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Von Universalität und Macht Der UN-Menschenrechtsrat als Hüter der Menschenrechte

Silke Voß-Kyeck

/ 15 Minuten zu lesen

Im UN-Menschenrechtssystem bestreiten viele Staaten immer offener die universelle Geltung der Menschenrechte und bedrohen die Zivilgesellschaft. Dennoch setzen Aktivisten und Opfer ihre Hoffnungen auf dieses System, zu dem es absehbar keine Alternative gibt.

Als im Oktober 2023 ein Teil der Sitze im UN-Menschenrechtsrat turnusgemäß neu besetzt werden musste, kandidierten 17 Staaten für 15 zu vergebende Plätze. Elf von ihnen bekräftigten bei einer Anhörung im Vorfeld die Wichtigkeit der Menschenrechte, für deren Schutz sie sich im Rahmen ihrer Mitgliedschaft einsetzen wollten. Auf konkrete Fragen antworteten die meisten allerdings ausweichend oder einschränkend. Gleichzeitig bescheinigten ihnen die ausrichtenden NGOs dieser inzwischen etablierten Wahlveranstaltung teils erhebliche Defizite in der eigenen Menschenrechtsbilanz und der Kooperation mit den UN-Menschenrechtsinstitutionen. Sechs weitere Staaten blieben der zivilgesellschaftlichen Wahlveranstaltung fern, darunter China, Russland und Burundi. Die Staaten wollten Mitglied in einem Gremium werden, dessen Kritik sich die meisten von ihnen keinesfalls aussetzen wollen – und dessen Instrumente einige prinzipiell ablehnen.

Diese Begebenheit steht beispielhaft für zahlreiche politische und institutionelle Probleme, die mit dem UN-Menschenrechtssystem assoziiert werden, und für Herausforderungen, mit denen Staaten und ihre Zivilgesellschaften konfrontiert sind. In der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande steht dabei meist die Frage im Vordergrund, wer überhaupt Mitglied im Menschenrechtsrat sein dürfe. Staaten mit großen Menschenrechtsdefiziten aus dem Gremium auszuschließen, scheint auf den ersten Blick naheliegend. Bei genauerer Betrachtung sind die Herausforderungen jedoch sehr viel komplexer.

75 Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und 30 Jahre nach der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz zählt „Universalität“ zu den häufigsten Wörtern in Resolutionen des Menschenrechtsrates. Sie ist Grundlage aller UN-Menschenrechtsabkommen, von denen die meisten Staaten mehr als zehn völkerrechtlich bindend ratifiziert haben. Dennoch wird die Debatte um die Universalität der Menschenrechte nach wie vor geführt. Einzelne Staaten oder Staatengruppen bestreiten seit geraumer Zeit immer offener, dass Menschenrechte überall und für alle Menschen gelten. Häufig verweisen sie dabei auf kulturelle Unterschiede, traditionelle Werte oder religiöse Vorbehalte.

Gefährlich für das internationale Menschenrechtssystem wird dieser Diskurs dann, wenn er mit gezielt destruktiven Initiativen und Maßnahmen einhergeht. Häufig sind vorgeblich kulturelle Besonderheiten nur das argumentative Mittel, um den etablierten Menschenrechtsschutz generell zu unterminieren. Regierungen und Machthaber verweisen vor allem dann auf vermeintlich übergeordnete Notwendigkeiten, Ideologien oder religiöse Traditionen, wenn sie angesichts der mangelhaften Umsetzung ihrer eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen oder gar von ihnen zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen unter Legitimationsdruck geraten. Bestrebungen, die international anerkannten Menschenrechte zu relativieren, gehen fast ausschließlich von Regierenden aus, deren prioritäres Interesse der eigene Machterhalt ist und die zu diesem Zweck Freiheiten einschränken und demokratische Institutionen systematisch aushöhlen. Dies bedeutet nach innen Definitionsmacht des autoritären Staates und seiner Eliten über gesellschaftliche Werte mittels Repressionen gegen Menschenrechtsaktivist*innen und unabhängige Medien sowie schwindende Handlungsräume für die Zivilgesellschaft. Außenpolitisch zieht es vor allem eine demonstrative Betonung staatlicher Souveränität nach sich und die Zurückweisung „westlicher“ Hegemonie und vermeintlich neokolonialer Ansprüche.

