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Demokratie: Mangelt es an Offenheit und Bürgerbeteiligung? - Essay | Demokratie und Beteiligung | bpb.de

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Demokratie: Mangelt es an Offenheit und Bürgerbeteiligung? - Essay

Rita Süssmuth

/ 11 Minuten zu lesen

Neben dem verstärkten Einsatz plebiszitärer Elemente ist eine Öffnung der Demokratie von zentraler Bedeutung, um der heterogenen und mobilen Gesellschaft gerecht zu werden.

Einleitung

Die Arbeit der Parlamente, insbesondere die des Deutschen Bundestags, steht seit mehr als 20 Jahren in einer Art Dauerkritik - unterbrochen lediglich anlässlich von Debatten und Entscheidungen zu existenziellen Norm- und Wertfragen, in denen mit großer Ernsthaftigkeit die Suche nach Lösungsansätzen und Respekt vor dem Andersdenkenden zur Geltung kommen.

Demoskopische Umfragen zeigen ambivalente Beurteilungen der parlamentarischen Arbeit auf. Das Ja zur demokratischen Staats- und Gesellschaftsform wird nicht in Frage gestellt - die Erwartungen an das Parlament sind nach wie vor hoch. Zunehmend kritischer wird die Arbeit der Politik beurteilt. Letzteres geht einher mit wachsendem Zweifel gegenüber dem Einfluss der Politik angesichts des Vorrangs der Ökonomie und des Geldes sowie der Abhängigkeit nationaler Entscheidungen von europäischen und internationalen Bindungen und Verpflichtungen.

Die Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. In der aktuellen Debatte haben wir es mit wenigstens drei bestimmenden Trends zu tun: der Weiterentwicklung der Demokratie durch intensivere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in alten und neuen Formen; der gleichzeitigen Konfrontation mit einem abnehmenden Interesse an Wahlbeteiligung auf allen Ebenen; der wachsenden Skepsis in die politische Problemlösungskapazität, verbunden mit nicht erfüllten Erwartungen an Transparenz, Information und Kommunikation. Die zu lösenden Probleme sind schwieriger geworden. Sie sind zum Teil gar nicht oder noch nicht lösbar. Dieser Tatbestand wird nicht offen kommuniziert, aber auch die WAHRHEITEN über unsere realen Lebensverhältnisse und Zukunftsanforderungen wagt man nicht auszusprechen. Sie scheinen nicht zumutbar. Aber ohne reale Kenntnis unserer Lage können wir hinsichtlich problematischer Prozesse keine geeigneten Maßnahmen ergreifen. Angesichts der weit reichenden und beschleunigten Veränderungen und Umbrüche in fast allen Lebensbereichen fühlen sich viele Menschen überfordert und verunsichert. Was politisch entschieden wird, kann oft nicht verstanden und nachvollzogen werden. Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Beteiligung durch intensive, bürgeraktivierende Kommunikation. Professionalisiertes Spezialwissen bedarf der Übersetzung und verständlichen Vermittlung. Aber gerade an dieser Kommunikation fehlt es. Sie ist anspruchsvoll, aber unverzichtbar, wenn Beziehungsstörungen zwischen den politischen Entscheidern und den Bürgerinnen und Bürgern ab- und Vertrauen wieder aufgebaut werden soll. Die Proteste rund um "Stuttgart 21" haben in radikaler Zuspitzung deutlich gemacht, dass es nicht mehr nur um einen kommunalen Konflikt, sondern um eine scharfe Auseinandersetzung um nicht mehr akzeptierte Formen und Verfahren bisheriger Bürgerbeteiligung geht. Das hat Konsequenzen für den Umgang mit Kommunikation und Teilhabe der Bürger in den verschiedenen Phasen der Entscheidungsfindung. Daraus folgt nicht die Forderung nach Abschaffung der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie, wohl aber nach einer erheblichen Ausweitung der Bürgerbeteiligung. Die Forderung nach mehr Demokratie durch mehr Einfluss auf die politischen Entscheidungen findet sich ebenso als wichtigste Leitlinie im Wahlprogramm der Piratenpartei.

