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Tiere und Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung

Wolf-Michael Catenhusen

/ 15 Minuten zu lesen

Neue Wissenschaftsfelder haben zur Schaffung von Mensch-Tier-Mischwesen geführt. Ist dies mit unserem Selbstverständnis, das traditionell von einer klaren Grenzziehung zwischen Mensch und Tier ausgeht, vereinbar?

Einleitung

Schon in der Antike ging die Ausbildung der Medizin in Griechenland nicht nur mit der Sektion toter Tiere, sondern auch mit Eingriffen an lebenden Tieren, mit Tierversuchen einher. In der Entwicklung der modernen Medizin seit dem 16. Jahrhundert wurden Tierversuche nach einer Pause von mehr als 1000 Jahren wieder aufgenommen. Im 19. Jahrhundert wurde die Medizin wie die Physik und die Chemie zu einer experimentellen Wissenschaft, die sich auf die Ergebnisse von Tierversuchen stützt.

Seitdem ist es zu einem stetigen Anstieg wissenschaftlicher Tierversuche gekommen. Ihre Ergebnisse lieferten wichtige Beiträge bei der Erforschung von Krankheiten sowie der Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln. Mit der Ausbildung der modernen biomedizinischen Grundlagenforschung kam es zu einer stetigen Ausweitung wissenschaftlicher Fragestellungen als Begründung von wissenschaftlichen Tierversuchen. Heute findet Forschung an Tieren im Wesentlichen an speziell zu Forschungszwecken gezüchteten Tieren statt. 2009 wurden in Deutschland 2,78 Millionen Wirbeltiere für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwandt sowie 690000 Wirbeltiere zu wissenschaftlichen Zwecken getötet.

Forschung an Mensch-Tier-Mischwesen

Neue Wissenschaftsfelder, etwa die Gentechnik und die Stammzellforschung, geben neue Impulse für wissenschaftliche Tierversuche und haben zur Schaffung von Mensch-Tier-Mischwesen geführt, von Tieren, in die menschliche Gene, Zellen oder menschliches Gewebe übertragen werden. Es kommt dabei insbesondere zur gezielten artübergreifenden Übertragung menschlicher Erbfaktoren in Tiere, die weitervererbt werden. Dies wirft die Frage auf, wie dies mit unserem Selbstverständnis, das traditionell von der Vorstellung einer klaren Grenzziehung zwischen Mensch und Tier ausgeht ist, vereinbar ist.

Bei der Verschmelzung von zwei Embryonen unterschiedlicher Art in einem sehr frühen Entwicklungsstadium können Chimären entstehen, die zu etwa gleichen Anteilen Zellen zweier Arten trägt. Ein so entstehendes Mischwesen (in der Tierwelt die "Schiege", die 1984 durch Verschmelzung von Schaf- und Ziegenembryo entstand) könnte keiner Art zugewiesen werden. Es gibt allerdings keinerlei Hinweise dafür, dass diese Technik unter Einsatz menschlicher Embryonen derzeit in der Forschung untersucht oder auch nur angestrebt wird. Im Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Forschungsfelder gegeben, in denen unterschiedliche Mensch-Tier-Mischwesen erschaffen werden.

Transgene Tiere mit menschlichem Erbmaterial.

Die Gentechnik schaffte die Möglichkeit, Gene als Träger von Erbanlagen eines Lebewesens gezielt über Artengrenzen hinweg auszutauschen. Dies führte seit etwa 30 Jahren zur millionenfachen Schaffung transgener Tiere, vor allem Mäuse und Ratten, denen einzelne menschliche krankheitsspezifische Gene eingefügt wurden, die im Tier weitervererbt werden. Die Schaffung transgener Tiere ist sowohl in der Grundlagenforschung wie auch in der medizinischen Forschung weit verbreitet, um die Funktion menschlicher Gene zu erforschen. Es werden Tiermodelle menschlicher Krankheiten (beispielsweise die "Krebsmaus") geschaffen, um die molekularen Zusammenhänge einer Krankheit untersuchen und besser verstehen zu können. Die transgene Maus entwickelt dann oft ein ähnliches Krankheitsbild. 2009 wurden in Deutschland in der Forschung 607000 transgene Tiere eingesetzt, davon 591000 (97 Prozent) transgene Mäuse, 8300 transgene Ratten und 1300 transgene Zebrafische. Geringfügig sind aber auch Kaninchen und Schweine vertreten. 1998 wurde erstmals ein Affe zum Tiermodell für eine menschliche Krankheit. Dies geschah durch Übertragung des menschlichen Gens, das für die Huntington-Krankheit verantwortlich ist.

