Einleitung
Der Sommer war immer eine Saison des Missvergnügens für Barack Obama. Schon 2007, im Ringen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, war es die Zeit, da selbst begeisterte Anhänger tiefe Zweifel beschlichen, ob er gegen Hillary Clinton würde bestehen können. Im heißen Sommer 2009 brach der Aufstand der Tea Party los, der den jungen Präsidenten und seine hochfahrende Entourage völlig unvorbereitet traf. 2010 blieb dann der von ihm beschworene summer of recovery aus. Amerikas Wirtschaft wollte sich partout nicht vom Schock der Finanz- und Wirtschaftskrise zwei Jahre zuvor erholen. Und der Sommer 2011 schließlich brachte den desaströsen Streit um die Erhöhung der Staatsverschuldung. Ihn konnte der Präsident nur mit einem zähneknirschenden Kotau vor den unnachgiebigen Republikanern beenden.
Prompt sanken seine Popularitätswerte auf nicht für möglich gehaltene Tiefen. Im August verzeichnete Gallup, das traditionsreiche Umfrageinstitut, das seit Jahrzehnten den Puls der Nation fühlt, erstmals Zustimmungsraten zur Amtsführung Obamas unter der 40-Prozent-Marke. Präsidenten, so die Faustregel, brauchen Werte zwischen 45 und 50 Prozent für ihre Wiederwahl. Das Wort der one term presidency macht die Runde: Immer hartnäckiger wird Obamas Name in einem Atemzug nicht mehr mit Ikonen der Nation wie Franklin D. Roosevelt oder auch Ronald Reagan genannt, wie noch zu Beginn seiner Amtszeit, sondern mit George Bush dem Älteren und Jimmy Carter. Die US-Wähler vertrieben die beiden unglückseligen Präsidenten nach nur einer Wahlperiode aus dem Weißen Haus.
Jedes Mal nach einem verpfuschten Sommer war Obama aber ein Comeback gelungen. Er setzte die Gesundheitsreform durch, und trotz flauer Wirtschaftsdaten galt er noch in der ersten Hälfte dieses Jahres praktisch als uneinholbar bei der Präsidentschaftswahl 2012. Doch nun, nach dem Sommer 2011, ist alles anders. Erstmals glauben die Republikaner tatsächlich, dass sie Obama im November 2012 schlagen können. Drei Jahre nach seinem epochalen Wahltriumph, ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl steht es nicht gut um Barack Obama. Denn es steht nicht gut um Amerika. Wirtschaftlich will das Land nach der Großen Rezession nicht auf die Beine kommen. Innenpolitisch ist es zerrissener denn je. Und außenpolitisch wirkt der waffenstarrende Gigant seltsam kraft- und machtlos. Das liegt keineswegs nur am Präsidenten. Doch es wird ihm angekreidet, weil er change - Wandel, Besserung auf allen Feldern - versprochen hatte. Nun muss Obama rechtfertigen, warum die Erfolge nicht in dem Maße gekommen sind wie erhofft, oder besser gesagt, wie von Abermillionen erträumt.
Wirtschaftlicher Sinkflug
Um einmal mehr den berühmten Schlachtruf "It's the economy, stupid" aus Bill Clintons Präsidentschaftswahlkampf 1992 zu bemühen: Wenn die US-Wirtschaft nicht bald auf Touren kommt, wird Obama kaum bestehen können, egal wie sein republikanischer Herausforderer heißen wird. Die Wirtschaftsdaten sind desolat. Und kaum jemand geht davon aus, dass sie sich bis zum Sommer 2012 ändern werden, also bis zu dem Zeitpunkt, wenn die meisten Amerikaner sich ernsthaft mit der Wahl zu beschäftigen beginnen.