Die Aussage, die Bürger seien politikverdrossen, kann angesichts der Leidenschaft, mit der sie für eine bessere Demokratie eintreten, nicht aufrechterhalten werden. Dem steht eine geringe, teilweise noch weiter abnehmende Wahlbeteiligung gegenüber. Diese ist bei Bundestagswahlen seit 1998 (82,2%) beständig gesunken, bis 2009 mit einer Wahlbeteiligung von 70,8% ein historischer Tiefstand erreicht wurde. Auch die jüngsten Ergebnisse bei Landtagswahlen sind ernüchternd: In Sachsen-Anhalt 2010 (51,2%), Mecklenburg-Vorpommern 2011 (51,4%) und Bremen 2011 (55,5%) hat annähernd jeder zweite Wahlberechtigte nicht gewählt.

Eine vielfach herangezogene Interpretation dieser Zahlen lautet: Aus Misstrauen gegen demokratische und politische Institutionen ist in der Bevölkerung der Wunsch nach mehr Beteiligung und direkter Demokratie erwachsen. Doch ist es wirklich so einfach? Führt eine Erweiterung der repräsentativen Demokratie um Elemente direkter Bürgerbeteiligung automatisch zu einer leistungsfähigeren Demokratie?

Bei den jüngsten Landtagswahlen ist lediglich in Baden-Württemberg ein deutlicher Anstieg der Wahlbeteiligung von 53,4% (2006) auf 66,3% (2011) zu verzeichnen, während die Wahlbeteiligung beim Volksentscheid zur Offenlegung der Berliner Wasserverträge vom Februar 2011 bei 27,5% lag. Demnach ging ein Element der repräsentativen, nicht der direkten Demokratie gestärkt aus der derzeitigen Diskussion hervor. Muss man sich gar die Frage stellen, ob sich die hochgradig individualisierte, mobile Migrationsgesellschaft in all ihrer Heterogenität überhaupt noch in den Rahmen einer repräsentativen Demokratie fassen lässt? Es geht um nicht weniger als die Übersetzung der neuen gesellschaftlichen Realität in demokratisch verfasste Entscheidungsprozesse. Eben diese gesellschaftliche Realität habe sich zu weit von der Realität der Politik entfernt, so ein Kritikpunkt. Besonders zwei Entwicklungen haben in den vergangenen Jahren erheblich zur Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung beigetragen: zum einen die erhöhte Mobilität und die damit einhergehende Individualisierung, zum anderen die durch die Digitalisierung veränderte und beschleunigte Kommunikation.

Kommunikation und Medien

Die Politik ist in den vergangenen Jahren immer abhängiger von den Medien geworden. Prominentester Kritiker dieser Entwicklung ist Bundestagspräsident Norbert Lammert. Der Trend zur Kürze und zum Vorrang der Schnelligkeit gegenüber der Gründlichkeit sind für Lammert besorgniserregende Kennzeichen medialer Berichterstattung. Er argumentiert mit Heinrich Oberreuter, dass die Politik gleichzeitig nicht mehr auf die Medien verzichten könne, da politische Inhalte sonst keine Öffentlichkeit erfahren würden. Daraus folgt, dass die Politik dem Trend zur Schnelligkeit und Kürze folgen und sich der Taktfrequenz der Medien anpassen müsse.

Zugleich werden die Sachverhalte immer komplexer. Jüngstes Beispiel sind die Finanzkrise(n) und die Vielzahl der diskutierten Rettungsmaßnahmen. Dennoch ist gerade im Bereich der Finanzpolitik Schnelligkeit im Moment das vermeintlich wichtigste Element der Entscheidung. Es gibt Augenblicke in der repräsentativen Demokratie, in denen das Parlament auf die Probe gestellt wird. In diesen Momenten erwartet die Bevölkerung von Parlamentariern keine absolute Richtigkeit und Unfehlbarkeit, sondern ein Handeln auch unter Bedingungen, in denen die Entscheidung noch nicht die endgültige Lösung ist. Darin kann zunächst auch ein Irrtum liegen. In Deutschland neigen wir dazu, jedes Gesetz und jede Entscheidung vor Inkrafttreten lange zu evaluieren, zu bewerten und anzupassen. Die Möglichkeit, eine Entscheidung zunächst zu treffen und später zu ändern, was sich in der Praxis als nicht praktikabel erwiesen hat, gehört nur selten zum Repertoire parlamentarischer Entscheidungsfindung.

In diesen Situationen sollten Parlamentarier Glaubwürdigkeit ausstrahlen, auch wenn die Lösung noch nicht absehbar ist, und dies ehrlich kommunizieren. Das überzeugt die Menschen mehr als Politikerinnen und Politiker, die behaupten, sie wüssten ganz genau, was für sie richtig ist. In der Realität wird der berechtigte Wunsch der Bevölkerung nach Information und Aufklärung jedoch mittels vorgefertigter Antworten abgespeist.