Gene kodieren zum einen für einzelne Proteine. Einzelne Gene können zum anderen aber auch die Steuerung der Entstehung von Geweben oder Organen übernehmen. Gerade die Funktion solcher Steuerungsgene kann nur im lebenden Organismus analysiert und verstanden werden. Bei ihrer Manipulation kann es durchaus zu einer Veränderung komplexer Systeme im Tier kommen. 1997 wurde weltweit erstmals ein ganzes menschliches Chromosom in den Erbgang einer Maus übertragen. Angesichts der weit entfernten Verwandtschaft transgener Tiere wie Fisch, Maus, Ratte, Kaninchen oder Schwein ist aber nicht davon auszugehen, dass sich weitergehende Fragen des Tierschutzes stellen. Aspekte des Schutzes der Menschenwürde könnten sich jedoch bei der Erzeugung transgener Primaten, insbesondere bei Menschenaffen, stellen.

Zytoplasmische Hybride (Zybride).

In diesem Forschungsfeld geht es um die Verschmelzung einer entkernten tierischen Eizelle mit dem Zellkern einer Zelle eines Individuums einer andern Art. Im Experiment wurde dabei eine entkernte Rindereizelle mit einem menschlichen Zellkern verschmolzen. Die so entstandene vermehrungsfähige Zelle weist damit ein fast komplettes menschliches Genom auf. In dieser Zelle sind nach wie vor die Mitochondrien aus tierischem Material mit insgesamt 39 tierischen Genen enthalten. Allerdings übernimmt das menschliche Genom sofort die Steuerung der Zellentwicklung. Aus einem solchen zytoplasmischen Zybrid, so hofft man, lassen sich künftig in den ersten Stadien der Zellteilung humane embryonale Stammzelllinien gewinnen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, humane embryonale Stammzellen ohne Verwendung von gespendeten menschlichen Eizellen aus Zybriden vor der Einpflanzung in eine Gebärmutter herzustellen. Dies stellt insofern einen Fortschritt dar, als das Spenden von Eizellen durchaus mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist.

Zweifellos hätte diese Methode der Gewinnung pluripotenter embryonaler Stammzelllinien, aus denen verschiedene Gewebetypen entwickelt werden können, durchaus Bedeutung für die medizinische Forschung - zum besseren Verständnis der molekularen Grundlagen für Erkrankungen und für die Entwicklung neuer Zell- und Gewebetherapien. Auf diesem Gebiet hat es nach ersten Vorhaben bis 2005 allerdings einen Stillstand gegeben. Dazu gibt es mittlerweile eine mögliche technische Alternative: Seit 2007 lassen sich menschliche Zellen mithilfe spezieller molekularer Signale in induzierte pluripotente Stammzellen (IPs-Zellen) verwandeln. Es ist heute trotz wichtiger Fortschritte nicht abschließend zu bewerten, ob sich die hohen Erwartungen an die IPs-Zellen erfüllen lassen. Bei den Zybriden stellt sich die Grundsatzfrage: Sind die Zybride noch menschlich, gehen wir bei ihnen davon aus, dass der Schutz menschlichen Lebens von Beginn an geboten ist - oder sind sie ein technisches Konstrukt ohne moralischen Status, das auf anderem Wege als durch Zeugung im Verständnis des Embryonenschutzgesetzes entsteht?

Übertragung menschlicher Zellen, auch Stammzellen, in ungeborene oder geborene Tiere - Hirnchimären.

Zur Vorbereitung klinischer Studien am Menschen, um Therapien gegen eine unfall- oder krankheitsbedingter Zell- oder Gewebezerstörung zu entwickeln, werden in präklinischen Studien menschliche Zellen, auch unreife, in Tiere verpflanzt, um die therapeutischen Effekte einer solchen Transplantation zu untersuchen. Solche Studien werden am Hirn zur Erforschung von Krankheiten wie etwa Alzheimer-Demenz, Schlaganfall oder Parkinson mit der Hoffnung auf spätere Behandlungsansätze vorgenommen. Damit wird auch die Frage aufgeworfen, ob durch die Verpflanzung menschlicher Nervenzellen oder ihrer Vorläufer in Tiergehirne menschliche Befähigungen im Tier entstehen können, welche die Frage nach dem moralischen Status des Tieres aufwerfen. Könnten etwa auf diesem Wege kognitive Fähigkeiten des Tieres gesteigert, "vermenschlicht" werden?

