Waffe in einem massiven, sofortigen und unablässigen strategischen Angriff gegen den Feind einzusetzen.

Dies Wettrüsten hat noch andere Eigenheiten. Es ist verhältnismäßig wenig geschehen, um unsere Verteidigung gegen die Atomwaffe zu gewährleisten, noch weniger für die weit tragischere und schwierigere Aufgabe, unsere europäischen Verbündeten zu sichern. Diese Aufgabe läßt sich nicht gerade leicht an.

Atombomben sind kein beliebiger Bestandteil eines Arsenals, mit dem wir die Sowjetregierung abzuschrecken hoffen können, auch kein beliebiges Mittel, um einen schon ausgebrochenen Krieg zu beenden. Sie bilden vielmehr das wohl einzige militärische Werkzeug, das man in der Hand hat, um eine große Schlacht in Europa daran zu hindern, zu einem langsam dahinschleichenden „Korea“ größeren Maßstabes auszuarten. Die Atombombe ist das einzige militärische Werkzeug, das die Sowjetunion und die USA in Berührung bringt, und zwar in eine höchst unbehagliche, gefährliche Berührung.

Wie jeder weiß, wurde die Atomwaffe in die Pläne zur Verteidigung Europas einbezogen. Sie wurde für mannigfache taktische Zwecke entwickelt, für den Kampf gegen U-Boote, den Luftkampf und den Land-krieg in Europa, und all diese denkbaren Verwendungen verzweigen und vermehren sich weiterhin. Aber die Europäer wissen nicht recht, was diese Waffen bedeuten, wieviel davon existieren, welchen Gebrauch man davon machen will und was sie ausrichten können. Das heißt also, daß die Atomwaffe für Europa gleichzeitig eine notwendige Hoffnung auf wirksame Verteidigung und eine furchtbare unmittelbare Gefahr darstellt, furchtbarer als für unser Land. Das sind einige Besonderheiten des Wettrüstens, das sich für uns durch eine außerordentlich starre Politik und eine vermutlich auf beiden Seiten erschreckend schnelle Anhäufung von todbringender Munition bemerkbar macht. Wenn wir an die Art denken, in der wir in diesem Lande von der Zukunft zu sprechen geneigt sind, erscheint die Sorge, die jede Erörterung der Frage bei einsichtigen Männern hinterläßt, begreiflich. Zwei Ereignisse möchte jedermann eintreten sehen, doch nur wenige, wenn überhaupt jemand, glauben daran, daß sie eintreten werden. Das erste wäre eine baldige Änderung beim Gegner öder sein Zusammenbruch, das zweite eine Rüstungsbeschränkung als Teil einer allgemeinen politischen Regelung, einer annehmbaren, humanen und ehrenvollen Einigung, der wir beitreten könnten.

