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Zwischen Marktradikalität und sozialer Missgunst:Die Tea Party und ihre Anhänger | USA | bpb.de

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Zwischen Marktradikalität und sozialer Missgunst:Die Tea Party und ihre Anhänger

Henrik Gast Alexander Kühne Alexander Kühne Henrik Gast /

/ 15 Minuten zu lesen

Kaum eine Bewegung hat die Politik der USA in den vergangenen Jahren so beeinflusst wie die Tea Party. Ihre Sympathisanten eint vor allem die leidenschaftliche Ablehnung Obamas.

Einleitung

Wohl kaum eine Bewegung hat die politische Agenda der USA in den vergangenen Jahren so bestimmt wie die Tea Party. Nach den Erfolgen bei den Vorwahlen (primaries) und den Zwischenwahlen (midterm-elections, Wahlen zum Kongress) 2010 hat sie im parlamentarischen Alltagsgeschäft des 112. Kongresses keineswegs an politischer Kraft eingebüßt - auch wenn sich jüngst bei Umfragen ein leichter Abwärtstrend abzeichnet. Bei den Verhandlungen um die Erhöhungen der Schuldengrenze im Juli und August 2011 zeigten sich ihre Vertreter unnachgiebig und durchsetzungsstark. Sie torpedierten Kompromisse zwischen dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, und Präsident Barack Obama und forderten radikale Einschnitte im Bundeshaushalt. Schließlich setzten sie ein Sparpaket von mindestens 2,1 Billionen US-Dollar durch und verhinderten jegliche Steuererhöhungen, auf die Obamas Demokraten bis zuletzt gepocht hatten. Mitch McConnell, der republikanische Fraktionsführer im Senat, erklärte die Tea Party zum "Sieger in dieser Schlacht".

Die "Tea Party tidal wave", von der der Senator Rand Paul am Rande der midterm-elections 2010 sprach, zeigt ohne Zweifel Wirkung. Es ist zu erwarten, dass die Tea Party auch in Zukunft die politische Agenda, die Ausrichtung der Grand Old Party (der Republikaner) und möglicherweise auch den republikanischen Präsidentschaftskandidaten mitbestimmen wird. Die Bewegung gewinnt aber auch deswegen an Relevanz für den politikwissenschaftlichen wie öffentlichen Diskurs, weil sie aufzeigt, wie weit die gesellschaftliche Polarisierung in den USA vorangeschritten ist.

Obwohl die Tea Party den Begriff im Namen trägt, ist sie nicht als Partei zu bezeichnen: Sie hat keine Parteiführung, keinen gewählten Vorstand, keine Satzung und keine hierarchische Organisation, sondern besteht aus lose miteinander verbundenen Gruppen, die sehr heterogen sind. Umso erstaunlicher ist es, dass es ihr gelungen ist, erheblichen Druck auf die Entscheidungsträger in Washington auszuüben. Doch was treibt die Anhänger an, und wie haben sie es geschafft, sich in relativ kurzer Zeit zu einer bedeutenden Kraft im amerikanischen politischen System zu entwickeln?

Entstehung der Bewegung

Die Tea Party entstand im Frühjahr 2009 als Reaktion auf legislative Vorhaben, die die USA aus der Wirtschaftskrise führen sollten, wie der Emergency Economic Stabilization Act (2008) oder der American Recovery and Reinvestment Act (2009). In Erinnerung an den amerikanischen Widerstand gegen die britische Kolonialpolitik (Boston Tea Party, 1773) fanden im Februar 2009 die ersten Treffen von politischen Aktivisten statt. "Tea" steht dabei auch als Abkürzung für taxed enough already, was eine zentrale Forderung der Bewegung zusammenfasst. Die Tea Party artikuliert zugleich Positionen, die seit der Amerikanischen Revolution eine zentrale Rolle im öffentlichen Diskurs gespielt haben. So ist etwa die Auseinandersetzung zwischen federalists und anti-federalists um die Frage, wie Bundes- und Staatenebene auszutarieren sind, so alt wie die USA selbst. In gewisser Weise folgen die Tea-Party-Anhänger hier der Argumentation der frühen Präsidenten Thomas Jefferson und James Madison, die grundsätzliche Bedenken gegenüber einer starken Bundesebene hegten. Gleichzeitig weist die Tea Party aber auch Merkmale auf, die sie in eine Reihe mit Bewegungen wie die American Liberty League oder die John Birch Society stellt. Insbesondere seit den als New Deal bekannt gewordenen Wirtschafts- und Sozialreformen von Franklin D. Roosevelt während der Großen Depression in den 1930er Jahren haben unterschiedliche Gruppen eine Rückkehr zu begrenzter Bundesstaatlichkeit (limited government) propagiert.