Im vergleichsweise sehr kleinen Hirn von Nagetieren spricht alles dagegen, dass menschlich geprägte Nervennetzwerke räumlich überhaupt entstehen können. In Tierversuchen gibt es aber auch den Hinweis darauf, dass Transplantationen von unreifem Nervengewebe zwischen verwandten Arten mit vergleichbarem Hirnvolumen, mit vergleichbarer Hirnstruktur durchaus zu Mischwesen mit chimärischem Hirn führen können, die Verhaltensweisen der Spenderart zeigen. So äußerten Hühner nach einer Transplantation von Wachtel-Hirngewebe wachtelartige Laute. Deshalb ist für die Zukunft durchaus ein wachsendes Interesse an der Transplantation menschlicher Hirnzellen, von menschlichem Hirngewebe in Primaten, insbesondere Menschenaffen, denkbar. Solche Versuche könnten zu einem chimärischen Hirn eines Menschenaffen führen, der Verhaltensweisen des Menschen zeigt. Wir verfügen aber bislang nicht über angemessene verhaltensbiologische Untersuchungen zu der Frage, ob es zu qualitativen Verhaltensänderungen bei Tieren mit menschlichen Zellen im Gehirn kommt.

Zum moralischen Status von Mensch und Tier

Moralischer Status und Menschenwürde.

Der Mensch hat sich selbst immer wieder in Abgrenzung zum Tier, zum Säugetier, als "Nicht-Tier" definiert, sein Selbstverständnis ist von der Einzigartigkeit des Menschen als Vernunftwesen, als moralfähiges Wesen geprägt. Nur dem Menschen kommt Würde als Wesensmerkmal zu. Nach dem Verständnis unserer Verfassung kommt sie jedem einzelnen Mensch und allen Menschen gemeinsam (Gattungswürde) zu. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt: "Menschenwürde (...) ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann." Der Mensch ist um seiner selbst willen zu achten.

Status und Schutz des Tieres.

Aus dem Verständnis eines grundsätzlichen Unterschiedes zwischen Mensch und Tier hat der Mensch das Recht abgeleitet, Tiere zu essen und zu töten, sie zu besitzen, als Mittel zum Zweck zum Nutzen der Menschheit zu erzeugen und zu verwenden.

Die Tierwelt umfasst eine große Breite von niedrig bis hoch entwickelten Arten. Von menschlicher Sensibilität und Fragen des Tierschutzes werden vorrangig Wirbeltiere (etwa Fische, Reptilien, Vögel) erfasst, da ihnen Schmerz und Leidensfähigkeit zuerkannt wird. Zu den Wirbeltieren zählen auch die Säugetiere - warmblütig, meist behaart, mit ausgeprägter Hirnfunktion und in der Regel mit vier Gliedmaßen versehen.

Weitgehend durchgesetzt hat sich seit dem 19. Jahrhundert die Auffassung, dass allen schmerz- und leidensfähigen Wesen - zu denen neben dem Menschen vor allem auch die Wirbeltiere zählen - moralische Rücksicht gebührt. In dieser Zeit setzte auch die Forderung nach gesetzlichen Grenzen für die Verwendung von Tieren zu Forschungszwecken ein. 1876 wurde in Großbritannien das Gesetz zur Verhinderung der Grausamkeit gegen Tiere (Cruelty to Animal Act) erlassen, das die Zulassung von Labors für Tierversuche und die Genehmigungspflicht für bestimmte Tierversuche festlegte. Vergleichbare Bestimmungen wurden 1880 in Bayern und 1885 in Preußen in Ministerialerlassen festgelegt. Albert Schweitzer weitete in seiner "Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben" den Gedanken der ethisch begründeten Rücksichtnahme auf Tiere auf eine Ethik der Verantwortung für die Tiere als Teil der Schöpfung, als Mitgeschöpfe der Menschen, aus.

