Im Jahr 1792 begleitete Johann Wolfgang von Goethe als Zivilist im erweiterten Tross des Herzoglich-Weimarischen Regiments den Vormarsch und die Kämpfe preußischer und österreichischer Truppen gegen das revolutionäre Frankreich. Dabei begegneten dem Dichter stets eine größere Menge Schaulustiger, die Kämpfe und Kanonaden interessiert beobachteten. So beschrieb Goethe den Kanonenbeschuss der Stadt Verdun Ende August 1792: "Vom heutigen Tag, der uns gegen Verdun bringen sollte, versprachen wir uns Abenteuer, und sie blieben nicht aus. (…) Um Mitternacht fing das Bombardement an, sowohl von der Batterie auf unserem rechten Ufer als von einer anderen auf dem linken, welche, näher gelegen und mit Brandraketen spielend, die stärkste Wirkung hervorbrachte. (…) Unsere Ferngläser, dorthin gerichtet, gestatteten uns, auch dieses Unheil im einzelnen zu betrachten (…) Dieses alles geschah in der Gesellschaft von Bekannten und Unbekannten, wobei es unsägliche, oft widersprechende Bemerkungen gab und gar verschiedene Gesinnungen geäußert wurden."
Schlachtenbummler, Friedhofs- und Katastrophentouristen
Reisende Zivilisten und Schaulustige, die sich am Rande von Schlachtfeldern versammelten und das Geschehen aus der Distanz beobachten, wurden im 19. Jahrhundert als "Schlachtenbummler" bezeichnet – ein Begriff, der sich heute aus diesem ursprünglichen Kontext gelöst hat und zumeist für reisende Gruppen von Fußballfans verwendet wird. In den Kriegen des 18. und 19. Jahrhunderts waren Schlachtenbummler eine fast alltägliche Erscheinung.
Krieg, Tod und Massengewalt einerseits und touristische Praktiken andererseits schlossen sich also keineswegs aus, sondern gingen oft eine charakteristische Verbindung ein. Was trieb die Schlachtenbummler an, sich in die unmittelbare Nähe bewaffneter Auseinandersetzungen zu begeben und damit auch Gefahren für das eigene Leben in Kauf zu nehmen? Waren es Abenteuerlust, Nervenkitzel, Voyeurismus und eine Faszination für Tod und Gewalt? Wie das Goethe-Zitat andeutet, war dem Dichter eine gewisse Abenteuerlust sicher nicht fremd. Zugleich zeigte er sich am eigentlichen Schlachtgeschehen oft nicht interessiert, und es war bezeichnend, dass er sich beim Beschuss Verduns mitten im feindlichen Kugelhagel mit dem Fürsten Reuß über die Farbenlehre unterhielt.
Nicht nur Schlachtfelder, sondern auch Friedhöfe gehörten in der Entwicklung des Reisens von Anfang an zu den touristischen Zielen, wie Reiseführer aus dem 19. Jahrhundert belegen.
Kulturtouristische Motive inspirierten letztlich auch die Reisen zu Orten fundamentaler Naturkatastrophen. Zu den beliebtesten Zielen gehörte dabei das von einem Vulkanausbruch des Vesuvs verschüttete Pompeji. Die allmähliche Ausgrabung der antiken Stadt zog im 18. und 19. Jahrhundert eine große Zahl von Touristen an – darunter auch Goethe. Pompeji und die Besteigung des Vesuvs gehörten zum Pflichtprogramm der adligen "Grand Tour" im 18. Jahrhundert, waren aber in der Regel in den Besuch zahlreicher römischer und griechischer Kulturstätten eingebettet.
Wegen der vielfältigen, oft kulturtouristischen Motive für Reisen zu Schlachtfeldern, Friedhöfen und Orten von Naturkatastrophen wurden solche touristischen Praktiken lange Zeit nicht als eigenständige Variante des Tourismus klassifiziert. Dies sollte sich erst in den 1990er Jahren ändern.