Chinas Rolle

Die Volksrepublik China ist in den vergangenen Jahren zum unbestrittenen Meister dieser menschenrechtsfeindlichen – und lange unterschätzten – Form der Diplomatie im UN-Menschenrechtsrat geworden.

Das bereits 1991 von der chinesischen Regierung formulierte Menschenrechtsverständnis ist kaum bis gar nicht vereinbar mit der im UN-Menschenrechtssystem fest verankerten Bereitschaft der Staaten, die Umsetzung ihrer internationalen Verpflichtungen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft gegenseitiger beziehungsweise institutioneller Überprüfung zu unterziehen. Zentrale Elemente des chinesischen Verständnisses sind staatliche Souveränität statt Rechenschaftspflicht, Nichteinmischung statt unabhängige Berichterstattung und ökonomische Entwicklung als oberste Priorität und Voraussetzung für Menschenrechte statt menschenrechtsbasierte Entwicklung zur Verwirklichung aller Menschenrechte. Zivilgesellschaftliche Beteiligung ist aus dieser Perspektive weder erforderlich noch erwünscht; der souveräne Staat entscheidet allein über die Geltung und Umsetzung von Menschenrechten.

Chinas destruktive Menschenrechtsdiplomatie ist nicht über Nacht über die UN hereingebrochen. Schon früh gab es warnende Stimmen und genügend Anzeichen, nicht zuletzt die chinesische Verhandlungsposition bei der Gründung des Menschenrechtsrates 2006. Spätestens mit Beginn der Präsidentschaft Xi Jinpings 2013 ist Chinas Politik in den UN nicht mehr nur darauf ausgerichtet, die eigenen Menschenrechtsverletzungen im Land jeder Beobachtung und Kritik zu entziehen. Vielmehr geht es immer offensiver auch darum, mit Resolutionen, Narrativen, Personalpolitik und – wo nötig – Drohungen das UN-Menschenrechtssystem durch eine neue normative und institutionelle Menschenrechtsordnung chinesischer Prägung zu ersetzen. Hinter vermeintlich harmlosen Begriffen und Initiativen verbirgt sich erhebliche Sprengkraft für die multilaterale Ordnung im Allgemeinen und das UN-Menschenrechtssystem im Besonderen.

Ab 2017 fanden diese Positionen und Narrative auch Eingang in diverse Resolutionen des UN-Menschenrechtsrates, womit sie sukzessive durch die Vereinten Nationen legitimiert werden. Die 2018 erstmals eingebrachte Resolution zur „Kooperation zum beiderseitigen Vorteil im Menschenrechtsbereich“ („Mutually-beneficial cooperation in the field of human rights“) etwa bekräftigt, dass menschenrechtliche Angelegenheiten ausschließlich zwischen souveränen Staaten beziehungsweise Regierungen be- und verhandelt werden sollen; dabei geht es nicht um den bestmöglichen Schutz der Rechte von Individuen, sondern um den größtmöglichen Vorteil der beteiligten Staaten.

Neben dieser aktiven Strategie zur Legitimierung eigener Positionen ist die vehemente Abwehr von Kritik auch weiterhin zentrales Element der chinesischen Menschenrechtsdiplomatie, wie zuletzt im Sommer 2022 beim Umgang mit dem Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) zur Menschenrechtssituation in Xinjiang. Es wird gezielt politischer oder ökonomischer Druck auf Diplomat*innen ausgeübt, OHCHR-Mitarbeiter*innen werden eingeschüchtert und Aktivist*innen bedroht, die Akkreditierung von chinakritischen NGOs blockiert. Auch in den Debatten des Menschenrechtsrates selbst werden Ton und Inhalt der Angriffe gegen kritische Delegationen und Sonderberichterstatter*innen unschöner, ohne dass chinesische Diplomat*innen es dabei mit den Fakten allzu genau nehmen.

