Einleitung
Wer nach Dürfen und Sollen fragt, bewegt sich im Bereich der Moral. Und das wird für alle folgenden Überlegungen auch vorausgesetzt: dass es Moral zwischen Menschen gibt. Wir versuchen, andere Menschen nicht zu schädigen, wir achten ihr Eigentum, ihre körperliche Unversehrtheit; dürfen sie nicht töten, nicht ohne Not schlagen etc. Bei Tieren scheint all das hingegen völlig in Ordnung zu sein: Wir sperren sie ein, fügen ihnen Schmerzen zu, nehmen ihnen ihren Nachwuchs weg, töten sie, ohne dass sie uns angegriffen hätten. Warum? Ist das in Ordnung?
Dass Menschen schon immer Tiere für ihre Zwecke eingesetzt hätten, kann dabei wohl kaum ein Argument sein. Menschen haben immer Kriege geführt, hielten menschliche Sklaven. Doch Gesellschaften entwickeln sich weiter, unsere Moral entwickelt sich ebenfalls weiter, und immer deutlicher tut sich ein Zwiespalt vor uns auf: Wir haben heute mehr Möglichkeiten denn je, Tiere nach unserem Gutdünken zu manipulieren und zu benutzen. Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) beschleicht viele die Ahnung, dass die Unterordnung der Tiere unter den Menschen, die so lange Zeit selbstverständlich schien, auf den moralischen Prüfstein der Tierethik gehört.
Obwohl einige Denker von der Antike übers Mittelalter bis in die Neuzeit Mitgefühl für Tiere proklamiert haben, ist "Tierethik" unter dieser Bezeichnung eine zeitgenössische Debatte. Sie entstand zunächst im Kontext der englischsprachigen Philosophie in den 1970er Jahren. Selbstverständlich kann sie hier nicht annähernd vollständig abgebildet werden; vielmehr will ich Argumente und Situationen herausgreifen und zuspitzen, die uns im Alltag besonders oft begegnen, beginnend bei der Nutzung von Tieren zu Nahrungszwecken und bei dem Hinweis auf die menschliche "Natur", mit der der Fleischverzehr oft begründet wird.
Wieso Fleischessen nicht natürlich ist
Wenn man fragt, warum sich Menschen berechtigt fühlen, Tiere um ihres Fleisches willen zu töten, obwohl es in unseren reichen industrialisierten Gesellschaften viele andere Möglichkeiten gibt, sich zu ernähren, hört man einige Standard-Antworten immer wieder: "Fressen und gefressen werden." "Auch wir Menschen sind Teil der Natur, und es hat keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen." - Das reine Naturwesen Mensch wird oft idealisiert, doch wir kennen es nicht, und es taugt nicht zur Rechtfertigung unserer kulturellen Gewohnheiten, denn zwischen uns und den Jägern und Sammlern der grauen Vorzeit liegen Welten.
Frühere Menschen haben auch Artgenossen gegessen, vor allem Gefangene anderer Stämme; sie haben Aas verzehrt oder Reste von Tieren, die von anderen Tieren gerissen wurden. All das finden wir heute abstoßend, ästhetisch wie moralisch. Im Übrigen dürfte, wer heute wirklich "natürlich" leben will, nicht einmal Auto oder Bus benutzen, sondern müsste zu Fuß gehen; und zwar barfuß. Er dürfte weder Fernsehen schauen noch gedruckte Mitteilungen wie diese hier lesen, denn all dies verdankt sich hochspezialisierten Kulturleistungen und industrialisierten Herstellungsprozessen. Doch der Mensch kämpft nun einmal für seine Bequemlichkeit wo er kann - der kalten, anstrengenden, bisweilen grausamen Natur setzt er die Kultur der Zentralheizung, der geglätteten Straßen, der Telefone und Rettungswagen entgegen. Es ist sonderbar, wenn er sich ausgerechnet in dem Moment auf die "Natur" zurückbesinnt, wo es wiederum der eigenen Bequemlichkeit dient - nämlich der Verteidigung des gewohnten Genusses des Fleischessens.