Mehr Demokratie - neue Wege

Mehr direkte Beteiligung der Bürger an der Demokratie über Volksbegehren und Bürgerentscheide sind nur ein Teil der erwarteten Antwort, doch sie würde helfen, das Misstrauen in die Politik zu überwinden und das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen, so lange sie seitens der Politik ernst genommen werden. Ich glaube, dass wir die repräsentative Demokratie um neue Formen der Beteiligung erweitern müssen, um dem Anspruch einer zeitgemäßen Demokratie entsprechen zu können. Wir müssen jedoch auch in anderen Formen der Partizipation denken, da der klassische Volksentscheid von ähnlichem Misstrauen begleitet wird wie Politik und Parteien.

Kein Volksentscheid hat je eine höhere Wahlbeteiligung als 50% erreicht (Das beste Ergebnis wurde 2004 in Hamburg mit 49,2% Beteiligung verzeichnet). Auch jüngste Zahlen zu Wahlbeteiligungen bei Volksentscheiden, die nach Beginn der Diskussion um "Stuttgart 21" und der nun allgegenwärtigen Forderung nach mehr direkter Demokratie durchgeführt wurden, zeugen nicht von einer Trendwende. Das bereits erwähnte Beispiel des jüngsten Volksentscheids in Berlin belegt gar eine gegenteilige Entwicklung.

Dem Argument, nach "Stuttgart 21" müssten verstärkt Volksentscheide durchgeführt werden, fehlt es angesichts dieses Desinteresses an Überzeugungskraft. Ein Grund für die geringe Beteiligung liegt in der fehlenden Wertschätzung dieser Willensäußerung seitens der Politik. Unter anderen weist Michael Borchard auf deren geringe Wirkungskraft hin. Bis 2010 gab es auf Länderebene 282 Volksbegehren, von denen 19 in Volksentscheide mündeten: "Sieben dieser Abstimmungen scheiterten, vier wurden entweder durch den Landtag aufgehoben, ignoriert oder durch andere Gesetze aufgefangen, nur acht Volksentscheide führten wirklich zu einem Gesetz." Diese Nichtachtung ist kontraproduktiv und zusammen mit der geringen Wahlbeteiligung ein Ausdruck gegenseitigen Misstrauens. Erst wenn der Graben zwischen Bevölkerung und Politik überwunden ist, wird auch die Wahlbeteiligung wieder steigen.

Es gibt andere Formen der Bürgerbeteiligung, die sogar das Wesen des Politischen ausmachen, aber in der Vergangenheit immer weiter aus dem Repertoire der Politik verschwunden sind. Dazu gehört direkte, aufrichtige und authentische Kommunikation mit den Menschen. Sie ist wesentlich für menschliche Beziehungen, auch für die Politiker-Bürger-Beziehung, für Empfindungen der Nähe, aber auch der Distanz. Was ist zu tun, um dem berechtigten Wunsch der Bürger nach anderen Formen der Teilhabe zu entsprechen? Das Mittel der erweiterten Anhörung kann viel bewirken. Während der Ausarbeitung des Zuwanderungsgesetzes sind vielfach Praktiker vor Ort zu Wort gekommen, freiwillige Helfer aus Migrantenorganisationen oder aus Nachbarschaftsvereinen der Problemkieze. Wertvolle Erkenntnisse fanden im Gesetz Niederschlag. Leider bleiben zu viele dieser Anhörungen folgenlos, was ebenso wie folgenlose Volksentscheide die Kluft zwischen Politik und Bevölkerung vergrößert. Den Bürgern kann und sollte hier mehr Entscheidungskompetenz zugesprochen werden.

Ohne Information und Kommunikation, ohne Rede und Gegenrede, ohne Zustimmung und Kritik stirbt die Demokratie. Politik IST Kommunikation, und seit der Digitalisierung hat sich die Kommunikation grundlegend gewandelt. Aufgrund dieser engen Beziehung musste sich auch die Politik verändern. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Wandlungsprozesse von Kommunikation und Politik machen einen wesentlichen Teil des hier diskutierten Problems aus.

