Skandal und Konflikt: Deutsch-türkische Themen | 50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei | bpb.de

Aus Politik und Zeitgeschichte

Skandal und Konflikt: Deutsch-türkische Themen

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Deutsch-türkische Themen waren stets von Skandalisierungen geprägt. Diese verstellten den Blick auf die Mechanismen von Integrationsprozessen. Es gilt, Probleme anzusprechen, Fortschritte und Chancen wahrzunehmen.

Einleitung

Die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Mitte der 1950er Jahre stieß Wanderungsprozesse an, die eine starke Eigendynamik entfalteten. Die Bundesregierungen waren über Jahrzehnte nur sehr eingeschränkt in der Lage, diese Prozesse zu steuern. Die Westdeutschen standen dabei von Beginn an einer dauerhaften Zuwanderung skeptisch bis ablehnend gegenüber. Unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Niederlassungen von ausländischen Arbeitnehmern und ihrer Familien boten ausreichende Ansatzpunkte für journalistische und politische Skandalisierung.

Die türkische Gruppe als größte unter den "Gastarbeitern" hatte sich in zahlreichen Städten eine eigenethnische Infrastruktur geschaffen und war damit die "sichtbarste" Gruppe. Die ethnische Grenzziehung ist hier am stärksten ausgeprägt, auch im Vergleich zu anderen Zuwanderergruppen wie etwa Italienern. 17 Prozent der westdeutschen und 21 Prozent der ostdeutschen Befragten gaben 2006 in der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) an, sie sähen große kulturelle Unterschiede zu den Italienern, 70 Prozent hingegen zu den Türken. Zur Auflösung der Fußnote[1] Die soziale Distanz ihnen gegenüber ist besonders stark ausgeprägt. Zur Auflösung der Fußnote[2]

Umgekehrt geben türkischstämmige Personen an, alltägliche Diskriminierungen und Ausländerfeindlichkeit als persönliches Problem häufiger zu erleben als andere Gruppen. Zur Auflösung der Fußnote[3] Auch die Wahrnehmung von Türken in den öffentlichen Debatten (wie beispielsweise ihre oftmals thematisierte Konzentration in einzelnen Stadtteilen oder die aus der Türkei "mitgebrachten" türkisch-kurdischen Konflikte) ist von Medienkonjunkturen bestimmt. Zu Beginn der 1960er Jahre wurden "Gastarbeiter" zunächst in ihrer wirtschaftlichen Funktion wahrgenommen. Unterschiedslos nannte man sie "Südländer", welche die "Völkerwanderung zu Westdeutschlands Lohntüten" angetreten hatten. Zur Auflösung der Fußnote[4] Es vergingen Jahre, bis die nationale Herkunft als Kategorie entdeckt wurde, Zur Auflösung der Fußnote[5] wobei "den Türken" oder anderen "Gastarbeitern" jeweils bestimmte Eigenschaften zugeschrieben wurden. Türkische Arbeiter galten als diszipliniert, anspruchslos und arbeitswillig. Zur Auflösung der Fußnote[6] In den Medien wurden sie als ",sauber', 'geschickt', 'traditionsgebunden' und 'bescheiden'" dargestellt. Zur Auflösung der Fußnote[7] Die Berichterstattung war in den 1960er Jahren geprägt von Paternalismus und einem Bild der "Gastarbeiter" als Menschen aus vormodernen Gesellschaften, "rückschrittlich", aber "unverdorben". Zur Auflösung der Fußnote[8] Die Hoffnungen derjenigen, die sich in der Türkei anwerben lassen wollten, auf eine wirtschaftliche Verbesserung der eigenen Lage waren oft ebenso unrealistisch wie ihre Vorstellungen von Deutschland. Zur Auflösung der Fußnote[9]

Die ausländischen Arbeitskräfte konnten aufgrund ihrer niedrigen Qualifikationen, Zur Auflösung der Fußnote[10] der relativ hohen Ausgaben, welche die Zuwanderung verursachte, und des Willens, in kürzester Zeit so viel Geld wie möglich zu verdienen, nicht wählerisch bei der Wahl des Arbeitsplatzes sein. Sie nahmen daher ungünstige Arbeitsbedingungen eher in Kauf als Einheimische. 73 Prozent der angeworbenen türkischen Arbeitnehmer reisten zwischen 1968 und 1973 ein Zur Auflösung der Fußnote[11] - und wurden auf Wohnungen und Arbeitsplätze verwiesen, welche die vor ihnen gekommenen "Gastarbeiter" nicht eingenommen hatten. Zur Auflösung der Fußnote[12]