Umgekehrt sind auch die Tiere, die wir in den Industriegesellschaften heute verzehren, keine reinen Naturwesen mehr in dem Sinne, dass nicht der Mensch, sondern die Evolution sie geschaffen hätte. Unsere heutigen Nutztiere sind im Gegenteil Produkte menschlicher Züchtungsanstrengungen. Diese Züchtungen gehen teilweise (insbesondere bei Hühnern, Schweinen und Rindern) so weit, dass die Tiere allein kaum lebensfähig, nur eingeschränkt fortpflanzungsfähig sind und sich teilweise aus eigener Kraft nicht oder nicht ohne starke Schmerzen bewegen können.
Der Blick auf vorindustrielle Jägergesellschaften und ihre Rituale zeigt, dass das Töten von Tieren keineswegs selbstverständlich war, sondern jeweils im Rahmen damaliger Vorstellungswelten erklärt und gerechtfertigt wurde. Laut mancher Mythen zum Beispiel durfte ein Tier trotz offensichtlicher Todesangst und Verwandtschaft zum Menschen doch getötet werden, weil es sich den Menschen "schenkte"; manche Stämme gingen von einer Seelenwanderung zwischen Menschen und Tieren aus.
Was "Speziesismus" bedeutet
In der Frühen Neuzeit und in der Zeit der Aufklärung wurde ein vorwiegend religiös bestimmtes Weltbild von einem naturwissenschaftlichen abgelöst und schuf neue Erklärungsmuster für eine scharfe Trennung zwischen Mensch und Tier. Die Naturwissenschaften machten rasante Fortschritte und setzten ein mechanistisches Weltbild durch, in dem Organismen zunehmend durch physikalische und chemische Prozesse erklärt wurden. Das Phänomen "Leben" wurde gleichsam entzaubert, und zwar so weit, dass man annahm, dass Tiere nichts weiter als hochkomplexe Maschinen seien. Man begeisterte sich für die Vivisektion, beobachtete die Funktion von Herz, Muskeln und Nerven am aufgeschnittenen lebenden Organismus. Laut René Descartes, der seine physiologische Sammlung seine "Bibliothek" nannte, funktioniert der tierische Körper mit all seinen Nervenimpulsen und Aktionen wie ein Uhrwerk oder ein anderer Automat. Das Erbe solcher Vorstellungen findet sich bis in die Verhaltensbiologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder, in der das Tier als von "blinden Instinkten gesteuert" galt.
Dieselben Aufklärer, die damals die Idee einer Republik proklamierten, sahen allerdings erst viel später ein, dass Freiheit auch für die Sklaven aus und in den Kolonien zu gelten habe; auch Frauen waren von dem Postulat der Freiheit lange ausgeschlossen (angeblich besaßen sie weniger Vernunft). Und dass diese früheren Verfechter der Gleichheit und Gerechtigkeit Tiere erst recht außen vor ließen, kann man ihnen in gewisser Weise nicht vorwerfen: Sie waren damit beschäftigt, die monarchische Herrschaftsform durch die demokratische abzulösen, revolutionär genug!
Von heute aus gesehen muss man allerdings fragen, ob der kategorische Ausschluss von Tieren nicht ähnlich beschränkt ist wie seinerzeit der von Sklaven und Frauen. Genau das ist mit dem Begriff "Speziezismus" gemeint, mit dem Tierrechtler seit Mitte der 1970er die ungerechtfertigte Bevorzugung der menschlichen Spezies gegenüber anderen Tierarten bezeichnen; die Ausbeutung und Rechtlosigkeit von nicht-menschlichen Tieren ähnele in ihrer (Un-)Logik dem Rassismus und Sexismus. Den moralischen Kerngedanken, dass die Ähnlichkeit mit uns Menschen genau besehen keinen Grund liefert, ein Lebewesen besser oder schlechter zu behandeln als ein anderes, hat bereits Jeremy Bentham 1828 in einer berühmten Fußnote formuliert: "Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindendes Wesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Warum soll sonst die unüberwindbare Grenze gerade hier liegen? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die Fähigkeit zu reden? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere sowie mitteilsamere Tiere als ein einen Tag, eine Woche, oder gar einen Monat alter Säugling. Aber angenommen dies wäre nicht so, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht 'Können sie denken?' oder 'Können sie reden?', sondern 'Können sie leiden?'."
