Bei Abschluß dieses Beitrags lag noch keine endgültige Einigung über Zusammensetzung, Ort und Zeitpunkt der Korea-Konferenz vor, die nach den Bestimmungen des Waffenstillstandes spätestens am 28. Oktober hätte zusammentreten müssen. Der Termin wurde nicht eingehalten. Bisher konnten sich Vertreter beider Seiten nicht endgültig einigen, an welchem Ort und zu welcher Zeit die Konferenz stattfinden und welche Mächte an ihr teilnehmen sollen.
DIE VERHANDLUNGSLAGE AUF DER POLITISCHEN KOREAKONFERENZ Die große Politische Konferenz über Korea, die nicht zufällig auf den suggestiveren Namen einer Friedenskonferenz verzichten muß, wird künftigen Historikern wie eine völkerrechtliche Inventur der Kräfte und Antriebe erscheinen, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts Geschichte gestalten. Hier verwirren sich Linien, die aus den Bereichen des national-staatlichen Eigeninteresses, der kollektiven Sicherheit, des ideologischen Weltbürgerkrieges, aus soziologischen Revolutionen und strategischen Umwälzungen kommen, zum komplizierten Geflecht einer Verhandlungslage. Nur aus der historischen Distanz wird eine Entwirrung dieser Linien möglich sein. Noch ist allzu vieles im Fluß, und das spezifische Gewicht der Elemente, die um einen Ausgleich ringen, kann in keiner Weise endgültig ermessen werden. Eine vorläufige Bestandsaufnahme der Positionen und ihrer denkbaren Entwicklungen mag aber das Bild der kommenden Friedensverhandlungen klären helfen.
Wenn, wie H. v. Hentig 1) glaubt, in unserer Zeit Geist und Technik des Friedensschlusses zu einer „verlorenen Kunst" geworden sind, so ist allerdings kaum zu hoffen, daß in Asien der Friede gewonnen wird.
Denn kaum jemals war größere Kunst nötig. Jedoch zeigen sich auch Ansätze zu einer Auffassung im Clausewitzschen Sinn, zu einer Abkehr vom Unbedingtheitsanspruch gegenüber dem Gegner, zum Einsatz politischer Mittel, wo die militärischen versagen. Auf der Korea-Sondersitzung der UN, die Prozedurfragen der kommenden Konferenz entschied, jedoch im Gewand der Prozedur substantielle Beschlüsse vorwegnahm, waren jene Ansätze stark spürbar, aber auch gegenteilige Tendenzen. Erst der Verlauf der politischen Konferenz selbst wird über das Kräfteverhältnis dieser Richtungen in der Weltpolitik Aufschluß geben können, Richtungen, die keineswegs parallel zu den Fronten des Ost-West-Konflikts verlaufen. Wir werden diesem Verlauf in den nächsten drei Monaten nicht mit dem kühlen Forscherinteresse einer späteren Geschichtsschreibung folgen können. Zuviel hängt — im Atomzeitalter — von den Regelungen ab, die die Mächte hier finden oder verfehlen werden, nicht nur der Friede in Asien, sondern vielleicht, auf weitere Sicht gesehen, die Möglichkeit geschichtlichen Seins auf diesem Planeten überhaupt, zumindest der Bestand der erreichten, durch Selbst-zerstörung gefährdeten Zivilisationshöhe. Der „Ferne“ Osten ist uns sehr nahe gerückt: hier wird nun auch ein großer Teil unseres eignen Schicksals mitentschieden, ganz besonders des deutschen Schicksals.