Deutungen und Begrifflichkeiten
In den 1990er Jahren konstatierten zahlreiche Tourismusforscher, dass Reisen zu Stätten des Todes und des Grauens neue quantitative Dimensionen angenommen hätten. Reisen zu ehemaligen Schlachtorten des Ersten und Zweiten Weltkriegs nahmen ebenso zu wie solche zu früheren Stätten des Holocaust, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 für ein breiteres Publikum ungleich leichter erreichbar waren als zuvor. Vor allem der Film "Schindlers Liste" von Steven Spielberg löste ab 1993 eine Besucherwelle nach Krakau und in den ehemals jüdischen Stadtteil Kazimierz aus, die auch die Besucherzahlen in der Gedenkstätte Auschwitz nach oben trieb.
1996 führten britische Wissenschaftler drei unterschiedliche Begriffe ein, um das – je nach Sichtweise – bekannte oder neue Phänomen zu beschreiben. So sprachen die Geografen und Kulturwissenschaftler Gregory Ashworth und John Tunbridge im Hinblick auf Orte wie Krakau-Kazimierz und Auschwitz von einem "Dissonant Heritage Tourism".
Letztlich setzte sich der Terminus "Dissonant Heritage Tourism" jedoch ebenso wenig durch wie der vom Tourismusforscher Anthony Seaton zur gleichen Zeit propagierte Begriff "Thanatourismus", abgeleitet vom Namen des griechischen Todesgottes Thanatos. Die faktische Verdrängung und Tabuisierung des Todes im modernen Leben habe – so Seaton – ein Bedürfnis ausgelöst, auf Reisen Orte aufzusuchen, die eine tatsächliche oder symbolische Begegnung mit dem Tod ermöglichen.
Als wirkungsmächtig hat sich hingegen der ebenfalls 1996 von den Tourismusforschern Malcolm Foley und John Lennon geprägte Begriff des "Dark Tourism" erwiesen, der auf den "dunklen" Hintergrund des Reiseziels abhebt. Zugleich deuteten Foley und Lennon diese Form des Tourismus als spezifisch modernes beziehungsweise postmodernes Phänomen und hoben dieses von früheren Formen und Praktiken des Reisens ab. So hätten beispielsweise globale Kommunikationstechnologien für das Interesse an "dunklen" Reisezielen eine herausragende, initiale Rolle gespielt.
Stone hat unzweifelhaft einen besonderen Beitrag zur Institutionalisierung der Dark Tourism Studies geleistet, indem er 2012 an der University of Central Lancashire in Preston ein Institute of Dark Tourism Research etablierte und 2018 ein umfangreiches Handbuch zum Thema herausgab.
Solche Ausdifferenzierungen sind zwar geeignet, ein breites Spektrum von Reiseformen und Zielen in der touristischen Praxis zu erfassen. Am Ende aber sagen solche Typologien wenig über die Motive der Reisenden aus. Überhaupt hat beim Thema Dark Tourism die Analyse grundlegender Ursachen und Reisemotive mit der Erfassung immer neuer Reiseziele und Varianten nicht Schritt gehalten. Angesichts der Vielfalt von Erscheinungsformen steht fest, dass der expandierende Dark Tourism nicht monokausal auf ein einziges ursächliches Motiv zurückgeführt werden kann – schon deshalb nicht, weil der Besuch "dunkler" Orte oft nur Teil weitaus komplexerer touristischer Aktivitäten ist: Wer eine Reise mit einem norwegischen Kreuzfahrtschiff auf der Ostsee unternimmt, kann auf einem Tagesausflug von Rostock aus auch die KZ-Gedenkstätte in Sachsenhausen besuchen. Ebenso werden Führungen durch die Gedenkstätten Auschwitz und Theresienstadt oft mit Städtereisen nach Krakau und Prag verbunden. In diesem Sinne teilt der Dark Tourism ein Leitmotiv des klassischen Tourismus, nämlich etwas Besonderes erleben zu wollen und einen Kontrapunkt zu den Routinen des eigenen Alltags zu setzen.
Motive und Hintergründe
Warum aber sind es vor allem Orte vergangener Gewalt, die seit einiger Zeit verstärkt das Interesse von Reisenden wecken? Eines der Motive für den jüngeren Besucherandrang liegt offenbar im Verschwinden elementarer Gewalterfahrungen, das für viele Gesellschaften konstatiert werden kann. Besuche an früheren Orten der Gewalt wurzeln daher mindestens partiell auch in Motiven, die nicht zuletzt für den Boom von Krimiserien im Fernsehen oder von Kriminalromanen verantwortlich sind. Wo elementare Gewalt nicht mehr Bestandteil eigener Lebenserfahrung ist, holt man sich diese in sublimer und distanzierter Form als Kriminalroman oder Fernsehfilm vergegenwärtigend ins Haus, geborgen auf der heimischen Couch und mit der Gewissheit, dass am Ende das Gute siegen wird.