An diesenAussichten ist nichts Abstoßendes, aber wenig spricht dafür, daß sie in einer nahen Zukunft verwirklicht würden. Die meisten von uns und fast alle Europäer halten den Ausbruch eines Krieges in dieser nahen Zukunft für eine Katastrophe. Nach der vorherrschenden Ansicht haben wir mit einer langen Zeitspanne kalten Krieges zu rechnen, während derer Konflikte, Spannungen und Rüstungen nicht aussetzen werden. Das Schlimme ist aber, daß während dieser Periode die Atomuhr schneller und schneller läuft. Es läßt sich ein Stand der Dinge absehen, wo zwei Großmächte in der Lage sind, Leben und Kultur der anderen zu vernichten, nicht ohne freilich dabei ein Gleiches zu riskieren. Wir können zwei Skorpionen in einer Flasche verglichen werden, von denen jeder fähig ist, den anderen zu töten, aber nur unter Gefährdung des eignen Lebens. Diese Aussichten sind nicht dazu angetan, heiter zu stimmen. Die grundlegende Tatsache ist außerdem, daß die Zeit, in der solches sich ereignen kann, kurz erscheint im Vergleiche zu der Zeit, innerhalb derer vernünftige Leute an eine vernünftige Änderung oder Besserung der politischen Nöte unserer Zeit glauben können. So brauchen wir sicherlich alle Hilfe, Weisheit und allen Einfallsreichtum, die wir finden können. Drei Umstände müssen wir uns stets gegenwärtig machen, ohne einen von ihnen zu vergessen. Das ist zunächst die Feindschaft und die Macht der Sowjets. Das ist weiter die Schwäche unserer Freunde in der freien Welt, ihr Bedürfnis nach Einigkeit, nach Stabilität und nach militärischer Stärke. Und schließlich die wachsende Macht des Atoms. Vergessen wir dies letzte der drei Momente, werden die beiden ersten einfach, wenn auch nicht leicht zu lösen sein. Denken wir an alle drei, wird das Problem schwer. Und sie sind alle drei da. Wir brauchen die größte erreichbare Handlungsfreiheit. Wir brauchen Seelenstärke, um uns Rechenschaft zu geben, ob unsere Pläne zur Verwendung der Atomkraft richtig oder falsch sind, wenn man alles in Betracht zieht. Und bitter nötig brauchen wir eine Aktionsfreiheit, die wir heute nicht besitzen, um unterhandeln zu können, sollte sich hierfür in Zukunft eine Gelegenheit bieten. Diese Aktionsfreiheit hängt für uns von vielen Voraussetzungen ab. Über manche davon können wir nicht schreiben, weil sie sich nur für eine Erörterung im amtlichen Kreis eignen. Zum Beispiel die Frage, ob, unter welchen Umständen, wie und mit welchem Ziel wir über diese und verwandte Fragen mit der Sowjetunion ins Gespräch kommen sollten. Drei Reformen scheinen mir jedoch so unbedingt notwendig, so bedeutsam und so heilsam, daß ich sie kurz behandeln möchte. Die eine wäre, daß wir in diesen schweren Zeiten alle Hilfsquellen, die einem Volk und einer Regierung wie der unseren innewohnen, verfügbar machen. Diese Hilfsquellen sind nicht verfügbar. Das zweite wäre, daß wir die Hilfsquellen einer Koalition von Regierungen aktivieren, die untereinander verbündet, im Augenblick jedoch davon ausgeschlossen sind, einen für ihr Bündnis und ihr Geschick ausschlaggebenden Faktor zu erörtern. Das dritte wäre, daß wir Maßnahmen ergreifen, um die Gefahren, von denen wir sprechen, zu bannen oder zu mindern. Ich werde mich mit jedem dieser drei Punkte auseinandersetzen.

Das erste bedingt Offenherzigkeit, Offenherzigkeit seitens der Regierung der USA gegenüber den Beamten, den gewählten Vertretern und dem Volk ihres Landes. Wir handeln nicht klug, wenn wir die wichtigsten Tatsachen, die wesentlichsten Bedingungen, die unsere Entscheidungen begrenzen und bestimmen, im Dunklen lassen. Wir handeln nicht klug, wenn all dies, in banger Heimlichkeit, nur einigen wenigen Männern bekannt ist. Ein allgemeiner Überblick über das Wettrüsten der Atomwaffen kanp natürlich, untermischt mit teils richtigen, teils falschen Einzelangaben, der Presse entnommen werden. Natürlich ließe sich aus dieser Summe veröffentlichter Gerüchte, Tatsachen, Auslassungen und Mutmaßungen ein recht beachtlicher wahrheitsgemäßer Kern herausdestillieren; aber so, wie die Dinge liegen, ist -es nicht die ganze Wahrheit. Die Folgen solcher Unkenntnis scheinen keines Kommentars zu bedürfen; doch erläutern wir sie an zwei Beispielen.

Es muß verwirren, wenn ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, der alles, was wir über die Atomkapazität der Sowjets wissen, kennt, öffentlich alle Folgerungen aus dem Beweismaterial in Zweifel zieht. Dies geschah vielleicht zunächst deshalb, weil die Materie so geheim war, daß nicht darüber gesprochen werden konnte und nicht daran gedacht werden sollte. Es muß empören, wenn dieser kürzlich geäußerte Zweifel von zwei Männern bekräftigt wird, von denen der eine, ein hervorragender Gelehrter, während des Krieges eins der großen Projekte des Manhattan Distriktes leitete, der andere, ein glänzender Offizier, die Oberaufsicht über diesen Distrikt geführt hat. Keiner von beiden Männern ist heute noch bei einer Regierungsstelle beamtet, die mit diesen Angelegenheiten zu tun hat. Sie verfügen deshalb über keine Kenntnis der Tatsachen, ihr Urteil ist unmaßgeblich, ihr öffentlich abgegebener Rat irreführend.