Zum erstenmal im zwanzigsten Jahrhundert — früheren Zeiten war dies selbstverständliche staatsmännische Weisheit — ist in Korea von zwei kriegführenden Parteien mitten im Kampf eingehalten worden, um auf der Basis eines militärischen Unentschieden nach einer politischen Lösung zu suchen. Bedeutet dies wirklich die Absage an den Typ der Kreuzzüge, zu dem nach fast einem Jahrtausend die kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Zeit zurüdezukehren drohen? Jedenfalls ist es eine Abkehr von dem brutalisierenden Denken in den Alternativen des totalen Sieges oder der totalen Niederlage. Was aber gänzlich neu an der bevorstehenden Konferenz ist und ohne Präzedenzfall in der Geschichte der Friedensschlüsse, die an das Schema von Sieger und Besiegtem gebunden sind, das ist der erstaunliche Versuch beider Seiten, die Kriegsziele, die sie auf dem Schlachtfeld nicht durchsetzen konnten, nun politisch weiterzuverfolgen. Nicht ein militärisch errungener, mit dem Waffenstillstand festgeronnener Zustand soll politisch fixiert werden, wie es der herkömmlichen Definition der Friedenskonferenzen entspricht; sondern beide Lager gehen in die Verhandlungen mit Forderungen hinein, die sie in der Scheidemünze des militärischen Erfolgs nicht bezahlen können. Diese Quadratur des Zirkels muß aller Wahrscheinlichheit nach unlösbar bleiben, wenn die Konferenz sich auf die Kriegsteilnehmer und die unmittelbaren koreanischen Probleme beschränkt, wie es, zumindest für das erste Verhandlungsstadium, von den UN beschlossen wurde. Nur ein „Waffenstillstand im Schafskleide“ (Hentig) kann hieraus hervorgehen, eine höchst prekäre Bestätigung des militärischen Status quo und damit der Spaltung Koreas. Ein so unsicherer Gleichgewichtszustand würde das Ergebnis sein, daß jederzeit mit neuen kriegerischen Entladungen gerechnet werden müßte. Offenbar in der Einsicht, daß eine traditionelle „Friedenskonferenz“ kein anderes Resultat als eben dieses ergeben könnte, hatten die Befehlshaber im Felde ihren Regierungen die Abhaltung einer „Politischen Konferenz“ empfohlen 2). In diesem Begriff liegt schon die vorweggenommene Möglichkeit des Scheiterns, während bei völkerrechtlich eindeutigen Friedenskonferenzen der Kriegsausgang den Vertrag bestimmt, mit dem der Friede etabliert wird. Andererseits aber, und so faßten es die Engländer auf, enthielt dieser Begriff die Chance, durch Erweiterung der Teilnehmerzahl und der Themen die Skala der Zugeständnisse und Tauschobjekte so zu vermehren, daß der festgeronnene militärische Zustand politisch überwunden wird.
Es war daher von so großer Bedeutung, welcher Charakter der Politischen Konferenz durch die Vereinten Nationen gegeben werden würde. Schon diese Sondersession der Vollversammlung, eine Art von Vorkonferenz, bei der einige der Hauptakteure fehlten, aber um so mehr Nebenakteure zugegen waren, wirkte, gemessen an überlieferten völkerrechtlichen Kategorien, als Anomalie. Die Körperschaft der UNO trat hierbei abwechselnd als kriegsführende Allianz und als überparteiliches Weltforum auf. Diese paradoxe Verbindung sich ausschließender Eigenschaften folgte notwendig aus der Sonderart des Koreakrieges; durch ihn waren im Juni 1950 die Vereinten Nationen auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses zu einer antikommunistischen Koalition geworden, von der 16 Mitgliedstaaten zur bewaffneten Kriegführung übergingen, während gleichzeitig die überstimmte Minderheit der kommunistischen Staaten, vor allem die Sowjetunion, in der UNO verblieb und auf diese Weise ihr den Charakter der weltumfassenden Organisation erhielt. Der sonderbare „Stellvertreterkrieg", den der Ostblock in Asien führte, sicherte diesem innerhalb der UN eine gewisse Immunität