Gewiss sind die allermeisten Tiere keine autonomen Personen wie gesunde erwachsene Menschen, die miteinander über Gott und die Welt diskutieren, sich zwischen Parteiprogrammen entscheiden und Autos steuern können; dies ist zwar ein Grund, Tieren kein Wahlrecht und keine Führerscheine zuzubilligen, nicht aber, ihnen gleich jede andere Form von Selbstbestimmung abzusprechen. Und gewiss trifft ein Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte mehr und flexiblere Entscheidungen als eine Ratte - aber wenn die Empfindungen beider so ähnlich sind, dass man die eine Spezies zum Wohle der Anderen qualvollen Versuchen unterzieht, muss man sie dann nicht auch moralisch annähernd gleich gewichten? Es ist widersinnig, bei Laborratten Gefühle wie Depressionen, Angst, Stress zu provozieren, um an ihnen entsprechende Psychopharmaka zu testen - im selben Atemzug aber zu behaupten, dass diese Angst, dieser Stress und diese Depressionen, kurz: das gesamte Innenleben der Ratte verglichen mit dem des Menschen nicht ins Gewicht falle.
Der medizinische Nutzen von Tierversuchen sei einmal dahingestellt;
Welche Tiere - wofür berücksichtigen?
Bis hierher sind wir in der Argumentation vorwiegend negativ verfahren, haben also die Gründe betrachtet, weswegen Tiere traditionell nicht oder kaum bei moralischen Überlegungen in Betracht gezogen oder, wie es in der Philosophie heißt: moralisch berücksichtigt werden. Diese Argumentation ex negativo ist in der Tierethik ein klassisches Verfahren. Man "erspart" sich sozusagen die Diskussion, warum es Moral überhaupt gibt, und dreht die Sachlage um: Wenn wir keine überzeugenden Gründe finden, Tiere auszuschließen, müssen wir wohl auch ihnen einen Platz in unserem moralischen Handeln einräumen. - Was ist denn nun das positive Merkmal, also die notwendige Basis für moralische Rücksicht (auf Tiere wie auf Menschen)?
In dem Zitat von Jeremy Bentham wurde das relevante Merkmal bereits angesprochen: Es besteht nicht in Intelligenz oder im Besitz einer (menschlichen) Sprache, sondern in der Leidens- oder Empfindungsfähigkeit. Zwar ist anzunehmen, dass höhere Intelligenz und Sprachbesitz Gefühle und Bewusstsein formen; aus diesem Grund wissen wir nicht, wie es sich anfühlt, ein "Ich" ohne sprachlich verfasste Gedanken zu sein.
Um den Kerngedanken mit den Worten unterschiedlicher Philosophen wiederzugeben: Entscheidend für die moralische Berücksichtigung ist, dass das Wesen über eine Art von "Innenleben" verfügt, wie Johann S. Ach meint; oder dass "es ihnen gut oder schlecht gehen kann bzw. insofern sie nach ihrem subjektiven Wohl streben" - so schreibt Ursula Wolf. Thomas Nagl formulierte einmal, es gehe um Wesen, für die es "irgendwie ist, dieser Organismus zu sein".
Nun ist das Tierreich groß, und man kann sich fragen, ob denn mit "Tieren" wirklich alle Spezies gemeint sind. Viele Menschen, zumal mit christlich geprägtem Hintergrund, ziehen eine Grenze zwischen Säugetieren und Fischen (nennen sich selbst beispielsweise Vegetarier, die Fisch äßen); eine Unterscheidung, für deren moralische Relevanz es keine Gründe gibt. Nach derzeitigem biologischen Wissen ist das Vorhandensein eines zentralen Nervensystems ein hinreichender Grund für die Annahme, dass wir es mit einem solchen empfindungsfähigen Wesen zu tun haben, also bei allen Wirbeltieren, sprich Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien.
