Einleitung
Wir leben in einer Gesellschaft mit einer Vielzahl von Heim-, Nutz- und Wildtieren: allein 8,2 Millionen Katzen und 5,3 Millionen Hunde in Deutschland,
Auf welcher kulturellen Grundlage handeln wir mit Tieren? Wie verändert sich das Tierbild und welche ökonomische, ökologische und soziale Relevanz besitzt die Mensch-Tier-Beziehung für unsere Gesellschaft? Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in die Vielfalt der Korrelation menschlichen und tierlichen
Unser Bild vom Tier
Der Wandel der gesellschaftlichen Stellung des Tieres sowie seine Nutzung sind von der sozialen und kulturellen Entwicklung des Menschen stark beeinflusst. Der von der Gesellschaft dem Tier zugeordnete ökonomische und kulturelle Stellenwert bestimmt auch die Haltung dieser Gesellschaft gegenüber dem Leben des einzelnen Tieres und seiner Art. Darüber hinaus ist es aber vor allem die menschliche Vorstellung vom Wesen des Tieres, welche die emotionale Grundlage der Mensch-Tier-Beziehung innerhalb einer geschichtlichen Epoche sichtbar werden lässt. Die Mensch-Tier-Beziehung kann somit nicht losgelöst vom Gesamtkontext menschlicher Kultur und Gesellschaft gesehen werden.
Die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung erhält derzeit wichtige neue Impulse gerade auch aus der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft. Dieses Forschungsgebiet profitiert von einem interdisziplinären Diskurs der natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Der Literaturwissenschaftler Roland Borgards beschreibt das Tierbild aus der Sicht der aktuellen geisteswissenschaftlichen Forschung wie folgt: "Einerseits können Tiere als biologische Gegebenheiten verstanden werden. Andererseits jedoch erscheinen Tiere auch als Projektionsflächen für menschliche Vorstellungen: Das Tier ist das, was der Mensch daraus macht, es ist Produkt seiner Züchtungen, seiner Imaginationen, seiner Experimente, seiner Verwissenschaftlichung, seiner menschlichen Repräsentationen. Und schließlich sind Tiere auch immer wieder eigenständige Agenten innerhalb historischer, sozialer, kultureller Prozesse: Tiere haben vielleicht keine Geschichte (so wie Menschen geschichtliche Wesen sind), sie machen aber Geschichte, z.B. wenn der Hund an der Domestizierung des Menschen mitwirkt oder Hühner bei der globalen Verteilung von Krankheiten."
Trotz hervorragender Forschung zum menschlichen und tierlichen Verhalten in den vergangenen 50 Jahren beeinflusst das veraltete Bild über das Tier, welches nur auf Reize reagiert, nach wie vor unser Handeln. Das Bild von einem Tier, welches nur bedingt leidensfähig sei, scheint uns Menschen vertraut und fördert die Akzeptanz eigener Interessen (beispielsweise Einzel-Heimtierhaltung, Intensivhaltung, Tierversuche) unabhängig vom Wohlbefinden des Tieres. Neueste Forschung im Bereich der Neuro- und Verhaltensbiologie zeigen jedoch, dass Tiere sehr wohl einen erheblichen Teil des affektiven Geschehens bewusst wahrnehmen und regulieren können, darüber hinaus mit umfangreichen Lern- und Gedächtnisfunktionen ausgestattet sind und daher auch die Voraussetzungen zur Reflexion besitzen können.
Vom Wert und von der Würde der Tiere
Die Haltung von Heim- und Nutztieren, aber auch die Hege von Wildtieren kostet Geld, Raum und Zeit.