Digitale Demokratie

Was hier gesagt werden soll, ist nicht, dass die Politik jede neue Spielart der digitalen Informationsgesellschaft in derselben Geschwindigkeit adaptieren sollte. Im Gegenteil: Norbert Lammert kritisiert zu Recht, dass sich die Politik den Regeln einer quoten- und marktorientierten Medienlandschaft unterworfen habe, in der Schnelligkeit vor Gründlichkeit komme. Sich wahllos jeder neuen Spielart der digitalen Informationsgesellschaft zu unterwerfen, würde für Demokratie und Politik gravierende Folgen haben. Die neuen Möglichkeiten, welche die digitale Kommunikation bietet, sind faszinierend, doch sie laufen Elementen der repräsentativen Demokratie diametral entgegen. Man kann keine politischen Aussagen in auf 160 Zeichen begrenzte Twitter-Nachrichten pressen. Machen wir uns zu Getriebenen der Medien, würden wir erst recht zu Getriebenen immer neuer Plattformen, sozialer Netzwerke und Kurznachrichtendienste werden.

Inhalte werden auf wenige Zeilen und Zeichen begrenzt. Plakativ, unterhaltsam, kurz, vereinfacht, visuell statt textlastig - so sollen moderne Inhalte aussehen, aber so können Politik und Demokratie nicht sein. Manche Debatten sind von ermüdender Länge, doch ich bin von einer sorgfältigen Abwägung aller Argumente überzeugt. Das Gemeinwohl gegen Partikularinteressen durchzusetzen ist die wichtigste, aber auch die zeitintensivste Funktion der repräsentativen Demokratie.

Ebenso wenig, wie Politik und Demokratie es sich leisten können, jeden Trend und jede neue Technik der Internetgesellschaft fraglos zu übernehmen, können sie sich der Entwicklung verschließen. Bestimmte Funktionen können sinnvolle Ergänzungen darstellen. In den Bereichen Bürgerkommunikation, Transparenz, Beteiligungsformen oder auch Onlinewahlen bietet das Internet Möglichkeiten, unsere Demokratie zu verbessern. Allerdings sollte die Politik nicht dem Irrtum aufsitzen, sich auf das Internet als entscheidende Lösung aller Probleme zu versteifen. Es ist nicht automatisch alles besser und zeitgemäß, nur weil man es jetzt online erledigen kann.

Mobilität und Individualisierung

Neben der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die zwischenmenschliche Kommunikation ist die Globalisierung mit ihren Merkmalen der zunehmenden Mobilität und Individualisierung der Menschen die zweite wesentliche Veränderung unserer Gesellschaft.

Immer mehr Menschen leben in einem anderen Land als dem, in welchem sie wahlberechtigt sind. Die gewählte Volksvertretung ist für einen immer größer werdenden Teil der Menschen in den jeweiligen Ländern im staatsrechtlichen Sinne nicht mehr verantwortlich, wodurch die demokratische Legitimation gefährdet ist. In einer Welt, in der Grenzen zunehmend verschwinden, muss auch die Idee der staatsbürgerlichen Rechte angepasst werden. Doch da in der Lebensrealität der Menschen Wanderungsbewegungen zum Alltag gehören, müssen auch demokratische Rechte "mobil" werden.

Es ist daher dringend geboten, dass Migranten ohne deutschem oder EU-Pass ein kommunales Wahlrecht gewährt wird. Wir haben ein kommunales Wahlrecht für EU-Bürger, die länger als drei Monate in Deutschland gemeldet sind. Nicht-EU-Ausländern dies nicht zu gewähren, stellt eine Diskriminierung dar. Die Kommunalpolitik greift mit ihren Entscheidungen direkt in die Lebensrealität aller Bewohner ein. Fragen nach schulischer Bildung und allgemeiner Daseinsvorsorge sind damit ebenso gemeint wie größere Bauprojekte. Die Gesellschaft ist so heterogen geworden, dass diese Realität nicht länger ignoriert werden kann. Migranten sind unternehmerisch aktiv und erfolgreich, engagieren sich in Vereinen und im kulturellen Leben - doch kommunal wählen dürfen nicht alle. Diese Tatsache stimmt nicht mit meinem Bild einer funktionierenden, repräsentativen Demokratie überein.

Ein weiterer Aspekt der globalisierten Migrationsgesellschaft ist die Individualisierung. Singlehaushalte, häufig wechselnde Lebensmittelpunkte, befristete Arbeitsverträge: Vieles im Leben scheint auf immer kürzer werdende Abschnitte abgestellt zu sein. Eine auf lebenslange Mitgliedschaft ausgerichtete Arbeit in politischen Parteien scheint nicht mehr erstrebenswert. Die Parteien sollten Modelle jenseits der formellen Mitgliedschaft zulassen. In Arbeitsgruppen oder Projekten könnte eine Mitarbeit erfolgen, ohne dass damit gleich eine Verpflichtung einhergehen muss.

