Einleitung
Als Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am 1. März 2011 vor der Presse seinen Rücktritt vom Amt des Verteidigungsministers erklärte, sagte er: "Es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen. (...) Das Konzept der Reform steht."
Mehr als eingehalten wurde jedoch der Zeitplan für die schon am 15. Dezember 2010 vom Bundeskabinett beschlossene und am 24. Februar 2011 in Erster sowie am 24. März 2011 in Zweiter und Dritter Lesung vom Bundestag verabschiedete Wehrdienstreform: Offiziell wurde zum 1. Juli 2011 die Pflicht zum Grundwehrdienst ausgesetzt und ein neuer freiwilliger Wehrdienst eingeführt. Aber schon zum 1. März brauchten nur noch Rekruten die Kasernen beziehen, die dies auch wollten.
In seiner Rede zu Beginn der Zweiten Lesung erklärte der neue Minister unter dem Beifall der FDP und eines Teils der Fraktion der CDU/CSU: "Die Entscheidung, die Verpflichtung zum Grundwehrdienst auszusetzen, ist richtig, und sie ist nicht mehr infrage zu stellen." Er legitimierte dies damit: "Eine Wehrpflichtarmee lässt sich erstens sicherheitspolitisch nicht mehr begründen, und sie ist zweitens militärisch nicht mehr erforderlich. Eine umfassende Wehrgerechtigkeit wäre drittens auch nicht mehr gewährleistet." Er fügte jedoch hinzu, dies nicht mit Freude zu sagen, denn die Aussetzung der Wehrpflicht sei "eine notwendige, aber mich nicht fröhlich stimmende Entscheidung".
In diesen wenigen Sätzen wie auch im unterschiedlichen Beifall der Fraktionen wurde noch einmal deutlich, dass die Entscheidung zwar unvermeidlich, aber auch sehr schwierig gewesen war, denn für die einen (die meisten Abgeordneten der CDU/CSU und ein erheblicher Anteil der SPD-Fraktion) stellte sie einen schweren Eingriff in die Sicherheitskultur der Bundesrepublik dar, für die anderen - nicht nur für die FDP, sondern auch für Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und Teile der SPD - war sie längst überfällig.
In diesem Beitrag sollen einige Hintergründe und Wirkungen der "Neuausrichtung" untersucht werden. Im Folgenden wird zunächst aufgezeigt, wie das Festhalten der beiden Volksparteien an der Wehrpflicht zwei Jahrzehnte lang eine der veränderten Aufgabenstellung der Bundeswehr angemessene Reform verhindert hat. Im zweiten Abschnitt wird gefragt, ob der jetzige Schritt nur dem gegenwärtigen Sparzwang oder auch anderen Argumenten geschuldet ist. Der dritte Abschnitt stellt die Empfehlungen der Strukturkommission zur Bundeswehrreform dem Sachstand der Neuausrichtung der Bundeswehr zum 21. September 2011 gegenüber. Schließlich richtet der letzte Teil des Beitrags den Blick nach vorn, denn anders als die den Anstoß zur Aussetzung gebende Kommission es formulierte, gilt es nicht nur "vom Einsatz her", sondern auch von dessen Ende her zu denken.
Wehrpflicht als Hemmschuh für Militärreformen seit 1990
In den meisten europäischen Staaten kam es nach 1990 zu einschneidenden Veränderungen im Militärsektor. Drei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Erstens erlaubte es der Wegfall der Ost-West-Konfrontation, die Armeen deutlich zu verkleinern. Dies ermöglichte es zweitens, die Staatshaushalte zu entlasten und den Steuerbürgern etwas von der erhofften Friedensdividende zukommen zu lassen. Drittens aber begannen sich am Rande und außerhalb Europas vorwiegend innerstaatliche Konflikte blutig zu entladen, denen entweder mit kleineren, professionell operierenden Militäreinheiten Einhalt zu gebieten war, oder bei denen Waffenstillstände und Wiederaufbaumaßnahmen militärgestützt abgesichert werden sollten. Dies verlangte ebenfalls Professionalität, wenn auch mit anderer Akzentsetzung. Für beide Aufgaben waren strukturelle Änderungen der Streitkräfte erforderlich. Eine Reihe von Staaten leitete diesen Prozess schon bald mit dem Verzicht auf die Wehrpflicht ein.
Deutschland nahm bei den Kürzungen eine Vorreiterrolle ein, weil der die deutsche Einheit ermöglichende Zwei-plus-Vier-Vertrag vorschrieb, die Personalstärke der Bundeswehr Ende 1994 von 495000 auf 370000 Soldaten zu vermindern.
