Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Editorial | Anthropozän | bpb.de

Anthropozän Editorial Wir Erdlinge. Eine planetarische Perspektive auf die menschliche Geschichte – Essay Endstation oder Startpunkt Golden Spike? Die geologische Debatte um das Anthropozän Geschichtswissenschaft im Anthropozän Historischer Fallout. Zur Militärgeschichte des Anthropozäns Governance im Anthropozän

Editorial

Johannes Piepenbrink

/ 2 Minuten zu lesen

Angesichts der nicht mehr zu übersehenden Spuren, die der Mensch insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts dauerhaft auf der Erde hinterlässt, schlug der Atmosphärenforscher Paul J. Crutzen vor 25 Jahren vor, ein neues Erdzeitalter nach dem Menschen zu benennen: Anthropozän (von Anthropos, dem griechischen Wort für Mensch). Der Vorschlag erlangte rasch Popularität, denn die menschlichen Eingriffe in erdsystemische Prozesse sind zahlreich und drastisch – sei es mit Blick auf den steigenden Treibhausgasgehalt der Atmosphäre, den Rückgang der Artenvielfalt oder die Versauerung der Meere. Mittlerweile lässt sich das menschliche Wirken sogar geologisch, also in Sedimenten, nachweisen.

Der Begriff „Anthropozän“ ist in mehrerlei Hinsicht herausfordernd, weil er nicht nur beschreibt, sondern einen moralischen Gehalt hat, der die Frage nach der Verantwortung für die genannten Veränderungen aufwirft. Dabei lautet eine Kritik, dass mit ihm verschleiert werde, dass keineswegs alle Menschen und Gesellschaften gleichermaßen die Erderwärmung und den Biodiversitätsverlust vorantreiben. Und so werden auch die Geowissenschaften, die sonst frei von politischen Erwägungen Jahrtausende alte Gesteinsschichten analysieren, politisiert – und die Benennung einer neuen geologischen Epoche wird zu einer politischen Frage, weil sie eben auch die Gegenwart betrifft.

Die offizielle Anerkennung durch die Internationale Union für Geowissenschaften blieb dem Anthropozän allerdings vorerst verwehrt – im Februar 2024 stimmte die zuständige Unterkommission gegen die Aufnahme in die Geologische Zeitskala. Zugleich erkannte die Subcommission on Quaternary Stratigraphy jedoch an, dass der Begriff „Anthropozän“ ein „unschätzbarer Indikator für den Einfluss des Menschen auf das Erdsystem“ bleiben werde. Und so fordert er auch die Geschichtswissenschaften heraus, die eigene menschliche um eine planetarische Perspektive zu erweitern. Denn in dieser ist die Menschheit bisher kaum mehr als ein „Ereignis“.