Einleitung
Wohl kaum eine Bewegung hat die politische Agenda der USA in den vergangenen Jahren so bestimmt wie die Tea Party.
Die "Tea Party tidal wave",
Obwohl die Tea Party den Begriff im Namen trägt, ist sie nicht als Partei zu bezeichnen: Sie hat keine Parteiführung, keinen gewählten Vorstand, keine Satzung und keine hierarchische Organisation, sondern besteht aus lose miteinander verbundenen Gruppen, die sehr heterogen sind. Umso erstaunlicher ist es, dass es ihr gelungen ist, erheblichen Druck auf die Entscheidungsträger in Washington auszuüben.
Entstehung der Bewegung
Die Tea Party entstand im Frühjahr 2009 als Reaktion auf legislative Vorhaben, die die USA aus der Wirtschaftskrise führen sollten, wie der Emergency Economic Stabilization Act (2008) oder der American Recovery and Reinvestment Act (2009). In Erinnerung an den amerikanischen Widerstand gegen die britische Kolonialpolitik (Boston Tea Party, 1773) fanden im Februar 2009 die ersten Treffen von politischen Aktivisten statt. "Tea" steht dabei auch als Abkürzung für taxed enough already, was eine zentrale Forderung der Bewegung zusammenfasst. Die Tea Party artikuliert zugleich Positionen, die seit der Amerikanischen Revolution eine zentrale Rolle im öffentlichen Diskurs gespielt haben. So ist etwa die Auseinandersetzung zwischen federalists und anti-federalists um die Frage, wie Bundes- und Staatenebene auszutarieren sind, so alt wie die USA selbst. In gewisser Weise folgen die Tea-Party-Anhänger hier der Argumentation der frühen Präsidenten Thomas Jefferson und James Madison, die grundsätzliche Bedenken gegenüber einer starken Bundesebene hegten. Gleichzeitig weist die Tea Party aber auch Merkmale auf, die sie in eine Reihe mit Bewegungen wie die American Liberty League oder die John Birch Society stellt.
Was neben der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Obama-Administration den Auslöser für das Entstehen der Tea Party darstellt, lässt sich schwer rekonstruieren.
Profil der Tea-Party-Anhänger
Eine seit April 2010 fortlaufende Erhebung der "New York Times" und CBS News (National Survey of Tea Party Supporters, NSTP) zeigt, dass die Tea Party nennenswerte Unterstützung aus der Bevölkerung erfährt.
Die Tea Party reklamiert zwar, dass sie eine überparteiliche Bewegung sei, die sowohl gegenüber den Demokraten als auch den Republikanern eine kritische Distanz wahrt. Ein Blick auf das Profil der Anhänger zeigt aber, dass ihre Anhänger keineswegs politische Neutren sind, sondern überwiegend der Republikanischen Partei zuneigen. Nach den Umfragen des Instituts Greenberg Quinlan Rosner trifft dies für 86 Prozent der Tea-Party-Anhänger zu.
Ferner ist charakteristisch, dass sie religiöser sind als der Durchschnitt: Während 27 Prozent der Gesamtbevölkerung angeben, einmal in der Woche den Gottesdienst zu besuchen, liegt der Anteil bei den Tea-Party-Vertretern mit 38 Prozent deutlich höher.
Politische Ansichten der Anhängerschaft
Traditionell besteht in den USA ein starkes Misstrauen gegenüber den bundesstaatlichen Institutionen; dieses ist bei den Tea-Party-Anhängern besonders stark ausgeprägt: 96 Prozent von ihnen lehnen es ab, wie der Kongress arbeitet.
Im Vergleich mit den Republikanern zeigt sich, dass die Zustimmung zu bestimmten pointierten politischen Statements unter den Tea-Party-Anhängern zum Teil deutlich höher ist (siehe Tabelle der PDF-Version). Dies gilt unter anderem für die Einwanderungspolitik, die Wirtschafts- und auch die Klimapolitik. Politisch von verheerender Wirkung ist, dass eine Zweidrittelmehrheit der Tea-Party-Anhänger den Klimawandel vollkommen ignoriert. Auch bei den Fragen, ob Abtreibungen ermöglicht oder die Waffenkontrollgesetze gelockert werden sollen, zeigen sich Zustimmungsunterschiede zwischen Tea-Party-Anhängern und Republikanern, während gleichgeschlechtliche Ehen in beiden Gruppen ähnlich bewertet werden.