Russland und weitere problematische Akteure

Russland gilt im Menschenrechtsrat eher als Störer denn als Stratege, richtet aber dennoch beachtlichen Schaden an. Dabei wird in Genf das fortgesetzt, was in Russland selbst seit Jahren zu beobachten ist: Mit zunehmender Härte wird gegen Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und andere unabhängige Stimmen vorgegangen. Mit Gesetzen, Organisationsverboten, strafrechtlichen Verfahren und nicht zuletzt physischer Gewalt soll in Russland jegliche Kritik an der Regierung verhindert werden. Im UN-Menschenrechtsrat versucht die russische Regierung seit Langem, die zivilgesellschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten einzuschränken, etwa durch Blockaden bei der Akkreditierung von NGOs oder mit entsprechenden Formulierungen in UN-Resolutionen und Erklärungen, welche die Anerkennung der Rolle von Menschenrechtsverteidiger*innen verhindern sollen. Auch die Unabhängigkeit der UN-Sonderberichterstatter*innen ist der russischen Regierung schon lange ein Dorn im Auge.

Thematisch setzt die russische Regierung alles daran, die staatliche Deutungshoheit über Familienpolitik und private Lebensformen von LGBTIQ-Personen zu sichern. Neben früheren eigenen Resolutionen zu „traditionellen Werten“ tut sich Russland vor allem mit unzähligen (und meist abgelehnten) Änderungsanträgen zu Resolutionen in diesem Kontext hervor, die nicht mit anerkannten Menschenrechtsstandards vereinbar sind. Sekundiert von Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan und anderen geht es darum, vermeintlich umstrittene Begriffe aus den Texten zu entfernen. Dies betrifft etwa die Rechte von Frauen und Mädchen, sexuelle und reproduktive Rechte, Zwangs- und Kinderehen, vermeidbare Müttersterblichkeit oder Menschenrechte im Kontext von HIV/AIDS. Besonders massiv ist der Widerstand gegen das Mandat des Sonderberichterstatters zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.

China und Russland sind aber keineswegs die einzigen Staaten, die am Fundament des UN-Menschenrechtssystems graben. Zur Kerngruppe der Staaten, deren Regierungen aus prinzipiellen politischen Überzeugungen auf Souveränität und Nichteinmischung beharren und kein Interesse daran haben, die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land von anderen kritisieren zu lassen, gehören etwa auch Venezuela, Belarus, Kuba, Iran und Ägypten. Unter den Staaten der sogenannten Like-Minded-Group (LMDC) – rund 50 Entwicklungsländern mit teils besorgniserregender Menschenrechtsbilanz und häufig autoritären Regierungen – hat sich China als demonstrativer Anwalt der Interessen von Entwicklungsländern eine verlässliche, mehr oder weniger abhängige Unterstützerschaft aufgebaut. In Verhandlungen und Debatten finden sich stets Diplomat*innen aus diesen Ländern, die souverän die chinesische Propagandasprache beherrschen.

Eine zentrale Rolle spielt zudem Pakistan, das die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) im Menschenrechtsrat koordiniert und insbesondere die Unabhängigkeit der Sonderberichterstatter*innen immer wieder einzuschränken versucht. Menschenrechtsverletzungen an Muslim*innen wie den Rohingya oder den Kaschmiris werden zwar verurteilt, aber Kritik an der gewalttätigen Unterdrückung der muslimischen Uigur*innen in Xinjiang würde die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Vorteile riskieren, die sich Pakistan von Beijing erhofft. Verweise auf sexuelle und reproduktive Rechte oder Rechte von LGBTIQ-Menschen werden, wo und wann immer möglich, aus Resolutionen gestrichen.