Auch waren leistungssteigernde Lohnformen (wie Akkord- und Prämienlohn) bei "Gastarbeitern" wesentlich stärker verbreitet als bei deutschen Arbeitern. Das gleiche galt für Schicht- und Nachtarbeit. Zur Auflösung der Fußnote[13] Bedingungslose Leistungsbereitschaft und Unverständnis gegenüber den Organisationsformen industrieller Produktionsweisen waren ein wesentliches Moment dafür, dass ein negatives Klima zwischen deutschen und türkischen Arbeitern entstand: "Gerade bei den aus vorkapitalistischem Milieu stammenden türkischen Arbeitern und Arbeiterinnen wirkt der Akkordlohn besonders leistungssteigernd. Es gab vor allem in der Anfangsphase der Anwerbung von Türken häufige Klagen der deutschen Arbeitskollegen darüber, dass die Türken beim Auftauchen eines Zeitnehmers an ihrem Arbeitsplatz 'wie verrückt arbeiten' und dadurch die Akkordsätze verderben. Unter anderem hat in den Betrieben gerade dieses Verhalten zu einer starken Abneigung gegen die Türken geführt." Zur Auflösung der Fußnote[14]

Die Konfrontation mit der Wirklichkeit (wie niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, miserable Unterkünfte) führte auch zu Arbeitskämpfen und Konflikten. Beispiele sind die Streiks im Jahr 1962 in Duisburg-Hamborn und Essen, beim Industrietraktorenwerk Deere-Lanz in Mannheim, bei den Automobilzulieferern Karmann in Osnabrück oder Hella in Lippstadt und Paderborn. Erhebliche Aufmerksamkeit fand der "Türkenstreik" bei Ford in Köln-Niehl im August 1973. Zur Auflösung der Fußnote[15]

Dort waren inzwischen rund 12000 türkische Arbeitnehmer beschäftigt, ein Drittel der Belegschaft. "Wie überall, wurden diese Menschen für die am schlechtesten bezahlten und am meisten gesundheitsschädlichen Arbeiten eingesetzt." Zur Auflösung der Fußnote[16] Schlechte Arbeitsbedingungen sowie die fristlose Entlassung von 300 türkischen Arbeitnehmern (weil sie zum zweiten Mal verspätet aus ihrem vierwöchigen Türkei-Urlaub zurückgekehrt waren, ohne ein ärztliches Attest vorlegen zu können) waren die Ursachen. Werksbesetzungen und gewalttätige Auseinandersetzungen hatten deutlich werden lassen, dass das Geschehen sowohl dem Betriebsrat als auch der IG Metall aus dem Ruder gelaufen war - es kam auch nicht zur Solidarität zwischen den "Gastarbeitern" und den einheimischen Arbeitnehmern. Diese Konflikte trugen dazu bei, dass sich das Bild des "Gastarbeiters" im Allgemeinen und des türkischen Arbeitnehmers im Besonderen in der Öffentlichkeit verschlechterte. Zur Auflösung der Fußnote[17]

Kettenwanderungen und das Problem der ethnischen Kolonien

Die Art der Wanderung - Einzel- oder Kettenwanderung - hat einen wesentlichen Einfluss auf Motive und Erwartungen von Migrantinnen und Migranten und damit auf deren Integrationsverhalten. Einzelwanderer müssen sich sehr viel intensiver auf die Aufnahmegesellschaft einlassen und mit ihr auseinandersetzen als Gruppenwanderer, die darauf vertrauen können, im Aufnahmeland (zumindest für eine Übergangszeit) auf Netzwerke zurückgreifen zu können.