Bemerkenswert ist, dass sich die Wut - und vielfach auch der Hass - der Tea-Party-Anhänger auf Präsident Barack Obama konzentriert. Dies lässt sich nur bedingt dadurch erklären, dass er für die Verschuldung oder wirtschaftspolitische Interventionen verantwortlich gemacht wird. Denn es war schließlich sein Vorgänger George W. Bush, der mit dem Afghanistan- und dem Irak-Krieg einen erheblichen Teil der Staatsverschuldung mitverursacht und mit dem Emergency Economic Stabilization Act ebenso das Finanzsystem unterstützt hat.
In der Öffentlichkeit dominiert jedoch der wirtschaftspolitische Diskurs. Die Tea Party vertritt hier einen limited-government-Konservativismus, wobei die Glaubwürdigkeit dieser Position bisweilen angezweifelt wird. Laut NSTP bezieht fast jeder zweite Tea-Party-Anhänger (oder eine bei ihm im Haushalt lebende Person) Leistungen vom Staat. 62 Prozent von ihnen erachten diese Programme als wertvoll.
Qualitative Erhebungen im Bundesstaat Massachusetts zeigen, dass die Tea-Party-Anhänger eine differenzierte Haltung gegenüber den bundesstaatlichen Programmen einnehmen, die keinesfalls so eindeutig sind, wie manch standardisierte Umfrage vermuten lässt. Die Anhänger stufen sich selbst als worker, als produktive Menschen ein, die sich gemäß ihrer eigenen Wahrnehmung die sozialstaatlichen Ansprüche durch lebenslanges Arbeiten verdient haben. Genau diesen Verdienst sprechen sie anderen Bevölkerungsgruppen ab - insbesondere Immigranten und auch Menschen jüngerer Bevölkerungskohorten, die aufgrund demografischer Veränderungen ethnisch unterschiedlicher sind.
Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild: Nicht alle Tea-Party-Sympathisanten sind ausschließlich als Anhänger einer orthodoxen Marktlehre einzustufen. Vielmehr vermengen sich wirtschaftspolitische Haltungen mit anderen Motiven - etwa der Aversion gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, eines spezifischen Verständnisses des individuellen Verdienstes, das durch rassistisch unterlegte Stereotype beeinflusst wird, der Furcht vor einem kulturellen Wandel des Landes und der nostalgischen Verklärung des Amerikas des 18. Jahrhunderts. Aus dieser weltanschaulichen Melange erklärt sich die Abneigung gegenüber der Obama-Administration und der Ausweitung bundesstaatlicher Programme. Das Psychogramm der Tea-Party-Anhänger ist damit komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Organisationen wie FreedomWorks oder die Tea Party Patriots versuchen naturgemäß, ein vorteilhafteres Bild der Bewegung zu zeichnen und heben viel stärker auf die abstrakten Prinzipien der liberalen Marktwirtschaft und die vermeintlichen Intentionen der Gründerväter ab. Hinsichtlich der Vermarktung der Bewegung haben die Tea-Party-Anhänger damit eine geschickte Strategie gewählt.
Graswurzelbewegung oder top-down-Organisation?
Zur Frage, wie sich die Aktivisten der Tea Party vernetzen und ihrer politischen Bewegung damit Dynamik und Durchschlagskraft verleihen, ist zunächst festzustellen, dass sich ein Großteil der Tea-Party-Aktivitäten außerhalb der politischen Institutionen vollzieht und sich Interaktionen der Mitglieder kaum durch Rollenzuweisungen verstetigt haben, wie es für Parteien oder Verbände typisch wäre. Bei näherer Betrachtung ist zu erkennen, dass unter dem Label "Tea Party" ganz unterschiedliche Phänomene subsumiert werden:
Viele Teilgruppen tragen zu Recht das Etikett eines grassroots movement, das heißt einer spontanen, in erster Linie von Privatpersonen getragenen Initiative "von unten". Eine Untersuchung der "Washington Post" ergab, dass 40 Prozent der 647 befragten lokalen Tea-Party-Gruppen mit keiner nationalen Organisation zusammenarbeiten und somit auch keine maßgebliche externe Unterstützung erfahren. Die nationale Gruppierung, die am ehesten für sich in Anspruch nehmen kann, eine Graswurzelbewegung zu sein und zugleich die meisten Mitglieder verzeichnet, sind die Tea Party Patriots. Sie haben sich 2009 gegründet und verfügen nach eigenen Angaben über mehr als 1000 lokale Gruppen, die primär ökonomische Ziele verfolgen.