Ein zweites Beispiel mag weiterhin die Lage beleuchten. Ein hoher Offizier der Luftverteidigung äußerte erst vor wenigen Monaten während einer höchst ernsten Besprechung über die Verteidigung der Vereinigten Staaten, daß unsere Politik dahin gehe, unsere Streitkräfte zu schützen, nicht aber das Land, da die letztere Aufgabe zu groß sei und daher unsere Vergeltungsmaßnahmen schwächen müßte. Solche Torheiten sind nur dann möglich, wenn selbst die Männer, die die Tatsachen kennen, niemanden finden, mit dem sie sich darüber aussprechen können, wenn die Tatsachen zu geheim sind, um erörtert und folglich durchdacht zu werden.

Die politische Lebenskraft unseres Landes entstammt vornehmlich zwei Quellen. Die eine ist die Auseinandersetzung, das Für und Wider der Meinungen in den verschiedenen und verschiedenartig zusammengesetzten Gremien unserer Legislative und Exekutive, die dazu beitragen, unsere Politik zu gestalten. Die andere ist die öffentliche Meinung, die auf dem Glauben beruht, daß sie die Wahrheit kennt.

Auf dem Atomgebiet besteht heutzutage keine öffentliche Meinung. Kein Verantwortlicher wird hier eine Meinung äußern, solange er glauben muß, daß ein anderer darüber Bescheid weiß und er nicht. Sicherlich gibt es, solange wir uns in Kriegsgefahr befinden, Geheimnisse, die auf gewisse Zeit, wenn nicht für immer, gewahrt werden müssen, und wichtige Geheimnisse dieser Art fallen in das Gebiet der Atomwaffe. In diese Reihe gehört aber das Wissen um die Eigenheiten und mutmaßlichen Wirkungen unserer Atomwaffen ebensowenig, wie um die ungefähren Zahlen, auch nicht das Wissen um die Änderungen, die für die nächsten Jahre wahrscheinlich sind. Auch unsere allgemeine Schätzung des Standes der Dinge beim Feinde gehört nicht dazu.

Gegen die Veröffentlichung dieser grundlegenden Informationen ist vieles gesagt worden. Einige dieser Argumente hatten früher ihre Berechtigung, so, daß wir dem Feinde dadurch lebenswichtige Informationen liefern. Meiner Ansicht nach ist der Feind im Besitz dieser Informationen. Sie sind jedem zugänglich, der sich die Mühe macht, das veröffentlichte Material sachgemäß auszuwerten. Privatleute tun dies nicht; daß der Gegner es tut, müssen wir annehmen. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten für ihn, sich zu unterrichten. Ich für meinen Teil halte es sogar für gut im Interesse des Friedens, wenn der Feind diese Grundgegebenheiten kennt — ja sogar für sehr gefährlich, wenn er sie nicht kennt.

Eine andere Sorge ist, daß die allgemeine Kenntnis der Lage in diesem Lande eine verzweifelte Stimmung erzeugen könnte oder eine allzu große Bereitschaft für das, was man leichtsinnig den Präventivkrieg nennt. Ich glaube, daß wir diesem Tiger ins Auge blicken müssen, sonst laufen wir die schlimmste aller Gefahren. Ein Land wie das unsere kann nicht wirklich Gefahren überstehen, wenn wir uns vor unserem Volk fürchten.

Als ersten, aber großen Schritt vorwärts müssen wir den Mut und die Vernunft haben, wenigstens das zu veröffentlichen, was der Gegner bereits weiß: Wir müssen in großen Zügen, aus amtlicher Quelle und mit Zahlenangaben erläutern, wie es um das Atomrüsten steht. Zu erklären, daß wir „beträchtliche Fortschritte" gemacht haben, wie dies unsere Regierung so häufig tat, genügt heute nicht mehr. Sobald das amerikanische Volk amtlich informiert ist, haben wir zwar das Problem nicht gelöst, wohl aber die Freiheit gewonnen, einige der dornigsten Fragen, die vor uns liegen, anzupacken.