DER HISTORISCHE RANG DER REVOLUTION CHINAS Danach wurde die Verstrickung nur noch größer. Amerikanische Transportflugzeuge flogen die Truppen Chiang Kai-sheks in die Gebiete, wo japanische Truppen kapitulierten. Da der innerchinesische Bürgerkrieg aber, kaum daß das Ende des nationalen Krieges gegen Japan gekommen war, im großen Maßstab wieder aufgeflammt war, bedeutete dies einen Eingriff in den inneren Kampf Chinas, obwohl es sich Bündnisses mit der legalen Regierung handelte. Die Vermittlungsmission General Marshalls, die versuchte, das Nartonalregime und die von Stalin nur lau unterstützten chinesischen Kommunisten in einer Koalitionsregierung zusammenzubringen, war als überparteiliche Schiedsrichter-funktion gedacht, statt dessen verwickelte sie Amerika nur noch mehr in die chinesischen Affären. Die Mission schlug trotz erzielter Vereinbarungen schließlich fehl, wie man heute annehmen kann, infolge nationalchinesischer Obstruktion, und hinterließ dem ehrlichen, aber unerwünschten Makler die Antipathie beider Seiten. Die dann endgültig zur Macht gekommene Bürgerkriegspartei steigerte den Antiamerikanismus zu haßerfüllter Maßlosigkeit, als sei eben dies die zwangsläufige Außenpolitik der chinesischen Variante des Marxismus-Leninismus. Es ist gewiß nicht unbegreiflich, daß sich die Amerikaner, die zurückgestoßenen besten Freunde Chinas, aus tiefster Überzeugung, die dem Gebot der Selbstachtung entspringt, weigern, diese antiamerikanische Regierung par excellence, dieses kommunistische Regime, das von Peking aus die Millionenmassen des großen Reiches zu Hassern Amerikas umerzieht, als die wirklichen Repräsentanten der chinesischen Nation anzuerkennen. Hier ist tatsächlich, wie Eisenhower ja auch wieder bestätigt hat, die technisch-diplomatische Anerkennung von der moralischen nicht zu trennen. Nach allem, was geschehen ist, stehen letzterer heftige Emotionen entgegen, keineswegs nur bei der China-Lobby des Senats und den „Asia firsters“ in der republikanischen Partei und in einflußreichen Militärkreisen. Wohl aber trägt die Deutung der vergangenen Chinapolitik durch diese Gruppen, die in Freda Utley („The China Story" 3) ihre Historikerin gefunden haben, einen großen Anteil an der Schuld für die offenbare Ausweglosigkeit der Lage. Denn diese Deutung ist rein polemisch im inneramerikanischen Sinn, und wird dem Phänomen der chinesischen Revolution nicht gerecht. So lange diese Version des „Verlustes" Chinas in Amerika vorherrscht, und das tut sie weitgehend, so lange wird es kaum zu einer Verständigung größeren Stils in Asien kommen können. Auch die Politische Konferenz wird unter ihr leiden.
Jene Deutung besagt, daß der Sieg der kommunistischen Kräfte in China ein rein militärisches Ereignis gewesen sei, verursacht einerseits durch die indirekte Hilfe Sowjetrußlands (Überlassung der japanischen Waffen in der Mandschurei an die Armeen Maos), andererseits durch die mangelnde Unterstützung der Nationalarmee Chiang Kai-sheks durch die Vereinigten Staaten während der entscheidenden Krise. Dieses Fallenlassen des chinesischen Marschalls wiederum erkläre sich durch die Einflüsse einer Gruppe amerikanischer Diplomaten, Fernostexperten und Journalisten, die entweder kommunistische Agenten oder vom Kommunismus getäuschte „Liberale“ gewesen seien. So zutreffend dies alles in Einzelheiten sein mag, und manches spricht dafür, so ist es als historische Einsicht in das Geschehen doch gänzlich verfehlt. Das Chiang-Kai-shek-Regime brach von innen her auseinander, wofür allein schon die Massendesertionen ein Beweis sind. Die Ursachenreihen von Korruption, Verwaltungsunfähigkeit, personellen Rivalitäten sind bekannt. Um die geschichtliche Umwälzung, durch die China gehen muß, durch auswärtigen Eingriff aufzuhalten oder abzuändern, hätte es Kräfte bedurft, die sogar die einer Großmacht wie Amerika übersteigen. Nur die Erkenntnis, daß die Revolution des Maoismus vom gleichen historischen Rang wie die große französische und russische Revolution ist, kann schließlich den Gefühlskomplex der fehlgeschlagenen Asien-politik Amerikas auflockern und damit die Voraussetzungen schaffen, ohne die auch das Einzelproblem Korea kaum lösbar erscheint.
