Einleitung
Die Wehrpflicht galt vielen als integraler Bestandteil des staatlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Erst als im Spätsommer 2010 der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die "Aussetzung" der Wehrpflicht und damit beiläufig auch des zivilen Ersatzdienstes auf die politische Agenda setzte, überschlugen sich die politischen Entscheidungen.
Das vorläufige Ende der Wehrpflicht markiert eine tiefgreifende Zäsur im konservativen deutschen Weltbild. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 war zugleich auch das vorläufige Ende des Zivildienstes entschieden, der bis dahin ein ziviler Ersatzdienst für diejenigen jungen Männer war, die den Kriegsdienst verweigerten. Der Übergang vom Zivildienst zum Bundesfreiwilligendienst ist - gemessen am Etatvolumen von rund 300 Millionen Euro - die bisher größte politische Einzelmaßnahme des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in der laufenden Legislaturperiode.
Als ziviler Ersatzdienst für die Wehrpflicht war der Zivildienst rechtlich analog zum Wehrpflichtgesetz konzipiert worden.
In Kenntnis der faktischen Bedeutung und des absehbaren Endes des Zivildienstes beschloss die Bundesregierung bereits am 15. Dezember 2010 - quasi als "Ersatz für den zivilen Ersatzdienst" - die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes. Am 24. März 2011 verabschiedete der Bundestag das Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst,
Zäsuren wie das Ende des Zivildienstes rufen Kritik, Zustimmung und Ablehnung hervor. Die jährlich rund 100000 Zivildienstleistenden
Mit einem Bundesfreiwilligendienst eröffnete sich für die Bundesregierung und das zuständige BMFSFJ eine vielversprechende Lösungsmöglichkeit in der Tradition des staatlichen Zivildienstes. Der Haushaltstitel mit den entsprechenden Mitteln und die vorhandenen administrativen und personellen Strukturen konnten problemlos fortgeführt werden. Damit konnte der Bund eigenständig und zugleich konkurrierend mit den Ländern im Handlungsfeld Freiwilligendienste tätig sein, das seit Jahren mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) eine Domäne der Bundesländer - in enger Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Verbänden - war. Mit dem Hinweis auf den ansonsten drohenden Verfall der Bundesmittel und dem Versprechen auf eine mittelfristige Harmonisierung der konkurrierenden Freiwilligendienste von Bund und Ländern stimmten die Bundesländer letztlich dem BFD zu, und die Verbände boten sich nach anfänglichem Zögern bereitwillig als Träger und Dienststellen des neuen BFD an.
Jenseits dieser dualen und nicht friktionslosen Struktur von BFD einerseits und FSJ und FÖJ andererseits steht der BFD derzeit aber vor einer ungleich größeren sozialkulturellen Herausforderung: Der BFD trifft in Deutschland auf eine ausdifferenzierte und plurale sowie von Eigensinn und Selbstbestimmung geprägte Welt des freiwilligen Engagements, die mit der staatlichen Logik des BFD fremdelt.
Zivildienst und Zivilgesellschaft
Auch wenn Begriffe wie Zivildienst und Zivilgesellschaft semantische Gemeinsamkeiten andeuten, so wird bei näherer Betrachtung unmittelbar deutlich, dass es sich um zwei unterschiedliche Welten mit je spezifischer Logik handelt. Worin besteht diese Differenz? Der Zivildienst entstammt dem Bereich staatlich und nationalstaatlich organisierter Politik, die dem Ziel diente, dass Bürger der Leistungsverpflichtung "ihrem Land" gegenüber ungefragt nachkommen und dabei auch noch zu besseren Staatsbürgern erzogen werden.
Die Ausgestaltung des Zivildienstes entsprach weitgehend der des Wehrdienstes mit vergleichbaren Pflichten und Dienstzeiten sowie Arbeits- und Besoldungsformen, die den Dienstleistenden keine Freiheiten eröffneten, um ihre Tätigkeiten selbstbestimmt ausführen zu können, sondern eine klar definierte und geregelte Dienstpflicht konstituierten. Es war in gewisser Weise ein "Dienst an der Nation". Gleichzeitig war der Zivildienst weitgehend apolitisch und frei von Vorstellungen und Möglichkeiten direkter politischer Partizipation. Im Kern ging es darum, soziale Dienstleistungen für politisch gesetzte Zwecke bereitzustellen. Gleichwohl wurden mit dem Zivildienst Vorstellungen und Hoffnungen verbunden, junge Männer zu guten Staatsbürgern erziehen zu können. Diese Vorstellung geht oftmals einher mit der Befürchtung eines Verlustes von gemeinwohlorientierten Haltungen bei Jugendlichen und eines Niedergangs des Gemeinsinns. Der Zivildienst war insofern unterlegt mit sozialkulturellen Vorstellungen von staatsbürgerlicher Erziehung und Gesinnung.
