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Volksabstimmungen: Illusion und Realität | Demokratie und Beteiligung | bpb.de

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Volksabstimmungen: Illusion und Realität

Wolfgang Merkel

/ 20 Minuten zu lesen

Volksabstimmungen sind im Kern ein Instrument für die mittleren und oberen Schichten unserer Gesellschaft: Nicht "mehr", sondern "weniger" Demokratie würde gewagt werden.

Einleitung

In Paris brannten 2005 die Vorstädte. Sechs Jahre später rebellieren in London Immigranten und Marginalisierte mit eruptiver Gewalt gegen ihre Ausgrenzung von Gesellschaft, Wohlstand und Lebenschancen. In Griechenland protestieren große Teile der Bevölkerung gegen ein Spardiktat, das ihnen internationale Finanzinstitutionen und die eigenen politischen Eliten aufzwingen. In Stuttgart gehen gut situierte Bürgerinnen und Bürger gegen "öffentliche Verschwendung" und die Arroganz einer sich unangreifbar wähnenden Landesregierung auf die Straße. In Madrid besetzen "Empörte" die öffentlichen Plätze und wollen "das System" zur Rechenschaft ziehen. So unterschiedlich Anlässe, Motive und soziale Herkunft der Protestierenden auch sein mögen, ein gemeinsamer Zusammenhang könnte sich aus den Ursachen ergeben: Bürgerinnen und Bürger fühlen sich zunehmend weniger ernst genommen und in ihren Interessen repräsentiert. Auch wenn daraus nicht umstandslos auf eine allgemeine Krise der repräsentativen Demokratie geschlossen werden kann, könnten die Proteste doch die zunehmend krisenhafte Signatur der "demokratischen Repräsentation" vorzeichnen und Ausdruck der Forderung nach mehr unmittelbaren Beteiligungs- und Entscheidungsrechten sein.

Liest man kritisch die theoretisch dünne wie empirisch dürftige Krisendiagnostik postdemokratischer Pauschalierung, mag man ihr mit guten Gründen nicht folgen. Die Behauptung, der demokratische Moment westlicher Demokratien habe in den 1940er oder 1950er Jahren gelegen und die entwickelten Gesellschaften näherten sich auf dem Weg in die Postdemokratie wieder vordemokratischen Zuständen an, ist ebenso kühn wie historisch falsch: In Deutschland wurden Frauen bis in die 1960er Jahre hinein die vollen bürgerlichen Rechte vorenthalten, in der Schweiz durften sie nicht einmal wählen, und in den Parlamenten der meisten westlichen Demokratien waren sie hoffnungslos unterrepräsentiert. In den Südstaaten der USA wurden Afroamerikaner zu jener Zeit "Nigger" genannt, und die weiße Mehrheitsgesellschaft schloss sie in rassistischer Konsequenz vom Wahlrecht aus. Homosexualität wurde nicht nur politisch und gesellschaftlich diskriminiert, sondern in Deutschland und anderswo strafrechtlich verfolgt. In den 1950er und 1960er Jahren lag die spezifische Schwäche der Demokratien weniger im Bereich der Partizipation als in der Sphäre der Bürgerrechte.

Wer die erheblichen Positionsgewinne von Frauen und ethnischen wie sexuellen Minderheiten nicht ernsthaft in die Gesamtdiagnose einbezieht, desavouiert seine Diagnose. Es kann überhaupt keinen vernünftigen Zweifel daran geben, dass die meisten westlichen Demokratien heute eine weit höhere Qualität aufweisen als ihre Vorgänger vor fünfzig Jahren. Eine differenzierte Analyse würde indes ergeben, dass ihre Entwicklung von Ungleichzeitigkeit geprägt ist: Den erwähnten erheblichen Verbesserungen stehen besorgniserregende Entwicklungen insbesondere im Bereich der politischen Partizipation und Repräsentation entgegen. Stehen die repräsentativen Institutionen unter Druck, taucht mit schöner Regelmäßigkeit die Forderung nach mehr "direkter Demokratie" auf. Auch wenn diese weit mehr als Volksinitiativen, Volksentscheide und Referenden umfasst, kapriziert sich vor allem hierzulande die öffentliche Debatte besonders auf diese, so etwa im Zusammenhang der Proteste in Stuttgart. Was ist dran an der Forderung, die notleidenden Organisationen und Institutionen der repräsentativen durch Elemente der direkten Demokratie zu ergänzen oder bei einzelnen Entscheidungen gar zu ersetzen? Kann "direkte Demokratie" eine heilkräftige Medizin ohne Nebenwirkungen sein?

Die historische Debatte

Volksabstimmungen werfen eine "Prämie für Demagogen" ab, argumentierte Theodor Heuss unter dem Eindruck der Erfahrungen des "Dritten Reichs" und der Weimarer Republik. Der Historiker und Publizist Michael Stürmer sprach noch im Jahr 2000 von einem "Fest für Demagogen". Letzteres nimmt keine Notiz von der modernen Forschung zu Referenden und Volksabstimmungen. Im Lichte dieser neueren Forschung ist das altliberale und konservative Argument nicht mehr haltbar, dass Referenden zur Polarisierung der Gesellschaft führen und die Demokratien destabilisieren. Dies war weder in Weimar der Fall, noch gibt es dafür Anhaltspunkte in den referendumsoffenen Demokratien Italiens, Kaliforniens oder der Schweiz. Theoretisch wenig überzeugend sind auch Argumente, die wie die Pluralismustheorie Ernst Fraenkels die "prinzipielle Strukturwidrigkeit" der direkten und der repräsentativen Demokratie behaupten. Eine solche Dichotomie ist unterkomplex und verkennt die Kompatibilitätsreserven, die repräsentative Demokratien gegenüber direktdemokratischen Elementen bereithalten. Derartig apodiktische Positionen verhindern den notwendigen vorurteilsfreien Blick auf die Komplementaritätschancen der beiden prototypischen Formen der Demokratie.