Schon im Jahr der Einheit deutete sich an, dass sich die Aufgaben der Bundeswehr nicht nur durch das Ende des Ost-West-Konflikts grundlegend ändern würden: Zwar hatte sich die Bundesregierung im Zweiten Golfkrieg 1990/91 noch den Wünschen ihrer Alliierten, Militäreinheiten an den Golf zu entsenden, entzogen. Doch bald darauf entschloss sie sich, diese Zurückhaltung aufzugeben. Das größer gewordene Deutschland wollte sicherheitspolitisch eine aktivere Rolle spielen und strebte einen Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. Nicht zuletzt, um diesen zu erreichen, hielt die Regierung es für nützlich, die Bundeswehr an Missionen der Vereinten Nationen (UN) zu beteiligen, was allerdings im Bundestag umstritten war.
Erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 12. Juli 1994 zu "Out-of-area"-Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen der UN wie der NATO
Die Begriffe "Hauptverteidigungskräfte" und "freiwillig länger dienende Wehrdienstleistende" zeigen, wie schwer das Ministerium sich damals tat, die notwendigen Konsequenzen aus der veränderten Weltlage und den eigenen Ambitionen zu ziehen und dies der Öffentlichkeit zu vermitteln. Der eine Begriff suggerierte, dass die Bundeswehr nach wie vor hauptsächlich dem in Artikel 87 a, Absatz 1 Grundgesetz (GG) genannten Ziel der Verteidigung verpflichtet sei. Folglich wurde diesem Teil der Streitkräfte auch der weitaus größte Teil des Personals, vor allem die Grundwehrdienstleistenden zugeteilt, obwohl der Verteidigungsfall für äußerst unwahrscheinlich gehalten wurde. Der andere Begriff war dem Bemühen geschuldet, durch den Wortteil "Wehrdienst" die Aufspaltung der Streitkräfte in eine Interventionsarmee und eine Heimatschutztruppe zu verhindern. Dabei sollte die nunmehr fiktive Gesamtgröße der Wehrdienstleistenden als Klammer zwischen den beiden Teilen der Truppe fungieren.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war aber zu fragen, weshalb noch länger 180000 bis 190000 männliche Angehörige eines Jahrgangs eingezogen werden sollten. Denn dies brachte es zwingend mit sich, dass trotz knapper Mittel ein erheblicher Teil des Stammpersonals allein mit der Ausbildung und Betreuung von Rekruten befasst war, deren Anwesenheit bei der Truppe, wie bereits damals eingeräumt wurde, vor allem dazu diente, aus ihrer Mitte Nachwuchs für längere Verpflichtungszeiten zu gewinnen. Diese Frage warf der damalige Bundespräsident Roman Herzog beim vierzigjährigen Bestehen der Bundeswehr 1995 vor deren Kommandeuren auf: "Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. (...) Wehrpflicht glaubwürdig zu erhalten, heißt also zu erklären, weshalb wir sie trotz des Wegfalls der unmittelbaren äußeren Bedrohung immer noch benötigen."
Da Massenarmeen ohne eine massive Bedrohung nicht mehr gebraucht wurden, reduzierte die Regierung bis 1998 die Bundeswehr - vor allem aus finanziellen Gründen - von den zunächst vorgesehenen 370000 auf 338000 Soldaten. Dieser Abbau konnte angesichts des zunehmenden Bedarfs für Auslandseinsätze, vor allem auf dem Balkan, nur zu Lasten der Hauptverteidigungskräfte erfolgen. Die Plätze für Wehrpflichtige gingen daraufhin überproportional zurück. Um den Durchlauf zu vergrößern und die Wehrgerechtigkeit zu retten, wurde die Grundwehrdienstzeit von zwölf auf zehn Monate verkürzt.
Als SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Herbst 1998 eine Koalition bildeten, forderten die Grünen, die Wehrpflicht auszusetzen, was von großen Teilen der SPD abgelehnt wurde. Beide Parteien beschlossen daher in ihrer Koalitionsvereinbarung, eine Kommission zur Begutachtung der Lage und Zukunft der Bundeswehr einzusetzen. Sie arbeitete unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und attestierte der Bundeswehr am 23. Mai 2000, sie sei "zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern. In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine Zukunft. Die Wehrform produziert zu große Personalumfänge bei gleichzeitig zu schwachen Einsatzkräften."