Seitdem hat der Schutz von Tieren große Fortschritte gemacht. 2002 wurde das Staatsziel Tierschutz in Artikel 20a unseres Grundgesetzes aufgenommen. Das geltende deutsche Tierschutzgesetz geht durchaus von einer Sonderstellung des Menschen in der Natur, als Vernunftwesen mit Moralfähigkeit aus, aber mit Verantwortung für den Schutz von Tieren als Teil der Schöpfung. In Paragraf 1 wird als Ziel des Tierschutzes genannt: "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen". Schmerz- und leidensfähigen Wesen, also auch vielen Tieren, insbesondere Wirbeltieren, gebührt moralische Rücksicht von Seiten der moralfähigen Menschen.

Paragraf 7 des Tierschutzgesetzes definiert den Tierversuch als Eingriff oder Behandlung zu Versuchszwecken "1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere oder 2. am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können". Das Tierschutzgesetz konzentriert sich auf den Schutz von Wirbeltieren. Tierversuche sind nach Paragraf 7 Absatz 3 nur zulässig, wenn die zu erwartenden Schmerzen Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind. Dies ist der Fall, wenn davon auszugehen ist, dass die angestrebten Forschungsergebnisse für wesentliche Bedürfnisse von Tier und Mensch einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sind. Es muss also eine Abwägung zwischen Schutz und Wohlergehen des Tieres und Hochrangigkeit der Forschungsziele vorgenommen werden. Diese erfolgt bei Forschungsprojekten mit Wirbeltieren im Rahmen eines Antragsverfahrens unter Einschaltung einer Tierschutzkommission.

Zur besonderen Stellung von Primaten und Menschenaffen.

Der moralfähige Mensch, dem Würde als Vernunftwesen zukommt, gewichtet seine Verpflichtung zum Schutz von Tieren durchaus differenziert. Immer häufiger wird die Forderung erhoben - nicht zuletzt durch die Ergebnisse der Verhaltensforschung -, dass Tiere, die uns biologisch und in moralisch relevanten Eigenschaften nahestehen, eine besonders starke Rücksichtnahme verdienen. Primaten, insbesondere Menschenaffen, die als Tiere besonders ausgeprägte Leidensfähigkeit und Schmerzempfinden besitzen, werden in immer stärkerem Maße als Adressaten spezieller moralischer Schutzpflichten von Seiten des Menschen gesehen. Zu den Menschenaffen zählen der Gorilla, der Orang-Utan und der Schimpanse.

Insbesondere Verhaltensforschung an und mit Primaten hat die Frage aufgeworfen, ob auch Menschenaffen kulturfähig seien, in die Zukunft hinein denken und über eine Vorstufe von Moral verfügen. Aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Nähe zum Menschen müssten besondere Schutzpflichten für sie gelten. In diesem Sinne haben etwa die Schweiz, Österreich, die Niederlande und Neuseeland Versuche an Menschenaffen verboten. Auf EU-Ebene ist dies seit 2010 bis auf wenige Ausnahmefälle untersagt. Solche Versuche fanden seit 1991 auch in Deutschland nicht mehr statt. Manche, etwa Utilitaristen, ziehen die Schlussfolgerung, dass Menschenaffen den gleichen moralischen Status wie Menschen hätten und ihnen auch Würde zukomme. Der Gedanke des Tierschutzes müsse daher auf die Durchsetzung von Tierrechten ausgeweitet werden.

Aspekte der ethischen Beurteilung von Mensch-Tier-Mischwesen

Überschreiten der Artengrenze - ein grundsätzliches ethisches Problem?

Jedes Lebewesen wird in der Biologie einer bestimmten Art zugeordnet, die in der Evolutionsbiologie als Fortpflanzungsgemeinschaft verstanden wird. Zwischen den Arten kommt es nicht zu Paarungen, in Ausnahmefällen entstehen dabei nur unfruchtbare Nachkommen. Eine biologische Art ist eine in sich geschlossene Fortpflanzungs- und Abstammungsgemeinschaft, die eine genetische, evolutionäre und ökologische Einheit bildet. Diese natürliche Ordnung muss aber nicht zwangsläufig unangetastet bleiben. Wohl sollte sie den Menschen dazu bewegen, eine sorgfältige Abwägung zwischen den Zielen eines solchen Vorgehens und dem Respekt vor natürlich gewachsenen Artengrenzen vorzunehmen. Bei niederen Lebensformen wie Bakterien oder Viren stellt sich diese ethische Frage ohnehin nicht. Die beobachtbare Eigenschaft von Viren, also Krankheitserregern, Artengrenzen überwinden zu können, stellt aber eine deutliche Gefährdung der Gesundheit von Menschen, aber auch von Tieren, dar.