Darüber hinaus besitzen aber auch weitere Tiere Nerven und sogar zentralisierte Nervensysteme. Das europäische Tierschutzgesetz hebt daher aus der Masse der wirbellosen Tiere zwei Ordnungen heraus, nämlich Cephalopoden (Kopffüßer, also zum Beispiel Tintenfische) und Dekapoden (Schalenkrebse). Und natürlich besitzen auch Weichtiere und Insekten Nerven und mentale und soziale Fähigkeiten. Wer E.O. Wilsons Ameisen-Studien liest oder den Bericht der Biologin Elisabeth Tova Bailey, die während jahrelanger Krankheit vom Bett aus täglich eine Schnecke beobachtete,
Zugegeben, in diesem Bereich fällt es zunehmend schwer, anhand von Analogie- und Plausibilitätsüberlegungen eine scharfe Grenze anzugeben, wo subjektive Wahrnehmung vorliegt und wo nicht. Wichtig ist festzuhalten: Zu den empfindungsfähigen und damit berücksichtigenswerten Wesen zählen auf jeden Fall sämtliche Wirbeltiere plus Cephalopoden und Dekapoden. Es kann allerdings sein, dass wir bald entweder biologische oder moralische Gründe finden werden, warum wir auch Insekten, Schnecken und weitere Tiere voll berücksichtigen müssten. Bis dahin sollten wir zumindest "vorsichtig" mit ihnen umgehen, also sie nicht quälen oder ohne Not schädigen.
Interessen, Wohl und Wünsche fair abwägen
Es war bereits so oft von "Quälen" oder "Schädigen" die Rede, dass eine grundsätzliche Bemerkung notwendig ist: Bei der moralischen Bewertung machen wir im Allgemeinen einen großen Unterschied zwischen dem aktiven Zufügen von Leid und dem bloßen Geschehen-Lassen von unverschuldetem Leiden. Ersteres wiegt moralisch ungleich schwerer. So sind wir zwar in Notsituationen, zum Beispiel bei einem Unfall, verpflichtet zu helfen; doch wir müssen nicht überall herumlaufen und jedem Menschen (und Tier) jeden Wunsch erfüllen. Subjektives Leid dagegen, das wir einem anderen Wesen zufügen, ist per se erklärungs- beziehungsweise rechtfertigungsbedürftig. An einem etwas plakativen Beispiel: Wir müssen nicht jedem Kind, das Lust auf Erdbeereis hat, eines spendieren; doch einem Kind, das an seinem Eis leckt, dürfen wir dieses nicht wegnehmen. Moralphilosophen sprechen von "positiven" versus "negativen" Pflichten.
Außer in Notwehr dürfen wir niemanden schlagen, verletzen oder töten; und diese grundsätzlichen negativen Pflichten gelten nach allem, was oben gesagt wurde, auch für Tiere. Dass es allerdings überhaupt Leid gibt auf der Welt, und Krankheit und Tod, können wir nicht ändern, und dies zu ändern ist auch nicht unsere moralische Pflicht. Wir kommen hier paradoxerweise wieder auf den Gedanken der Natürlichkeit zurück, mit dem dieser Text begann und den wir dort so vehement zurückwiesen. In einer einzigen, ganz bestimmten Form hat dieser Gedanke nämlich seine Berechtigung: Es wird immer Leid geben in dieser Welt, und jeder von uns wird daran beteiligt sein. Jemand verliebt sich in uns, wir können seine Gefühle nicht erwidern. Wir machen einen Spaziergang und treten auf einen Käfer. Wir bauen ein Haus und vertreiben Maus und Maulwurf, wir bewerben uns erfolgreich um einen Job, und ein anderer wird unglücklich sein, ihn nicht zu bekommen. Daran lässt sich leider wenig ändern.
Und so kommen wir immer wieder in die Situation, Leid zufügen zu müssen, weil unser elementares Interesse gegen das eines Anderen steht. Nun gibt in meinen Augen nur einen denkbaren Grund, warum wir Menschen in solchen Fällen eventuell gegenüber Tieren bevorzugen dürften, nämlich sozusagen aufgrund von Nähe oder Verwandtschaft.
