Einleitung
"I have often said to European friends: So, you didn't like a world of too much American power? See how you like a world of too little American power - because it is coming to a geopolitical theater near you."
Präsident Obama ist 2009 mit dem Anspruch einer umfassenden Transformation der amerikanischen Politik angetreten. Dieser bezog sich zuallererst zwar auf die Innen- und Wirtschaftspolitik, aber auch in der Außenpolitik war das Ziel, ein Kontrastprogramm zu der Politik seines Vorgängers George W. Bush zu entwickeln, das heißt stärker auf multilaterale Diplomatie, Einhaltung internationaler Normen und Konsultationen zu setzen. Hier war er nur partiell erfolgreich. Eine Weiterentwicklung internationaler multilateraler Regelsysteme und Institutionen ist trotz rhetorischer Bekenntnisse ausgeblieben. Die USA sind weder dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten noch haben sie das Kyoto-Protokoll unterstützt. Auch zum Abschluss der Doha-Runde der Welthandelorganisation WTO tragen sie zu wenig bei. Die Vorstellungen liberaler amerikanischer Theoretiker über eine neue, posthegemoniale Weltordnung scheinen sich nicht verwirklichen zu lassen, und auch die Aussichten auf eine "neu verhandelte" internationale Ordnung, in der die USA ihre Führungsposition durch Teilung von Führungsansprüchen und multilateraler Entscheidungsgewalt behalten, sind gering, zumal die US-amerikanische Einstellung zur Aufgabe von Souveränität und zum Eingehen von Bindungen an multilaterale Regelsysteme traditionell höchst ambivalent ist.
Schließlich wollte Obama das militärische Engagement im Irak beenden (der Abzug der US-Truppen soll Ende 2011 abgeschlossen sein), in Afghanistan dagegen die Truppen aufstocken, um die Taliban und al-Qaida zurückzudrängen, obgleich die Administration die Spannung zwischen counterinsurgency und counterterrorism nie zufriedenstellend auflösen konnte. Obama wies zwar die umfassende Definition eines war on terror zurück, doch die Sicherheitspolitik der USA kennzeichnet weiterhin eine aktive und invasive Terrorismusbekämpfung. Der Präsident hat zwar Korrekturen an Methoden der Terrorbekämpfung im Hinblick auf Folter, außerordentliche Auslieferungen und gerichtliche Überprüfungen von Inhaftierungen vorgenommen, gleichzeitig aber umstrittene Instrumente beibehalten. Die Praxis der unbegrenzten Inhaftierung ohne Prozess und der Militärtribunale gibt es nach wie vor, ebenso das Lager von Guantánamo. Entgegen offizieller Verlautbarungen sind die USA zu einem Abwägen zwischen nationaler Sicherheit und freiheitlichen Werten gezwungen.
Die große Ernüchterung bezieht sich also nicht darauf, dass die Obama- der Bush-Administration ähnlich sei, sondern darauf, dass sich die Ansprüche auf eine globale Führungsrolle unter dramatisch veränderten Umständen nicht mehr so einfach einlösen lassen. Die aktuelle Regierung sprach in ihrer National Security Strategy von 2010 von "nationaler Erneuerung und globalem Führungsanspruch", wobei erstere als die Voraussetzung für die Durchsetzung des globalen Führungsanspruchs genannt wurde.
Schwindende ökonomische und fiskalische Basis
Die seit 2007 laufende Wirtschafts- und Finanzkrise hat das amerikanische Wirtschaftsmodell, das auf einer kreditgetriebenen Aufblähung des Immobilien- und Bausektors beruhte, nachhaltig geschwächt. Die Wirtschaft zeigt langfristige Stagnationserscheinungen, wobei der überschuldete Immobiliensektor die Achillesferse bleibt.
Unabhängig davon, wie realistisch diese Schätzungen sind, ist es eine Tatsache, dass die USA mit einer ernsthaften Haushalts- und Schuldenkrise konfrontiert sind. Die Neuverschuldung wird 2011 mit 1,5 Billionen Dollar fast zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen, und die Gesamtverschuldung wird von 40 Prozent des BIP vor der Krise auf über 70 Prozent steigen.
Eine nachhaltige Haushaltkonsolidierung ist unumgänglich geworden. Die parteiübergreifende Kommission hielt eine Defizitreduzierung von vier Billionen US-Dollar für notwendig, die zu zwei Dritteln aus Ausgabenkürzungen und zu einem Drittel aus Einnahmeverbesserungen bestehen sollte. Zum Beitrag des Verteidigungshaushalts machte die Kommission nur vage Angaben. Die Kürzungsvorschläge betrafen vor allem die Gesundheits- und Sozialprogramme.