Was neben der allgemeinen Unzufriedenheit mit der Obama-Administration den Auslöser für das Entstehen der Tea Party darstellt, lässt sich schwer rekonstruieren. Zweifellos hatte die im Fernsehkanal CNBC ausgestrahlte Brandrede des Kommentators Rick Santelli im Februar 2009 eine katalysierende Wirkung. Er kritisierte, dass die Regierung mit der Unterstützung für in Not geratene Schuldner (mortgage plan) schlechtes Verhalten belohnen würde und erzeugte damit eine beispiellose Resonanz: Zahllose lokale Protestveranstaltungen wurden organisiert, die im September 2009 in einen großen taxpayers-Protestmarsch mündeten. Der politische Aufstieg dieser Bewegung, die "The Economist" im Januar 2010 als "America's most vibrant political force" einstufte, vollzog sich rasant. Erste nationale Organisationen wie die Tea Party Patriots oder Tea Party Nation gründeten sich bereits im Frühsommer 2009. Elektrisierend wirkte für die gesamte Bewegung die Gesundheitsreform (Patient Protection and Affordable Care Act sowie Health Care and Education Reconciliation Act), die Obama 2010 gegen zahlreiche Widerstände durchgesetzt hatte. Vor allem von der Versicherungspflicht, die das Gesetz vorsieht und dem Staatsverständnis der Tea-Party-Anhänger grundlegend widerspricht, sind mobilisierende Effekte ausgegangen.

Profil der Tea-Party-Anhänger

Eine seit April 2010 fortlaufende Erhebung der "New York Times" und CBS News (National Survey of Tea Party Supporters, NSTP) zeigt, dass die Tea Party nennenswerte Unterstützung aus der Bevölkerung erfährt. Im Durchschnitt stuften sich bis zum Juli 2011 rund 23 Prozent der Bürger als Unterstützer ein. Allerdings ist dieser Wert allein im August 2011 um acht Prozentpunkte gefallen, was durchaus auf das kompromisslose Auftreten der Tea-Party-Vertreter während der Verhandlungen um die Anhebung der Schuldengrenze zurückzuführen ist. Innerhalb des Lagers der Anhänger ist zwischen passiven und aktiven Mitgliedern zu unterscheiden: Nur ungefähr 20 Prozent der Unterstützer oder vier Prozent aller Amerikaner haben schon einmal Geld für die Tea Party gespendet oder an einem Treffen teilgenommen. Der Anteil der Aktiven fällt somit - und das ist typisch für soziale Bewegungen und Parteien - deutlich geringer aus. Wie unterscheiden sich nun die Tea-Party-Anhänger von der übrigen Bevölkerung? Wie sind ihre Motive zu charakterisieren?

Die Tea Party reklamiert zwar, dass sie eine überparteiliche Bewegung sei, die sowohl gegenüber den Demokraten als auch den Republikanern eine kritische Distanz wahrt. Ein Blick auf das Profil der Anhänger zeigt aber, dass ihre Anhänger keineswegs politische Neutren sind, sondern überwiegend der Republikanischen Partei zuneigen. Nach den Umfragen des Instituts Greenberg Quinlan Rosner trifft dies für 86 Prozent der Tea-Party-Anhänger zu. 79 Prozent stufen sich selbst als Konservative ein. Hinsichtlich des demografischen Profils ist anzumerken, dass die Tea-Party-Anhänger deutlich älter als die Gesamtbevölkerung, zumeist Männer (59 Prozent) und überwiegend weiß sind (89 Prozent). Nur ein Prozent sind Afroamerikaner.