Zivilgesellschaftliche Mitwirkung

Über die inhaltlichen Diskurse hinaus wird das UN-Menschenrechtssystem auch durch Angriffe auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung sowie die finanziellen Ressourcen des Systems beschädigt. Die Verhinderung von Kritik und die Relativierung international anerkannter Menschenrechtsstandards unter Verweis auf Kultur, traditionelle Werte, Entwicklungsnotwendigkeiten und anderes mehr finden sich vor allem bei autoritären oder gar diktatorischen Regierungen. Zivilgesellschaftliche Akteure weltweit stellen diesem relativistischen Diskurs immer wieder die universelle Geltung der unteilbaren Menschenrechte entgegen, und genau deshalb sind viele Staaten bestrebt, sie den UN-Menschenrechtsgremien so fern wie möglich zu halten. Doch die Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellgesellschaft im Menschenrechtsrat sind für das UN-System einzigartig: Mit offiziellem Konsultativstatus dürfen NGOs und Menschenrechtsaktivist*innen Stellungnahmen einreichen, haben Rederecht und Zugang zu allen Räumen, in denen Menschenrechtsrat und Arbeitsgruppen tagen, und dürfen Parallelveranstaltungen durchführen. NGO-Eingaben zum regelmäßigen Länderüberprüfungsverfahren (Universal Periodic Review, UPR) sind konstitutiver Bestandteil des Prozesses. Dies sind entscheidende Instrumente, um den von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen Gehör zu verschaffen – und genau deshalb werden vonseiten mancher Staaten Akkreditierungen blockiert oder Zugänge unter Verweis auf Sicherheitsbedenken verweigert. Mitunter sind Aktivist*innen auch Drohungen oder gar Übergriffen ausgesetzt. Der sogenannte Reprisals Report des UN-Generalsekretärs dokumentiert jährlich Repressionen gegen Personen und Organisationen, die mit UN-Vertreter*innen und -Institutionen zusammenarbeiten (wollen).

(Kein) Geld für Menschenrechte

Ein überaus wirksames Mittel, das UN-Menschenrechtssystem auszubremsen, ist die Verweigerung der notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Die chronische Unterfinanzierung haben die Menschenrechtsgremien im Allgemeinen und die Vertragsausschüsse im Besonderen in existenzgefährdende Schwierigkeiten gebracht. China als inzwischen zweitgrößter Beitragszahler zum regulären UN-Budget hat beträchtlichen Einfluss auf die Budgetverhandlungen im dafür zuständigen 5. Ausschuss der Generalversammlung. Insbesondere die Budgets für das OHCHR und die Menschenrechtsmandate der Friedensmissionen, aber auch andere menschenrechtsrelevante Initiativen, werden erfolgreich begrenzt oder gar reduziert. Russland ist dabei meist verlässlicher Partner, weitere Staaten helfen gerne mit.

Die Arbeit des Menschenrechtsrates wie auch der Vertragsausschüsse, die über die Umsetzung der UN-Menschenrechtsabkommen wachen, wird aus dem Budget des OHCHR finanziert. Obwohl die Menschenrechte ausweislich der Charta eine der drei Säulen der Vereinten Nationen sind, werden weniger als fünf Prozent der Ressourcen in diese Säule investiert. Nur rund ein Drittel des OHCHR-Budgets kommt aus dem regulären UN-Haushalt, zwei Drittel stammen aus freiwilligen, häufig zweckgebundenen und wenig berechenbaren Beiträgen von einzelnen Staaten. Weniger als 20 Prozent der lokalen und regionalen OHCHR-Büros erhalten eine Finanzierung aus dem regulären UN-Budget. Das UN-Menschenrechtssystem mit seinen kontinuierlich wachsenden, von den Staaten beschlossenen Aufgaben ist seit Jahren unterfinanziert. Länderbesuche von Sonderberichterstatter*innen sind deshalb auf maximal zwei pro Jahr beschränkt, und die Vertragsausschüsse können nur einen Teil der vorgesehenen Sitzungen im Jahr durchführen, weshalb manche Staatenüberprüfung auf Jahre hinaus aufgeschoben werden muss.

Die Folge sind Schutzlücken für viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Hochkommissar Volker Türk mahnte im Juni 2023, es bedürfe einer Verdoppelung des Budgets, damit das OHCHR seinem Mandat und den berechtigten Erwartungen der von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen gerecht werden könne.

Was also tun?