DER WEG NACH PARIS ÜBER PEKING Denn als die Chinesen eingriffen, nachdem Mac-Arthur bis zur mandschurischen Grenze vorgestoßen war, wurde aus dem koreanischen Krieg der amerikanisch-chinesische Krieg, so bitter hatte sich das ursprüngliche Verhältnis dieser beiden großen Völker gewandelt. Etwas von der Verwunderung über so viel Sinnlosigkeit schwingt in dem Wort General Bradleys mit, es handelte sich um den falschen Krieg am falschen Ort gegen den falschen Feind. Und doch wurde die Polizeiaktion der UNO erst mit der chinesischen Intervention für die Vereinigten Staaten zum nationalen Krieg. Die schweren Rüdeschläge, die zunächst das Auftreten der Massenheere Maos für die amerikanischen Streitkräfte im Gefolge hatten, machten neue Einberufungen nötig. Die Kämpfe auf der fernen asiatischen Halbinsel warfen nun jahrelang ihren Schatten auf das Leben jedes Amerikaners. Gefallenen-und Vermißtenlisten, und die erst jetzt im ganzen Ausmaß bekannt gewordene barbarische Behandlung der Gefangenen, haben ein Gefühlsklima geschaffen, das den amerikanischen Unterhändlern Zugeständnisse nicht leicht machen wird. (Tagelang brachte die Presse Photos von weinenden Angehörigen beim Anblick von Heimkehrern aus den Lagern Nordkoreas.) Man beklagt sich in den USA, daß die Verbündeten kein Verständnis hätten für die Tiefe der Empfindungen, die dieser Krieg im amerikanischen Volk aufgewühlt habe. Die Statistik sagt hierüber einiges aus: Amerikas Gefallene zusammen mit den Vermißten, die als tot gelten müssen, betragen 32 000. Das sind zwar nur ein Zehntel der Gefallenen des zweiten Weltkrieges, aber die Zahl rückt doch näher an jene Verluste heran, wenn man nur den Pazifik betrachtet, wo Landstreitkräfte der USA im Krieg gegen Japan 50 000 Mann verloren. Die Todesrate der amerikanischen Streitkräfte während des Korea-Krieges betrug 3, 5 pro 1000 im Jahr gegenüber 8, 9 im Weltkrieg.
Rechnet man aber nicht den Durchschnitt für die drei Koreajahre, sondern für die Zeit der schwersten Kämpfe nach dem chinesischen Eingreifen, so beträgt die Todesrate 7, 9 und wenn man nur die Truppen in Übersee, also die wirklich eingesetzten, als Grundlage nimmt, beträgt sie 10, 9. Nur sieben Monate kürzer dauerte der Koreakrieg für Amerika (insgesamt 37 Monate) als seine Beteiligung am zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit haben sich naturgemäß kriegsbedingte Wandlungen in den Vereinigten Staaten vollzogen, unter denen für unsere Frage am wichtigsten die Machtzunahme der China-Lobby im Senat ist. Ihr stärkster Exponent, der republikanische Senator Knowland, bekannt als „Senator von Formosa", so vorbehaltlos bewundert er Chiang Kai-shek, ist mit dem Tode von Taft Mehrheitsführer des Senats geworden, eine Position von größtem Einfluß. Er ist Anhänger General MacArthurs, und hatte sich stets eindeutig gegen den „begrenzten" Krieg ausgesprochen. Er liebt es, Lenins Ausspruch zu zitieren, daß „der Weg nach Paris über Peking führt"; sein Gegenargument ist eine „dynamische" Asienpolitik Amerikas. Der Mann, der im Jahre 1953 103 Male im Senat das Wort ergriff, um eine Stärkung Formosas zu verlangen, wird schwer zu bewegen sein, einer Verständigung mit Mao Tse-tung zuzustimmen. Er hat sich jetzt auf eine Fernostreise begeben.