Ferner ist charakteristisch, dass sie religiöser sind als der Durchschnitt: Während 27 Prozent der Gesamtbevölkerung angeben, einmal in der Woche den Gottesdienst zu besuchen, liegt der Anteil bei den Tea-Party-Vertretern mit 38 Prozent deutlich höher. Politische Beobachter machen aus, dass die Religion zumindest bei der Basis der Tea Party eine wesentlich größere Rolle spielt, als die führenden Akteure dies glauben machen wollen. Innerhalb der Tea Party manifestiert sich nicht nur die Strömung des marktliberalen, sondern auch die des christlichen Konservativismus. Letztere ist hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen: Die Politikwissenschaftler David E. Campbell und Robert D. Putnam haben beginnend mit dem Jahr 2006 über 3000 US-Amerikaner interviewt und ihre Entwicklung mit wiederholten Befragungen nachvollzogen. Anhand dieser Panelstudie zeigt sich, dass die Religiosität der Befragten ausschlaggebend für eine spätere positive Haltung gegenüber der Tea Party war. Aus den Umfragedaten des NSTP ergibt sich ein weiterer interessanter Befund: Der Erfolg der Tea Party lässt sich nicht allein durch wirtschaftliche Abstiegsängste erklären. Die Anhänger unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht signifikant vom Rest der Bevölkerung.

Politische Ansichten der Anhängerschaft

Traditionell besteht in den USA ein starkes Misstrauen gegenüber den bundesstaatlichen Institutionen; dieses ist bei den Tea-Party-Anhängern besonders stark ausgeprägt: 96 Prozent von ihnen lehnen es ab, wie der Kongress arbeitet. Jeder zweite beschreibt seine Haltung gegenüber "Washington" als wütend (angry). Diese ausufernde und zum Teil irrationale Wut ist ein zentrales Identitätsmerkmal der Bewegung. Die Unzufriedenheit manifestiert sich auch darin, dass 92 Prozent der Tea-Party-Anhänger der Ansicht sind, dass die USA den falschen Weg (wrong track) eingeschlagen haben.

Im Vergleich mit den Republikanern zeigt sich, dass die Zustimmung zu bestimmten pointierten politischen Statements unter den Tea-Party-Anhängern zum Teil deutlich höher ist (siehe Tabelle der PDF-Version). Dies gilt unter anderem für die Einwanderungspolitik, die Wirtschafts- und auch die Klimapolitik. Politisch von verheerender Wirkung ist, dass eine Zweidrittelmehrheit der Tea-Party-Anhänger den Klimawandel vollkommen ignoriert. Auch bei den Fragen, ob Abtreibungen ermöglicht oder die Waffenkontrollgesetze gelockert werden sollen, zeigen sich Zustimmungsunterschiede zwischen Tea-Party-Anhängern und Republikanern, während gleichgeschlechtliche Ehen in beiden Gruppen ähnlich bewertet werden.

Bemerkenswert ist, dass sich die Wut - und vielfach auch der Hass - der Tea-Party-Anhänger auf Präsident Barack Obama konzentriert. Dies lässt sich nur bedingt dadurch erklären, dass er für die Verschuldung oder wirtschaftspolitische Interventionen verantwortlich gemacht wird. Denn es war schließlich sein Vorgänger George W. Bush, der mit dem Afghanistan- und dem Irak-Krieg einen erheblichen Teil der Staatsverschuldung mitverursacht und mit dem Emergency Economic Stabilization Act ebenso das Finanzsystem unterstützt hat. Die Abneigung gegenüber Obama geht deutlich über Gründe hinaus, die mit makroökonomischen Strukturdaten zusammenhängen: 73 Prozent der Tea-Party-Anhänger sagen, dass Obama ihre Bedürfnisse und Probleme nicht verstehe, 75 Prozent sind sogar der Ansicht, dass er die Werte der meisten Amerikaner nicht teilen würde. Die Tatsache, dass die Bewegung erst mit dem Amtsantritt des ersten schwarzen Präsidenten ins Leben gerufen wurde, zeigt, dass Obama eine Reizfigur für die Tea Party darstellt: Er symbolisiert ein Amerika, dass die Anhänger ablehnen. Sie unterstellen ihm hartnäckig, dass er nicht christlichen, sondern muslimischen Glaubens sei und bestreiten die Echtheit seiner amerikanischen Geburtsurkunde. Von prominenten Akteuren wie der Senatskandidatin Christine O'Donnell ist er gar schon als "anti-American" denunziert worden. Es ist zu vermuten, dass vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen und dem sinkenden Anteil der weißen (non-hispanic) Bevölkerung gerade die Wahl eines afroamerikanischen Präsidenten Furcht vor dem Verlust von Statusprivilegien ausgelöst hat. Es ist nicht nur die Furcht vor ökonomischem Abstieg, sondern vor dem Verlust von kultureller Suprematie, die den Kern der Bewegung darstellt. Die Anhänger haben das Gefühl, dass Obama ihnen "ihr" Amerika wegnimmt. Dass 92 Prozent der Tea-Party-Anhänger annehmen, dass Obamas Politik zum "Sozialismus" führen wird, drückt also zum einen sicherlich Bedenken hinsichtlich der staatlichen Sanierungspläne in der Wirtschaftskrise aus, zum anderen zeigt es, dass sie Obama als Fremdkörper begreifen und als gegensätzlich zu ihrer eigenen Identität empfinden.