Umsichtiger argumentierte Max Weber, für den Referenden zwar ungeeignet für "alle einigermaßen verwickelten Gesetze und Ordnungen der inhaltlichen Kultur" waren, der aber trotz seiner generellen Skepsis Volksabstimmungen auch als "geeignetes Revisionsmittel" zur Brechung von Entscheidungsblockaden ansah. Ganz im Sinne Max Webers formulierte Fritz Scharpf, dass sich Volksabstimmungen im Grunde nur "zur Legitimation einfacher Entscheidungen von großem verfassungspolitischem Gewicht eignen", nicht aber für komplexe politische Entscheidungen. Skeptischer noch ist auch der Mainstream der zeitgenössischen Parteienforschung. Ihr Doyen Giovanni Sartori kritisiert an Referenden deren Nullsummencharakter, der keinen Raum für Verhandlung und Kompromiss öffne und deshalb nur Sieger und Verlierer kenne. Volksabstimmungen werden als mehrheitsdemokratische Instrumente begriffen, die gerade Minderheiten benachteiligen, wenn nicht gefährden können. Alexis de Tocqueville hätte das die Gefahr der "Tyrannei der Mehrheit" genannt. Referendumsgegner fügen hinzu: Zufällige Mehrheiten unterliegen zudem erheblichen Stimmungsschwankungen. Bisweilen könnten es aber auch oft tyrannische, aktive und organisationsfähige Minderheiten sein, die der nicht mobilisierten Mehrheit ihre Werte, Meinungen und Weltsicht aufdrängen. Im Übrigen, argumentieren die Verteidiger der reinen Repräsentationslehre, müsse noch jede Referendumsdemokratie aufgrund der Komplexität der Entscheidungsmaterien an den "Klippen der kognitiven Unfähigkeit" des Volkes scheitern. Der notwendige Zeitaufwand und die beschränkten kognitiven Ressourcen zur sachangemessenen Durchdringung der Entscheidungsmaterie stünden den Bürgern ohnehin kaum zur Verfügung.

Die meisten dieser Argumente sind konservativ eingefärbt. Sie befürchten Demagogie wie Polarisierung und betonen die Gefahren für Stabilität, Kompetenz und Effizienz. Überwiegt bei den Gegnern direktdemokratischer Verfahren vorurteilsbeladene Skepsis, dominiert bei den Befürwortern häufig wirklichkeitsfremder Optimismus. Anders als in der repräsentativen Demokratie, so die Überzeugung, drückten direktdemokratische Verfahren unverfälscht und direkt die Volkssouveränität aus. Der Volkswille würde nicht durch oligarchische Parteien, Interessengruppen und Parlamente gebrochen, sondern authentisch in verbindliche Entscheidungen umgesetzt. Dieses nicht zuletzt auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehende Argument ist keineswegs sofort von der Hand zu weisen. Dies gilt auch für Flächenstaaten - für die Rousseaus direktdemokratische Vorstellung nie konzipiert war -, wenn Volksabstimmungen komplementär zu den repräsentativen Institutionen gedacht werden. Dass auch Carl Schmitt solchen plebiszitären Voten zugetan war und in ihnen den eigentlichen "Souveränitätsakt" sah, kann weder das Verfahren noch das Argument desavouieren. Allerdings lässt sich gerade aus Schmitts Parlamentarismuskritik schwerlich demokratischer Honig saugen, wie dies die radikalen Links-Schmittianer um Chantal Mouffe und Ernest Laclau propagieren.

Befürworter der Volksabstimmung betonen das Verfahren und den Akt selbst als segensreich. Volksabstimmungen gehen häufig intensive politische Debatten voraus. Die Bürger mischen sich ein, erwerben Kenntnisse und Kompetenzen; sie erlernen das Bürger-Sein. Insofern seien gerade Volksabstimmungen "Schulen für die Demokratie". Die Idee, dass politische Partizipation "bessere Bürger" hervorbringt, wurde insbesondere von den beiden liberalen Philosophen des 19. Jahrhunderts, Tocqueville und John Stuart Mill, betont. Dieses Argument, so es denn empirisch haltbar ist, wiegt schwer in Zeiten zurückgehender politischer Beteiligung. Es erhält eine zusätzliche Stärkung dadurch, dass Bürger, die an Entscheidungen direkt beteiligt sind, diese als legitimer erachten und ihnen gegenüber eine größere Folgebereitschaft entwickeln, als wenn die Entscheidungen nur indirekt, von den Repräsentanten getroffen werden. Zusätzlich wird in der Regel dem gesamten System eine größere Legitimität zugeschrieben. Volksabstimmungen stärken zudem die vertikale Rechenschaftslegung der Regierung gegenüber den Regierten. Diese wird dann nicht nur ex post turnusmäßig über den Wahlakt ausgeübt, sondern schon allein die Möglichkeit eines Referendums veranlasst die Regierenden, die Mehrheitspositionen der Bürger zu antizipieren und in parlamentarische Entscheidungen einzubringen.