Anstatt die Kommissionsempfehlungen in die Bundeswehrplanung einfließen zu lassen, beauftragte Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) Generalinspekteur Harald Kujat damit, ein anderes Modell umzusetzen, das nur eine Absenkung des Umfangs der Streitkräfte auf 285000 Soldaten anstrebte und an der Wehrpflicht nicht rüttelte, aber den Grundwehrdienst 2002 von zehn auf neun Monate kürzte.
Als Peter Struck (SPD) kurz vor der Bundestagswahl 2002 das Verteidigungsressort übernahm, bekannte er sich sofort zur Wehrpflicht. Da die Grünen weiterhin für deren Aufhebung eintraten, war es in der Koalitionsvereinbarung der zweiten rot-grünen Regierung im Herbst 2002 wiederum erforderlich, einen Formelkompromiss in dieser Frage zu finden. Er bestand in der Absichtserklärung, noch vor Ende der Legislaturperiode zu überprüfen, ob weitere Strukturanpassungen oder Änderungen bei der Wehrverfassung notwendig seien. Dazu kam es wegen der 2005 vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr.
Die weiteren Anpassungsschritte tangierten die Wehrverfassung nicht. Zwar hatte Struck schon am 5. Dezember 2002 öffentlich eingeräumt, der klassische Verteidigungsauftrag der Bundeswehr sei nicht mehr realistisch, stattdessen müssten Struktur und Ausrüstung optimal auf Auslandseinsätze vorbereitet werden, zugleich aber betont, die Wehrpflicht sei trotzdem "unabdingbar".
Mit der im Herbst 2005 gebildeten Großen Koalition ging das Amt des Verteidigungsministers auf Franz-Josef Jung (CDU) über. Er übernahm sowohl den Generalinspekteur als auch dessen Planung unverändert.
Koalitionsvereinbarungen von 2009 und Weise-Kommission
Wie kam es trotzdem zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011? Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 26. Oktober 2009 hätte wohl niemand damit gerechnet, dass CDU/CSU und FDP in dieser Legislaturperiode mehr als den dort festgehaltenen wehrpolitischen Minimalkonsens zustande bringen würden: "Die Koalitionsparteien halten im Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht fest mit dem Ziel, die Wehrdienstzeit bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu reduzieren. Der Bundesminister der Verteidigung setzt eine Kommission ein, die bis Ende 2010 einen Vorschlag für Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr, inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen, zu erarbeiten hat."
Die Verkürzung der Wehrdienstdauer und die Einsetzung einer Wehrstrukturkommission waren die beiden Teile eines Kompromisses zwischen zwei unvereinbaren Positionen. Dem liberalen Argument pro Aussetzung, dass keine Wehrgerechtigkeit mehr bestehe, wurde durch die Verkürzung des Grundwehrdienstes ab 1. Juli 2010 um ein Drittel Rechnung getragen, auch wenn dies von der Effektivität der Ausbildung her nahezu jedem unvernünftig erschien. Die von den Unionsparteien abgelehnte Strukturentscheidung wurde durch die Kommissionsbildung hingegen erst einmal vertagt.
Verteidigungsminister zu Guttenberg setzte die Wehrstrukturkommission unter Vorsitz des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise am 12. April 2010 ein. Zu Beginn ihrer Tätigkeit war die zentrale Bedeutung der Aufgabe, auf Wirtschaftlichkeit zu achten, noch nicht voll absehbar. Das änderte sich, nachdem die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Eurokrise Ende April 2010 die Notwendigkeit größerer Einsparungen im Staatshaushalt herausstrich. Der Verteidigungsminister wollte offenbar dem Schicksal seiner Vorgänger entgehen, die seit Anfang der 1990er Jahre immer wieder Streichungen am Verteidigungshaushalt hatten hinnehmen müssen und danach gezwungen waren, Größe und Ausrüstung der Streitkräfte dem Etat anzupassen. Daher machte er sich zum Vorreiter der Sparpolitik, hob aber gleichzeitig hervor, dies dürfe der Bundeswehr nicht an die Substanz gehen.
Auf einer Kabinettsklausur am 7. Juni 2010 sagte er Einsparungen von 8,3 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre zu. Dort erhielt er den Auftrag, in Zusammenarbeit mit der Weise-Kommission aufzuzeigen, welche Folgen eine deutliche Reduzierung der Streitkräfte um bis zu 40000 Berufs- und Zeitsoldaten (BS/SaZ) "für die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands, die Einsatz- und Bündnisfähigkeit, Fragen der Beschaffung, die Strukturen und den Gesamtumfang der Bundeswehr sowie die Wehrform und deren Ausgestaltung hätte".