In der Öffentlichkeit dominiert jedoch der wirtschaftspolitische Diskurs. Die Tea Party vertritt hier einen limited-government-Konservativismus, wobei die Glaubwürdigkeit dieser Position bisweilen angezweifelt wird. Laut NSTP bezieht fast jeder zweite Tea-Party-Anhänger (oder eine bei ihm im Haushalt lebende Person) Leistungen vom Staat. 62 Prozent von ihnen erachten diese Programme als wertvoll. Unter denjenigen, die Leistungen bekommen, ist die Zustimmung noch deutlich höher (72 Prozent) - dabei sind diese Programme auch Teil des big government, das von der Tea Party immerfort kritisiert wird.

Qualitative Erhebungen im Bundesstaat Massachusetts zeigen, dass die Tea-Party-Anhänger eine differenzierte Haltung gegenüber den bundesstaatlichen Programmen einnehmen, die keinesfalls so eindeutig sind, wie manch standardisierte Umfrage vermuten lässt. Die Anhänger stufen sich selbst als worker, als produktive Menschen ein, die sich gemäß ihrer eigenen Wahrnehmung die sozialstaatlichen Ansprüche durch lebenslanges Arbeiten verdient haben. Genau diesen Verdienst sprechen sie anderen Bevölkerungsgruppen ab - insbesondere Immigranten und auch Menschen jüngerer Bevölkerungskohorten, die aufgrund demografischer Veränderungen ethnisch unterschiedlicher sind. Der Kampf gegen die Bundesprogramme gründet in der Befürchtung, diese Gruppen würden davon profitieren: Insbesondere die allgemeine Versicherungspflicht, die in Obamas Gesundheitsreform enthalten ist, hat die Furcht der Tea-Party-Anhänger geschürt, dass die Sozialprogramme, die bisher älteren Menschen vorbehalten waren, auf weitere Bevölkerungsschichten ausgeweitet würden. Es passt durchaus ins Bild, dass die Tea-Party-Anhänger kritisieren, dass sich die gegenwärtige Administration zu sehr um die Belange der schwarzen Bevölkerung gekümmert habe.

Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild: Nicht alle Tea-Party-Sympathisanten sind ausschließlich als Anhänger einer orthodoxen Marktlehre einzustufen. Vielmehr vermengen sich wirtschaftspolitische Haltungen mit anderen Motiven - etwa der Aversion gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen, eines spezifischen Verständnisses des individuellen Verdienstes, das durch rassistisch unterlegte Stereotype beeinflusst wird, der Furcht vor einem kulturellen Wandel des Landes und der nostalgischen Verklärung des Amerikas des 18. Jahrhunderts. Aus dieser weltanschaulichen Melange erklärt sich die Abneigung gegenüber der Obama-Administration und der Ausweitung bundesstaatlicher Programme. Das Psychogramm der Tea-Party-Anhänger ist damit komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Organisationen wie FreedomWorks oder die Tea Party Patriots versuchen naturgemäß, ein vorteilhafteres Bild der Bewegung zu zeichnen und heben viel stärker auf die abstrakten Prinzipien der liberalen Marktwirtschaft und die vermeintlichen Intentionen der Gründerväter ab. Hinsichtlich der Vermarktung der Bewegung haben die Tea-Party-Anhänger damit eine geschickte Strategie gewählt.

Graswurzelbewegung oder top-down-Organisation?