Die Erwartungen der Befürworter sind hoch. Die Hoffnungen richten sich vor allem auf die Intensivierung demokratischer Partizipation, die Entwicklung von Bürgertugenden, auf Diskurs und Deliberation während der Abstimmungskampagnen sowie eine Stärkung der vertical accountability. Um die Debatte zwischen Befürwortern und Kritikern, Optimisten und Pessimisten gehaltvoll führen zu können, genügt ein erneuter Abgleich der allgemeinen Positionen nicht. Die Argumente müssen vielmehr gerade auf jene Bereiche unserer Demokratien bezogen werden, die sich unter Stress befinden und offensichtlich die ihnen zugedachten demokratischen Funktionen nicht (mehr) hinreichend erfüllen.

Herausforderungen, Versprechen, Realitäten

Die Demokratien, die vor allem im Verlauf des 20. Jahrhunderts ihre gegenwärtige Gestalt angenommen und komplettiert haben, stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor bedeutenden Herausforderungen. Wirtschaft und Gesellschaft haben sich verändert und mit ihnen Einstellungen, Werte und Verhaltensmuster der Bürger. Schon aus diesem Grund stehen die konventionellen Institutionen, Organisationen und Verfahren der Demokratie unter Anpassungsdruck. Nun ließe sich argumentieren, dass zusätzliche direktdemokratische Elemente wie insbesondere Volksabstimmungen die Qualität der Demokratie heben, wenn sie mindestens eine dieser Herausforderungen demokratischer lösen als die gegenwärtigen Institutionen der repräsentativen Demokratie, ohne die genannten demokratischen Positionsgewinne zu gefährden oder den Status quo der anderen Problemsphären noch weiter zu verschlechtern. Dies soll im Folgenden anhand von zehn Herausforderungen geprüft werden.

Soziale Selektivität.

Die Wahlbeteiligung geht in vielen etablierten Demokratien zurück. Dies mag an sich schon problematisch sein, da, anders als eine gleichbleibend niedrige Wahlbeteiligung wie in den USA und der Schweiz, der rasche Rückgang der Teilnahme an Wahlen ganz offensichtlich eine wachsende Unzufriedenheit mit den zur Wahl stehenden Parteien ausdrückt. Zum demokratietheoretischen wie praktischen Problem wird die zurückgehende Wahlbeteiligung aber vor allem aufgrund der mit ihr einhergehenden sozialen Selektivität: Je geringer die Wahlbeteiligung, umso höher ist die soziale Selektion. Die soziale Schieflage geht dabei stets zu Lasten der unteren Schichten. Dies zählt zu den robusten Erkenntnissen der Wahlforschung.

Können Referenden das Problem zurückgehender Partizipation und ansteigender sozialer Selektion lindern oder gar beheben? Geht "das" Volk tatsächlich zu Volksabstimmungen? Aus der empirischen Forschung wissen wir, dass die Teilnahme an Volksabstimmungen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene hinter der Beteiligung an allgemeinen Wahlen zurückbleibt. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den nationalen Parlamentswahlen. Hohe Beteiligungsquoten bei Volksabstimmungen wie etwa bei der Frage des Beitritts der Schweiz zur UNO im Jahr 2002 (57,6%) bleiben die Ausnahme. Die durchschnittliche Partizipationsrate lag in der Schweiz bei Volksabstimmungen auf Bundesebene in den vergangenen 40 Jahren (1971-2010) bei 42,5%. Im selben Zeitraum lag die durchschnittliche Wahlbeteilung auf Bundesebene bei 47,8%. Berücksichtigt man nur die Volksabstimmungen zu konkreten policies, liegen die Beteiligungsraten noch deutlich niedriger. Je komplexer die Materie und je häufiger die Abstimmungen, umso geringer ist die Beteiligung. Das vergrößerte Mitwirkungsangebot wird von den Schweizern noch weniger wahrgenommen als bei nationalen Parlamentswahlen. In Italien ist diese Differenz noch viel größer. Im Zeitraum von 1971 bis 2010 lag die Beteiligung bei den nationalen Parlamentswahlen bei 87%, während die Partizipation bei nationalen Referenden nur noch 53% betrug.

Nicht das Volk in seiner Gesamtheit, sondern die höheren und mittleren Schichten, die Gebildeten und überproportional die Männer stimmen typischerweise bei Referenden ab. Der politisch aktive Demos ist dabei mehr als halbiert und hat bei Volksabstimmungen damit eine noch größere soziale Schieflage als bei den nationalen Parlamentswahlen. Auch der reflexhafte Appell der Referendumsbefürworter, dies müsse eben verändert werden, zeugt eher von naiver Wirklichkeitsferne denn von empirischen Einsichten in die Steuerbarkeit des politischen Partizipationsverhaltens. Volksabstimmungen gewähren dem Volk tatsächlich mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, aber sie verstärken die Tendenz der Überrepräsentation jener gut situierter Schichten, die schon in den Organisationen und Institutionen der repräsentativen Demokratie überproportional vertreten sind.

Vertrauensverlust.