Aber dieses Recht zur Bevorzugung gilt eben nicht unbegrenzt, nicht maßlos. Nach allem, was wir oben über die Pflicht zur moralischen Berücksichtigung von Tieren gesagt haben, kommt es nicht bereits zum Zuge, wenn ein geringfügiges menschliches Interesse gegen das vitale Interesse von Tieren steht. Das Recht zur Bevorzugung von Menschen gegenüber Tieren ist auf drastische Interessenkonflikte beschränkt, wenn also ein vitales Interesse gegen ein anderes steht. Noch weiter eingeschränkt wird die Bevorzugung durch die obige Unterscheidung zwischen positiven und negativen Pflichten.
Buchstabieren wir diese abstrakten Überlegungen einmal an zwei Beispielen aus, das erste sei die Milchwirtschaft. Milchkühe sind so stark auf Leistung gezüchtet, dass ihr Skelett Schaden nimmt; damit der Milchfluss nicht zum Stocken kommt, müssen sie immer wieder neu trächtig gemacht werden, ihre Lebensspanne ist dadurch von früher 20, 30 Jahren auf fünf, sechs Jahre verkürzt. Das Kalb, das ja die Muttermilch nicht trinken darf, kommt nach der Geburt in eine Kunststoffhütte; seine Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, und die Mutter schreit in den ersten Tagen nach ihrem Kalb. Kurz gesagt: Die beteiligten Tiere sind deutlichen körperlichen wie psychischen Schmerzen ausgesetzt und in ihrem artgemäßen Leben
Nehmen wir als zweites Beispiel einen medizinischen Tierversuch, der, hypothetisch, in der Lage wäre, uns Krankheiten zu ersparen. Weil es eben um ganz vitale Interessen von Menschen geht, könnte dies womöglich der seltene Fall sein, in dem die Nutzung von Tieren gerechtfertigt wäre - doch auch er ist es bei genauerem Hinsehen nicht. Zunächst einmal werden Tiere dafür eines eigenen artgemäßen Lebens komplett beraubt, werden in engen sterilen Käfigen gehalten, haben keine Sozialkontakte etc. Außerdem müssen wir, um das Leid der menschlichen Krankheit zu minimieren, Tieren in der Forschung ein Vielfaches dieses Leids aktiv zufügen. Und schließlich "verbrauchen" wir dabei ein Etliches an Tieren. Im Grunde ist die Überlegung ähnlich wie bei der Ablehnung der Folter: Darf man etwa einen Unschuldigen foltern, um zehn andere zu retten? Wenn nein, dann vielleicht, um 100 andere zu retten? Doch im Fall der Tierversuche verhalten sich die Zahlen sogar genau umgekehrt: Dürfen wir tausend Unschuldige foltern, um eventuell einen Anderen, der uns persönlich näher steht, zu retten? Mit Sicherheit nicht.
Dürfen wir Tiere nutzen?
Wagen wir abschließend noch eine Antwort auf die sehr grundsätzliche Ausgangsfrage: Dürfen wir Tiere für unsere Zwecke nutzen? Ich habe argumentiert, dass wir Tiere moralisch berücksichtigen müssen, insofern sie Empfindungen, Wünsche und ein individuelles Wohl besitzen; und dass wir darüber hinaus keine guten Gründe besitzen (etwa: das Tier als Maschine, der Mensch als die Krone der Schöpfung, das Recht des Intelligenteren), tierische Interessen per se den menschlichen einfach unterzuordnen. Insofern lautet die Antwort auf die Ausgangsfrage zunächst: nein.
Dann aber wurde eingeräumt, dass es Fälle von drastischen Interessenkonflikten geben kann, in denen vitale (!) menschliche Interessen gegenüber tierischen bevorzugt werden dürften. Dann hieße die Antwort: in wenigen Fällen, ja.
Doch auf die bei Weitem meisten Fälle, in denen wir Tiere nutzen, trifft dies nicht zu. Es trifft nicht auf die Vorabendserie mit dressierten Schimpansen zu und nicht für das von der Mutter isolierte Kalb, nicht für den lebendig zu Tode gekochten Hummer und nicht einmal für die Millionen von "Krebsmäusen", die laut dem Krebsforscher Richard Klausner geholfen haben, herauszufinden, "wie man Krebs bei Mäusen heilt", nicht aber bei Menschen.