Der Gedanke des Artenschutzes setzt nicht in erster Linie bei der einzelnen Art an, es geht hier um den Erhalt der Artenvielfalt, der genetischen Vielfalt in der Natur. Auf diesem Verständnis baut beispielsweise die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen auf. Aus einer moralischen Pflicht, die Artenvielfalt als Ganzes zu erhalten, lässt sich aber kein unbedingtes Gebot ableiten, die unter den einzelnen Arten bestehenden Grenzen nicht zu überschreiten.

Zur Sonderstellung der Art "Homo Sapiens".

Wenn es um die Artengrenze zwischen Mensch und Tier geht, bewegen wir uns in einer verbreiteten kulturellen Tradition der Menschheit, die von einer deutlichen Trennung von Mensch und Tier ausgeht. Der Mensch-Tier-Grenze wird eine besondere ethische Bedeutung zugewiesen. Biologisch gesehen ist der Mensch den Tieren zuzuordnen. Kulturell herrscht das Verständnis einer Sonderstellung des Menschen im Tierreich vor, begründet durch die menschenspezifische Ausprägung bestimmter Befähigungen. Zu diesen Befähigungen gehören vor allem Sprache, Selbstbewusstsein und Kultur. Von besonderer ethischer Relevanz ist dabei, dass nur ihm das Vermögen, moralisch motiviert zu handeln, gegeben sei. Hierauf gründen Befähigungen und Besonderheiten des menschlichen Lebens und Zusammenlebens.

Die moderne Verhaltensbiologie geht intensiv der Frage nach, ob nicht auch einzelne Tierarten, insbesondere Primaten, Ansätze derartiger Fähigkeiten aufweisen. Hier kommt der Deutsche Ethikrat zu der Bewertung, dass solche Befähigungen in Ansätzen zweifellos auch bei Tieren vorhanden sind. Sie sind aber beim Menschen ungleich komplexer, mit einer anderen Qualität ausgeprägt und beruhen auf bewusster Reflexion. Die biologische Evolution hat sich beim Menschen offenkundig durch kulturelle Evolution beschleunigt und an Komplexität deutlich zugelegt. Dies wird besonders bei Kommunikation und Sprache deutlich. Nur beim Menschen ist von Sprachfähigkeit in vollem Sinne zu sprechen: Sie ermöglicht die Ausbildung von Wissen, das über Generationen hinweg weitergegeben wird. Beim Menschen haben sich Laut-, Schrift-, Kunst- und Wissenschaftssprache ausgebildet, eine entscheidende Grundlage für die Ausbildung von Recht, Wissenschaft, Technik, Kunst und Religion.

Ergebnisse der modernen Soziobiologie werfen durchaus die Frage auf, ob menschliche Moralfähigkeit nach den gleichen evolutionären Prinzipien wie die menschliche Gestalt oder physiologische Eigenschaften entstanden sind. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass das entscheidende Kriterium für die Moralfähigkeit des Menschen nicht allein eine empirisch zu beobachtende "moralische" Handlungsweise ist. Sie begründet sich zentral in dem geistigen Reflexionsprozess und in vernunftgeleiteten Überlegungen, die sich auf Gründe berufen und sich an moralisch gebotenen Vorgaben orientieren, die einer solchen Handlung - oder ihrem Unterlassen - vorausgehen. Daraus ergibt sich aber auch, dass der Mensch - und nur er - im Kontext seiner kulturellen Entwicklung Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für den Erhalt und die Entfaltung seiner natürlichen und kulturellen Lebensgrundlagen übernehmen kann und übernehmen soll. Das schließt den Respekt vor der Tierwelt, den Tierschutz ein.

Ethische Relevanz der Erzeugung von Mensch-Tier-Mischwesen

Im Allgemeinen wird nicht davon ausgegangen, der ethisch bedeutsame Unterschied zwischen Mensch und Tier beruhe auf der biologischen Zugehörigkeit zur Art als solcher. Die Artzugehörigkeit ist aber insofern relevant, als sie die biologischen Voraussetzungen jener artspezifischen Befähigungen anzeigt, die Grundlage für die Sonderstellung des Menschen sind. In diesem Sinne ist die Artzugehörigkeit, die Gattungszugehörigkeit Bestandteil des Begriffs der Menschenwürde. Menschenwürde kommt in unserer Verfassung nicht nur dem einzelnen Menschen, sondern auch dem Menschen als Gattung zu, sie wird aber nicht nur aus der Artzugehörigkeit begründet.