Parteien und Parlamenten werden sehr niedrige Vertrauenswerte attestiert. Bei allen seriösen Umfragen (z.B. Eurobarometer) signalisieren die Ergebnisse den beiden Kerninstitutionen der repräsentativen Demokratie einen erheblichen Vertrauensentzug. Zwar ist es richtig, dass mit wenigen Ausnahmen (USA, Schweiz) in den meisten Demokratien mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung stets noch die Parteien wählt, die sie gleichzeitig in den Meinungsumfragen so kritisch beurteilt. Wenn aber die entscheidenden Institutionen der Gesetzgebung so geringes Vertrauen besitzen, affiziert dies auch die Legitimität ihrer Entscheidungen. Eine solche Ansteckungsgefahr besteht bei direktdemokratischen Entscheidungen trotz der sozialen Selektivität im subjektiven Bewusstsein der Bürger nicht. Zumindest die Untersuchungen in der Schweiz zeigen, dass die Bevölkerung den Abstimmungsergebnissen eine hohe Legitimität zumisst und damit das Vertrauen in die Demokratie insgesamt gestärkt wird.

Mitgliederverlust.

Die politischen Parteien, zumal die großen Volksparteien, haben neben den Vertrauensverlusten auch einen erheblichen Mitgliederverlust zu verzeichnen. Dennoch fungieren sie in den meisten Demokratien weiterhin als geradezu monopolistische Torwächter zu den staatlichen Entscheidungsinstanzen. Sie bestimmen, wer sich als Kandidat präsentieren darf. Wenig verwunderlich kommen diese dann bis auf wenige Ausnahmen aus den eigenen Reihen. Das Regierungspersonal wird in allen reifen Demokratien fast ausschließlich aus den Parteien rekrutiert. Dieser Schließungsprozess bei gleichzeitig nachlassender Verankerung in der Gesellschaft hat den politischen Eliten und den Parteien den negativ belasteten Begriff der "politischen Klasse" eingetragen. Referenden können hier wenig ändern, da auch hier die Parteien oft eine maßgebliche Rolle spielen.

Überalterung.

Die Mitgliedschaften fast aller Parteien sind stark überaltert. Dies gilt wiederum besonders für die Volksparteien. Junge Menschen treten nur noch selten in die politischen Parteien ein. Die politisch kreativsten unter ihnen folgen eher normativen Überzeugungen als Karriereambitionen. Sie schließen sich NGOs wie Amnesty International, Human Rights Watch, Transparency International, Greenpeace oder anderen Menschenrechts- und Umweltvereinigungen an, weil sich dort die Partizipation unbürokratischer, authentischer, direkter und ereignisreicher vollzieht. Diese kreativen Potenziale können dann über Referenden genutzt werden, wenn sich solche NGOs als Initiatoren und Motoren von Volksinitiativen engagieren. Dies ist bisweilen der Fall; in der Summe treten NGOs jedoch seltener als Promotoren von Volksinitiativen auf als wirtschaftliche Interessengruppen. Dies gilt für die Schweiz, verstärkt für Kalifornien. Bei Volksentscheiden dominieren seit eh und je Regierungen, Parteien und Interessengruppen.

Diskurs und Deliberation.

Die Medien beeinflussen die politische Agenda auf ungesicherter legitimatorischer Grundlage. Zudem verhindert ihre Kommerzialisierung häufig anspruchsvolle und problemangemessene politische Diskurse. Ändert sich das in den Debatten, die Volksabstimmungen vorausgehen? Systematische Diskursanalysen stehen hier noch aus. Bei hochpolitischen Fragen wie UN- oder EU-Beitritt oder bei EU-Referenden zu zentralen Verträgen tragen Volksabstimmungen tatsächlich zu intensivierten Diskursen bei. Auch Positionen außerhalb des etablierten Politik- und Medienbetriebs haben Chancen, Gehör zu finden. Die Diskurse befreien sich dabei häufig von den üblichen Personaldebatten und verlagern sich auf Sachfragen. Im optimalen Fall entsteht das, was Jürgen Habermas emphatisch als "Öffentlichkeit" bezeichnet, auch wenn diese Debatten - keineswegs jenseits von Macht- und ökonomischen Interessen - nur partiell dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments unterworfen werden. Das sind jedoch Sternstunden von Referendumskampagnen, die sich im Alltag der zahlreichen Policy-Referenden in der Schweiz oder etwa Kalifornien nicht zeigen oder wiederholen lassen. Claus Offe sieht im Abstimmungsakt nicht das demokratische, sondern das "schlechtere Ich" der Bürger begünstigt, weil die Bürger bei der Abstimmung "von diskursiven Anforderungen und dem Zwang zur argumentativen Rechtfertigung völlig entlastet sind". Referenden sind viel seltener die Stunde des Diskurses oder gar der Deliberation, als ihre Befürworter glauben (machen).

Interessengruppen.