Anhand der Einträge von Touristen, die Besuche in KZ-Gedenkstätten auf der Touristikplattform Tripadvisor beschrieben haben, lässt sich darüber hinaus eine Lust am Außergewöhnlichen erkennen, die bei den Reisemotiven des Dark Tourism schon seit langer Zeit konstatiert wird: Die genannten Beschreibungen folgen in der Regel der Dramaturgie eines freiwillig eingegangenen Abenteuers, an das sich zugleich spezifische emotionale Erwartungen knüpfen.
Solche Selbstbeschreibungen von Touristen spiegeln zugleich in besonderer Weise Entwicklungen der unmittelbaren Gegenwart wider und wären in der Nachkriegszeit schlichtweg undenkbar gewesen, als die allgemeine Erfahrung von Massengewalt noch so präsent war, dass die Zeitgenossen entsprechende Orte mieden. Soldaten zog es nicht auf Schlachtfelder zurück. Diese waren in den Nachkriegsjahrzehnten keine Orte der Besichtigung, sondern der persönlichen Trauer um Familienangehörige oder gefallene Kameraden, sodass die Kriegsgräberfahrten des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge kaum als frühe Spielart des Dark Tourism gelten können.
Von daher spiegeln Besuche an Stätten von Massengewalt, Krieg und NS-Verfolgung grundlegende memorialkulturelle Veränderungen und auch generationelle Veränderungen wider. Diese orientieren sich nicht mehr an Staatsgrenzen und nationalen Erinnerungskollektiven, wie vor allem die nahezu globale, seit den 1980er Jahren zunächst von den USA ausgehende Holocaust-Erinnerung zeigt.
Wo Zeitzeugen langsam verschwinden, muss Erinnerung notwendigerweise auf andere Träger übergehen, nicht zuletzt auf Museen, Dokumentationsorte und Gedenkstätten. Heutige Generationen können sich solchen Orten insofern unbefangen nähern, als sie dort nicht mit persönlicher Schuld und Verantwortung konfrontiert werden. Zugleich sind Massengewalt, Krieg und NS-Verfolgung noch keine ferne Geschichte geworden, sondern erscheinen aus familiären und medialen Kontexten einigermaßen vertraut. In diesem Übergangszustand haben Besucher von Orten früherer Massengewalt spezifische Authentizitätserwartungen, dort sichtbare Hinterlassenschaften von Gewalt, Krieg und Völkermord vorzufinden. Je mehr ein unmittelbarer biografischer Bezug zu den Erinnerungsorten abnimmt, desto eher erwarten die Besucher, dass das dort präsentierte historische Wissen zugleich durch sinnliche Anschauung und durch subjektives Erleben verstärkt wird. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat dies folgendermaßen formuliert: "Was man selbst, weil man dem historischen Geschehen bereits zu fern steht, nicht mehr mitbringt, soll durch eine ortsimmanente Gedächtniskraft, durch den überwältigenden Appellcharakter des Ortes aufgewogen werden."
Probleme und Chancen für Gedenkstätten, Museen und Dokumentationsorte
Solche Authentizitätserwartungen stellen viele Gedenkstätten und Dokumentationsorte vor große Herausforderungen, zumal das, was viele Touristen für "authentisch" halten, oft auf medial erzeugten Projektionen beruht. Fremdenführer, die Touristen durch den erwähnten ehemals jüdischen Stadtteil Kazimierz in Krakau begleiten, wissen ein Lied davon zu singen. Steven Spielbergs Entscheidung, das ehemalige Ghetto in Krakau in seinem Film "Schindlers Liste" nach Kazimierz zu verlegen, hat dem Stadtteil einen enormen Besucherandrang beschert, wobei die Touristen systematisch Orte aus dem Film aufsuchen, wiedererkennen und für historisch authentisch halten. Dabei ignorieren sie, dass sich das Ghetto in Wirklichkeit in Podgórze jenseits der Weichsel befunden hatte – wohin sich nur wenige Touristen verirren. Weisen die erwähnten Fremdenführer darauf hin, müssen sie sich oft von Touristen belehren lassen, die den Film mit historischer Realität verwechseln. In "Schindlers Liste" nahm darüber hinaus das Lager Plaszów unter seinem gewalttätigen Kommandanten Amon Göth eine zentrale Rolle ein. Da es kaum noch bauliche Relikte des Lagers gibt, baute Spielberg es als Filmkulisse fernab des historischen Ortes nach – mit dem Ergebnis, dass heute Touristen die immer noch existierenden Filmkulissen aufsuchen und für authentisch halten, sodass die filmische Repräsentation des Holocaust den historischen Ort quasi ersetzt. Nicht ganz zu Unrecht hat etwa die Journalistin Iris Weiss deshalb von einem "Jewish Disneyland" geschrieben.