Wie eine dunkle Wolke lastet über allem die jobs crisis, vor deren Folgen selbst ein Obama-treuer demokratischer Gouverneur wie Martin O'Malley aus Maryland warnt: die alles niederdrückende Beschäftigungskrise. Seit Obamas Amtsantritt hat die US-Wirtschaft nicht weniger als 2,5 Millionen Arbeitsplätze verloren. Dass seine Administration ernsthaft nicht für den Ausbruch der Krise haftbar gemacht werden kann, dass entgegen der landläufigen Meinung sein Konjunkturprogramm sogar Schlimmeres verhindert hat, dass die von den Republikanern in diesem Jahr durchgesetzte Austeritätspolitik die schwache Konjunktur nur weiter abbremst (noch verstärkt dadurch, dass Bund, Bundesstaaten und Kommunen nun gleichzeitig die Ausgaben zusammenstreichen) - all das spielt keine Rolle. Obama wird die Verantwortung für die Misere übernehmen müssen, ob er will oder nicht. Die Arbeitslosenquote stagniert hartnäckig bei der Neun-Prozent-Marke; Obamas Leute hoffen, dass sie bis Mitte kommenden Jahres gegen 8,25 Prozent tendieren wird. Mit Erwerbslosenquoten jenseits von 7,2 Prozent, so ist immer wieder in den US-Zeitungen zu lesen, erlangte im vergangenen halben Jahrhundert kein Präsident eine zweite Amtszeit. Was indes ein Argument mit historisch begrenzter Reichweite ist: Franklin D. Roosevelt wurde 1936 bei einer Erwerbslosenrate im zweistelligen Bereich triumphal bestätigt. Es geht nicht so sehr um die absolute Höhe der Quote. Es geht vielmehr um die Stimmung im Land. Wenn die Amerikaner glauben, dass es wieder aufwärts gehen wird, sind sie gern bereit, dem Mann im Weißen Haus eine Chance zu geben.
Doch diese Überzeugungsarbeit wird Obama schwer fallen: Die Wirtschaft wächst zwar. Aber die beispielsweise vom Internationalen Währungsfonds prognostizierte Rate von 2,7 Prozent für 2012 ist nicht wirklich dazu angetan, einen Stimmungsumschwung herbeizuführen - erst von drei Prozent Wirtschaftswachstum an aufwärts dürfte die Arbeitslosenzahl nachhaltig sinken. Andere Indikatoren haben im Weißen Haus ohnehin alle Alarmleuchten angehen lassen: Der Consumer Confidence Index, eine Art konjunkturelles Frühwarnsystem, war im Sommer auf Werte abgerutscht wie zum Tiefpunkt der Rezession. Die Automobilindustrie dürfte 2011 fast ein Drittel weniger Fahrzeuge absetzen als noch vor zehn Jahren - und das im Autoland Amerika. Die Häuserpreise sind Monat um Monat gefallen, seitdem Obama im Amt ist. Und "zillow.com", ein renommiertes Immobilienportal, prognostiziert, dass sie auch 2012 noch weiter sinken werden (zwei von drei Amerikanern leben in den eigenen vier Wänden; sie sind also direkt vom Wertverlust betroffen).
Psychologisch vielleicht aber am verheerendsten wirkt sich eine andere Zahlenkette aus: Bis zur Wahl Ende 2012 wird die Verschuldung Washingtons auf 16,7 Billionen Dollar zugenommen und sich damit während der Amtszeit Obamas fast verdoppelt haben. Auch dafür gibt es Gründe, gewiss. Aber Obama wird es schwer fallen, den Anstieg auf eine so unvorstellbare Summe (eine Zahl mit 14 Stellen) so eingängig zu erklären, wie es seine politischen Gegner tun: Sie machen einfach ihn dafür verantwortlich. So zitierte der Washingtoner Insiderdienst "Politico" einen - verständlicherweise anonym gebliebenen - Präsidentenberater: "Die Zahlen summieren sich zu einer Niederlage."
Enttäuschte Hoffnungen
Innenpolitisch sieht es kaum besser aus. Die Amerikaner sind mit ihrer Regierung schwer unzufrieden. Und da dürfte Obama der Umstand wenig Trost spenden, dass der Kongress ungleich unbeliebter ist als er (im Oktober 2011 waren nur noch neun Prozent mit den Parlamentariern in Washington zufrieden, eine historische Tiefstmarke). Denn wie einst sein Vorgänger Harry S. Truman legendär feststellte: "The buck stops here."