Zur Frage, wie sich die Aktivisten der Tea Party vernetzen und ihrer politischen Bewegung damit Dynamik und Durchschlagskraft verleihen, ist zunächst festzustellen, dass sich ein Großteil der Tea-Party-Aktivitäten außerhalb der politischen Institutionen vollzieht und sich Interaktionen der Mitglieder kaum durch Rollenzuweisungen verstetigt haben, wie es für Parteien oder Verbände typisch wäre. Bei näherer Betrachtung ist zu erkennen, dass unter dem Label "Tea Party" ganz unterschiedliche Phänomene subsumiert werden: Je nach Perspektive wird sie als basisdemokratische Graswurzelbewegung oder als top-down-Bewegung charakterisiert.

Viele Teilgruppen tragen zu Recht das Etikett eines grassroots movement, das heißt einer spontanen, in erster Linie von Privatpersonen getragenen Initiative "von unten". Eine Untersuchung der "Washington Post" ergab, dass 40 Prozent der 647 befragten lokalen Tea-Party-Gruppen mit keiner nationalen Organisation zusammenarbeiten und somit auch keine maßgebliche externe Unterstützung erfahren. Die nationale Gruppierung, die am ehesten für sich in Anspruch nehmen kann, eine Graswurzelbewegung zu sein und zugleich die meisten Mitglieder verzeichnet, sind die Tea Party Patriots. Sie haben sich 2009 gegründet und verfügen nach eigenen Angaben über mehr als 1000 lokale Gruppen, die primär ökonomische Ziele verfolgen.

Wer den Zusammenhalt dieser oder ähnlicher Gruppen erklären möchte, kann die mediale Begleitung, die die Tea Party erfahren hat, nicht außer Acht lassen. So kommen dem rechtskonservativen Fox News Channel und dem zur Ikone avancierten Moderator Glenn Beck mehr als nur eine flankierende Rolle zu: 63 Prozent der Anhänger gaben an, dass sie sich in erster Linie über Fox News informieren. Es liegt somit nahe, die Dynamik der Tea Party unter anderem auf ein relativ homogenes Medienrezeptionsverhalten ihrer Anhänger zurückzuführen. Fox News hat für eine konsonante Wahrnehmung der politischen Ereignisse und damit für den notwendigen ideologischen Kitt gesorgt. Die enorme Heterogenität der über das ganze Land verteilten Tea-Party-Gruppierungen konnte auf diese Weise überbrückt werden.

Gegner führen allerdings an, dass manche Gruppen in der Bewegung dem Bild der Graswurzelbewegung kaum entsprechen würden. Teile der Tea Party wurden und werden schließlich von Wirtschaftsunternehmen, politischen Organisationen und Parteien derart stark unterstützt, dass unklar ist, wie basisdemokratisch die Bewegung tatsächlich ist. Prominent zeigen sich etwa bei der Organisation FreedomWorks, die vom ehemaligen majority leader im Repräsentantenhaus, Dick Armey, geleitet wird, Verknüpfungen zwischen der Tea Party und der Republikanischen Partei. Durch vielfältige organisatorische und finanzielle Hilfe vermochte es FreedomWorks, den Unmut der Bevölkerung in Proteste zu kanalisieren und diese zu verstetigen. So veranstaltete die Organisation unter anderem 2009 und 2010 zentrale Protestmärsche und bot in diesem Rahmen auch Workshops zu Themen wie Spendeneinwerbung und Mobilisierung an, an denen über 2000 lokale Aktivisten teilnahmen. Die Tea-Party-Sympathisanten erfuhren auf diese Weise vielfältige Hilfe bei der Koordination und Artikulation ihrer Interessen. Ein anderes Beispiel stellt die vom Milliardär David Koch gegründete Organisation Americans for Prosperity dar, die schon 2009 sogenannte Tea Party Talking Points anbot, um eine effiziente Koordination zu ermöglichen, und die Bewegung auch finanziell maßgeblich unterstützt. Es zeigt sich, dass die erhebliche Unzufriedenheit der Bürger teils in bottom-up-Initiativen artikuliert und teils durch die schon bestehenden Interessengruppen aufgenommen und in gut organisierte Proteste überführt wurde. Letzteres soll nicht als Makel der Tea Party verstanden werden, da es ein legitimes Anliegen von Interessengruppen ist, die Ansichten der Bürger zu formen und in den politischen Prozess einzuspeisen.