Als Ergebnis dieses Prozesses entstehen "ethnische Kolonien", Zur Auflösung der Fußnote[18] die ambivalente Auswirkungen haben: Zum einen mindert die Gemeinschaft mit Landsleuten den Umstellungs- und Anpassungsstress, zum anderen kann sich die ethnische Kolonie negativ auswirken auf die Entstehung von Kontakten zur Aufnahmegesellschaft. Ethnische Konzentration wird dann zum Problem, wenn sich ethnische und soziale Probleme überlappen, wenn sich Armutsviertel verfestigen und ethnische Kolonien nicht mehr Durchgangsstationen, sondern Sackgassen sind.

Besonders für die türkische Zuwanderung war die Kettenwanderung von großer Bedeutung. Dies erklärt sich einerseits aus einer spezifischen Entsendepolitik der damaligen türkischen Regierungen: Bevorzugt wurden Personen aus Regionen, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden waren, sowie aus ländlichen Regionen. Wichtiges Kriterium waren die zu erwartenden Rücküberweisungen in die jeweiligen Regionen. Zur Auflösung der Fußnote[19]

Eine zweite Erklärung liegt in der überwiegend ländlichen Herkunft der türkischen "Gastarbeiter": Sie sind grundsätzlich stärker in Netzwerke und größere Familienverbände eingebunden als Zuwanderer aus städtischen Regionen. Damit sind erstere auch höherem Erwartungsdruck ausgesetzt, für die im Herkunftsland Verbliebenen Unterstützung zu leisten (wie Aufenthalts-, Beschäftigungs-, Wohnmöglichkeiten, finanzielle Transfers).

Unter den verschiedenen "Gastarbeiter"-Gruppen hatten die Türken den größten sozialen Sprung aus ihrer heimatlichen Welt nach Westdeutschland gemacht. Die Lebensverhältnisse der "Gastarbeiter" und ihrer Nachkommen in Deutschland waren zwar äußerst bescheiden, im Vergleich zur Situation in der Türkei waren sie jedoch nicht dazu angetan, die einmal vollzogene Niederlassung in Deutschland aufzugeben und sich in die politisch instabilen Verhältnisse in der Heimat mit einer außer Kontrolle geratenen Inflationsrate zu reintegrieren. Auch Sozialleistungen, soziale Infrastruktur und der Standard der medizinischen Versorgung machten das "Gastland" attraktiv.

Während der Anteil der Ausländer aus den Staaten der Europäischen Gemeinschaft zwischen 1974 und 1980 nahezu gleich blieb (rund 21 Prozent), erhöhte sich der Anteil der türkischen Staatsangehörigen hingegen von 25 auf 33 Prozent. Bei den unter 15-Jährigen stieg der türkische Anteil von 31 Prozent im Jahr 1974 auf 46 Prozent im Jahr 1980. Zur Auflösung der Fußnote[20]

Die Quantität erforderte somit auch eine neue Qualität der Integrationspolitik. Deutlich machte dies 1982 Wolfgang Bodenbender, damaliger Ministerialdirektor im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Die Zahl der Türken, so rechnete er vor, "erhöhte sich zwischen 1979 und 1981 allein um rund 280000 oder 22 Prozent auf rund 1,5 Millionen. Der gesamte Zuwanderungsüberschuss in diesem Zeitraum beruht allein auf Einreisen aus der Türkei. (...) Mit einem Anteil von einem Drittel an allen hier lebenden Ausländern dominiert mit den Türken nunmehr eine Bevölkerungsgruppe, bei der die Integrationsbarrieren aus vielfältigen Gründen besonders hoch sind. (...) Diese Entwicklungstendenz macht das Ausmaß der Integrationsprobleme deutlich, vor denen unsere Gesellschaft steht." Zur Auflösung der Fußnote[21]

Bereits 1968 verfügten knapp zwei Drittel von ihnen über privaten Wohnraum (die meisten waren vorher in Heimen und Unterkünften für "Gastarbeiter" untergebracht), 1977 waren es 97 Prozent der Ausländer in Deutschland. Der Familiennachzug hatte diese Entwicklung noch beschleunigt. Wohnungen außerhalb der betriebseigenen Unterkünfte wurden meist von Landsleuten vermittelt, kaum durch Inserate oder Makler. Bei den Wohnungen handelte es sich nicht selten um sanierungsbedürftige oder gar abbruchreife Altbauten in den Stadtkernen, die für die einheimische Bevölkerung im Zuge eines sich entspannenden Wohnungsmarkts unattraktiv geworden waren. Häufig wurden die ausländischen Arbeitnehmer in der Umgebung der sie beschäftigenden Betriebe untergebracht (wie etwa in Duisburg-Marxloh und Hamburg-Wilhelmsburg).