Seine Leute führen natürlich seine Verdienste auf: Immerhin hat Obama durch sein entschlossenes Handeln vor und nach seinem Amtsantritt wohl eine Depression verhindert. Er dürfte die amerikanische Autoindustrie mit seiner Milliardenanleihe vor dem Kollaps bewahrt und Abertausende von Arbeitsplätzen in den USA gerettet haben. Die (zugegeben moderate) Reform der Finanzmärkte hat einer außer Rand und Band geratenen Branche jedenfalls ein paar Zügel angelegt. Schärfere Regeln für die Kreditkartenindustrie haben den überschuldeten Verbrauchern etwas Schutz vor schamlos hohen Gebührensätzen und Überziehungszinsen gebracht. Und die Gesundheitsreform (so sie denn bestehen bleibt) wird Millionen bisher unversicherter Amerikaner eine Krankenversicherung verschaffen.
Der große Nachteil indes ist, dass all diese unbestreitbaren Errungenschaften entweder denkbar unbeliebt sind in der US-Öffentlichkeit oder von ihr kaum zur Kenntnis genommen werden. Mehr als die Hälfte aller Amerikaner befürwortet Erhebungen des (konservativen) Umfrageinstituts Rasmussen Reports zufolge weiterhin den Widerruf der Gesundheitsreform und nimmt Obama den Auto-bailout - die teure Rettung von Chrysler und General Motors durch Nothilfekredite - übel. Die neuen Kreditkartenregeln sind schön und gut. Aber viel größer ist die Aufregung der Amerikaner über die schamlos hohen Bonuszahlungen an der Wall Street, gegen die die Regierung offenbar nichts tun kann, obwohl die Banken doch in der Krise 2008/2009 auf die Milliarden aus Washington angewiesen waren.
Und von zahllosen Gruppierungen, die ihn vor drei Jahren enthusiastisch unterstützt hatten, bekommt Obama inzwischen anstatt Lob nur Tadel zu hören: Lautstark kritisieren sie, was er nicht erreicht hat. Amerikas Umweltschützer - voran Al Gore - hat der Präsident nachhaltig verärgert, als er seine Pläne für ein Klimaschutzgesetz aufgab. Die hispanics, die Amerikaner lateinamerikanischer Herkunft, sind verbittert, weil er entgegen seinen Zusicherungen nichts für eine Einwanderungsreform getan hat, zugleich aber deutlich mehr illegale Immigranten aus Lateinamerika abgeschoben werden als unter seinem Vorgänger George W. Bush. Bürgerrechtler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, nicht nur weil er Bushs Anti-Terror-Gesetze fortgeschrieben hat, sondern vor allem weil Obama das Gefangenenlager in Guantanamo trotz früherer Versprechen nicht geschlossen hat. Selbst die Schwulen und Lesben sind nicht hundertprozentig zufrieden, obwohl er die unsägliche Diskriminierungspraxis Homosexueller in den US-Streitkräften beendet hat. "Das größte Problem ist", konstatiert Mark Penn, Hillary Clintons einstiger Wahlkampfstratege, "dass er nicht genug innenpolitische Erfolge angesammelt hat, an die sich die Leute ohne viel Nachdenken erinnern können."
Rotes Amerika, blaues Amerika
Doch am verhängnisvollsten für Obama dürfte sich auswirken, dass er das große Versprechen nicht hat einlösen können, das ihm 2008 den wahlentscheidenden Rückhalt der sogenannten independents gebracht hatte, zu Deutsch der Wechselwähler: Hochtrabend hatte er sich verpflichtet, das politisch zerrissene Amerika wieder zusammenzuführen, die ideologische Teilung des Landes in ein rotes (republikanisches) und ein blaues (demokratisches) Amerika zu überwinden. Das Gegenteil ist eingetreten. Statt Konsens bestimmt Konfrontation den politischen Diskurs, sogar mit zunehmender Tendenz: von change in Washington - was er so lauthals versprochen hatte - keine Spur. Die ideologischen Gräben zwischen Republikanern und Demokraten sind eher tiefer geworden.