Auch im Verkehr mit unseren Verbündeten ist Offenheit am Platze, zum mindesten mit den größeren. Die Japaner sind der Gefahr der Bombardierung mit Atomwaffen ausgesetzt, und es wird schwer sein, geeignete Gegenmaßnahmen zu finden. Der Raum, dieses große Plus für die Vereinigten Staaten, ist kein Plus für Japan. Auch Frankreich verfügt über dies Plus nicht, und England ebensowenig. Es gibt Auslösungsmethoden für Atomwaffen, die bei den kleinen Entfernungen in Europa die Abwehr vor kaum zu bewältigende Aufgaben stellen. Es wird noch eine Weile dauern, bis sie auch für interkontinentale Angriffe ins Gewicht fallen werden. All jene Länder werden eines Tages entsetzt sein, wenn es der Sowjetunion beliebt, zu zeigen, was sie vermag und leicht vermag, wenn auch nicht, ohne selbst darunter zu leiden, aber ohne daß die Europäer Wesentliches tun können, um sie abzuschrecken oder zu hindern.

Es hat nicht an Anregungen zur technischen Zusammenarbeit mit England und Kanada gefehlt. Es ist auch angeregt worden, daß wir auf dem Atomgebiet mit den NATO-Regicrungen und den betreffenden verantwortlichen Kommandostellen zusammenarbeiten sollten. General Bradley und General Collins haben beide von dieser Notwendigkeit gesprochen, teilweise, um unseren Verbündeten klarzumachen, daß die Atombombe allein nicht ausreicht, daß sie gewisse Fähigkeiten besitzt, aber nicht alles bedeutet. Solche Fühlungnahmen sind gewiß nötig für eine wirksame Planung und erfolgreiche Verteidigung Europas.

Es gibt aber noch viel allgemeinere Gründe. In diesem langen Ringen stehen wir mit unseren Verbündeten zusammen. Was wir tun, kird das Schicksal Europas in Mitleidenschaft ziehen, und was dort geschieht, das unsere. Wir können nicht vernünftig operieren, solange ein großer Teil dessen, was uns gemeinsam angeht, nicht gemeinsam durchgesprochen wird. Das soll nicht heißen, daß wir uns die Hände binden sollen. Es heißt nur, daß wir die anderen informieren und auch konsultieren sollen. Woraus sich ein heilsamer und vielleicht sehr entscheidender Wechsel in unseren Beziehungen zu Europa entwickeln könnte.

Es war besorgniserregend, zu lesen, daß wir unsere Atomwaffen in Korea nicht einsetzen würden, weil unsere Verbündeten es nicht wollen. Es geht hier nicht um die Frage, ob es richtig oder falsch wäre, sie dort zu verwenden. In beiden Fällen müßten unsere Entscheidungen auf festerem Grund stehen als auf dem, daß andere Regierungen, die weniger als wir von der Sache verstehen, einen anderen Standpunkt einnehmen. Angemessen wäre es, daß die Japaner, die Engländer und die anderen unmittelbar beteiligten Völker zu wissen bekämen, wie die Dinge wirklich liegen.