Der Mensch: in sich gespaltenes Tier
Tiere sind für uns heute authentisches Kumpantier, verlässlicher Arbeitskollege, Ersatz für vermisste menschliche Beziehungen, mythisches Vorbild, aber auch exotischer und zirzensischer Adrenalinkick, eine Schuhsohle, ein Winterpelz oder ein in Plastik eingeschweißtes Nahrungselement. Tiere beeindrucken uns in Naturfilmen durch ihre Fähigkeiten des Überlebens, als Kunstfiguren und Akteure im Fernsehen. Sie sind uns häufig eher fremd in ihren eigenen natürlichen Verhaltensweisen und Ausdrucksformen, in ihrer Intelligenz, ihren arttypischen und individuellen Bedürfnissen. Der Mensch ist nicht so sehr in seiner Wahrnehmung gespalten, vielmehr in der Akzeptanz, was er von Urzeiten her in sich als sinnliches Wissen trägt, was er im Tier erkennen kann: Das Tier ist ein Geschöpf, das dem Menschen Gefährte und Konkurrent ist, letztlich aber immer auch Verwandter sein wird. Diese Vielfalt der Beziehungen zum Tier fordert den Menschen heraus, fordert, dass der Mensch sich seiner Verantwortung gegenüber seinem Mitgeschöpf (Mensch wie Tier) bewusst wird. Das Bewusstsein dieser Verantwortung ist die Grundlage seines achtsamen Handelns. Ein reifer Mensch wird den Bedürfnissen des Tieres gerecht werden, solange dieses Tier lebt. Und er wird die Tötung des Tieres als einen bewussten Akt des Handelns mit verantworten. Der Dank gegenüber dem Tier bei der Mahlzeit ist Ausdruck der Verantwortung der Beendigung des Lebens des Tieres und des Annehmens dieses Geschenkes.
Tierliche Präsenz in unserer Gesellschaft
Wie die Tabelle (siehe Tabelle der PDF-Version) zeigt, sind Tiere in vielen Bereichen der Gesellschaft präsent. In dieser Aufführung wird deutlich, dass Mensch und Tier sich gegenseitig beeinflussen.
Am Beispiel einiger ausgewählter gesellschaftlicher Bereich soll im Folgenden näher erläutert werden, welche Bedeutung die Mensch-Tier-Beziehung besitzen kann.
Tier am Arbeitsmarkt.
Mit einer Erneuerung von tierlichen Einsätzen im Arbeitsprozess wird nicht nur das Bild des Tieres aufgewertet: Ein Polizeihundeführer, ein Rettungshundestaffelleiter, ein Therapeut, der tiergestützt arbeitet oder ein Lehrer, der mit einem Hund seine Hauptschulklasse erfolgreich leitet, wird durchaus mehr beachtet als Kollegen ohne Tier. Das Führen von Tieren, mehr noch eine gute kollegiale Arbeitsweise mit Tieren, wird in der Gesellschaft durch soziale beziehungsweise mediale Aufmerksamkeit belohnt. Dies kann mitunter dazu führen, dass Menschen sich zu Tiereinsätzen verleiten lassen, um so ihre eigene Person aufzuwerten. Wichtiger sind jedoch die positiven Impulse, die durch Re-Integration des Tieres in unserem Arbeitsleben entstehen: Arbeitsschutzmaßnahmen für Mensch und Tier, Intensivierung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten über die eigene Art hinaus sowie verstärkte Präsenz von Tieren mit einem Beruf in der Gesellschaft. Das Tier bleibt nicht arbeitslos, es erhält durch seinen Einsatz in einem Beruf die Möglichkeit, seine Persönlichkeit, seine Intelligenz, seine Fähigkeiten zu zeigen. Dies ermöglicht Menschen, das neue Tierbild im Alltag zu erleben, die Würde des Tieres für sich zu entdecken.
Wirtschaftsfaktor Tier.
Der Mensch ist aufgefordert, seine eigenen Interessen gegenüber denen der Tiere sowie der Erhaltung der Arten abzuwägen: beim Bau von Straßen und Brücken, die den Lebensraum der Tiere zerschneiden oder zerstören, bei der Gestaltung von Agrarflächen, die die Vielfalt der Nahrungspflanzen der Wildtiere reduzieren, bei der Förderung der Nutztierhaltung oder auch bei der Verbreitung von Lärm, Luft- und Lichtverschmutzung. Die Sicherung menschlicher Ressourcen kann nur vor dem Hintergrund langfristiger und nachhaltiger Konzepte gelingen, die unsere natürliche Umwelt und ihre Bewohner mit ins Boot nehmen.
