Einleitung
Das demografische, politische und wirtschaftliche Zentrum Indonesiens befindet sich auf der Insel Java, die lediglich sieben Prozent der Landmasse Indonesiens ausmacht, auf der jedoch knapp über die Hälfte der etwa 240 Millionen Einwohner Indonesiens leben. Hier liegt die Hauptstadt Jakarta, eine dynamische, pulsierende Metropole schwindelerregender Gegensätze von bitterer Armut neben glitzernden Megamalls mit geschätzten 10 Millionen Einwohnern. In Jabodetabek, wie der rasant zusammenwachsende urbane Großraum der Städte Jakarta, Bogor, Depok, Tangerang und Bekasi genannt wird, wohnen über 22 Millionen Menschen. Auf Java liegen auch vier von fünf Städten Indonesiens mit über zwei Millionen Einwohnern. Über 60 Prozent des indonesischen Bruttoinlandsprodukts werden allein auf Java erwirtschaftet.
Bereits seit der niederländischen Kolonialzeit weist Indonesien eine signifikante regionale Disparität auf: Hinsichtlich demografischer Entwicklung, wirtschaftlicher Erschließung, Infrastruktur sowie im Bildungs- und Gesundheitssektor besteht ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Java als Indonesiens Zentrum und der Peripherie, den sogenannten Außeninseln. Als es im Zuge der Asienkrise 1998 zum Sturz Suhartos kam und die Ära der Reformasi, der politischen Reformprozesse, eingeleitet wurde, waren mit dem ambitionierten Projekt der politischen Neugestaltung Indonesiens gerade in den peripheren Regionen außerhalb Javas große Hoffnungen verbunden auf eine Politik, die den regionalen Unterschieden und der ethnischen Vielfalt des Vielvölkerstaates Rechnung trägt.
Dezentralisierung und regionale Autonomie nach 1998
Mit den 1999 zügig verabschiedeten und 2001 implementierten Gesetzen zur regionalen Autonomie sollte die Selbstverwaltung der Regionen gestärkt werden.
Indonesien ist reich an natürlichen Ressourcen, vor allem an Tropenhölzern, Erdöl, Erdgas, Kupfer, Kohle, Zinn und Gold. Unter Suhartos zentralistisch-autokratischem Regime waren die Bodenschätze der rohstoffreichen Provinzen in Kalimantan (der zur Indonesien gehörende Teil Borneos), Sumatra und Papua fest in der Hand von eng mit dem Suharto-Clan zusammenarbeitenden nationalen und internationalen Großkonzernen, während die lokale Bevölkerung leer ausging und vom Rohstoffreichtum ihrer Heimat nicht profitieren konnte. Hier verhieß die Neuordnung der politischen, administrativen und finanziellen Beziehungen zwischen der Zentralregierung in Jakarta und den Regionen eine stärkere Entscheidungsmacht auf lokaler Ebene und damit eine gerechtere Verteilung der Einnahmen, die nicht mehr nur dem Zentrum Jakarta und dem Ausland, sondern endlich auch der lokalen Bevölkerung und damit dem regionalen Aufbau in Indonesiens Peripherie zugutekommen sollten.
Allerdings zeigten sich schon bald erste Schattenseiten der Dynamik regionaler Ermächtigung, die mit dem Dezentralisierungsprozess in Gang gesetzt worden war. Die regionale Autonomie hat besonders der Verwaltungsebene der Distrikte (kabupaten) und Städte - an den Provinzregierungen vorbei - einen erheblichen Zuwachs an Machtbefugnissen für die lokale Selbstverwaltung übertragen. Was als Förderung lokal verantwortlicher Regierungsführung gedacht war, erwies sich in der Praxis nur allzu oft als neue Arena für den Kampf lokaler Eliten um Kontrolle über die lokalen Ressourcen.
Kutai Kartanegara: Korruption in Zeiten der Demokratisierung
Ein Beispiel für durch die regionale Autonomie ermöglichte money politics und thuggery in der Peripherie zeigen Aufstieg, Fall und Nachleben des Distriktchefs von Kutai Kartanegara in der Provinz Ost-Kalimantan, Syaukani Hasan Rais. 1948 in der Distrikthauptstadt Tenggarong geboren, machte er unter Suharto in dessen Golkar-Partei in Ost-Kalimantan Karriere. Er war, wie der "Jakarta Globe" schreibt, ein "Apparatschik par excellence" in Suhartos korruptem und autoritärem Staat der "Neuen Ordnung".
Gleichzeitig bereicherte er sich und die Seinen jedoch auf skrupellose Weise, bis die Kommission für Korruptionsbekämpfung (KPK) das Treiben stoppte: 2007 wurde er von der KPK zunächst zu zweieinhalb Jahren, 2009 vom Obersten Gerichtshof zu sechs Jahren Haft wegen Korruption und Veruntreuung von Geldern verurteilt.