Die Verfügbarkeit von Macht und Geld entscheidet über den Einfluss auf politische Entscheidungen. Sie gewährt mächtigen Interessenverbänden und multinationalen Unternehmen einen asymmetrisch privilegierten Einfluss. Das politische Gleichheitsprinzip wird verletzt. Ändert sich das in Volksinitiativen oder Volksentscheidungen? Übertrumpft der Demos die Mächtigen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft? Fast alle empirischen Untersuchungen geben zu erheblicher Skepsis Anlass. Volksabstimmungen werden nicht vom "Volk" initiiert. Es bedarf der Initiatoren - und die kommen aus den meinungsstarken politisierten Mittelschichten, Interessengruppen, NGOs, nicht selten auch aus Regierung und Parteien. Der Erfolg ist keineswegs nur, aber stets auch von der Kampagnenfähigkeit der Initiatoren abhängig. Dafür bedarf es der Ressourcen: politisch, organisatorisch und finanziell. Über solche verfügen vor allem politische Organisatoren oder wirtschaftliche Interessengruppen. In Kalifornien haben bei Referenden die überlegenen finanziellen Ressourcen großer Wirtschaftslobbys eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf den Ausgang der Referenden entfaltet, zumal in den Verfassungen der Bundesstaaten in aller Regel keine Ausgabenbegrenzungen fixiert werden. Die Anfälligkeit für strategisch-manipulative Manöver oder das "referendum capture" sind in einigen Bundesstaaten sprichwörtlich geworden. In der Schweiz ist die Wirkung des Geldes zwar geringer, aber dennoch nicht verschwunden. Dort spielt häufig die Koalitionsbildung politischer Parteien (sic!), die sich für oder gegen ein bestimmtes Ergebnis positionieren, die ausschlaggebende Rolle. Das Volk ist in Volksabstimmungen wesentlich abhängiger von den etablierten politischen und wirtschaftlichen Gruppen, als dies deren Befürworter wahrhaben wollen. Es sind die wirtschaftlichen und politischen Eliten, welche die Referendumskampagnen und ihre Ergebnisse maßgeblich bestimmen.

Dominanz der Exekutive.

Im Zuge der Europäisierung, Globalisierung und der krisenhaften Entwicklung der Finanzmärkte werden Entscheidungen zunehmend von der Exekutive kontrolliert oder dem parlamentarischen Prozess vorweggenommen. Dadurch wächst die Intransparenz staatlicher Entscheidungen. Sie sind weder vertikal noch horizontal zureichend kontrollierbar. Nur in Ausnahmefällen ist vorstellbar, dass Volksabstimmungen Regierungen besser kontrollieren können als Parlamente. Dies könnte bei der Ratifizierung grundlegender Vertragstexte der Fall sein: Für komplizierte Fragen der Finanzmarktregulierung kann das sicherlich nicht gelten. Wenn man zusätzlich sieht, welch erhebliche Rolle gerade die Regierungen mit ihren finanziellen und informationellen Ressourcen bei Volksabstimmungen in der Schweiz spielen, ist die Hoffnung auf eine bessere Kontrolle der Exekutive eine Illusion. Tatsächlich fällt die überwiegende Mehrheit der Volksabstimmungen nicht gegen, sondern für die Regierung aus. Überspitzt formuliert würde sich die Regierung in dem Maße nur selbst kontrollieren, wie sie über den Ausgang der Volksabstimmungen entscheidet. Allerdings kann schon die Möglichkeit von Volksabstimmungen die Agenda von Regierungen antizipativ beeinflussen, um einer solchen Drohung zu entgehen.

Legitimitätsglaube/Kongruenzverlust.

Die zunehmende Macht supranationaler Organisationen, internationaler Politikregime und deregulierter (Finanz-)Märkte schränkt die staatliche Souveränität ein. Die legitim gewählten Vertreter nationaler Gemeinschaften müssen ihre Entscheidungsgewalt mit dünn oder überhaupt nicht legitimierten Akteuren teilen. Die Kongruenz von Herrschaftsadressaten und Herrschaftsautoren löst sich zunehmend auf. Auf diese zentrale Demokratielücke bieten Volksabstimmungen keine überzeugende Antwort. Allerdings wäre vorstellbar, dass Referenden dann obligatorisch abgehalten werden sollten, wenn über internationale Verträge sichtbar Souveränitätsrechte abgetreten werden sollen. In Deutschland spielt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine solche Wächterrolle. Würden solche Fragen auch der Bevölkerung (bei einer Verfassungsänderung) vorgelegt, dürften weiteren Souveränitätsabgaben vermutlich relativ starke Riegel vorgeschoben werden. Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass sich in solchen Fällen das "Volk" als wirkungsvoller Vetospieler gegen weitere Souveränitätsabgaben etablieren würde. Vertritt man die Position des nationalen demokratischen Konstitutionalismus, könnte eine solche Vetoposition als (nationaler) Demokratieschutz begriffen werden. Die Folge wäre eine tendenzielle Abkopplung von Supra- und Internationalisierungsentwicklungen, deren ökonomische und politische Auswirkungen nur schwer abzuschätzende, aber wahrscheinlich negative Kosten hätten.

Wachsende Ungleichheit.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist auch in reifen Demokratien eine wachsende sozioökonomische Ungleichheit zu beobachten: Die Deregulierung der Märkte stärkte die Besitzer von Finanzkapital, die Postindustrialisierung privilegierte das kognitive Humankapital, die OECD-weite Steuersenkungspolitik begünstigte die Unternehmen und die Bezieher hoher Einkommen, der partielle Rückbau des Sozialstaats benachteiligte die unteren Schichten. Sozioökonomische Ungleichheit wird aber dann zum Demokratieproblem, wenn sie die politische Gleichheit beschädigt. Das ist der Fall, wenn gezeigt werden kann, dass die unteren Schichten infolge von mangelnden wirtschaftlichen und kognitiven Ressourcen zunehmend aus der politischen Partizipation herausfallen, ihre kollektiven Vertretungsorgane wie Gewerkschaften und Sozialverbände an Organisationsmacht und Einfluss verlieren und ihre Interessen auch advokatorisch von den mächtigen Volksparteien nicht mehr effektiv vertreten werden. Für die meisten dieser Entwicklungen lässt sich solide empirische Evidenz aufbieten. Ließe sich nun zeigen, dass trotz der höheren sozialen Selektivität zu Lasten der unteren Schichten, wie sie in der Referendumsbeteiligung in der Schweiz oder in Kalifornien, aber auch in Italien oder Deutschland auftritt, dort Ergebnisse erzielt werden, welche die materielle Situation der Unterschichten verbessern, wäre dies ein gerechtigkeits- und demokratietheoretisches Argument für Volksabstimmungen.