Angesichts dieser zweifellos düsteren Umstände in Defätismus zu verfallen, kann nicht die Lösung sein. Die Entwicklung des UN-Menschenrechtssystems war in den vergangenen 75 Jahren wiederholt von Rückschlägen und Krisen gekennzeichnet. Menschenrechte müssen stets aufs Neue erkämpft werden. Dabei gilt es, sich auch der Erfolge immer wieder zu vergewissern.

Hierzu gehören beispielsweise die 1993 von der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz beschlossene Erklärung und das entsprechende Aktionsprogramm. Darin bekräftigten die Staaten die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte und schufen das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte, dessen Büro neben Koordination und Dokumentation auch menschenrechtliche Unterstützung vor Ort leistet. Auf den Weg gebracht wurden zudem Nationale Menschenrechtsinstitutionen, die inzwischen in über 100 Ländern – trotz mancher Defizite – die Menschenrechte fördern.

Ein Erfolg ist durchaus auch die Gründung des Menschenrechtsrates selbst, der die diskreditierte Menschenrechtskommission ersetzte, aber dank viel zivilgesellschaftlicher Lobbyarbeit bewährte Elemente beibehielt, etwa das System der Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen („Special Procedures“), die Möglichkeit zur Befassung mit gravierenden Menschenrechtssituationen in einzelnen Ländern oder den Zugang für NGOs. Gleichzeitig wurde dem berechtigten Vorwurf der Selektivität mit dem angesprochenen UPR-Verfahren begegnet, dem sich seither alle 193 Mitgliedstaaten der UN ausnahmslos unterziehen müssen: einer Überprüfung der Menschenrechtssituation in jedem Land, nach den gleichen Spielregeln, öffentlich und auf der Grundlage von Staatenberichten, der Dokumentationen der UN-Menschenrechtsgremien sowie der Stellungnahmen von Nationalen Menschenrechtsinstitutionen und der Zivilgesellschaft. Ziel des UPR-Verfahrens ist es, vor Ort Verbesserungen der Menschenrechtslage zu bewirken.

Tatsächlich hat sich bis heute kein Staat dieser Überprüfung entzogen, auch wenn das Verfahren in Genf wahrlich nicht frei ist von ritualisierten Bekenntnissen. Das regelmäßige Prüfverfahren hat einen unschätzbaren Fundus öffentlich verfügbarer Dokumente zur Menschenrechtslage geschaffen, hinter dem sich kein Staat mehr verstecken kann. Vor allem ist es beeindruckend, was sich in vielen Ländern unter maßgeblicher Mitwirkung der Zivilgesellschaft entwickelt hat. In Österreich wurde beispielsweise 2015 eine Reform der Gefängnisbedingungen auf den Weg gebracht. In Südkorea wurde 2013 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt. Kanada verabschiedete eine nationale Strategie zum Recht auf Wohnen und 2019 ein entsprechendes Gesetz. Das jordanische Parlament beschloss 2021 ein Gesetz gegen Menschenhandel. Zwar ist es kaum möglich, solche Entwicklungen unmittelbar auf den UPR-Prozess zurückzuführen; meist ist es eine Kombination von mehreren Faktoren, die zusammenwirken. Aber in vielen Fällen hat eben doch der UPR einen entscheidenden Unterschied gemacht.

Positiv hervorzuheben ist schließlich auch, dass die vom Menschenrechtsrat in den vergangenen Jahren eingesetzten Mechanismen zunehmend auch mandatiert sind, schwere Menschenrechtsverletzungen im Hinblick auf eine zukünftige völkerstrafrechtliche Aufarbeitung zu dokumentieren. Dies gilt beispielsweise für den Untersuchungsmechanismus zu Myanmar, die Expertengruppe zu Nicaragua, die Untersuchungskommission zur Ukraine, das Monitoring- und Rechenschaftsprojekt des OHCHR zu Sri Lanka, den designierten Experten des Hochkommissars für den Sudan oder den Sonderberichterstatter zu Afghanistan.