Kutai Kartanegara, durch seine Bodenschätze - Öl, Erdgas, Kohle und Tropenhölzer - einer der reichsten Distrikte Indonesiens, bleibt in Zeiten der Demokratisierung fest in der Hand der lokalen Syaukani-Dynastie und ihrer oft noch auf die Suharto-Zeit zurückgehenden klientelistischen Netzwerke. Demokratisierung und Dezentralisierung haben diesem ressourcenreichen Distrikt in der Peripherie bisher weder den erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene noch eine gerechtere Verteilung der regionalen Einnahmen gebracht. Außerhalb der Distrikthauptstadt Tenggarong ist die Infrastruktur weiterhin äußerst mangelhaft. Örtliche Entwicklungsprojekte, von großen Unternehmen hauptsächlich aus der Ölindustrie gefördert, blieben durch Veruntreuung der Gelder unabgeschlossen oder wurden in derart miserablem Zustand fertiggestellt, dass sie so gut wie nutzlos waren.
Nusa Tenggara Timur: Armenhaus in der Peripherie
Die Stärkung der regionalen Autonomie konnte bisher wenig daran ändern, dass entlegene Provinzen im östlichen Indonesien wie Nusa Tenggara Timur (NTT), Gorontalo
Ein Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2009 zu den Lebensbedingungen in NTT zeichnet ein düsteres Bild.
Der UN-Bericht sieht keine Anhaltspunkte für einen Aufwärtstrend: Die Wachstumsrate der Provinz ist gering und bleibt beständig unterhalb des nationalen Durchschnitts. NTT gehört zudem zu den Provinzen mit der höchsten Korruptionsrate. Bisherige Entwicklungsprogramme der indonesischen Regierung, ausländischer Hilfsorganisationen und lokaler Nichtregierungsorganisationen konzentrierten sich zumeist auf einen bestimmten Sektor, etwa den Gesundheitsbereich. Diese sektorialen Interventionen haben gerade in den bitterarmen, isolierten ländlichen Regionen bisher wenige langfristige Erfolge vorzuweisen.
Die Gründe hierfür liegen vor allem im fehlenden Verständnis der lokalen Bevölkerung für Konzepte marktwirtschaftlichen Handelns und sich selbst erhaltende Organisationen zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Die lokale Landwirtschafts- und Gesundheitspraxis ist noch stark in überlieferten Weltanschauungen und traditionellen Ritualzyklen verankert. Auch ein Gesundheits- und Hygienebewusstsein ist im Alltag noch wenig ausgeprägt und trägt zur weiterhin hohen Müttersterblichkeit von 306 Frauen pro 100000 Geburten bei, die deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt.
Palmölboom und Umweltprobleme
Im Gegensatz zu den von Überbevölkerung gekennzeichneten Hauptinseln Java, Bali und Madura sind die "Außeninseln" zu großen Teilen vergleichsweise spärlich besiedelt. Das ursprünglich auf die niederländische Kolonialzeit zurückgehende Projekt der Transmigration, mit dem Menschen aus dem Kernland auf noch kaum erschlossenen Inseln angesiedelt werden, wurde Anfang der 1970er Jahre wieder aufgenommen.
Heute wird die Arbeitskraft der Transmigranten vornehmlich in die Plantagen- und Bergbauindustrie eingebunden. Die neuen Großprojekte der Palmöl- und Kautschukplantagen und des Abbaus von Bodenschätzen haben jedoch zu einer weiteren Verschärfung der Probleme, die durch großflächige Entwaldung ganzer Regionen entstehen, beigetragen. Schon die Transmigrantensiedlungen unter Suharto waren für die zunehmende Abholzung der Regenwälder verantwortlich gemacht worden, der derzeitige Palmölboom hat die Situation jedoch noch einmal verschärft.
Die indonesischen Tropenwälder, vor allem auf Sumatra, Kalimantan und Papua gelegen, sind nach den brasilianischen Urwaldgebieten die zweitgrößten der Erde. Doch Indonesien weist auch die höchste Entwaldungsrate auf. Die ostsumatranische Provinz Riau ist dem World Wide Fund for Nature (WWF) zufolge das "Entwaldungszentrum von Indonesien": 1982 waren noch 78 Prozent der Provinzfläche mit Tropenwald bedeckt, 2009 nur noch 27 Prozent.
Mit dem UN-Programm "Reduction of Emissions from Deforestation and Degradation" (REDD) soll den Entwicklungsländern geholfen werden, ihre für das globale Klima so entscheidenden Regenwälder zu schützen und die Treibhausgasemissionen zu senken. REDD sieht vor, dass Länder wie Indonesien für den Verzicht auf Abholzung ihrer Wälder von den Industrienationen Entschädigungen erhalten. Es bleibt allerdings fraglich, ob das Programm tatsächlich dazu beitragen kann, den Holzeinschlag signifikant zu verringern. Gerade die Palmölindustrie ist ein höchst lukrativer Wachstumsmarkt und schafft dringend benötigte Arbeitsplätze in Indonesiens Peripherie, vor allem für Kleinbetriebe in ländlichen Gegenden lohnt sich der Anbau von Ölpalmen. Indonesien ist inzwischen weltgrößer Produzent von Palmöl, weitere Großprojekte sind geplant.