Das ist nicht in erster Linie Schuld des Präsidenten. Trotz manch hochfahrender Sätze - so kanzelte er die Republikaner drei Tage nach seinem Amtsantritt mit der herrischen Bemerkung ab: "Wahlen haben Konsequenzen" - hat Obama sich immer wieder ernsthaft um Ausgleich bemüht. Er berief zwei Republikaner zu Ministern, suchte das Gespräch mit republikanischen Kongressabgeordneten und machte in den zähen Verhandlungen um die Gesundheitsreform, um Steuern und um die Schulden weitgehende Kompromissangebote, die ihm nichts einbrachten außer den Zorn seiner demokratischen Parteifreunde im Kongress. Dennoch wurden seine Angebote von den Republikanern ohne Ausnahme als ungenügend verschmäht.
Das lag nicht daran, dass Obamas Positionen abseitig gewesen wären - wie es die Republikaner natürlich darzustellen suchten. Ursache für den Dauerkonflikt ist vielmehr die von den Republikanern bereits kurz nach der Wahl Obamas getroffene strategische Entscheidung, buchstäblich alles dafür zu tun, die Präsidentschaft Obamas auf eine Amtszeit zu begrenzen, wie der Vormann der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, es formulierte. Obstruktion und Verweigerung bestimmte die parlamentarische Arbeit der Republikaner seither, was unter anderem daran abzulesen ist, dass es in der Wahlperiode zwischen Januar 2009 und Januar 2011 im Senat mehr Filibuster gab, mit denen die Minderheit Entscheidungen mit einfacher Mehrheit in dem Gremium blockieren kann, als je zuvor. Die Bereitschaft zum Kompromiss sank weiter, nachdem bei den Kongresswahlen im November 2010 so viele Tea-Party-Anhänger ins Repräsentantenhaus einzogen, dass sie den Kurs der republikanischen Mehrheitsfraktion weitgehend bestimmen können.
Die Tea-Party-Bewegung - überwiegend weiß, christlich und halbwegs wohl situiert - wäre kaum entstanden ohne den links-liberalen schwarzen Präsidenten mit dem muslimisch klingenden Mittelnamen Hussein. In ihrer Missachtung Obamas artikuliert sich die Verunsicherung der weißen Mittelklasse über die bunter werdende Gesellschaft der USA, in der der Anteil der Nicht-Weißen ständig zunimmt. Aus dem zeitweise von fast einem Viertel aller Amerikaner (keineswegs nur, aber auch von Tea-Party-Anhängern) geteilten Irrglauben, dass Obama ein Muslim sei, spricht die Furcht vor Überfremdung. Und in ihrer Entrüstung über die enorme Schuldenmacherei in Washington spiegelt sich der Zorn auf eine seit Jahrzehnten vorangetriebene Politik, die soziale Wohltaten verteile - und das auch noch an Empfänger, die im Gegensatz zu ihnen für ihr Einkommen nicht arbeiten müssten. So jedenfalls empfinden das viele Tea-Party-Leute. Man könnte es eine Ironie der Geschichte nennen: Ausgerechnet der Ausgleichskandidat Obama hat, ungewollt, zur Polarisierung Amerikas beigetragen.
Das politische Kalkül der republikanischen Blockadestrategie ist dabei zweifellos aufgegangen: Ein ums andere Mal haben sie in Spitz-auf-Knopf-Verhandlungen, etwa um die Fortschreibung der Bush'schen Steuernachlässe für die wohlhabenden Amerikaner, um den Haushalt und um die Schuldenobergrenze, weitgehende Forderungen durchgesetzt. Sie haben personelle Entscheidungen Obamas verhindert (von Richtern bis zur designierten Chefin der Verbraucherschutzbehörde) und selbst Gesetze verschleppt (wie die Freihandelsabkommen mit Südkorea, Peru und Kolumbien), die sie eigentlich unterstützen, deren Verabschiedung sie aber hinauszögerten, um den Erfolg für den Präsidenten zu minimieren. Zwar haben die meisten Amerikaner beispielsweise im Billionenpoker um die Schuldengrenze die Unnachgiebigkeit der Republikaner kritisiert, die politischen Folgekosten aber muss Obama tragen mit einem enormen Ansehensverlust in der öffentlichen Meinung.