Die Erfahrungen mit Volksabstimmungen in der Schweiz und in Kalifornien zeigen im Ergebnis jedoch häufig die Durchsetzung konservativer oder neoliberaler Fiskalpolitik mit negativen Verteilungskonsequenzen für die unteren Einkommensschichten. Neoliberale Politikmuster zeigen sich dort, wo in Referenden zur Steuerpolitik abgestimmt wird. Wenn in Referenden über haushaltspolitische Materien entschieden wird, bedeutet dies stets: Senkung der Steuereinnahmen und Reduzierung der Staatsausgaben. Dies heben neoklassische Ökonomen in ihren international vergleichenden Studien und ihren Analysen zu den Schweizer Kantonen stets (positiv) hervor. Auch in der politikwissenschaftlichen Staatstätigkeitsforschung besteht Konsens, dass Referenden den Ausbau des Sozialstaats gebremst haben, seit geraumer Zeit den Abbau beschleunigen und die Steuerlast vor allem für Besserverdienende senken. In Kalifornien haben steuerwirksame Referenden (z.B. die berüchtigte proposition 68) dazu beigetragen, dem Staat Steuern zu entziehen und ihn an den Rand des Bankrotts zu treiben. Dieser Fiskalkonservatismus mag den haushaltspolitischen Präferenzen von Neoliberalen entsprechen; er schadet aber vor allem denjenigen, die auf finanzielle Transfers und Unterstützung jenseits des Marktes angewiesen sind. Dies gilt vor allem für die Themenbereiche Bildung, Gesundheit, Alterssicherung und Arbeitslosigkeit. Der Zusammenhang zwischen fiskalkonservativem Abstimmungsverhalten und der Sozialstruktur der Beteiligung liegt auf der Hand: Die unteren Schichten, die der Hilfe des Staates bedürfen, gehen weit unterdurchschnittlich, die Besserverdienenden, die mit ihren Steuern diese staatlichen Leistungen maßgeblich mitfinanzieren, überdurchschnittlich häufig zu Referenden. Volksabstimmungen in haushaltspolitischen Bereichen haben einen eingebauten Trend zur Besitzstandswahrung der Besitzenden gegenüber den einkommensschwachen Schichten. Sowohl die Beteiligungslogik als auch die empirische Forschung deuten auf eine Privilegierung des Partikularwohls gegenüber dem Gemeinwohl hin. Referenden erweisen sich zudem im Musterland der direkten Demokratie, der Schweiz, auch im kulturellen Bereich als konservativ oder gar rechtspopulistisch und diskriminierend. So wurde jüngst über eine Volksabstimmung der weitere Bau von Minaretten untersagt, und straffällig gewordene Immigranten und Asylsuchende können per Volksbeschluss leichter "ausgeschafft" werden. Die fiskalpolitischen Resultate und die kulturelle oder politische Diskriminierung von kulturellen Minderheiten scheinen nicht untypische Kollateralschäden der direkten Demokratie zu sein.

Regierungseffizienz.

Mit der Deregulierung und Globalisierung der Märkte und der informationstechnologischen Revolution wurden wirtschaftliche Entwicklungen und Reaktionen in einem unerhörten Ausmaß beschleunigt. Dies gilt vor allem für die Ausbreitung von ökonomischen Krisen und ihre Verteilungskonsequenzen. Den Regierungen und Parlamenten wird vorgeworfen, dass sie nur nachtrabend reagieren und akzeptieren, aber nicht gestaltend agieren. Gerade der demokratisch legitimierte Entscheidungsprozess braucht Zeit. Anonyme Märkte und ihre stärksten Teilnehmer können rascher agieren und prägen die Lebenswirklichkeit der Bürger ohne demokratisches Mandat. Das Problem der unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Wirtschaft und Politik hat sich verschärft. Volksabstimmungen befördern sicherlich nicht die Regierungseffizienz. Aber insbesondere im schweizerischen Kontext muss man zwischen Volksinitiativen und Referenden unterscheiden. Volksinitiativen können durchaus innovative, aber vernachlässigte Interessen und Ideen in die politische Agenda einspeisen oder gar durchsetzen. Referenden, die schon getroffene parlamentarische Beschlüsse aufheben können, taugen eher zur "sachfragenspezifischen Opposition". Sie erweisen sich häufig als Vetoinstrument, das schnelle politische Entscheidungen und bisweilen auch den Fortschritt hemmt.

Mehr Demokratie wagen?

