Die Debatte über die ersatzlose Streichung, Ersetzung beziehungsweise Umformulierung oder unveränderte Beibehaltung des Begriffs "Rasse" in Artikel 3 des Grundgesetzes wird seit etwa einem Jahrzehnt und in Teilen sehr kontrovers geführt.
Das in Artikel 3 verbriefte Diskriminierungsverbot ist ein umfassendes Verbot sowohl der Besserstellung als auch der Benachteiligung. Es ist keine abstrakte Größe. Seine entscheidende Funktion besteht darin, anzuerkennen, dass Deutschland historisch mit seiner rassistischen Vernichtungspolitik die Würde von mehreren Bevölkerungsgruppen schwer missachtet und verletzt hat.
Das alte Dilemma von Gleichheit oder Differenz
Für die Umsetzung von Antidiskriminierungspolitiken sind gleichstellungsorientierte Akteur*innen zentral. Sie leisten durch ihr Engagement wesentliche Beiträge zur Realisierung eines aktiven Diskriminierungsschutzes und sind in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten verankert – sei es sozioökonomisch, parteipolitisch, religiös oder disziplinär-fachlich.
"Es gibt keine Rassen, es gibt nur Menschen."
"Gibt es in deinem Kindergarten auch Ausländer?" – "Nein, da sind Kinder."
"Und dennoch tötet Rassismus mit erstaunlicher Regelmäßigkeit … #BlackLivesMatter"
Die ersten beiden Zitate machen die Gleichheitsperspektive stark. Gleichberechtigung soll erreicht werden, indem auf universell geltende Prinzipien der Menschenrechte, der Menschlichkeit und der Egalität verwiesen wird.
Das dritte Zitat richtet den Fokus explizit auf die Wirksamkeit rassistisch geprägter Exklusion. Gleichberechtigung soll in der Differenzperspektive erreicht werden, indem auf marginalisierte Lebenswirklichkeiten aufmerksam gemacht wird.
Von Vertreter*innen der Gleichheitsperspektive wird zumeist die Streichung des Rassebegriffs im Grundgesetz befürwortet. Das Aufzählen von Besonderheiten sei überflüssig, da alle Menschen gleich seien. Je schneller Menschen sich davon verabschieden würden, auf Unterscheidungen zu beharren, sie aufzurufen oder anzusprechen, desto schneller werde sich, so die Argumentation, Gleichberechtigung etablieren können. Vertreter*innen der Differenzperspektive streben dagegen meist die Umformulierung des Begriffs an, damit die Realität der zugeschriebenen Differenzen und die damit verknüpften, unterschiedlich verteilten Diskriminierungsrisiken formal und institutionell anerkannt bleiben. Ihre Befürchtung ist, dass ein bereits erreichtes Problembewusstsein aufgegeben wird, wenn das spezifische und sichtbare Schutzmerkmal, das mit dem Rassebegriff angesprochen wird, ersatzlos wegfällt. Die durch rassistische Marginalisierung verursachten Wunden sollen ansprechbar und thematisierbar bleiben.
Neben der Gleichheits- und der Differenzperspektive gibt es auch eine dritte Position. Ihre Befürworter*innen plädieren dafür, den Rechtsbegriff der "Rasse" unverändert im Grundgesetz zu behalten, und argumentieren vorwiegend auf der Grundlage rechtswissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie befürchten eine Schwächung des Antidiskriminierungsrechts und kritisieren, dass "Rasse" nicht als vielschichtiger Begriff wahrgenommen, sondern mit dem Unrechtsbegriff der Nürnberger Rassengesetze gleichgesetzt werde. "Rasse" sei jedoch als Rechtsbegriff analytisch und bewegungspolitisch in einen transnationalen Bedeutungskontext eingebettet und in der Mehrzahl geltender europäischer und transnational gültiger Rechtstexte, Abkommen und Bestimmungen in vielfältiger Form verankert. Zudem verweise er zugleich auf erinnerungspolitische Bedeutungslinien und wirke als Analysekategorie der intersektional-rassismuskritischen Forschung. Hinsichtlich seines sozialen Konstruktionscharakters sei er letztlich mit "Geschlecht" vergleichbar, beides gelte es zu hinterfragen und zu modifizieren.
Auswirkungen einer Grundgesetzänderung
Zur Halbzeit der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015–2024) ist es geboten, mit Blick auf eine der vier im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus von 2017 genannten mehrfachvulnerablen, rassistisch marginalisierten Gruppen nach der Wirkung einer etwaigen Grundgesetzänderung zu fragen.