Die Erzeugung von Mensch-Tier-Mischwesen, die in weit erheblicherem Umfang als das eingesetzte Versuchstier eine Annäherung an die typisch menschlichen Befähigungen aufweisen, würde diese kulturell verankerte gattungsbezogene Basis unseres Verständnisses von Menschenwürde berühren, ja in Frage stellen. Daraus können sich Konsequenzen für den Umfang der Schutzpflichten gegenüber den veränderten Tieren, aber auch für die Einschätzung des moralischen Status des Mensch-Tier-Mischwesens ergeben.

Ein grundlegendes Problem bei der Schaffung von Mischwesen besteht darin, dass ethisch höchst relevante Merkmale (insbesondere solche, die Leistungen des Gehirns betreffen) sich erst nach der Geburt ausprägen. Man müsste also Experimente und Züchtungen vornehmen, um ex post ihre ethische Zulässigkeit bewerten zu können. Allerdings lassen sich schon ex ante Aussagen zur Eingriffstiefe des geplanten Vorgehens treffen. Es geht zum einen um das quantitative Verhältnis von menschlichem und tierischem Beitrag zum Mischwesen, nach dem Prinzip minimaler Anteil, geringe Wirkung. Welcher Anteil artfremden Materials wird integriert? Diese Frage hat bei informationsgebenden Molekülen wie Genen, Proteinen, DNA oder RNA durchaus eine gewisse Bedeutung. Bei einer transgenen Maus werden heute nur ein Gen oder wenige Gene des Menschen in das 30000 Gene umfassende Mäusegenom eingefügt. Der transgene Beitrag liegt also unter ein Promille. Vergleichbare Mischungsverhältnisse können sich bei der Einfügung von Zellen in das Hirn eines Mäuseembryos ergeben. Bei der Einfügung eines ganzen Chromosoms in das Mausgenom würde sich das Mischungsverhältnis schon spürbar ändern. Quantitative Angaben allein sind aber meistens nicht überzeugend, sie müssen durch qualitative Attribute ergänzt werden.

Relevant ist die Frage, auf welcher Ebene eines Organismus (Zelle, Gewebe, Organ), in welchem Entwicklungsstadium des Tieres der Eingriff erfolgt. Im Frühstadium der Embryonalentwicklung, vor Ausbildung der Organanlagen kann das Implantat (Gen, Chromosom oder Stammzelle) den gesamten Organismus einschließlich Keimbahn und Gehirn beeinflussen, ja dominierend gestalten. Insgesamt werfen bei der Herstellung von Mensch-Tier-Mischwesen Eingriffe in die Erbanlagen, sowie Eingriffe mit Auswirkungen auf Befähigungen, die für den moralischen Status eines Wesens relevant sind, die Frage der Verantwortbarkeit auf. Dies gilt aber auch für einschneidende Veränderungen des Aussehens, da sie die Basis intuitiver Abgrenzungen berühren.

Empfehlungen des Deutschen Ethikrates

Die Empfehlungen des Ethikrates verstehen sich als Bausteine eines von Vorsicht und Vorsorge getragenen Vorgehens auf dem Feld der Forschung an Mensch-Tier-Mischwesen.

1. Der Deutsche Ethikrat will den Weg zur Erzeugung von Mensch-Tier-Mischwesen unklarer Artzuordnung grundsätzlich untersagen und fordert deshalb, "dass keine Mensch-Tier-Mischwesen in eine Gebärmutter überragen werden dürfen, bei denen man vorweg absehen kann, dass ihre Zuordnung zu Tier oder Mensch nicht hinreichend sicher möglich ist ('echte Mischwesen')".

2. Der Deutsche Ethikrat begrüßt, dass in Paragraf 7 des Embryonenschutzgesetzes schon Bestimmungen enthalten sind, die das Entstehen von Mensch-Tier-Mischwesen verhindern sollen, insbesondere durch das Verbot der Übertragung menschlicher Embryonen auf ein Tier sowie der Erzeugung von Lebewesen durch Befruchtung, insbesondere unter Verwendung von menschlichen und tierischen Keimzellen oder Fusion eines menschlichen Embryos mit einem tierischen Embryo. Die Bestimmungen des Paragraf 7 des Embryonenschutzgesetzes sind durch folgende Verbote zu erweitern: das Verbot der Übertragung tierischer Embryonen auf den Menschen und das Verbot des Einbringens tierischen Materials in den Erbgang des Menschen.