Wenn wir einmal der Frage sachlicher Offenheit, also einer vernünftigeren Behandlung unseres eigenen Volkes in der Atomfrage, frei ins Auge sehen, wird auch die Frage der Orientierung unserer Verbündeten leichter lösbar werden. Es handelt sich ja doch sehr wesentlich um die gleiche Aufklärung, um denselben Tatbstand, den unser Volk und unsere Verbündeten kennen und begreifen müssen. Der dritte Punkt ist eher noch einleuchtender. Ich glaube nicht, daß wir, soweit sich das heute beurteilen läßt, Maßnahmen zur Sicherung unseres Volkes, unseres Lebens, unserer Einrichtungen, unserer Städte treffen können, die irgendwie eine endgültige Lösung der Atomfrage bedeuten. Das ist aber noch kein Grund dafür, nicht ein wenig mehr zu tun, als wir heute tun. Die landläufige Ansicht ist bekanntlich nicht allzu optimistisch. Vor nicht langer Zeit schätzte General Vandenberg, daß wir bei einem feindlichen Angriff bestenfalls 20 bis 30 Prozent der Feindwirkung ausschalten könnten. Das ist nicht sehr beruhigend, wenn man sich die Zahlen vergegenwärtigt und sich klarmacht, wie wenig genügt, um das Herz und Leben unseres Landes zu vernichten. Monatelang hat ein sehr zuständiger Ausschuß unter dem Vorsitz von Dr. Mervin Kelly, der von Verteidigungsminister Lovett ernannt wurde und jetzt seinem Nachfolger Wilson untersteht, die verwickelten technischen Probleme der kontinentalen Verteidigung untersucht. Es gibt viele technische Möglichkeiten, die noch nicht berücksichtigt worden sind, sich aber als sehr nützlich erweisen können. Es handelt sich um Entwicklungen auf dem Gebiete der Munition, des Flugzeugwesens, der Fernsteuerung, auch des Nachrichtendienstes und seiner Auswertung. Voran steht das vordringliche Problem der Ausnutzung des Raumes; denn zwischen der Sowjetunion und den USA liegt viel Raum. Nun scheint es, als würde dieser Ausschuß behindert und gestört durch die gleichen mächtigen Einflüsse, auf die jede Gruppe stößt, die sich ernsthaft mit irgendeiner Frage befaßt, die das Atomproblem angeht. Gleichwohl ist kein Zweifel, daß der Ausschuß wirksame Maßnahmen empfehlen wird, wie wir unser Leben und unser Land schützen können. Diese Maßnahmen werden in verschiedenen Richtungen wirken. Zunächst wird ein gewisser Aufschub, eine Verzögerung der unmittelbaren Bedrohung gewonnen werden. Ferner wird darin eine nicht aggressive, eine rein defensive Abschreckung für die Sowjets liegen. Unsere Maßnahmen werden bewirken, daß die Zeit, in der die Sowjetunion mit der Zerstörung der amerikanischen Produktionskraft rechnen darf, sehr viel länger zu bemessen ist, als wenn wir nichts tun. Und sie werden bewirken, daß auch für unsere Verbündeten, die so sehr viel gefährdeter sind und vielleicht kaum erfolgreich verteidigt werden können, das gesicherte Weiterbestehen eines starken Amerika zur festen Gewißheit wird, das den Ausbruch eines Krieges erschweren sollte.

Ein wirksames Verteidigungssystem könnte sogar von großer Bedeutung werden, wenn einmal die Zeit für eine ernsthafte Erörterung der Rüstungsbeschränkung gekommen sein würde. Wir werden dann mit einer gewaltigen Anhäufung von Material zur Erzeugung von Atomwaffen zu tun haben und mit einer beängstigenden Ungewißheit hinsichtlich seiner Bewertung, einer bedrohlichen Ungewißheit, solange wir im Zeichen des Argwohns, der Feindschaft und Geheimhaltung der Welt von heute leben. Dies wird eine Rüstungsbeschränkung auf breitester Basis erheischen, bei der die verbleibenden Streitkräfte und Waffen von ganz anderer Art sein werden, als nötig ist, um der Vernichtung einer großen Nation durch die andere zu dienen. Diese Rüstungs• muß so beschaffen sein, daß jeder Verstoß dagegen entweder viel zu bedeutend erscheint, um unbemerkt zu bleiben, oder viel zu geringfügig, als daß er angesichts des bis dahin vorhandenen Verteidigungssystems von entscheidender strategischer Wirkung sein könnte. So mögen Verteidigung und Rüstungsbeschränkung einander notwendig ergänzen. Auch hier wird alles, was wir tun, um für unsere Unversehrtheit zu sorgen, sich als nützlich erweisen, indem es uns größere Handlungsfreiheit sichert.

Dies sind drei Wege, die wir einschlagen können. Keiner von meinen drei Ratschlägen ist völlig neu. Alle sind sie lange Jahre hindurch erörtert worden, aber ausgeführt wurden sie nicht. Meiner Meinung nach sind sie bisher nicht eigentlich verstanden worden. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir und unsere Institutionen nicht viele Atomkriege überstehen dürften. Es ist also wichtig, daß es überhaupt zu keinem kommt. Wir müssen unsere großen Hilfsmittel ausnutzen und unser Schicksal in die Hand nehmen.

Fussnoten

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