Eine ersatzlose Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz hätte daher folgenreiche Effekte. Dies würde sowohl den historischen als auch den gegenwärtigen Kontext rassistischer Diskriminierung verkennen und unter anderem den Schutz vor rassistischer Hasskriminalität und institutionalisierten Ungerechtigkeiten wie "Racial Profiling" schwächen. Diskriminierungsrechtliche Argumente würden an Gewicht verlieren. Der größere Anteil gleichstellungsorientierter Akteur*innen plädiert daher für verschiedene Umgangsweisen beziehungsweise Modelle. Ein prominenter Vorschlag darunter ist, anstatt von "Rasse" von "Ethnizität" zu sprechen.
Ein Ausweichen auf den Begriff "Hautfarbe" ist ebenfalls problematisch. Diese Bezeichnung ist machtkritisch unterkomplex und biologistisch. Sie normalisiert im Wesentlichen die Reproduktion einer rassistisch geprägten Körperpolitik und suggeriert, dass es rassistisch verfasste Barrieren und rassistische Diskriminierung deshalb gäbe, weil Menschen unterschiedliche Hautfarben haben. Rassismus besteht aber nicht aufgrund von "Hautfarbe", sondern aufgrund einer ausbeuterischen Ordnung.
Kompromisse und Überarbeitungsbedarfe
Wie kommen wir dem Ziel näher, rassistische Bevorzugungen und Benachteiligungen zu benennen, zu verhindern und antidiskriminierungsrechtlich zu bekämpfen? Resümierend sei der pragmatische Hinweis gestattet, dass die Lösung nicht perfekt und auch nicht für alle Zeiten sein muss. Schließlich funktioniert das Grundgesetz innerhalb eines Spektrums transnationaler Gesetze, Abkommen, Menschenrechtsdokumente und Richtlinien, die rassistische Diskriminierung und Marginalisierung je nach Konstellation sprachlich variabel verhandeln. Die unterschiedlichen Modelle, die im deutschen und europäischen Rechtsraum im Gespräch sind oder bereits praktiziert werden, ersetzen "Rasse" mit "rassistischer Diskriminierung" oder "Diskriminierung aus rassistischen Gründen". Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetzes ersetzte den Begriff "Rasse" mit "rassistischer Zuschreibung", ein belgisches Modell mit "angeblicher Rasse", ein französisches – bevor diese Begriffe 2018 schließlich gestrichen wurden – mit "tatsächliche[r] oder vermutete[r] Rasse".
Im Rahmen dieses Beitrags löse ich ganz bewusst die (Um-)Formulierungsaufgabe nicht, sondern möchte stattdessen meinen Beitrag mit einem Plädoyer für eine intersektional-rassismuskritische Stärkung des Grundgesetzes schließen: Es gibt weiteren Überarbeitungsbedarf als nur an der Begrifflichkeit "Rasse".
Ein Lösungsansatz könnte darin bestehen, drei Gerechtigkeitsparadigmen gleichzeitig zu realisieren. Zusätzlich zu den bereits diskutierten Gleichheits- und Differenzperspektiven schlagen die Sozialwissenschaftlerin Gudrun-Axeli Knapp und die Erziehungswissenschaftlerin Mai-Anh Boger eine "Dekonstruktionsphilosophie" als eine Art Scharnierstelle vor. Dies zielt darauf ab, mit "Gleichheit", "Differenz" und "Dekonstruktion" drei Perspektiven zusammenzudenken, "die sich wechselseitig ergänzen und korrigieren" und so Ungleichheitsverhältnisse in ihrer Tiefenstruktur nachhaltig zu bewegen, um einen effektiven Diskriminierungsschutz zu sichern und zu etablieren.
Für eine zeitgemäße Überarbeitung des Grundgesetzes bedeutet der gleichzeitige Einbezug dieser drei Perspektiven, dass die Realität rassistischer Marginalisierung als Verursacherin von strukturell exkludierenden und eingeengten Chancen sowie eine inkludierende Perspektive im Rechtstext sichtbar verankert müssen – und zwar nicht nur die leere Proklamation, dass alle Menschen gleich seien. Analog zum Bestreben, Geschlechterhierarchien dort, wo sie materiell werden, abzubauen, muss daher festgeschrieben werden, dass rassistisch Marginalisierte durch staatliches Handeln zu Gleichen gemacht werden. Dekonstruktion bedeutet dabei auch, dass die Definitionsmacht des Rechtstextes selbst durch hyperdiverse Akteur*innen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden muss. Für diese Vision einer Verfassung, die reflexiv angelegt ist und die Instrumente ihrer eigenen demokratischen Überarbeitung bereitstellt, lohnt es sich tatsächlich, zu streiten.