Ganz anders hingegen stellt sich die Zivilgesellschaft dar. Im Kern geht es hier - unter Verweis auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung - um bürgerschaftliches Engagement.
Trotz dieser grundlegenden Unterschiede zwischen Zivildienst und Zivilgesellschaft gibt es auch Schnittmengen und Übergänge zwischen beiden Welten. In der Welt des bürgerschaftlichen Engagements gibt es seit Jahrzehnten bewährte Freiwilligendienste, die in Art und Weise ihrer Durchführung durchaus organisatorische Parallelen zum Zivildienst aufweisen. Vielfach werden Freiwilligendienste und Zivildienst auch von denselben Organisationen "unter einem Dach" betrieben. Auf der anderen Seite gibt es seit Jahren auf bundespolitischer Ebene semantische Bestrebungen, den Zivildienst, der ein staatlicher Pflichtdienst ist und nichts mit Freiwilligkeit zu tun hat, in die Nähe von Freiwilligendiensten zu rücken. Freiwilligendienste hingegen, wie das FSJ und das FÖJ, sind seit Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil bürgerschaftlichen Engagements. Auch wenn Freiwilligendienste Bestandteil einer verbindlichen und auf Dauer angelegten Dienstleistungskultur sind, so gründen sie letztlich in der Freiwilligkeit der Engagierten.
Potenziale und Entwicklungen der Zivilgesellschaft
Die Welt der Zivilgesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements ist für staatliches Entscheiden und Handeln von hoher Attraktivität, da sie in den vergangenen Jahren eine deutliche Aufwertung erfahren hat. Dabei sind Freiwilligendienste nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus dieser Welt, deren Dynamik und Entwicklung im Folgenden anhand einiger weniger ausgewählter Trends und Befunde skizziert werden soll.
Die Zivilgesellschaft hat in den vergangenen zwanzig Jahren steigende Aufmerksamkeit gefunden. Dieser Trend hat verschiedene Gründe. Einer der wichtigsten ist sicher, dass sich nachweislich mehr Bürgerinnen und Bürger freiwillig engagieren. Die empirische Engagementforschung hat herausgearbeitet, dass sich in Deutschland rund 36 Prozent der Bürger engagieren, das heißt nicht nur gesellschaftlich aktiv sind, sondern auch freiwillig regelmäßige Tätigkeiten übernehmen.
Bereits der erste Freiwilligensurvey hat deutlich gemacht, dass neben den tatsächlich engagierten Bürgern ein weiteres Drittel der Bevölkerung zumindest im Telefoninterview die Bereitschaft zum Engagement erklärt hat, gleichzeitig aber darauf verweist, dass diese Bereitschaft bisher nicht abgerufen wurde beziehungsweise dass sich ihnen bis jetzt keine Gelegenheit zum Engagement geboten hätte. Ob diese Selbstaussagen und Potenzialvermutungen aber zutreffend und belastbar sind, kann zumindest teilweise bezweifelt werden. Im Hinblick auf das Engagement der Bürger ist zudem zu bedenken, dass angesichts von Engagementkarrieren und -episoden mit einer großen Schwankungsbreite beim individuellen Engagement der Bürger zu rechnen ist.
Auch wenn die aktuell vorliegenden empirischen Erhebungen des bürgerschaftlichen Engagements einhellig eine hohe Engagementquote und eine beeindruckende Bereitschaft zum Engagement konstatieren, so gibt es doch divergierende Bewertungen der Engagemententwicklung insgesamt, die sich anhand von drei unterschiedlichen Szenarien skizzieren lassen.