Taugen Volksabstimmungen als Therapie für die Malaisen der repräsentativen Demokratie in unseren Zeiten der Globalisierung? Von den zehn diskutierten zentralen Herausforderungen lassen Volksabstimmungen nur bei zweien positive Auswirkungen erwarten: Das Vertrauen und der Legitimationsglaube in direktdemokratisch getroffene Entscheidungen ist größer als bei Parlamentsgesetzen oder Regierungsbeschlüssen. Das demokratische System erhält dadurch eine notwendige Legitimationszufuhr. Dies ist nicht wenig. Aus nationalkonstitutionalistischer Sicht kann zudem auch ein verzögerter Kongruenzverlust demokratischer Politik zwischen Herrschaftsautoren und Herrschaftsunterworfenen verbucht werden. Der Souveränitätsverlust wird sich langsamer und kontrollierter als in jenen Demokratien vollziehen, wo allein die repräsentativen Eliten die letzte Entscheidung zu treffen haben.

Für vier der gegenwärtigen Demokratieprobleme, nämlich die Überalterung der Parteimitgliedschaften, den Mitgliederverlust, die Regierungseffizienz und die Dominanz der Exekutive, verhalten sich Volksabstimmungen in ihrer Wirkung neutral.

Bei den verbliebenen vier Herausforderungen "soziale Selektivität", "Diskurs und Deliberation", "Interessengruppen" und "wachsende Ungleichheit" haben Volksabstimmungen gravierende negative Nebenwirkungen und nicht intendierte Effekte, die ihren Befürwortern ganz offensichtlich verborgen sind. Folgt man deren Generalargument, Volksabstimmungen stärkten "das Volk" als Ganzes, lassen sich hinsichtlich dieser Herausforderungen geradezu paradoxe Effekte diagnostizieren, da hier nicht "das Volk", sondern die gut situierten und wohl repräsentierten Mittelschichten noch ein weiteres Mal gestärkt werden.

Die vier "Paradoxa" entzaubern die basisdemokratischen Erwartungen der Befürworter direktdemokratischer Verfahren in ihrem Kern. Dies sind nicht die üblichen konservativen Einwände gegen die Unsicherheit von Volksabstimmungen und ihre angeblich destabilisierenden Wirkungen. Es ist vielmehr die Perspektive des unteren Drittels unserer Gesellschaft. So paradox es auch klingen mag: Dessen Interessen sind in repräsentativen Institutionen besser aufgehoben als in Entscheidungen, die "das Volk" trifft. Wer in Volksentscheiden vor allem initiiert und dekretiert, ist nämlich nicht ein repräsentativer Querschnitt, oder gar das Volk selbst. Beides ist eine Fiktion. Die Idee, "ein Votum für direkte Demokratie würde auch ein Stück Selbstentmachtung der Parlamentarier bedeuten", erscheint damit in einem trüben Legitimationslicht.

Die Selbstentmachtung eines mit zwei Dritteln der Bevölkerung gewählten Parlaments zugunsten eines häufigen Ein-Drittel-Referendums-Demos wie etwa bei der Hamburger Schulreform dünnt fundamentale legitimationstheoretische Grundlagen unserer Demokratie aus. Die große Malaise der gegenwärtigen Demokratien, nämlich der schleichende Ausschluss der unteren Schichten, würde noch erheblich beschleunigt. Den Besitzstand wahrenden Abwehrreflexen der wirtschaftlich und sozial Begünstigten unserer Gesellschaften wird mit Volksabstimmungen häufig eine zusätzliche Arena zur Privilegiensicherung eingerichtet. Nicht "das" Volk, sondern eine meist numerisch wie sozial ausgedünnte Schrumpfversion des Volkes entscheidet. Volksabstimmungen sind im Kern ein Instrument für die mittleren und oberen Schichten unserer Gesellschaft. Nicht "mehr", sondern "weniger" Demokratie würde gewagt werden. Das kann keine Perspektive für das 21. Jahrhundert sein.

Dieser Beitrag entstand unter Mitarbeit von Aleksandra Kulesza und Gudrun Mouna.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Sonia Alonso/John Keane/Wolfgang Merkel (eds.), The Future of Representative Democracy, Cambridge, UK 2011.

  2. Vgl. Colin Crouch, Post-Democracy, Cambridge, UK 2004.

  3. Vgl. Wolfgang Merkel, Steckt die Demokratie in einer Krise?, in: Universitas, 65 (2010) 766, S. 351-369.

  4. Vgl. Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, Wiesbaden 2010, S. 349.

  5. Zit. nach: ebd., S. 344.

  6. Der Gebrauch der Termini ist je nach konstitutionellen Vorgaben in den einzelnen Ländern uneinheitlich; vgl. z.B. Silvano Möckli, Direkte Demokratie, Bern-Stuttgart 1994; Ian Budge, The New Challenge of Direct Democracy, Cambridge-Oxford 1996; Alexander H. Trechsel, Volksabstimmungen, in: Ulrich Klöti et al. (Hrsg.), Handbuch der Schweizer Politik. Manuelle de la politique suisse, Zürich 1999, S. 557-588; Hanspeter Kriesi, Direct Democratic Choice. The Swiss Experience, Lanham, MD 2005; Markus Freitag/Uwe Wagschal (Hrsg.), Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, Münster 2007; Theo Schiller, Local Direct Democracy in Europe, Berlin 2011. Im Folgenden werde ich immer dann von Volksabstimmungen oder Referenden sprechen, wenn ich mich auf den Oberbegriff aller denkbarer Formen von Volksbefragungen beziehe.

  7. Anders verhält es sich mit Plebisziten in diktatorischen Regimen ("Drittes Reich") oder fragilen und defekten Demokratien wie in Belarus (1994, 1995) oder Venezuela (1999ff.), wo Volksabstimmungen zur Akklamation bestehender autokratischer Verhältnisse oder zur schleichenden Abschaffung demokratischer Rechte instrumentalisiert werden.