Die weitere Entwicklung der Tea Party ist schwer zu prognostizieren: Aufgrund des Selbstverständnisses als Bewegung ist nicht zu erwarten, dass sich die Aktivisten und Sympathisanten vollends in das Korsett einer straffen Organisation oder Partei drängen lassen. So wird auch die von der Abgeordneten Michele Bachmann im Kongress gegründete parlamentarische Vertretung der Bewegung (Tea Party Caucus) von den eigenen Anhängern durchaus kritisch bewertet, da sie als ein erneuter Versuch der Republikanischen Partei gedeutet wird, die Bewegung zu vereinnahmen. Einfluss wird die Tea Party weiterhin eher dadurch behalten, dass sie politischen Druck auf die Grand Old Party ausübt.

Konflikt oder Kompromiss?

Innerhalb von nur zwei Jahren hat sich die Tea-Party-Bewegung in den USA etabliert. Die Ziele ihrer einzelnen Gruppierungen sind widersprüchlich und jenseits einer diffusen Unzufriedenheit mit der Politik nur schwerlich vereinbar. Es ist zwar zu bezweifeln, dass die Tea Party ihr zu den Wahlen 2010 erreichtes Mobilisierungsniveau dauerhaft halten können wird. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber - etwa zur American Liberty League in den 1930er, zur John Birch Society in den 1960/70er und Ross Perots Reform Party in den 1990er Jahren -, dass die Denkmuster der überzeugten Aktivisten auch bei einem Rückgang der Aufmerksamkeit für die Tea Party und ihre Abgeordneten im Kongress keinesfalls verschwinden werden. Hinsichtlich ihrer parlamentarischen Vertreter ist zu erwarten, dass sie sich auch weiterhin nicht mit der Rolle als Wahlkampftruppe zufrieden geben, sondern an zentralen inhaltlichen und personellen Entscheidungen beteiligt werden wollen. Die Republikanische Parteiführung wird abwägen müssen, ob sie - mit dem Risiko, moderate und unabhängige Wähler bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2012 zu enttäuschen - den extremen Positionen der Tea Party nachgibt oder andernfalls bei einem Konfrontationskurs Gefahr läuft, dass die Bewegung massiv in die Nominierungsverfahren im Vorfeld der Wahlen eingreift.

Bemerkenswert ist, dass die Tea Party seit September 2011 von einer anderen Protestbewegung Konkurrenz bekommen hat: Unter dem unmissverständlichen Slogan "Occupy Wall Street" demonstrieren vor allem junge Amerikaner gegen die wirtschaftlichen Machtstrukturen. Sie wollen - wie sie selbst sagen - eine echte Graswurzelbewegung sein und gleichzeitig ein Gegengewicht zur Tea Party bilden. Ob sie dabei ähnlichen Einfluss entwickeln können, bleibt abzuwarten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Henrik Gast/Alexander Kühne, "Tea Party"-Time in den USA? Zu Profil und Einfluss einer heterogenen Bewegung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), 42 (2011) 2, S. 247-269.

  2. Vgl. Moritz Koch, Sparen statt höherer Steuern, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 2.8.2011, S. 7.

  3. Zit. nach: Christian Wernicke, Amerikas Parlament wendet Staatsbankrott ab, in: SZ vom 3.8.2011, S. 1.

  4. Zit. nach: Campbell Robertson, A Victorious Paul Vows to Stick to Message, in: The New York Times vom 3.11.2010, S. 7.

  5. Vgl. Matthew Continetti, The Two Faces of the Tea Party, in: Weekly Standard vom 28.6.2010, online: www.weeklystandard.com/articles/two-faces-tea-party (5.12.2011).

  6. Die 1934 von konservativen Demokraten gegründete American Liberty League richtete sich gegen die New-Deal-Politik Roosevelts; Gründungsmotiv der 1958 gebildeten, rechtsgerichteten John Birch Society war der Schutz vor kommunistischer Einflussnahme.

  7. Vgl. Brian J. Glenn/Steven M. Teles (eds.), Conservatism and American Political Development, Oxford u.a. 2009.

  8. Vgl. Kate Zernike, Boiling Mad. Inside Tea Party America, New York 2010, S. 13-32.

  9. Stop! The Size and Power of the State is Growing, and Discontent is on the Rise, in: The Economist vom 21.1.2010, online: www.economist.com/node/15330481 (5.12.2012).