Diese Befunde über den sozialen Wandel und die Dynamik des bürgerschaftlichen Engagements beeinflussen die Zivilgesellschaft und vor allem die zivilgesellschaftlichen Organisationen entscheidend. Nach wie vor ist bürgerschaftliches Engagement organisiertes Engagement, sei es in Verbänden, Vereinen, Stiftungen oder Initiativen, wobei der Verein immer noch die dominierende Organisationsform des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland ist. Diese Engagementorganisationen sind existenziell auf "personellen Nachwuchs" und eine Bindung ihrer Engagierten angewiesen; sie benötigen Engagierte für ehrenamtliche Führungspositionen
Die Folgen, die in den verschiedenen Szenarien beschrieben werden, betreffen insbesondere auch das Engagement in lokalen Gemeinschaften.
Gleichzeitig sind aber auch die Leistungsgrenzen von Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement zu benennen. Oftmals wird Engagement als Lösung für nahezu alle gesellschaftlichen Probleme propagiert, von der Hebung des Bildungsniveaus über die Veränderung rechtsradikaler Einstellungen bis hin zur Erweiterung der gesellschaftlichen Teilhabechancen von Migranten. Die begrenzte und spezifische Leistungsfähigkeit des Engagements verdeutlichen demgegenüber soziologische Studien, die das Engagement und seine Potenziale anhand von Kategorien wie Schichtzugehörigkeit, Bildungsgrad, Berufsausbildung, Geschlecht, ethnische Herkunft und Alter differenzieren. Diese Befunde legen unter anderem den ambivalenten Schluss nahe, dass Engagement soziale Ungleichheit nicht nur abmildern, sondern auch reproduzieren und sogar verstärken kann.
Gesellschaftspolitisch bedeutsam werden diese Befunde dann, wenn - wie in den vergangenen Jahren zunehmend zu beobachten - staatliche Engagementpolitik das Engagement der Bürger für das Erbringen öffentlicher Aufgaben in "Dienst nehmen will", um staatliche Ziele zu realisieren.
Vor diesem Hintergrund bieten sich Freiwilligendienste für Staat, Verwaltung und Parteipolitik als ein vielversprechendes Instrument und Verfahren staatlicher Engagementpolitik an. Mit der Umwandlung des Zivildienstes in einen Bundesfreiwilligendienst eröffnet sich für staatliche Akteure die Möglichkeit, sich die seit Jahrzehnten von gemeinnützigen Verbänden, Vereinen, Stiftungen und Initiativen geschaffene Kultur der Freiwilligendienste, das heißt des FSJ mit der Erweiterung um die Einsatzfelder Kultur, Denkmalpflege und Sport und des FÖJ, nutzbringend zu erschließen.
Die Freiwilligendienste FSJ und FÖJ richten sich an junge Menschen nach Abschluss der Schulpflicht und bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Sie bieten jungen Menschen vielfältige Möglichkeiten, sich entsprechend ihrer Leidenschaften und Interessen im Rahmen einer sechs- bis 18-monatigen Vollzeittätigkeit zu engagieren. Die Freiwilligendienste verfolgen dabei das erklärte Ziel, für Engagierte gesellschaftliche Mitgestaltung und Mitentscheidung zu ermöglichen sowie Bildungs- und Teilhabechancen zu erhöhen. Freiwilligendienste sind integrale Bestandteile zivilgesellschaftlichen Engagements, da sie jungen Menschen anbieten, das für sie individuell passende Engagement aus einem fachlich vielfältigen und qualitativ anspruchsvollen Angebot eines plural organisierten Spektrums von Diensten, Einrichtungen und Trägern auszuwählen. Die fachliche Ausgestaltung sowie die Art und Weise der Organisation und Durchführung der Freiwilligendienste obliegen freigemeinnützigen - zivilgesellschaftlichen - Trägerorganisationen und Verbänden, während der Staat beziehungsweise konkret die Bundesländer sich weitgehend auf die Gesetzgebung und die Finanzierung des FSJ und des FÖJ beschränken. In dieser Pluralität und Autonomie der Freiwilligendienste FSJ und FÖJ kommen die ordnungspolitischen Maximen des Subsidiaritätsprinzips treffend zum Ausdruck. Dementsprechend haben Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen in den sie betreffenden gesellschaftlichen Angelegenheiten Vorrang gegenüber staatlichen Interventionen und Leistungen. Die zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienste sind somit "Dienstverhältnisse, die von gemeinnützigen Organisationen im Zwischenbereich zwischen Ehrenamt und Bildungsmaßnahme angeboten werden, mit obligatorischen oder fakultativen Bildungselementen, und die in Form von freiwilliger Selbstverpflichtung von zumeist jungen (...) Menschen in Anspruch genommen werden".