Für die Unternehmen war diese betriebsnahe Unterbringung von Vorteil, für die Kommunen bedeutete dies allerdings, dass sie mit den mittel- und langfristigen Problemen solcher Konzentrationen fertig werden mussten. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre zeichnete sich daher eine räumliche Konzentration der "Gastarbeiter" in den Städten ab. Pointiert hieß das: "Je mehr schlechte und alte Wohnungen es in einem Gebiet gibt, desto höher ist die Türkenquote." Zur Auflösung der Fußnote[22]

In den 1960er Jahren war die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer von politischer Seite als ein "gutes Geschäft" für die Bundesrepublik dargestellt worden. Schließlich seien die Ausbildungskosten vom Herkunftsland getragen worden und die "Gastarbeiter" zahlten Sozialversicherungsbeiträge wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Aufgrund ihres niedrigen Durchschnittsalters, ihrer Gesundheit und körperlichen Belastbarkeit (alle Arbeiterinnen und Arbeiter mussten sich vor ihrer Einreise nach Deutschland ärztlich untersuchen lassen) und der damals nicht vorstellbaren Arbeitslosigkeit waren entsprechende Auszahlungen hingegen nicht zu befürchten. Zur Auflösung der Fußnote[23] Erst gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wurde die Lage der "Gastarbeiter" zunehmend problematisiert. Der Niederlassungsprozess mit seinen Auswirkungen auf die kommunale Infrastruktur (wie Wohnungsmarkt, Kindergärten, Schulen) wurde spürbarer, das "Ausländerproblem" zum Topos. Zur Auflösung der Fußnote[24] Die Rede war vom drohenden "Getto" und vom "Slum". Zur Auflösung der Fußnote[25]

An den Grenzen der Aufnahmefähigkeit?

Die Befürchtung, der einmal in Gang gesetzte Wanderungsprozess werde unbeherrschbar und zeitige bereits schwerwiegende Folgen, artikulierte unter anderem der damalige Chefredakteur der "Zeit" Theo Sommer am 6. April 1973 in dem Aufmacher "Nigger, Kulis oder Mitbürger? Unser Sozialproblem Nr. 1: die Gastarbeiter": "Allein in der Türkei warten 1,2 Millionen Menschen auf einen westdeutschen Arbeitsvertrag. Proletarier aller Länder vereinigen sich auf dem Boden der Bundesrepublik. (...) Auf der anderen Seite ist unsere Aufnahmefähigkeit in der Tat nicht uferlos. Wir müssen den weiteren Zustrom ausländischer Arbeiter drosseln, mindestens kanalisieren, wenn wir nicht sehenden Auges das Risiko eingehen wollen, daß in immer mehr Ballungsräumen, in immer mehr Altstädten, schließlich in immer mehr Dörfern fremdländische Gettos entstehen; daß ein neues Subproletariat hoffnungslos hinter dem zurückbleibt, was wir als menschenwürdig betrachten. Zur Auflösung der Fußnote[26]

Die türkische Gruppe erfuhr in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die meiste Aufmerksamkeit seitens der Printmedien, obwohl sie damals noch nicht die größte Gruppe der ausländischen Arbeitnehmer bildete. Im Juli 1973, wenige Monate vor dem Anwerbestopp, titelte "Der Spiegel": ",Die Türken kommen, rette sich wer kann'" Zur Auflösung der Fußnote[27] Beschrieben wurde eine Welt, die gekennzeichnet sei durch orientalischen Singsang, fremde Speisen, Familienverbände und "deutsch-orientalischen Dissens in Hygienefragen" - oder wie es in einer Bildunterschrift hieß: "Türken in der Bundesrepublik: Zuspruch von der Sippe, Schafshoden vom Grill."