  8. Vgl. Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917), in: ders. Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger (MWG Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 15), Tübingen 1984, S. 344-396.

  9. Fritz Scharpf, Demokratie in der transnationalen Politik, in: Wolfgang Streeck (Hrsg.), Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie, Frankfurt/M. 1998, S. 164.

  10. Vgl. Giovanni Sartori, Demokratietheorie, Darmstadt 1992.

  11. Ebd., S. 37.

  12. Vgl. M. Weber (Anm. 8).

  13. Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, Berlin-Leipzig 1927, S. 47.

  14. Aus Gründen der Sprachästhetik werden hier nicht immer das Maskulinum und das Femininum benutzt. Es versteht sich, dass stets Bürger und Bürgerinnen, Männer und Frauen gemeint sind.

  15. Vgl. H. Kriesi (Anm. 6), S. 5.

  16. Vgl. Markus Steinbrecher/Hans Rattinger, Wahlbeteiligung, in: Hans Rattinger et al. (Hrsg.), Zwischen Langeweile und Extremen: Die Bundestagswahl 2009, Baden-Baden 2011, S. 86; Oscar W. Gabriel/Kerstin Völkl, Auf der Suche nach dem Nichtwähler neuen Typs, in: Frank Brettschneider et al. (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2002. Analysen der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes, Wiesbaden 2004, S. 221-248.

  17. Vgl. Demokratiebarometer, online: www.democracybarometer.org (16.9.2011).

  18. Vgl. Bundesamt für Statistik der eidgenössischen Volksabstimmungen, online: www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index.html (16.9.2011).

  19. Die hohe Wahlbeteiligung beruht auch auf einer (kaum sanktionierten) Wahlpflicht.

  20. Gleichwohl gilt es zwischen folgenden zwei Survey-Fragen zu unterscheiden: 1. Vertrauen Sie den Parteien? 2. Vertrauen Sie "Ihrer" Partei? Bei der ersten Frage, die stets in den Meinungsmedien verwendet wird, sind die Misstrauensbekundungen erheblich größer als bei der zweiten.

  21. Vgl. H. Kriesi (Anm. 6).

  22. Vgl. Elmar Wiesendahl, Volksparteien. Aufstieg, Krise, Zukunft, Opladen 2011.

  23. Claus Offe, Vox Populi und die Verfassungsökonomik, in: Gerd Grözinger/Stephan Panther (Hrsg.), Konstitutionelle Politische Ökonomie, Marburg 1998, S. 81-88.

  24. Vgl. H. Kriesi (Anm. 6), S. 51ff.

  25. Vgl. Matthew Mendelsohn/Andrew Parkin, Referendum Democracy: Citizens, Elites, and Deliberation in Referendum Campaigns, Houndmills-Basingstoke 2010, S. 2.

  26. Vgl. M.G. Schmidt (Anm. 4), S. 352.

  27. Vgl. H. Kriesi (Anm. 6), S. 58.

  28. Vgl. Hanspeter Kriesi, The Role of the Political Elite in Swiss Direct-democratic Votes, in: Zoltan Tibor Pállinger et al. (eds.), Direct Democracy in Europe: Developments and Prospects, Wiesbaden 2007, S. 83.

  29. Vgl. A.H. Trechsel (Anm. 6), S. 577.

  30. Mit dem Urteil des BVerfG zum Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 ist die Beteiligung des deutschen Volkes bei weiteren Souveränitätsabgaben an die EU vorgezeichnet.

  31. Vgl. Wolfgang Merkel, Soziale Gerechtigkeit im OECD-Vergleich, in: Stefan Empter/Robert B. Vehrkamp (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit - eine Bestandsaufnahme, Gütersloh 2007, S. 242.

  32. Vgl. Hermann Heller, Staatslehre, in der Bearbeitung von Gerhart Niemeyer, Leiden 1934; Thomas Meyer, Theorie der sozialen Demokratie, Wiesbaden 2005; W. Merkel (Anm. 3).

  33. Vgl. C. Crouch (Anm. 2).

  34. Vgl. E. Wiesendahl (Anm. 22).

  35. Vgl. Lars P. Feld/Gebhard Kirchgässner, On the Economic Efficiency of Direct Democracy, in: Z.T. Pállinger (Anm. 28), S. 108-124; Bruno Frey, Efficiency and Democratic Political Organization: The Case for the Referendum, in: Journal of Political Philosophy, 12 (1992), S. 209-222.

  36. Vgl. M. Freitag/U. Wagschal (Anm. 6). Allerdings könnte das ein spezifischer Effekt der staatskritischen Gesellschaften der Schweiz oder der USA sein und für die staatsaffinen Gesellschaften Skandinaviens schon nicht mehr gelten.

  37. Vgl. M.G. Schmidt (Anm. 4), S. 348.

  38. Dieter Rucht, Direkte Demokratie jenseits der Diskursrituale. Ein Plädoyer für Entkrampfung und Mut zum Experiment, in: WZB-Mitteilungen, Nr. 131 (2011), S. 9.

Dr. rer. pol., geb. 1952; Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Demokratieforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin; Direktor der Abteilung "Demokratie: Strukturen, Leistungsprofil und Herausforderungen" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Reichpietschufer 50, 10785 Berlin. E-Mail Link: wolfgang.merkel@wzb.eu