Das BMFSFJ hat in den vergangenen Jahren mehrere Modellprojekte für Freiwilligendienste aufgelegt. Im Kern ging es darum, Freiwilligendienste über die Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsene hinaus auf andere Bevölkerungsgruppen, wie etwa ältere Menschen, "bildungsferne" Jugendliche und jüngere Migranten, auszuweiten, die bisher keine expliziten Zielgruppen von Freiwilligendiensten waren. Die Bundesregierung versuchte anhand staatlicher Freiwilligendienste sozial-, arbeitsmarkt- und integrationspolitische Ziele mit dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag zu verknüpfen; diese sind aber keine originären Zielsetzungen von Freiwilligendiensten.
Vor dem Hintergrund der bestehenden zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienste verdient die Einführung eines staatlichen Bundesfreiwilligendienstes für alle Altersgruppen zum 1. Juli 2011 besondere Aufmerksamkeit. Die ordnungspolitische Berechtigung für die Einführung dieses staatlichen Freiwilligendienstes ergibt sich allenfalls aus dem überraschend schnellen Ende des Zivildienstes, dem erklärten Willen, die im Bundeshaushalt für den Zivildienst bereits eingestellten Mittel auszuschöpfen, sowie den strukturellen, organisatorischen und personellen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umwandlung des Bundesamtes für den Zivildienst in ein "Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben". Unter ordnungs- und gesellschaftspolitischen Kriterien betrachtet sollte der BFD aber kurz- oder mittelfristig in einen zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienst einmünden. Auf keinen Fall sollte der BFD zu einem staatlichen Instrument der Steuerung des Arbeitsmarktes in der Berufseinstiegs- und Berufsausstiegsphase und zu einem neuen Niedriglohnsegment im öffentlichen Dienstleistungsprozess mutieren. Zivilgesellschaftliche Freiwilligendienste bedürfen sachlogisch - so die einfache Formel - der Regie zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen.
Perspektiven
Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes steht in einer Reihe mit Ansätzen und Maßnahmen, bürgerschaftliches Engagement als Leistungsressource zu nutzen, um öffentliche Aufgaben zu erbringen. Mit der Zusammenstellung ministerieller Aktivitäten und Maßnahmen in der sogenannten "Nationalen Engagementstrategie" haben die Bundesregierung und das federführende BMFSFJ ihren "Masterplan" zur Erschließung privaten Engagements vorgelegt. Dabei sollen nach aktuellen Überlegungen Mehrgenerationenhäuser als "Knotenpunkte" bürgerschaftlichen Engagements vor Ort ausgebaut werden; an ihrer Finanzierung sollen Unternehmen und Stiftungen beteiligt werden.
Die Eigenkräfte der Bürgergesellschaft sind die Quelle, aus der sich bürgerschaftliches Engagement immer wieder selbst erzeugt. Herfried Münkler und Anna Loll haben darauf hingewiesen, dass es gute Gründe für die Annahme gibt, dass sich bürgerschaftliche Tugenden vor allem dann reproduzieren, wenn sie immer wieder in Anspruch genommen werden, während sie dahinschwinden, wenn man sie eher als eine zusätzliche sozialmoralische Ressource ansieht, die für Notzeiten aufgespart werden soll.
In diesem Sinne sind externe Anreize, wie beispielsweise Aufwandspauschalen für Organmitglieder, Ehrenamtskarten mit Vergünstigungen für Freiwillige oder eben auch die Taschengeldzahlung für Engagierte, ambivalent einzuschätzen. Sie werden bekanntlich nicht eingesetzt, um "blühende Ehrenamtslandschaften" weiter zu verschönern, sondern kommen dort zum Einsatz - um im Bild zu bleiben -, wo "Versteppung" droht, also die intrinsische Motivation nicht mehr trägt. Ob durch externe Anreize mehr Menschen nachhaltig zum Engagement zu motivieren beziehungsweise in bestimmte Handlungsfelder oder zu bestimmten Organisationen zu lenken sind, ist fraglich. Wird dieses nicht erreicht, werden statt Wirkungen lediglich Mitnahmeeffekte produziert. So betrachtet, ist das mit 300 Millionen Euro ausgestattete Programm des BFD, mit dem 35000 Freiwilligendienstleistende gewonnen werden sollen, gegenüber den 23 Millionen ehrenamtlich Engagierten in Deutschland ein kostspieliger externer Anreiz mit eher begrenzten Effekten.