Parallel lösen sich die klassischen Milieus auf oder verschmelzen miteinander. Die Parteien versuchen dieser Herausforderung zu begegnen, indem sie eine "Politik für jeden" machen wollen. Zu Lasten eines klaren Profils haben sich die Programme der Parteien angeglichen, und das Wort von "fehlenden Alternativen" machte die Runde. Das Wesen des Politischen macht aber die konstruktive Gegnerschaft aus. Die besten Entscheidungen fielen nach lebhaften Debatten, nach intensiver Rede und Gegenrede. Das waren Sternstunden des Parlaments. Heute ist diese Debattenkultur eher der Ausnahmefall.

Fazit: Für eine offene Demokratie

Am Ende dieses Essays muss ein klares Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie stehen. In Bezug auf den verstärkten Einsatz plebiszitärer Elemente steht ein ebenso entschiedenes Ja, so lange diese komplementär und nicht ersetzend verstanden werden. Daneben ist die Öffnung der Demokratie von zentraler Bedeutung, die sich über die gesamte Bandbreite der politischen Teilhabe erstrecken muss. Parteien müssen sich genauso öffnen wie unsere Auffassung von Staatsbürgerschaft und Territorialstaat, um der heterogenen und mobilen Gesellschaft gerecht zu werden.

Hinsichtlich der Errungenschaften der digitalen Kommunikation und der Möglichkeiten einer direkteren Partizipation sollten Chancen und Risiken gegeneinander abgewogen werden. Solange die Kluft zwischen Bevölkerung und Politik nicht überwunden ist, ist ein vermehrter Einsatz von Plebisziten nicht der falsche Weg, doch er behebt die Ursachen nicht. Die Bürgergesellschaft ist aktiv wie selten und bereit, sich zu engagieren. Eine elitäre Politik, die von sich behauptet, keine Ratschläge entgegennehmen zu müssen, erzeugt Protestpotenzial. Erst wenn Politik und Bevölkerung sich gegenseitig wieder ernster nehmen, die Politik aufrichtig zuhört und Eingaben aus der Bevölkerung auch umsetzt, kann Vertrauen zurückgewonnen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Piratenpartei Deutschland - Landesverband Berlin (Hrsg.), Wahlprogramm 2011, Berlin 2011.

  2. Vgl. Bundeswahlleiter (Hrsg.), Ergebnisse der Bundestagswahlen seit 1990 für das frühere Bundesgebiet und Berlin-West sowie für die neuen Länder und Berlin-Ost, Wiesbaden 2010.

  3. Vgl. die Landeswahlleiter der jeweiligen Bundesländer; für vorausgegangene Landtagswahlen: Bundeswahlleiter (Hrsg.), Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009. Heft 1 - Ergebnisse und Vergleichszahlen früherer Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen sowie Strukturdaten für die Bundestagswahlkreise, Wiesbaden 2009.

  4. Vgl. Thomas Schmid, Demokratie: Wie direkt hätten Sie es denn gern?, in: Welt am Sonntag vom 24.4.2011.

  5. Vgl. Landeswahlleiterin Berlin (Hrsg.), Amtliches Endergebnis des Volksentscheids über die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben, Berlin 2011; Landeswahlleiter Baden-Württemberg/Bundeswahlleiter (Hrsg.), Ergebnisse und Vergleichszahlen, Stuttgart 2010.

  6. Vgl. Norbert Lammert, Parlament und Partizipation in der Massendemokratie, in: Die Politische Meinung, Nr. 498, (2011); Heinrich Oberreuter, Normen, Stile, Institutionen. Zur Geschichte der Bundesrepublik, München 2000; Franz Müntefering, Es herrscht Hektik, in: Handelsblatt vom 30.9.2011.

  7. Vgl. Michael Borchard, "Volksdemokratie" in Deutschland? Eine kleine kritische Kulturgeschichte der direkten Demokratie, in: Die Politische Meinung, Nr. 498, (2011).

  8. Ebd.

Dr. phil., geb. 1937; Professorin für International Vergleichende Erziehungswissenschaft; Mitglied des Deutschen Bundestages 1987-2002; Bundestagspräsidentin 1988-1998; Platz der Republik 1, 11011 Berlin. E-Mail Link: rita.suessmuth@bundestag.de