Diese Mandate verkörpern die berechtigte Erwartung, dass sie (neben Monitoring und Dokumentation) den Opfern auf internationaler Ebene Gehör verschaffen, wenn andere Wege kaum noch möglich sind. Den Ausschlag für das im Oktober 2022 beschlossene Sonderberichterstatter-Mandat zu Russland gab auch die Tatsache, dass es nach dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat und seinem Nichterscheinen vor dem UN-Menschenrechtsausschuss praktisch keine regionale und internationale Menschenrechtsinstitution mehr gibt, an die sich die Menschen und vor allem die kritische Zivilgesellschaft in Russland wenden können.

Universalität glaubwürdig verteidigen

Neben der unmittelbaren Reaktion auf schwere Menschenrechtskrisen und der Sicherstellung der notwendigen Ressourcen ist die beständige Bekräftigung der universellen Geltung der Menschenrechte in Wort und Tat wohl derzeit die dringlichste Aufgabe im UN-Menschenrechtssystem. Dabei darf es nicht darum gehen, für alle Staaten und Gesellschaften eine Gleichförmigkeit – noch dazu nach „westlichem Vorbild“ – zu postulieren. Universalität bedeutet eben nicht Uniformität. Kern des Universalitätsdiskurses ist die angeborene gleiche Würde eines jeden Menschen, wie sie in der AEMR formuliert wurde und Grundlage der menschenrechtlichen Normsetzung ist. Bei der Ausgestaltung des rechtlichen Schutzes und im Prozess der gesellschaftlichen Anerkennung der Menschenrechte hingegen gibt es eine Vielfalt der Wege, die anerkannt und zugestanden werden muss. Dabei ist es von elementarer Bedeutung, dass in dieser Debatte vor allem diejenigen zu Wort kommen, die sich in ihren jeweiligen Ländern für die Menschenrechte engagieren. Der Hochkommissar für Menschenrechte sagte 2023 in der Debatte um die harschen Restriktionen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume, dass, hätte er nur eine Botschaft an jede*n einzelne*n Regierungschef*in, es diese wäre: „Hören Sie den (…) Opfern und Menschenrechtsverteidigern zu. Diese Menschen haben (…) etwas zu sagen, das Sie hören müssen.“

Um das System für den Menschenrechtsschutz zu erhalten und zu stärken, braucht es überregionale Bündnisse von Staaten, die sich für eine konsequente Benennung von Menschenrechtsverletzungen einsetzen und sich den zunehmenden Angriffen auf etablierte Menschenrechtsnormen und -instrumente entgegenstellen. Die Menschenrechtsfeinde überall können weniger Schaden anrichten, wenn andere sich diesen Angriffen widersetzen.

Dabei sind die westlichen Staaten keinesfalls über alle menschenrechtlichen Zweifel erhaben, und längst nicht immer kann ihrem Handeln im Menschenrechtsrat die wünschenswerte Glaubwürdigkeit attestiert werden. Wenn etwa berechtigte Bedürfnisse von Staaten des Globalen Südens nicht gehört werden (wollen), wenn Verantwortung für Kolonialismus und seine bleibenden Wirkungen verweigert, aus Gründen der Staatsräson Doppelstandards bedient oder gar Menschenrechte als Variable westlicher Machtpolitik benutzt werden, ist das den dringend notwendigen Bündnissen gegen die Erosion menschenrechtlicher Standards wahrlich nicht zuträglich. Glaubwürdiges Agieren im Menschenrechtsrat setzt voraus, den Dialog auf Augenhöhe zu führen und dabei einzugestehen, dass auch im eigenen Land die Umsetzung der menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vollkommen ist.

Die europäischen Staaten werden dem vor allem dann nicht gerecht, wenn es um die Themen Migration und Rassismus geht. Der Sonderberichterstatter zu Migration dokumentierte in den vergangenen Jahren immer wieder, wie infolge inhumaner und rechtswidriger Praktiken zur Abwehr von Flüchtlingen an den Grenzen Menschen auf der Flucht misshandelt werden oder gar zu Tode kommen. Auch die frühere Hochkommissarin richtete mehrfach sehr deutliche Worte explizit an die EU, die wiederum aus ihrer Abneigung gegen progressivere Beschlüsse keinen Hehl macht. Im Juli 2023 etwa war es für (zu) viele Staaten inakzeptabel, in die Resolution zu den Menschenrechten von Migrant*innen Kritik an Pushbacks aufzunehmen. Auch die intensiven zivilgesellschaftlichen Bemühungen, einen auch vom Sonderberichterstatter geforderten Monitoringmechanismus zu Menschenrechtsverletzungen und Todesfällen an internationalen Grenzen zu etablieren, fanden erwartbar keinen Eingang in die Resolution.