Das Wirtschaftsprodukt "Lebensmittel vom Tier" (Milch, Fleisch, Eier sowie verarbeitete Produkte wie Kuchen, Nudeln etc.) hat in Deutschland einen hohen ökonomischen Stellenwert und ist gleichzeitig ein wichtiges Exportgut.
Die Achtung vor dem Mitgeschöpf fordert von uns ein Nachdenken darüber, ob wir einem Landwirt Vertrauen schenken wollen, der seinen Tieren vor dem Schlachttod ein unwürdiges Dasein zumutet: zu enger Raum, Spaltenböden, fehlender Auslauf und Sozialkontakt, Verletzungen durch Stressverhalten etc. Es gibt bereits erfolgreiche und profitable Alternativen, die uns jedoch nötigen, umzudenken und unser Verhalten zu verändern. Unsere technikorientierte Lebensmittelindustrie ist herausgefordert, neue Wege des achtsamen Umgangs mit dem kostbaren Produkt Nutztier zu finden.
Es ist kein Luxus vom "immer mehr" produzieren zu einem "qualitätsvoll besser" erzeugen zu kommen. Es ist vielmehr eine soziale wie ökologische, damit auch eine ökonomische Notwendigkeit und die eigentliche Zukunft einer gewinnorientierten Wirtschaft.
Das Tier, dessen Fleisch auf unserem Teller liegt, sollte ein gutes Leben gehabt haben. Die Mahlzeit sollte uns wieder wertvoll werden. Dies bedarf aber auch einer Bemühung, Menschen heute wieder zu zeigen, wie man mit Lebensmitteln achtsam gute Mahlzeiten zaubert. Die Menschen in unserer Gesellschaft sind meiner Meinung nach reif, ein Tierwohllabel zu fordern und ausschließlich ökologisch nachhaltige Tierhaltung zu unterstützen. Es ist eine ethische wie zukunftsgerichtete ökologische und ökonomische Entscheidung unserer Gesellschaft, die weit über Landesgrenzen Impulse setzen und auch Deutschland als Exportnation langfristig positiv förderlich sein wird.
Der Heimtierbedarf ist ein weiterer wichtiger Wirtschaftsbereich in europäischen Ländern. Mit vielfältigen Produkten der Nahrung und des Zubehörs werben die Hersteller und der Zoofachhandel um die Gunst der Heimtierhalter. Auf Grund ihrer eigenen Bedürfnisse gestalten Menschen die Fürsorge für ein anderes Geschöpf gerne mit Fütterung und der Ausgestaltung des Nestes. Dieses menschliche Bedürfnis bedient die Heimtierbranche mit ihren Produkten. Qualitativ gute Produkte legen dabei mehr Wert auf die physiologischen und sozialen Bedürfnisse des Tieres, insbesondere auch seitdem erkannt wurde, dass Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung nicht zum Nachteil eines ökonomischen Gewinns führen müssen.
Technisches Vorbild Tier.
Das Tier ist seit jeher auch Vorbild für den Menschen und seine Träume (beispielsweise vom Fliegen, Tauchen, Bergsteigen). Der Mensch beobachtet tierliche Fähigkeiten und versucht, diese mit Hilfe der Technik für sich nutzbar zu machen. Im Rahmen der Bionik entstanden nach Vorbildern aus der Natur eine Vielzahl neuer künstlicher Oberflächen und technischer Konstruktionen. Das in der Natur vorhandene Wissen für sich zu entdecken und so umzustrukturieren, dass es für seine Interessen nutzbar wird, ist sicherlich eine der großen Stärken des Menschen. Eine grenzenlose Nutzung dieses Talentes ist jedoch gleichzeitig auch eine der großen Gefahren für den Menschen und seine natürliche Umwelt.