In den 1970er Jahren setzte auch eine Debatte darüber ein, was geschehen sollte, wenn die "Gäste" nicht gehen wollten. Im Zentrum der Debatten standen dabei bis in die 1980er Jahre hinein die Topoi von der "Begrenzung", der "Rückkehrfähigkeit" und der "Integration". Die deutsche Ausländerpolitik setzte viele Jahre auf die Bewahrung der "kulturellen Identität" von Zuwanderern und ignorierte, dass sich Identitäten insbesondere in Wanderungsprozessen wandeln. Lag bei den einen eine romantisierende Vorstellung der jeweiligen Herkunftsidentitäten vor, wollten die anderen damit vor allem die "Rückkehrfähigkeit" der "Gastarbeiter" erhalten.

Mitgebrachte Konflikte

Auch die politische und gesellschaftliche Polarisierung in der Türkei spiegelte sich in Westdeutschland wider. Zur Auflösung der Fußnote[28] In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nahmen die Konflikte zwischen türkischen Rechts- und Linksextremisten in Deutschland zu und fanden zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit. Das galt naturgemäß in erster Linie für die Verfassungsschutzberichte des Bundes, in denen stets darauf hingewiesen wurde, dass "der ganz überwiegende Teil dieser Ausländer Recht und Verfassung der Bundesrepublik Deutschland respektiert und dass sich nur eine ganz geringe Minderheit als Mitglieder oder Sympathisanten extremistischer Organisationen oder Gruppen angeschlossen haben". Zur Auflösung der Fußnote[29] Die Mitgliederzahl türkischer extremistischer Organisationen war von 6400 (1974) über 11700 (1976) und 36800 (1978) auf 58000 (1979) gestiegen. Zu den gewalttätigen Aktionen zählten Brandanschläge auf diplomatische Vertretungen der Türkei sowie gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen türkischen Rechts- und Linksextremisten.

Lag der Schwerpunkt der Aktivitäten zunächst im Linksextremismus, nahmen seit Ende der 1970er Jahre rechtsextremistische und extrem nationalistische Aktivitäten zu, wobei islamistische Orientierungen (wie die Nationale Heilspartei, MSP) dazu gerechnet und noch nicht eigenständig als "Islamismus" wahrgenommen wurden. Die Konflikte eskalierten, so dass 1979 und 1980 vier Todesopfer verzeichnet wurden sowie 14 gewalttätige Ausschreitungen türkischer Extremisten, bei denen mindestens 20 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Zur Auflösung der Fußnote[30]

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre ging die Zahl türkischer Linksextremisten in Deutschland zurück, die Zahl der Rechtsextremisten stagnierte. 1983 verbot der Bundesinnenminister die Organisation Devrimci Sol (DEV SOL), "Revolutionäre Linke", die als besonders militant galt. Zur Auflösung der Fußnote[31] Den darauffolgenden Protesten schlossen sich auch westdeutsche "Neue Linke" an. Im Verfassungsschutzbericht 1984 wurde erstmals in einer eigenen Rubrik über "Islamische Extremisten" unter der türkischen Gruppe berichtet, darunter von der "Islamischen Union Europa", die der inzwischen verbotenen MSP zugerechnet wurde. Zur Auflösung der Fußnote[32]

Mitte der 1980er Jahre trat die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zunehmend ins öffentliche Bewusstsein, 1984 wurden im Verfassungsschutzbericht in der Rubrik "Türkische Kurden" erstmals Berichte dazu veröffentlicht. Zur Auflösung der Fußnote[33] Die Veranstaltungen der PKK (vor allem zum kurdischen Neujahrsfest Newroz) fanden immer stärkeren Zulauf. 1987 leitete der Generalbundesanwalt ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ein, 1988 erhob er Anklage gegen Mitglieder der PKK wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Im November 1993 verfügte das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot gegen die PKK sowie ihre Teilorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK).

