Im Februar 2024 stimmte die Unterkommission für Quartärstratigrafie (SQS), ein Gremium der Internationalen Kommission für Stratigrafie (ICS) unter dem Dach der Internationalen Union für Geowissenschaften (IUGS), gegen die Aufnahme des Anthropozäns als neue, das Holozän ablösende Epoche in die Geologische Zeitskala.
Um die Frage zu beantworten, ob der (nicht gesetzte) Golden Spike nun als Start- oder Endpunkt der Debatte um das Anthropozän anzusehen ist, zeigen wir erstens, unter welchen disziplinären Voraussetzungen sich die geologische Kontroverse um das Anthropozän entwickelt hat. Welche Rolle diese strukturellen Gegebenheiten in der epistemischen Praxis spielen, illustrieren wir zweitens anhand der Diskussion um die Datierung des Anthropozäns, die eng mit der Suche nach geeigneten Primärmarkern und einem Referenzort für den Golden Spike verknüpft ist. Aus der Betrachtung der geologischen Kontroverse um das Anthropozän leiten wir drittens die Hypothese ab, dass die verwehrte Anerkennung des Anthropozäns als neue Epoche und die Diskussion um den Crawford Lake als Referenzort weder als Start- noch als Endpunkt der geologischen Debatte, sondern vielmehr als Zwischenstadium eines ergebnisoffenen Prozesses anzusehen sind.
Disziplinäre Zwänge und interdisziplinärer Aufbruch
Als der Atmosphärenchemiker Paul J. Crutzen im Jahr 2000 den Begriff des Anthropozäns prägte und seine These von einer neuen geologischen Epoche, die mit der Industriellen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert begonnen habe, gemeinsam mit dem Algenforscher Eugene F. Stoermer veröffentlichte,
Für das Verständnis der Kontroverse um das Anthropozän ist es hilfreich, zunächst einen Blick auf die Praxis geologischer Zeiteinteilung im Allgemeinen und den Internationalen Stratigrafischen Kriterienkatalog im Besonderen zu werfen. Er legt als bindendes Regelwerk seit 1976 fest, welche Anforderungen auf dem Weg zur Ratifizierung neuer geologischer Zeiteinheiten zu erfüllen sind.
Die Zeiteinheit zur Bestimmung von Epochen wird in der Chronostratigrafie, der Wissenschaft zur Datierung von Gesteinsschichten, „Serie“ genannt. Während geochronologische Einheiten die zeitliche Abfolge von Ereignissen in der Erdgeschichte anhand spezifischer Daten festlegen, zeichnen sich chronostratigrafische Einheiten durch ihre Materialität aus: Sie bestehen aus „allen Gesteinen, die während eines bestimmten geologischen Zeitraums entstanden sind, und nur aus den Gesteinen, die während dieser Zeitspanne entstanden sind“.
Ein Golden Spike beziehungsweise GSSP wird stets durch einen primären Marker bestimmt, eine stoffliche Spur, die eindeutig auf ein bestimmtes Zeitalter verweist. Zusätzlich werden mehrere Sekundärmarker herangezogen, auch proxies genannt, die den GSSP stützen. Um formal anerkannt zu werden, muss ein GSSP verschiedene Kriterien erfüllen. Er muss beispielsweise isochron nachweisbar sein, also weltweit synchron auftreten, was bedeutet, dass an zahlreichen Orten Analysen angestellt werden müssen, um sie dann zu einer globalen Synthese zusammenfassen zu können. Für diese Aufgabe sind die für geologische Zeiteinheiten jeweils eingerichteten Arbeitsgruppen zuständig – im Falle des Anthropozäns die Anthropocene Working Group. Sobald die Analysen einer Arbeitsgruppe abgeschlossen sind, kann ein formaler Ratifizierungsvorschlag auf den Weg gebracht werden. Die Annahme einer neuen Zeiteinheit in die Geologische Zeitskala bedarf eines vierstufigen Abstimmungsprozesses. Erst wenn jede Instanz – im Falle des Anthropozäns die AWG, die SQS, die ICS und die IUGS – mit einer Mehrheit von mindestens 60 Prozent für die Aufnahme der betreffenden Zeiteinheit in die Geologische Zeitskala gestimmt hat, gilt diese als formal angenommen. Die AWG hatte diesen Ratifizierungsprozess im Oktober 2023 angestoßen, der im Februar 2024 mit der Ablehnung durch die SQS vorerst ein Ende fand.