Die von Knowland verkörperte Richtung hat einen mächtigen Verbündeten in dem neuen Chef des vereinigten Generalstabs, Admiral Arthur W. Radford. Dieser höchste amerikanische Offizier war in Europa praktisch unbekannt, dagegen wundert man sich in Asien, „wo immer man hinkommt, von Saigon und Hongkong bis Tokio“, wie James Reston berichtet, über seine offenherzig ausgesprochenen Ansichten und fragt sich, ob seine Ernennung bedeute, daß seine Ansichten auch Eisenhowers seien. Admiral Radford, der mehrere Pazifikkommandos in den letzten Jahren inne hatte, machte kein Geheimnis daraus, daß er die Sicherheit der USA niemals gewährleistet sehen kann, solange die Kommunisten in China an der Macht sind. Er hält nicht viel von der Defensive. Für ihn sind Südkorea, Formosa, Indochina „Brückenköpfe" gegen die Kommunisten Chinas. Sein Mindestprogramm ist der beschleunigte Ausbau der amerikanischen Stüztpunktkette rund um den asiatischen Kontinent, mit dem Schwergewicht in Okinawa, Formosa und Cubi Point, der riesenhaften Flugzeugträgerbasis nördlich von Bataan auf den Philippinen. Die „Radford-Linie“ heißt nicht Engagement Amerikas mit eigenen Streitkräften auf dem Festland; aber sie bedeutet eine Strategie der ständigen Beunruhigung der chinesischen Kommunisten von der Peripherie her, vor allem durch Stärkung der antikommunistischen Asiaten, also Chiang Kai-sheks, Syngman Rhees, Bao Dais. Eine Politik des Ausgleichs gegenüber Peking ist hiermit unvereinbar.
Diesen amerikanischen Tendenzen steht aber als Gegenwirkung das Versprechen gegenüber, das der Präsidentschaftskandidat Eisenhower den Wählern gegeben hatte, die Männer aus Korea zurüdezubringen. Den ersten Teil dieses Versprechens, das wie sonst kein anderes Motiv seine Wahl gesichert hat, ist mit dem Waffenstillstand eingelöst; aber dieser Waffenstillstand ist noch weniger als sonst schon der Friede. Solange es nicht zum politischen Friedensschluß kommt, können die Truppen nicht aus Korea zurückgezogen werden. Alle Möglichkeiten, auch die extreme des Übergangs des bisher begrenzten in einen unbegrenzten Krieg, bleiben offen. Daher wird Eisenhower, um sein Versprechen ganz zu erfüllen, in seiner Haltung auf der Koreakonferenz (oder einer anschließenden gesamtasiatischen) über Widerstände hinweggehen müssen, die mit den Namen Knowland, Radford, Chiang Kai-shek, Syngman Rhee, ja vielleicht seines eignen Außenministers umschrieben sind. Es wird die schwierigste Aufgabe seiner Präsidentschaft sein.
DAS CHINESISCHE SICHERHEITSBEDÜRFNIS Versucht man die Verhandlungslage auf der Koreakonferenz von der anderen, der asiatisch-kommunistischen Seite zu sehen, so ist die Geburt einer neuen bedeutenden Militärmacht hier die grundlegende Tatsache. Die Chinesische Volksrepublik, deren mit schweren Waffen wenn auch nicht eigener Konstruktion ausgerüstete Millionenarmee von der größten Militärmacht des Westens nicht besiegt werden konnte, geht mit äußerst gestärktem Selbstbewußtsein aus der koreanischen Feuerprobe hervor. Jedoch kann dies politisch paradoxe Wirkungen haben. Zunächst wäre denkbar, daß sich das neue Selbstbewußtsein auch gegenüber dem sowjetischen Verbündeten äußert, wofür nach dem Tod Stalins günstige Vorbedingungen bestehen, wenn auch die rüstungsindustrielle Abhängigkeit vorerst den Spielraum einschränkt. Ausschlaggebend für die Verhandlungen mit dem Westen kann werden, daß die chinesische Revolution nach der militärischen Selbstbehauptung nun in ein konservatives Stadium, soweit die Außenpolitik betroffen ist, eintritt. Das Sicherheitsbedürfnis der chinesischen Großmacht wird sich, woran kaum zu zweifeln ist, als Konstante kommender Verhandlungen erweisen. Die Einzelpunkte — Formosa, UNO-Sitz, Handelsembargo, Korea, Indochina, und der Vertrag mit Japan — sehen im Licht einer rational berechenbaren Sicherheitspolitik anders aus, als wenn man dem Maoismus leninistische Weltrevolutionspläne unterstellt, für deren Vorhandensein nirgends ein Anhaltspunkt besteht. Denn auch die Intervention in Korea, die China erst eigentlich zur Großmacht emporgeführt hat, erfolgte erst, als ihm seine nationale Sicherheit durch die von den UN gebilligte Offensive MacArthurs an den Yalu bedroht erschien.
Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Peking und Delhi erklärt sich dadurch, daß Mao Tse-tungs Politik für Asien so sehr viel mehr nationalistisch als kommunistisch ist. Die Beseitigung strategischer Positionen nicht asiatischer Mächte ist das vornehmliche Ziel dieser Sicherheitspolitik. Das kommunistische Parteiinteresse kommt an zweiter Stelle; es wäre durchaus vorstellbar, daß China den Abzug fremder Truppen und die Auflösung fremder Militärstützpunkte als ausreichende Gegenleistung für das Zugeständnis von Koalitionsregierungen in Korea und Indochina betrachtet, in denen die kommunistischen Parteien nicht die Mehrheit zu haben brauchen. Der Sitz in der UNO dagegen wird in Peking als ein Recht betrachtet, das ihm grundlos vorenthalten wurde, und das daher kein Tauschobjekt, kein diplomatisches quid pro quo ist. Das gleiche gilt für Formosa.
Um zu verstehen, welche Bedeutung die Errichtung eines Exilstaates der Kuomingtang auf Formosa für die herrschende Regierung des Festlands hat, kann sich der Leser der Hilfsvorstellung bedienen, daß sich die Reste eines zusammengebrochenen deutschen Regimes auf Helgoland festsetzen, dort Waffen und Geld aus auswärtigen Quellen erhalten und von einer fremden Flotte geschützt werden. China betrachtet die Insel Formosa als ein bisher von der Revolution ausgespartes Restgebiet, als einen völkerrechtlich zum Festland gehörenden Teil, der nicht losgetrennt werden darf. Pläne, die Insel unter Treuhandschaft der Vereinten Nationen zu stellen, sie also China gegenüber zu verselbständigen, können nicht auf formelle Zustimmung Pekings rechnen. Da aber nur auf diesem Wege, wenn überhaupt eine Regelung der Vertretung der zwei China in der UNO gefunden werden könnte, würde Mao Tse-tung vielleicht eine solche Lösung stillschweigend hinnehmen. Die Chinesen denken, wie man weiß, in Jahrhunderten. Eine ausweglose Lage würde aber entstehen, wenn Washington mit Chiang Kai-shek einen Beistandspakt wie mit Syngman Rhee abschlösse. Ein solcher Akt würde die Verhandlungsaussichten der Koreakonferenz auf den Nullpunkt bringen.