Wer den Zusammenhalt dieser oder ähnlicher Gruppen erklären möchte, kann die mediale Begleitung, die die Tea Party erfahren hat, nicht außer Acht lassen. So kommen dem rechtskonservativen Fox News Channel und dem zur Ikone avancierten Moderator Glenn Beck mehr als nur eine flankierende Rolle zu: 63 Prozent der Anhänger gaben an, dass sie sich in erster Linie über Fox News informieren.
Gegner führen allerdings an, dass manche Gruppen in der Bewegung dem Bild der Graswurzelbewegung kaum entsprechen würden. Teile der Tea Party wurden und werden schließlich von Wirtschaftsunternehmen, politischen Organisationen und Parteien derart stark unterstützt, dass unklar ist, wie basisdemokratisch die Bewegung tatsächlich ist. Prominent zeigen sich etwa bei der Organisation FreedomWorks, die vom ehemaligen majority leader im Repräsentantenhaus, Dick Armey, geleitet wird, Verknüpfungen zwischen der Tea Party und der Republikanischen Partei. Durch vielfältige organisatorische und finanzielle Hilfe vermochte es FreedomWorks, den Unmut der Bevölkerung in Proteste zu kanalisieren und diese zu verstetigen. So veranstaltete die Organisation unter anderem 2009 und 2010 zentrale Protestmärsche und bot in diesem Rahmen auch Workshops zu Themen wie Spendeneinwerbung und Mobilisierung an, an denen über 2000 lokale Aktivisten teilnahmen.
Die weitere Entwicklung der Tea Party ist schwer zu prognostizieren: Aufgrund des Selbstverständnisses als Bewegung ist nicht zu erwarten, dass sich die Aktivisten und Sympathisanten vollends in das Korsett einer straffen Organisation oder Partei drängen lassen. So wird auch die von der Abgeordneten Michele Bachmann im Kongress gegründete parlamentarische Vertretung der Bewegung (Tea Party Caucus) von den eigenen Anhängern durchaus kritisch bewertet, da sie als ein erneuter Versuch der Republikanischen Partei gedeutet wird, die Bewegung zu vereinnahmen. Einfluss wird die Tea Party weiterhin eher dadurch behalten, dass sie politischen Druck auf die Grand Old Party ausübt.
Konflikt oder Kompromiss?
Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich die Tea-Party-Bewegung in den USA etabliert. Die Ziele ihrer einzelnen Gruppierungen sind widersprüchlich und jenseits einer diffusen Unzufriedenheit mit der Politik nur schwerlich vereinbar. Es ist zwar zu bezweifeln, dass die Tea Party ihr zu den Wahlen 2010 erreichtes Mobilisierungsniveau dauerhaft halten können wird. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber - etwa zur American Liberty League in den 1930er, zur John Birch Society in den 1960/70er und Ross Perots Reform Party in den 1990er Jahren -, dass die Denkmuster der überzeugten Aktivisten auch bei einem Rückgang der Aufmerksamkeit für die Tea Party und ihre Abgeordneten im Kongress keinesfalls verschwinden werden.
Bemerkenswert ist, dass die Tea Party seit September 2011 von einer anderen Protestbewegung Konkurrenz bekommen hat: Unter dem unmissverständlichen Slogan "Occupy Wall Street" demonstrieren vor allem junge Amerikaner gegen die wirtschaftlichen Machtstrukturen. Sie wollen - wie sie selbst sagen - eine echte Graswurzelbewegung sein und gleichzeitig ein Gegengewicht zur Tea Party bilden. Ob sie dabei ähnlichen Einfluss entwickeln können, bleibt abzuwarten.