Die gegen den Vorschlag der AWG ins Feld geführten Kritikpunkte verweisen auf eine gewisse methodische Enge und ein Unbehagen, von tradierten wissenschaftlichen Vorstellungen abzurücken. So ist etwa die Dauer geologischer Epochen im Internationalen Stratigrafischen Kriterienkatalog mit 13 bis 35 Millionen Jahren angegeben. Fokussierte sich der Untersuchungsbereich der Stratigrafie bisher – abgesehen vom Holozän – ausnahmslos auf abgeschlossene Zeitabschnitte, so ist das Anthropozän im geologischen Maßstab nicht mehr als ein Wimpernschlag. Auch die Anthropocene Series unterscheidet sich in ihrer geringen Schichtdicke fundamental von der Art und Beschaffenheit derjenigen Serien, die bisher ratifizierten geologischen Epochen zugrunde liegen.
Hinzu kommen neue, als Sekundärmarker fungierende Materialien wie Plastik oder Technofossilien, die erst durch menschengemachte Technik entstanden sind und bei der Definition geologischer Zeiteinheiten bisher keine Rolle gespielt haben. Ein provokatives Element liegt zudem im Begriff „Anthropozän“ selbst, der nicht allein von geistes- und sozialwissenschaftlicher Seite Kritik auf sich gezogen hat. Diese bezieht sich primär auf dessen anthropozentrischen Gehalt sowie die Tatsache, dass die Menschheit begrifflich als kollektive Einheit behandelt werde, was in einer undifferenzierten Zuschreibung von Verantwortung für aktuelle Umweltprobleme und globale Ungleichheiten resultiere. Hier ist es zur gängigen Praxis geworden, die jeweils eingenommene Perspektive mit einem Alternativbegriff – etwa „Kapitalozän“ oder „Technozän“ – zu bezeichnen, sodass heute bereits mehr als 140 solcher Begriffe im Umlauf sind.
Auch die Geologie sieht sich vom Anthropozän-Begriff provoziert, wenn auch aus anderen Gründen. Denn sie hat bislang noch nie mit einem Terminus gearbeitet, der einen spezifischen Akteur in den Mittelpunkt stellt. Die nomenklatorischen Regeln sehen traditionellerweise vor, dass sich der Name eines geochronologischen Zeitabschnitts auf die geografische Lage des definierenden GSSP zu beziehen hat. Zwar entspricht die Stratigrafie diesem Regelwerk bereits seit den 1990er Jahren nicht mehr konsequent – die ratifizierten Termini von Paläozän bis Holozän lassen keinen geografischen Bezug erkennen –, aber dennoch handelt es sich bei allen Epochenbezeichnungen stets um wertfreie Zustandsbeschreibungen. Eine Spezies begrifflich auf Epochenebene zu verankern, verlässt nun den (scheinbar) neutralen Boden und katapultiert die von ihren Vertreterinnen und Vertretern als objektiv und wertfrei wahrgenommene Stratigrafie durch die inhärente Handlungs- und damit Verantwortungszuweisung zwangsläufig hinein in die Diskussion anthropologischer Grundfragen. Stanley Finney, von 2016 bis 2024 Vorsitzender der IUGS, hat sein Missfallen darüber explizit zum Ausdruck gebracht.
Den Anthropos (griechisch: Mensch) in einer Disziplin ins Spiel zu bringen, deren Expertise sich ausschließlich auf die Analyse von Gestein und Sedimenten fokussiert, ist jedoch nicht allein als Provokation, sondern auch als Herausforderung und Aufforderung zu verstehen. Zwar ist der Einbezug des Menschen und seiner Handlungen in geologische Überlegungen nichts gänzlich Neuartiges: Auch die Definition des Holozäns basiert auf Phänomenen, die mit dem Menschen in Verbindung stehen – etwa der Feuernutzung als Kulturtechnik infolge der Sesshaftwerdung oder der Domestizierung während der Neolithischen Revolution.
Denn dass der Begriff „Anthropozän“ eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf all jene Disziplinen ausstrahlt, die sich mit Fragen beschäftigen, die die Menschheit betreffen, ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr deutlich geworden.
Die Anthropocene Working Group machte sich ebendies zur Aufgabe. Der mit der Zusammenstellung der Arbeitsgruppe beauftragte Geologe Jan Zalasiewicz vertrat von Beginn an die Ansicht, dass dem Anthropozän auch aus stratigrafischer Perspektive nur interdisziplinär begegnet werden könne, und sorgte entsprechend für disziplinäre Vielfalt (Abbildung 1).