Andernorts wie in der Gedenkstätte Maly Trostinez bei Minsk in Belarus oder in der Informationsstätte "Territory of Terror" im ukrainischen Lviv/Lemberg bestücken die Dokumentationszentren ihr Gelände mit "Holocaust Icons" wie Viehwaggons oder Wachtürmen, auch wenn diese dort gar nicht gestanden hatten oder eingesetzt wurden. Sie wollen damit Erwartungen touristischer Besucher entsprechen, die solche "Icons" aus unzähligen Spielfilmen kennen und bei ihren Besuchen gar nicht bemerken, dass ihnen eine Authentizität lediglich vorgegaukelt wird.
Immer wieder wird bei der Diskussion um Tourismus an ehemaligen Stätten der Massengewalt eingewandt, dass Gedenken und Tourismus sich ausschlössen und klassische touristische Praktiken solche Orte regelrecht entweihten. In der Tat gibt es zahlreiche Beispiele für eine geschmacklose Werbung kommerzieller Anbieter von Tagestouren nach Auschwitz, und Selfies im Krematorium oder vor der Gaskammer zeugen von instinkt- und pietätlosem Verhalten.
Mittlerweile machen Touristen fast die Hälfte der Besucherinnen und Besucher von Gedenkstätten aus und haben maßgeblich zum erfreulichen Besucheranstieg an vielen Orten beigetragen. Vor allem Gedenkstätten begreifen sich allerdings nicht als touristische Hotspots, sondern als Stätten der Aufklärung und Bildung. Sie schrecken dementsprechend eher davor zurück, mit Artefakten und historischen Relikten Emotionen auszulösen. Gedenkstätten und Dokumentationsorte bieten Touristen mit begrenztem Zeitbudget oft nur wenig Orientierung und präsentieren stattdessen eine enorme Fülle von Informationen und (Teil-)Ausstellungen, deren Verarbeitung in der Regel eher Tage als Stunden in Anspruch nimmt. Die besondere Herausforderung für die Gedenkstätten besteht deshalb darin, touristischen Besuchern in begrenzter Zeit eine ausreichende Orientierung zu vermitteln.
Dabei sollten sie weniger Scheu vor evozierten Gefühlen haben, weil diese ausweislich von Besucherbefragungen und Erfahrungsberichten sehr wohl mit Aspekten der Einsicht, Bildung und Information verbunden werden können. Zugleich können sie Authentizitätserwartungen nicht immer erfüllen, vor allem dann nicht, wenn diese auf medial erzeugten Projektionen beruhen, die mit dem historischen Ort in keinerlei Verbindung stehen. So haben sich in der Vergangenheit schon Touristen bei den Leitungen von KZ-Gedenkstätten darüber beschwert, bei ihrem Besuch keine Gaskammern gesehen zu haben, die es am historischen Ort nie gegeben hat. In diesem Fall kann aber die Enttäuschung vermeintlicher Gewissheiten produktiv genutzt werden, Vorannahmen wie die Gleichsetzung von Lager und Vernichtung zu erschüttern und ein Bedürfnis nach weiteren Informationen auszulösen. Schließlich besteht der wichtigste Zweck einer Gedenkstätte ja nicht darin, in kurzer Zeit ein Maximum an Fakten zu präsentieren, sondern die Touristen zum Nachdenken anzuregen und zur Beschäftigung mit den historischen Hintergründen zu ermuntern – weit jenseits eines einmaligen touristischen Besuchs.