Insgesamt baute die Weise-Kommission expressis verbis "auf den Überlegungen der 'Weizsäcker-Kommission' auf."
Statt der Grundwehrdienstleistenden sollte es einen "freiwilligen militärischen Dienst (...) mit einem Dienstpostenumfang von bis zu 15000 Stellen" geben. "Die Dauer ist so zu bemessen, dass Ausbildung und Qualifikation eine Teilnahme an Auslandseinsätzen ermöglichen. Dies entspricht einer Dienstzeit von mindestens 15 Monaten."
Doch es ging der Kommission nicht nur um eine einsatzorientierte Verwendung dieser Soldatinnen und Soldaten. Vielmehr kritisierte sie die "organisatorische Ausprägung des Ministeriums und der Bundeswehr (als) viel zu komplex. (...) Dies führt zu einer systematisch überstrapazierten Gesamtorganisation, bei der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwangsläufig unklar bleiben."
Verteidigungsminister zu Guttenberg war es weit vor der Bekanntgabe des Berichts schon bewusst, dass an einer Aussetzung der Wehrpflicht kein Weg vorbeiführen würde, zumal der zunächst gewählte Weg der Kürzung des Grundwehrdienstes sich als nicht zielführend erwies. Für den anstehenden Sprung über den langen Schatten der deutschen sicherheitspolitischen Kultur in seiner eigenen CSU und der Schwesterpartei CDU war noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Um dies vorzubereiten, beschlossen die Präsidien von CDU und CSU am 26./27. September eine gemeinsame Erklärung zur "Reform der Bundeswehr", die den Verzicht auf die Einberufung zum Grundwehrdienst einschloss. Sie wurde am 29. Oktober, drei Tage nach der Veröffentlichung des Weise-Berichts, vom CSU-Parteitag in München und drei Wochen später vom CDU-Bundesparteitag am 15. November in Karlsruhe im Wortlaut bestätigt. Ihr Text macht deutlich, dass die Parteibasis mehr dem Charisma des damaligen Hoffnungstrgers der Unionsparteien und den finanziellen Notwendigkeiten folgte als einer inhaltlichen Neubewertung der Wehrpflicht, die weiterhin in höchsten Tönen gelobt wurde.
Ohne die 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse als eine Art Damoklesschwert über der künftigen Haushaltspolitik hätten die Unionsparteien die Bundeswehrreform wahrscheinlich nicht weitgehend so akzeptiert, wie sie von der Weise-Kommission empfohlen wurde. Es wurden zwar noch andere Einsichten genannt, die für eine Reform der Bundeswehrstruktur sprachen, vor allem die veränderte Bedrohungslage sowie die aktuellen Herausforderungen und Aufgaben. Es fällt aber auf, dass ein Argument nicht auftaucht, das für die Befürwortung der Aussetzung durch den Koalitionspartner FDP maßgeblich war, die nicht mehr darstellbare Wehrgerechtigkeit.
Personalforderungen des Weise-Berichts und Ansatz ihrer Realisierung
Während zu Guttenberg bereit schien, eine weitgehend auf den Weise-Vorschlägen basierende Reform bis 2015 durchzuziehen, hat de Maizière den Zeitrahmen etwas großzügiger gesteckt, das heißt, er will die Neuausrichtung innerhalb von sechs bis acht Jahren realisieren.
Die Tabelle (s. die Tabelle der PDF-Version) zeigt an drei Stellen deutliche Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Weise-Kommission und dem derzeitigen Stand der Neuausrichtung: erstens bei der geplanten Zahl von freiwillig Wehrdienstleistenden, jetzt wird von einem Minimum von 5000 Personen ausgegangen, da es sich zumindest in der Übergangszeit als schwierig erwiesen hat, mehr Freiwillige zu finden. Zweitens bei der Steigerungsrate von gleichzeitig im Einsatz stehenden Streitkräften: hier wird von nicht mehr als 10000 Soldatinnen und Soldaten ausgegangen, weil eine höhere Anzahl politisch nicht durchsetzbar sein dürfte. Drittens beim Abbau des zivilen Personals sowohl im Ministerium selbst wie in den nachgeordneten Behörden, weil der Abbau eines Beamtenapparates durch sich selbst nur sehr zäh möglich ist.