Datierung, Marker, Golden Spike: eine Debatte in drei Phasen
Der Weg bis zur Einreichung des Formalisierungsvorschlags im Oktober 2023 war gekennzeichnet von einer über zwei Jahrzehnte dauernden Debatte um die Datierung des Anthropozäns, geeignete Primär- und einen repräsentativen Golden Spike. Diese vollzog sich in drei Phasen: einer präinstitutionellen Debattenphase von 2000 bis 2009, einer Phase der offenen und interdisziplinären Diskussion von der Etablierung der AWG 2009 bis zum 35. Internationalen Geologischen Kongress in Kapstadt 2016 und einer Phase der Fokusverlagerung auf technisch-stratigrafische Analysen bis 2024.
Crutzen und Stoermer argumentierten im Jahr 2000, das Anthropozän habe mit der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts begonnen. Ihre These beruhte auf aus Eisbohrkernen gewonnenen Daten, die für die zwei Jahrhunderte ab der Industriellen Revolution einen merklichen Anstieg der Kohlendioxid- sowie Methankonzentration in der Atmosphäre belegen.
2003 brachte der Paläoklimatologe William Ruddiman seine als Early Anthropocene Hypothesis bekannte Annahme vor, das Anthropozän habe bereits 8.000 bis 5.000 Jahre vor der heutigen Zeit (before present, BP) begonnen.
Noch im selben Jahr reagierten Crutzen und der Erdsystemwissenschaftler Will Steffen auf Ruddiman, indem sie seinen Ansatz im Hinblick auf eine mehrstufige Entwicklung des Anthropozäns zwar anerkannten – „es könnte mehrere unterschiedliche Schritte gegeben haben (…), der erste (…) mag von Ruddiman identifiziert worden sein, gefolgt von einem weiteren großen Schritt vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1950 und (…) der sehr deutlichen Beschleunigung seit 1950“ –, jedoch zugleich weiteren Erklärungsbedarf nicht nur hinsichtlich der Korrektheit der projizierten Trends reklamierten. Seltsam sei auch, dass der auf menschliche Aktivitäten zurückgehende Methananstieg um 1.000 BP stoppe, da Eisbohrkerndaten bis zum rapiden Anstieg während der Industrialisierung ein konstantes Mischverhältnis zeigten.
Zugleich untermauerten Crutzen und Steffen ihren eigenen, an der Industriellen Revolution orientierten Periodisierungsvorschlag mit zusätzlichen Daten: Neben der Bevölkerungszunahme infolge der Weiterentwicklung der Land- und Viehwirtschaft durch die Maschinisierung und den Einsatz von Düngemitteln führten sie etwa die Luftverschmutzung infolge der zunehmenden Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle und Öl sowie das Wald- und Fischsterben infolge der Ansäuerung des Niederschlags als Beispiele an. Parallel dazu begann Steffen in Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Einfluss menschlicher Aktivität auf die Erdsysteme anhand von zwölf sozioökonomischen und zwölf erdsystemischen Parametern von der beginnenden Industrialisierung bis ins 21. Jahrhundert zu bestimmen. Die zusammengetragenen Daten lassen für die Jahre um 1950 auf eine Veränderung in der Funktionsweise des Erdsystems als Ganzes schließen und zeigen eine Verschiebung zahlreicher Parameter von einem linearen zu einem exponentiellen Wachstum, wofür der Historiker John McNeill 2005 den Begriff der Great Acceleration („Große Beschleunigung“) etablierte.
Obwohl die Great Acceleration Graphs (Abbildung 2 und 3) die Effekte der aus menschlichem Handeln resultierenden erdsystemischen Funktionsveränderungen abbilden und der stratigrafischen Methodik damit näher sind als Crutzens oder Ruddimans Vorschläge, mochten sich die Geologen nach einer anfänglichen stratigrafischen Untersuchung 2008 noch nicht auf die 1950er Jahre als Beginn des Anthropozäns festlegen. Dennoch hielten sie fest, dass sowohl der mit der Industriellen Revolution in Verbindung stehende Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre als auch die Umwandlung stabiler zu instabilen (und damit radioaktiven) Kohlenstoffisotopen nicht hinreichend groß sei, um einen sinnvollen Marker für einen Anstieg auf der Ebene von Jahren oder Jahrzehnten zu bieten.