Gleichzeitig steigt die Befürchtung vieler Menschen, bürgerschaftliches Engagement diene als Lückenbüßer für einen sich zurückziehenden Sozialstaat. Bereits ein Blick in das Feuilleton zeigt, dass Stiften und Spenden und Engagement insgesamt zunehmend auch kritisch gesehen werden. Diese kritische Haltung wird auch genährt durch ein von Politik und Verwaltung vermitteltes Bild des Ehrenamts, wonach staatliches Handeln schlicht ergänzt und manchmal auch ersetzt wird - und eben nicht etwas Eigenständiges und Eigensinniges ist.
Bürgerengagement ist von staatlichem Handeln zu unterscheiden und zu trennen. Es kann staatlichem Handeln nur vorausgehen. Privat vor Staat ist aber keine vermeintlich "neoliberale" Position, sondern entspricht am ehesten dem Wesen einer Bürgergesellschaft. In ihr kommt dem Staat die Aufgabe zu, bürgerschaftliches Engagement und gemeinnützige Organisationen zu stärken und dann dort einzutreten, wo bürgerschaftliches Engagement an seine Grenzen stößt sowie Mängel und Fehler verursacht ("voluntary failure").
Rahmenbedingungen für eine organisierte Zivilgesellschaft
Während in der öffentlichen Diskussion vor allem auf das individuelle Engagement im Sinne des "Aktivbürgers" als Stifter, Spender oder ehrenamtlich Engagierter rekurriert wird, sind es jedoch die organisierten Formen des Engagements, die konstitutiv für die Bürgergesellschaft sind. Erst durch den organisatorischen Rahmen solcher bürgerschaftlicher Assoziationsformen bekommt das individuelle Engagement der Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Sichtbarkeit, Durchschlagskraft und Relevanz sowie ein gewisses Maß an Stabilität und zeitlicher Dauerhaftigkeit.
Die Organisationen beklagen seit langem, dass die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit reformbedürftig sind. Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts, Lockerung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung, Flexibilisierung der Rücklagenbildung, Verbesserung der Möglichkeiten, eigene Einnahmen zu erwirtschaften, sind nur einige der latenten Herausforderungen. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit gemeinnütziger Organisationen sind zunehmend gestiegen, die Mittel für ihre Arbeit, insbesondere die öffentlichen Mittel, sind jedoch rückläufig. In dieser Lage ist die Auseinandersetzung mit Effektivität und Effizienz, mit Kosteneinsparung und Einnahmesteigerungen nicht nur folgerichtig, sie ist für viele gemeinnützige Organisationen alternativlos.
Wer nicht nur die Geselligkeit der Mitglieder fördern, sondern einen gesellschaftspolitischen Gestaltungsanspruch mit eigener ideeller Agenda umsetzen will, benötigt Rahmenbedingungen, die Autonomie und Handlungsfreiheit stärken, statt dauerhafte Abhängigkeit und Unterordnung zu schaffen.
Selbstregelungskompetenzen der Zivilgesellschaft
Die Forderung nach "mehr" Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement mit dem Verweis auf "rückläufige" öffentliche Mittel zu begründen, greift zu kurz. Der Ruf nach Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement ist vielmehr Ausdruck einer grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Modernisierung. Dazu bedarf es neben Staat und Wirtschaft eines flexiblen, lebensweltlichen und problemlösungsorientierten bürgerschaftlichen Engagements in unabhängigen und handlungsfähigen Verbänden, Vereinen, Stiftungen und Initiativen. Um deren Funktionsfähigkeit zu stärken und das Potential bürgerschaftlichen Engagements besser zur Entfaltung zu bringen, sollte eine kluge gesellschaftliche Engagementpolitik in die Selbstregelungskompetenzen der Zivilgesellschaft investieren.