DER KLEINE POTENTAT IN ASIEN Der Beistandspakt mit Südkorea, der von Syngman Rhee als Rücken-deckung auch für gewagte Abenteuer gewertet werden kann, schränkt bekanntlich die Handlungsfreiheit der Amerikaner auf der Konferenz bedenklich ein. Er stellt für die USA einen Bruch mit ihrer außen-politischen Tradition dar. Zum ersten Male haben sie sich zum aktiven Eingreifen in Angelegenheiten des asiatischen Festlands verpflichtet, ohne die Umstände dieses Eingreifens selbst bestimmen zu können. Die „Washington Post" verglich dieses Hilfsversprechen, kurz bevor Außenminister Dulles unter vielsagenden Freudenkundgebungen der Südkoreaner seine Unterschrift unter den Pakt setzte, mit der britischen Garantie an Polen von 1939. „Syngman Rhee eine Garantie zu geben, würde bedeuten, unser Volk und unsere Hilfsquellen einem kleinen Potentaten in Asien auszuliefern, der bewiesen hat, daß man ihm nicht trauen kann.“ Aber dieser Potentat, der zugleich ein unbezweifelbarer Patriot ist, hätte mit seinen gutausgerüsteten 20 Divisionen das Zustandekommen des Waffenstillstands und damit die Erfüllung der Eisenhowerschen Wahlversprechens verhindern können. Und doch hat er sich mit dem Garantieversprechen nur eine Art Stillhalteabkommen abkaufen lassen. Die Zusage der USA an Syngman Rhee, nah 90 Tagen die Politishe Konferenz, wenn sie erfolglos bleibt, zu verlassen, ist deshalb so beunruhigend, weil die südkoreanishe Regierung in ihrer bisherigen Zusammensetzung an einem positiven Ergebnis der Konferenz gar kein Interesse haben kann. An diesem Punkt findet auh die Parellele zwishen dem gesamtkoreanishen und dem gesamtdeutshen Problem ihre Grenze. Denn Syngman Rhee kann niemals hoffen, auf dem Wege über freie Wahlen ein vereinigtes Korea zu regieren. Zwar würden solhe Wahlen eine antikommunistishe Mehrheit ergeben, aber niemals eine Mehrheit für ihn. Die Forderung der friedlihen Einigung Koreas, mit der die UNO-Seite in die politishe Verhandlungen geht, ist niht unerreihbar; aber sie ist unerreihbar für das Regime Syngman Rhee.
Erst der Konferenzverlauf wird zeigen, ob der südkoreanishen Hypothek eine nordkoreanishe entspriht, die auf der Verhandlungsposition Moskaus lastet. Korea war jahrhundertelang China untertan, aber jene nordkoreanishen Divisionen, die die Amerikaner gleih nah der Invasion bis zur Südspitze der Halbinsel zurückwarfen, waren von den Russen in Turkestan ausgebildet worden. Kim Ir-sen, der nordkoreanishe Ministerpräsident, tritt Rußland mit ähnlihen Forderungen gegenüber, wie Syngman Rhee Amerika — ein gefährliher Mehanismus der automatishen Allianzen ist hier in Siht.
Und wenn die Konferenz sheitert? Nur Syngman Rhee hat für sein Land erklärt, daß es in diesem Fall „nordwärts marschieren" würde. Die fragwürdige Drohung der 16 Mitgliedstaaten, im Fall eines Bruhs des Waffenstillstands Kriegshandlungen gegen hinesishes Gebiet zu eröffnen, gilt, wir Churhill klargemaht hat, nur für einen u n provozierten Brüh des Waffenstillstands durch die Kommunisten, kann also niht von Syngman Rhee mißbrauht werden. Sie bedeutet ja auh niht etwa, daß wieder die Waffen sprehen, wenn die politishen Ziele der Konferenz niht erreiht werden. Aber man sieht kaum, wie es an anderen Fronten des kalten Krieges zu Lösungen kommen soll, wenn die Staatsmänner hier versagen.
Anmerkungen:
1: In seinem Buch „Der Friedensschluß“ (1952).
2: Der juristische Ansatzpunkt für die Politische Koreakonferenz ist mit Art. IV, Paragraph 60 Waffenstillstandes vom 27. 7. 1953 gegeben, der lautet: „Um eine friedliche Regelung der koreanischen Frage zu sichern, empfehlen die militärischen Befehlshaber beider Seiten den Regierungen der auf beiden Seiten betroffenen Länder, daß drei Monate nachdem der Waffenstillstand unterzeichnet und in Kraft getreten ist eine politische Konferenz auf höherer Ebene beider Seiten durch entsprechend ernannte Vertreter abgehalten werden möge, um durch Verhandlungen die Frage der Zurückziehung aller ausländischen Streitkräfte aus Korea, die friedliche Lösung der koreanischen Frage etc. zu regeln.“
3: Chicago, Henry Regnery Company, 1951.