Mit der Gründung der AWG 2009 ging die Suche nach dem Beginn des Anthropozäns in eine zweite Phase. Neben den bereits genannten wurden weitere Datierungsvorschläge in die Debatte eingebracht. Zu nennen ist etwa die sogenannte Bodenthese, wonach der Beginn des Anthropozäns um 2000 BP liegt. Ferner wurde der Vorschlag gemacht, ein frühes Anthropozän auf den Zeitpunkt um 1,8 Millionen Jahre BP zu datieren, als Primaten die Fähigkeit erwarben, Feuer zu entfachen, was einen Wendepunkt menschlicher Evolution im Pleistozän bedeutete. Ein weiterer Vorschlag bestand darin, den Beginn des Anthropozäns mit der Neolithischen Revolution zu verknüpfen, als die Menschen zunehmend sesshaft wurden und mit Ackerbau begannen, und es damit dem Holozän quasi gleichzusetzen.
Die Geografen Simon Lewis und Mark Maslin schlugen dagegen vor, für den Startpunkt des Anthropozäns entweder den Orbis Spike 1610 oder den Bomb Spike 1964 zu wählen. Sie argumentierten, dass es infolge des Bevölkerungsrückgangs in den Amerikas durch die europäische Kolonisierung und das dadurch angestoßene Nachwachsen des Waldes 1610 zu einem kurzen Abfall der CO2-Konzentration in der Atmosphäre kam. Der Vorschlag des Jahres 1964 gründet dagegen auf Messungen des Gehalts radioaktiven Kohlenstoffs in der Atmosphäre: Eisbohrkerne und Jahresringe von Kiefern zeigen einen besonders hohen Wert für das Jahr 1964.
All diese Periodisierungsvorschläge wurden von 2009 bis 2016 – innerhalb der AWG und darüber hinaus – intensiv diskutiert. Gemeinsam ist ihnen, dass sie, mit Ausnahme der Great Acceleration Graphs, eine ursachenorientierte Perspektive anlegen, die der Effektzentrierung der Stratigrafie entgegensteht. Für die AWG erwiesen sich jedoch alle Vorschläge, die den Beginn des Anthropozäns vor der Industriellen Revolution sehen, als ungeeignete Kandidaten, da die Nähe der konstatierten Veränderungen zur Holozän-Norm zu groß sei, um in den Gesteinsschichten einen deutlichen Unterschied zur Holocene Series abzulesen. Erst die Industrielle Revolution hinterlasse einen global nachweisbaren Unterschied gegenüber holozänen Ablagerungen. Jedoch eigne sich auch dieser Vorschlag nicht zur Periodisierung einer geologischen Epoche, da sich die Industrielle Revolution historisch diachron, also nicht überall gleichzeitig vollzogen habe.
Mit einer informellen Abstimmung im Vorfeld des 35. Internationalen Geologischen Kongresses 2016 in Kapstadt kam die Phase der offenen Auseinandersetzung über die Datierung des Anthropozäns zum Abschluss: Mit einer klaren Mehrheit stimmten die Geologinnen und Geologen für einen Beginn des Anthropozäns in den 1950er Jahren und bestimmten den künstlichen radioaktiven Stoff Plutonium-239, der unter anderem bei oberirdischen Atomwaffentests entsteht, als den geeignetsten Primärmarker.
In der nun beginnenden dritten Phase rückte die Analyse der möglichen Referenzorte für den GSSP in den Vordergrund. Im Mai 2022 wurden im Haus der Kulturen der Welt in Berlin die Analyseergebnisse der zwölf potenziellen GSSP-Kandidaten intensiv diskutiert.
Am 29. April 2023 stimmte die AWG mit einer Mehrheit von knapp 61 Prozent für den Bohrkern aus dem Crawford Lake als definierenden GSSP des Anthropozäns, der insbesondere für 1952 eine signifikante Zunahme des Primärmarkers Plutonium-239 aufweist und damit den Moment festhält, als am 1. November 1952 um 7:15 Uhr Pazifischer Zeit im Rahmen des US-amerikanischen Kernwaffentests „Ivy Mike“ der erste thermonukleare Sprengsatz detonierte.