Beziehung zu Tieren als Grundbedürfnis des Menschen
Was erwarten Menschen in Deutschland von der Begegnung mit einem Tier? Welche Bedürfnisse haben sie in einer Beziehung zum Tier? In einer Studie zur Mensch-Tier-Beziehung in unserer Gesellschaft
Das praktische Zusammenleben zwischen Mensch und Tier ist mangels alternativer Erfahrungen derzeit noch von alten Verhaltensmustern geprägt. Die Tendenz, mit dem Tier achtsam und respektvoll umgehen zu wollen, ist deutlich erkennbar. Hier bedarf es jedoch in der Gesellschaft einer eindeutigen Positionierung und vor allem deutlicher Vorbilder, die praktische Wege im achtsamen und respektvollen, vor allem im artgemäßen Umgang mit Tieren aufzeigen. Der Kontakt zu Tieren ist nicht auf einen Ersatz für menschliche Beziehung zu reduzieren. Es ist vielmehr ein Grundbedürfnis des Menschen, über die Beziehung zum Tier mit sich selber, mit einem anderen Lebewesen und mit der gemeinsamen natürlichen Umwelt in Kontakt zu treten.
In einer interkulturellen Gesellschaft wie Deutschland ist der Kontakt zu Tieren geprägt von vielfältigen sozialen, kulturellen und religiösen Einflüssen. In einer weiteren Studie
Resümee
Nicht das Tier hat sich verändert, vielmehr ist unser Bild vom Tier dabei, sich zu verändern. Das Tier wird zunehmend weniger als Sache, als Objekt wahrgenommen denn als individuelle Persönlichkeit und Subjekt, dem als Mitgeschöpf angemessen Sympathie und Mitgefühl entgegengebracht wird. Das Tier muss Tier bleiben dürfen, es wird seiner Art und seinen Bedürfnissen gemäß gehalten und mit ihm umgegangen. Nur dann kann es als Tier im Sinne einer Persönlichkeit wirken.
Ein präventiver Tierschutz baut auf nachhaltige Strukturen, die Leid von Tieren frühzeitig vermeiden helfen. "Erkenntnisse aus der Neuro- und Verhaltensbiologie legen nahe, dass Tierschutz heute nicht mehr allein Wert auf eine artgemäße physiologisch-ökologische Haltung legen darf, vielmehr die sozialen, mentalen und emotionalen Bedürfnisse der Tiere und den sozialen Kontext der Mensch-Tier-Beziehung nicht außer Acht lassen darf. Konkret: Das Wohlbefinden von Tieren in menschlicher Obhut ist entscheidend davon abhängig, dass es nicht nur satt, sauber und trocken gehalten wird. Das Tier braucht eine adäquate arteigene Sozialgemeinschaft und eine gute Beziehung zu seinem Kumpan-Menschen",
Der Wandel im Tierbild läuft den ökonomischen, sozialen wie emotionalen Interessen des Menschen nicht selten zuwider; dies ist Teil natürlicher sozialer Interessenskonflikte, die sowohl innerartlich (zwischen Mensch und Mensch beziehungsweise Tier und Tier) wie artübergreifend (zwischen Mensch und Tier) bekannt sind. Diesen Interessenskonflikten müssen wir uns stellen, Lösungen im Sinne eines Schutzes des gemeinsamen Lebensraumes von Mensch und Tier, der Natur, finden. Nur wenn wir den Herausforderungen des Zusammenlebens von Mensch, Tier und Natur unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse angemessen begegnen, können wir von einer Beziehung zu Tier und Natur profitieren. Nur wenn Tiere ihren Bedürfnissen gemäß leben können, werden Mensch und Tier ökologisch, emotional, sozial und letztlich auch ökonomisch voneinander profitieren können. Das sich verändernde Tierbild fordert somit eine soziale Kultur des Miteinanders, in der das Fremde (hier: das Tier) als potenzielle Bereicherung erforscht und begrüßt wird.