Die Diskussion darüber ist jedoch facettenreich. Der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, Admiral Mike Mullen, bezeichnete die wachsende Neuverschuldung und das staatliche Verschuldungsniveau selbst als "die größte Sicherheitsbedrohung".
Die budgetäre Lage zeigt jetzt schon Auswirkungen auf die Strategiediskussion. So wird für eine Revitalisierung der Powell-Doktrin geworben, nach der die USA nur bei klarer strategischer Zielsetzung überwältigende militärische Macht einsetzen sollen, um ihre Ziele rasch zu erreichen. Auszuschließen wären budgetär belastende, langwierige militärische Unternehmungen mit diffusen Zielsetzungen.
Dysfunktionalität des politischen Systems
Die Auseinandersetzung um Haushaltskonsolidierung und die Anhebung der Verschuldungsobergrenze haben die ganze Dysfunktionalität der amerikanischen Politik offen gelegt, welche die Entscheidungsfindung selbst in Routinefragen lähmt.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Dysfunktionalität und der Ansehensverlust des politischen Systems auf außenpolitische und strategische Fragen übergreifen. Diese Lähmung im politischen Entscheidungsprozess zu Zeiten einer ungelösten Wirtschafts- und Finanzkrise wirft die Frage nach der Führungsfähigkeit der USA auf. Der Zustand der USA wird von Rivalen und Partnern besonders in Asien beobachtet, tangiert sie doch die Einschätzung ihrer zukünftigen Weltmachtrolle.
Amerikanischer Neo-Isolationismus?
Anders als bei den Zwischenwahlen 2006 haben die aktuellen außenpolitischen Konflikte und die langfristigen strategischen Optionen bei den midterm elections 2010 keine Rolle gespielt. Schon dieser Befund verweist darauf, dass die Wählerschaft nach innen gekehrt und die Fortschreibung der amerikanischen Weltmachtrolle, zumindest in ihrer bisherigen Form, unsicher ist. Ob man derartige Tendenzen schon als Neo-Isolationismus bezeichnen sollte, sei dahin gestellt, sicherlich gibt es aber strukturelle Faktoren, die isolationistische Tendenzen begünstigen. Richard N. Haass vom Council on Foreign Relations hat eine zeitgemäße Definition des Neo-Isolationismus gegeben: "Isolationism is the willful turning away from the world even when a rigorous assessment of U.S. interests argues for acting",
Ein Symptom für neo-isolationistische Tendenzen ist die Entstehung der Tea Party, einer heterogenen Bewegung des rechten Anti-Establishment-Populismus. Während sich die bisherigen Themen der Tea Party auf Zurückdrängung des Staates in der Wirtschaft, Ausgabenkürzungen und Rückkehr zu einem Staats- und Verfassungsverständnis des 19. Jahrhunderts konzentrieren, ist ihre Positionierung hinsichtlich der amerikanischen Weltmachtrolle nicht klar. Eindeutig isolationistisch ist der libertäre Flügel, der vom republikanischen Abgeordneten Ron Paul repräsentiert wird. Hier wird jeglichem internationalem Engagement, vor allem der Rolle der USA als Weltpolizist, abgeschworen. Der andere, von Gouverneur Rick Perry und Michele Bachmann vertretene Flügel setzt auf eine robuste Reaktion auf den internationalen Terrorismus, verbunden mit einer vorbehaltlosen Unterstützung Israels im Nahostkonflikt, während nicht nur der laufende Abzug aus dem Irak befürwortet, sondern auch für einen raschen Abzug aus Afghanistan plädiert wird. Der Fokus auf Israel und die Abwehr terroristischer Bedrohung halten isolationistische Impulse ebenso in Schach wie die Perzeption des iranischen Atomprogramms als Risikofaktor. Was die beiden Flügel vereint, ist eine Ablehnung des liberalen Internationalismus, der Förderung multilateraler Institutionen und rechtlicher Verpflichtungen, sei es der Internationale Strafgerichtshof oder ein internationales Klimaschutzregime.