Ein weiteres Beispiel für misslungene Vertrauens- und Bündnisbildung waren die Nein-Stimmen westlicher Staaten zur Anti-Rassismus-Resolution während der 51. Ratstagung, in der es auch um die Diskriminierung und den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt gegen afrikanische Migrant*innen oder Migrant*innen afrikanischen Ursprungs im Grenzschutz und Migrationsmanagement geht. Mit der prinzipiellen Ablehnung der Resolution wegen der enthaltenen Referenzen zur Durban-Erklärung wird ohne Not über wichtige Anliegen insbesondere afrikanischer Staaten hinweggegangen, auf die man für Mehrheiten gegen menschenrechtsfeindliche Initiativen doch dringend angewiesen ist.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Einschränkung von Menschenrechten unter Verweis auf Sicherheitsinteressen und terroristische Bedrohungen nach dem 11. September 2001 in erheblichem Ausmaß von demokratischen Staaten bedient worden ist und Eingriffe in bürgerliche und politische Rechte mit vielfältigen Bedrohungsszenarien begründet wurden. Nicht zuletzt nach diesem Vorbild werden heute in Staaten auf der ganzen Welt Menschenrechtsverletzungen mit „nationaler Sicherheit“ gerechtfertigt.

Ausblick

Angesichts dieser komplexen Herausforderungen sollte deutlich geworden sein, dass die wohlfeile Forderung nach Verbannung der „Menschenrechtsschurken“ aus dem Menschenrechtsrat keine Lösung bietet. Der UN-Menschenrechtsrat ist ein originär politisches Gremium, dessen Mitglieder nach regionaler Sitzverteilung gewählt werden. Sie sind keine unabhängigen Expert*innen, sondern von ihren Regierungen entsandtes diplomatisches Personal. Die Hürden für die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat wurden bei seiner Gründung 2006 zumindest formal angehoben: Mitglieder sollen höchsten Menschenrechtsansprüchen gerecht werden und mit dem Rat uneingeschränkt zusammenarbeiten. Dank der beständigen Arbeit von NGOs müssen sich die Kandidaten zumindest öffentlich an diesen weichen Kriterien messen lassen. Russland immerhin wurde im Oktober 2023 nicht in den Rat gewählt, weil ein anderes Land der Regionalgruppe für eine Gegenkandidatur gewonnen werden konnte und westliche Staaten intensiv gegen eine russische Mitgliedschaft demarchierten. Dies ist aber eher die Ausnahme als die Regel.

Sowohl in der Zusammensetzung des Menschenrechtsrates als auch in seiner Arbeitsweise kommt das grundsätzliche Dilemma des UN-Menschenrechtsschutzes zum Ausdruck. Die Mitgliedstaaten müssen einerseits kooperieren, verfolgen andererseits aber zwangsläufig nationale Interessen. Für Resolutionen des Menschenrechtsrates sind politische Mehrheiten, idealerweise sogar Einstimmigkeit erforderlich. Nur so besteht eine Chance, dass die Beschlüsse und Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden. Das auf Kooperation ausgerichtete Instrumentarium des Gremiums würde keinen Sinn ergeben, wenn nur die „Guten“ im Rat über die „Bösen“ außerhalb des Rates richten würden. Menschenrechtsaktivist*innen und Opfer aus aller Welt setzen ihre Hoffnungen auf dieses System, zu dem es absehbar keine Alternative gibt.

beobachtet und analysiert für das Forum Menschenrechte die Entwicklungen im UN-Menschenrechtsrat. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Institut für Menschenrechte.
E-Mail Link: silke.voss-kyeck@posteo.de