Die Dezentralisierung und Stärkung der regionalen Autonomie wirkt sich angesichts der drängenden Umweltprobleme als Hindernis für eine klare, konsequent an internationalen Umweltabkommen orientierte nationale Politik aus. Da nun auch die Lokalregierungen bis zu einem gewissen Grad eigenmächtig Konzessionen für Plantagen, Holzeinschlag und Bergbau vergeben können, hat sich die Lizenzvergabe zu einem für regionale Eliten profitablen und von der Zentralregierung kaum zu kontrollierenden Geschäft entwickelt. Gleiches gilt für Geschäfte aus dem illegalen Holzgeschäft, das seit der Dezentralisierung ebenso einen Aufschwung erlebt hat. Die Durchsetzung der geltenden Gesetze und Strafverfolgung ist als mangelhaft zu bezeichnen, nicht nur aufgrund der weitverbreiteten Korruption, sondern auch, weil im Zuge der Dezentralisierung vielerorts noch Unklarheit über die jeweilige Rechtslage und die Frage nach lokaler oder nationaler Zuständigkeit herrscht. Das öffnet eigenmächtigem Handeln der lokalen "Könige" und einflussreichen Großunternehmern Tür und Tor. Konzessionen für großflächigen Abbau von natürlichen Ressourcen werden zwar weiterhin von der Zentralregierung vergeben, aber die lokalen Autoritäten sind befugt, unabhängig von den Provinzregierungen Lizenzen für kleinere und befristete Projekte zu erteilen. Das hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre Konzessionsanträge unterteilen und für jeweils mehrere kleinere Gebiete stellen, um so innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Distriktebene zu bleiben.
Ungeklärt ist die Rechtslage auch, was die traditionellen Landrechte lokaler Bevölkerungsgruppen angeht. Hier stehen sich nationales Recht einerseits und traditionelles Gewohnheitsrecht (adat) vieler indigener Ethnien andererseits gegenüber. Im Zuge von Holzeinschlag und großflächiger Umwandlung von Waldgebieten in Palmöl- und Kautschukplantagen wird den indigenen Bevölkerungsgruppen ihr traditionell genutztes Land genommen und ihr Lebensraum zerstört.
Papua: Peripherie im Zentrum globaler Dynamiken
In der im Osten Indonesiens gelegenen Provinz Papua zeigt sich die komplexe Problematik zwischen Zentrum und Peripherie auf extreme Weise. Papua gehört einerseits zu den ressourcenreichsten Gebieten Indonesiens, andererseits war es 2011 die Provinz mit der höchsten Armutsrate, nämlich 31 Prozent (nationaler Durchschnitt: 12,3 Prozent).
Das Unternehmen PT Freeport Indonesia im Hochland Papuas gehört zum amerikanischen Konzern Freeport McMoRan Copper & Gold.
Das an Indonesiens östlichster Peripherie gelegene Papua, auch ethnisch denkbar weit vom javanischen Zentrum entfernt, erfährt die Machtausübung der Zentralregierung auf besonders drastische Weise. Gleichzeitig zeigen sich transnationale Interessensverflechtungen, die in Zeiten der Globalisierung über Indonesien hinaus auf ganz andere Zentren hinweisen, nämlich die westliche Welt, in der internationale Großkonzerne ihren Sitz haben, sowie die internationale Öffentlichkeit, an die mit indigenen Papuas zusammenarbeitende westliche Menschenrechts- und Umweltorganisationen appellieren.
Ausblick
Auch ein Jahrzehnt nach der konsequent durchgesetzten Demokratisierung und Dezentralisierung zeigt eine Bestandsaufnahme der Entwicklungen ein zwiespältiges Bild. Obgleich die regionale Autonomie besonders den Distrikten zuvor undenkbare Möglichkeiten der Selbst- und Mitbestimmung gegeben hat, geht doch vielerorts der in den vergangenen Jahren zu verzeichnende wirtschaftliche Aufschwung (2011 betrug das Wachstum 6,5 Prozent)
Dezentralisierung geht nicht unbedingt automatisch einher mit Demokratisierung und verantwortlicher Regierungsführung. Der zuvor im Zentrum ausgetragene Machtkampf um Ressourcen ist nun unter den lokalen Eliten in den regionalen Zentren der Peripherie entbrannt. Korruption, Kollusion und politisch motivierte Gewalt - einst fest in der Hand der Zentralregierung - haben sich dezentralisiert und eine nur schwer zu kontrollierende Eigendynamik entwickelt. Ob es der Zentralregierung in Jakarta gelingen wird, eine Entwicklung zu fördern, die den wirtschaftlichen Aufschwung mit nachhaltigem Umweltschutz und gesamtgesellschaftlicher sozialer Gerechtigkeit verbindet, bleibt abzuwarten.