Die Bekanntmachung dieser Feststellungen stieß auf ein breites Medienecho und heizte die Debatte sowohl um den Beginn als auch um den geologischen Epochencharakter des Anthropozäns sowie um die Verantwortung des Menschen für die Zukunft der Erde erneut an. Verwunderlich dabei ist, dass die Datierung auf die 1950er Jahre seither von verschiedener Seite wieder infrage gestellt wird – der Teil der wissenschaftlichen Community, der sich gegen eine Anerkennung des Anthropozäns als geologische Epoche ausspricht, schlägt hingegen keine alternative Datierung des Epochenbeginns vor, sondern plädiert verstärkt dafür, das Anthropozän bloß als geologisches „Ereignis“ zu formalisieren.
Kurz nach der Ablehnung der Unterkommission für Quartärstratigrafie, das Anthropozän formal als Epoche anzuerkennen, bekräftigte die Anthropozän-Arbeitsgruppe ihre Position nochmals: „Die Menschheit hat einen langen und komplexen Einfluss auf den Planeten gehabt, das stimmt. Fast die ganze Zeit über hat sie Spuren auf der Erde hinterlassen – sie aber nicht völlig überwältigt. Seit weniger als einem Jahrhundert haben sich die Prozesse, die mit der Industriellen Revolution einsetzten, jedoch enorm beschleunigt. Das ist das Anthropozän als Epoche. Es ist real, es hat bereits die Geologie geprägt, und es wird nicht verschwinden. Besser, wir erkennen dies an, um mit den Konsequenzen klarzukommen.“
Ein Ende oder ein Anfang?
Das Mandat der AWG als offizielles stratigrafisches Gremium ist mit der Ablehnung ihres Vorschlags durch die SQS vorerst abgelaufen. Wenig deutet jedoch darauf hin, dass die Debatte um das Anthropozän im Allgemeinen und um seinen Golden Spike im Besonderen damit an ihr Ende gekommen ist. Der stratigrafische Formalisierungsprozess kann nach einer gewissen Zeit erneut angestoßen werden. Aktuell arbeiten die Mitglieder der Arbeitsgruppe daran, diese in ein neues, unabhängiges Gremium zu überführen, um eine größere methodische Flexibilität und Interdisziplinarität zu gewinnen. Wie genau diese AWG 2.0 aussehen wird, bleibt noch abzuwarten, aber erste Publikationen der erweiterten Gruppe weisen in diese Richtung.
Die Stratigrafie ist eine strukturkonservative Profession. Ihre Gegenstände sind, wie gezeigt, Zeitperioden von Millionen von Jahren. Es kann daher nicht verwundern, dass sich die Disziplin mit kurzen, noch laufenden Zeiträumen schwertut. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich stratigrafische Fachdebatten in die Länge ziehen: Viele Epochen, die bereits in die Geologische Zeitskala aufgenommen worden sind, haben noch keinen offiziell anerkannten GSSP. Im Falle des Holozäns hat die hochkontroverse Debatte um seine Anerkennung als erdgeschichtliche Epoche gar mehr als eineinhalb Jahrhunderte gedauert, ehe 2008 mit dem Vorschlag eines Golden Spike ein Konsens gefunden werden konnte. Im Verlauf dieser Debatte wurden nicht nur unterschiedliche Periodisierungsvorschläge erörtert, sondern es wurde auch eine ganze Reihe von alternativen Epochenbegriffen vorgeschlagen: Gegenwart, Neo-Warmzeit, Alluvium, Flandrische Warmzeit beziehungsweise Flandrium, und im Englischen findet der Begriff Present für das Holozän gelegentlich immer noch Verwendung.
Halten wir also fest: Die geowissenschaftliche Debatte um das Anthropozän ist nicht zu Ende. Sie wird weitergeführt in Formaten, die weit über die Geowissenschaften hinausweisen, und in dieser Debatte werden die Erfahrungen verarbeitet, die seit dem ersten Vorschlag von Crutzen und Stoermer zur Jahrtausendwende gewonnen worden sind. Die Suche nach einem Golden Spike ist Teil dieser Debatte, die aktuell jedoch auch keinen völligen Neustart vollzieht. Sie hat vielmehr ein Zwischenstadium erreicht, das nicht zuletzt durch interdisziplinäre Öffnung und transdisziplinäre Einbeziehung der Gesellschaft gekennzeichnet ist. Im Zeichen der Doppelkrise von Klimawandel und Biodiversitätsverlust ist diese Erweiterung der Debatte um das Anthropozän wichtiger als je zuvor.