Repressionen gegen Abweichler (bis hin zum Mord), Zur Auflösung der Fußnote[34] Zwangsrekrutierungen für den militärischen Kampf, Spendengelderpressungen, Zur Auflösung der Fußnote[35] Anschläge auf türkische Einrichtungen, Autobahnblockaden, schwerverletzte Polizeibeamte und Verbindungen zum Drogenhandel Zur Auflösung der Fußnote[36] machten das Thema PKK Mitte der 1990er Jahre zu einem Top-Thema auch der deutschen Medien. In der "Terrorpartei", so "Der Spiegel" 1996, spielten sich "Szenen archaischer Brutalität" ab, wenn es um Dissidenten oder zahlungsunwillige Landsleute gehe. Zur Auflösung der Fußnote[37] So solidarisierte sich Günter Wallraff öffentlich mit Selim Çürükkaya, einem ehemaligen Führungskader der PKK, der sich mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan überworfen hatte, von ihm inhaftiert und zum Tode verurteilt worden war. Zur Auflösung der Fußnote[38]

Die Haltung zur PKK spaltete auch die deutsche Linke. Das brutale Vorgehen des türkischen Militärs gegen Kurden in der Türkei sowie die diskriminierende Politik der türkischen Regierung führten dazu, dass sich Teile der Linken mit den Kurden solidarisierten und die PKK aktiv unterstützen. Zur Auflösung der Fußnote[39]

Vom "Gastarbeiter" zum Moslem

Waren es bis in die 1980er Jahre vorwiegend linke und rechte türkische Gruppen, die sich durch Demonstrationen und Infostände, Plakate und Parolen an Häuserwänden bemerkbar machten, so prägten seitdem religiöse Gruppen mit ihren Ausdrucksformen und Symbolen einzelne Stadtviertel. "Über die religiösen Gruppen (...) tauchen dauerhaft präsente Minarette, Moscheen, Kopftücher und der Gebetsruf auf, die den sozialen Raum symbolisch verändern und besonders von den deutschen Alteingesessenen in ihren vertrauten Orten als Herausforderung interpretiert werden." Zur Auflösung der Fußnote[40]

Die Begegnung mit den Zuwanderern nahm eine andere Qualität an - Distanz und Fremdheit wurden auch durch diesen Strukturwandel innerhalb der türkischen Gemeinschaft verstärkt, obwohl er unübersehbar eine deutliche Hinwendung zur deutschen Gesellschaft signalisierte.

Die Ursachen für das Sichtbarwerden des Islams in Deutschland beschreibt Nina Clara Tiesler mit den Stichworten "Krisen, Kinder, Krieg der Verse". Zur Auflösung der Fußnote[41] Wirtschaftliche Krisen (wie die Erdöl-Krise 1973) ließen westeuropäische Regierungen die Anwerbungen stoppen. Jene Ausländer, denen nach einer Ausreise keine Rückkehrmöglichkeit mehr offenstand und die in ihren Heimatländern keine positiven Perspektiven sahen (wie aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien), sahen sich - gleichsam als unbeabsichtigte Nebenwirkung des Anwerbestopps - veranlasst, ihre Familien nachzuholen.

Hinzu kamen außenpolitische Ereignisse wie die islamische Revolution im Iran 1979 oder die Rushdie-Affäre 1989 in Großbritannien, die eine Rückkehr in die Heimatländer unmöglich machten.

Verständnis von Integrationsprozessen

Gegenüber den türkischen "Gastarbeitern" wurde schon früh eine "kulturelle Distanz" behauptet und in den Vordergrund gestellt. Die öffentliche Debatte zu Fragen der Integration krankt bis heute daran, dass es an einem Verständnis für grundlegende Mechanismen und Abläufe von Integrationsprozessen mangelt - etwa mit Blick auf die Rolle der Gruppengröße, der Bedeutung des Wohnungsmarkts, des negativen Zusammenhangs von ethnisch-sozialen Konzentrationen im Wohn- und Schulumfeld und des Erwerbs der Sprache des Aufnahmelandes.

Der Sozialwissenschaftler Hartmut Esser hatte bereits 1983 darauf hingewiesen, dass es keines Rückgriffs auf spezifische kulturelle Eigenschaften bedürfe, um etwa das Integrationsverhalten der türkischen Gruppe zu erklären. Zur Auflösung der Fußnote[42] Doch von zahlreichen Medien (und Politikern) wurde (und wird nach wie vor) eher auf Skandalisierung als auf sachliche Analyse gesetzt. Probleme ansprechen, Fortschritte und Chancen wahrnehmen: Integrationspolitischer Realismus ist nötiger denn je.