Sympathisch, aber erfolglos
Auch außenpolitisch hat Obama wenig vorzuweisen, um diese Defizite auszugleichen. Zwar hat eine globale Welle der Sympathie für den neuen Präsidenten Amerikas in den Monaten nach seiner Wahl zweifellos dazu beigetragen, dass Ansehen der USA weltweit wieder zu heben. Aber der Glaube Obamas und seiner Berater, dass ihm dies helfen werde, seine außenpolitischen Ziele durchzusetzen, war wohl nur allzu naiv. Russland blieb trotz des Drucks auf den viel beschworenen reset button ein zänkischer Partner. China antwortete auf Obamas Werben mit Säbelrasseln und größeren strategischen Ambitionen. Beim Klimaschutz und im Streit um die Aufwertung der chinesischen Währung ließen die Chinesen die Amerikaner auflaufen. Und die alten Freunde der USA in Europa unterstützten ihn - Beispiel Afghanistan - kaum mehr als seinen ungeliebten Vorgänger. Vor allem aber hat er die großen internationalen Krisenfälle wie den Nahostkonflikt oder Irans Atomrüstung, anders als zweifellos auch von ihm selbst erwartet, nicht einen Millimeter näher einer Lösung bringen können.
Gewiss ist ihm dagegen nur der Beifall der meisten Amerikaner dafür, dass er das Engagement in Irak entschlossen reduziert hat. Dieses Wahlversprechen konnte er immerhin einlösen. Zugleich aber hat er in Afghanistan praktisch das Gleiche versucht wie sein Vorgänger im Irak und den militärischen Einsatz vor dem projektierten Abzug deutlich erhöht. Das ist nicht sehr populär in den USA. Deutlich mehr als die Hälfte der Amerikaner befürwortet ein rasches Ende dieses längsten Militärkonflikts in der US-Geschichte. Einzig die gewagte Kommandoaktion Anfang Mai gegen Osama bin Laden brachte ihm kurzzeitig Rückhalt. Doch wie wenig selbst die Eliminierung von Amerikas "Staatsfeind Nummer 1" in diesen Zeiten zählt, zeigt sein jäher Absturz in den Umfragen in den Monaten danach. Alles in allem überwiegt der Eindruck, konstatierte der Bostoner Politik-Professor Daniel Drezner im Sommer 2011, dass Obamas außenpolitischer Ansatz lange Zeit "nicht gerade überwltigende politische Ergebnisse" hervorgebracht habe.
Kampf um die Wechselwähler
Dennoch bleibt völlig offen, wie die US-Amerikaner auf die Jahre tiefer Ernüchterung unter Obama reagieren werden. Die USA sind trotz allem eine fifty-fifty-nation, wie es im politischen Jargon heißt, also ein Land, das politisch in zwei große Lager zerfällt und in dem die Wahlentscheidung der independents den Ausschlag gibt, in welche Richtung es sich bewegt. Bei der Wahl 2008 gewann Obama mehr als die Hälfte der independents, mittlerweile würde ihn nur noch ein Drittel wiederwählen. Deshalb wird er sie gezielt mit einer Doppelstrategie umwerben, die seinem Wesen sehr entgegenkommt, wie der angesehene Kolumnist E.J. Dionne schreibt: "Er ist gleichzeitig konfliktscheu und stark wettbewerbsorientiert."
Wie schwer es indes sein wird für Obama, die Wechselwähler zurückzugewinnen, zeigen Straßeninterviews, die der öffentlich-rechtliche Rundfunksender NPR zu Beginn des Vorwahlkampfs der Republikaner im August 2011 aufzeichnete. Darin wird ein independent mit dem denkwürdigen Satz zitiert, der vielleicht am besten die politische Stimmung im Land ein Jahr vor der Wahl einfängt: "Ich glaube, Obama hätte vieles besser machen können, aber er ist das geringere von zwei Übeln."