Weniger vom Einsatz als vom Ende her denken
Abschließend soll das Vorhaben der Anhebung der gleichzeitig im Einsatz stehenden Kräfte etwas näher betrachtet werden. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die herausragende Rechtsstellung des Parlamentes gegenüber der Bundeswehr konstituiert zugleich dessen zentrale Verantwortung für jeden Einsatz dieses Machtinstruments wie für die damit beauftragten Soldatinnen und Soldaten. Nachdem "Verteidigung" als Hauptfunktion der Streitkräfte nach Artikel 87 a, Absatz 1 GG obsolet geworden ist, kommen nach Artikel 87 a, Absatz 2 GG nur solche Einsätze in Frage, die das Grundgesetz "ausdrücklich zulässt". Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 zur Zulässigkeit von Auslandseinsätzen festgeschrieben. Demnach sind Einsätze nur zulässig, "wenn und soweit sie strikt auf die Friedenswahrung verpflichtet sind".
Fast alle vom Bundestag legitimierten Bundeswehreinsätze der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte entsprachen diesen Anforderungen. Auch der Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan war als eine von der UN mandatierte humanitäre Intervention geplant und wurde in den ersten Jahren auch so geführt. Er zeigt aber, wie groß die Gefahr ist, in einen Krieg hineingezogen zu werden, in dem man nolens volens zur Partei wird und gerade deshalb nicht einfach abziehen kann, obwohl Kampfeinsätze der Bundeswehrkontingente dem ursprünglichen Mandat und seinen Zielen nicht mehr entsprechen. Dadurch steht der Bundestag seit mehreren Verlängerungsentscheidungen vor einem Dilemma, welches er durch das Bemühen um eine über die jeweilige Koalitionsmehrheit hinausgehende Zustimmung aus den Reihen der Oppositionsparteien abmildern, aber nicht auflösen kann.
"Vom Einsatz her denken" beinhaltet angesichts dieser Erfahrung "vom Ende" eines solchen her zu denken. Das heißt: Der Bundestag hat alle Wünsche der UN, der NATO oder auch der Europäischen Union zur Beteiligung der Bundeswehr vor seiner eventuellen Zustimmung sorgfältig daraufhin zu befragen, ob sie dem zentralen Kriterium der strikten Friedenswahrung nicht nur aktuell, sondern auch auf mittlere Sicht, das heißt bis zu dem erwarteten Endzeitpunkt des Engagements, entsprechen. Das bedeutet zugleich: Die vorgesehene Aufstockung der Kräfte, die gleichzeitig für zwei länger währende Auslandseinsätze zur Verfügung stehen sollen, von 7000 auf 10000 darf nicht zu einer erhöhten Einsatzfreudigkeit führen, die sich in einer Ausweitung vorhandener Mandate oder schnelleren Zustimmung zu neuen Missionen äußern könnte. Auch wenn gegenwärtig wegen der Akzeptanzprobleme der ISAF-Beteiligung eher eine Zurückhaltung des Bundestages zu erwarten ist, sollte er künftig jeden Verlängerungsantrag der Bundesregierung äußerst skrupulös daraufhin prüfen, ob und wie lange sowie mit welchem personellen Aufwand und welcher Ausrüstung ein Verbleiben im Einsatzgebiet notwendig ist und ob die Truppe reduziert, umstrukturiert oder gar abgezogen werden kann.
Dieselbe Sorgfalt muss erst recht für jeden neuen Antrag gelten. Dilemmata wie im Falle der Verlängerungen des ISAF-Mandates sind kaum zu vermeiden, wenn eine Truppe erst einmal entsandt worden ist, denn dann bedeutet die Verweigerung eines Verlängerungsantrags durch den Bundestag auch ein Misstrauensvotum gegen die antragstellende Regierung, weshalb Abgeordnete der jeweiligen Koalition manchmal auch widerwillig Mandate absegnen, die ihnen suspekt erscheinen.
Seit Gründung der Bundeswehr haben das Konzept der Inneren Führung und ihr Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" als Ausbildungsprinzipien und Verhaltensgrundsätze für die Demokratieverträglichkeit der Streitkräfte gesorgt. Dabei wurden aber nicht nur die Grundwehrdienstleistenden nach diesem Konzept und Leitbild ausgebildet, sondern auch alle anderen Soldaten. Für die Bundeswehr als Freiwilligenarmee hat der Bundestag darüber zu wachen, dass diese Prinzipien auch eingehalten und mit Blick auf die Einsatzrealitäten weiter ausgebaut werden, denn in allen erlaubten Fällen haben die Soldaten auch demokratiefördernde Aufgaben, worauf sie durch die Ausbildung in Innerer Führung am besten vorbereitet werden können.