3. Ein Teil des Ethikrates spricht sich für ein Verbot der Herstellung von Mensch-Tier-Zybriden aus, da "in seinem Zellkern alle Wesensmerkmale für ein menschliches Individuum angelegt sind". Ein Teil des Ethikrates lehnt ein Verbot ab, da "das Verfahren des Zellkerntransfers (...) in einem völlig anderen Kontext als die Erzeugung von Nachkommen" geschehe. Das experimentelle Zellkonstrukt sei nicht als menschliches Leben anzusehen. Der gesamte Ethikrat spricht sich für ein Verbot einer Einpflanzung eines Zybrids in eine Gebärmutter aus.

4. Bei weiteren Entwicklungen auf dem Feld transgener Tiere und bei der Einbringung menschlicher Zellen in das Hirn von Säugetieren sollten Experimente mit großer Eingriffstiefe "insbesondere bei Einfügung von Genen oder Injektion von Zellen in der Embryonalentwicklung, in der Hochrangigkeit wissenschaftlicher Zielsetzungen, insbesondere im Hinblick auf ihren zu erwartenden medizinischen Nutzen für die Menschheit sehr gut begründet sein und auf ihre möglichen Auswirkungen auf den moralischen Status des Mischwesens bewertet werden." Hochrangigkeit der Grundlagenforschung soll als alleinige Begründung nicht ausreichen.

5. Bei Forschungsvorhaben an Primaten sollten Anträge "aufgrund unseres vorläufigen und begrenzten Wissens über mögliche Auswirkungen auf Aussehen, Verhalten und Befähigungen" einem interdisziplinären Begutachtungsverfahren unterliegen. Der nach Paragraf 49 der EU-Tierschutzrichtlinie auch in Deutschland zu bildende Nationale Ausschuss sollte bundesweite Richtlinien dazu erarbeiten und an Grundsatzentscheidungen auf diesem Gebiet beteiligt werden.

6. Der Deutsche Ethikrat spricht sich für ein Verbot "der Schaffung transgener Mensch-Tier-Mischwesen mit Menschenaffen" und für ein Verbot der "Einfügung hirnspezifischer menschlicher Zellen speziell in das Gehirn von Menschenaffen" aus.

7. Der Ethikrat fordert mehr interdisziplinäre Forschung zu den Auswirkungen des Einbringens menschlicher Gene, Chromosomen, Zellen und Gewebe in den tierischen Organismus. Diese "muss verstärkt ethische Fragestellungen berücksichtigen und dabei auch die Auswirkungen auf das Verhalten und die Befähigungen sowie phänotypische Veränderungen einbeziehen".

8. Notwendig ist vor allem eine größere gesellschaftliche Transparenz auf diesem Forschungsgebiet. Deshalb sollten die Tierschutzberichte der Bundesregierung künftig detaillierte Informationen dazu enthalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Tierschutzbericht der Bundesregierung 2011, Bundestags-Drucksache 17/6826, S. 52, S. 63.

  2. Vgl. ebd., S. 62.

  3. Die Huntington-Krankheit ist eine seltene, vererbbare und fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr ausbricht. Ursache ist ein verändertes Gen. Es gibt bisher keine Heilmethode. Vgl. online: www.huntington-hilfe.de (3.2.2012).

  4. BVerfGE 87, 209 (228).

  5. Deutscher Ethikrat, Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung. Stellungnahme, Berlin 2011, S. 119.

  6. Ebd., S. 102.

  7. Ebd., S. 100.

  8. Ebd., S. 121.

  9. Ebd., S. 123.

  10. Vgl. ebd., S. 120; EU-Tierschutzrichtlinie: Amtsblatt EG Nr. L 276/33 vom 20.10.2010.

  11. Ebd., S. 123, S. 124.

  12. Ebd., S. 121.

Geb. 1945; Staatssekretär a.D.; 1980 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages mit Schwerpunkt Forschungspolitik; 2006 bis 2011 Vorsitzender der Nanokommission der Bundesregierung; seit 2008 Mitglied des Deutschen Ethikrates, Sprecher der Arbeitsgruppe "Forschung an Mensch-Tier-Mischwesen". Externer Link: www.ethikrat.org