  10. Vgl. The New York Times/CBS News (eds.), National Survey of Tea Party Supporters (NSTP), April 5-12, 2010, online: http://s3.amazonaws.com/nytdocs/docs/
    312/312.pdf (21.11.2011), Zusammenfassung unter: www.cbsnews.com/htdocs/pdf/poll_tea_party_
    041410.pdf (21.11.2011). Sofern nicht anders angegeben, stammen die zitierten Daten aus dem NSTP, für den 1580 Erwachsene telefonisch befragt wurden.

  11. Vgl. NSTP, August 2-3, 2011, online: www.nytimes.com/interactive/2011/08/05/
    us/politics/20110805_Poll-docs.html?ref=politics (27.11.2011), S.10.

  12. Vgl. Stanley B. Greenberg et al., Special Report on the Tea Party Movement, hrsg. von Greenberg Quinlan Rosner Research, Democracy Corps, 19.7.2010, online: www.democracycorps.com/wp-content/files/Tea-Party-Report-FINAL.pdf (31.8.2011).

  13. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 41.

  14. Vgl. ebd., S. 39.

  15. Vgl. David E. Campbell/Robert D. Putnam, Crashing the Tea Party, in: The New York Times vom 17.8.2011, S. 23.

  16. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 7.

  17. Vgl. ebd., S. 14.

  18. Vgl. ebd., S. 4.

  19. Vgl. Shaun Halper, Der wahre Gegner der Tea Party, 24.9.2010, online: www.zeit.de/politik/ausland/2010-09/teaparty-usa-republikaner (9.9.2011).

  20. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 23.

  21. Zit. nach: Jennifer Steinhauer/Jim Rutenberg, Rebel Republican Marching On, With Baggage, in: The New York Times vom 16.9.2010, S. 1.

  22. Vgl. Frank Rich, The Rage is Not About Health Care, in: The New York Times vom 28.3.2010, S. 10.

  23. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 24.

  24. Vgl. ebd., S. 26.

  25. Vgl. NSTP Zusammenfassung (Anm. 10), S. 9.

  26. Vgl. Vanessa Williamson/Theda Skocpol/John Coggin, The Tea Party and the Remaking of Republican Conservatism, in: Perspectives on Politics, 9 (2011) 1, S. 25-43, hier: S. 32ff.

  27. Zur Konstruktion von white citizenship in den sozialstaatlichen Programmen vgl. Lisa Disch, Tea Party Movement: The America "Precariat"?, in: Representation, 47 (2011) 2, S. 123-135, hier: S. 129ff.

  28. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 30.

  29. Vgl. L. Disch (Anm. 27), S. 127.

  30. Vgl. Angaben auf der Homepage der Organisation: www.teapartypatriots.org/AboutUs.aspx (15.3.2011).

  31. Vgl. NSTP (Anm. 10), S. 35.

  32. Vgl. Rebecca Sinderbrand, Freedomworks. Tea Party Patriots Head for the Hill, 3.9.2009, online: www.freedomworks.org/news/freedomworks-tea-party-patriots-head-for-the-hill (15.3.2011).

  33. Vgl. Jane Mayer, Covert Operations. The Billionaire Brothers Who are Waging a War Against Obama, in: The New Yorker vom 30.8.2010.

  34. Vgl. V. Williamson/T. Skocpol/J. Coggin (Anm. 26), S. 36f.

  35. Vgl. Michael Kolkmann, Die Wahlen zum US-Kongress am 2. November 2010: Herbe Niederlage der Demokraten, aber auch ein Sieg der Republikaner?, in: ZParl, 42 (2011) 2, S. 229-246, S. 243f.

Dr. phil., geb. 1979; Akademischer Rat auf Zeit am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, Universität Regensburg, Universitätsstraße 31, 93040 Regensburg. E-Mail Link: henrik.gast@politik.uni-regensburg.de

Dipl.-Pol., geb. 1982; wissenschaftlicher Mitarbeiter und Redaktionsassistent der "Zeitschrift für Parlamentsfragen" am Institut für Politikwissenschaft und Japanologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 06099 Halle/S. E-Mail Link: alexander.kuehne@politik.uni-halle.de