Nicht unerheblich ist zudem, dass sich der Anti-Elitismus der Tea-Party-Bewegung in einer Abneigung gegen Experten, geschultes und abwägendes Urteilsvermögen und informierte Expertise manifestiert und sich damit gegen alle Institutionen wendet, welche die internationale Verflechtung der USA organisieren, analysieren und befürworten. Zur Bewertung der außenpolitischen Rolle der USA genügt ihren Anhängern das eigene moralistische Werteraster und eine krude Risikoperzeption, aus der sich die notwendigen Aktionen und Reaktionen ergeben. Genaue Vorstellungen über die Komplexität internationaler Problemlagen, spezifischer kultureller, politischer und wirtschaftlicher Faktoren werden von Tea-Party-Exponenten nicht für nötig erachtet.
Laut Anfang 2011 veröffentlichter Umfragen halten zwei Drittel der Amerikaner den Krieg in Afghanistan für nicht länger führenswert.
In einer interdependenten Welt ist ein konsequenter Neo-Isolationismus keine Option, und öffentliche Stimmungen übersetzen sich nicht automatisch in Politik, zumal das internationalistische Establishment in Wissenschaft, Wirtschaft und Medien an Ost- und Westküste immer noch stark ist. Doch die amerikanische Politik wird sich wachsenden neo-isolationistischen Stimmungen nicht einfach entziehen können. Die Strukturen und Ereignisse, die diese Stimmungen befördern - die Wirtschaftskrise und die Desillusionierung hinsichtlich militärischen Engagements -, werden weiterhin wirksam sein. Für die amerikanische Politik gilt es also, eine Strategie zu entwickeln, die diese Trends berücksichtigt.
Zukunft der amerikanischen Weltmachtrolle
Die Debatte über die Zukunft der amerikanischen Weltmachtrolle hat begonnen und wird von den drei hier genannten Faktoren geprägt werden: der schwindenden ökonomischen Basis, der Dysfunktionalität des politischen Systems und den starken neo-isolationistischen Strömungen in der amerikanischen Bevölkerung. All diese Faktoren sprechen für eine reduzierte Weltmachtrolle, für eine Rücknahme von Verpflichtungen und für eine Konzentration auf klar umrissene strategische Optionen. Doch welche Optionen bieten sich an?
Die große Ernüchterung besteht im Kern darin, dass die politische und wirtschaftliche Lage die USA dazu zwingt, eine Bestandsaufnahme amerikanischer Handlungsoptionen vorzunehmen. Damit steht die bisherige Annahme zur Disposition, man könne alles erreichen, ohne je eine Kostenrechnung aufzumachen. Auch ist nicht abzusehen, wie die Strategiedebatte für die "frugale Supermacht" ausgehen wird. Sie findet innerhalb der Zwänge eines dysfunktionalen politischen Systems statt, das leicht argumentative wie reale Verwerfungen und Verzerrungen produziert. Auch wird die Debatte nicht linear oder konsistent sein. Die Tea Party mag augenblicklich isolationistische Signale senden, doch Meinungsumfragen zeigen, dass ihre Anhänger - wenn auch mit knappen Mehrheiten - auf Frieden durch militärische Stärke setzen und eine Reduzierung des Verteidigungshaushaltes ablehnen, was sie in diametralen Gegensatz zum demokratisch-liberalen Spektrum setzt.
Die Debatte um die Rolle der USA als Weltmacht steht noch am Anfang. Sie wird zudem über Stellvertreterdebatten geführt, etwa über den Umfang des Verteidigungshaushalts oder die Geschwindigkeit des Rückzugs aus Afghanistan. Die schrumpfende Ressourcenbasis muss nicht notwendig in einen Neo-Isolationismus münden. Zu rechnen ist vielmehr mit einer permanenten Auseinandersetzung zwischen jenen, die sich für die Fortsetzung des internationalen Engagements und die Aufrechterhaltung militärischer Kapazitäten aussprechen, und den Befürwortern einer verstärkten Binnenorientierung, die sich aber den ökonomischen und budgetären Zwängen sowie den nicht kontrollierbaren Tendenzen des polarisierten politischen Diskurses kaum werden entziehen können. Dass die Debatte unter solch widrigen Umständen geführt werden muss, ist die eigentliche Ernüchterung, gerade für die außenpolitische Elite in den USA. Sie könnte sich nur dann versachlichen, sollte sich das strategische Umfeld günstig gestalten. Doch dafür gibt es keine Garantie, wie die historischen Umwälzungen im Nahen Osten und die immer selbstbewusstere Artikulation hegemonialer Ansprüche Chinas in Ostasien zeigen.